Musikdirektor Fritzsche gewidmet

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Textdaten
Autor: Kurt Kohlmann
Titel: Musikdirektor Fritzsche gewidmet
Untertitel:
aus: Der Nordhäuser Roland (8/1955)
Herausgeber:
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1955
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Quelle: Scan
Kurzbeschreibung:
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
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Musikdirektor Fritzsche gewidmet
Von Kurt Kohlmann, Nordhausen


Fünf Jahre gehörte das Schaffen von Musikdirektor Johannes Fritzsche den Bühnen und dem Musikleben der Stadt Nordhausen. Das Deutsche Nationaltheater in Weimar engagierte für die neue Spielzeit Fritzsche als Chordirektor, und wir können uns vorstellen, daß ihm diese Berufung und die auf ihn in Weimar wartende Arbeit Freude machen wird. Aber wer ihm hier in Nordhausen nahe stand — und der Schreiber dieser Zeilen glaubt, dies von sich sagen zu dürfen —, der weiß auch, daß Musikdirektor Fritzsche der Abschied von hier, trotz seiner beruflichen und materiellen Verbesserung, nicht leicht gefallen ist. Zu viel gute, schöne und auch schwere Erinnerungen — und auch diese können Bindungen schaffen — verbanden Johannes Fritzsche mit unserer Vaterstadt, ihren Menschen und nicht zuletzt ihrer schönen Umgebung.

Diese vor allem liebte Fritzsche, und so wie er in seinem 'Rolandslied' sagt:

„Wenn der Sonntag rückt heran,
geht es auf die Harzer Bahn...“

So sehe ich ihn Hunderte von Malen in diesen fünf Jahren zu jeder Jahreszeit die Harzquerbahn besteigen, um wieder einen Tag unser Harzgebirge in seiner Schönheit zu erwandern. Man muß selbst einmal mit ihm durch die Harzwälder gewandert sein, um die tiefe Vertrautheit zu erkennen, die Fritzsche mit der Natur verband, und die alles andere war, als etwa Natursentimentalität. Er sah die Natur mit den Augen des Künstlers, des Musikers. Er war sich völlig klar darüber, daß die Natur, das Leben noch nichts Vollkommenes darstellen; aber er hörte — wie oft betonte er gerade dies — trotz aller Unzulänglichkeiten die großen Harmonien aus allem Geschehen heraus. Möglich, daß ihn gerade sein vorwiegend musikalisches Empfinden dorthin gelangen ließ, denn meinen oft lebhaften — und nicht immer unbegründeten — Gegenargumenten hielt er einmal das Dichterwort entgegen:

„Wer den rechten Ton gefunden, hört im großen ganzen keine Dissonanzen, lauter Übergang ...“ —

Oder man muß Fritzsche erlebt haben, wenn er in seinem kleinen, vertrauten Kreise in Sülzhayn, wo er gute Freunde gefunden hatte, plauderte, eine ganze Gesellschaft zu unterhalten wußte und zwischen seinen geistvollen Worten, trotz des oft tiefen Ernstes des Themas und des Gesagten, der Schalk hervorblitzte. Ja, sprechen wir es ruhig aus: Fritzsche gehörte zu den wenigen Menschen, die von ganzem Herzen befreiend lachen können und andere mit diesem Lachen anzustecken in der Lage sind. Es mußte schon Schweres geschehen, um ihm einmal das Lachen vergehen zu lassen. Und dieses Schwere hat Fritzsche auch in den Mauern Nordhausens erlebt: es war der Tod seiner Mutter.

Vielleicht darf ich in diesen Zeilen, die ja nicht nur dem Künstler, sondern vor allem dem Menschen Fritzsche bei seinem Abschied von hier gewidmet sind, und die sich nicht damit begnügen möchten, lediglich einen nüchternen Arbeitsabriß von Fritzsches Wirken in Nordhausen zu geben, — vielleicht darf ich auch einmal über diese menschliche Seite Fritzsches sprechen, ohne mich dem Vorwurf einer Indiskretion auszusetzen. Ich habe selten ein so schönes, von tiefster Liebe getragenes Verhältnis zwischen Mutter und Sohn kennenlernen dürfen, als das Verhältnis Johannes Fritzsches zu seiner Mutter. Es ist nicht zuviel gesagt, und alle, die ihm nahe standen, könnten es bestätigen, daß ihn der Tod seiner Mutter nahezu völlig aus der Bahn warf und an den Rand der Verzweiflung brachte.

Und von diesem ganzen "Mutterkomplex“ her, wie die Psychoanalyse diese Dinge nennt, erklärt sich auch Fritzsches Einspännertum. Wenn ein Mann den Ehestand ablehnt und sich sein Leben anderweit einrichtet, so ist die Welt schnell bereit, ihm ein Casanovatum nachzusagen, und man prägt das Wort für ihn, daß er es wegen Einer eben nicht mit allen verderben wolle. Ist es aber nicht vielmehr so, daß solch ein Mann vom vielen Suchen und Nichtfinden seines Frauenideals resigniert und sich dementsprechend auch in seinen Beziehungen zu Frauen verhält? Es war in einer vertrauten Stunde, als mir Musikdirektor Fritzsche einmal gestand: „Ich suche in jeder Frau meine Mutter und weiß doch, daß ich damit unerfüllbare Anforderungen stelle …“ Wer seine Mutter gekannt hat, weiß, daß er mit diesen Worten nicht zuviel gesagt hatte. —

Durften meine bisherigen Worte dem Menschen Fritzsche gelten, so wollen wir ihn bei diesem Abschied nach fünf Jahren auch als Künstler und Schaffenden auf dem Gebiet der Musik nicht vergessen. Wir wollen nicht vergessen, wie viele Abende reinen Kunstgenusses, sei es auf dem Gebiet des Konzerts, sei es im Bereich der Oper (alles hier einzeln aufzuführen, würde zu weit führen) wir ihm danken, wir wollen nicht vergessen, daß wir ihm — um nur zwei Höhepunkte herauszugreifen — auf unserer doch immerhin kleinen Bühne mit ihren beschränkten Möglichkeiten die Einstudierung von Werken danken, wie etwa Wagners „Fliegenden Holländer“, oder den kühnen Versuch mit Orffs „Kluger“, und wir wollen endlich nicht vergessen, daß wir ihm die selbst komponierte Musik für großes Orchester zur „Antigone“ (1950) verdanken. Es sei bei dieser Gelegenheit erwähnt, daß das genannte Werk nicht etwa die einzige Komposition Fritzsches darstellt, im Gegenteil, wir kennen ihn als Schöpfer einer ganzen Reihe von Bühnen-, Chor-, Orchester- und Kammermusikwerken. Es war sowohl für unser Nordhäuser Musikleben überhaupt als auch ganz besonders für Musikdirektor Fritzsche höchst bedauerlich, daß der frühere Intendant, völlig einseitig orientiert, zugunsten des Schauspiels die Oper geradezu sträflich vernachlässigte, jede Vergrößerung des Orchesters ablehnte, und Fritzsche dabei nur äußerst wenig Möglichkeiten zu konzertanten Veranstaltungen hatte. Aber selbst dieser, der Musik gegenüber absolut amusischen Einstellung der früheren Intendanz, setzte sich Fritzsche mit einer Reihe von Symphoniekonzerten, Beethoven-, Mozart- und Serenadenabenden, volkstümlichen Jugenkonzerten und Morgenfeiern mit Kammermusik erfolgreich durch. Unvergeßlich bleiben auch seine Orchesterabende in Sülzhayn und sein großes Richard-Wagner-Konzert im Gehege im Juni 1953.

Trotz seiner stellungsmäßigen Verbesserung bedauert Musikdirektor Fritzsche seinen* Fortgang von hier, da ihm jetzt auch in Nordhausen durch die positive Einstellung unserer heutigen Intendanz zur Musik ein bei weitem größeres Betätigungsfeld gegeben wäre als vordem. — Wir kennen Musikdirektor Fritzsche aber auch als rührig tätigen Menschen auf musiktheoretischen und anderen Gebieten, er war Dozent an der Volkshochschule für Musik- und Theaterwissenschaft, betätigte sich seit Jahren aktiv im Musikausschuß der Stadt Nordhausen und im* Kulturbund, für den er eine große Reihe wesentlicher Referate hielt, war Vorsitzender des Betriebsfriedensrates der Bühnen der Stadt Nordhausen, leitete Werkchöre und Laienspielgruppen der Betriebe an und leistete somit auch ein gutes Teil gesellschaftlicher Aufbauarbeit für die großen Ziele unseres Staates, die Kunst dem, Volke nahe zu bringen. Als einen geringen Dankesversuch an sein Nordhausen, das er in den fünf Jahren seines Hierseins heben gelernt hatte, widmete er unserer Vaterstadt zum Rolandsfest das „Rolandslied“, das, wie er selbst betont, in Dichtung und Komposition weiter nichts sein will, als ein frisches heimatliches Wanderlied, das sich allen Hörern leicht einprägt.

Noch einen kurzen Rückblick auf Fritzsches künstlerische Entwicklung: im Jahre 1903 in Leipzig geboren, besuchte er hier die Schule und in den Jahren 1920 bis 1925 die Universität zum Zwecke des Musikstudiums. Den Jahren als Kapell- und Chordirektor folgt Dozententätigkeit an der Staatlichen Hochschule für Musik. Nebenbei betätigte sich Fritzsche als Gastdirigent beim Rundfunk und bei den Münchener Philharmonikern. Musikalischer Oberleiter und erster Kapellmeister nach 1945 zunächst in Gera, Meißen und Gotha, kommt er in gleicher Tätigkeit 1950 nach Nordhausen.

Wir glauben seinen Worten, die er nach der Oper „Figaros Hochzeit“, seiner Abschiedsvorstellung in Nordhausen, an die Besucher des Theaters richtete, und wir wissen, daß er alle Nordhäuser Theaterbesucher und Kollegen in dankbarer Erinnerung behalten wird. Was wir an dieser Stelle tun können, ist unserem Musikdirektor Fritzsche in seinem neuen Wirkungsbereich allen Erfolg zu wünschen!