Die letzte Cholera in der Grafschaft Hohnstein
Die letzte Cholera in der Grafschaft Hohnstein.
Als die Cholera in den Jahren 1848–50 verschiedene Gegenden Deutschlands heimsuchte wurde auch die Grafschaft Hohenstein durch eine unglückliche Fügung davon in Mitleidenschaft gezogen. Zwar gewann sie keine erhebliche Ausdehnung, aber dennoch fiel ihr in einzelnen Ortschaften eine nicht geringe Anzahl von Opfern zur Beute. Die Wege, auf denen die Seuche eingeschleppt wurde, lassen sich deutlich verfolgen. Von Norden her drang sie 1849 von Zorge über Ellrich nach Salza vor; doch trat sie in diesen Orten nur vereinzelt und ziemlich milde auf. Ins Lohraische wurde sie von Erfurt her eingeschleppt. Im Juni des erwähnten Jahres nämlich begab sich die Ehefrau Emilie Waldheim aus Kleinwenden nach Erfurt, um sich dort von ihrem Manne, der als Reservist nach Baden ausrücken sollte, zu verabschieden. In das Heimatdorf zurückgekehrt, wurde die Frau von einer ruhrartigen Krankheit ergriffen, die das Gerücht sofort für Cholera erklärte, und das mit um so größerer Wahrscheinlichkeit, als diese Seuche in Erfurt mit aller Heftigkeit wütete. Infolge des Gerüchts scheuten selbst die nächsten Anverwandten mit der Kranken in Berührung zu kommen, und die arme Frau wäre ohne jede Verpflegung geblieben, wenn nicht der Hauswirt, Heinrich Strube, sich ihrer in aufopfernder Weise angenommen hätte. Leider mußte er sein Samariterwerk mit dem Leben bezahlen. Mit ihm erlag auch sein Freund Mackenrodt, mit dem er nur flüchtig bei einem Gläschen Branntwein zusammengekommen war, der tückischen Krankheit. Wie in Wenden nahm die Cholera auch in dem nahe gelegenen Münchenlohra einen auffallend schnellen Verlauf. In den meisten Fällen endete die Krankheit innerhalb weniger Stunden mit dem Tode. Der Knecht Brune hatte im besten Wohlsein sein Mittagsbrot verzehrt, zwei Stunden später stürzte er tot nieder. Der Vorarbeiter Wuckel wurde beim Grasmähen von einem leichten Unwohlsein befallen, das er durch einen Schluck Branntwein zu beseitigen hoffte. Da dies nicht gelang, nahm er die Sense auf die Schulter, bat seine Kameraden, ihm ein gutes Andenken zu bewahren, falls sie ihn nicht Wiedersehen sollten, und ging nach Hause. Bevor die Mitarbeiter vom Felde heimgekehrt waren, waren seine Frau Witwe und seine Kinder Waisen geworden. Unter den Opfern der Cholera befand sich auch der Förster Ranft sowie der Wirt Seidenstricker mit seiner Frau. Die Krankheit begann regelmäßig mit der Lähmung der Beine, dann folgte allgemeine Schlaffheit der Glieder; gesellte sich ein Reißen im Unterleibe dazu, so war ein tätliches Ende gewöhnlich die Folge. Daß aber Rettung möglich war, zeigte sich in verschiedenen Fällen da, wo ärztliche Hülfe sofort zur Stelle war. Der wackere Arzt Doktor Brauns in Wolkramshausen hat viele seiner Patienten durch eine Schweißkur gerettet. Ob der Genuß von Tabak und Pfeffermünz, damals sehr beliebte Hausmittel, zu den Erfolgen mitgewirkt hat, darf mit Recht bezweifelt werden. In Elende, wohin die Seuche auch gelangte, starben zwölf Personen, von denen die Hälfte Bewohner des Hospitals waren. Da man von der Ueberführung der Leichen auf den Gemeindekirchhof eine vermehrte Gefahr der Ansteckung befürchtete, so beschloß der Ortsvorstand, die Toten in ein abgelegenes Waldtal zu begraben. Diese Maßregel kam indessen nicht zur Ausführung, da die Cholera mit dem Eintritt der kühleren Herbsttemperatur erlosch. Die in manchen von der Seuche betroffenen Familien eingetretene Not wurde durch die Mildtätigkeit gutgesinnter Menschen nach Kräften zu beseitigen gesucht. Ebenso griff die Regierung insofern helfend ein als sie wollene Decken, Leibbinden und Choleratropfen zur Verfügung stellte und praktische Ratschläge, wie sie die Heilkunde jener Tage an die Hand gab, erteilte. Abergläubische Leute wollten das Eintreffen der Seuche schon im vorhergehenden Jahre geahnt haben. Im Jahre 1848 nämlich hatte sich der Dorfteich in Elende mit einer ungeheuren Menge rötlich aussehender Algen überzogen, was den Eindruck hervorbrachte, als sei das Wasser in Blut verwandelt. Diese Erscheinung war nach der Meinung jener Leute ohne Zweifel der Vorbote eines großen Unglücks. Viele Menschen aus der Umgegend, ja sogar aus weiterer Ferne, eilten herbei, das Wunder in Augenschein zu nehmen. Durch das Auftreten der Cholera fanden die Leichtgläubigen ihre Meinung natürlich vollauf bestätigt. Unter den Opfern der Seuche war das höhere Alter bei weitem überwiegend. Von 23 Personen, welche nach amtlichem Ausweise in den drei erwähnten Dörfern an der Seuche gestorben waren, hatten 12 ein Alter von 50–75, 7 ein solches von 20–50 Jahren erreicht und nur 4 starben in dem jugendlichen Alter von 12–18 Jahren. Wie man sich denken kann, war die Furcht vor Ansteckung allgemein. Niemand besuchte verseuchte Orte, wenn nicht zwingende Notwendigkeit vorlag. Ja, manche Leute brachten nicht unbedeutende Opfer, um nur mit heiler Haut daraus zu entkommen. So ließ der Obstpächter Bauch aus Pustleben die für etliche hundert Taler gepachtete Kirschplantage in Münchenlohra vollständig im Stich. Im allgemeinen wiederholte sich auch hier die an anderen Orten gemachte Erfahrung, daß beherzte und furchtlose Personen von der Seuche verschont blieben. Der Einwohner Kohl in Wenden war ein Liebhaber von Gurkensalat, und da er viele Gurken geerntet hatte, so ließ er sich trotz aller Choleragefahr diese Früchte gut schmecken. Vom Arzt auf die damit verbundene Gefahr aufmerksam gemacht, erwiderte er, wenn er doch einmal sterben müsse, so sei es geratener, erst soviel wie möglich von der teuren Gottesgabe zu genießen, als sie nutzlos umkommen zu lassen. Bei bestem Wohlsein aß er seinen Salat ruhig fort. Was die räumliche Ausdehnung der Seuche anbetrifft – nur vereinzelte Fälle kamen in benachbarten Orten vor – so weist sie eine gewisse Aehnlichkeit mit der in den Jahren 1681–1683 in der Grafschaft grassierenden Pest auf, da auch diese, außer Nordhausen, auf vierzehn hohnsteinsche Dörfer beschränkt blieb. Ungleich schlimmer wütete die Cholera im folgenden Jahre in Bleicherode, wohin sie von Braunschweig aus durch die Kaufleute Kusel Frankenheim und Isaak Friedländer, welche die dortige Augustmesse besucht hatten, eingeschleppt wurde. Obwohl von der plötzlich hereingebrochenen Gefahr vollständig überrascht, suchte man ihr doch nach Kräften entgegenzutreten. Man zündete auf den Straßen große Haufen von Tannenreisig oder auch Teertonnen an, weil man glaubte, durch den aufsteigendeu Rauch den Ansteckungsstoff zu töten. Doch erwies sich diese Maßregel ebenso erfolglos wie alle andern. Die Seuche nahm ihren ungestörten Fortgang und forderte täglich mehr Opfer. Besonders wurden die Bewohner der Webergasse und des Hagens heimgesucht, wo die Brunnen zu Mittelpunkten der Ansteckung geworden waren. Das verseuchte Brunnenwasser floß in den Bach und verbreitete die Ansteckungskeime auch in der Unterstadt. Ein Regierungsbeamter, der die sanitären Verhältnisse der Stadt untersuchen sollte, wurde von sachkundiger Seite auf diesen Punkt aufmerksam gemacht. Da derselbe aber von der Schließung der Brunnen für die gegenwärtige Lage keine Abhülfe mehr erhoffte, so unterblieb jede Maßregel, und die Brunnen wurden ruhig weiter benutzt. Jetzt wird durch eine Leitung gutes Trinkwasser in alle Häuser geleitet. Die Furcht vor Ansteckung war so groß, daß selbst die nächsten Anverwandten die Leichen nicht begleiten wollten, noch weniger gelang es, Träger zu bekommen. Darum schaffte man die Leichen des Nachts auf Dünger- und Ackerwagen ohne Sang und Klang auf den Kirchhof. Diese unwürdige Art der Bestattung veranlaßte eine Anzahl christlich gesinnter Männer, gemeinschaftlich für ein würdiges Begräbnis zn sorgen. Die Leichen wurden nun wieder wie gewöhnlich nach dem Kirchhofe getragen, nur mußte den Trägern gestattet werden dabei zu rauchen. Während der achtwöchentlichen Dauer der Epidemie stockte der Verkehr mit der Außenwelt gänzlich. Mochte auch die Veranlassung zum Besuche der Stadt noch so dringend an jemand herantreten, man gab derselben dennoch nicht Folge. Beispielsweise führe ich an, daß einer der Bleicheröder Aerzte, der eine ansgebreitete Landpraxis besaß, in 8 Wochen nur ein einziges mal von einem dörflichen Patienten in Anspruch genommen wurde. Fügte dieses Fernbleiben der Landleute den städtischen Bewohnern einen erheblichen Schaden zu, so bewirkte es doch auf der anderen Seite auch wieder, daß die Cholera von der Umgegend fern gehalten wurde. Gegen Michaelis endlich erlosch die furchtbare Seuche. Ein junges Mädchen, namens Ottilie Wenzel, fiel als ihr letztes Opfer. Etwa 150 Personen waren daran gestorben; mithin kamen, da Bleicherode im Jahre 1850 etwa 2400 Einwohner zählte, auf je 100 sechs Tote, während in Hamburg auf 1000 Einwohner nur 2 Tote entfielen. In derselben Zeit wurden in Worbis 54, in Kirchworbis 60 und in Gernrode 27 Opfer von der Cholera hingerafft. Seit jener Zeit ist die Grafschaft Hohnstein von der schrecklichen Seuche verschont geblieben; hoffentlich kehrt sie nie wieder. |