Frau Holle oder die Weiße Jungfrau, auch Schlüsseljungfrau genannt, in den heimischen Sagen

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Frau Holle oder die weiße Jungfrau, auch Schlüsselfrau genannt, in den heimischen Sagen

Neben dem wilden Jäger steht als weiterer Geist, unter besten Bilde sich unsere Vorfahren zunächst nur gewisse Naturkräfte vorstellten, Frau Holle. Beide Gottheiten sind im Laufe der Zeit so außerordentlich beliebt geworden und waren auch nach Einführung des Christentums noch Jahrhunderte lang so bekannt, daß das Gedächtnis der einstmals neben ihnen stehenden anderen Gottheiten völlig ausgelöscht ward. Alle Eigenschaften weiterer Gottheiten, alle Verehrung, alle Furcht, aller Schauder wurde auf diese beiden Gottheiten übertragen. Sie beide, Wotan, der wilde Jäger, und Frau Holle wurden auch als Lieblingsfabelwesen des Volkes zusammengebracht und als eng zusammengehörend vorgestellt. Das geschieht, indem die Volkssage des Harzes den wilden Jäger begleitet sein läßt von einem Nachtraben oder einer Eule, in die sich Frau Holle verwandelt hatte, und indem sie von der Tut-Ursel raunt, die Wotan begleitet. Der Eule ist also ein onomatopoetischer Name beigelegt, der das hohle Geheul des Nachtvogels oder des Käuzchens kennzeichnen soll.

Mit der Freyja der Mythologie ist Frau Holle nicht zu identifizieren. Doch hat sie sowohl von dieser wie von anderen, geringeren Naturgeistern manche Züge erhalten.

Zunächst ist Frau Holle auch in unserer Heimat Repräsentantin der winterlichen Natur. In Buchholz, Rodishain und anderen Ortschaften war die Frau Holle einst wohlbekannt. Wenn der Winter mit seinem Schneegeflock einzog, hieß es: „Frau Wulle ist gekommen!" Als echte Wetterherrin offenbart sie sich auch in den zwölf Nächten. Sie bestimmt in diesen Tagen das Wetter und damit das Wetter des ganzen Jahres. Ist nämlich das Wetter von Weihnachten bis zum Dreikönigstage schlecht, dann bekommt das kommende Jahr gutes Wetter und umgekehrt. Am Sylvesterabend zwischen 9 und 10 Uhr fährt Frau Holle durch die Ortschaften mit einem Wagen voll Geschenken unter lautem Peitschenknall. Vielleicht rührt es von diesem Glauben her, wenn noch heute die jungen Burschen in vielen unserer Ortschaften das neue Jahr mit Peitschenknallen begrüßen. Besonders heilig ist der Frau Holle der letzte der zwölf Tage. An diesem Frau-Holle-Abend war es deshalb früher in Lerbach Sitte, daß eine mit einem weißen Laken überhängte Gestalt von Haus zu Haus ging und folgenden Vers sprach:

„So manches Haar in der Wocken,
So manches Unglück in der Wochen,
So manches Haar,
So manches böse Jahr."

Danach beschenkt die Frau Holle Leute, die treu ihre Pflicht getan hatten, mit Geld oder kleinen Gaben.

Doch ist Frau Holles Tätigkeit in unserer Heimat keineswegs aus die Winterzeit beschränkt. Sie erfreut sich einer derartigen Beliebtheit, daß sie Leben und Weben auch anderer Naturdämonen mit sich vereint hat. So erscheint sie auch als Sommersee, als Erntedämon, der den Menschen verbietet, unter Mittag auf dem Feld zu arbeiten, wie die schon oben erwähnte Haferunger Sage zeigt. Allgemein bekannt war früher auch in unserer Gegend die Sitte, auf dem sonst abgemähten Felde einige Halme als Crnte- opser sür Frau Holle stehen zu lassen. In der Göttinger Gegend band man diese stehengebliebenen Halme oben zusammen und sprach dabei: „Dat is vor Fru Holle."

Nicht häufig zeigt nun aber Frau Holle nicht ihre ursprünglichen Eigenschaften als Naturgeist, sondern sie offenbart sich schlechthin als weibliche Gottheit. Nicht auf das Treiben der Männer und jungen Burschen achtet sie, sondern auf Frauen und Mägdelein. Im ganzen Harz geht die Sage, daß sie im Winter abends in die Fenster schaut, ob noch Licht brennt. Früher achtete sie vor allem auch daraus, daß beim Spinnen der Mädchen alles ordnungsgemäß zuging. Fleißige Mädchen beschenkte sie, unfleißige erlitten allerlei Schaden. In Oberdorf zog sie nach ihrem Feiertage, dem 12., wie er einfach hieß, lobend und tadelnd in den Spinnstuben herum. Die Spinnräder muhten bei ihrem ersten Kommen gefüllte Wocken haben; wenn sie dann wiederkam, muhten sie abgesponnen sein. In Mitteldorf erschien Frau Holle als übernatürlich große Frau im weihen Kleid in der Spinnstube. Auch in Scharzfeld weih man zu erzählen, daß sie braven, tüchtigen Spinnerinnen gern Geschenke bringt, daß sie faulen dagegen den Flachs verknotet oder beschmutzt. Wenn sie aber auch darauf bedacht ist, daß tüchtig gearbeitet wird, so wünscht sie doch auch die rechte Feiertagsruhe. Wehe, wer deshalb in den zwölf heiligen Tagen arbeitet. Da wird das Garn ungleich, die dann gesponnene Leinwand hält nicht lange, den in diesen Tagen über Gebühr betreuten Kühen geht es schlimm, sie geben Blut statt Milch.