Nordhausen und Umgegend im Jahre 1848: Unterschied zwischen den Versionen
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Die pietistische Orthodoxie, die in Preußen seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. herrschte, rief eine Reaktion hervor, deren erstes Stadium das Auftreten der Lichtfreunde oder protestantischen Freunde bezeichnet. Den Anstoß gab die Maßregelung eines freien Predigers in Magdeburg. Ein Verein für vernunftgemäßes, praktisches Christentum entstand, veranstaltete Volksversammlungen, die vom Prediger Uhlich geleitet wurden. Ein anderer Anhänger der neuen Richtung, Prediger Wislicenus, wurde seines Amtes entsetzt, eine Eingabe an den König forderte Freiheit der Forschung auf religiösem Gebiete. Als der König abweisend antwortete, wuchs die Bewegung und griff auch nach Nordhausen über. | Die pietistische Orthodoxie, die in Preußen seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. herrschte, rief eine Reaktion hervor, deren erstes Stadium das Auftreten der Lichtfreunde oder protestantischen Freunde bezeichnet. Den Anstoß gab die Maßregelung eines freien Predigers in Magdeburg. Ein Verein für vernunftgemäßes, praktisches Christentum entstand, veranstaltete Volksversammlungen, die vom Prediger Uhlich geleitet wurden. Ein anderer Anhänger der neuen Richtung, Prediger Wislicenus, wurde seines Amtes entsetzt, eine Eingabe an den König forderte Freiheit der Forschung auf religiösem Gebiete. Als der König abweisend antwortete, wuchs die Bewegung und griff auch nach Nordhausen über. | ||
Hier starb im Jahre 1845 Superintendent Förstemann, und die Nicolaigemeinde daselbst wählte den 31 Jahre alten freidenkenden Diakonus Eduard Baltzer aus Delitzsch, nachdem er eine beifällig aufgenommene Gast-Predigt gehalten hatte, zu ihrem Seelsorger. „Sie freute sich, einen Prediger gefunden zu haben, welcher das sittliche Element über das dogmatische stellte. | Hier starb im Jahre 1845 Superintendent Förstemann, und die Nicolaigemeinde daselbst wählte den 31 Jahre alten freidenkenden Diakonus Eduard Baltzer aus Delitzsch, nachdem er eine beifällig aufgenommene Gast-Predigt gehalten hatte, zu ihrem Seelsorger. „Sie freute sich, einen Prediger gefunden zu haben, welcher das sittliche Element über das dogmatische stellte.“ Die Vokation des Magistrats folgte sehr bald, aber die Bestätigung des Konsistoriums blieb aus. Als der Kirchenvorstand St. Nicolai, die Herren Schencke, Schlichteweg, Rosenthal, in Übereinstimmung mit Magistrat und Kirchengemeinde, beim Minister kein Gehör fanden und sich auch vergeblich an Se. Majestät wandten, legte das Kirchenkollegium protestierend sein Amt nieder und rief die gleichgesinnten Bürger zur Gründung einer freien protestantischen Gemeinde auf. Um Baltzer, der freiwillig sein Amt in Delitzsch niederlegte, scharten sich, nachdem er in den Abendstunden des 5. Januar 1847 im Wirtshause von Kolditz, später „Deutscher Kaiser" genannt, in der Barfüßerstraße, eine Ansprache gehalten hatte, mehr denn 100 Männer und erklärten, von dem jungen Prediger, den die Behörde nicht bestätigen wollte, nicht lassen zu wollen. Nachdem ihnen dieser die Grundzüge der neuen Gemeindeordnung und den Inhalt ihres Glaubens formuliert hatte, ertönte auf die Frage, ob sie bereit seien, eine freie protestantische Gemeinde zu bilden, ein solch brausendes, aus tiefer Männerbrust hervordringendes Ja, daß es Baltzer selbst durch Mark und Bein ging.“ Das bezügliche Protokoll Unterzeichneten 101 Männer, an der Spitze Herr Spangenberg sen. (angeblich ein Nachkomme des Pfarrers Joh. Spangenberg, der als Gründer des Nordhäuser Gymnasiums von 1525 bekannt ist). Dem Magistrat wurde alsbald von der Tatsache Mitteilung gemacht. Am folgenden Tage wurde im „Riesenhause" eine größere öffentliche Versammlung gehalten von Männern und Frauen, denen der neue Prediger einen Vortrag hielt. Nach weiteren Beitrittserklärungen wurde der Gemeindevorstand gewählt. Am 3(. Januar fand in der „Hoffnung" die erste religiöse Erbauung statt. Trauungen und Taufen von Kindern, mit denen einige Eltern gewartet hatten, nahm B. im Ornat in der Wohnung der Betreffenden vor. | ||
Am 10. April 1847 erschien das Toleranzedikt König Friedrich Wilhelms IV., wodurch die Gründung freier Religionsgemeinden einen gesetzlichen Boden erhielt. Der Austritt aus der Landeskirche wurde damit zwar gestattet, aber noch erschwert. | Am 10. April 1847 erschien das Toleranzedikt König Friedrich Wilhelms IV., wodurch die Gründung freier Religionsgemeinden einen gesetzlichen Boden erhielt. Der Austritt aus der Landeskirche wurde damit zwar gestattet, aber noch erschwert. | ||
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Ein wesentlicher Unterschied zwischen der damaligen Tagespresse und der von heute lag darin, daß man den Abschnitt Lokalnachrichten nicht kannte, aus den ja heute der Blick unserer meisten Zeitungsleser nach den Familiennachrichten zuerst fällt. Dagegen benutzte man die Presse, was in dieser Weise, Gott sei Dank, heute nicht mehr geschieht, zum Austrag aller möglichen Händel. Öffentliche Angriffe wechseln mit öffentlicher Abwehr, Familienangelegenheiten werden breit getreten. „Ist es recht", fragen mehrere Fruchthändler, „daß die Frau eines Fruchtmaklers vor das Siechentor geht, sich um das Geschäft ihres Mannes bekümmert und zu Hause alles versauen und verdrecken läßt?" | Ein wesentlicher Unterschied zwischen der damaligen Tagespresse und der von heute lag darin, daß man den Abschnitt Lokalnachrichten nicht kannte, aus den ja heute der Blick unserer meisten Zeitungsleser nach den Familiennachrichten zuerst fällt. Dagegen benutzte man die Presse, was in dieser Weise, Gott sei Dank, heute nicht mehr geschieht, zum Austrag aller möglichen Händel. Öffentliche Angriffe wechseln mit öffentlicher Abwehr, Familienangelegenheiten werden breit getreten. „Ist es recht", fragen mehrere Fruchthändler, „daß die Frau eines Fruchtmaklers vor das Siechentor geht, sich um das Geschäft ihres Mannes bekümmert und zu Hause alles versauen und verdrecken läßt?" | ||
„Was habe ich denn dem Drechslermeister X. getan", fragt ein anderer. „Ich warne ihn, meine Wohnung wieder zu betreten, weil er 'rausgeworfen wird!" „Hat der Polizeidiener St. | „Was habe ich denn dem Drechslermeister X. getan", fragt ein anderer. „Ich warne ihn, meine Wohnung wieder zu betreten, weil er 'rausgeworfen wird!" „Hat der Polizeidiener St.“ wünschen mehrere Bürger zu wissen, „das Recht, mit Arrestanten, wenn er sie vom Rathause nach dem Gefängnis bringt, unterwegs in Bierhäusern einzukehren und mit ihnen zu trinken?" Schlimmer waren die Auseinandersetzungen, die in das politische Gebiet hinüberreichten, z. B. als man einen Stadtrat fälschlicherweise bezichtigt hatte, die Arbeiterschaft zu Katzenmusiken, zum Pflasteraufreißen, Plünderung der Häuser der besitzenden Massen und dergleichen ausgereizt zu haben. | ||
Harmloser waren die Meinungsverschiedenheiten über die Bewaffnung, Kleidung, das Äußere der Bürgerwehr, z. B. über das Tragen von Schnurrbärten. | Harmloser waren die Meinungsverschiedenheiten über die Bewaffnung, Kleidung, das Äußere der Bürgerwehr, z. B. über das Tragen von Schnurrbärten. | ||
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„Ohne irgend eine Aufforderung von uns habt Ihr, geliebte Schüler, den Wunsch ausgesprochen, Euer Schulgebäude mit der deutschen Fahne schmücken zu dürfen. Gern bin ich Eurem Wunsche entgegengekommen. Habe ich doch vor 25 Jahren, als ich ein Jüngling war wie Ihr und jugendlich fühlte wie Ihr, das schwarz-rot-goldene Band getragen als ein Zeichen des Wunsches der deutschen Einheit. Damals mußte dieses Band wieder abgelegt werden, weil es noch nicht an der Zeit war. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo die deutsche Einheit wirklich werden soll. | „Ohne irgend eine Aufforderung von uns habt Ihr, geliebte Schüler, den Wunsch ausgesprochen, Euer Schulgebäude mit der deutschen Fahne schmücken zu dürfen. Gern bin ich Eurem Wunsche entgegengekommen. Habe ich doch vor 25 Jahren, als ich ein Jüngling war wie Ihr und jugendlich fühlte wie Ihr, das schwarz-rot-goldene Band getragen als ein Zeichen des Wunsches der deutschen Einheit. Damals mußte dieses Band wieder abgelegt werden, weil es noch nicht an der Zeit war. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo die deutsche Einheit wirklich werden soll. | ||
Wie sollte ich Eure jugendliche Begeisterung für die Einheit des gemeinsamen Vaterlandes nicht ehren! Die Fahne, welche Ihr auspflanzen wollt, ist die Fahne der deutschen Freiheit und Einigkeit, aber nicht die Fahne der Zügellosigkeit und Ungebundenheit. Die Freiheit ist ein hohes edles Gut, aber man kann sie keinem schenken, man kann sie nicht auf dem Markte kaufen. Die Freiheit will errungen und erobert sein, aber nicht mit rohen Fäusten, sondern durch Veredelung des Herzens, durch Erleuchtung des Geistes. Nur wenn der Mensch sich selbst die Schranken setzen und das Maß vorschreiben kann, ohne welches weder das Rechte, noch das Gute, noch das Schöne zur Erscheinung gelangt, ist er der Freiheit wert, sind die Schranken von außen, die das Böse verhindern, überflüssig. Sorgt also dafür, daß Ihr, das Heranwachsende Geschlecht, frei werdet durch den schweren, geistig sittlichen Kampf, für welchen auch die Schule ein Ringplatz ist. Dann wird auch die deutsche Einheit möglich werden und die deutscheKAraft, welche weder von Westen noch von Osten die Feinde zu fürchten braucht, dann werdet auch Ihr Helden für das Vaterland werden. Wird aber nicht auf diesem Wege die Freiheit errungen, sondern nur in der Vernichtung äußerer Schranken gesucht, so wird Zügellosigkeit und Unsitte entstehen, die höchste Unfreiheit und Uneinigkeit folgen, Ohnmacht gegen äußere Feinde uns verraten. Schwarzrotgold sind die deutschen Farben, mit welchen Ihr die Pffanzstätte Eurer Jugendbildung schmücken wollt. Wie aber alles Äußere nur ein Zeichen ist, welches allein durch den Sinn, den wir ihm geben, Bedeutung gewinnt, so lasset uns auch an diese Farben einen höheren, bedeutungsvollen Zinn knüpfen. Schwarz ist die unendliche Tiefe des Alls, die uns blau nur durch den Tchleier der irdischen Atmosphäre erscheint. Das erinnere Tuch, deutsche Jünglinge, an die unergründliche Tiefe des deutschen Gemütes und Geistes, das warne Tuch, wenn Leichtsinn und Oberflächlichkeit sich Euer bemächtigen wollen. Rot, der Purpur, mit dem die aufgehende Tonne den jungen Tag verkündet und die untergehende, auf den kommenden Morgen deutend, ihren Abschiedsgruß sendet, ist die Farbe der idealen Befriedigung, nach welcher bewußt oder unbewußt, sich jedes Menschenherz sehnt. Diese ideale Befriedigung wird nur durch jene Freiheit gewonnen, die in der Tiefe des Gemüts ihre Wurzeln birgt. Gold ist die Farbe des edelsten Metalls, das in der Natur zwar selten, aber gediegen vorkommt. Das erinnere Tuch an die Reinheit der Gesinnung, nach der Ihr streben müßt, das mahne Tuch an den edelsten Mut, der sich gediegen wie Gold, in Türen Herzen ansetzen soll. So stecket Eure Fahne auf, und so Ihr künftig auf dem Wege zur Schule sie erblickt, vergesset nicht die Bedeutung der 3 Farben. | Wie sollte ich Eure jugendliche Begeisterung für die Einheit des gemeinsamen Vaterlandes nicht ehren! Die Fahne, welche Ihr auspflanzen wollt, ist die Fahne der deutschen Freiheit und Einigkeit, aber nicht die Fahne der Zügellosigkeit und Ungebundenheit. Die Freiheit ist ein hohes edles Gut, aber man kann sie keinem schenken, man kann sie nicht auf dem Markte kaufen. Die Freiheit will errungen und erobert sein, aber nicht mit rohen Fäusten, sondern durch Veredelung des Herzens, durch Erleuchtung des Geistes. Nur wenn der Mensch sich selbst die Schranken setzen und das Maß vorschreiben kann, ohne welches weder das Rechte, noch das Gute, noch das Schöne zur Erscheinung gelangt, ist er der Freiheit wert, sind die Schranken von außen, die das Böse verhindern, überflüssig. Sorgt also dafür, daß Ihr, das Heranwachsende Geschlecht, frei werdet durch den schweren, geistig sittlichen Kampf, für welchen auch die Schule ein Ringplatz ist. Dann wird auch die deutsche Einheit möglich werden und die deutscheKAraft, welche weder von Westen noch von Osten die Feinde zu fürchten braucht, dann werdet auch Ihr Helden für das Vaterland werden. Wird aber nicht auf diesem Wege die Freiheit errungen, sondern nur in der Vernichtung äußerer Schranken gesucht, so wird Zügellosigkeit und Unsitte entstehen, die höchste Unfreiheit und Uneinigkeit folgen, Ohnmacht gegen äußere Feinde uns verraten. Schwarzrotgold sind die deutschen Farben, mit welchen Ihr die Pffanzstätte Eurer Jugendbildung schmücken wollt. Wie aber alles Äußere nur ein Zeichen ist, welches allein durch den Sinn, den wir ihm geben, Bedeutung gewinnt, so lasset uns auch an diese Farben einen höheren, bedeutungsvollen Zinn knüpfen. Schwarz ist die unendliche Tiefe des Alls, die uns blau nur durch den Tchleier der irdischen Atmosphäre erscheint. Das erinnere Tuch, deutsche Jünglinge, an die unergründliche Tiefe des deutschen Gemütes und Geistes, das warne Tuch, wenn Leichtsinn und Oberflächlichkeit sich Euer bemächtigen wollen. Rot, der Purpur, mit dem die aufgehende Tonne den jungen Tag verkündet und die untergehende, auf den kommenden Morgen deutend, ihren Abschiedsgruß sendet, ist die Farbe der idealen Befriedigung, nach welcher bewußt oder unbewußt, sich jedes Menschenherz sehnt. Diese ideale Befriedigung wird nur durch jene Freiheit gewonnen, die in der Tiefe des Gemüts ihre Wurzeln birgt. Gold ist die Farbe des edelsten Metalls, das in der Natur zwar selten, aber gediegen vorkommt. Das erinnere Tuch an die Reinheit der Gesinnung, nach der Ihr streben müßt, das mahne Tuch an den edelsten Mut, der sich gediegen wie Gold, in Türen Herzen ansetzen soll. So stecket Eure Fahne auf, und so Ihr künftig auf dem Wege zur Schule sie erblickt, vergesset nicht die Bedeutung der 3 Farben.“ Es folgte ein Hoch an das deutsche Volk und die Fürsten, in das die Versammelten begeistert einstimmten. Wenige Morte des Gebets schlossen die Ansprache, bei welcher die feierlichste Tülle geherrscht hatte. | ||
== Das Turnen in Nordhausen im Jahre 1848 == | == Das Turnen in Nordhausen im Jahre 1848 == |
Version vom 2. November 2021, 06:31 Uhr
Nordhausen
und Umgegend im Jahre 1848 von
Professor Felix Haese,
I. Vorsitzenden
des Nordhäuser Geschichts- und Altertums-Vereins.
Dazu 20 Bilder auf Tafeln
und 1 Schlußbildchen.
Im Selstverlage.
Nordhausen a. Harz 1909.
Druck von Fr. Eberhardt, Inh.: Paul Meyer.
VorwortNach einem von mir über die deutsche Bewegung von 1848/49 gehaltenen Vortrage wurde ich aufgefordert, die Ereignisse des unruhigen Jahres in Nordhausen selbst zusammenzustellen. Die Ausführung dieses Wunsches war nicht leicht, da die amtlichen Quellen spärlich fließen, die Zeitungen sehr wenig bringen, eine Einzelschrift nicht vorhanden, bzw. vergriffen ist und von Zeitgenossen nur eine kleine Zahl noch am Leben ist. Trotzdem machte ich mich ans Werk. Die Herstellung von Bildern von der damaligen Stadt war zeitraubend. Doch „Es wächst der Mensch mit seinen größeren Zwecken“. Als ich die Geschichte der Stadt Nordhausen behandelt hatte, wollte ich die Begebenheiten in der Umgegend im Jahre 1848 kennen lernen und nahm sie dazu. So verzögerte sich die Herausgabe des Werkchens. Nunmehr liegt es fertig vor. Zwar sind die Namen der Männer, die 1848 ein einiges Deutschland auf friedlichem Wege herzustellen versuchten, verblaßt durch die glorreicheren derer, welche das Ziel 1866-1871 nach großen Kriegen erreicht haben; um so mehr lohnt es sich, uns die leitenden Männer jener Zeit aus unserer Stadt vorzuführen, denen die von 70 kaum an die Seite zu stellen sind. Denn Nordhausen weist 1848 eine ganze Reihe hervorragender Männer aus, und mancher der jetzt Lebenden wird mit den an den damaligen Ereignissen Beteiligten Beziehungen finden, in manchem wird bei den Ansichten von Alt-Nordhausen eine liebe Erinnerung aufsteigen. Glaube ich daher, für den Gegenstand meiner Geschichte eine günstige Aufnahme zu finden, so bitte ich für die Art der Darstellung um gütige Nachsicht. Jedenfalls tröste ich mich mit dem Gedanken: Ich selbst habe an dem Schaffen meiner Schrift die größte Freude gehabt. In diesem Gefühl sage ich noch denen, die mich durch Rat und Tat unterstützt haben, meinen verbindlichsten Dank.
Umfang und Größe der Stadt Nordhausen im Jahre 1848Der Umfang von Nordhausen im Jahre 1848, also vor 60 Jahren, war durch die alten Stadtmauern, die wir zum großen Teil noch heute sehen, bestimmt. Durch diese Mauern führten damals folgende Tore:
Das Altendorf, vor 1230 gegründet und ehemals durch Pfahlwerk, nicht durch Mauern geschützt, lag außerhalb der Stadtmauer wie auch sein Tor (Gesamt-Ansicht). Außerdem lagen außerhalb der Stadtmauer 1848 folgende Häuser:
Ferner lagen außerhalb der Stadtmauer: in der Gumpe die Abdeckerei, auf dem Gehegeplatz die Gehegebuden, auf der Stolberger Straße die schöne Aussicht, früher Ansageposten für Steuerbares, die Zichorienmühle, früher eine Windmühle. Wiederholds Holzhof. Auf der Leipziger (jetzt Halleschen) Chaussee der Hammer, damals eine Broihanbrauerei von Kindervater. Beltz Ölmühle und einige kleine Häuser, Bösels Gärtnerei. An der Salza lagen 1848 schon: Hüpedens Garten, verderbt genannt Hüpchens Garten, die Furthmühle, die Gehöfte von Krause und Herbst, die Kuttelmühle, Häuser von Schreiber & Sohn, die Wertherbrückenmühle und einige kleine Häuser (s. Gesamtbild). Das Territorium der Stadt Nordhausen wurde und wird noch heute bezeichnet durch 4 Grenzsteine, 1. am Kuhberg, 2. am Zorgesteg, 3. bei Leimbach, 4 auf der Höhe vor Petersdorf. Im ganzen sind noch 12 solcher Grenzsteine vorhanden, einige sind umgestürzt, einer dient als Bachübergang. Wer, wie es der Verfasser getan, das Landgebiet umgehen will, wird 4½ Stunde brauchen, es beträgt 41 Hektar. Die Stadt zählte 1848 etwas über 13 000 Einwohner, heute hat sie über 31 000. Folgende Straßenviertel fehlten also 1848: Sedanstraße bis Ammerberg und Neumarktviertel. Spiegelviertel. Viertel zwischen Stolberger Straße und Geiersberg. Häuser vor dem Altentor. Grimmelallee und Siechentorviertel. Bahnhofsviertel. Stadtteil jenseits der Sundhäuser Brücke. Quartier vor der Halleschen Straße. Nordhausens LageDie Lage Nordhausens, im Kreuzungspunkte mehrerer Landstraßen und Eisenbahnen, am Eingangstor zur „goldenen Aue", ist nicht nur günstig, sondern auch schön und gewährt, besonders wenn man sich der Stadt von Südwesten, vom Schern herab, nähert, einen herrlichen Anblick. Im weiten Umkreise, doch mit dem bloßen Auge genau zu erkennen, umgeben die Stadt bewaldete Gebirge, deren Kuppen mit Denkmälern, Schlössern und Türmen gekrönt sind. Flüßchen, die Mühlen treiben, durchziehen wie Silberfäden die dazwischen liegenden lachenden Fluren. Die alte Stadt selbst hat stolz Besitz genommen von einem die Ebene beherrschenden Höhenrücken, an dem die jüngern Stadtteile vertrauensvoll sich anlehnen. Die mittelalterliche Stadtmauer, dem Auge noch deutlich sichtbar, ruft mit ihren starken Türmen und festen Bastionen die geschichtliche Vergangenheit der Stadt in uns zurück, erinnert an ihre Selbständigkeit, die Kriege und Belagerungen lange nicht gebrochen haben. Die zahlreichen alten Kirchtürme rufen uns ihr geistiges Leben im Mittelalter ins Gedächtnis, zugleich zeigen sie die historische Entwickelung der Stadt. Kein Geringerer als Goethe hat auf der „Harzreise im Winter" seiner Bewunderung über die hoch und auf dem Berge liegende Stadt Ausdruck gegeben. „Ihn interessierten die wunderlichen Türme und Mauerbefestigungen, bei hereinbrechender Abenddämmerung gesehen“. „Ihn erfreute auch die schöne Aussicht aus die goldene Aue“. Er ist am 30. November 1777 auf der Reise zum Brocken an Nordhausen vorübergeritten „bey Nordhausen weg", und hat in Ilfeld in Hebestreits Gasthof übernachtet. Zum Andenken daran ist s. Zt. vom Nordhäuser Geschichtsverein eine Tafel angebracht worden. Als Wahrzeichen Nordhausens tritt der etwas nach Westen sich neigende behelmte Petrikirchturm hervor, mit 60 Metern der höchste Turm der Stadt. Er ladet uns gleichsam zum Näherkommen ein. Das innere der Stadt 1848Indem wir uns der Stadt zuwenden, verlassen wir die Anhöhe im Süd-Westen, auf der eine Windmühle ihre Flügel dreht, und kommen an einigen Wassermühlen an der Salza vorüber, deren Räder wir klappern hören. Sie bestehen wohl schon seit der Gründung der Stadt und obwohl die Gebäude manchmal von grimmer Feindeshand zerstört sind, haben sie doch im Laufe der Jahrhunderte Pfaffen und Laien, Rittern und Knechten, Bürgern und Bauern, Männlein und Weiblein die Frucht des Halmes zum alle ernährenden Brote gemahlen. Wir lassen den Siechenhof St. Cyriaci, der einst durch Nordhäuser Bürger zur Unterbringung Kranker (Aussätziger) gegründet worden ist, links liegen und überschreiten auf der steinernen Siechhofsbrücke die Zorge. Die Mauertürme der Stadt treten jetzt deutlich hervor, sie sind teils viereckig, teils rund gebaut, teils mit Schiefer, teils mit Ziegeln gedeckt, je nach dem Alter teils aus Fachwerk, teils massiv hergestellt, einige sind noch bewohnt. Über dem Toreingang ist die Wohnung des Pförtners, der uns ohne Leibesuntersuchung durchläßt. Das Tor selbst ist eng und niedrig, noch vor kurzem lag zu seiner Befestigung ein Bollwerk davor. Die Straßen der Stadt sind schmal, winklig, krumm, alle schon gepflastert, wenn auch meist mit ungleich großen Bachsteinen (Flußkieseln), einige haben erhöhte, schmale Bürgersteige, bei einigen ist ein Steinfliesen weg in der Mitte („Der breite Stein" im Studentenliede), wie wir ihn in der Altendorfer Kirchgasse noch heute sehen. Die Gosse befindet sich meist in der Mitte der Straße. Wer am Morgen die Stadt betritt, begegnet zuerst zahlreichen Schweinen, dem Stadtvieh, denn die Brennereibesitzer hatten viele Schweine, deren Fütterung ihnen durch die Schlempe erleichtert wurde. Vor den Brennereigebäuden lag deshalb, was für das Nordhausen der damaligen Zeit charakteristisch war, hoch und reich Schweinemist, der weder zur Reinlichkeit noch zur Schönheit der Straßen beitrug. Die Häuser sind z. T. mit dem Giebel nach der Straße gebaut, mit gotischem, hohem Dach, meist in Fachwerk, mit einem oder doppeltem Oberstock, Gadem oder Gaden genannt, eins über das andere hinwegragend, wie sie in der Blasiistraße (Bild), am Markt und in einigen anderen Straßen noch zu sehen sind. In die Häuser führen häufig Halbtüren, wie jetzt nur noch in Pferdeställe. Eine solche Tür ist noch Lohmarkt 21 zu sehen. Sonst sind die Haustüren auch senkrecht in 2 Flügel geteilt, häufig ist vor ihr eine Nische, zu der einige Stufen hinaufführen. Viele Häuser haben breite Tore zur Durchfahrt für Pferde und Wagen, vor allen die Brennereien und Ökonomiehöfe. Die Türen sind häufig mit Messingschlössern und mit Klopfern oder Klöpfeln geziert.[1] Auch Zwergstockwerke sehen wir hier und da, so in der Jüdenstraße, Sand- und Bäckerstraße. Dem Fremden fallen in Nordhausen die vielen Fenster in den Häusern auf, oft ist eins neben dein andern, den „Lichtfreunden" ein Bedürfnis, im Winter aber m. E. unbehaglich. Die Hauskeller haben ihren Eingang meist von der Straße aus, die Kellerhälse, von denen einige in der Krämerstraße und anderswo noch heute vorhanden sind, ragen daher in die Straße hinein. Die oberen verkragten Stockwerke werden zuweilen durch Pfeiler gestützt, wodurch gedeckte Gänge entstehen, wie in der Johannisstraße und in der Krämerstraße. Solche Löbe oder Laube zeigt auch das Nordhäuser Rathaus in dem Bilde von 1848, als Zeichen des freien Gerichts steht davor der Roland. (Bild.) Wir betreten nunmehr den größten Platz der Stadt, den Kornmarkt (Bild). Ein Fleischer hat die Doppelläden seines Schaufensters soeben geöffnet, appetitliche Fleischwaren, auf niedrigen Auslagebrettchen liegend, reizen die Eßlust. Der bekannte Briefträger John, — einer genügte damals, — schreitet über den Platz und hält einen vielleicht lange ersehnten Brief in der Hand. Ein Ausrufer schellt mit der Glocke und macht bekannt, daß im Gehege Konzert sein wird. Der Brunnen neben dem prächtigen, klassischen Neptun, der seinen Stand seitdem gewechselt hat, liefert einen klaren Trunk Wasser, aber der freundliche Wirt des nahen „Erbprinzen" ladet zu einer Flasche Broihan, dem damals so beliebten Bier, ein. Vom Kornmarkt begeben wir uns auf den Pferdemarkt. Eine besonders schöne Wasserkunst, deren Geplätscher die Stille der Kleinstadt angenehm unterbricht, fesselt unsere Aufmerksamkeit. (Bild). Zur Seite der Straße stehen die Wasserfässer auf Holzkufen, die an die Feuersbrünste erinnern, von denen die Stadt so manchmal furchtbar heimgesucht worden ist.[2] An der Blasiikirche ist der eine, nördliche Turm 1634 durch den Blitz zerstört und nicht wieder in der alten Höhe erneuert worden. In dem Innern der dreischiffigen, geräumigen Hallenkirche ist die große Sehenswürdigkeit das Gemälde von Lukas Kranach dem Jüngeren, die Auferweckung des Lazarus mit der Gruppe der Reformatoren und mit Michael Meyenburg, Nordhausens bekanntem Syndikus zur Reformationszeit und Bürgermeister von 1545-1555, und seiner Familie. In der Sakristei ist die Bibliothek des Klosters Himmelsgarten seit dem Bauernkriege aufbewahrt. Vorüber am ehrwürdigen Ilfelder Klosterhof führt der Weg durch das niedrige Hagentor auf die „Hoffnung", damals Lux, zu, (Bild) in der soeben eine stürmische Volksversammlung gehalten wird. Um Nordhausens Naturschönheit, das schöne Gehege, zu genießen, wandern wir zum Gehegeplatz hinaus und lauschen auf dem einzig schönen Platze den Klängen der städtischen Kapelle (Bild), die von einem Turm herabbläst, kehren endlich in einer der ältesten, seit 1829 bestehenden Wirtschaften, bei Muhme Lange, die noch heute als Frau Tretbar ihres Geschäfts waltet, ein. Die alte Berglocke kündigt den Abend an. Wir kehren darum zur Stadt zurück. Die Straßen werden schon erleuchtet. Freilich ist die Beleuchtung sehr einfach. Eine Öllampe, an einer Kette in der Mitte der Straße hängend, erhellt spärlich den Weg, und meistens sind in einer Straße nur zwei Lampen vorhanden, an jedem Ende eine. In den Häusern werden inzwischen die Lampen angezündet. „Um des Lichts gesell'ge Flamme In dem alten Gasthof zum „Römischen Kaiser" am Kornmarkte kehren wir ein, erfüllen als Fremde die weise Forderung der hochlöblichen Polizei und tragen unsere Namen in das Fremdenbuch ein, lassen uns als einfache Abendmahlzeit das hier so beliebte Hackefleisch bereiten und genehmigen dazu einen kleinen Nordhäuser. Danach wird bei Broihanbier mit dem gebildeten Wirt noch das Thüringer Lieblingsspiel, der Skat, gedroschen, bevor wir uns zur Ruhe begeben. Derweile wacht „das Auge des Gesetzes“. Das geistige Leben in Nordhausen vor 60 JahrenDer nächste Tag gibt uns Gelegenheit, mit dem geistigen Leben in der Stadt uns vertraut zu machen, wobei als das bedeutendste Ereignis die Bildung der freireligiösen Gemeinde im Vordergrunde steht, deren Gründung 1847 erfolgt, deren Ursachen aber weiter zurückliegen. Die pietistische Orthodoxie, die in Preußen seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. herrschte, rief eine Reaktion hervor, deren erstes Stadium das Auftreten der Lichtfreunde oder protestantischen Freunde bezeichnet. Den Anstoß gab die Maßregelung eines freien Predigers in Magdeburg. Ein Verein für vernunftgemäßes, praktisches Christentum entstand, veranstaltete Volksversammlungen, die vom Prediger Uhlich geleitet wurden. Ein anderer Anhänger der neuen Richtung, Prediger Wislicenus, wurde seines Amtes entsetzt, eine Eingabe an den König forderte Freiheit der Forschung auf religiösem Gebiete. Als der König abweisend antwortete, wuchs die Bewegung und griff auch nach Nordhausen über. Hier starb im Jahre 1845 Superintendent Förstemann, und die Nicolaigemeinde daselbst wählte den 31 Jahre alten freidenkenden Diakonus Eduard Baltzer aus Delitzsch, nachdem er eine beifällig aufgenommene Gast-Predigt gehalten hatte, zu ihrem Seelsorger. „Sie freute sich, einen Prediger gefunden zu haben, welcher das sittliche Element über das dogmatische stellte.“ Die Vokation des Magistrats folgte sehr bald, aber die Bestätigung des Konsistoriums blieb aus. Als der Kirchenvorstand St. Nicolai, die Herren Schencke, Schlichteweg, Rosenthal, in Übereinstimmung mit Magistrat und Kirchengemeinde, beim Minister kein Gehör fanden und sich auch vergeblich an Se. Majestät wandten, legte das Kirchenkollegium protestierend sein Amt nieder und rief die gleichgesinnten Bürger zur Gründung einer freien protestantischen Gemeinde auf. Um Baltzer, der freiwillig sein Amt in Delitzsch niederlegte, scharten sich, nachdem er in den Abendstunden des 5. Januar 1847 im Wirtshause von Kolditz, später „Deutscher Kaiser" genannt, in der Barfüßerstraße, eine Ansprache gehalten hatte, mehr denn 100 Männer und erklärten, von dem jungen Prediger, den die Behörde nicht bestätigen wollte, nicht lassen zu wollen. Nachdem ihnen dieser die Grundzüge der neuen Gemeindeordnung und den Inhalt ihres Glaubens formuliert hatte, ertönte auf die Frage, ob sie bereit seien, eine freie protestantische Gemeinde zu bilden, ein solch brausendes, aus tiefer Männerbrust hervordringendes Ja, daß es Baltzer selbst durch Mark und Bein ging.“ Das bezügliche Protokoll Unterzeichneten 101 Männer, an der Spitze Herr Spangenberg sen. (angeblich ein Nachkomme des Pfarrers Joh. Spangenberg, der als Gründer des Nordhäuser Gymnasiums von 1525 bekannt ist). Dem Magistrat wurde alsbald von der Tatsache Mitteilung gemacht. Am folgenden Tage wurde im „Riesenhause" eine größere öffentliche Versammlung gehalten von Männern und Frauen, denen der neue Prediger einen Vortrag hielt. Nach weiteren Beitrittserklärungen wurde der Gemeindevorstand gewählt. Am 3(. Januar fand in der „Hoffnung" die erste religiöse Erbauung statt. Trauungen und Taufen von Kindern, mit denen einige Eltern gewartet hatten, nahm B. im Ornat in der Wohnung der Betreffenden vor. Am 10. April 1847 erschien das Toleranzedikt König Friedrich Wilhelms IV., wodurch die Gründung freier Religionsgemeinden einen gesetzlichen Boden erhielt. Der Austritt aus der Landeskirche wurde damit zwar gestattet, aber noch erschwert. 1848 wurde Ed. Baltzer zum Abgeordneten für die preußische National-Versammlung in Berlin von: Wahlkreis Nordhausen gewählt, Dr. Hoffbauer, ein Nordhäuser, für die National-Versammlung in Frankfurt a. M. Baltzer gehörte zu den Steuerverweigerern der preußischen Kammer. Dr. Hoffbauer, welcher noch dem Rumpfparlament in Stuttgart angehörte, wurde später des Hochverrats angeklagt, aber freigesprochen. Es bedurfte längerer Zeit, um die Erinnerung daran in dem Herzen des Königs auszulöschen. Denn in der Antwort auf die Adresse, die 1852 Magistrat und Gemeinderat von Nordhausen bei der Feier der 50jährigen Vereinigung der Stadt Nordhausen mit dem Königreich Preußen an den König gerichtet hatten, betonte der König „Die Verirrungen, von denen die Stadt in einer nicht genug zu beklagenden Zeit heimgesucht gewesen sei“. Das sonstige geistige Leben in Nordhausen im Jahre 1848Nordhausen war um die Mitte des vorigen Jahrhunderts reich an hervorragenden Geistern. Es lebte 1848 in der Stadt eine ganze Reihe gelehrter, schriftstellerisch tätiger Männer, von denen die meisten ein stilles Gelehrtenleben führten. Baltzer stand freilich voran im Kampfe oder mitten in der Bewegung. Seine Schriften aus dieser Zeit sind religiös-politischen Inhalts. Außerdem gab er die Freie-Gemeinde-Zeitung heraus. Sein Kollege, Abgeordneter für Frankfurt, Dr. Hoffbauer gab die medizinische Zentralzeitung heraus. Karl Duval, der Geschichtsschreiber und Dichter der Heimat, hatte soeben sein „Eichsfeld" verfaßt. Wallroth, Hofrat und Kreisphysikus, schrieb medizinische und botanische Merke. Am Gymnasium (Bild) glänzten in dieser Zeit als Lehrer und Schriftsteller der Direktor Dr. Schirlitz, Professor E. G. Förstemann, Herausgeber der Chronik von Nordhausen, der gerade 1848 das Verzeichnis der Nordhäuser Bürgermeister vollendet hatte, Oberlehrer Dr. Kramer, der Erfinder des elektrischen Telegraphen, Oberlehrer Dr. Haacke, ausgezeichnet durch seine Sprachstudien. An der Realschule wirkten der Direktor Dr. Fischer, physikalischer Schriftsteller, vor allen der berühmte Professor Kützing, der bedeutendste Algenforscher der Melt, "ad algas profectus est, laurum deportavit", endlich Oberlehrer John, in englischer Literatur tätig. Auch der pastor primarius, Superintendent Schmidt, war bedeutend. Musikdirektor und Organist Sörgel war eine musikalische Autorität. Wegen seiner persönlichen Eigenschaften genoß großes Ansehen in der Bürgerschaft Rektor Meyer, der die höhere Töchterschule, damals in der Rathswaage am Pferdemarkt, leitete. Durch die Reaktion, die in Deutschland nach den Freiheitskriegen einsetzte, wurde bekanntlich die freie Bewegung der Geister lange gehemmt, der Drang nach einem einigen starken deutschen Vaterland und nach Freiheit im Innern gewaltsam zurückgedrängt. Von dem Mettersturm, der 1848 von Westen her Deutschland durchtobte, wurde auch Nordhausen erfaßt. Wie die religiöse Bewegung in der Bildung der freien Gemeinde zum Ausbruch kam, in Wort und Schrift, sogar in tätlichen Angriffen, zum Ausdruck kam, so setzte auch der demokratische Verein in Nordhausen in vielbesuchten Volksversammlungen im „Schauspielhause", in der „Hoffnung" und im „Schützenhause" mit seinen Bestrebungen ein. Die Freunde des Volks sowohl wie die Freunde der Regierung suchten ihre Ansichten zur Geltung zu bringen durch Vorträge und Reden, voran die Abgeordneten des Wahlkreises, Dr. Hoffbauer und Prediger Baltzer, durch belehrende Aufsätze, polemische Artikel, Witzbilder, offene Briefe, Anfragen und Antworten u. a. Zeugnisse dafür liefern die in Nordhausen 1848 erscheinenden Zeitungen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der damaligen Tagespresse und der von heute lag darin, daß man den Abschnitt Lokalnachrichten nicht kannte, aus den ja heute der Blick unserer meisten Zeitungsleser nach den Familiennachrichten zuerst fällt. Dagegen benutzte man die Presse, was in dieser Weise, Gott sei Dank, heute nicht mehr geschieht, zum Austrag aller möglichen Händel. Öffentliche Angriffe wechseln mit öffentlicher Abwehr, Familienangelegenheiten werden breit getreten. „Ist es recht", fragen mehrere Fruchthändler, „daß die Frau eines Fruchtmaklers vor das Siechentor geht, sich um das Geschäft ihres Mannes bekümmert und zu Hause alles versauen und verdrecken läßt?" „Was habe ich denn dem Drechslermeister X. getan", fragt ein anderer. „Ich warne ihn, meine Wohnung wieder zu betreten, weil er 'rausgeworfen wird!" „Hat der Polizeidiener St.“ wünschen mehrere Bürger zu wissen, „das Recht, mit Arrestanten, wenn er sie vom Rathause nach dem Gefängnis bringt, unterwegs in Bierhäusern einzukehren und mit ihnen zu trinken?" Schlimmer waren die Auseinandersetzungen, die in das politische Gebiet hinüberreichten, z. B. als man einen Stadtrat fälschlicherweise bezichtigt hatte, die Arbeiterschaft zu Katzenmusiken, zum Pflasteraufreißen, Plünderung der Häuser der besitzenden Massen und dergleichen ausgereizt zu haben. Harmloser waren die Meinungsverschiedenheiten über die Bewaffnung, Kleidung, das Äußere der Bürgerwehr, z. B. über das Tragen von Schnurrbärten. Geselliges LebenBei dem geringen Landbesitze waren Handel und Gewerbe die Hauptbeschäftigung der Einwohner. Mit praktischem Sinn trieben sie besonders das einträgliche Geschäft des Branntweinbrennens und dessen Nebenerwerb, Viehmast und Schweineschlächterei. Von diesen rührt Nordhausens Wohlstand her. Tabak- und Tapetenfabrikation entwickelten sich erst später. Mit dem nüchternen und verständigen Sinn der Bürger war eine einfache und regelmäßige Lebensweise verbunden. Die Broihanstuben wurden erst 8 Uhr abends besucht, nach dein Läuten der Petersberger Kirchturmglocke, die deshalb „die Bierglocke" genannt wurde. Man ging wohl auch mal in den Rats-Weinkeller, dem Rathause gegenüber. Sonnabends aß man ein Anläufchen, ein Würstchen, frisch vom Bratofen gereicht, eine Nordhäuser Spezialität. Als Volksfest wurde das Schützenfest gefeiert, ebenso der Jahrmarkt. Volkstümlicher ist das Martinsfest am Geburtstage Luthers, der der Sage nach an diesem Tage hier gewesen sein soll. Es wurde und wird durch öffentlichen Umzug, Läuten mit allen Glocken, Absingen des Lutherliedes, daheim durch Genuß von Gänsebraten, Karpfen und Wein gefeiert. Zur Freude der Kinder brennen bei Tische bunte Martinslichte. Viele Fremde, zumeist Runden und Geschäftsfreunde der Bewohner, oder Verwandte finden sich zur Teilnahme an der Feier ein, bei der sie reichlich bewirtet werden. Die gern besuchten Konzerte im Gehege, Aufführungen der Sing-Akademie, geleitet von Musikdirektor Sörgel, die Leistungen verschiedener Gesangvereine, voran die der Liedertafel, boten musikalische Genüsse. Theatervorstellungen fanden im „Berliner Hof", (Bild) Rautenstraße, in der Regel in den Monaten April und Mai, September und Oktober unter Hoftheaterdirektor Martini statt. An geselligen Vereinen gab es damals schon die „Loge", die „Harmonie", gegründet 1791, im „Riesenhause", die „Ressource“. Zeitungen im Jahre 1848Zu dem schon seit Ende des 18. Jahrhunderts erscheinenden Nordhäusischen wöchentlichen Nachrichtsblatt, gedruckt mit obrigkeitlicher Bewilligung, Herausgeber Kreissekretär R. Kosack (Leutnant a. D.), trat 1848 die Nordhäuser politische Zeitung des privatgelehrten Dr. Burckhardt, die ein Jahr bestand. Mit dem 1. April 1848 erschien sodann wöchentlich 3 Mal das „Nordhäuser Intelligenzblatt", Herausgeber Gottfried Müller, seit 1839 genannt „Nordhäuser Zeitung", Expeditionsbureau Königshof 540 b. Als Beiblatt erschien das politische Unterhaltungsblatt. Es enthält ausführliche Berichte über die politischen Vorgänge im In- und Auslande, dagegen fast nichts über Nordhausen und Umgegend. Das Kreis- und Nachrichtenblatt, später „Courier" genannt, erschien erst 1854. Zu diesen kamen noch 3 Zeitschriften, der „Nordhäuser Neuigkeitsbote" des Antiquar Fischer, „Die Marte", eine Monatsschrift, und die Blätter des demokratischen Vereins. Freilich standen diese Zeitungen unter dem Druck der Zensur, so daß in ihnen z. B. kein Bericht über den Krawall in der Hagenstraße enthalten ist. Von literarischen Instituten gab es damals in der Stadt den historischen Leseverein, gegründet 1830, noch heute bestehend, das Lesekabinett im Gasthause „Zum Erbprinzen", den Leseverein der freien Gemeinde. Welch schnurrigen Begriff Ungebildete von der Preßfreiheit hatten, zeigt folgendes Geschichtchen: Ein Bäuerlein, das ein Inserat in die „Nordhäuser Zeitung" gesetzt hatte, wollte nicht bezahlen und begründete seine Weigerung mit folgenden Worten: „Us die Zieten sin mer rus, 's äs jo Preßfröiheit!" Eine in Versammlungen und Zeitungen viel behandelte Frage war die über die Schlacht- und Mahlsteuer, deren Abschaffung die Königliche Regierung auch bewilligte, worauf dann die Tore der Stadt offen blieben. Dafür wurde eine direkte Steuer, die Einkommensteuer, eingeführt. Nordhausen hat also als praktische Errungenschaft des Jahres 1848 die sehr zeitige Befreiung von der lästigen Mahl- und Schlachtsteuer zu verzeichnen. Die BürgerwehrIn die rechte Mitte der Zeitbewegung führt uns die Geschichte der Bürgerwehr in Nordhausen in den Jahren 1848 und 1849. Der ursprüngliche Zweck der Gründung der Bürgerwehr war wie überall im Reiche 1. Der Schutz des bürgerlichen Eigentums, 2. Die Verteidigung der Errungenschaften des Volkes, 3. Die Verteidigung des Vaterlandes gegen Aufstände; erst später wurde sie zu politischen Zwecken verwendet. Bei ihrer Gründung am 17. Wärz 1848 ging der Wunsch der Bürger durchaus nicht auf militärische Organisation, sondern erst später, als alle Bürger bewaffnet waren und regelmäßig die Woche zwei Mal exerzierten, stellte sich mehr und mehr das Bedürfnis nach soldatischer Zucht ein. So wurde z. B. das Tabakrauchen, welches anfangs beim Exerzieren noch unentbehrlich schien, von den Wehrmännern allmählich unterlassen, und gegen einzelne, die durch Unaufmerksamkeit und Unregelmäßigkeit oder Unpünktlichkeit den Dienst verdarben oder störten, wurde eingeschritten. Zum Major en chef wurde der Bürgermeister von Nordhausen, Eckardt, zu Hauptleuten wurden Dr. med. Hoffbauer, Gerichtsrat Willig, Ökonom Edm. Bötticher, Brennereibesitzer Frisier gewählt. Außerdem bestanden noch als selbständige bewaffnete Korps die Schützenkompagnie (gegründet als Pfeilgesellschaft 1420), der Rettungsverein (gegründet 1832) und die Handwerkskompagnie, Maurer und Zimmerleute, mit den Hauptleuten Destillateur Ed. Spangenberg, Kaufmann Wünter und Makler Bendeler und Beatus. Im Mai des konstitutionellen Jahres 1849 wurde die Bürgerwehr gemäß dem Gesetz vom 17. Oktober v. J., das noch von der National-Versammlung erlassen war, organisiert. Die Offizierwahlen wurden vorgenommen. Die wehrfähigen Bürger der Häuser Nr. 1-354 wählten zu ihrem Hauptmann (1. Kompagnie) den Kaufmann Östereich, zum Premierleutnant den Gastwirt Schreiber, Kaufmann Hanewacker zum 1. Sekondeleutnant. 2. Kompagnie, Häuser 355—692, Kaufmann Thiele, Fleischermeister Gothe, Kaufmann Schlichteweg. 3. Kompagnie, Häuser 693-1008, Feldmesser Seiffert, Brennereibesitzer Rühlemann, Färber A. Kropff. 4. Kompagnie Häuser 1O09-1377, Destillateur Spangenberg, Brennereibesitzer Schüler, Brennereibesitzer Degen. Nachdem so die Wahl der drei ersten Offiziere jeder Kompagnie beendet war, wurde am 29. Mai zur Wahl des Bataillonskommandeurs geschritten. Die Stimmen wurden kompagnieweise abgegeben, und aus der Wahl ging Kaufmann Herm. Schencke als Major mit großer Stimmenmehrheit hervor. Da die Zahl der Offiziere noch nicht vollständig war, wurden noch zu Sekondeleutnants gewählt der Predigtamtskandidat Virage, der Hutmacher Ebeling, der Bäckermeister E. August Miecker, der Schuhmacher Pressel, Ölfabrikant Beltz, Getreidemakler Menckel. Beltz wurde zum Adjutanten des Majors erwählt. Nach der Beendigung dieser Mahlen marschierten die Kompagnien von dein Mahlorte nach dem Exerzierplätze, dem Schinderrasen — der Schießstand war im Borntale, Hauptwache das Schützenhaus (Bild) — wo das Bataillon im Karree aufgestellt wurde. In der Mitte hielt der Major und machte jeden Offizier und Bürgerwehrmann auf seine Pflichten aufmerksam. Am 4. Juli wurden die Musketen, die von Erfurt für die Bürgerwehr angelangt und im Waisenhause (Bild) aufbewahrt waren, ausgeteilt. Einige Tage darauf wurde die neubewaffnete Bürgerwehr zum 1. Male auf dein Exerzierplätze aufgestellt und einexerziert. Da die vom Staate geliehenen Gewehre nicht ausreichten, trug man auch eigene, so daß ein buntes Mischmasch in Massen herrschte. Als Seitengewehre führte man meist Hirschfänger. Über die Bekleidung der Mehrmänner wurde erst lange in den Versammlungen verhandelt und in den Blättern geschrieben. Endlich wurde als Kopfbedeckung die schwarze Tuchmütze in militärischer Form mit dem Stadtwappen und der deutschen Kokarde, dazu ein dunkler Rock, gleichviel ob schwarz, grün oder braun, gewählt, Beinkleider von beliebiger Farbe. Als Gruß galt bloße Handbewegung, das Schnurrbarttragen wurde in der Presse vorgeschlagen. Die Musik stellte das Stadtmusikchor; große Entrüstung wurde in den Zeitungen laut, als dies für einmaliges Musikmachen 3 Taler verlangte. Darauf ließen die Musici von ihrem Preise etwas ab. Die Übungen dehnten sich auch auf Manöver aus; so fand ein Scheingefecht zwischen der Sondershäuser und der Nordhäuser Bürgerwehr am Haidehause statt. Nach einem Exerzitium von 3 stunden wird von mehreren Wehrmännern eine halbe Stunde Pause in der Zeitung verlangt. Der Verein der alten Krieger von 1813 empfand es als Zurücksetzung, bei der großen Parade am l. Juni nicht zugezogen zu sein. Der Reichskriegsminister von Peucker hatte den Reichsbefehl erlassen, daß am 6. August alle deutschen Truppen zur Huldigung vor dem Reichsverweser Erzherzog Johann Parade abhalten sollten. Auch in Nordhausen fand diese Huldigung aus dem Schinderrasen statt, doch hielten sich die Königlichen Jäger infolge höheren Befehls fern. Schon am 19. März hatten Nordhäuser Frauen beschlossen, der Bürgerwehr eine Fahne zu stiften. Diese wurde von der geschicktesten Stickerin in der Stadt, Frl. Karoline Fromm, gestickt, in den schwarz-rot-goldenen Farben angefertigt, mit der Inschrift „Freiheit und Ordnung. 19. März 1848. Bürgerwehr zu Nordhausen“. Die Fahne ist bekanntlich noch heute Fahne des hiesigen Rettungsvereins und im städtischen Museum zu sehen. Das Banner kam auf den hohen Preis von 145 Taler zu stehen. Die Weihe fand Sonntag, den 18. Juni, aus dem Schinderrasen, nunmehr Paradeplatz genannt, statt. Am eine Tribüne hatten Bürgerwehr, Schützenkompagnie, Rettungsverein und Handwerkerkompagnien ein Viereck gebildet. Die von der Frauen-Deputation zur Sprecherin gewählte Frau Gerichtsdirektor Bergmann übergab das Feldzeichen mit einer Ansprache dem Bürgermeister Eckardt. Dieser nahm es in Empfang, erwiderte und schloß mit einein Hoch aus die Frauen. Superintendent Schmidt hielt sodann die Festrede, u. a. die Farben schwarz-rot-gold erklärend. Dann präsentieren des Gewehres, Parademarsch, Heimkehr, Heimbringen der Fahne. Bereits am Feste der Fahnenweihe wurde stark genörgelt, der Eifer an der Sache ließ nach. Schon im November mußte der Kommandeur öffentlich lässige Bürgerwehrmänner zu gewissenhafterer Teilnahme an den Übungen auffordern. Noch einmal schien das Feuer aufflackern zu wollen, als die Stadtverordnetenversammlung auf Stadtkosten den Bürgermeister mit einer Adresse, in der gegen die „Gewaltinaßregeln des Ministeriums Brandenburg" gegenüber der Nationalversammlung Verwahrung eingelegt wurde, zur allgemeinen Bürgerwehrversammlung nach Berlin sandte. Schon am 11. Dezember lehnten aber die Stadtverordneten den Antrag der Bürgerwehr, die Aosten der Entsendung einer Deputation zum Bürgerwehrkongreß in Breslau auf die Stadtkasse zu übernehmen, ab. Das Interesse verringerte sich zusehends, die Teilnahme an den Übungen nahm stetig ab. Nach Erlaß des Gesetzes vom 24. Oktober 1849, das die Zurückgabe der vom Staate der Bürgerwehr nur leihweise gelieferten Waffen anordnete, fand die Bürgerwehr auch in Nordhausen ihr Ende und zwar durch Auslösung seitens des Magistrats am 1. Dezember 1849. In Berlin wurde die Bürgerwehr durch Königliche Verordnung bereits am 11. November 1848 ausgelöst. Im Krönungsfestzuge, 18. Oktober 1861, erschien die Fahne als Fahne des Rettungsvereins zum ersten Male wieder. So entstand, blühte und verschwand die Nordhäuser Bürgerwehr; sie hat ihre Hauptaufgabe, die Ordnung in der Stadt gegen Ruhestörer aufrecht zu erhalten, erfüllt. Ein Vorfall, der sich 1848 bei dem Schützenfest hier ereignete, verdient an dieser Stelle angeführt zu werden. Es ist Sitte, daß, bevor die Schützenkompagnie das Schießen auf die Scheibe beginnt, die ersten 4 Schüsse auf und für den regierenden König abgeschossen werden. Infolge Verabredung weigerten sich die Offiziere dies Mal, für Friedrich Wilhelm IV. zu schießen, und wollten ohne den Königs-Schuß beginnen. Da sprang der Hauptmann, Kaufmann Eduard Spangenberg, vor, verbot dies energisch und gab den ersten Schuß im Namen des Aönigs ab. Tatsächlich war und blieb dieser Schuß der beste, der Königsschuß, der preußische König war Schützenkönig von Nordhausen. Zur Belohnung ist von Sr. Majestät eine goldene Medaille, die der jedesmalige Hauptmann noch heute trägt, mit einem gnädigen Handschreiben, das im Museum ausliegt, eingetroffen. Erwähnenswert bleibt noch ein Tumult der Bürgerwehr am 19. Juli 1848. Die Königliche 4. Jägerabteilung war im Juli ausgerückt, um Unruhen aus dem Eichsfelde und in andern Gegenden zu schlichten. Deshalb war die Stadt Nordhausen mehrere Wochen ohne Militär, und die Bürgerwehr hatte die Hauptwache auf dem Hagen inne. Nun hatte damals das Kommando der Major Hartz, welcher nebenbei gewählt war, um die Leute einzuexerzieren. Hartz, in Berlin gebürtig, ursprünglich Glaser, war 1813 als Freiwilliger eingetreten, hatte viele Schlachten der Freiheitskriege mitgemacht, war Offizier geworden und war nach dem Frieden Militär geblieben und hatte es bis zum Major gebracht. Zuletzt war er bei der 4. Zägerabteilung in Nordhausen. Nach seiner Verabschiedung übernahm er das Kommando der Bürgerwehr, bekam aber von seiner Vorgesetzten Behörde den Wink, es niederzulegen, was er auch bald tat. Als Major Hartz eines Tages das über dem Eingange der Hauptwache angebrachte Nordhäuser Wappen und die darüber wehende Fahne hatte herunternehmen lassen, angeblich, um beides der Wehr zu erhalten, weil am nächsten Tage die Jäger wieder einrücken und die Wache wieder beziehen würden, fand diese Begründung und die Ausführung keinen Gefallen, wurde vielmehr von den nach einem Picknick wie so manchmal auf dem Schinderrasen Versammelten, deren Gemüter infolge des Trinkens erhitzt waren, als ein Schritt der sich breit machenden Reaktion gedeutet. Es entstand deshalb in der Nähe des Wachtlokals unter den sich immer mehr ansammelnden Gruppen der Bürgerwehr ein Tumult, bis der ängstlich gewordene Major die Leute beruhigte mit der Versicherung, daß noch selbigen Tages Wappen und Fahne ihre Stelle wieder einnehmen sollten. Das wurde gegen 1O Uhr bei ziemlicher Dunkelheit auch ausgeführt. Daneben kamen noch andere Unruhen in der Stadt vor. Als der Generalsuperintendent Dr. Möller aus Magdeburg während des Konfliktes der St. Nicolaigemeinde in Nordhausen mit dem Königl. Konsistorium in Magdeburg wegen der Bestätigung des Predigers Baltzer in der Nicolaikirche diejenigen Einwohner, die nicht zur freien Gemeinde übergetreten, sondern ihrer Kirche treu geblieben waren, ermahnte, auch ferner an ihr festzuhalten, erbitterten diese Worte die Gegenpartei so sehr, daß ani Abend desselben Tages kurz vor Mitternacht der im Gast Hof „Zum römischen Kaiser" wohnende Generalsuperintendent eine wohlgelungene Katzenmusik erhielt. Eine solche erhielt auch der mißliebige Stadtrat Dr. med. Schlitte. Diese Katzenmusikaufführungen waren damals in den großen Städten etwas ganz Gebräuchliches, man brachte sie in Berlin sowohl einein in Ungnade gefallenen Minister, als einem Kaufmann, der seinen Laden nicht zu der Zeit schloß, als seine Ladendiener es wünschten. Am reichlichsten mit dieser zweifelhaften Ehrung bedacht war der Polizeipräsident von Minutoli in Berlin. Dieser faßte den komischen Eharakter von richtiger Seite auf, indem er eines Abends bei einein Ständchen sich bei den Herren bedankte. Sie sind nie wieder gekommen. Der Krawall auf dem HagenAm 1. August wurden 3 der damals gefürchteten Sackträger, Gebr. Baumbach und Stange, wegen Eigenmächtigkeiten, die sie sich erlaubt hatten, von mehreren Bürgerwehrmännern verhaftet und aufs Polizeiamt geführt. Weil aber der Polizeichef, Stadtrat Förstemann, ihre Bestrafung ablehnte, da im Gesetz keine Strafe für solche Vergehen zu finden sei, und nur Stange einstweilen in Haft gehalten wurde, ja, die Inhaftierten sogar mit Wurst und Gurkensalat von Förstemann traktiert wurden, erregte dieses Verhalten des Stadtrats in Verbindung mit früheren Fällen — er wollte dem Gerüchte nach das Korn nicht zu billigen Preisen verkaufen — großes Aufsehen und den Unwillen der Bürgerschaft derartig, daß auch er am Abend dieses Tages eine Katzenmusik erhielt. Solche waren damals nichts Seltenes, sie kamen auch an andern Orten vor. Während es aber um 10 Uhr noch mit einer bloßen „Musik" sein Bewenden hatte, fing der Pöbel um 11 Uhr damit an, mit Steinen das Haus (Bild) des Stadtrats zu bewerfen, zertrümmerte die Fensterläden, die Fensterrahmen und traf in den Zimmern Möbel und andere Gegenstände. Die Polizei und die Bürgerwehr zerstreute die Menge. Am Abend des 2. August, um 9 Uhr, versammelte sich abermals eine Menschenmenge vor dem Hause in der Hagenstraße, ursprünglich mehr aus Neugier, um sich die zertrümmerten Fenster anzusehen. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung waren einige Mann vom Rettungsverein aufgeboten, welche in Rotten auf- und abpatrouillierten, von der Menge aber wenig beachtet wurden. Da fingen einige junge Leute von neuem an, mit Steinen zu werfen, es gesellte sich der Pöbel dazu, und das Werfen mit Pflastersteinen wurde immer schlimmer, die Fenster des 2. Stockes, die abends vorher noch verschont geblieben waren, und die schon geflickten Fensterläden des untern wurden zertrümmert. Da hielt es die städtische Behörde für notwendig, gegen den Pöbel einzuschreiten. Da der Aufforderung, auseinanderzugehen, nicht Folge geleistet und mit Steinwürfen geantwortet wurde, wurde Generalmarsch geschlagen und geblasen, die Bürgerwehr und die Königlichen Jäger traten unter die Waffen, die Straßen nach dem Hagen wurden besetzt, und die Menschenmassen auf dem Hagen zerstreut. Dabei wurden einige durch Steinwürfe verletzt, blinde Schüsse der Jäger fielen, die als Schreckschüsse dienen sollten. Einige Bürgerwehrmänner sollen sich auch, weil sie im Waffendienst ungeübt waren, selbst durch Bajonettstiche verletzt haben. Am 3. August erfolgte eine Bekanntmachung des Magistrats, durch die der kleine Belagerungszustand über die Stadt verhängt wurde. Gegen 8 Uhr abends wurden sämtliche Bürgerwehrkompagnien und die 4. Jägerabteilung aufgestellt, und um 9 Uhr begann das patrouillieren in den verschiedenen Stadtteilen. So wurde die Ruhe an diesem und an den folgenden Abenden aufrecht erhalten. Schon am 8. August wurden durch Bekanntmachung des Magistrats die am 3. d. Mts. getroffenen außerordentlichen Maßregeln als entbehrlich wieder aufgehoben. Der Stadtrat Förstemann nahm Urlaub und verließ die Stadt. Mehrere Exzedenten waren erkannt. Bei der auf höheren Befehl angeordneten Untersuchung wurden mehrere überführt und bestraft. Von einem alten 48er habe ich folgendes drollige Verhör erzählt bekommen: Ein Holzhacker, der vor dem Förstemannschen Hause gestanden hat, soll einen nennen, den er ganz genau erkannt hat. Er antwortet: „Wen ich ganz genau gesehen habe, das ist der Herr Landrat gewesen; ob er aber auch mit Steinen geworfen hat, das kann ich nicht beschwören“. Die Jugend im Jahre 1848Daß auch die Jugend in Nordausen an den Vorgängen nicht unbeteiligt blieb, lehrt die Tatsache, daß die älteren und größeren Schüler des Gymnasiums und der Realschule in die Bürgerwehr eintraten und den militärischen Exerzitien beiwohnten. Eingeübt wurden sie von Herrn Otto Alberti, Mechanikus und Optikus, dem Vater des jetzt noch lebenden Optikus Herrn Alberti (dem ich manche Mitteilungen verdanke). Einigen Schülern wurde auch gestattet, sich dem kaufmännischen Turnverein anzuschließen. Infolgedessen sagten die lehrplanmäßigen Turnstunden den erwachsenen Schülern wenig zu; größeres Interesse brachten die Gymnasiasten den mit militärischen Exerzitien verbundenen Übungen entgegen, die Oberlehrer Dr. Rothmaler leitete. Den 10. November fand die übliche Feier des Geburtstages Luthers statt, bei der im Gymnasium vor Absingung des Lutherliedes der Direktor Dr. Schirlitz in einer kurzen Ansprache an die Schüler zeigte, was die Kämpfer für die Freiheit, sowohl die politische wie die religiöse, von Luther lernen könnten. Bedeutsamer, ausführlicher und dazu öffentlich war die Rede, die schon vorher am 26. März 1848 der Direktor der Realschule, Dr. Fischer, gehalten hatte. An diesem Tage wurde nach dem Vormittagsgottesdienst auf dem Realschulgebäude vor dem Töpfertor (Bild) eine schwarz-rot-goldene Fahne aufgesteckt. Die Schüler hatten nämlich den Wunsch ausgesprochen, eine der Größe des Schulgebäudes angemessene Fahne zu besitzen. Der Direktor kam diesem Wunsche gern entgegen und ordnete das Nötige an. So zogen denn 7 Primaner, mit breiten schwarz- rot-goldenen Bändern geschmückt, unter dem Geläute der Glocken von der Promenade her auf den mit Zuschauern bedeckten Friedrich-Wilhelmsplatz vor der Realschule mit ihrer Fahne auf, die übrigen Schüler, geleitet von ihren Lehrern, schlossen sich an und hielten unter Gesang des Liedes „Brause, du Freiheitsgesang" einen Umzug über den Platz. Am Eingang der Realschule stellten die 7 Primaner sich auf der obersten Stufe mit der Fahne auf, und Direktor Fischer hielt von derselben Stelle aus an die ganze Versammlung eine Anrede, die uns die ideale Auffassung der Zeit lehrt: „Ohne irgend eine Aufforderung von uns habt Ihr, geliebte Schüler, den Wunsch ausgesprochen, Euer Schulgebäude mit der deutschen Fahne schmücken zu dürfen. Gern bin ich Eurem Wunsche entgegengekommen. Habe ich doch vor 25 Jahren, als ich ein Jüngling war wie Ihr und jugendlich fühlte wie Ihr, das schwarz-rot-goldene Band getragen als ein Zeichen des Wunsches der deutschen Einheit. Damals mußte dieses Band wieder abgelegt werden, weil es noch nicht an der Zeit war. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo die deutsche Einheit wirklich werden soll. Wie sollte ich Eure jugendliche Begeisterung für die Einheit des gemeinsamen Vaterlandes nicht ehren! Die Fahne, welche Ihr auspflanzen wollt, ist die Fahne der deutschen Freiheit und Einigkeit, aber nicht die Fahne der Zügellosigkeit und Ungebundenheit. Die Freiheit ist ein hohes edles Gut, aber man kann sie keinem schenken, man kann sie nicht auf dem Markte kaufen. Die Freiheit will errungen und erobert sein, aber nicht mit rohen Fäusten, sondern durch Veredelung des Herzens, durch Erleuchtung des Geistes. Nur wenn der Mensch sich selbst die Schranken setzen und das Maß vorschreiben kann, ohne welches weder das Rechte, noch das Gute, noch das Schöne zur Erscheinung gelangt, ist er der Freiheit wert, sind die Schranken von außen, die das Böse verhindern, überflüssig. Sorgt also dafür, daß Ihr, das Heranwachsende Geschlecht, frei werdet durch den schweren, geistig sittlichen Kampf, für welchen auch die Schule ein Ringplatz ist. Dann wird auch die deutsche Einheit möglich werden und die deutscheKAraft, welche weder von Westen noch von Osten die Feinde zu fürchten braucht, dann werdet auch Ihr Helden für das Vaterland werden. Wird aber nicht auf diesem Wege die Freiheit errungen, sondern nur in der Vernichtung äußerer Schranken gesucht, so wird Zügellosigkeit und Unsitte entstehen, die höchste Unfreiheit und Uneinigkeit folgen, Ohnmacht gegen äußere Feinde uns verraten. Schwarzrotgold sind die deutschen Farben, mit welchen Ihr die Pffanzstätte Eurer Jugendbildung schmücken wollt. Wie aber alles Äußere nur ein Zeichen ist, welches allein durch den Sinn, den wir ihm geben, Bedeutung gewinnt, so lasset uns auch an diese Farben einen höheren, bedeutungsvollen Zinn knüpfen. Schwarz ist die unendliche Tiefe des Alls, die uns blau nur durch den Tchleier der irdischen Atmosphäre erscheint. Das erinnere Tuch, deutsche Jünglinge, an die unergründliche Tiefe des deutschen Gemütes und Geistes, das warne Tuch, wenn Leichtsinn und Oberflächlichkeit sich Euer bemächtigen wollen. Rot, der Purpur, mit dem die aufgehende Tonne den jungen Tag verkündet und die untergehende, auf den kommenden Morgen deutend, ihren Abschiedsgruß sendet, ist die Farbe der idealen Befriedigung, nach welcher bewußt oder unbewußt, sich jedes Menschenherz sehnt. Diese ideale Befriedigung wird nur durch jene Freiheit gewonnen, die in der Tiefe des Gemüts ihre Wurzeln birgt. Gold ist die Farbe des edelsten Metalls, das in der Natur zwar selten, aber gediegen vorkommt. Das erinnere Tuch an die Reinheit der Gesinnung, nach der Ihr streben müßt, das mahne Tuch an den edelsten Mut, der sich gediegen wie Gold, in Türen Herzen ansetzen soll. So stecket Eure Fahne auf, und so Ihr künftig auf dem Wege zur Schule sie erblickt, vergesset nicht die Bedeutung der 3 Farben.“ Es folgte ein Hoch an das deutsche Volk und die Fürsten, in das die Versammelten begeistert einstimmten. Wenige Morte des Gebets schlossen die Ansprache, bei welcher die feierlichste Tülle geherrscht hatte. Das Turnen in Nordhausen im Jahre 1848Wie das Turnen 1848 in unserer Stadt gepflegt worden ist, zeigt die Gründung des Turnvereins „Vater Jahn“. Schon 1817 wurde in Nordhausen in der Nähe des Gehegeplatzes ein Turnplatz hergerichtet, auf dem unter Salomo, einem Schüler und Kampfgenossen Jahns, eifrig geturnt wurde. Aber bereits 1820 wurde infolge der Demagogenfurcht jener Jahre (Jahn verhaftet) alles Turnen durch Allerhöchsten Befehl untersagt. Erst mit dem Tode Friedrich Wilhelms III. wurde der Bann von den Turnanstalten genommen, und es begann in den Jahren sich von neuem darin zu regen. Der Hammerrasen jenseits der Zorge wurde als Turnplatz zur Verfügung gestellt. Waren es nun bis dahin hauptsächlich Schüler, die das Turnen übten, so entstand im Mai 1848 in Nordhausen der erste Turnverein junger Leute, Lehrer, Beamte, Kaufleute, der sich 1860 zum Unterschiede von einem andern „Vater Jahn" genannt hat. Es kam damit des Turnvater Jahns Absicht, „Zönglinge zu wackeren Kämpfern und Verteidigern des Vaterlandes heranzuziehen", nach und trat der im Freiheitsjahr 1848 gegründeten Bürgerwehr würdig zur Seite. Der Verein zählte bald 60 Mitglieder. Versammlungsort war bei schlechtem Wetter Stanges Lokal an der Kutteltreppe, später das Schützenhaus. Die Mitglieder erschienen in Turnkleidung, die jeder nach Belieben wählen konnte; die meisten trugen eine Bluse. Auch waren sie vorschriftsmäßig bewaffnet. Die Übungen fanden 2 Mal wöchentlich statt; auch Turnfahrten wurden veranstaltet. Turnwart war Lehrer Karg, Vorsitzender Gallus; als Mitglieder werden 18488 genannt: Julius Schwabe, Gerichtsbeamter, der Gründer des Vereins, Th. Artiger, M. Stegemann, Bierwirth, Nebelung, Wenzel I, Arnold, Müller, Freudenberg, Falkenstein. Die folgenden Jahre der Reaktion waren auch der Turnerei schädlich, man machte ihr amtlich Schwierigkeiten. Infolgedessen nahm die Zahl der Turner ab. Doch wurde beim Schützenhauswirt Törpe still weitergeturnt, bis 1859 mit der neuen Ära, durch das Wohlwollen des Prinzregenten neues Leben erwuchs. Auch in Nordhausen wurde zu aller Freude 1860 ein neuer, der Männerturn-Verein, gegründet, und heute gibt es 5, darunter 2 Arbeiterturnvereine, von denen „Vater Jahn" 120 Mitglieder zählt, die Jugend, Zöglinge genannt, eingeschlossen. Auch in den Städten Thüringens und des Südharzesgährte es 1848, und in einzelnen Kain es zu Unruhen. Im Jahre 1847 war bekanntlich eine Mißernte, infolge deren entstand Hungersnot, so auch in SandershausenViele Felddiebstähle kamen in der Erntezeit des Hungerjahres vor, weshalb hier eine Feldwache von 12 Ackerbürgern eingesetzt wurde. Schon vor dem 18. März fanden Versammlungen statt, wurden Reden gehalten und Brandbriefe versandt. Ulan haßte besonders drei Männer: den Bürgermeister, den Stadtkämmerer, den Königlichen Rendanten. Nach den Berliner Märztagen wuchs die Aufregung, die Bierhäuser füllten sich, Zusammenrottungen fanden statt. Die Garnison war zu schwach. Schon am 21. März wurden Nationalkokarden verkauft, am 23. wurde von angesehenen Bürgern eine Versammlung berufen, in der Klagen gegen die Stadtbehörde erhoben wurden. Mit wildem Geschrei besetzte man die Wohnungen der 3 Beamten, während der Bürgermeister nach Nordhausen floh. Den Stadtverordneten wurden unter den Augen der Polizei die Fenster eingeworfen. Man revidierte dann die Rassen und erzählte von Betrügereien. Der Kammergerichtsreferendar Kaupisch, später Präsident in Arnsberg, besorgte die Geschäfte des Bürgermeisters, es wurden neue Stadtverordnete gewählt, und der Bürgermeister kehrte zurück. Ein Regierungskommissar untersuchte und fand die meisten Beschwerden für unbegründet. Schon am 15. April hatte man eine Bürgerwehr errichtet, die mit alten Schießgewehren und Spießen ausgerüstet wurde, wodurch sich die Schützenkompagnie zuerst verletzt fühlte. Frauen stifteten auch hier eine Fahne, bei deren Einweihung auf 6 Plätzen getanzt wurde. Das schlimme Ende kam hinterher! Am 1. Dezember 1848 wurden zwei Haupträdelsführer verhaftet, später ein dritter, zwei erhielten mehrere Jahre Zuchthaus, der schlimmste war flüchtig. Im Spätherbst 1849 versuchte man vergeblich, die Landwehrkammer zu plündern, einige Tage darauf wurde die Bürgerwehr aufgelöst und die Landwehr einberufen. Auch in dem sonst so friedlichen, residenzfrommen Sondershausengingen die Wogen der Bewegung hoch, ja, man hatte hier eine richtige Revolution. Die Nachricht von der Pariser Februarrevolution war auch nach Thüringen gedrungen. Im Fürstentum Sondershausen war Zündstoff genug vorhanden, es bedurfte also nur des Funkens, den Brand zu entfachen. Zu unruhigen Bewegungen kam es zuerst in Arnstadt, wo man beschloß, die Wünsche der Zeit durch eine Massenvorstellung bei dem Fürsten zur Geltung zu bringen; Sendboten durcheilten das Land, und am 14. März, dem verabredeten Tage, zog das Volk in Hellen Haufen nach Sondershausen, um sein Verlangen mit Güte oder Gewalt durchzusetzen. Der Marktplatz war bald von einer dichten, lärmenden Menschenmenge erfüllt, die sich gegen das Palais, die damalige Residenz des Fürsten, drängte. Rufe wie „Preßfreiheit", „deutsche Flotte" und andere erschollen. Als im Palais alles still blieb, nahm die Menge, die aus den nahen Gasthöfen, der „Tanne", dem „Ratskeller", die nötige Stärkung fand, eine drohende Haltung an, einzelne suchten in das Palais einzudringen, wurden aber durch einige handfeste Bürger daran verhindert, während die Hauptwache unter Gewehr stand, ohne einzugreifen. Vergebens beschwor der Major von Poseck, der entschlossene Kommandant des Sondershäuser Bataillons, den Fürsten, ihn gewähren zu lassen, er wolle den Platz mit seinen Leuten bald räumen, dann habe die Regierung Zeit zu ihrem Entschlüsse. Der Fürst, durch den ganz unerwarteten Ausbruch der Bewegung überrascht, hatte seine sonst so sichere Haltung verloren. Seine Ratgeber waren für Nachgeben, und so erfolgte wie in Berlin um die Mittagsstunde die Fürstliche Proklamation, die die Abstellung der erhobenen Beschwerden verhieß: Die Einheit Deutschlands, das Versprechen, keine Nichtschwarzburger mehr anzustellen, die allgemeine Wehrpflicht mit Stellvertretung, Aufhebung der Jagdfrohnden waren billige Forderungen. Die Menge begrüßte den Aufruf mit Jubel, war zufriedengestellt und zog ab. Der geistige Führer der Bewegung war der Stadtsyndikus Rebling in Greußen, ein befähigter, ehrgeiziger Wann. Als der neue Minister Thop einen Aufruf erließ, in dein untern andern von einem „kleinen Kreise ungestümer Köpfe" die Rede war, schritt der Pöbel zu wilden Exzesseil gegen Bildung und Besitz. Dein Oberstallmeister von Wurmb und verschiedenen höheren Beamten wurden Katzenmusiken gebracht und die Fenster eingeworfen. Die Fürstliche Domäne, deren reicher Pächter besonders verhaßt war, wurde vollständig verwüstet. Gegen diese vandalischen Ausbrüche der Volkshefe schritt die Regierung nicht ein, die Schuldigen wurden nicht bestraft. Man ließ die Dinge gehen, das Volk hatte seine Freude an Versammlungen, Aufzügen der Bürgerwehr, die auch hier organisiert war, Fahnenweihen und anderen Festen, bei denen wie überall viel Bier getrunken wurde. Zum Glück gab es 1848 eine gute Ernte. Eine allgemeine Amnestie erhöhte noch die Freude und Seligkeit, bis die Reaktion in Österreich und Preußen 1851 Ernüchterung brachte. Ernster, weil mehr sozialen als politischen Ursprungs, war die Bewegung im Harzstädtchen BenneckensteinDie Teuerung des Jahres 1847 hatte die so schon armen Einwohner in bittere Not versetzt. Der Bürgermeister Schaeffer aber war nicht milde und wohltätig gegen die Notleidenden, sondern hart und streng. Gegen ihn richtete sich die Mißstimmung. Dazu kam, daß die Kirchenbehörde einen im Orte beliebten, freigebigen Geistlichen, Moebius, weil er an einer blonden Gebirgstochter besonderen Gefallen gefunden haben sollte, und da er dem Bacchus und Gambrinus sehr huldigte, aus dem Städtchen entfernen wollte und vom Amte suspendiert hatte. (Der Totengräber von Benneckenstein soll ein Schildchen getragen haben, das die Worte zeigte: „Christus, der ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn“.) Freie Holzverteilungen aus dem nahen Stadtwalde, billige Versteigerungen, zu denen der Bürgermeister aufgefordert wurde, lehnte er ab. Da kam die Nachricht von dem Aufstande in Berlin. Als die Sonntags-Glocken zum Gottesdienste läuteten, den der neue Geistliche zum ersten Male halten sollte, holten 2 Frauen den alten, der sich noch im Pfarrhause aufhielt, zogen ihm den Talar an und zerrten ihn auf die Kanzel. Die Menge, die sich vor der Kirche angesammelt hatte, stürmte, von jenen Weibern aufgestachelt, unter dem Geläute der Sturmglocken nach dem Rathause. „In Berlin hätte man den König weggejagt, sie wollten nun ihren Bürgermeister davonjagen!" Der war längst vom Rathause verschwunden. Dafür zerstörte man in seinem Amtszimmer alles in blinder Wut und zog dann nach seiner Privatwohnung. Das Haus wurde gestürmt, und als man den Verhaßten auch hier nicht fand, begann das Plündern von neuem. Hausgerät flog zum Fenster heraus, Weiber rissen sich um die feinen Kleider der Frau Bürgermeister. Angesichts solcher Ausschreitungen zogen sich die Gemäßigten vom Aufstande zurück, der Pöbel bekam die Oberhand und geriet in blinde Zerstörungswut. Der Besitzer des Nachbarhauses, im Verdacht, den Bürgermeister versteckt zu haben, wurde gemißhandelt. Der war, als Fuhrmann verkleidet, längst nach Hohegeiß geflüchtet und in Sicherheit. Indessen setzten die Frevler ihr Treiben bis in die Nacht in andern Teilen der Stadt fort, zunächst die Wohlhabenden und Unbeliebten, schließlich jeden Beliebigen brandschatzend. Der Königliche Landrat von Nordhausen, von Byla, fuhr sofort nach Benachrichtigung hinauf, um die Leute zur Ordnung zu bringen. Vergeblich versuchte er von den Stufen der Treppe des Rathauses zur Menge zu reden, vergebens zeigte er den Schreiern das Strafgesetzbuch und wies auf die Strafparagraphen hin; er wurde verhöhnt. Man zog ernstere Seiten auf. Eine Kompagnie der Königlichen Jäger aus Nordhausen rückte ein. Der Aufforderung des kommandierenden Offiziers, auseinanderzugehen, wurde keine Folge geleistet. Man nahm an, daß die Jäger, unter denen sich viele Höhne des Harzes befanden, blind schießen würden. Diese rückten tatsächlich unverrichteter Wache wieder ab. Aber nun rückte Infanterie aus Sondershausen ein. Die kurzen und gestrengen Worte ihres Befehlshabers bewirkten Ruhe. Man ging auseinander. Die Gemäßigten gewannen die Oberhand, eine Bürgerwehr zur Ausrechterhaltung der Ordnung wurde gebildet, das Militär zog wieder in die Garnison ab. Doch kam es noch einmal zu Unruhen. 6 Personen, die aus Requisition des Untersuchungsrichters wegen Tumultes von Jägern als Gefangene nach Nordhausen abgeführt werden sollten, mußten, um Blutvergießen zu verhindern, der drohenden Volksmenge wieder freigegeben werden. Als dann das Militär verstärkt erschien, wurden die Rädelsführer der Benneckensteiner Revolution streng bestraft, der alte Pastor, der von seinen Anhängern wiederholt eingesetzt war, wurde endlich entfernt. Das Elend wich aber nicht sobald, so daß mancher Benneckensteiner aus Not Wilddieb wurde. Dadurch ist der kleine Ort berüchtigt gewesen; erst in unsern Tagen ist es besser geworden, Benneckenstein hat Eisenbahn bekommen und wird setzt als Luftkurort besucht. Das Jahr 1848 in EllrichDiese Stadt wurde nicht nur durch politische, sondern auch durch religiöse Parteien erregt. Der Vorgang in Nordhausen vor dmn „Römischen Kaiser" machte in Ellrich gewaltiges Aufsehen. Ein Teil der Bürgerschaft nahm für den Generalsuperintendent Möller, die freie Gemeinde in Ellrich für Prediger Baltzer Partei. Am 6. August kam nun Baltzer auf Einladung der freireligiösen Gemeinde nach Ellrich, nachdem Hülfsprediger Schünemann,[3] sein Stellvertreter während seiner Abwesenheit in Berlin, schon einige Versammlungen hier abgehalten hatte, und hielt im Gasthof zum Kronprinzen eine religiöse Erbauung, woraus er nach Zorge fuhr. Abends kehrte er mit seinen Begleitern in zwei offenen Wagen nach Ellrich zurück, und bei der Einfahrt sangen sie das Schillersche Lied „Ein freies Leben führen wir“. Eine große Menschenmenge wurde dadurch herbeigelockt. Als nun Baltzer im „Kronprinzen" einen politischen Vortrag als Abgeordneter hielt, versuchten 2 junge Leute aus der Menge in den Saal zu dringen, um zuzuhören, wurden aber hinausgeworfen. Dies war die Ursache zu einem erbitterten Straßenkampfe, in dessen Verlauf die Gegner der Lichtfreunde in den Saal drangen und Baltzer, der von allen verlassen war, grausam mißhandelten. Die Polizei, von dem Vorgänge benachrichtigt, alarmierte die Bürgerwehr, die sich endlich in geringer Zahl einstellte, sich Baltzers annahm und ihn in ihre Mitte nahm, ihn aufs Rathaus zu bringen. Auf dem Wege dahin wurde er abermals aufs roheste zugerichtet. Der Bürgermeister Baumgarten spielte während der ganzen Ausschreitung eine sehr verdächtige Rolle. Es beteiligten sich auch sonst ruhige Bürger an dem Exzeß, weil sie meinten, Baltzer sei ein Feind des Königtums und der Religion, und es sei ihre Pflicht, ihm den Aufenthalt in Ellrich für immer zu verleiden. B. rettete sich mit Mühe vom Rathause ins Freie und wurde von einem ihm bekannten Mühlenbesitzer zu Magen nach Nordhausen gebracht. Am nächsten Tage rückten Soldaten aus Nordhausen ein, die an 50 Bürger dahin abführten. Sie wurden zu Gefängnis verurteilt, denn Baltzers Verwundung wurde gerichtlich als lebensgefährlich festgestellt. Infolge der rastlosen Bemühungen des damaligen Ellricher Oberpredigers Nebelung wurden die Verurteilten später vom Könige begnadigt. Meine Nordhäuser Mitbürger, die so häufig nach dem lieblichen Ellrichfahren, von denen nicht wenige ihre Söhne der dortigen Klosterschule anvertrauen, wird es interessieren, zu erfahren, wie es dort 1848 zugegangen ist. Schulprogramme des Pädagogiums sind leider in den Jahren 1848-52 nicht erschienen; um so dankbarer bin ich einem dortigen bejahrten, zeitgenössischen Arzte für seine freundlichen Mitteilungen. Auch in Ilfeld wurde eine Bürgerwehr gebildet, deren „Oberst" der Arzt, späterer Geh. Sanitätsrat Dr. Blumenthal, der Vater meines Gewährsmannes, wurde. Die Kleidung bestand aus grünen Blusen, runden Hüten, die Mannschaften waren mit Piken, später mit Gewehren bewaffnet, die Offiziere trugen Säbel und gelbweiße, hannoversche Schärpen. Daneben bestand eine aus den älteren Schülern der Klosterschule gebildete Jugendwehr, die ebenfalls mit Piken bewaffnet war. Ein älterer Primaner, früher Kadett, von Ompteda, exerzierte sie ein. Die Lehrer der Schule waren in die Bürgerwehr eingereiht. — Zweimal sind beide Wehren in Tätigkeit getreten. Einmal wurden die Holzarbeiter im nahen Wiegersdorf aufsässig, wollten mehr Lohn haben und begannen das Haus des Ortsschulzen zu zerstören. Da wurde Generalmarsch geschlagen, und die Ilfelder Wehr rückte aus. Auf dem Brückchen vor dem Dorfe drohte der Zusammenstoß. Mein Augenzeuge hat unter der aufrührerischen Menge ein wütendes Weib mit einem Beile gesehen. Indessen wurde die Ruhe ohne Kampf hergestellt. Um aber Holz- und Wild-Frevel gründlich zu verhindern, wurde Militär aus Hannover herbeigeholt und in Ilfeld einquartiert. Damit waren die Einwohner, die auf ihre Wehren stolz waren, anfangs nicht zufrieden, allmählich beruhigten sie sich und ließen sogar ihre Wehrleute durch die Soldaten einüben und zwar aus der Wiese vor der heutigen Post. Ein ander Mal verbreitete sich das Gerücht, die Bauern in der „Aue", d. s. die Dörfer südlich von Ilfeld, wollten die Abgaben von Geld und Naturalien nicht mehr liefern und beabsichtigten, das Kloster zu stürmen. Darauf wurden die Wehren mobil gemacht, und Streifpatrouillen wurden ausgesandt, den heranrückenden Feind zu rekognoszieren. Der blieb aber aus. Indessen blieb man in Ilfeld die ganze Nacht unter dem Gewehr, es wurden ungeheuer viel Zigarren geraucht und viel Hagensches Doppelbier (Nordhäuser) getrunken. Volksversammlungen fanden auch statt und zwar auf dem alten, sogenannten hannöverschen Zoll. Aus einer derselben hat damals ein junger Student aus Göttingen, Joh. Miquel, der spätere berühmte preußische Finanzminister und Ritter des höchsten preußischen Ordens, dessen Bruder an der Ilfelder Klosterschule Lehrer war, eine heftige Rede gegen den Landrat des Kreises gehalten, Tempora mutantur, nos et mutamur in illis! Andere Zeiten, andere Sitten! Köstlich ist Miquels eigene Erzählung, wie er und andere taten- und bierdurstige Klostersöhne auf der Reise nach Frankfurt, wo sie die Verfassungsarbeiten in der Paulskirche beschleunigen wollten, auf einer Zwischenstation aus ein totes Eisenbahngleis geschoben sind, sitzen geblieben, betrunken gemacht und unverrichteter Sache heimgekehrt sind. (Vergl. Kämmerer Spazzo in Scheffels Eckehard.) In RoßlaKamen am 28. März viele Bewohner aus den Harzgemeinden an und versuchten, in das Schloß einzudringen, wo man an den regierenden Grafen ganz unsinnige Forderungen stellen wollte, Erlaß der zu leistenden Abgaben und mehr. Wohlgemeinte Zusagen und Ratschläge der Beamten schlugen fehl, die aufgeregten Härzer wurden immer drohender, so daß der Graf am Nachmittage um Hülfe von Kelbra bat. Von dort eilte eine Anzahl Einwohner in das Schloß nach Roßla, um Greueltaten zu verhindern und die Ordnung wieder herzustellen. Zu Ausschreitungen kam es weiter nicht. In Anerkennung der Hülfeleistung der Kelbraer überwies der Graf der Gemeinde ein Geldgeschenk von 150 Talern und den Domänenarbeitern 15 Taler extra. Der Magistrat sandte indes das Geld an den Kammerdirektor zurück, weil sich in der Stadt niemand für seine Hülfe bezahlen ließe. Den zinspflichtigen Bauern in und um Roßla hat der Graf später Erleichterung verschafft, wonach in Roßla ein Volksfest stattfand, auf dem der Graf mitgetanzt hat. Natürlich wurde in Roßla im Mai 1848 eine Bürgerwehr errichtet, ein Beispiel, dem die umliegenden Dörfer folgten, von denen einige nur 10 Mann stellen konnten, andere, Roßla voran, stellten mehr, 150. Hier war der Graf Kommandant, von dem ein Tagesbefehl mir vorliegt. Der „Schutzverein" eines Dorfes hatte den Rittergutsbesitzer zum Oberführer, den Schulzen zum 2. Führer, den Revierförster zum 1. und den Revierjäger zum 2. Adjutanten. In den Berichten der Ortsbehörden über die Bildung der Bürgerwehren wiederholen sich die Gesuche um Überlassung von Waffen oder von Musikinstrumenten. Ein Ortsschulze bittet bescheiden um eine Trommel. In Stolberg im Harzhat 1848 auch eine Bürgerwehr bestanden, die mit Gewehren und Lanzen bewaffnet war. Außerdem gab es noch die bewaffnete Schar von Waldarbeitern, vom damaligen regierenden Grafen mit grünen Kitteln versehen. Es wurde täglich exerziert und viel Lärm geschlagen. Ausschreitungen fanden nicht statt. In Kelbrahat ebenfalls eine Bürgerwehr von 50 Mann existiert, auch dort hat eine Volksversammlung stattgefunden. Die Bürgerwehr wurde von dem regierenden Grafen von Roßla mit Lanzen bewaffnet und mit einer schönen, seidenen Fahne beschenkt, die auf der Klosterwiese unter zahlreicher Beteiligung, in Gegenwart des Roßlaer Grafen festlich eingeweiht wurde. Ausschreitungen sind nicht vorgekommen, wenigstens scheint die Ermordung des Amtsrats Wilhelm Lehnert, der am Abend des 28. September 1848 in seinem Zimmer an der Bornstraße von der Straße durch das Fenster erschossen wurde, nicht auf politische Motive, sondern auf einen privaten Racheakt zurückzuführen zu sein. Der Mörder ist nicht entdeckt worden, und das Verbrechen ist ungesühnt geblieben. Am 21. März brachten unruhige Bürger beim Bürgermeister u. a. den tollen Antrag ein, die Domäne des Grafen von Roßla, östlich von der Stadt gelegen, für Stadtgut zu erklären; ein Volksauflauf am 24. forderte dies stürmischer, doch ohne Erfolg. Hoch gingen die Wogen der politischen Bewegung in der Fürstlich Schwarzburgischen Unterherrschaft FrankenhausenWie heftig hier die Leidenschaften waren, läßt sich aus den Jahrgängen 1848 des Frankenhäuser wöchentlichen Intelligenzblattes erkennen. Der demokratische Märzverein und der konstitutionelle Klub befehden sich in Versammlungen und in der Presse aufs hitzigste, bis sich die stolzen Master nach fast zweijährigem Wallen, Brausen und Zischen gelegt haben. In einzelnen wollen wir folgendes berichten: Schon am 10. März wird vom Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt Freiheit der Presse bewilligt. Aber das gelingt nicht, die Bürger fordern eine Verfassung, unparteiische Rechtspflege, geordnete Verwaltung, gänzliche Niederschießung des Mildes und anderes. Fast alles wird bewilligt. Darauf wird ein Stadtrat gewählt, Landtags- und Reichstagswahlen werden vorgenommen, eine Bügergarde wird gegründet. Zugleich wird von der Regierung zur Ordnung ausgesordert, die Sicherheit der Personen und des Eigentums verlangt. Zuwiderhandelnde werden mit Strafe bedroht, auch der Besuch des „Bierhauses" nach 10 Uhr abends bei Strafe verboten. Um seinen lieben Untertanen einen weitern Beweis seines Wohlwollens zu geben, erläßt Fürst Friedrich Günther die Leistung von Spann-, Hand- und Frohn-Diensten, hebt einige Steuern auf, setzt andere herab. Zur allgemeinen Freude wird auf dem Rathsseldeein Versöhnungsfest gefeiert. Am 30. Juni zog die 700 Mann starke Bürgergarde mit Musik, begleitet von andern Vereinen, nach dem mit Girlanden geschmückten Fürstlichen Schlosse Rathsfeld, dem Orte des Festes. Daselbst Defiliermarsch vor den Fürstlichen Personen, Prade vor dem Fürsten, Verabreichung von Bier und Bratwurst, Wildbretbraten, Wein, Kuchen. Darauf: Scherze, Toaste, Tanz unter Teilnahme der Fürstlichen Familie. Dieselbe fährt durch die Glieder der Bürgerwehr zur Stadt zurück, wohin die Volksmenge folgt, um vor dem Schloß Vivats auf Fürst und Land auszubringen. Hochinteressant für jeden Deutschen, der das Sehnen unseres Volkes nach „Kaiser Friedrichs Rotbarts Wiederkommen“ mit empfunden und die Verwirklichung durch Kaiser Wilhelm Weißbart miterlebt hat, ist es zu hören, was für eine Feier die alten Achtundvierziger in diesem Jahre des Völkerfrühlings auf dem Kyffhäuserdiesem Mittelpunkte des Singens und Wagens unseres Volkes, veranstaltet haben. „Am 31., dem letzten Tage des für ganz Deutschland, ja, für ganz Europa so wichtigen Monats März, zog ein kleines Häuflein treugesinnter Patrioten von Frankenhausen nach der nahegelegenen Burgruine Kyffhausen, um daselbst nach vorher erlangter Erlaubnis eine schwarz-rot-goldene Fahne aufzupflanzen. Der 50 Fuß lange Koloß wurde von den Anwesenden selbst auf die Burgruine getragen und mit Hülfe von Steinbruchsarbeitern aufgerichtet. Schlag Uhr prangte die freie Nationalfahne 48 Fuß hoch über der Erde, wurde von allen mit Hurra und Pistolenschüssen begrüßt und flatterte mit ihrem Fittig gar behaglich in Deutschlands freier Luft, während der als Fahnenknopf angebrachte Adler gar wohlgefällig auf das Treiben herabzuschauen schien. Der Zufall, daß gerade zu der Stunde in Tilleda und in den naheliegenden Aue-Dörfern wegen Trauer um eine hochgestellte Persönlichkeit mit allen Glocken geläutet wurde, machte einen ernsten Eindruck auf alle Anwesenden und erhöhte die Feierlichkeit des Augenblicks. Nachdem verschiedene Toaste, wovon der auf das Wohl unseres durchlauchtigsten Landesherrn der erste war, ausgebracht waren, trug ein Bürger ein Gedicht „Schwarz, Rot, Gold“ vor. Dann folgte Arndts „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Nach diesem: „Barbarossas Erwachen“. Die Vorträge wurden mit lautem Jubel ausgenommen, die Begeisterung, den ersten Freiheitsbaum in diesen Gegenden errichtet zu haben, war groß.“ Man vergleiche diese einfache Fahnenfeier von 1848 mit der großartigen Denkmalsenthüllung von 1896! Welch ein Gegensatz! Welch eine Wendung! Worte sind hier überflüssig. „Das tolle Jahr“ verlief in Bleicherodeohne ernsten Zwischenfall. Zwar litt die Einwohnerschaft auch durch kärgliche Ernten, dadurch entstandene Geldnot und durch Mangel an Arbeit, aber man blieb ruhig. Man hatte ein fürsorgliches, mildes Stadtoberhaupt und in der Baronin von Angern-Stilke eine mildtätige Dame, aus deren Walde die Leute ohne Bezahlung ihren Holzbedarf beziehen durften. Zwar hausten die Armen in den Abhängen nach dem Bleichtale zu schonungslos, die Dame blieb aber in anbetracht der Verhältnisse geduldig. Wan besaß zur Aufrechterhaltung der Ordnung schon die Schützenkompagnie, doch errichtete man auch hier noch eine Bürgerwehr. Beide standen sich feindlich gegenüber, und beinahe wäre es zwischen ihnen zu einein Zusammenstoß, also zu einem Bürgerkriege, gekommen. Die Wehr übte Waffendienst sonntäglich auf der damals noch unbewaldeten Löwenburg, noch mehr aber übte sie das Trinken. In die umliegenden Dörfer wurden Kriegszüge aus Furcht vor Angriffen unternommen, und mancher Krieger fiel nicht infolge von Wunden oder Anstrengungen, sondern infolge zu starken Trinkens. Auch in Sachsaist nach dem Bericht eines dort ansässigen, glaubwürdigen ältern Herrn eine Bürgerwehr errichtet worden, deren Hauptaufgabe darin bestand, die Grenze des Ortes gegen Wackenrode, Tettenborn, Stöckey zu schützen, da man von diesen Gemeinden Angriffe auf das Sachsaer Amtsgericht befürchtete. Diese sind jedoch nicht ausgeführt worden, wohl aber drangen nach Kolbes „Heimatland“ 2 Sachsaer, weil sie sich durch die kurz vorher erfolgte Separation der Äcker, auch amtlich damals Zerstückelung genannt, benachteiligt fühlten, in das Rathaus und verübten Unfug. Sie wurden dingfest gemacht, Dank der Milde der Behörden aber nicht weiter für ihren Übermut bestraft. Ein lustiges Stückchen aber vollführte der damalige Steuererheber; bei ihm drangen auch einige Tumultuanten ein, der schlaue Steuererheber bewirtete die Leute tüchtig mit Bier und Schnaps, und als die betrunkenen Herren Revolutionäre sein Haus verließen, wurden sie von der Volksmenge ganz gehörig ausgelacht. Für die 1848 eingezogenen Landwehrmänner sind Geldsammlungen veranstaltet worden, ihre Familien sind auf allerlei Art unterstützt worden, wie die Akten nachweisen. Das Jahr 1848 ist also an Sachsa ohne ernste Zwischenfälle vorübergegangen. Wilddiebe und sonstiges Gesindel haben Sachsa nach dem Bericht eines Gendarm häufig unsicher gemacht. Auch in den Sachsa benachbarten Dörfern, in Stöckey, Tettenborn, Holbach, namentlich in Klettenberg, sind Ausschreitungen vorgekommen. Das Pfarrhaus in Klettenberg wurde nachts von den Bauern angegriffen und geplündert; in Großwechsungen drangen Aufrührer in die Gutshöfe und verübten Erpressungen, bis Militär von Nordhausen anrückte und die Rädelsführer gefangen nahm und sie gebunden auf Leiterwagen nach Nordhausen transportierte. Hören wir, was die Stöckeyer Chroniküber die Bewegung in diesem Orte berichtet: „Die Nachricht von der Berliner Märzrevolution bringt alles in Aufregung. Der Pfarrer Kegel benutzt den ersten Sonntag nach beendeter Predigt, eine verständigende und die Gemüter versöhnende Ansprache an die Gemeinde zu halten. Für den Nachmittag wird sie von ihm im Schullokal versammelt, um mehr im einzelnen auf die Gemüter zu wirken und einen Verein zu bilden, dessen Zweck sein sollte, sich gegen angedrohte äußere und innere Störungen der gesetzlichen Ordnung künftigst zu sichern. Das Werk schien nach vielen Bemühen gelungen, leider aber wurde die vor einigen Jahren beendete Separation schon nach einigen Tagen Anlaß des Ausbruchs der Erbitterung gegen die Ackerleute. Hintersättler und Einmietlinge glaubten sich durch diese verletzt. Schon hatten sich abends über 100 unweit des Pfarrgartens versammelt, in die Häuser der Ackerleute einzudringen und das durch die Separation verlorene Recht der Freihütung wieder zu erzwingen. Da gelang es dem Pfarrer Kegel, die durch Branntweingenuß erhitzte Menge zum Abzug zu bewegen, unter dem Versprechen, daß er die Ackerleute im Wege freier Entschließung dazu vermögen wolle, die Hütung des Viehes zu gestatten. Die andern Tages zu dem Zweck von dem Pfarrer im Hause des Schulzen Schneppe versammelten Ackerleute machten zum bösen Spiel gute Miene; sie unterschrieben sämtlich eine vom Pastor aufgenommene Urkunde, wonach den Genannten das Hütungsrecht eingeräumt wurde. Das Schriftstück wurde dem Schneider Seele zur Verwahrung und zur Bekanntmachung an die ungestüm Fordernden überwiesen, und es wurde dadurch jeder weitere Exzeß verhütet. Im Jahre 1848 duldete man auch die Hütung seitens der Hintersättler und Einmietlinge, aber bald war man darauf bedacht, durch Entscheidung das erzwungene Versprechen zu widerrufen. Das Jahr 1848 in Neustadt a. H.Auf dem Wiesenplatze bei Neustadt fanden ebenfalls Volksversammlungen statt. Eine Bürgerwehr war unter Leitung des damaligen Amtsrichters Vollborth organisiert. Die Uniform bestand aus grünen Kitteln mit Samtkragen, schwarzrotgoldenen Achselstücken und grüner Mütze. Als Bewaffnung dienten Lanzen mit schwarzrotgoldenen Fähnchen. Die Fahne dieser Wehr ist noch in Neustadt vorhanden. Zur weiteren Sicherheit war eine Abteilung des damaligen Goslarer Iägerbataillons im Grte einquartiert. Ausschreitungen sind jedoch nicht vorgekommen. In Heringen an der Helmehat ebenfalls eine Bürgerwehr existiert, der zu Ehren Lustbarkeiten im Freien stattfanden. Ausschreitungen sind nach amtlichem Bericht nicht vorgekommen. Auch in den Dörfern in Nordhausens Umgebungwaren Bürgerwehren organisiert. Oft bildeten mehrere Dörfer eine Sicherheitstruppe. Im benachbarten Salza hat Ruhe geherrscht, wenigstens meldet die dortige Chronik nichts. VolksVersammlungen fanden in vielen Dörfern statt. Beliebt und viel besucht waren die bei Urbach, wohin die Görsbacher häufig pilgerten, während die Urbacher, welfisch gesinnt, den „Volksbeglückern" fern blieben. Auch auf unserm jetzt so friedlichen Harzrigi hat die schwarzrotgoldene Freiheitsfahne von 1848 geweht, auch aus ihm hat es von Waffen geklungen, auch von ihm sind feurige Reden in das Land posaunt worden. Damals stand noch kein Haus aus der Höhe, noch ragten dort nicht finstere Tannen, ein schlechter Weg führte s. Z. von den ersten Häusern in Petersdorf die Schlucht hinauf. Das jetzige Gasthaus ist erst von Herrn John 1860 erbaut worden. In Petersdorf selbst blieb im tollen Jahr alles ruhig, hier hatte man keine Bürgerwehr nötig, der Rittergutsbesitzer Böttcher, der Vater des noch lebenden Nordhäuser Stadtrat Gerhard Böttcher, sorgte schon für Ordnung. Aber die Nordhäuser Handwerkerkompagnie und die Leimbacher Bürgerwehr zogen mit wehenden Fahnen und unter klingendem Spiel, mit Kind und Regel, auf die Höhe, und der Leimbacher Kantor Pabst, ein tüchtiger Redner, und ein junger Student, dessen Namen meine Petersdorfer Gewährsmänner nicht mehr wissen, haben freiheitatmende Reden gehalten, und das Volk hat schwärmerische Lieder gesungen. Und vor, bei und nach alledem ist viel gegessen und noch mehr getrunken worden. Bekannt ist eine Versammlung in Liebenrode bei Ellrich geworden, die als Demonstration gegen die dem Prediger Baltzer in Ellrich widerfahrene Mißhandlung stark besucht war. Nach dem mir mitgeteilten Bericht eines noch lebenden Teilnehmers fuhren die Nordhäuser auf Wagen dorthin, das städtische Musikchor an der Spitze, von der Bürgerwehr geleitet. Mein Augenzeuge weiß sich eines blumenumgrenzten Transparentes zu erinnern, das die Worte zeigte: „Willkommen den Besiegern der Finsternis!" Die Bewohner der Südharzdörfer waren auch zu Hunderten gekommen. Man schoß mit Pistolen, und alle riefen: „Freiheit und Gleichheit!" Der freireligiöse Prediger Schünemann hielt auf dem sogenannten Katzenschwanze, einem Berge unweit Liebenrode, eine Rede über das Königtum von Gottesgnaden, über die Steuern u. a. Nach dem Bericht des Ortsvorstehers hielt Schünemann auch im Wiedekindschen Gasthause Versammlungen ab, infolgedessen der Gastwirt die Schankkonzession verlor. Nach demselben Berichterstatter wurde gegen Aufruhr eine Bürgerwehr zu Pferde und zu Fuß eingerichtet, die auch bald in Tätigkeit trat, und als Aufrührer den beliebten Pastor des Ortes verjagen wollten, ihn schützte; der Lehrer Steinert, der gegen den Pastor war, verlor sein Amt. Die Bewohner des Dorfes Buchholz sind ohne Tumult, aber in geschlossenem Haufen nach Stolberg gezogen, um den Grafen um Erlaß der Abgaben an Geld und Naturalien zu ersuchen. Von den Schloßbeamten auf die Zukunft vertröstet, sind sie wieder heimgezogen, haben aber später keinen Erlaß bekommen. In Hermannsacker hat eine Bürgerwehr von 45 Wann bestanden, eine im Dorfe stattgehabte Versammlung war königstreu. Die Einwohner von Auleben waren nicht so friedlich, sie haben, mit Heugabeln und Sensen bewaffnet, das Stolberger Schloß stürmen wollen. Ein Stolberger, der ihnen begegnet ist, hat sie durch eine List zur Umkehr gebracht, indem er ihnen weisgemacht hat, ihr Dorf stehe in Flammen. Aus den Dörfern Crimderode, Wiegersdorf und Niedersachswerfen sind die Leute mit Äxten in den Wald gezogen, Holz zu fällen. Zwischen ihnen und den Königlichen Förstern und Gendarmen ist es zu Tätlichkeiten gekommen, worauf aus Goslar Militär angerückt ist. Mit den Soldaten haben sich die Leute nachher so gut gestanden, daß sie diese gar nicht wieder haben ziehen lassen wollen. Die Holzfrage war auch in Uftrungen „eine brennende“. Dort wandte sich der Haß der Leute gegen einen „Forstbereiter" mit Namen Lauenstein, der durch peinliche Genauigkeit und Strenge im Walde mißliebig war. Man lauerte ihm auf und prügelte ihn durch. Darauf wurde er als Oberförster in eine andere Gegend versetzt. SchlußwortDer schöne Traum, den Deutschland von seiner Macht, Einheit und Freiheit 1848/49 träumte, zerrann bekanntlich schon Ende 1849. Dem hehren politischen Aufschwünge von 1848 folgte die Reaktion von 1850 und der folgenden Jahre. Die Zeit der Erlösung war noch nicht gekommen, die führenden Männer noch nicht an der Spitze. König Friedrich Wilhelms IV. Wort „Preußen geht fortan in Deutschland auf" war ein frommer Wunsch, dem die Festigkeit des Willens fehlte, Erzherzog Johanns, des Reichsverwesers, Losung „Kein Österreich, kein Preußen, ein einiges freies Deutschland" gebrach die Kraft der Ausführung, des Prinzen von Preußen klare Prophezeiung „Die deutsche Kaiserkrone wird nur auf dem Schlachtfelde gefunden werden" und Bismarcks herber Ausspruch sollte sich erfüllen: „Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, das ist der Fehler von 1848 und 1849 gewesen, sondern durch Blut und Eisen!" Dann, als der nationalen Erhebung die schmachvollste Demütigung in der äußeren Politik in Olmütz, als auf Preußens Wachtentfaltung seine Vergewaltigung durch Österreich und die Mittelstaaten in Frankfurt a. M. am wieder eingesetzten Bundestage folgte, da vollzog sich jene Umwandlung der Anschauungen in dem klaren und unbeugsamen Staatsmann, Otto von Bismarck. Ihn wählte ein edler Fürst, der Prinz von Preußen, bald Prinzregent, dann König, nachmals Kaiser Wilhelm I., zu seinem Minister und Helfer, um Preußen und Deutschland in den Sattel zu heben. Und diese beiden Helden unseres Volkes haben den Traum der 48er, der 1850 erstickt und für immer begraben zu sein schien, nachdem er durch den Nationalverein wieder belebt war, zur Wirklichkeit gemacht. Sie haben in dreißigjährigem, treuem Zusammenwirken die Sehnsucht nach den höchsten Gütern des deutschen Volkes, um die unsere Väter 1848 mit einem Streben, das bei manchen Ausschreitungen und Irrtürnern edel war, vergeblich gerungen haben, erfüllt. So ist unserer Väter Mühe nicht verloren gewesen, die Bewegung von 1848 hat die Saat ausgestreut zu der großen Ernte, die 1866 mit der Verfassung des norddeutschen Bundes begonnen, 1870/71 mit der Gründung des deutschen Reiches vollendet ist. In so enger Verbindung steht die Grundlage des Glücks, dessen wir uns jetzt im neuen Reich erfreuen, mit der mühevollen, vielverachteten Arbeit des Jahres 1848. In den deutschen Einzelstaaten, also auch in Preußen, sind die politischen Forderungen des Bürgertums von 1848, nämlich das beschränkte Wahlrecht, Preß- und Redefreiheit, Schwurgerichte, Freizügigkeit, Gewerbefreiheit infolge der 48er Bewegung sofort erfüllt worden. Freilich hat die Reaktion öfter versucht, sie zu verringern. Auch Nordhausens beste Bürger waren es, die sich 1848 an die Spitze der Bewegung stellten und mit Mut und Opferwilligkeit Rechte, die die Fürsten nach den Freiheitskriegen, jenem Opferkampfe des Volkes ohne gleichen, dem Volke versprochen hatten, zur Geltung brachten. Die Begeisterung, die auch die Edelsten ergriff, muß eine echte gewesen sein. Man denke, selbst ein Kützing hat der Bürgerwehr seinen Arm geweiht! Und zur Ehre der Stadt Nordhausen muß am Schluß dieser Geschichte "des tollen Jahres", wie es die Gegner der Bewegung, „des Völkerfrühlings", wie es die Volksfreunde genannt haben, hervorgehoben werden, daß mit Ausnahme des Krawalles in der Hagenstraße die Bürgerschaft sich musterhaft betragen hat; dank ihrer Gesamtbildung, dank der Belehrung durch Lehrer und Prediger, dank der Beeinflussung und Mäßigung ihrer Abgeordneten in Wort und Schrift, dank der Umsicht, des Entgegenkommens, wenn nötig, der Tatkraft der Behörden, des Königlichen Landrats v. Byla, des Bürgermeisters Eckardt, des Befehlshabers der Jäger, Majors Richter, des Kommandeurs der Bürgerwehr, Majors Hartz, u. a. Sie haben das unbestrittene Verdienst, Blutvergießen verhindert zu haben. In den kleineren Vrten des Südharzes und aus dem platten Lande sind die Unruhen des Jahres meist aus wirtschaftlichen und sozialen Nöten entstanden, von denen die Leute heimgesucht wurden, und in denen diese niederen Volksklassen die errungenen politischen Freiheiten, gerade wie zur Zeit Luthers im Bauernkriege in Thüringen die religiösen, falsch verstanden und mißbrauchten. Die Ausschreitungen sind keineswegs zu entschuldigen, wohl aber zu erklären. Verzeichnis der Bilder
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- ↑ Ich habe solche noch heute an 12 Haustüren gefunden; schön ist Tür und Klopfer in der Barfüßerstraße 3, Nenstadtstraße 27, leider festgelötet, und am Altendorfer Pfarrhaus. Am Waisenhause ist ein Hundekopf, Medaillonbilder von Menschenköpfen sind Bäckerstraße 20.
- ↑ Große Feuersbrünste in Nordhausen waren: 1180, 1234, 1540, 1546, 1610, 1612, 1686, 1710, 1712 (281 Bürgerhäuser abgebrannt).
- ↑ In Nord-Amerika als freireligiöser Prediger †.