Wie es um 1802 in Europa aussieht: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 30. November 2022, 20:02 Uhr

Textdaten
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Autor: Hermann Heineck
Titel: Wie es um 1802 in Europa aussieht
Untertitel:
aus: Geschichte der Stadt Nordhausen 1802–1914
Herausgeber: Magistrat
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1927
Verlag: Magistrat der Stadt Nordhausen
Drucker:
Erscheinungsort:
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung: Abschnitt 1,
Kapitel 1
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
Bild
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Bild
Erster Abschnitt
Die Uebergangsperiode
(1802 bis 1832).




Kapitel 1.
Wie es um 1802 in Europa aussieht.


Durch den Frieden von Lüneville (9. Februar 1801) und den sich anschließenden Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 wird mit den einschneidendsten Maßregeln in den Gang der deutschen Dinge eingegriffen. Allen geistlichen Staaten im Deutschen Reiche wird ein Ende gemacht; die ReichsstädLe verschwinden bis auf sechs: Frankfurt a. M., Nürnberg, Augsburg, Lübeck, Hamburg, Bremen.

Das deutsche Mittelalter ist zu Ende.

Die geistlichen Staaten, dieser Charakterzug mittelalterlicher deutschstaatlicher Herrlichkeit, sind vom deutschen Boden weggefegt, von wenigen betrauert. Ihre Unfähigkeit in politischen Dingen ist für jeden verständigen Beobachter klar. Und den Reichsstädten mit ihrer Kirchturmpolitik und ihrem beschränkten Sondersinn weint wohl selten jemand, der staatlich denken kann, eine Träne nach.

Wenn Preußen auf dem linken Rheinufer Abtretungen hat machen müßen, so gewinnt es dafür in Innerdeutschland das Vierfache seines Verlustes. Napoleon braucht Preußen gegen den deutschen Kaiser, daher diese Politik der Jahre 1803 bis 1805.

Im Mai 1803 beginnt der Krieg Englands gegen Frankreich. Frankreich beseht Hannover. Preußen duldet die Gewaltmaßregeln; es ist ja gesättigt durch den Reichsdeputationshauptschluß. Im August 1805 schließen Engländer, Russen und Oesterreichs die 3. Koalition gegen Napoleon. Preußen bleibt trotz aller Aufforderungen zumAnschlußneutral. Am 2. Dezember gewinnt Napoleon seinen glänzendsten Sieg bei Austerlitz. Und der unselige preußische Diplomat Haugwitz schließt am 15. Dezember mit Napoleon den Vertrag von Schönbrunn, durch welchen Preußen um den Preis von Hannover seinen alten Besitz — Ansbach, Kleve und Neuenburg — hingibt.

Napoleon weiß jetzt, welche Schwächlinge den König von Preußen lenken und leiten, nun geht er gerade auf sein Ziel los, auch den Nachfolger Friedrichs des Großen zum Vasallen des französischen Kaisers herabzuwürdigen. Ohne Preußens Souveränität zu achten, verfügt er über Hannover und andere preußische Landesteile, so daß ein Sturm der Entrüstung die öffentliche Meinung in Preußen aufrührt. Diesem Volkswillen glaubt der König nachgeben zu müssen, er läßt den Krieg erklären in einer Zeit, wo ein Erfolg sehr wenig aussichtsvoll ist. Der Ausgang ist traurig. Preußen verliert im Tilsiter Frieden am 9. Juli 1807 rund die Hälfte seines Gebietes.

Die Reichsstadt Nordhausen wird am 2. August 1802 von Preußen in Besitz genommen.

Mit wenigen Worten haben wir den Hintergrund gezeichnet, von dem sich die Geschichte der Stadt Nordhausen in den Jahren 1802—1806 abhebt. Das Schicksal der freien Reichsstadt ist mit dem Augenblick entschieden, in welchem die Reichsdeputation ihre Tätigkeit beginnt, und am 23. Mai 1802 in Paris ein Vertrag zwischen Frankreich und Preußen über das linke Rheinufer abgeschlossen wird. Lam Artikel 7, Absatz 6 erhält Preußen zur Entschädigung les villes impériales de Muhlhausen, Nordhausen et Gosslar avec leurs territoires.

Die Besitzergreifung der Stadt erfolgt am 2. August desselben Jahres.[1] Die Nachricht, daß die Stadt preußisch wird, ist bereits Mitte Juni hier- hergelangt, offiziell wird sie dem Rat unter dem 24. Juli bekannt. Am 30. Juli 1802 besagt ein Extrablatt den Bürgern folgendes:

„Da nunmehr die gewisse Nachricht eingetroffen, daß mit Anfang künftiger Woche hiesige Stadt durch Königl. Preußische Truppen besetzt werden soll, so wird allen Unsern Bürgern und Einwohnern solches hierdurch bekannt gemacht und ihnen dabei zugleich aufgegeben und bedeutet, sich bei den gegenwärtigen Zeiten friedlich und ruhig zu betragen, die verfügte Einquartierung willig auf zunehmen, allen Streit und Uneinigkeit zu vermeiden und sich so auf- zuführen, daß sie sich keine Klagen und Verantwortung zuziehen.

Der Rat dahier."
*

Das Okkupationsheer hat sich am 16. Juli von Berlin aus in Bewegung gesetzt, am 30. und 31. Juli liegen die Soldaten, 2002 Mann mit 714 Pferden, in Sangerhausen und Wallhausen, am 1. August in Heringen, Rvßla und Kelbra, am 2. August nehmen sie ihre Quartiere in Nordhausen und (ein kleiner Teil) in Bleicherode.

Ein noch nicht gedruckter Brief vom 4. August 1802 (der Bürgermeister Friedr. Daniel Röscher schreibt an den Kommerzienrat Joh. Friedr. Riemann) erzählt über die Besitznahme folgende Einzelheiten:

„Am vergangenen Montag früh um 9 Uhr kam ein Generaladjutant von des Herrn General Grafen von Wartensleben Exzellenz hier an und meldete dem Magistrat, daß ein Korps Kgl. Preuß. Truppen hier einrücken und von der Stadt Besitz nehmen würden und daß Se. Exzellenz nach 10 Uhr Nachfolgen würden. Es wurde daher gleich eine Deputation Sr. Exzellenz entgegengeschickt, welche sehr gnädig ausgenommen und mit der Aeußerung zurückgeschickt wurde, daß Se. Exzellenz gleich nachfolgen und beim Rathause absteigen würden.

Dieses geschah denn auch gegen halb 11 Uhr; es wurden Se. Exzellenz an der Rathaustreppe von den Deputierten, aus dem Rathause aber oben an der Türe von den Bürgermeistern empfangen, in die grüne Stube geführt und daselbst mit einem Dejeuner bewirtet, welches Sie auch sehr gnädig annahmen.

Nach einem kurzen Verweilen verfügten Sie sich in das Ratsregiment, wo alle 3 Räte versammelt waren, und machten daselbst bekannt, daß Sie den Allerhöchsten Auftrag von Sr. Kgl. Majestät von Preußen hätten, von hiesiger Stadt in Allerhöchst, dero Namen Besitz zu nehmen und dem Magistrat von den huldreichsten Gesinnungen Sr. Majestät die Versicherung zu geben.

Gleich hierauf verfügten Sich Se. Exzellenz wieder in die grüne Stube und verlangten, daß das hiesige Militär auf dem Rathaussaale aufgestellt werden möchte. Nachdem solches versammelt war, gingen Se. Exzellenz auf den Saal, sagten dem Herrn Hauptmann (v. Meyeren † 1804), daß Se. Kgl. Majestät ihm fernerhin seinen Gehalt als Pension auszahlen lasten wollten und besahen alsdann die Soldaten. Hernach wurden solche einzeln aufgerufen und um ihr Alter befragt. Als dieses geschehen war, mußten sie das Gewehr präsentieren und strecken. Darauf wurden 4 oder 5 Alte herausgerufen und bekamen ihren Abschied. Von den übrigen wurden je 6 Mann abgeteilt und zu 5 Kompagnien den vorhandenen 5 Unteroffizieren übergeben.

Nach diesem verfügten sich Se. Exzellenz wieder in die grüne Stube und stellten den Bürgermeistern die Herren Zivil-Kommissare in der Person des Herrn Kammergerichtsrats Schulz und des Kriegsrats von Rohr vor und bemerkten dabei, daß diese Herren von Sr. Majestät autorisiert wären, das hiesige Zivilwesen in allen seinen Teilen anzusehen. Wir möchten nicht anstehen, ihnen alles, was sie verlangen würden, vorzulegen. Darauf erwiderte der Herr Kammergerichtsrat Schulz, daß er des Nachmittags um 4 Uhr den ganzen Magistrat auf dem Rathause sich zu versammeln bäte.

Hierauf frugen die Bürgermeister Se. Exzellenz, wann Sie es erlaubten, Sr. Exzellenz Ihre Devotion zu bezeugen. Exzellenz erwiderte hierauf, es wäre Ihr angenehm, die Bürgermeister und die Deputation um 1 Uhr bei sich zu sehen und luden sie sämtlich zur Tafel ein.

Gegen 1 Uhr gingen wir in das Uckermannsche Haus (jetzt Baltzerstraße 5), wo Se. Exzellenz logierten, und wurden sehr gnädig empfangen. Nach abgelegtem Komplimente wollten wir uns wieder empfehlen, allein Se. Exzellenz befahlen nochmals, daß wir Ihnen bei Tafel, welche der Magistrat veranstaltet hatte und welche auch zur Zufriedenheit Sr. Exzellenz ausfiel, Gesellschaft leisten möchten. Da während dieser Unterredung die Tafel aufgetragen wurde, riefen Se. Exzellenz mich bei meinem Charakter (Geheimrat) und ließen mich neben sich zur rechten und Herrn Bürgermeister Weber zur linken Hand setzen und unterhielten sich während der Tafel mit uns beiden. Neben mir saß unser jetziger Herr Kommandant, ein Major vom Regiment Renouard, und neben Herrn Bürgermeister Weber der Herr Major von den Jägern. Die Tafel dauerte bis nach 4 Uhr.

Von derselben ging es nun aufs Rathaus, wo der Herr Kammergerichtsrat Schulz uns seine Instruktion vorlas, die darin bestand, daß zwar der Magistrat noch einstweilen alle seine Geschäfte wie bisher verrichten, aber ihm alle vorrätigen Kassengelder anzeigen sollte. Er werde sie alsdann protokollieren und nebst dem Archiv versiegeln. Wenn alles ausgezeichnet wäre, würde er es dem Magistrate wieder übergeben. Bis zu diesem Zeitpunkte werde er jeden Abend die Regimentsstube und die Stube zur Kämmerei versiegeln. Nachdem die Herren des Rats weggegangen waren, wurde auch alles versiegelt.

Am Dienstag (Vor- und Nachmittag) wurden alle Kasten revidiert und die Gelder im Kämmereikasten gezählt. Die Mahl- und Wachkaste wurde den Deputatis wieder zugestellt und sie für den Bestand verantwortlich gemacht. Der Kämmereikasten aber ward versiegelt. Es heißt, wenn Lohnzeit gehalten wird, soll jedesmal einer von den Herrn Kommistarien dabei sein.

Heute, Mittwoch, ist auch das Konsistorium auf das Rathaus beschieden, um von einem der Herren Sekretäre, welche bei dieser Kommission sind, Bescheid über ferneres Verhalten zu empfangen. Denn der Herr Kammergerichtsrat Schulz ist heute Morgen nach Mühlhausen, Herr Kriegsrat von Rohr aber — nachdem er gestern Nachmittag im Stift St. Crucis alles unter Siegel genommen — nach Kloster Gerode abgereist. Morgen wird er retournieren. Das Rathaus ist an beiden Seiten mit 2 Mann besetzt. Auf dem Rathause stehen ebenfalls 2 Mann Schildwache.

Vor abends 9 Uhr bin ich nicht vom Rathause gekommen. Heute, Mittwoch, ist mein erster Ruhetag. Allem Anschein nach werde ich künftig mehr haben; die neue Verfassung wird für mich keinen Reiz haben.

Röscher[2]




  1. Das seit 100 Jahren im Gymnasium an jedem Morgen gesprochene Gebet der Schüler: custodi urbem hanc Imperialem et in libertate perfetusta serve eam! hat sich dem ehernen Gesetz der Zeit gegenüber unwirksam erwiesen — es war ein srommer Wunsch, über welchen die Tatsachen lächelnd hinwegschreiten.
  2. Friedr. Daniel R., Mitglied der Gewandschneidergilde, Kgl. preußischer Geheimrat, war Bürgermeister von 1798—1802, starb am 1. Juli 1808 im Alter von 73 Jahren. Seine langer als ein Jahrhundert bestandene Firma: „Roschersche Handlung" erlosch am 8. Juli 1808 und ging über auf die Firma Johann Friedrich Riemann. (Siehe Nordhäus. wöch. Nachrichtsblatt, M. Stück v. 11. Juli 1808.)