Der Deutsche Gruß
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Der Deutsche Gruß von Ulrich H. K. Hesse erschien im April 2015.
Besprechung
„Wie konnte das alles bloß geschehen?“, werden heute noch ratlose Großeltern von ihren Enkeln zum Dritten Reich befragt. An tief schürfenden Erklärungen der NS-Diktatur fehlt es nicht; die braune Vergangenheit ist in allen Facetten „aufgearbeitet“. Unbegreiflich bleibt Nachgeborenen aber, wie ein ganzes Volk von einer verbrecherischen Ideologie durchdrungen werden konnte. „Der Deutsche Gruß“ gibt darauf in überschaubarem Rahmen eine Antwort. Der Autor (Jahrgang 1927) erlebte in seiner Heimatstadt Nordhausen am Harz, wie sich das Nazi-Gift in den dreißiger Jahren in der bürgerlichen Gesellschaft ausbreitete – allmählich in der Familie, zwangsläufig in Schule und Vereinen sowie lähmend im öffentlichen Leben. In seinen Erinnerungen wird der historisch widersprüchliche Eindruck deutlich, wie trotz Bedrohungen und des Krieges die junge Generation ein vermeintlich „normales Leben“ hatte. Zum Buchtitel erläutert Ulrich H. K. Hesse: „Der Deutsche Gruß war die verbindliche `Ehrenbezeigung` im NS-Regime . . . Er stand für die ideologischen Verpflichtungen des Einzelnen gegenüber Staat und Partei. Weil er als allgegenwärtige Geste der Unterordnung das tägliche Leben der Diktatur bestimmte, signalisierte er jedoch auch Zustimmung oder Ablehnung seitens derer, die ihn ausführten. Wer aufmerksam darauf achtete, erkannte auf diese Weise, wie er jemanden politisch einzuordnen hatte.“ Anfangs ist die Familie bei Tisch empört, wie schnell manche „politisch die Seiten wechseln“, auch Sozialdemokraten und Gewerkschaftler. Lehrer werden aus dem Schuldienst gedrängt, antisemitische Schikanen gipfeln im Boykott jüdischer Läden. Als Pädagoge, der als verlässlicher Diener des neuen Staates zu gelten hat, und aus Sorge seiner Frau um die Familie tritt der Vater 1937 der NSDAP bei. Er trägt weiter das Abzeichen des Schwimmvereins am Revers, jenes der Partei liegt „im Nachtschränkchen neben den Kondomen“. Über die Pogrom-Nacht im November 1938 berichtet Hesse, wie der Vater als Angehöriger der Technischen Nothilfe zur brennenden Synagoge gerufen, aber von der SA am Löschen gehindert wird. Unverständlich findet er auch, wie eine grölende Menge den Rabbiner auf einem Klavier zu „Freut Euch des Lebens“ zu tanzen zwingt und der kinderfreundliche Zahnarzt, mit dem seine Familie befreundet ist, eine Meute Randalierer gegen jüdische Bürger anführt. „Im Sog der militärischen Erfolge“ findet das NS-Regime zu Kriegsbeginn zunehmend Rückhalt in der „Volksgemeinschaft“, bis der Vater nach dem Überfall auf die Sowjetunion warnt: „Die sind wohl wahnsinnig! Das ist der Anfang vom Ende. Schon für Napoleon begann der Abstieg in Russland!“ Die Reaktion unter Sportlern: „Alle sind geschockt. Kein prahlerisches `Das schafft unsere Wehrmacht auch noch!` oder Ähnliches ist zu hören.“ Die konservativ geprägten Bürger der ehemals Freien Reichsstadt bleiben jedoch in einem preußisch-heroischen Weltbild befangen. Am Ende des NS-Regimes wird dem Protagonisten vom „Führer“-Nachfolger im Befehl zur Kapitulation in dem „aussichtslos gewordenen Kampf“ bescheinigt, dass er „getreu seinem Eid, im höchsten Einsatz für sein Volk für immer Unvergessliches geleistet“ habe. Die Sieger verbieten den „Deutschen Gruß“. Als er höheren Dienstgraden reflexartig mit erhobenem Arm begegnet, führt ein Offizier seine Hand an die Mütze und erklärt, jetzt werde wieder „anständig“ gegrüßt, der „Zirkus mit der Partei“ sei vorbei. Anschaulich und differenziert schildert Hesse seinen Werdegang als Pimpf, Hitler-Junge, Flak-Helfer, Arbeitsdienst-Leistender sowie Marinekadett, der wie andere um ihre Jugend betrogene Deutsche als Überlebende des Zweiten Weltkriegs nach 1945 noch mal auf der Schulbank landet, um das Abitur nachzuholen. Obwohl es sich um ein Einzelschicksal handelt, kommt der Chronik exemplarische Bedeutung zu. Sie ist flüssig und packend verfasst und enthält auch heitere Anekdoten aus bedrückender Zeit.
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