Nordhausen und Umgegend im Jahre 1848

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Vorwort

Nach einem von mir über die deutsche Bewegung von 1848/49 gehaltenen Vortrage wurde ich aufgefordert, die Ereignisse des unruhigen Jahres in Nordhausen selbst zusammenzustellen. Die Ausführung dieses Wunsches war nicht leicht, da die amtlichen Quellen spärlich fließen, die Zeitungen sehr wenig bringen, eine Einzelschrift nicht vorhanden, bzw. vergriffen ist und von Zeitgenossen nur eine kleine Zahl noch am Leben ist. Trotzdem machte ich mich ans Werk. Die Herstellung von Bildern von der damaligen Stadt war zeitraubend. Doch „Es wächst der Mensch mit seinen größeren Zwecken“. Als ich die Geschichte der Stadt Nordhausen behandelt hatte, wollte ich die Begebenheiten in der Umgegend im Jahre 1848 kennen lernen und nahm sie dazu. So verzögerte sich die Herausgabe des Werkchens. Nunmehr liegt es fertig vor.

Zwar sind die Namen der Männer, die 1848 ein einiges Deutschland auf friedlichem Wege herzustellen versuchten, verblaßt durch die glorreicheren derer, welche das Ziel 1866-1871 nach großen Kriegen erreicht haben; um so mehr lohnt es sich, uns die leitenden Männer jener Zeit aus unserer Stadt vorzuführen, denen die von 70 kaum an die Seite zu stellen sind. Denn Nordhausen weist 1848 eine ganze Reihe hervorragender Männer aus, und mancher der jetzt Lebenden wird mit den an den damaligen Ereignissen Beteiligten Beziehungen finden, in manchem wird bei den Ansichten von Alt-Nordhausen eine liebe Erinnerung aufsteigen.

Glaube ich daher, für den Gegenstand meiner Geschichte eine günstige Aufnahme zu finden, so bitte ich für die Art der Darstellung um gütige Nachsicht. Jedenfalls tröste ich mich mit dem Gedanken: Ich selbst habe an dem Schaffen meiner Schrift die größte Freude gehabt.

In diesem Gefühl sage ich noch denen, die mich durch Rat und Tat unterstützt haben, meinen verbindlichsten Dank.

Der Verfasser.

Umfang und Größe der Stadt Nordhausen im Jahre 1848

Der Umfang von Nordhausen im Jahre 1848, also vor 60 Jahren, war durch die alten Stadtmauern, die wir zum großen Teil noch heute sehen, bestimmt. Durch diese Mauern führten damals folgende Tore:

  1. Das Hagentor, ein Durchgang, 1876 abgerissen.
  2. Das Töpfertor, der Zwinger 1837 abgerissen, der Rest 1872.
  3. Das Bielentor, 1852 abgebrochen.
  4. Das Sundhäusertor, 1851 abgebrochen.
  5. Das Grimmeltor, 1892 abgebrochen.
  6. Das Siechentor, 1858 beseitigt.
  7. Das ansehnlichste, das Barfüßertor, 1873 abgerissen.
  8. Das Altentor, als Hinterfront des Hauses Salzaer-Straße (noch heute zu sehen, abgebrochen 1858. (6 Bilder der Tore).

Das Altendorf, vor 1230 gegründet und ehemals durch Pfahlwerk, nicht durch Mauern geschützt, lag außerhalb der Stadtmauer wie auch sein Tor (Gesamt-Ansicht). Außerdem lagen außerhalb der Stadtmauer 1848 folgende Häuser:

  1. Vor dem Hagentor: Spangenbergs Brauerei und Hagens Bierstube, „der Sarg“ genannt. „Die Hoffnung", damals Lux (siehe Bild). Trusts Berggarten.
  2. Vor dem Töpfertor: Mehrere kleinere Häuser. Das Schencksche Haus (Bild), von Danowskys Haus, jetzt „Hotel Gründler". Das Botenschildchen, schon damals Haus mit Wohnungen für kleinere Leute. Die Gärtnerei von Döring.
  3. Vor dem Bielentor: Das Schützenhaus. Weinberg (Schankwirtschaft, später Dr. Seiffart). Das Militärlazarett.
  4. Vor dem Sundhäuser Tor: Engelhardt, jetzt „Dresdener Hof" (alte Post). Förstemanns Grundstück.
  5. Vor dem Grimmeltor: 3 Linden. Mehrere kleinere Häuser.
  6. Vor dem Siechentor: Der Siechhof mit der Kirche St. Tyriaci. Die Landwehrschenke.
  7. Vor dem Barfüßertor: Das Altendorf.
  8. Vor dem Altentor: Der Lorbeerbaum (Bohnhardt) (Bild). Kahlenbergs Ziegelei, damals Diedelt. Die Rotleimmühle, uralt. Kaisers Kuchengarten (später Schmidt, dann Neuer Garten). Das Thausseehaus. Reichenbachs Gartenhaus, später Wilhelmshöhe. Riekehrs Gartenhaus.

Ferner lagen außerhalb der Stadtmauer: in der Gumpe die Abdeckerei, auf dem Gehegeplatz die Gehegebuden, auf der Stolberger Straße die schöne Aussicht, früher Ansageposten für Steuerbares, die Zichorienmühle, früher eine Windmühle. Wiederholds Holzhof. Auf der Leipziger (jetzt Halleschen) Chaussee der Hammer, damals eine Broihanbrauerei von Kindervater. Beltz Ölmühle und einige kleine Häuser, Bösels Gärtnerei.

An der Salza lagen 1848 schon: Hüpedens Garten, verderbt genannt Hüpchens Garten, die Furthmühle, die Gehöfte von Krause und Herbst, die Kuttelmühle, Häuser von Schreiber & Sohn, die Wertherbrückenmühle und einige kleine Häuser (s. Gesamtbild).

Das Territorium der Stadt Nordhausen wurde und wird noch heute bezeichnet durch 4 Grenzsteine, 1. am Kuhberg, 2. am Zorgesteg, 3. bei Leimbach, 4 auf der Höhe vor Petersdorf. Im ganzen sind noch 12 solcher Grenzsteine vorhanden, einige sind umgestürzt, einer dient als Bachübergang. Wer, wie es der Verfasser getan, das Landgebiet umgehen will, wird 4½ Stunde brauchen, es beträgt 41 Hektar.

Die Stadt zählte 1848 etwas über 13 000 Einwohner, heute hat sie über 31 000.

Folgende Straßenviertel fehlten also 1848: Sedanstraße bis Ammerberg und Neumarktviertel. Spiegelviertel. Viertel zwischen Stolberger Straße und Geiersberg. Häuser vor dem Altentor. Grimmelallee und Siechentorviertel. Bahnhofsviertel. Stadtteil jenseits der Sundhäuser Brücke. Quartier vor der Halleschen Straße.

Nordhausens Lage

Die Lage Nordhausens, im Kreuzungspunkte mehrerer Landstraßen und Eisenbahnen, am Eingangstor zur „goldenen Aue", ist nicht nur günstig, sondern auch schön und gewährt, besonders wenn man sich der Stadt von Südwesten, vom Schern herab, nähert, einen herrlichen Anblick. Im weiten Umkreise, doch mit dem bloßen Auge genau zu erkennen, umgeben die Stadt bewaldete Gebirge, deren Kuppen mit Denkmälern, Schlössern und Türmen gekrönt sind. Flüßchen, die Mühlen treiben, durchziehen wie Silberfäden die dazwischen liegenden lachenden Fluren. Die alte Stadt selbst hat stolz Besitz genommen von einem die Ebene beherrschenden Höhenrücken, an dem die jüngern Stadtteile vertrauensvoll sich anlehnen. Die mittelalterliche Stadtmauer, dem Auge noch deutlich sichtbar, ruft mit ihren starken Türmen und festen Bastionen die geschichtliche Vergangenheit der Stadt in uns zurück, erinnert an ihre Selbständigkeit, die Kriege und Belagerungen lange nicht gebrochen haben. Die zahlreichen alten Kirchtürme rufen uns ihr geistiges Leben im Mittelalter ins Gedächtnis, zugleich zeigen sie die historische Entwickelung der Stadt. Kein Geringerer als Goethe hat auf der „Harzreise im Winter" seiner Bewunderung über die hoch und auf dem Berge liegende Stadt Ausdruck gegeben. „Ihn interessierten die wunderlichen Türme und Mauerbefestigungen, bei hereinbrechender Abenddämmerung gesehen". „Ihn erfreute auch die schöne Aussicht aus die goldene Aue". Er ist am 30. November 1777 auf der Reise zum Brocken an Nordhausen vorübergeritten „bey Nordhausen weg", und hat in Ilfeld in Hebestreits Gasthof übernachtet. Zum Andenken daran ist s. Zt. vom Nordhäuser Geschichtsverein eine Tafel angebracht worden. Als Wahrzeichen Nordhausens tritt der etwas nach Westen sich neigende behelmte Petrikirchturm hervor, mit 60 Metern der höchste Turm der Stadt. Er ladet uns gleichsam zum Näherkommen ein.

Das innere der Stadt 1848

Indem wir uns der Stadt zuwenden, verlassen wir die Anhöhe im Süd-Westen, auf der eine Windmühle ihre Flügel dreht, und kommen an einigen Wassermühlen an der Salza vorüber, deren Räder wir klappern hören. Sie bestehen wohl schon seit der Gründung der Stadt und obwohl die Gebäude manchmal von grimmer Feindeshand zerstört sind, haben sie doch im Laufe der Jahrhunderte Pfaffen und Laien, Rittern und Knechten, Bürgern und Bauern, Männlein und Weiblein die Frucht des Halmes zum alle ernährenden Brote gemahlen. Wir lassen den Siechenhof St. Cyriaci, der einst durch Nordhäuser Bürger zur Unterbringung Kranker (Aussätziger) gegründet worden ist, links liegen und überschreiten auf der steinernen Siechhofsbrücke die Zorge. Die Mauertürme der Stadt treten jetzt deutlich hervor, sie sind teils viereckig, teils rund gebaut, teils mit Schiefer, teils mit Ziegeln gedeckt, je nach dem Alter teils aus Fachwerk, teils massiv hergestellt, einige sind noch bewohnt. Über dem Toreingang ist die Wohnung des Pförtners, der uns ohne Leibesuntersuchung durchläßt. Das Tor selbst ist eng und niedrig, noch vor kurzem lag zu seiner Befestigung ein Bollwerk davor. Die Straßen der Stadt sind schmal, winklig, krumm, alle schon gepflastert, wenn auch meist mit ungleich großen Bachsteinen (Flußkieseln), einige haben erhöhte, schmale Bürgersteige, bei einigen ist ein Steinfliesen weg in der Mitte („Der breite Stein" im Studentenliede), wie wir ihn in der Altendorfer Kirchgasse noch heute sehen. Die Gosse befindet sich meist in der Mitte der Straße. Wer am Morgen die Stadt betritt, begegnet zuerst zahlreichen Schweinen, dem Stadtvieh, denn die Brennereibesitzer hatten viele Schweine, deren Fütterung ihnen durch die Schlempe erleichtert wurde. Vor den Brennereigebäuden lag deshalb, was für das Nordhausen der damaligen Zeit charakteristisch war, hoch und reich Schweinemist, der weder zur Reinlichkeit noch zur Schönheit der Straßen beitrug.

Die Häuser sind z. T. mit dem Giebel nach der Straße gebaut, mit gotischem, hohem Dach, meist in Fachwerk, mit einem oder doppeltem Oberstock, Gadem oder Gaden genannt, eins über das andere hinwegragend, wie sie in der Blasiistraße (Bild), am Markt und in einigen anderen Straßen noch zu sehen sind. In die Häuser führen häufig Halbtüren, wie jetzt nur noch in Pferdeställe. Eine solche Tür ist noch Lohmarkt 21 zu sehen. Sonst sind die Haustüren auch senkrecht in 2 Flügel geteilt, häufig ist vor ihr eine Nische, zu der einige Stufen hinaufführen. Viele Häuser haben breite Tore zur Durchfahrt für Pferde und Wagen, vor allen die Brennereien und Ökonomiehöfe. Die Türen sind häufig mit Messingschlössern und mit Klopfern oder Klöpfeln geziert.[1] Auch Zwergstockwerke sehen wir hier und da, so in der Jüdenstraße, Sand- und Bäckerstraße. Dem Fremden fallen in Nordhausen die vielen Fenster in den Häusern auf, oft ist eins neben dein andern, den „Lichtfreunden" ein Bedürfnis, im Winter aber m. E. unbehaglich. Die Hauskeller haben ihren Eingang meist von der Straße aus, die Kellerhälse, von denen einige in der Krämerstraße und anderswo noch heute vorhanden sind, ragen daher in die Straße hinein. Die oberen verkragten Stockwerke werden zuweilen durch Pfeiler gestützt, wodurch gedeckte Gänge entstehen, wie in der Johannisstraße und in der Krämerstraße.

Solche Löbe oder Laube zeigt auch das Nordhäuser Rathaus in dem Bilde von 1848, als Zeichen des freien Gerichts steht davor der Roland. (Bild.)

Wir betreten nunmehr den größten Platz der Stadt, den Kornmarkt (Bild). Ein Fleischer hat die Doppelläden seines Schaufensters soeben geöffnet, appetitliche Fleischwaren, auf niedrigen Auslagebrettchen liegend, reizen die Eßlust. Der bekannte Briefträger John, — einer genügte damals, — schreitet über den Platz und hält einen vielleicht lange ersehnten Brief in der Hand. Ein Ausrufer schellt mit der Glocke und macht bekannt, daß im Gehege Konzert sein wird. Der Brunnen neben dem prächtigen, klassischen Neptun, der seinen Stand seitdem gewechselt hat, liefert einen klaren Trunk Wasser, aber der freundliche Wirt des nahen „Erbprinzen" ladet zu einer Flasche Broihan, dem damals so beliebten Bier, ein. Vom Kornmarkt begeben wir uns auf den Pferdemarkt. Eine besonders schöne Wasserkunst, deren Geplätscher die Stille der Kleinstadt angenehm unterbricht, fesselt unsere Aufmerksamkeit. (Bild). Zur Seite der Straße stehen die Wasserfässer auf Holzkufen, die an die Feuersbrünste erinnern, von denen die Stadt so manchmal furchtbar heimgesucht worden ist.[2] An der Blasiikirche ist der eine, nördliche Turm 1634 durch den Blitz zerstört und nicht wieder in der alten Höhe erneuert worden. In dem Innern der dreischiffigen, geräumigen Hallenkirche ist die große Sehenswürdigkeit das Gemälde von Lukas Kranach dem Jüngeren, die Auferweckung des Lazarus mit der Gruppe der Reformatoren und mit Michael Meyenburg, Nordhausens bekanntem Syndikus zur Reformationszeit und Bürgermeister von 1545-1555, und seiner Familie. In der Sakristei ist die Bibliothek des Klosters Himmelsgarten seit dem Bauernkriege aufbewahrt. Vorüber am ehrwürdigen Ilfelder Klosterhof führt der Weg durch das niedrige Hagentor auf die „Hoffnung", damals Lux, zu, (Bild) in der soeben eine stürmische Volksversammlung gehalten wird. Um Nordhausens Naturschönheit, das schöne Gehege, zu genießen, wandern wir zum Gehegeplatz hinaus und lauschen auf dem einzig schönen Platze den Klängen der städtischen Kapelle (Bild), die von einem Turm herabbläst, kehren endlich in einer der ältesten, seit 1829 bestehenden Wirtschaften, bei Muhme Lange, die noch heute als Frau Tretbar ihres Geschäfts waltet, ein. Die alte Berglocke kündigt den Abend an. Wir kehren darum zur Stadt zurück. Die Straßen werden schon erleuchtet. Freilich ist die Beleuchtung sehr einfach. Eine Öllampe, an einer Kette in der Mitte der Straße hängend, erhellt spärlich den Weg, und meistens sind in einer Straße nur zwei Lampen vorhanden, an jedem Ende eine.

In den Häusern werden inzwischen die Lampen angezündet.

„Um des Lichts gesell'ge Flamme
Sammeln sich die Hausbewohner."

In dem alten Gasthof zum „Römischen Kaiser" am Kornmarkte kehren wir ein, erfüllen als Fremde die weise Forderung der hochlöblichen Polizei und tragen unsere Namen in das Fremdenbuch ein, lassen uns als einfache Abendmahlzeit das hier so beliebte Hackefleisch bereiten und genehmigen dazu einen kleinen Nordhäuser. Danach wird bei Broihanbier mit dem gebildeten Wirt noch das Thüringer Lieblingsspiel, der Skat, gedroschen, bevor wir uns zur Ruhe begeben. Derweile wacht „das Auge des Gesetzes".

Das geistige Leben in Nordhausen vor 60 Jahren

Der nächste Tag gibt uns Gelegenheit, mit dem geistigen Leben in der Stadt uns vertraut zu machen, wobei als das bedeutendste Ereignis die Bildung der freireligiösen Gemeinde im Vordergrunde steht, deren Gründung 1847 erfolgt, deren Ursachen aber weiter zurückliegen.

Die pietistische Orthodoxie, die in Preußen seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. herrschte, rief eine Reaktion hervor, deren erstes Stadium das Auftreten der Lichtfreunde oder protestantischen Freunde bezeichnet. Den Anstoß gab die Maßregelung eines freien Predigers in Magdeburg. Ein Verein für vernunftgemäßes, praktisches Christentum entstand, veranstaltete Volksversammlungen, die vom Prediger Uhlich geleitet wurden. Ein anderer Anhänger der neuen Richtung, Prediger Wislicenus, wurde seines Amtes entsetzt, eine Eingabe an den König forderte Freiheit der Forschung auf religiösem Gebiete. Als der König abweisend antwortete, wuchs die Bewegung und griff auch nach Nordhausen über.

Hier starb im Jahre 1845 Superintendent Förstemann, und die Nicolaigemeinde daselbst wählte den 31 Jahre alten freidenkenden Diakonus Eduard Baltzer aus Delitzsch, nachdem er eine beifällig aufgenommene Gast-Predigt gehalten hatte, zu ihrem Seelsorger. „Sie freute sich, einen Prediger gefunden zu haben, welcher das sittliche Element über das dogmatische stellte." Die Vokation des Magistrats folgte sehr bald, aber die Bestätigung des Konsistoriums blieb aus. Als der Kirchenvorstand St. Nicolai, die Herren Schencke, Schlichteweg, Rosenthal, in Übereinstimmung mit Magistrat und Kirchengemeinde, beim Minister kein Gehör fanden und sich auch vergeblich an Se. Majestät wandten, legte das Kirchenkollegium protestierend sein Amt nieder und rief die gleichgesinnten Bürger zur Gründung einer freien protestantischen Gemeinde auf. Um Baltzer, der freiwillig sein Amt in Delitzsch niederlegte, scharten sich, nachdem er in den Abendstunden des 5. Januar 1847 im Wirtshause von Kolditz, später „Deutscher Kaiser" genannt, in der Barfüßerstraße, eine Ansprache gehalten hatte, mehr denn 1OO Männer und erklärten, von dem jungen Prediger, den die Behörde nicht bestätigen wollte, nicht lassen zu wollen. Nachdem ihnen dieser die Grundzüge der neuen Gemeindeordnung und den Inhalt ihres Glaubens formuliert hatte, ertönte auf die Frage, ob sie bereit seien, eine freie protestantische Gemeinde zu bilden, ein solch brausendes, aus tiefer Männerbrust hervordringendes Ja, daß es Baltzer selbst durch Mark und Bein ging." Das bezügliche Protokoll Unterzeichneten 101 Männer, an der Spitze Herr Spangenberg sen. (angeblich ein Nachkomme des Pfarrers Joh. Spangenberg, der als Gründer des Nordhäuser Gymnasiums von 1525 bekannt ist). Dem Magistrat wurde alsbald von der Tatsache Mitteilung gemacht. Am folgenden Tage wurde im „Riesenhause" eine größere öffentliche Versammlung gehalten von Männern und Frauen, denen der neue Prediger einen Vortrag hielt. Nach weiteren Beitrittserklärungen wurde der Gemeindevorstand gewählt. Am 3(. Januar fand in der „Hoffnung" die erste religiöse Erbauung statt. Trauungen und Taufen von Kindern, mit denen einige Eltern gewartet hatten, nahm B. im Ornat in der Wohnung der Betreffenden vor.

Am 10. April 1847 erschien das Toleranzedikt König Friedrich Wilhelms IV., wodurch die Gründung freier Religionsgemeinden einen gesetzlichen Boden erhielt. Der Austritt aus der Landeskirche wurde damit zwar gestattet, aber noch erschwert.

1848 wurde Ed. Baltzer zum Abgeordneten für die preußische National-Versammlung in Berlin von: Wahlkreis Nordhausen gewählt, Dr. Hoffbauer, ein Nordhäuser, für die National-Versammlung in Frankfurt a. M. Baltzer gehörte zu den Steuerverweigerern der preußischen Kammer. Dr. Hoffbauer, welcher noch dem Rumpfparlament in Stuttgart angehörte, wurde später des Hochverrats angeklagt, aber freigesprochen. Es bedurfte längerer Zeit, um die Erinnerung daran in dem Herzen des Königs auszulöschen. Denn in der Antwort auf die Adresse, die 1852 Magistrat und Gemeinderat von Nordhausen bei der Feier der 50jährigen Vereinigung der Stadt Nordhausen mit dem Königreich Preußen an den König gerichtet hatten, betonte der König „Die Verirrungen, von denen die Stadt in einer nicht genug zu beklagenden Zeit heimgesucht gewesen sei".

Das sonstige geistige Leben in Nordhausen im Jahre 1848

  1. Ich habe solche noch heute an 12 Haustüren gefunden; schön ist Tür und Klopfer in der Barfüßerstraße 3, Nenstadtstraße 27, leider festgelötet, und am Altendorfer Pfarrhaus. Am Waisenhause ist ein Hundekopf, Medaillonbilder von Menschenköpfen sind Bäckerstraße 20.
  2. Große Feuersbrünste in Nordhausen waren: 1180, 1234, 1540, 1546, 1610, 1612, 1686, 1710, 1712 (281 Bürgerhäuser abgebrannt).