Die Gypsindustrie Ellrichs

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Textdaten
Autor: Karl Heine
Titel: Die Gypsindustrie Ellrichs
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aus: Heimatland. Illustrierte Blätter für die Heimatkunde des Kreises Grafschaft Hohenstein, des Eichsfeldes und der angrenzenden Gebiete
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Erscheinungsdatum: 1905 (Nr. 20)
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Die Gypsindustrie Ellrichs.
Von Karl Heine.


 Um den wichtigsten Industriezweig Ellrichs, die Gypsfabrikation, verstehen zu können, müssen wir vorher einen Blick auf die eigenartige geologische Gestaltung Ellrichs und seiner Umgebung werfen.

 Die bei Ellrich befindlichen Formationen sind außer Grauwacke die Formation des Notliegenden, die Zechsteinformation und der bunte Sandstein nebst diluvialen und alluvialen Bildungen. Von diesen Formationen interessiert uns hier hauptsächlich die Zechsteinformation, die wiederum aus 3 Formationen zusammengesetzt ist: der unteren, mittleren und oberen Zechsteinformation. Die untere Zechsteinformation würde, wenn die Diluvialbedeckung nicht vorhanden wäre, einen mehrfach gebogenen und ungleich breiten, zusammenhängenden Zug bilden, der am Mühlenberge bei Steina beginnt, vom Steinaer Porphyrberge gegen den großen Trogstein hin, dann östlich des Fürlandsberges und des Warteberges nach Sachsa, von hier zum Blumenberg und den Bergköpfen, dann nach Walkenried und von hier um den Kupferberg und den Nein entlang südlich von Ellrich hinzieht.

 Die Verbreitung der mittleren Zechsteinformation besteht ans einem durch drei Täler zerschnittenen Hauptzuge, der von der Westgrenze des Kreises her über den Römerstein, den Kalkberg und großen Warteberg bei Tettenborn zum Mehlholz bei Neuhof, dann nach Walkenried und zum Himmelreich und Pontelberg südlich von Ellrich hinläuft.

 Der ältere Gyps bildet in diesem Hauptzuge einen am Römerstein bei Nixey beginnenden, den Kreis bis zu seiner Ostgrenze durchlaufenden Zug, der abgesehen von diluvialer Bedeckung nur auf kurze Erstreckung zwischen dem Itel-Teich und den Pontel-Seen im Himmelreich dadurch unterbrochen wird, daß sich der Dolomit übergreifend über den Gyps bis zum Rein forterstreckt, wo er sich dem Zechstein auflegt. Eine ungewöhnliche Breite erhält der Gyps in dem sanft abfallenden Gehänge vom Mehholz gegen den Zechstein der Bergköpfe hin. Meist erscheint er in steilen Felswänden als Randeinfassung der von Dolomit bedeckten Höhen besonders da, wo ihn die vom Harz herabkommenden Täler durchschnitten haben, wie am Sachsenstein bei Neuhof und an den Seiten des Wieda-Tales bei Walkenried.

 Aber auch da, wo jetzt keine Täler verlaufen, bilden sich Steilränder dadurch, daß die Tagewässer den Gyps unterwühlen und in seinem Inneren oder unter ihm ihren Weg suchen; an den Eingangsstellen entstehen tiefe Trichter, deren Ränder fortwährend einbrechen und einer stetig vorschreitenden Veränderung unterworfen sind. Ausgezeichnete Erscheinungen dieser Art sind der große und kleine Trogstein und der große Trichter am Rande des Pfaffenholzes. Als Wirkungen derselben Ursache in größeren Dimensionen bildeten sich große, vom Wasser erfüllte kesselförmige Einstürzungen, wie die Seen bei Nixey, am Kranichstein, die Pontel Seen und besonders der schöne von einem Gyps-Circus umgebene Itel-Teich. Das Eindringen der Wasser in den Gyps ist so bedeutend, daß in der trockenen Jahreszeit alle Gewässer von der Steina ostwärts bis zum Zorge Tal innerhalb der Zechsteinformation vollständig versiegen.

 Das Steinaer Wasser verschwindet gegen Nixey hin, um im Buntsandstein als wasserreiche Ichte weiterzufließen, der Sachsengraben bei Branderode und das Wieda Tal von Obersachswerfen über Gudersleben hinaus werden trockene Schuttbetten; die eingesunkenen Gewässer erscheinen wieder in dem quellenreichen Tale von Clettenberg oder weit im Osten in der Salza, die südlich vom Kohnstein entspringt und in dem breiten Tale gegen Nordhausen hin, parallel der Zorge, fließt.

 Der zu Tage beobachtbare ältere Gyps ist überall nur ein Umwandlungsprodukt des Anhydrits, aus welchem das Innere des Lagers zusammengesetzt ist. Wo an den Steilrändern frische Anbrüche oder tiefere Spalten das Gestein bloslegen, wird der reine unveränderte Anhydrit häufig sichtbar. Da mit der fortwährend vor sich gehenden Umwandlung des Anhydrits in Gyps eine Aufblähung der Masse verbunden ist, so bilden sich zuerst kleine Sprünge, dann größere Nisse, welche das Eintreten erleichtern. An der Oberfläche der Berge giebt fick die Aufblähung des in Gyps sich verwandelnden Anhydrits durch eigentümliche Glocken- oder Blasenformen zu erkennen, wie man sie am ausfallendsten auf dem sanften Gehänge vom Sachsenstein zu den Bergköpfen hin antrifft. Der ganze Boden ist hier dicht gedrängt mit Hügeln von circa 10 Fuß Durchmesser und 4 Fuß Höhe bedeckt, die unter einer scheckigen 1 bis 3 Fuß dicken, nur teilweise aus Gyps bestehenden Decke Hohlräume enthalten; es sind dies die sogenannten Zwerglöcher der Gegend. Die Hügel brechen zuletzt ein und werden unansehnlich, wo die Umwandlung des Anhydrits in Gyps vollständig geworden ist.

 Durch Einwirkung des sich aufblähenden und in Gyps umändernden Anhydrits auf den bedeckenden Dolomit entstehen die sogenannten zelliqen Rauchwacken. Die dem Anhydrit zunächst anfliegenden Teile des Dolomits werden zertrümmert und die eckigen Bruchstücke durch ein kalkiges Cäment wieder verbunden; der Dolomit zerfällt später zu Sand, fällt aus und hinterläßt in dem secundären Gebilde unbestimmt zerstreute Hohlräume. In allen Stufen der Bildungsweise ist dieser Prozeß in den bei Walkenried betriebenen Steinbrüchen zu beobachten. Diese Erklärung der Entstehung zeitiger Rauchwacken ist auch auf solches Vorkommen anzuwenden, wo dieselben den Dolomit begleiten, der ohne zwischengelagerten Gyps unmittelbar auf Zechstein liegt. Solches Vorkommen kann überall als ein Beweis dafür gelten, daß Gyps an der betreffenden Stelle früher vorhanden war. Dies gilt namentlich für den Dolomit, der am Himmelreich einerseits die Gypswände am Itel-Teich und den Pontel-Seen, andererseits den Zechstein am Rein bedeckt, ebenso für den Dolomit bei Sachsa. Man darf aus diesen Erscheinungen sogar folgern, daß der Gyps wahrscheinlich überhaupt nicht sichtbar sein würde, wenn die Zechsteinformation sich noch in dem Zustande befände wie vor dem Beginn der Erosion und der Abtragungen, die mit der Talbildung verbunden waren; der Dolomit würde überall auf Zechstein liegen, ohne daß Gyps oder Anhydrit blosgelegt wäre.

 Die Mächtigkeit des älteren Gypses wird bei Ellrich in seinen zu Tage sichtbaren Teilen kaum irgendwo 150 Fuß übersteigen, die größte Mächtigkeit des aufliegenden Dolomites kaum 100 Fuß.

 Wo der Dolomit mächtiger entwickelt und nicht zertrümmert ist, liefert er ein geschätztes Baumaterial. Die prächtigen Klosterbauten von Walkenried, an deren Ruinen feine Skulpturen sich noch erhalten haben, wurden vom Dolomit des Pontel- berges errichtet; von gleicher Beschaffenheit ist das Gestein, welches jetzt in ausgedehnten Steinbrüchen westlich des Steina-Thales verarbeitet wird. Dünner geschichtet und von weniger porösem Gefüge ist der Dolomit am Kalkberge und am großen Warteberg bei Tettenborn. In dem einen wie in dem anderen Gestein finden sich nicht selten Versteinerungen,teils mit erhaltenerSchale, teils als Steinkern, am häufigsten Gervillia ceratophaga, Mystilus Hausmanni, Pleurophorus costatus und Schizodus obscurus, seltener Terebratula sufflata. Eine größere Zahl von Arten ist vom Römerstein bekannt geworden. Letzterer Ort ist auch durch das Vorkommen von Flußspathkrystallen im Dolomit bemerkenswert.

 Die obere Zechsteinformation folgt in ihrer Verbreitung überall der mittleren. Sie zieht zwischen untenliegendem Dolomit und bedeckendem Buntsandstein von Westen nach Mackenrode und Clettenberg, wendet sich von hier gegen Neuhof und folgt, großenteils verdeckt durch Diluvium, dem nördlichen Hauptzuge der mittleren Abteilung über Wiedigshof nach Osten.

 Als Teile eines und desselben Lagers, welches der Grenze zwischen den Letten und dem Buntsandstein angehört, sind die zerstreuten Vorkommen von Gyps zu betrachten, welche zwischen Obersachswerfen und Clettenberg, neben Buntsantstein in einem Erdfall zwischen Wiedigshof und Obersachswerfen, dann umgeben vom Buntsandstein von Clettenberg gegen Steinsee hin und weiter entfernt noch am Hermannsberge östlich von Limlingerode vorhanden sind. Nur bei Clettenberg zeigt sich das Lager an seiner normalen Stelle zwischen den Letten und dem Buntsandstein. Für alle übrigen Vorkommen ist anzunehmen, daß der Gyps, gleich dem älteren Gyps der mittleren Abteilung, bis zu ansehnlicher Tiefe von seinem ursprünglichen Ausgehenden abwärts zerstört und im Gebiet der Buntsandsteinform erst infolge des Zusammensinkens und der Abtragung seiner Decke blosgelegt wurde, bald in größerer, bald in geringerer Entfernung von der Tagesgrenze der Letten. Wahrscheinlich ist eine weitergehende und schnellere Zerstörung dieses jüngeren Gypses dadurch bedingt, daß derselbe nie mit Anhydrit verbunden vorkommt.

 Daß die zerstreuten Gypsvorkommen einem in größerer Tiefe noch jetzt zusammenhängenden Lager angehören, ergibt sich auch deutlich aus der Anordnung der zahlreichen, in ihrer Nähe vorhandenen Erdfälle. Be sonders auffallend ist die Reihe von großen Erdfällen, welche von den Gypsentblößungen bei Steinsee zu den Gypsen bei Liebenrode und Clettenberg hinführen. Die ganze Gegend auf der Buntsandsteinhöhe östlich von Clettenberg ist von Erdfällen und unregelmäßigen Einsenkungen bedeckt; sie liegt in der Verbindungsrichtung des südlichen Nebenzuges der mittleren Zechsteinformation zum großen Warteberg hin, wo die Bedeckung des Buntsandsteins nur eine geringe Mächtigkeit besitzen kann. Die Verbindung des Gypses in dem Erdfalle zwischen Wiedigshof und Obersachswerfen mit der größeren Gypspartie zwischen Branderode und Obersachswerfen wird durch drei kleine Erdfälle in der Talebene angezeigt. Ein großer Erdfall bei Holbach zeigt den weiteren unterirdischen Verlauf des Gypslagers in westlicher Richtung au. Seine weitere Verbreitung wird ferner noch nicht nur durch die Bloslegung am Hermannsberge, sondern noch mehr'durch die zahlreichen Erdfälle in dem zusammengesunkenen Boden des gegenüberliegenden Kletterberges erwiesen. Am weitesten entfernt von der Zechsteinformation sind die Erdfälle am großen Teich bei Schiedungen und bei Pützlingen auffällig. — Nach diesen kurzen geologischen Ausführungen wenden wir uns zur Gypsfabrikation in Ellrich.

 Der Gyps wurde hier als Mauergyps bereits seit vielen Jahrhunderten verwandt. Als bester Beweis dafür dienen die alten Stadtmauern Ellrichs, deren Steine mit Gyps zusammengefügt sind.

 Gegen Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts fing man au, die Gypslager zur Herstellung von Stuckgyps auszubeuten. Der erste, der eine Fabrik für diesen Zweck anlegte, war der Fabrikant Euling, ihm folgten bald andere Unternehmer, und jetzt haben wir eine ganze Reihe Fabriken, die den Besitzern: Euling, Bergmann, Mack, Müllges, Deibel, Töpfer, Krieghoff und Kohlmann & Comp, gehören.

 Während die ersten, bescheidenen Anfänge aus einer Jahresproduktion von 200-300 Waggonladungen bestanden, vergrößerte sich der Betrieb bald derartig, daß z. B. in den letzten Jahren ca. 10000 Doppelladungen von hier versandt wurden. Ellrich decktedamit die Hälfte bis zwei Drittel des ganzen Gyps- bedarfes von Norddeutschland. Der Stuck- gyps, der rasch erhärtet und trocknet, wird in rohem Zustande zerkleinert und dann durch Kochen oder Rösten getrocknet, sodaß er ca. 15% seines Wassergehaltes verliert. Er wird hauptsächlich zu Stuckaturarbeiten, zum Verputzen, zur Gypsdielenfabrikation und zu den Rabitswänden gebraucht. Eine zweite Sorte Gyps, der Estrich, oder Bodengyps, wird in Hochöfen bis zu ca. 220° C. erhitzt, wodurch ihm fast alles Wasser entzogen wird. Dieser Gyps nimmt das ihm entzogene Wasser nur langsam wieder auf, bleibt nach dem Anrühren mit Wasser stundenlang weich trocknet langsam. Andere Sorten von Gyps sond noch Modell-, Putz- und Lenzin-Gyps. Die Preise der verschiedenen Sorten sind im Durchschnitt folgende: Für Estrichgyps 75 ℳ pro 10000 kg. Putzgyps 80 ℳ pro 10000 kg. Stuckgyps 90 bis 100 ℳ pro 1000 kg. Je nach der Mahlung. Für Modellgyps 150 bis 200 ℳ pro 10000 kg.

 Gegenwärtig werden 400-500 Arbeiter in den Gypsfabriken beschäftigt. Ellrich verdankt sein Aufblühen on den letzten Jahrzehnten nicht wenig diesem Industriezweige. Während in den früheren Zeiten Mangel an Beschäftigung vorhanden war, und deshalb wenig oder gar kein Geld einkam, wurden durch die Gypsindustrie, wie durch die Webereien und Schuhleistenfabriken jährlich 2 Millionen Mk. Geldeswert in Ellrich hineingebracht.