Zur Einweihung der St. Blasii-Kirche in Nordhausen am 31. Oktober 1949

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Vorwort

Am Reformationstag 1949 steht die St. Blasii-Kirdie wieder bereit zur Verkündigung und zur Anbetung, und sie wird dazu drei bisher selbständige Gemeinden in sich zu neuer Einheit sammeln. An dem Tage ihrer Neueinweihung kann uns nur Dank erfüllen, Dank gegen den lebendigen Gott, dessen Führen in der Geschichte dieser Kirche deutlich wird, und von dessen gnadenvollem Bewahren in der inneren und äußeren Not der Jahre um 1945 dieser ehrwürdige Bau ein Zeugnis ist.

In solcher Dankbarkeit lassen wir uns durch dieses Büchlein hineinführen in das neu bereitete Gotteshaus und wollen dem betrachtenden Wort des langjährigen Pfarrers dieser Kirche lauschen, dessen Besonnenheit und nimmermüde Tatkraft die Wiederherstellungsarbeiten so bald nach der Zerstörung beginnen und zum Abschluß bringen ließ. Die Denkmäler und Symbole dieses Gotteshauses, der Dienst seiner Orgel und vor allem das Bildwerk seiner Fenster reden zu uns von dem Geheimnis des dreieinigen Gottes, von seiner Menschwerdung, von seinem Leiden, von seinem Leben, Regieren und Richten, und selbst noch im Gemäuer seiner toten Steine ist es uns ein Abbild des Gefüges der Kirche Jesu Christi, seines die Welt umfassenden Planes und unseres ewigen Heils.

In solcher Dankbarkeit trifft uns aufrüttelnd Gottes mahnender Ruf: „Ihr aber, als die lebendigen Steine, bauet euch zum geistlichen Hause und zum heiligen Priestertum.“ (1. Petr. 2)

Unser Dank, wenn er echt ist, muß zu dem Gebet werden: Gott schenke es der Gemeinde St. Blasii-Petri in seiner Barmherzigkeit, daß diese ihre Kirche zu einem Orte werde, da es allein um seine Ehre geht; und die sich hier um den in Wort und Sakrament gegenwärtigen Herrn Jesus Christus Sammelnden füge er zu einer Gemeinde, die „mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung“ in dieser vergehenden Welt bezeugt, daß sie lebendige Hoffnung hat für die Armen und Bedrängten, Trostlosen und Mühseligen, weil sie auf den wartet, dessen Reich kein Ende hat.

So möge der Dank dieses Tages das Leben der Gemeinde selbst gestalten zum Lobe dessen, dem dieser Bau neu geweiht ist.

Führ,
Propst nnd Pfarrer der St. Blasii-Petri-Gemeinde.

„Alles vergehet“

In den Chroniken unserer tausendjährigen Stadt Nordhausen finden wir die Aufzählung einer stattlichen Zahl von Kirchen, die heute kaum noch bekannt sind. Wer weiß noch etwas von der Hospitalkirche St. Martini mit ihrem hohen Turm, dessen Pyramide von kleinen Ecktürmchen umgeben war und 1833 abgebrochen wurde? Am Domberge stand das Hospital St. Elisabeth mit einer im Jahre 1828 niedergerissenen Kapelle. Beim Brande am 21. August 1612 wurde die Kapelle des Hospitals St. Georg — Ecke Kornmarkt und Töpferstraße — ein Raub der Flammen. Hier soll Luther, der wiederholt in Nordhausen war, gepredigt haben. Die Spendekirche beim Spendekirchhof trug ihren Namen nach einer alljährlich daselbst verteilten Armenspeisung. Heute tummeln sich auf dem Spendekirchhof die Kinder im munteren Spiel und ahnen kaum mehr, daß sie sich in der Umgebung einer früheren Kapelle und auf dem Gelände einer ehemaligen Begräbnisstätte der Nicolai- und Blasiigemeinde befinden.

Über den Ruinen unserer Stadt steht es unsichtbar für den besinnlichen Wanderer und Kenner geschrieben: „Alles vergehet“. Wie lange wird es währen, und es wissen nicht mehr viele die Stätten, an denen unsere Kirchen standen, die am 4. April 1945 beim Bombenangriff zerstört wurden!

Wir hatten hier gepflegte evangelische Kirchen. Wer denkt von uns Älteren nicht mit Wehmut an das schöne Geläut, das kurz vor der Tausendjahrfeier 1927 so ergänzt wurde, daß jede der sechs evangelischen Kirchen ein Dreigeläute hatte? Die achtzehn Glocken waren auf H-Dur abgestimmt. Auch unsere Orgeln konnten sich hören lassen. Alle Typen der Orgelbaukunst waren vertreten, von der Konzertorgel bis zur reinen Barockorgel. Jede Kirchengemeinde hatte ihren Gemeindesaal, von denen vier nach 1925 neu errichtet oder erworben wurden. Sie dienten dem kirchlichen Unterricht, den Versammlungen der regen Frauenhilfen und Mütterkreise, der Jugend und den Kirchenchören. Hier wurde Gottes Wort ausgelegt, die Gestaltung des Gemeindelebens beraten, Wege christlicher Nächstenliebe wurden tatkräftig und vorbildlich beschritten.

„Alles vergehet“, so kündet es der einsam gen Himmel ragende Stumpf der Jacobikirche, die mit allen benachbarten Gemeinderäumen, auch mit der früheren Lateinschule, den Bomben zum Opfer gefallen ist. Diese Kirche war die jüngste unter ihren Nordhäuser Schwesterkirchen, vollendet im Jahre 1749 nach Abbruch des alten Gotteshauses unter ihrem Pfarrer Fr. Chr. L e s s e r, dem bedeutenden Chronisten unserer Stadt. Wenn wir auf dem jetzt kahlen Rähmen stehen, liegen die Ruinen der Frauenberger Kirche in unserem Blickfeld. Sie nahm unter ihren Nordhäuser Schwestern eine Sonderstellung ein. In ihrer romanischen Stilreinheit mit der Form der alten Basilika war sie ein Schmuckkästlein. Nach ihrer sehr starken Beschädigung grüßte noch einige Wochen den von der Neustadtstraße her Kommenden über alle Vergänglichkeit hinaus im Triumpfbogen der Spruch: „Gott ist Liebe.“ Ob wir dieses Gotteshaus in seiner ursprünglichen Form, wie es Absicht und Wille ist, wieder aufbauen können?

Nicht mehr erstehen wird die Marktkirche, auch Nicolaikirche genannt. Sie war bis 1945 unsere Hauptkirche und birgt die Gebeine der Eltern des Justus Jonas, des Freundes Luthers.

Die Petrigemeinde beklagt als Opfer des Bombenangriffes ihren hochangesehenen Pfarrer Johannes L i p p e r t, der über 25 Jahre im Segen hier wirkte. Mit seiner Frau und seiner einzigen Tochter und deren drei Kindern fand er im Keller des Pfarrhauses am Katastrophentage unserer Stadt den qualvollen Tod des Verbrennens. Wie bei der Frauenberger- und Jacobigemeinde sind auch hier alle kirchlichen Gebäude gänzlich zerstört oder sehr stark beschädigt. Von der Petrikirche stehen an Mauerresten im wesentlichen der Hohe Chor mit anschließender Sakristei, die nach unserer Planung als Raum für die kirchliche Jugendarbeit eingerichtet werden soll. Der Turmunterbau ragt ohne die früher als Wahrzeichen und von fernher richtunggebende, weithin sichtbare Spitze mahnend gen Himmel. Mit geringen Beschädigungen ist die Altendorfer Kirche davongekommen.

Wir wenden uns dem Geschick und der Geschichte unserer Blasiikirchc zu. Ihre beiden Türme, die durch eine Brücke (der höchsten Brücke unserer Stadt!) verbunden sind, werden nunmehr mit denen des benachbarten katholischen Domes Wahrzeichen der Stadt Nordhausen sein. Nach der Chronik Kindervaters war der niedere Turm dem anderen an Höhe gleich und vor Menschengedenken vom Donner heruntergeschlagen worden Nach der genannten Chronik redet uns der kleinere Turm mahnend also an.

„Daß ich so niedrig bin, ist nicht des Bauens Schuld,
Weil ich an Höhe dem, der bei mir steht, sonst gleichte:
Der Donner schlug mich ab; doch weil des Höchsten Huld
Auch mitten in der Not sich augenscheinlich zeigte,
So blieb mein Nachbar stehn. Ich wurde ruiniert
Und bin nach dieser Zeit nicht wieder aufgeführt.
Hinfüro sehe man mich als ein Beispiel an
des, was vor andern ist erhaben und erhöhet
Immassen es der Sturm viel eher treffen kann
Als das, was niedrig ist und in der Tiefe stehet.
Denn wenn der Donner oft in hohe Gipfel fährt,
So bleibt der niedre Strauch oft unversehrt.“

Auch der hohe Turm hat wiederholt in Gefahr gestanden, sehr ernst am 24. April 1624 mittags um 12 Uhr, als „ein starkes Donnerwetter entstund und binnen einer Stunde in einen der Türme an der hiesigen Domkirche, in den Turm der Kirche Petri und in den hohen Turm der St. Blasiikirche schlug.“ Die Feuersbrünste 1710 und 1712 hat er mit seinem kleinen Bruder und mit dem gesamten Kirchenraum überdauert, so daß in den Turmräumen nach der Feuersbrunst im Jahre 1710 der Türmer und Hausmann von der Marktkirche in den Blasiikirchturm übersiedeln und von hier seinen Wächterdienst bis zum Jahre 1895 versehen konnte. Die Witwe des letzten Wächters, Frau Luise Gerlach, wurde im Jahre 1943 hochbetagt bestattet.

Wie dankbar müssen wir sein, daß diese beiden Türme mit ihren Glocken als Zeugen der Vergangenheit auch im Jahre 1945 erhalten geblieben sind. Alle Chronisten geben vier Glocken an. Die sogenannte Stimmglocke, die durch drei Schläge in drei Pulsen den Mittag anzeigte und beim Vaterunser angeschlagen wurde, ist im Jahre 1917, im ersten Weltkrieg, abgegeben worden. Ihre Nachfolgerin, im Jahre 1927 beschafft, mußte im zweiten Weltkrieg denselben Weg gehen. Der niedere Turm enthält die Fis-Glocke mit der schönen Inschrift „Sabbata pango. — funera plango. — noxia frango. — Excito lentos. — paco cruentos. — dissipo ventos. — (Ich schlage die Sabbattage an, ich beklage die Bestattungen, ich breche das Schädliche (die Blitze), ich treibe die Langsamen an, ich beschwichtige die Grausamen, ich zerstreue die Winde.) Durchmesser: 1,28 m. Diese Glocke stammt aus dem 14. Jahrhundert. Die größte Glocke mit einem Durchmesser von 1,58 m hat mit römischen Zahlen die Angabe 1488 und trägt Bildwerke durch Einritzen in den Mantel: Kreuzigungsgruppe, St. Andreas, St. Blasius, einen Krüppel b schenkend, und St. Martin. Um den Hals Minuskelinschrift: maria - sanctus blasius — andreas — martinus, bet‘ vor uns. Im Turmhelm be findet sich das kleine Glöckchen („Seigerglöddein"), gegossen 1426, mit dem Durchmesser von 0,70 m, das weithin hörbar die Viertelstunden schlägt. Nach der Zerstörung des Geläutes auf dem Petrikirchturm ist dort das traditionelle Abendläuten um 8 Uhr verstummt und übernommen von der mittleren Glocke der Blasiikirdie um 6 Uhr abends. Die Altendorfer Kirche ist diesem Beispiel bald gefolgt. — Drei Schüler vor allem Walter Knorr, der inzwischen verunglückte Sohn unseres früheren Organisten Erich Knorr, haben von sich aus die Anregung zu diesem neuen Abendläuten gegeben und einige Monate selbst die Glocke zum Schwingen und Klingen gebracht.

Bei jeder Restaurierung geht trotz aller Sorgfalt ein Teil der Einrichtung verloren, oder er unterliegt Veränderungen. Diesmal sind die Verluste oder Veränderungen durch die Zerstörungen bedingt. Von der großen Zahl der Epitaphien, die Kindervater in «einer Chronik aufführt, sind seit Jahrzehnten nur noch einige hinter dem Altar zu sehen. Einen unersetzlichen Verlust haben wir dadurch erlitten, daß das Epitaphium für den Bürgermeister Michael Meyenburg von Cranach d. J. und das Epitaphium für Michael Meyenburgs erste Frau (Ecce homo) von Cranach d. Ä. an dem Orte ihrer Sicherstellung restlos verbrannt sind. Das Epitaphium des Cyriakus Ernst (gest. 17. Juni 1585) ist erhalten. Südlich der Orgel sehen wir diese Renaissance-Holzschnitzerei mit Darstellungen der heiligen Geschichte von der Verkündigung bis zur Himmelfahrt. Die Gestalt des Heilandes stand ehemals frei vor diesem Relief; sie ist abhanden gekommen. Unterhalb des Mittelbildes Ernst und seine Familie knieend. In der Architektur verteilt die vier Kardinaltugenden.

Die Figuren des früheren Hochaltars werden zu gegebener Zeit im Hohen Chor ihre Aufstellung finden. Die Kanzel wird einer Restaurierung unterzogen werden. Sie wurde im Oktober 1592 gesetzt als Stiftung von Cyriax Ernst, dem späteren Bürgermeister. Als erste Amtshandlung wurde von ihr aus die Traurede für den nicht mehr bekannten Verfertiger gehalten. Getragen wird dieses Werk der Spätrenaissance von einer bärtigen Männergestalt. Nach Förstemann, der auf Lessers Chronik zurückgeht, sollen wir hier die Wiedergabe Abrahams haben, wie er seinen Sohn Isaak opfert. Andere Chronisten sprechen von einem bärtigen Krieger mit einem Schild in der Hand. Wieder andere von Moses. Dieser Darstellung sind wir gefolgt und haben die Gesetzestafeln mit den zehn Geboten zugefügt. Die Kanzelbrüstung zeigt Reliefs, getrennt durch Pilaster, an denen die Figuren