Mein Leben und Schaffen (Hermann Hendrich): Unterschied zwischen den Versionen
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Mein Leben und Schaffen
Die Vermögensverhältnisse meiner Eltern gestatteten es leider nicht, daß ich mir die so nötige Vorbildung auf einer Kunstschule erwarb. Ich kam zu Theodor Müller in Nordhausen in die Lehre, um die Lithographie zu lernen. Hier gab's nun keine büßenden Magdalenen zu kopieren, sondern Schnaps-Etiketten und andere „nützliche“ geldbringende Kunstwerke mußten gemacht werden. Eine verzehrende Sehnsucht ergriff mich, hinaus zu kommen in die Welt und all die Wunder zu schauen, von denen ich soviel gelesen und gehört hatte. Es wurde mir ein Lehrjahr erlassen, und ich kam nach Hannover, um dort in einer Lampenfabrik Lampen für den Katalog zu zeichnen und zu lithographieren - eine entsetzliche Arbeit. Wenn ich nun zurückschauend überdenke, was dazumal den stärksten Eindruck auf mich gemacht hat, so war es neben dem Museum mit seinen vielen Bildern und anderen Kunstwerken eine Aufführung von Richard Wagners Tannhäuser. Vom „Olymp“ herab sah ich, ganz berauscht von der wunderbaren Musik, in eine mir ganz neue Wunderwelt. Ich war davon völlig und ganz hingerissen. Nach der Vorstellung lief ich noch stundenlang im Park herum, mein Inneres übervoll, und wie ein fernes Traumglück schwebte es mir vor der Seele, später derartiges malen zu können. Was soll ich nun von der langen und öden Zeit berichten, die ich nach Hannover in Berlin verbrachte: Tagsüber lithographierend, um das Leben zu fristen, abends im Kunstgewerbe-Museum zeichnend, dazwischen die bekannten Jugendeseleien. Eine grenzenlose Leidenschaft fürs Theater erfaßte mich, die so weit ging, daß ich an allen möglichen Liebhaberbühnen kräftig mitmimte und schließlich sogar ein Engagement als jugendlicher Liebhaber am Detmolder Hoftheater annahm mit Max Grube zusammen. Leider dauerte die Herrlichkeit nicht lange: in Münster machte der Herr Direktor die Bude zu. Noch folgte ein kurzer Versuch am Stadttheater zu Düsseldorf, und ich sah ein, daß ich eine lange schöne Zeit unnütz vergeudet hatte. Nun kamen die Wanderjahre. Das Gepäck war sehr leicht, noch leichter der Geldbeutel. Wo es irgend anging, malte ich Studien nach der Natur und danach Bilder, die ich hier und da aufstellte in der Hoffnung, sie zu verkaufen. Aber die farbigen Seifenblasen zerplatzten sehr schnell. Der erste namhafte Verkauf erfolgte im Verein Berliner Künstler, als er noch in der Kommandantenstraße seine Ausstellungen machte, und ich war stolz und überglücklich. Die Karte, welche mir dieses „freudige Ereignis“ anzeigte, habe ich als Reliquie aufgehoben. Nun hatte ich große Rosinen im Sack, die heimatlichen Gefilde wurden mir zu eng, es ward eine Studienreise nach Norwegen beschlossen, gemeinsam mit einem Kollegen, einem geborenen Norweger. Da dieser Land und Leute gut kannte, auch damals das Reisen nach Norwegen noch nicht Mode war, kostete uns diese Reise nicht sehr viel. Die Ueberfülle der großartigsten Motive wirkte geradezu erdrückend, aber die kraftvolle Färbung, das unendliche Licht hob jede körperliche oder geistige Müdigkeit auf, so daß ich eine Menge Zeichnungen und Aquarelle anfertigen konnte. Mit diesem Schah beladen kehrte ich wieder zurück, malte zwei große Bilder danach und schickte diese zur großen Berliner Kunstausstellung. Beide Bilder wurden mir jedoch von der Jury zurückgewiesen. Wie schwer und schmerzlich mich dieser Schlag traf, der alle Hoffnung knickte, will ich nicht weiter schildern. Fort von Berlin war man einziger Gedanke. Zum Glück fand ich eine Stellung als Lithograph in Amsterdam. Mein Geld reichte gerade noch, um „vierter Güte“ nach dort zu kommen. Ich muß wohl erbärmlich ausgesehen haben, denn liebe Leute sagten mir später, ich hätte den Eindruck gemacht, als ob ich schwindsüchtig sei und dort sterben wollte. Aber die neuen Eindrücke, die Jugend und die Liebe, verscheuchten bald die dunklen Wolken. In Amsterdam gewann ich meine Lebensgefährtin, ihr köstlicher Humor, ihre strahlende Lebensfreudigkeit bestärkten mich in meiner Zuversicht, doch noch das ersehnte Ziel zu erreichen: mich ganz der Kunst widmen zu können und ein freier unabhängiger Maler zu werden. Dazu war in Amsterdam nun allerdings wenig Aussicht. Kurz entschlossen nahmen wir von der herrlichen Rembrandt'schen Nachtwache Abschied und traten unsere Hochzeitsreise an, nicht den ausgetretenen Weg nach Italien, um auf dem Marktplatz in Venedig Täubchen zu füttern, sondern nach Amerika. Dies war 1882. In Auburn, einer mittleren Stadt im Staate New York, machten wir Station bei meinem Bruder, der jetzt noch in dem nahen Green-Castle lebt. Hier machte ich mit meinen norwegischen Aquarellen und Studien, sowie den unverkauften und von der Jury abgewiesenen Bildern meine erste Sonderausstellung. Schon nach wenigen Tagen meldete sich ein Mr. van Deurs, Inhaber eines großen Möbel-, Musikalien- und Bildergeschäfts,- er fragte, was der ganze Kram zusammen kosten sollte. Ich glaubte zuerst, der Mann machte Scherz, denn an einen derartigen Erfolg hatte ich in meinen kühnsten Träumen nicht gedacht. Wir einigten uns auf einige 1000 Dollars, und erst als mir der Scheck auf der Bank in schönen amerikanischen Noten ausgezahlt war, wußte ich bestimmt, daß es kein Traum war. Nun hing uns der Himmel voller Geigen: eine nach unseren Begriffen ungeheure Summe war unser eigen. Nun reisten wir unter mehr oder weniger angenehmen Intermezzos im Lande herum, um es kennen zu lernen,- besonders an der sehr interessanten Küste von Maine machte ich fleißig Studien. Aber das Reisen in Amerika ist ein kostspieliges Vergnügen: die „ungeheure Summe“ schmolz bedenklich zusammen, und da ich bald merkte, daß ich wohl dort Bilder verkaufen konnte, aber mit der weiteren mir so nötigen Ausbildung es seine Schwierigkeiten haben würde, mir auch das nüchterne Leben und Treiben wenig zusagte, entschlossen wir uns, mit schwerem, aber dankerfüllten Herzen gegen das gastliche Land wieder in die alte Heimat abzudampfen. Dies ist ein bedeutungsvoller Abschnitt meiner Künstlerlaufbahn: ohne Amerika wäre ich wahrscheinlich als Lithograph versimpelt. Voll Tatendrang und Schaffensfreudigkeit ließen wir uns in München nieder. Hier war die nun folgende Zeit für uns eine äußerst glückselige. Dieses gemütliche München mit den prächtigen Menschen, vor allen meinem hochverehrten Lehrer Pros. Wenglein, war ein großer Gegensatz zu Amerika. Es war wirklich eine herrliche Zeit. Die Schack-Galerie mit Böcklin wirkte bedeutend auf mich ein, außerdem die herrlichen Wagneraufführungen im Hoftheater, die ich meist mit einer kleinen Gruppe gleichgesinnter Kollegen genoß. Wenn wir „Gralsbrüder“ danach beim kühlen Maßkrug beieinander saßen, fühlten wir uns selbst als selige Götter Walhalls, und der Keim zu manch' späterem Werk fand dort Befruchtung. Mit der bayrischen Landschaft und den Bergen konnte ich mich weniger befreunden, deshalb machte ich meine Studienreise wieder nach Norwegen und besonders nach Bornholm. Hier gewannen die nordischen Mythen Leben und drängten nach Gestaltung. Ueber die Verfallene Warte der Schloßruine Hammershus' gelehnt, blickte ich über das beschattete wette Meer, hörte die sehnsüchtige klagende Melodie des Hirten aus „Tristan und Isolde“ und so entstand die „Traurige Weise". Oder wir fuhren im Lotsenboot ins stürmische Meer, wo oft eine einzige große Welle den ganzen Horizont überschnitt und in unheimlicher Stimmung Schiffe gespenstisch vorüber huschten, und so enstand der „Fliegende Holländer“. Oder ich ging im Mondlicht in einem einsamen Dünen- tal, wo mein Schatten über eine dunkle Erdspalte fiel und ein Kreuz bildete, so entstand „Golgatha“. Die ganze Insel bevölkerte sich mir auch besonders mit Gestatten aus der Beowulfsage. Mit tiefen Eindrücken und fleißig gemalten Studien kehrte ich wieder nach München zurück und matte zum größten Mißvergnügen meines verehrten Lehrers fünf große landschaftliche Bilder mit Motiven aus der Beowulfsage. Diese Bilder prangten denn auch eines schönen Sonntags im Kunstvereine, eine ganze große Wand einnehmend. Der Erfolg war naturgemäß ein geringer, denn die ganz fremden, unverständlichen Motive waren wohl malerisch noch nicht so weit bewältigt, daß sie dadurch fesselten. Immerhin nahm sich die Kritik meiner wohlwollend und aufmunternd an. Umsonst war die große Arbeit jedoch auch insofern nicht gewesen, als sie mir in dem damaligen preußischen Gesandten, Graf Werthern, einen Gönner und Förderer meiner Bestrebungen erwarb. Der kunstsinnige Herr besuchte mich in meiner bescheidenen Werkstatt, gab seiner Freude Ausdruck, daß ich mutig an ein derartiges Werk gegangen sei, und bestärkte mich in meinem Willen, die deutsche Sagenwelt zu gestalten. Als echter Edelmann bewies er durch die Tat, daß er es ernst meinte. Eines Tages teilte er mir mit, daß mir vom preußischen Kultusministerium ein Stipendium auf einige Jahre ausgezahlt werden sollte, an das aber die Bedingung geknüpft war, daß ich nach Berlin ginge und in ein Atelier der dortigen Akademie einträte. Dies geschah, und ich wurde Schüler von Pros. Bracht. Es würde zu weit führen, wollte ich all' die gelungenen und vorbeigelungenen Ideen und Werke schildern, all den Sonnenschein und die trüben Schatten, nur so viel sei gesagt, daß das siegende Licht doch schließlich alles Trübe und Dunkle überstrahlte und mein Leben und Schaffen ein frohes und glückliches wurde. Auch unser ehemaliger Kaiser förderte meine Bestrebungen dadurch, daß er ein großes Bild aus der nordischen Sagenwelt „Atlantis“ bei mir bestellte. Der Höhepunkt meiner Lebens- und Schaffensfreudigkeit gipfelte wohl in der Einweihung und Eröffnung der Walpurgishalle durch Staatsminister von Bötticher auf dem Hexentanzplatz im Jahre 1901. Thor gab seinen besonderen Segen dazu: gerade bei der Feierlichkeit entlud sich ein mächtiges Gewitter, er schleuderte seinen Hammer über das großartige Bodetal und rollte gewaltigen Donner an den riesigen Felswänden auf. In der Walpurgishalle habe ich ein künstlerisches Glaubens-Bekenntnis niedergelegt. Die phantastische Goethesche Walpurgis-Dichtung, welche ich schon als Junge auswendig kannte, sowie die heimatliche Natur begeisterten mich zu dieser Bilderfolge, welche in einer entsprechenden, charakteristischen Architektur inmitten der großen stimmungsvollen Landschaft zur vollen Wirkung kommt. Aus gleichem Gesichtspunkt entstand die Sagenhalle zu Schreiberhau im Riesengebirge, in der ich die Rübezahlsage aus dem Charakter des Riesengebirges neu gestaltet habe. Diese Werke sind unter schwierigen Umständen und ohne jede Beihülfe zustande gekommen und haben natürlich ihre Schwächen und Fehler, immerhin weiß ich aber genau, daß Tausende von Besuchern künstlerischen Genuß und Anregung davon haben, so daß die einheitlichen, aus dem Volksgeiste geborenen Schöpfungen wahre Volkstümlichkeit zu erlangen im Begriff sind. Das ist mir der reichste Lohn. Als mein letztes Werk wurde die Nibelungenhalle auf dem Drachenfels zu Königs- winter am Rhein zum 100. Geburtstag unsers großen Meisters Richard Wagner eingeweiht. In dem Kuppelraum der Halle habe ich in 12 Bildern Motive aus dem großartigen Werk „Der Ring des Nibelungen“, das gerade jetzt wie blutiger Nordlichtschein am deutschen Himmel sieht, zur Darstellung gebracht. Mein Leben neigt sich zu Ende. Als Vermächtnis hinterlasse ich dem deutschen Volke diese Schöpfungen,- mögen sie dazu beitragen, die Erinnerung an die herrlichen Mären und Sagen unserer großen Vorzeit lebendig zu erhalten und neu zu erwecken, sodaß die düsteren Nebel, welche uns jetzt bedrücken, durch ein neues, glänzendes Morgenrot verscheucht werden.
Hermann Hendrich.
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