Die Franzosen im Kloster Ilfeld nach der Schlacht bei Jena

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Seit dem Dreißigjährigen Kriege ist nur noch einmal ein kriegerisches Unwetter über das Pädagogium Ilfeld dahingefahren: am 18. und 19. Oktober 1806 haben die Sieger von Jena und Auerstedt den Flecken und das Kloster Ilfeld geplündert, als sie den von Nordhausen aus quer durch den Harz über Hasselfelde in der Richtung nach Magdeburg fliehenden, von Graf Kalkreuth befehligten Teil des geschlagenen preußischen Heeres verfolgten.

Einzelheiten darüber, wie die Franzosen im Kloster gehaust, waren bisher fast unbekannt. Ein glücklicher Zufall hat mich im Sommer 1908 auf eine Anzahl Schriftstücke geführt, die für das vorliegende kleine Gebiet den Wert von Quellen ersten Ranges besitzen. Noch Ende 1806 haben die meisten der damaligen Lehrer des Pädagogiums an den Geheimen Justizrat Prof. Dr. Christian Gottlob Heyne in Göttingen, der seit 1770 von der Regierung in Hannover mit der Aufsicht über die Ilfelder Schule betraut war, Briefe und dienstliche Berichte gesandt, um dem hohen Herrn ihre Erlebnisse in der Woche nach der Schlacht bei Jena zu erzählen. Soweit diese Berichte in Heynes Nachlaß gefunden sind, gehören sie jetzt der Königlichen Universitäts-Bibliothek zu Göttingen und bilden in den Codices manuscripti Heyne den Schluß der Nummer 109, (Ufelder Schulsachen 1806), Blatt 43—73. Mit Wissen der Göttinger Bibliothek, der ich für die Übersendung zahlreicher Heyniana auch hier aufrichtig danke, erfolgt jetzt die Veröffentlichung.

Der Leser wird im Nachstehenden unter I eine kurze Tabelle zur Einführung in die Ilfelder Schreckenstage finden; unter II den Wortlaut der an Heyne dienstlich gesandten und von ihm aufbewahrten Manuskripte (nebst Erläuterungen); unter HI das Hauptsächliche aus einem schon vor fast hundert Jahren gedruckten, auch von einem Klosterlehrer verfaßten Berichte, der besonders von der Heimsuchung des Fleckens handelt und in diesem Zusammenhänge aufs neue mitgeteilt zu werden verdient; endlich unter IV einige Schlußbemerkungen.

I. Tabelle zur Einführung in den Zusammenhang.[1]

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Dienstag, 14. Oktober 1806.

Siege der Franzosen über die verbündeten preußischen und sächsischen Heere bei Jena und Auerstedt. Die schon auf dem Schlachtfelde zersprengte Armee des Fürsten Hohenlohe zieht sich in einzelnen Abteilungen auf Weimar und Buttelstedt zurück.

Mittwoch, 15. Oktober.

König Friedrich Wilhelm III. 7 Uhr Morgens nach 14stündigem Ritt mit General von Blücher und Major von dem Knesebeck in Sömmerda. Im Pfarrhause zu Sömmerda sein durch Graf Dönhoff nach Weimar überbrachter Brief an Napoleon, dem er einen Waffenstillstand vorschlägt; dann sein Aufbruch nach Sondershausen.

Die Infanterie-Division Wartensleben erreicht am späten Abend, um Mitternacht, bereits Nordhausen.

Am Abend Fürst Hohenlohe in Sondershausen, Graf Kalkreuth in Sömmerda. Das IV. französische Korps (Marschall Soult) bei Buttelstedt, das VI. französische Korps (Marschall Ney) vor Erfurt.

Donnerstag, 16. Oktober.

Friedrich Wilhelm HI. um 9 Uhr Vormittags in Sondershausen (Zusammenkunft mit Hohenlohe), reist um 11 ab (über Nordhausen und Ellrich) nach Magdeburg.

Fürst Hohenlohe am Nachmittag in Nordhausen, mit etwa 10000 Mann, darunter vielen Versprengten, die er bei Sondershausen gesammelt hatte.

Graf Kalkreuths nutzlose Verhandlungen mit dem französischen General Klein in Weißensee. Gegen solche erklärt sich mannhaft der Führer der Arrieregarde, Prinz August von Preußen, Bruder des bei Saalfeld gefallenen Prinzen Louis Ferdinand.

Die Division Wartensleben am Abend in Benneckenstein.

Graf Kalkreuth erst in der Nacht in Sondershausen.

Freitag, 17. Oktober.

Als Prinz August mit seinen drei Grenadier-Bataillonen, den Weimarschen Jägern und 270 Reitern, den Überresten dreier Kavallerie-Regimenter, um Morgens Sondershausen, erreichte, war Graf Kalkreuth von dort schon wieder abgerückt. — Grund dieser Übereilung: in Sondershausen war ein für den König bestimmtes Schreiben des Grafen Dönhoff geöffnet, wonach Napoleon nicht Waffenstillstand schließen, sondern die erlangten Vorteile rücksichtslos ausnutzen wollte.

Beim Einrücken der Kalkreuthschen Kolonne in Nordhausen (kurz vor Mittag) war die Stadt von den Hohenloheschen Truppen schon verlassen. Gegen 1 Uhr erreichte die Arrieregarde das Gros in Nordhausen wieder.

Dem Grafen Kalkreuth stellte im Auftrage des Fürsten Hohenlohe der Oberst von Scharnhorst vier Straßen für den weiteren Rückzug nach Magdeburg zur Verfügung.

Graf Kalkreuth entschied sich für den Weg über Ilfeld und Hasselfelde nach Blankenburg, den die Bagage schon eingeschlagen hatte. Gegen Abend, etwa um 3/26, sollte der Marsch fortgesetzt werden; aber der Nachmittag brachte anstatt der ersehnten Ruhe ein Gefecht.

Um 2 Uhr hörte man in Nordhausen von Süden her Kanonendonner. Vier leichte So ult sehe Kavallerie-Regimenter, von Artillerie begleitet, hatten ihren Auftrag, mit dem Gegner Fühlung zu behalten, erfüllt und trieben die noch hinter der Kalkreuthschen Abteilung befindliche preußische Arrieregarde, Füsiliere des Generals von Oswald, vor sich her. Auf den Feldern südlich von Nordhausen biwakierten Blüchersche Kavallerie, die reitende Batterie Schorlemer und Weimarsche Jäger. Diese nahmen die fliehenden Oswald-schen Füsiliere auf, und nun entspann sich für die preußischen Truppen in und um Nordhausen ein Rückzugsgefecht.

Prinz August, dessen eben erst in die Stadt eingerückte Truppen noch nicht auseinandergegangen waren, besetzte mit seinen Leuten die Südlisiere von Nordhausen und die dortige Brücke über die etwa knietiefe Zorge (Siechenbrücke); das Gros der Kalkreuthschen Infanterie nahm nördlich der Stadt, insbesondere auf den Anhöhen östlich der Zorge bis über Crimderode hinaus, eine Verteidigungs- und Aufnahmestellung ein.

Zwei Stunden währte es, bis Nordhausen nach lebhaftem Gefecht von den Franzosen genommen und Blücher bis hinter die Infanterie (vermutlich zwischen Crimderode und Niedersachswerfen) zurückgegangen war. — 300 Mann gerieten bei diesem Gefechte in französische Gefangenschaft; Soult erbeutete zwei Geschütze und in der Stadt bedeutende Getreide-, Mehl-, Heu- und Hafer-Magazine, auch eine Königliche Kasse, die ungeleert zurückgelassen war.

Oberst von Scharnhorst, der am Mittag den Major von Hopfner mit allen dem Heere noch verbliebenen zwölfpfündigen Batterien, etwa 35 Geschützen, über Ellrich nach Scharzfeld vorausgesandt hatte, wartete selbst in Nordhausen auf eine Kavallerie-Bedeckung für seine Artillerie-Kolonne, als das Gefecht begann. Als die erwartete Bedeckung ausblieb, bat er nach dem Gefechte den General von Blücher dringend, mit seinen Truppen (es war außer seiner Kavallerie noch eine Hälfte des Grenadier-Bataillons Rabiel) den Schutz der Artillerie-Kolonne zu übernehmen. So sind denn die beiden für unser Vaterland so hoch bedeutenden Männer, von den Franzosen heftig verfolgt, am Abend des 17. Oktober mit einer nicht starken Bedeckung über Woffleben und Ellrich der Artillerie nachgeeilt; ihr Marschquartier Scharzfeld haben sie erst gegen Morgen erreicht.

Fürst Hohenlohe hatte während des Kampfes bei Nordhausen mit seinen Truppen bei Petersdorf gestanden. Als er nach dessen Beendigung durch eine Offizierpatrouille Meldung erhielt, die im Gefecht gewesenen Truppen seien Zorge- und Bähre-aufwärts abgezogen, trat auch er den Rückzug an und ließ seine Leute vor Stolberg, das sie gegen 10 Uhr Abends erreichten, biwakieren. Am folgenden Tage hat er sie unangefochten nach Quedlinburg geführt.

Höchst verderblich aber (einiges Nähere s. unter IH) gestaltete sich nach dem Gefecht bei Nordhausen der Nachtmarsch für die seit 36 Stunden kaum zu kurzer Ruhe gekommene Kalkreuthsche Abteilung. Einige Truppenteile davon, die bei dem Drängen des Feindes von Niedersachswerfen aus nordwestlich auf Benneckenstein zurückgingen, kamen in der Nacht sehr auseinander; schlimmer aber noch das Gros, das von Ilfeld aus in der Nacht durch das Bähre-, Brandesbach- und Tote-mannstal Birkenmoor, sodann Stiege und Hasselfelde zu erreichen bemüht war.

Die Verfolger dieser Kalkreuthschen Kolonne haben von Sonnabend, 18. Oktober, Morgens ab zwei Tage Ilfeld heimgesucht.

  1. Im wesentlichen nach von Lettow-Vorbeck, Der Krieg von 1806 und 1807; II, 1—142. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1892.