Juden in Nordhausen
Die Geschichte der Juden in Nordhausen beginnt im 13. Jahrhundert.
Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Mittelalter und frühe Neuzeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Das früheste urkundliche Zeugnis waren die im Oktober 1290 durch König Rudolf von Habsburg getroffenen Bestimmungen zu den Steuern der in Nordhausen lebenden Juden. In einer Verordnung ist von den Juden als einem "längst vorhandenen Bestandteil" der Stadtbevölkerung die Rede. Dies lässt darauf schließen, dass sich bereits deutlich früher Juden in der Stadt niedergelassen hatten. Die Reichssteuern der Juden wurden 1130 an den Landgrafen von Thüringen verliehen. Die Aufnahme von Juden war jedoch Sache der Stadt, die 1333 ihr Einverständnis dazu erklärte, dass innerjüdische Streitigkeiten durch ein rabbinisches Gericht entschieden würden. Die mittelalterliche Judensiedlung lag im Bereich der Jüdenstraße, wo etliche Häuser im jüdischen Besitz waren. Juden wohnten jedoch auch in anderen Straßen der Stadt. Die Gemeinde besaß im frühen 14. Jahrhundert eine Hofstätte, einen Judenbrunnen und eine Mikwe (Tauchbad). Ihre Synagoge wurde 1324 ausgeplündert und zerstört. Ein neues Gotteshaus wurde in der Jüdenstraße errichtet.
Im Mai 1349 forderte der Landgraf von Thüringen die Stadt Nordhausen auf, die Juden als „Brunnenvergifter" zu beseitigen. Der Rat kam dem nach, die Juden wurden verbrannt. Der Besitz der toten Juden wurde von König Karl IV. an mehrere Grafen übertragen, deren Rechte der Rat von Nordhausen aufkaufte. Überlieferungen zufolge wurden 1349 im Zuge der Pestwelle Juden auf dem Scheiterhaufen am Rähmen in der Nähe des Judenturms verbrannt.
Einzelne Überlebende sind später in Erfurt und Frankfurt am Main nachzuweisen. Ein Jahr nach dem Pogrom wurden 1350 wieder Juden als Nordhäuser Bürger aufgenommen. 1360/62 lebten in der Stadt vier männliche Juden, Mitte des 15. Jahrhunderts sechs Familienoberhäupter (davon eine Frau). Diese Juden standen unter dem Schutz des Juden-Rates. Der Rat regelte die Zuwanderung und stellte Schutzbriefe aus. Die Mehrzahl lebte in der Jüdenstraße, wo sich auch Synagoge (1421) und Mikwe (Tauchbad) befanden. Einzelne Familien wohnten im 15. Jahrhundert in anderen Vierteln der Stadt. Der Friedhof aus der Zeit von 1350 am Frauenberg wurde weiterhin genutzt; er lag nahe der Stadtmauer im Südosten von Nordhausen zwischen Stadt und dem Dorf Alt-Nordhausen. Die in diesem Bereich gelegenen Türme der Stadtmauer hießen daher Judentürme.
1447 wurden die Juden aus Nordhausen verbannt; sie kehrten jedoch spätestens 1454 zurück. Die Anzahl der in der Stadt lebenden Juden dürfte jedoch nie besonders groß gewesen sein. 1544 verkaufte der Rat das sogenannte Judenhaus, in dem auswärtige Juden während der Märkte Quartier nehmen mussten.
In der Reformationszeit verschlechterte sich die Lage der Juden erneut. 1546 erließ der Rat ein gegen Juden gerichtetes Mandat, 1551 wurden einige Juden aus der Stadt ausgewiesen. Auf Betreiben des Bürgermeisters Michael Meyenburg, einem Freund Martin Luthers, wurden die Juden aus Nordhausen ausgewiesen. Diese Vertreibung blieb für lange Zeit bestehen. Einer der Ausgewiesenen klagte vor dem Reichshofrat in Wien; er scheint später wieder in Nordhausen gewohnt zu haben. Nach 1630 kam es kurzfristig wieder zu einer Niederlassung von Juden in Nordhausen, auf Dauer erfolgte dies jedoch erst nach 1808.
Wiederansiedlung im 19. Jahrhundert[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Erst das Ende der Reichsfreiheit Nordhausens und die Liberalisierung des preußischen Rechts in der Folge der Französischen Revolution ermöglichten Juden ab dem frühen 19. Jahrhundert wieder, sich in der Stadt niederzulassen und volle Bürgerrechte zu erlangen. 1808 wurde unter dem Vorsitz von Meyer Abraham Ilberg eine jüdische Gemeinde als Privatgemeinde in Nordhausen gegründet. Von 1821 an stand den Gemeindemitgliedern (1812 waren es 56, 1816 99) ein Betlokal im heute noch existierenden Haus Ritterstraße 4 zur Verfügung.
1820 wurde ein neuer Friedhof eingerichtet, der in den Jahren 1826 bis 1828 eine Stadtmauer erhielt. Da die Gemeinde weiter wuchs (1840: 210; 1861: 397) wurde der Friedhof 1854 und 1865 erweitert. 1867 errichtete man eine Tahara-Halle (Rituelle Toten-Wäscherei vor der Bestattung).
1842 begann die Gemeinde mit dem Bau einer Synagoge am Pferdemarkt unweit der Blasiikirche. Diese wurde am 12. September 1845 feierlich eingeweiht. Zwei Jahre später erhielt die bis dahin private jüdische Gemeinde den offiziellen Status als Synagogengemeinde. 1888 wurde die Synagoge renoviert und erweitert.
Blütezeit der jüdischen Gemeinde[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelte sich eine blühende jüdische Gemeinde in Nordhausen. Jüdische Bürger waren in Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft der Stadt fest integriert und leisteten wichtige Beiträge zu deren Entwicklung:
In der Wirtschaft gab es bedeutende jüdische Unternehmer und Geschäftsleute. Zu den bekannten Firmen zählten das Kaufhaus Pinthus & Ahlfeld, das Modehaus Schönbeck am Kornmarkt und die Wäschefabrik Wolff. Auch im Bankwesen waren jüdische Familien wie die Blachs tätig. Jüdische Rechtsanwälte wie Dr. Heinrich Stern und Arthur Warburg sowie Ärzte wie Dr. Hans Wallawelski genossen hohes Ansehen. Im kulturellen Leben waren Juden ebenfalls aktiv, etwa als Lehrer an den höheren Schulen der Stadt. Einige jüdische Bürger wie Jacob Plaut wurden aufgrund ihrer Verdienste und Stiftungen zu Ehrenbürgern der Stadt ernannt. Jüdische Nordhäuser engagierten sich in Vereinen und übernahmen ehrenamtliche Funktionen, etwa als Stadtverordnete.
Erster Weltkrieg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Im Ersten Weltkrieg kämpften 77 Nordhäuser Juden für Deutschland. Dies entsprach in etwa dem Anteil an der Gesamtbevölkerung und zeigte die patriotische Gesinnung vieler jüdischer Bürger. Sieben von ihnen erreichten den Rang eines Offiziers. Neun jüdische Soldaten aus Nordhausen fielen im Krieg, ihre Namen wurden auf einem Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof verewigt. 42 der jüdischen Frontkämpfer erhielten Tapferkeitsauszeichnungen. 1919 wurde in der Synagoge eine Gedenktafel für die im Ersten Weltkrieg gefallenen 12 jüdischen Soldaten eingeweiht.
Weimarer Republik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
In der Weimarer Republik setzte sich die Integration der jüdischen Gemeinde fort. 1927 veröffentlichte der Nordhäuser Rechtsanwalt Dr. Heinrich Stern eine "Geschichte der Juden in Nordhausen", die die lange Tradition und Bedeutung der jüdischen Gemeinde für die Stadtgeschichte dokumentierte. Die Synagogengemeinde war Teil der liberalen Reformbewegung im Judentum. So hatte sie etwa den Sonntag anstelle des Sabbats als wöchentlichen Ruhetag eingeführt, um sich dem Lebensrhythmus der christlichen Mehrheit anzupassen. Allerdings hielten viele Familien weiterhin an jüdischen Traditionen fest.
Struktur und Größe der Gemeinde[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die Zahl der Gemeindemitglieder erreichte 1910 mit 452 Juden ihren Höhepunkt. 1927 zählte die Gemeinde 450, im Jahre 1933 438 Juden. Sie machten damit etwa 1,7% der Stadtbevölkerung aus. Die soziale Struktur war differenziert: Neben wohlhabenden Kaufleuten und Akademikern gab es auch Angestellte und Arbeiter. Eine kleine Gruppe sogenannter "Ostjuden" war nach dem Ersten Weltkrieg zugezogen. Die Gemeinde verfügte über folgende Einrichtungen:
- Die Synagoge am Pferdemarkt mit angeschlossenem Gemeindezentrum
- Den jüdischen Friedhof am Ammerberg
- Die Jacob-Plaut-Loge als nichtreligiöse Versammlungsstätte
- Verschiedene Wohlfahrtseinrichtungen wie den Jüdischen Frauenverein
An der Spitze der Gemeinde stand 1932 der Bankier Samuel Blach als Vorsitzender. Als Rabbiner wirkte Dr. Pfingst, als Kantor Herr Selig. Insgesamt war die jüdische Gemeinde Nordhausens zu Beginn der 1930er Jahre fest in das städtische Leben integriert, pflegte aber gleichzeitig ihre religiösen und kulturellen Traditionen.
Zeit des Nationalsozialismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 begann auch für die jüdische Gemeinde in Nordhausen eine Zeit zunehmender Verfolgung und Diskriminierung.
Am 1. April 1933 fand der reichsweite Boykott jüdischer Geschäfte statt, der auch Nordhausen betraf. SA-Männer postierten sich vor jüdischen Geschäften und versuchten, Kunden am Betreten zu hindern. In den folgenden Monaten und Jahren wurden jüdische Bürger zunehmend aus dem öffentlichen Leben und der Wirtschaft verdrängt.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 kam es auch in Nordhausen zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung. Die Synagoge am Pferdemarkt wurde in Brand gesetzt und brannte vollständig aus. Jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört und geplündert. 90 jüdische Männer wurden verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Viele von ihnen kehrten erst Wochen später, gezeichnet von Misshandlungen, zurück.
1939 lebten noch 180 Juden in Nordhausen. In den folgenden Jahren kam es zu weiteren Deportationen in Ghettos und Vernichtungslager. Mehr als 200 Nordhäuser Juden verloren durch den Holocaust ihr Leben.
Nachkriegszeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Nach dem Krieg kehrten nur wenige überlebende Juden nach Nordhausen zurück. Eine jüdische Gemeinde konnte sich nicht wieder etablieren.
1988 errichtete man in der Nähe des einstigen jüdischen Gemeindezentrums einen Gedenkstein zur Erinnerung an die zerstörte Synagoge und die ermordeten jüdischen Bürger der Stadt.
Erst in den 1990er Jahren bildete sich durch den Zuzug jüdischer Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion wieder eine kleine jüdische Gemeinde in Nordhausen.