Bilder aus der Geschichte Nordhausens und des Kreises „Grafschaft Hohenstein“

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Textdaten
Autor: Heinrich Heine
Titel: Bilder aus der Geschichte Nordhausens und des Kreises „Grafschaft Hohenstein“
Untertitel: Aus Geschichte und Sage der Heimat
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1927
Verlag: Langensalza : Beltz
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Erscheinungsort:
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Kurzbeschreibung:
Digitalisat:
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Aus Geschichte und Sage
der Heimat
Bilder aus der Geschichte Nordhausens
und des Kreises
„Grafschaft Hohenstein"
*


Herausgegeben
von
Heinrich Heine



Verlag von Julius Belz in Langensalza



Eine Jagd zur Urzeit

In grauer Vorzeit, als es bei uns noch kein Dorf und keine Stadt, keine Hütte und kein Haus gab, suchten die Menschen in Höhlen und Felsklüften einen Unterschlupf. Auch in der Einhornhöhle bei Scharzfeld hatte eine Horde einen sichern Zufluchtsort gefunden. In dem weiten halbdunklen Raum sieht man nur Weiber und Kinder hocken, ein paar Männer sitzen vor einem Steinhaufen, aus dem sie durch geschicktes Zerschlagen der mit Bedacht gewählten Steine spitze und scharfkantige Waffen und Geräte zum Schneiden, Stoßen und Schlagen verfertigen. In einer Ecke liegen abgenagte und gespaltene Knochen. Wochenlang haben die Bewohner der Höhle schon von Wurzeln und Beeren gelebt. Gern hätte man Fleisch gegessen, aber das Glück war den Jägern nicht günstig gewesen. Heute morgen waren wieder alle Männer ausgezogen, nur die Steinhauer ließ man zurück, sie waren den Anstrengungen einer Jagd nicht gewachsen. In Gruppen waren sie nach verschiedenen Richtungen hin fortgegangen. Auf dem Wege, den das Wild nach der Tränkestelle zu benutzen pflegt, waren Fallgruben angelegt. Dahin ging ein Teil der Jäger zuerst. Diesmal hatten sie Glück: ein Wisent war hineingestürzt und hatte sich dabei die Vorderläufe gebrochen. Mit wildem Geschrei machten sich die Jäger daran, dem Tier durch Steinwürfe den Schädel zu zertrümmern und es so zu töten. Als das geschehen war, legten sie um die Füße des Tieres Schlingen aus Weidenruten und zerrten es aus der Grube.

Eine andere Gruppe der Jäger war ausgezogen, um äsendes Wild zu beschleichen. Nach längerem Suchen entdeckten sie ein Rudel Riesenhirsche. Auf allen vieren, gedeckt durch Gras und Busch, krochen sie möglichst nahe an die Tiere heran und schossen dann mit dem Wurfspeer und mit dem Bogen auf sie. Eins der Tiere ist getroffen, auf der Flucht bricht es zusammen.

Die Beute wird an einen Fluß geschafft und hier zerlegt. Ein scharfes Steinmesser trennt das Fell, das durch einen stumpfen Schaber von dem Fleisch losgelöst wird. Die Tierhaut zu gerben verstand der Urmensch noch nicht, er trocknete sie und benutzte sie dann als Kleidungsstück. Aus den Därmen werden Riemen und Bänder angefertigt, der Kopf des erlegten Wildes kam als Siegestrophäe in die Wohnung,- das zerlegte Fleisch wird in der Höhle am Feuer gebraten.

Unsere Heimat zur Urzeit

Vor vielen tausend Jahren — man nimmt 100000 und mehr Jahre an — war ganz Norddeutschland und Thüringen von Eis bedeckt. Auch der Harz war teilweise vereist. Zeitweilig wurde es wieder wärmer, das Eis schmolz, die Erde ward trocken und belebte sich mit Pflanzen und Tieren. Dann setzte wieder ein kälteres Klima ein, und das Eis rückte wieder vor. Dieser Wechsel wiederholte sich einige Male. Die mit Eis bedeckten Flächen boten dem Menschen keine Daseinsmöglichkeit erst gegen Ende der Eiszeit finden sich in unserer Gegend Spuren menschlichen Lebens und zwar die frühesten in der Einhornhöhle bei Scharzfeld.

Hier entdeckte man in drei aufeinanderfolgenden Erdschichten Reste von Knochen und andern Gegenständen, die auf die Anwesenheit von Menschen schließen lassen.

In einer Tiefe von 2-3 m findet sich eine Erdschicht, worin Knochen vom Höhlenbären, Höhlenlöwen, Wolf, Dachs, von der Fischotter, einige Topfscherben und Holzkohlen eingeschlossen waren. Viele Knochen waren der Länge nach gespalten: man hatte aus ihnen das Mark gewinnen wollen. Die Tiere waren den Menschen zur Beute gefallen und in die Höhle geschleppt worden, um hier verzehrt zu werden. Manche Knochen zeigen Spuren von Abrundung und Abrollung. Das läßt darauf schließen, daß später das Eis wieder vorrückte,- und als es dann wieder schmolz, ist ein Bach durch die Höhle geflossen, der die Knochen gegeneinander und gegen die Felswand stieß. Zugleich brachte das Wasser Schlamm mit, der diese unterste Schicht bedeckte.

Nachdem die Erde wieder trocken geworden war, diesmal nun endgültig, also nachdem die Eiszeit vorüber war, nahmen wieder Menschen von der Höhle Besitz. Die Erdschicht, die von ihnen Kunde gibt und über dem Lehm liegt, der die ältere bedeckt, enthält neben Knochen vom Bären, Wolf und von der Fischotter auch schon solche vom Wildschwein, Hirsch und Reh, also von Waldtieren, ein Zeichen, daß das Eis von den Berghängen völlig gewichen ist und die Umgegend sich mit Wald bedeckt hat. Von unsern Haustieren findet sich unter den Knochenresten noch keine Spur.

Diese zweite Schicht ist teilweise mit einer Tropfsteinplatte bedeckt. Auf dieser und zum Teil unmittelbar über der zweiten Schicht liegt eine dritte, die sich von der darunter liegenden durch ihre dunkle Farbe unterscheidet, mit Holzkohle und Asche stark vermengt ist und völlig den Eindruck einer Moderschicht macht. Sie gehört einer viel späteren Zeit an, etwa der Zeit bis 1000 v. Chr. und war vielleicht noch in den ersten Jahrhunderten nach der Geburt Christi bewohnt. Unter den Knochen befinden sich neben denen vom Bär, Wolf, Dachs, Fuchs, Elch und Wildschweine auch solche von Haustieren, vom zahmen Schwein, Rind, Schaf, von der Ziege, vom Pferd, Hund und auch Menschenknochen. Außerdem fand man darin zahlreiche Topfscherben, die meisten von roher Arbeit, aber auch schon solche, die auf der Drehscheibe hergestellt waren. Die Scherben sind vom Feuer geschwärzt,- die Gesäße sind also als Kochgeschirr benutzt worden. Als Herd hat offenbar die Tropfsteinplatte gedient. Es wurden ferner darin gefunden Schmucksachen und Waffen, namentlich ein durchbohrter Steinhammer, ein feingeschliffener Steinkeil, eine rohe Tonperle, eine Bernsteinperle, ein bearbeitetes Stück Hirschhorn, auch einige Gegenstände von Metall, wie eine Spirale von Bronze und eine eiserne Nadel.

Spuren menschlichen Daseins aus der Vorzeit hat man auch sonst an vielen Orten unserer engeren Heimat gefunden, namentlich viele Grabstellen, so bei Nordhausen, Urbach, am Zoll hinter Crimderode, bei Oberdorf, Hainrode unter der Wöbelsburg, auf der Hasenburg, bei Uthleben, Berga und besonders zahlreich bei Auleben. Hier hat man an der Straße nach Kelbra am Abhange des Soolberges ein ganzes Gräberfeld, einen vorzeitlichen Friedhof, entdeckt, von dem eine Anzahl Gräber geöffnet ist. Man fand in ihnen Urnen, Schmuckgegenstände wie Nadeln und allerlei Ringe aus Bronze, ferner kleinere Tongefäße und Waffen. Sie werden im städtischen Museum in Nordhausen aufbewahrt.

Außer diesen Gräberfunden werden häufig auch noch Einzelfunde bei Erdarbeiten oder beim Bestellen des Ackers gemacht: Topfscherben und ganze Töpfe, Steinbeile und -messer, Waffen, Geräte und Schmucksachen aus Bronze und Eisen kommen zum Vorschein, die alle für die Vorgeschichte von größter Bedeutung sind.

Nach allen diesen Funden teilt man die Vorzeit ein in eine Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit.

Am weitesten zurück liegt die Steinzeit. In dieser Zeit lieferte der Stein dem Menschen die notwendigsten Geräte,- daneben benutzte er noch die Knochen und Geweihe der Tiere. Je nach der Bearbeitung dieser Rohstoffe unterscheidet man eine ältere und eine jüngere Steinzeit. In der älteren wurden die Steine nur roh behauen. Hauptsächlich wurden Feuersteine verwendet, wo diese nicht zu haben waren, wie in unserer Heimat, auch andere harte Steine, die beim Spalten scharfe Kanten ergaben. Gefäße aus Ton gab es in der älteren Steinzeit noch nicht. Den Lebensunterhalt gewährte die Jagd und das Sammeln von Beeren und Wurzeln. Ackerbau und Viehzucht lagen noch in weiter Ferne. Daher war der Mensch auch noch nicht seßhaft. Außer in der Etnhornhöhle hat man in unserer Nähe noch bei Weimar Spuren des Menschen aus der älteren Steinzeit gefunden.

Die jüngere Steinzeit. Die Menschen der älteren Steinzeit wurden durch das wieder vorrückende Eis aus ihren Wohnräumen vertrieben. Tausende von Jahren war alles wieder von Eismassen bedeckt. Dann wechselte das Klima abermals. Dem zurückweichenden Eise folgte der Mensch,- aber es ist ein anderer Menschenschlag, der jetzt in unsern Gegenden erscheint. Die trocken gewordene Erde bot ihm die Möglichkeit zu längerem Verweilen an einem Orte. Er fing an, den Acker zu bauen und Vieh zu züchten,- er wurde seßhaft. Wo natürliche Höhlen oder überhängende Felsen vorhanden waren, mag er diese noch zu Wohnräumen benutzt haben,- sonst grub er Löcher in die Erde und bedeckte sie mit einem btenenkorbartigen Schutzdache aus Rutengeflecht, das er mit einer Lehmschicht gegen Wind und Wetter dicht machte. Solche Wohnstätten treten an verschiedenen Stellen in größeren Gruppen zu dorfartigen Ansiedlungen vereinigt auf. In unserer Gegend hat man davon noch keine Spuren gesunden, wohl aber bei Sangerhausen, bei Göttingen. Weißenfels, Zeitz u. a. O. Daß aber auch unsere Heimat damals schon bewohnt war, das beweisen die zahlreichen Einzelfunde, die auch hier gemacht worden sind, wie z. B. die Steinbeile, Meißel, Hämmer, Messer, Schaber, Dolche, Pfeilspitzen. Sie sind zum Unterschiede von den Geräten der älteren Steinzeit jetzt sauber geschliffen, die Beile und Hämmer haben bereits ein Loch für den Stiel. Auch Tongefäße (Urnen) findet man häufig, meist jedoch nur Scherben davon. Sie sind im Feuer gebrannt und mit allerlei Zierat versehen, wie mit Schnüren und Bändern in den verschiedensten Mustern.

Von der äußeren Erscheinung der damaligen Bewohner unserer Gegenden kann man sich nach den erhaltenen Skelettresten eine nicht ungünstige Vorstellung machen, sie lassen auf einen wohlgebauten Menschenschlag schließen. Für die Kleidung standen außer den Fellen schon gewebte Stoffe zur Verfügung. Die sichtbaren Körperflächen bemalte man gern mit Rötel. Den Hals schmückten Ketten, zu denen perlen aus Bernstein, Marmor, Braunkohle, Schiefer, Muscheln, durchbohrten Tierzähnen u. dergl. verwendet wurden. Auch Ohrringe trug man schon, ebenso Armringe aus Marmor oder Muscheln. Ein künstlerischer Sinn zeigt sich bereits in der Formgebung und Verzierung der Gefäße. Auch einen lebhaften Handelsverkehr unterhielt der Mensch der jüngeren Steinzeit schon. Da in Thüringen der Feuerstein selten ist oder nur in kleineren Stücken vorkommt, bezog man die größeren Dolche und Lanzenspitzen aus dem Norden,- aus südlicheren Gegenden stammen die Marmorringe,- Bernsteinperlen kamen von der Ostsee,- sogar kupferne Schmuckstücke, ebenfalls aus dem Süden, finden sich. Dieser Einfuhr fremder Waren entsprach eine Ausfuhr hier angefertigter Gegenstände,- so kommen Steingeräte von einer ganz bestimmten Form aus Steinen des Harzes weit nach Süden und nach Osten hin vor.

Die vorherrschende Bestattungsform war die Beisetzung der unverbrannten Leiche in Erdgräbern und zwar meist mit gekrümmten Knien (Hocker) in liegender oder sitzender Stellung, daneben kommen auch gestreckte Skelette vor.

Die jüngere Steinzeit dauerte bis etwa 2000 v. Chr.

Die Bronzezeit (2000 — 500 v. Chr.).
Mit der Zeit verdrängte das Metall den Stein als Material für Werkzeuge und Waffen. Schon in der jüngeren Steinzeit kamen vereinzelt kleine Gegenstände aus Kupfer vor,- doch war dieses Metall für den Gebrauch zu weich. Erst als man durch eine Mischung des Kupfers mit Zinn ein Metall, die Bronze, erfunden hatte, das dem Stein an Härte gleich kam, ihn aber an Dauerhaftigkeit übertraf, wurden die Steingeräte in den Hintergrund gedrängt, obgleich sie immer noch gebraucht wurden. Die Bronze ist vermutlich Ln Spanien, wo sich viel Kupfer und Zinn findet, erfunden worden und ist zunächst auf dem Handelswege nach Norden gekommen. Später wurde sie hier selbst hergestellt. Aus Bronze fertigte man Beile, Dolche, Schwerter, Hals- und Armringe, Nadeln usw. Funde dieser Art find bei Nordhausen, Auleben, Görsbach, Sangerhausen, Uthleben, Oberdorf gemacht worden. (S. Nordhs. Museum).

Große Bronzefundstätten entdeckte man in Hallstadt im Salzkammergut, daher nennt man diese Zeit auch oft die Hallstadtzeit.

Die Eisenzeit. Etwa um 500 v. Chr. kamen zu den Bronzegegenständen noch eiserne. Da Eisenteile leicht rosten, sind Waffen und Geräte aus Eisen, die man in Gräbern oder einzeln findet, stark vom Rost angefressen. Die oberste Schicht in der Einhornhöhle enthält auch Eisenteile. Ebenso ist in einem Grabe am Zoll eine eiserne Schwertklinge gefunden worden,- auf der Hasenburg fand man ebenfalls eiserne Nadeln, eine eiserne Schere u. a., ferner bei Sondershausen usw.

Je mehr wir uns der Zeit der Geburt Christi nähern, desto besser werden auch die Wohnverhältnisse. Ein Bild davon geben uns dieGräber. Man findet Grabkammern aus festgezimmertem Eichenholz mit einem Dach aus schrägen Sparren/ aus den Sparren ruhen Bohlen, deren Fugen mit Gips verstrichen sind. Ähnliche Formen haben die sogen. Hausurnen. Man kann diese Gräber und Urnen als Modelle der damals üblichen Wohnhäuser ansehen. Wie nun aber neben den reich ausgestatteten Grabstätten auch noch einfache Flachgräber Vorkommen, so war sicher auch ein Unterschied in den Wohnhäusern: der Vornehme saß im festgefügten Holzbau, der geringe Mann hauste in der schon von der Steinzeit her bekannten Wohn- oder Herdgrube, die von einer leichten mit Lehm beworfenen Reisighütte überdacht war.

An manchen Stellen unserer Heimat kommen Wallburgen vor sie liegen meist auf Bergen oder an andern von der Natur geschützten Punkten, so z. B. auf dem Kohnstein, dem Mühlberg, auf der Wöbelsburg, auf der Hasenburg, wo die eine Seite unzugänglich ist und die andere Seite durch Wall und Graben geschützt wurde. Diese Wälle sind noch heute zu erkennen. Sie stammen schon aus sehr alter Zeit, z. T. schon aus der Bronzezeit und wurden wohl auch noch in späterer Zeit benutzt. Dahin flüchteten die Bewohner der Gegend sich in Zeiten der Not, wenn ein Feind sie bedrohte.

Die Leichen wurden bis in die Bronzezeit hinein in der Erde bestattet. Aber schon in der späteren Bronzezeit tritt die Leichenverbrennung auf, die bis zur Zeit der Franken die herrschende Bestattungsweise blieb. Die Asche wurde mit den Brandknochen und mit Schmucksachen des Verstorbenen in eine Urne getan und in Gräbern beigesetzt, die manchmal zu großen Friedhöfen vereinigt erscheinen. Erst als die Franken unser Gebiet erobert hatten (531), gelangt die bei diesem Volk übliche Leichenbestattung auch bei uns wieder zur Herrschaft. Die Gräber aus dieser Zeit sind durchweg Skelettgräber und zwar Flachgräber, in denen die Leiche in einem Holzsarge oder auf einem Brett beigesetzt wurde. Manchmal liegen die Leichen auch in einem Steinkistengrab, das aus Steinplatten zusammengesetzt ist.

Wie Nordhausen entstand

 1. Es war um das Jahr 785.

 Auf der alten Heerstraße von dem Königshofe Tilleda über Kelbra, Auleben, Heringen, Uthleben kam ein Trupp Reiter daher. Es waren Franken. Das sah man an der Kleidung. An den Füßen hatten sie Lederschuhe, deren lange Riemen bis an die Knie um die engen Hosen gewunden waren. Ein Mantel bedeckte die Schultern,- darunter war das lederne Panzerhemd sichtbar. An der Seite hing ihnen ein kurzes Schwert und auf dem Rücken der runde Schild aus Holz, mit Leder überzogen. Ein schwerer Wagen kam hinter ihnen her.

 Bei Sundhausen machten sie halt. Die Pferde befestigten sie auf einem Grasplatz mit langen Leinen an pflöcken, die in die Erde geschlagen waren. Dann gingen sie an die Arbeit. Von dem Wagen holten sie lange Ketten und pfähle und fingen an das Land hier auszumessen. In langer Richtung wurde zunächst die Grenze abgesteckt und dann das Feld in kleinere Flächen zerlegt. Wo heute das Dorf liegt, wurden Hofplätze abgeteilt, ein weiter Raum für einen großen Hof und daneben Plätze für einige kleinere. Abends kehrten sie nach Tilleda zurück, um am andern Tage ihre Arbeit fortzusetzen.

 Nach einiger Zeit, als sie hier fertig waren, zogen sie weiter und kamen dahin, wo jetzt Nordhausen liegt. Das schien ein besonders günstig gelegener Platz zu sein. Hier trafen mehrere alte Heerstraßen zusammen, von Tilleda, von Wallhausen, von Erfurt, die von hier um oder über den Harz nach Goslar führten. Don der Höhe des heutigen Frauenberges konnte man das ganze Helmetal übersehen. Hier wurde daher ein besonders weiter Raum ausgemessen, auf dem ein großer Hof mit Herrenhaus, landwirtschaftlichen Gebäuden und Häusern für die Arbeiter Platz hatte. Das Ackerland in der Umgebung wurde ebenfalls für den Hof abgegrenzt.

 Von hier aus zog die Schar dann weiter nach Salza, Woffleben, und Wolkramshausen, um dort ebenfalls die Flur aufzuteilen.

 Den fränkischen Landmessern folgten Bauleute, die auf dem ausgemessenen Gebiet an den genau bezeichnten Stellen die Wohn- und Wirtschaftsgebäude aufführten.

 2. Die Vermessung hing mit der Eigenart der fränkischen Landbesetzung zusammen.

 Thüringen bildete früher ein eigenes Königreich, zu dem auch unsere Heimat gehörte. Im Jahre 5Z1 wurde es von den Franken erobert und gehörte nun zum fränkischen Reiche. Nach fränkischem Gesetz erhielt der König einen Teil des eroberten Landes als persönliches Eigentum. Als solches kam hauptsächlich das ödliegende Grenzland zwischen den einzelnen Stämmen und Gemeinden in Betracht, dann aber auch das von den Besitzern im Kriege verlassene Land, und wo solches nicht genügend vorhanden war, wurde es durch gewaltsame Wegführung der Bewohner geschaffen. In den ersten kriegerischen Zeiten begnügten die fränkischen Herrscher sich damit, von den Thüringern durch den Herzog, der über sie gesetzt war, Abgaben einzuziehen,- dann aber, etwa vom 8. Jahrhundert ab, begann man mit der planmäßigen Aussonderung und Ausmessung des Königsgutes. Dom Main und von der Werra drangen die damit beauftragten fränkischen Beamten, den Flußtälern folgend, in Thüringen ein. Das Land wurde ausgemessen und dabei das Königsgut ausgesondert. Ein Teil des neugewonnenen Gutes wurde für einen Königshof bestimmt, den der König für sich bewirtschaften ließ,- anderes Land wurde an fränkische Krieger verteilt,- auch an vornehme Herren, die dem Könige wichtige Dienste im Kriege geleistet hatten, wurde Königsgut verliehen. So wurde alles eroberte Land von fränkischen Kriegeransiedelungen durchzogen,- darauf beruhte die militärische Sicherung des Landes. Der Mittelpunkt dieser fränkischen Besatzung war der Reichsh o f. Er diente in erster Linie militärischen Zwecken. Er war mit Wall und Graben, häufig auch schon mit einer Mauer umgeben und war so groß, daß er in Kriegszeiten die umwohnenden Bauern aufnehmen konnte. Beim Vormarsch wurde das Heer hier untergebracht und von hier aus verpflegt. Wenn der König auf Reisen war, kehrte er in dem Reichshofe ein. Der Verwalter des Reichshofes hatte auch die Aussicht über die anderen kleineren Höfe auf dem Reichsgut in der Umgebung.

 3. Auch in Nordhausen wurde unter Karl d. Gr. — etwa um das Jahr 785 — ein Reichshof angelegt. Er hat wahrscheinlich südlich von der Frauenbergskirche gestanden. Hier erhebt sich heute auf sehr altem steinernen Unterbau ein hohes Fachwerkgebäude, in dem alleinstehende arme alte Frauen ein Unterkommen finden,- da hat, wie man annimmt, das Herrenhaus des Reichs- Hofes gestanden. Südlich und westlich davon nach dem Mühlgraben zu, werden die Wirtschaftsgebäude gewesen sein. Der ganze Hof war mit einer Mauer umgeben,- Reste davon sind im Norden bei der Frauenbergskirche und im Westen bei der Schafgasse noch zu sehen. Mit dem Hofe zugleich wurde der Mühlgraben angelegt, um daran eine Mühle zu bauen (die heutige Klostermühle), die den Reichshof mit Mehl versorgte.

Nördlich vom Reichshofe wurden fränkische Krieger angesiedelt, die den Wacht- und Schutzdienst versehen und auch in der Landwirtschaft tätig sein mußten. Sie wohnten am Frauenberge, in dem untern Teil der Frauenberger Stiege und in der Lichtengasse. Diese Ansiedelung bildete das fränkische R eich s- dorfNordhausen, das wir als die älteste Ansiedelung in geschichtlicher Zeit auf dem Raume der jetzigen Stadt Nordhausen ansehen müssen. Die Ansiedelung auf dem Reichsgute südlich von Nordhausen, die gleichzeitig mit dieser entstand, erhielt den Namen Sund- (d. h. Süd-) Hausen. Die Endung -Hausen in Ortsnamen ist besonders den Franken eigen. Nord- wie Sundhausen kommen häufiger vor, ebenso auch Osterhausen.

4. Mehr als 100 Jahre später finden wir nordwestlich vom fränkischen Reichshofe einen zweiten Hof,- er gehörte dem deutschen König Heinrich l. Von dieser Stelle aus, nicht von dem fränkischen Reichshofe und Reichsdorfe, ist die heutige Stadt Nordhausen ausgegangen. Nachdem Heinrich!. König geworden war, hieß der Hof fortan der Königshof. Er lag auf dem Platze, der noch jetzt „Königs Hof" heißt. Von hier aus wurden die Ländereien beackert, die zu dem Hofe gehörten. Wie auf einem heutigen Gutshose wurden dort Pferde, Ochsen und Kühe, Schafe, Schweine, Federvieh und Bienen gehalten. Außer den Scheunen und Ställen waren hier auch die Wohnungen der Knechte, die den Acker bestellten und die Werkstätten der Schmiede, Schuster, Netzemacher und anderer Handwerker. Frauen und Mädchen spannen in besonderen Häusern Flachs und Wolle, webten Gewänder, strickten und färbten. So schlossen sich an die eigentlichen Wirtschaftsgebäude viele andere Häuser, die nach und nach einen besonderen Ort bildeten. Auch eine Kirche wird bald gebaut worden sein, die Vorläuferin der heutigen Marktkirche. Die jetzige Kirchengemeinde, die allmählich aus der Vergrößerung des Königshofsbezirkes hervorgegangen ist, können wir als den ältesten Stadtteil Nordhausens ansehen.

Neben dem Hofe, wo nur Wirtschaftsgebäude waren, baute Heinrich I. eine Burg, in der er wohnte, wenn er in Nordhausen war. Sie lag wahrscheinlich neben dem heutigen Dom am Steilabhange des Berges, so daß sie nicht leicht einzunehmen war. (Bild Heinrichs I. im Stadthause.)

Vom Königshofe Heinrichs I. aus ist also die Stadt entstanden, darum kann man Heinrich I. den Gründer Nordhausens nennen. Im Jahre 927 schenkte er seiner Gemahlin Mathilde Hof und Burg mit allem, was dazu gehörte. In diesem Jahr waren also die Anfänge der späteren Stadt schon vorhanden, darum kann Nordhausen 1927 seine Tausendjahrfeier begehen.

Auf den um den Königshof entstandenen Ort ging nun der Name "Nordhausen" über, während die fränkische Ansiedelung mit "Altennordhausen" bezeichnet wurde.

5. Als der sächsische Königshof angelegt wurde, kam an ihn ein großer Teil der Länderet des alten Reichshofes, der am Frauenberge, wenn auch verkleinert, noch weiter bestand und von einem Vogt verwaltet wurde. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts entstand dann aus der Stelle des Reichshofes ein Nonnenkloster, an das nun alle seine noch vorhandenen Besitzungen und Einkünfte übergingen. Damals wird auch die Frauenbergskirche gebaut worden sein, die ihrer Bauweise nach auf diese Zeit hinweist. Sie trat wohl an Stelle von einem Kirchlein des alten Reichsdorfes und diente nun auch als Klosterkirche. Die Klostergebäude sind zum Teil noch vorhanden, so das Hauptgebäude, das noch heute "Kloster" genannt wird, und dessen hoher Fachwerkbau aus der Zeit um 1500 stammt.

Königin Mathilde gründet in Nordhausen das Nonnenkloster zum heiligen Kreuz. 962

Die Königin Mathilde war die Gemahlin Heinrichs I. Damit sie nach des Königs Tode keine Not leiden sollte, hatte er ihr neben andern Gütern die Königshöfe in Nordhausen und Quedlinburg als Witwengut geschenkt. Auf beiden Höfen wohnte sie in ihrer Witwenzeit abwechselnd, und an beiden Orten gründete sie ein Kloster. 2n Nordhausen stiftete sie nahe der königlichen Burg ein Nonnenkloster/ später erhielt das Kloster als wertvolle Gabe (Reliquie) einen Holzsplitter vom Kreuze Christi und hieß nun das "Kloster zum heiligen Kreuz". Auch eine Kirche ließ sie für das Kloster bauen/ daraus ist später der heutige Dom entstanden.

Bald nach der Errichtung des Klosters kam ihr Sohn, König Otto I., nach Nordhausen. Sieben Tage verweilte er bei seiner alten Mutter. Als er wieder abreisen wollte, gingen sie frühmorgens zusammen in die Kirche. Dann traten sie aus der Tür, um Abschied zu nehmen. Mathilde bat den König noch einmal inständigst, für das Kloster zu sorgen, wenn sie nicht mehr da sei, bei ihrem hohen Alter könne sie nicht mehr hoffen noch lange zu leben. Tiefgerührt versprach Otto, alle ihre Bitten zu erfüllen. Unter Tränen schlossen sie sich noch einmal in die Arme/ dann schwang sich Otto auf sein Roß. Die Mutter aber kehrte in die Kirche zurück nach der Stelle hin, wo Otto während des Gottesdienstes gestanden hatte und kniete dort nieder. Einige der noch zurückgebliebenen Begleiter des Königs, die dies bemerkten, teilten es ihrem Herrn mit. Otto sprang sofort aus dem Sattel und kehrte zu seiner Mutter zurück, die in Tränen zerfließend hier noch betete. Er hob sie auf und sprach: „Durch welchen Dienst kann ich dir diese Tränen vergelten?" Noch einmal tauschten sie tief bewegt einige Worte aus, noch einmal bat Mathilde um die Gunst, daß ihr Sohn sorgsam dieses Klosters gedenken möge/ dann nahmen sie Abschied voneinander. Otto hat seine Mutter nicht wieder gesehen. (Bild im Stadtverordnetensitzungszimmer im Stadthause.)

Otto I. und seine Nachfolger haben den Wunsch der Stifterin erfüllt und getreulich für das Kloster gesorgt. Ihr Enkel Otto II. schenkte dem Kloster den um den Königshof entstandenen Ort Nordhausen.

Andere Klöster in Nordhausen und der Grafschaft Hohenstein

1. In Nordhausen gibt es eine „Barfüßerstraße". Sie hat den Namen von dem Kloster der Barfüßermönche, das auf dem Spendekirchhof lag. Die Barfüßermönche hießen auch Franziskaner, denn ihr Mönchsorden war von dem heiligen Franz von Assisi in Italien gegründet worden. Bon dort aus verbreiteten sie sich auch nach Deutschland. Angetan mit einem braunen Gewand, barfuß oder nur mit Sandalen unter den Füßen zogen sie von Ort zu Ort und predigten, meist unter freiem Himmel, auf der Straße oder wie es die Gelegenheit mit sich brachte. Sie fanden großen Zulauf,- denn sie verstanden volkstümlich zu reden, aus dem Leben heraus, oft spottend und scheltend, aber immer in der Sprache des Volkes. Fast in allen größeren Städten entstanden Franziskaner- oder Barfüßerklöster. Zu Anfang des 13. Jahrhunderts kamen sie auch nach Nordhausen. Auf dem Spendekirchhofe hatten sie ihr Kloster und ihre Kirche. Später hieß diese Kirche auch Spendekirche, weil in ihr an die Armen der Stadt alljährlich am Freitag vor Palmarum eine Spende von Brot und Heringen verteilt wurde. Der Rat der Stadt hatte diese Spende gestiftet zum Andenken an die glückliche Errettung der Stadt bei einem Überfall durch die Grafen von Honstein und Stolberg (1329). Die Kirche wurde in den letzten Jahrhunderten nur noch zur Abhaltung der Leichenpredigten bei Beerdigungen auf * dem dortigen Friedhof benutzt und 1805 abgetragen. Der Spendekirchhof wurde bis 1855 von den Gemeinden St. Nikolai und St. Blasii benutzt.

2. Bald nach den Barfüßermönchen kamen die Dominikaner. 2m Jahre 128? erhielten sie von dem Rate der Stadt auf dem Grundstück der heutigen Mädchenmittelschule ein Stück Land, auf dem sie ihr Kloster und ihre Kirche erbauten. Weil ihre Hauptaufgabe das predigen war, nannte man sie auch Predigermönche. An sie erinnert heute noch die „Predigerstraße".

3. Etwa um das Jahr 1300 bauten sich auch die Augustinermönche hier an. 2hr Kloster lag auf dem Grundstück Neustadtstraße 46, wo noch alte Grundmauern des Klosters zu sehen sind. Auch Augustinerklöster gab es in allen größeren Städten. Aus dem Augustinerorden ist Dr. Martin Luther hervorgegangen.

Franziskaner, Dominikaner und Augustiner waren Bettelmönche, weil sie ihren Lebensunterhalt erbettelten.

4. Nonnenklöster gab es nach der Auflösung des von der Königin Mathilde gestifteten Klosters zum heiligen Kreuz später noch zwei: das schon erwähnte Frauenbergskloster und das Altendorfskloster neben der Altendorfer Kirche.

Außerhalb Nordhausens lag vor dem Töpfertor das Mönchskloster Himmelgarten.

5. Von besonderer Bedeutung für unsere Gegend ist das Kloster Walkenried geworden. Es soll 1129 von einer Gräfin Adelheid von Klettenberg gegründet worden sein. Die Mönche, die hier wohnten (es waren Zisterzienser, nach dem ersten Kloster dieses Ordens, Zisterzium in Frankreich, genannt), sollten sich von ihrer Hände Arbeit ernähren, vor allem sollten sie den Boden bebauen. Sie fanden hier reichlich Arbeit. Das Helmetal war damals noch ein Sumpfgebiet. Da fingen die Mönche an, es trocken zu legen und in Ackerland zu verwandeln. Die urbar gemachten Flächen gab ihnen der Kaiser als Eigentum, und bald hatten sie in dem ganzen Tale von Nordhausen über Heringen bis nach Artern hin Höfe, Felder und Wiesen.

2m Laufe der Zeit vermehrte das Kloster seinen Besitz dauernd, fast in jedem Dorfe der näheren Umgebung hatte es Land oder ganze Bauernhöfe. 2n Nordhausen hatte es ein Haus, den Walkenrieder Hof (jetzt Haupt- zollamt, Ecke Ritter- und Waisenhausstraße), dort wurde das Korn angesammelt, das von den Höfen in der Umgebung geliefert werden mußte.

Aber auch ln entfernteren Orten hatte das Kloster Besitzungen: Waldungen und Erzhütten im Harz, Weinberge in Würzburg, Anteil an dem Salzwerk in Lüneburg. Mit Recht konnten die Mönche sich rühmen, auf einer Reise nach Rom jede Nacht auf ihrem Eigentum oder in einem Kloster ihrer Brüderschaft übernachten zu können.

Weil das Kloster so reich war, konnte es sich auch eine Kirche bauen (im 13. Jahrhundert), wie sie größer und schöner in Deutschland nicht zu finden war. Sie war aus Werksteinen aus einem Steinbruch bei Nüxei aufgemauert, die die Mönche so fein und genau behauen hatten, daß die Fugen kaum zu sehen waren und die Kirche in blendendem Weiß wie aus einem einzigen Stein gehauen erschien. Sie war 85 m lang und Z5 m hoch. Die Mauerreste mit den hohen Fensteröffnungen zeugen noch heute von der ehemaligen Pracht des Baues.

Ein Turnier zu Nordhausen. 1263

Heinrich der Erlauchte, Landgraf von Thüringen, war ein rechter Ritter, ein Liederdichter und Freund der Dichtkunst und weit und breit bekannt. Zu Nordhausen hielt er 126Z ein Turnier ab, von dem noch lange Zeit nachher die fahrenden Sänger erzählten und sangen. Aus ganz Deutschland lud er die Grafen und Herren, Ritter und Knechte ein. Die Ebene draußen vor dem Bielenlore, „auf dem Hammer", war zum Turnierplatz ausersehen. Lange Zeit wurde daran gearbeitet, um den Platz für das Fest herzurichten/ er wurde geebnet, mit Sand bestreut und mit einem Lattenverschlage eingefriedigt. Hinter der Einfriedigung wurden Tribünen, Buden und Zelte erbaut. Die Tribünen waren für die geladenen Gäste, für die Ritter und Edelfrauen bestimmt. Die Sitzplätze waren so hoch gebaut, daß man von da aus den ganzen Turnierplatz übersehen konnte. Zum Schuhe gegen die Witterung waren sie mit einem Dache versehen und an den Seiten mit bunten Teppichen behängen. Zuletzt wurden noch die Tribünen und Eingangspforten mit frischen Laubkränzen geschmückt.

Unterdes bereitet man sich auch in der Stadt auf das Turnier vor. Überall herrscht geräuschvolles Treiben: Schmiede, Lederarbeiter, Schildmaler, Gewandschneider, Goldschläger, Federschmücker und andere Handwerker sind in angestrengtester Tätigkeit. Bald kommen auch schon fremde Ritter/ mit stattlichem Gefolge in bunten Farben und glänzenden Rüstungen ziehen sie durch alle Tore ein. Je näher man dem festgesetzten Turniertage kommt, desto zahlreicher treffen sie ein. Die Herbergen füllen sich, auch Bürgerhäuser nehmen Einquartierung. Auf den Straßen ist jetzt ein lebhafter Verkehr, der bis spät in die Nacht hinein dauert. Die Ritter, welche des Abends einander besuchen, lassen sich große Wachslichter vorantragen/ davon ist die Stadt, in der damals noch keine Straßenlaternen brannten, hell erleuchtet.

Endlich bricht der Turniertag an. Am Morgen dieses Tages reitet der Herold durch die Straßen der Stadt und ruft: „Wappnet euch, gute Ritter, wappnet euch, tragt stolzen Mut und zieht freudig aufs Feld erweiset eure Ritterschaft und dienet schönen Frauen" Nun legen die Ritter ihre Rüstung an: die aus Ringen geflochtene Eisenhose, welche an den Knien mit Eisen- platten versehen ist/ ferner die blankgescheuerte eiserne Brünne oder den Brustharnisch, über den sie noch einen seidenen Wappenrock ziehen den Kopf bedecken sie mit dem Helme, das Schwert gürten sie um, und über die Schulter hängen sie den dreieckigen Schild, auf dem das Wappen des Ritters zu sehen ist, ein Löwe, ein Hirsch, ein Bär, ein Adler, eine Blume u. dergl. Dann besteigt der Ritter sein Roß, das mit einer prachtvollen bunten Decke behängen ist, nimmt seinen Speer in die rechte Hand und zieht auf den Marktplatz. Hier versammeln sich alle Ritter. Nachdem sie in zwei Haufen geteilt und zu paaren geordnet sind, ziehen sie mit Trompetengeschmetter die Rautenstraße hinunter, den Backhausberg und den Frauenberg hinauf und durch die jetzige Sangerhäuser Straße zum Bielentore hinaus. Unter lauter Kriegsmusik reiten sie durch die Schranken in den Turnierplatz ein. Auf einen Wink des Landgrafen gibt der Herold das Zeichen zum Beginne des Turniers. Zuerst reiten je zwei durch das Los bestimmte Ritter einzeln gegeneinander. In vollem Galopp sprengen sie mit eingelegtem Speere aufeinander es gilt, den Gegner so zu treffen, daß er vom Pferde geworfen wird. Sitzen beide Ritter fest im Sattel, so zerbrechen von dem Stoße die Speere/ dann bringen die Knappen neue. Nach dem Einzelkampfe beginnt das Kampfspiel der einzelnen Haufen der beiden Parteien. Jede Schar sucht die Ritter der feindlichen Partei im Anrennen aus dem Sattel zu werfen oder gefangen zu nehmen.

Hinter den Schranken steht das Volk dicht gedrängt, bis oben auf den Weinberg hinauf wimmelt es von Zuschauern. Manche sind darunter, die nicht aus Neugierde hergekommen sind: Spielleute, fahrende Sänger, Gaukler und Narren in bunten Gewändern belustigten schon damals das Volk, wie sie es jetzt noch auf Jahrmärkten und Schützenfesten tun. Hier zeigt einer einen kleinen Affen mit roter Jacke, dort tanzt ein Bär, und daneben steht ein Kamel mit großem Höcker. An einer anderen Stelle ist ein Seil ausgespannt, auf dem ein Seiltänzer seine Künste zeigt. Hier hat sich um einen Spielmann ein Kreis gebildet: er besingt unter Begleitung der Guitarre die Taten eines Ritters, der im Turniere einen Sieg davongetragen hat, oder er gibt ein bekanntes, aber immer gern gehörtes Lied von Siegfried, dem Drachentöter, zum besten. In den Buden und Zelten wird gegessen und getrunken, und überall ertönt Freude und Jubel.

Bach Beendigung des Turniers wird der Dank an die Sieger verteilt. Als Preis hatte der Landgraf einen künstlich aus Gold und Silber bereiteten Baum anfertigen lassen. Wer im Rennen seinen Speer an dem Gegner zerbrochen hatte, bekam ein silbernes Blatt, wer aber den Gegner vom Pferde geworfen hatte, erhielt ein goldenes. Mit einem Festschmause schloß das Turnier.

Die Revolution in Nordhausen am 13. Februar 1375

Am Nachmittag des 13. Februar 1375 war im Wirtshaus „Zur roten Tür" eine Bürgerversammlung/ man war mit dem Rate der Stadt unzufrieden und wollte darüber beraten, was zu tun sei, damit der Bürgerschaft ihr Recht werde. Ein Fleischer, Claus Hofmann, redete: „Der Rat braucht immer mehr Geld. Mit allen Grafen umher fängt er Streit an, und die Bürger müssen dann zahlen. Der letzte Handel mit dem Honsteiner wegen der Schnabelsburg hat uns 1500 Mk. gekostet.[1] Der Rat erhebt stets neue Steuern, aber wieviel Geld einkommt und was davon bezahlt wird, davon erfährt keiner etwas/ zur Rechnungslegung ist der Rat nicht zu bewegen. Wie kommen die Herren Gewandschnitter (Tuchhändler) dazu, allein im Rate zu sitzen und der Stadt Geschäfte zu führen, zumal ein großer Teil von ihnen adelige Herren sind, wie die von Tettenborn, von Urbach, von Trebra, von Hain usw., die ihr Dorf verlassen haben und seht bei uns Handel treiben. Das mögen sie tun, aber sie sollen den gemeinen Bürger nicht schlecht behandeln und sich nicht einbilden, daß sie mit ihren Freunden die Herren der Stadt sind. Wir Fleischer, Bäcker, Schmiede, Schuhmacher und die anderen Zünfte müssen auch mit im Rate sitzen, und zwar nicht, wie es setzt wohl geschieht, daß die Gewandschnitter aus Gnade und Barmherzigkeit einen Handwerker mit in den Rat hineinnehmen, sondern wir wollen ein Recht dazu haben. In anderen Städten, wie in Mühlhausen und Magdeburg, haben die Zünfte es durchgesetzt, daß sie mit in den Rat gewählt werden; das müssen wir auch erreichen."

Das war die Meinung der ganzen Versammlung. Es wurden nun drei Männer gewählt, die sollten sogleich nach dem Rathaus gehen und dem dort versammelten Rat ihre Forderungen vortragen. Als die Abgesandten ihr Begehren vorbrachten, entstand unter den Ratsherren gewaltige Aufregung; sie dachten gar nicht daran, auf die Forderung der Zünfte einzugehen, und hitzige Reden wurden geführt. Einer der Räte rief, mit diesen unzufriedenen Handwerkern müsse aufgeräumt werden, man solle sie alle aufs Rad legen, dann habe man endlich Ruhe vor ihnen.

Die Abgesandten der Bürger eilten zurück in ihre Versammlung, wo ihr Bericht wirkte wie der Funke im Pulverfaß. Die aufgeregten Bürger bewaffneten sich und zogen zu Haufen vor das Rathaus. Aber die Ratsherren hatten es schon verlassen und sich in das Riesenhaus geworfen, das einem ihrer Genossen gehörte, auch hatten sie ihre Freunde in der Stadt benachrichtigt, daß sie Ihnen zu Hilfe kommen sollten. Die Bürger drangen nun gegen das Niesenhaus vor. Die Ratsherren waren der Menge nicht gewachsen und wurden schließlich nach blutiger Gegenwehr gefangen genommen. Die Bürger räumten nun mit ihren schlimmsten Gegnern gründlich auf: 41 von ihnen mußten die Stadt »aus ewige Zeiten' verlassen. So endete dieser Ständekampf mit dem Siege der Zünfte.

Von nun an lag die Stadtverwaltung in den Händen der Zünfte: aus 9 Zünften wurden hinfort die Ratsherren gewählt, und zwar aus jeder Zunft zwei,- außerdem wurden auch noch 9 Bürger aus den verschiedenen Stadtvierteln gewählt. 2n dem sogen. Wahlbriefe wurden genaue Bestimmungen über die Wahl der Ratsherren festgesetzt. Diese Bestimmungen bildeten hinfort ein wichtiges Gesetz für die Stadt und haben bis 1802 Gültigkeit gehabt. Die Wahl fand in der Nacht auf Heiligen drei Könige (6. Januar) auf dem Rathause statt.

Luther in Nordhausen

Luther ist zweimal in Nordhausen gewesen. Als er das erstemal unsere Stadt betrat, gehörte er noch dem Augustinerorden an. Vom Vorsteher dieses Ordens hatte er den Auftrag bekommen, die Augustinerklöster in Thüringen zu besichtigen. Am Abend des 29. Mai 1516 kam er von Langensalza nach Nordhausen, predigte am andern Tage in der Klosterkirche und ermahnte die Mönche zum fleißigen Lesen der heiligen Schrift und zu einem frommen Leben. Von hier reiste er weiter nach Sangerhausen und Eisleben, wo ebenfalls Augustinerklöster waren.

Als Luther das zw eite mal Nordhausen besuchte, stand er schon mitten im Kampfe. Im April des Jahres 1525 war er mit Melanchthon von Wittenberg nach Eisleben gereist, um dort eine Schule einzurichten. Da hörten sie, daß in Stolberg Bauernunruhen ausgebrochen seien. Sofort reiste Luther dahin, predigte dort und stellte durch sein mächtiges Wort die Ruhe wieder her. Bei dieser Gelegenheit soll er auch auf der Höhe über der Stadt gestanden sein, wo heute die Lutherbuche ist und soll Stolberg mit einem Adler verglichen haben, dessen Kopf das Schloß ist und dessen Flügel und Schwanz die Straßen in den drei Tälern sind. Von Stolberg reiste er nach Nordhausen, wo die Gemüter auch schon erregt waren. Er selbst bekam davon eine Probe. Denn als er in der Kirche des St. Georgshospitals (Ecke Kornmarkt und Töpferstraße) predigte, wurde er von etlichen Zuhörern verhöhnt, die dazu mit Glocken klingelten, und es fehlte wenig, so brach mitten in der predigt der Sturm los. Während dieses Aufenthaltes In Nordhausen wohnte er bei seinem Freunde Michael Meyenburg, dessen Haus in der Baltzerstraße über dem Vereinshause lag.

Luther und der Nordhäuser Schuhmacher. (Sage)

Seit alters wird in Nordhausen das Martinsfest gefeiert, Luther selbst soll sogar einmal daran teilgenommen haben. Davon geht folgende Geschichte. Luther kam einst zur Feier seines Geburtstages nach Nordhausen. Nahe vor der Stadt holte er mit seinem Wagen einen Nordhäuser Schuhmacher ein, den er einlud, sich zu ihm zu setzen. Alsbald waren die beiden Männer im Gespräche. Mit Freuden bemerkte Luther, wie klar und schlicht sich der Mann über die Religion aussprach, und wie warm er dem Evangelium zugetan sei. Noch mehr erstaunte aber der Schuster über die Worte seines Reisegefährten,- so schön hatte er noch keinen Menschen reden hören. Unvermerkt kamen sie an die Stadt. Da fragte der Schuhmacher seinen Gefährten, ob er schon eine Herberge zur Nacht habe. »Noch nicht/ antwortete Luther. Ob denn der Herr wohl bei ihm vorlieb nehmen wolle, fragte der Schuhmacher weiter, seine Frau habe Gänsebraten, Blaukohl und Fische zur Feier des Martinsabends angerichtet. Luther sagte zu und stieg im Hause des Schuhmachers ab. Als sie nun in der Stube weiter redeten, und der Schuhmacher immer mehr über die Weisheit seines Gastes erstaunte, ging er hinaus in die Küche zu seiner Frau und sagte: „Wir haben einen hochgelahrten Gast, dem müssen wir Wein vorsetzen/ „Ja/ sagte darauf die Frau, „ich getraue mich nur nicht zur Apotheke, dort sitzen die Herren vom Rate, und wenn ich komme und will Wein haben, so sagen sie: Was will die Schusterfrau mit dem Wein? Wüßte ich nur, wie unser Gast heißt, dann könnte ich sagen, es sei für ihn." Da trat Luther, der ihr Gespräch gehört hatte, hinzu und sagte: „Nun, liebe Frau, ich will ihr sagen, wie ich heiße, ich bin Doktor Martin Luther/ Da stieß die Frau einen Freudenschrei aus, lief hinüber zur Apotheke und rief: „Gebt mir Wein, der Doktor Luther ist bei uns! Als die Ratsherren das hörten, sagten sie: „Was schwatzt dies Weib, wie käme Luther zu dem Schuster?" Die Frau blieb aber bei ihrer Rede, und die Ratsherren gingen mit ihr. Schon an der Tür kam ihnen Luther entgegen und begrüßte sie. Nun war die Freude groß in der ganzen Stadt, alles lief herbei und wollte Luther sehen, sie läuteten mit den Glocken und sangen das Lied: Ein' feste Burg ist unser Gott.

Wie Nordhausen evangelisch ward

Zwischen Nordhausen und den Lutherstädten Eisleben, Mansfeld und Wittenberg war von jeher lebhafter Verkehr gewesen, so daß von Luthers Reden und Taten alsbald Kunde nach Nordhausen kam. Außerdem studierten viele Nordhäuser in Erfurt und Wittenberg und waren zu Luther in persönliche Beziehung getreten. Unter diesen sind besonders Justus Jonas, ein geborner Nordhäuser und Lorenz Süße zu nennen. Süße hatte mit Luther in Erfurt studiert, war mit ihm dann Mönch im Augustinerkloster gewesen und später nach Wittenberg gekommen, wo er Luthers Tischgenosse wurde, im Jahre 1519 wurde er zum Vorsteher des Augustinerklosters in Nordhausen ernannt. Einige Jahre später finden wir ihn als Prediger an der Petrikirche. Hier hielt er am 16. Februar 1522, am Sonntag Sexagesimä, die erste evangelische predigt. Sein ruhiges und mildes Auftreten bereitete den Boden für die evangelische Lehre in rechter Weise vor.

Neben Süße wirkten für Luthers Lehre im stillen noch zwei Männer, der Ratsapotheker Blasius Michel und der Ratsschreiber Michael Meyenburg, der später Bürgermeister von Nordhausen ward. Blasius Michel brachte von seinen Geschäftsreisen regelmäßig die neuesten Schriften Luthers mit. In seiner Wohnung, der alten Ratsapotheke (sie lag auf der Stelle der jetzigen Häuser Lutherplatz 8 u. 9), versammelten sich dann Freunde und Anhänger der neuen Lehre, um die Schriften zu lesen und zu besprechen. Zu den Anhängern Luthers gehörte auch Michael Meyenburg, ein Mann von scharfem Verstand und praktischem Geschick. 2hm zumeist ist es zu verdanken, daß die Einführung der Lehre Luthers ohne große Schwierigkeiten vonstatten ging. Der große Maler aus der Reformationszeit, Lukas Kranach, hat ihn und seine Familie auf einem Bilde dargestellt, das in der Blasiikirche hängt und ein Epitaphium, d. h. Grabdenkmal des 1555 verstorbenen Bürgermeisters ist; es stellt die Auferweckung des Lazarus dar; außer den dabei beteiligten Personen sieht man auch die Reformatoren wie auch Meyenburg mit seiner Familie auf dem Bilde.

Der eigentliche Reformator Nordhausens ist aber Johannes Spangenberg. Er hatte in Erfurt studiert und war dort mit dem Grafen Botho von Stolberg bekannt geworden, der ihn bald nach Stolberg berief. Hier wirkte er mit großem Erfolg für die Lehre Luthers. In dieser Zeit (1524) wurde die Pfarrstelle an der St. Blasiikirche in Nordhausen frei, und nun wurde Spangenberg zum Prediger an dieser Kirche gewählt. Seine glänzende Beredsamkeit und sein festes entschiedenes Auftreten führte die evangelische Bewegung zu dem gewünschten Ziele; denn schon 1521 erließ der Rat den Befehl: „Die Pfarrer an allen Pfarrkirchen sollen nach Beschluß der Ehrbaren und Freien Reichsstadt das göttliche Wort einträchtig nach dem heiligen Evangelio und den biblischen Schriften hinfüro predigen; wer aber dagegen und des Widerspiels befunden, dem soll sein predigen verboten sein." Wenn der Sieg der evangelischen Lehre auch erst endgültig im folgenden Jahre durch die Auflösung der Klöster während des Bauernkrieges entschieden wurde, so gehört Nordhausen doch zu den ersten Städten, die die Lehre Luthers annahmen/ Luther rühmt sie daher auch mit folgenden Worten: „2ch weiß keine Stadt am Harz oder im deutschen Lande, welche sich dem Evangelio so bald unterworfen, als die Stadt Nordhausen."

Von allen Kirchen in Nordhausen blieb allein der Dom katholisch.

Justus Jonas

Aus unserer Stadt stammt einer der eifrigsten Förderer der evangelischen Sache und einer der besten Freunde und Gehilfen Luthers; er heißt Justus Jonas. 2m Jahre 1493 wurde er als Sohn des Ratsmeisters Jonas Koch geboren und hieß anfangs Jobst Koch. Nach damaliger Sitte der Gelehrten änderte er später seinen Namen, aus Jobst machte er Justus und setzte dazu den Vornamen seines Vaters, Jonas. Den ersten Unterricht erhielt er in der lateinischen Stadtschule. Er machte so gute Fortschritte, daß er schon mit dem dreizehnten Jahre die Universität zu Erfurt beziehen konnte. Später ging er nach Wittenberg, ward hier mit Luther befreundet und stand ihm im Kampfe treu zur Seite. Zunächst kam Jonas wieder nach Erfurt, wo er Lehrer an der Universität wurde. Er trat hier mutig für Luther ein und riß in seiner Begeisterung für ihn auch die Studenten mit fort. Im Jahre 1521 begleitete Jonas seinen Freund Luther nach Worms zum Reichstage und war hier Zeuge seines entschiedenen Bekenntnisses. Während Luther noch auf der Wartburg saß, ward Jonas als Lehrer an die Universität zu Wittenberg und daneben als Prediger an die Schloßkirche berufen. Luther, Melanchthon und Jonas schlossen sich nun als Freunde innig aneinander und teilten getreulich Freud und Leid bis an ihr Ende.

Ein besonderes Geschick zeigte Jonas bei der Bildung evangelischer Gemeinden. Daher sandte Luther ihn nach vielen Städten, um dort den Gottesdienst nach evangelischer Ordnung einzurichten. So führte er 1536 in Naumburg trotz des dortigen Bischofs die Reformation durch. In den folgenden Jahren ordnete er das Kirchenwesen in Zerbst und Anhalt; 1539 war er in Leipzig, hielt hier die erste evangelische predigt und gab dem Herzogtum Sachsen eine Kirchenordnung. Ein neues Arbeitsfeld erwartete ihn in Halle. Hier verlangte die Bürgerschaft evangelische Prediger. Der Rat wählte unseren Jonas; auch hier richtete er den Gottesdienst evangelisch ein,- bald danach ernannte ihn der Rat zum Superintendenten. Als Luther 1546 zum letztenmal nach Eisleben reiste, begleitete ihn Jonas und ward Zeuge seines gläubigen Abscheidens. Als er sah, daß es mit Luther zu Ende ging, rief er ihm noch zu: „Ehrwürdiger Vater, wollet Ihr auf Christum und die Lehre, wie Ihr sie gepredigt, beständig sterben?"' Deutlich und vernehmlich antwortete Luther darauf noch: „Ja!" dann starb er.

Nach dem Tode Luthers brach für Jonas eine schwere Leidenszeit an. Der Herzog Moritz von Sachsen gewann im Schmalkaldischen Kriege auch Halle und forderte von dem Rate, daß der Prediger Jonas, der gegen ihn und den Kaiser geredet habe, entlassen würde. Jonas mußte die Stadt verlassen. Er floh mit Weib und Kind nach seiner Vaterstadt Nordhausen. Ein neues Amt fand er bald darauf in Hildesheim, wo er das Kirchenwesen im evangelischen Sinne ordnete. Aber er fühlte sich dort nicht wohl, und als ihm Melanchthon bei dem Herzoge Moritz Verzeihung erwirkt hatte, kehrte er wieder nach Halle zurück. Doch stellte ihn der Rat nicht wieder als Prediger an, so daß es ihm mehrere Jahre recht schlecht erging. Schließlich verließ er Halle, war kurze Zeit in Koburg und Regensburg Prediger und kam dann nach Eisfeld, wo er als Superintendent nach zweijähriger Wirksamkeit 1555 starb. — Nordhausen hat seinen vierhundertjährigen Geburtstag festlich begangen und an der Adlerapotheke, in deren Nähe sein Geburtshaus gestanden hat, eine Gedenktafel angebracht, die folgende Inschrift enthält: Ihrem großen Sohne Or. Justus Jonas, geboren 5. Juni 1493 zu Nordhausen, gestorben 9. Oktober 1555 zu Eisfeld, die Stadt Nordhausen am 5. Juni 1893."

Der Bauernkrieg in Nordhausen und Umgegend 1525

Im Frühling des Jahres 1525 brachen unter dem Landvolk unserer Heimat Unruhen aus. Die Bauern rotteten sich zusammen und plünderten besonders die Rittergüter der Edelleute, die Klöster und die katholischen Geistlichen.

Ein Bauernhause überfiel das Kloster Himmelgarten vor Nordhausen. Der vorsichtige Abt des Klosters hatte aber schon vor Ankunft der Bauern die wertvolle Büchersammlung des Klosters und andere Schätze nach seinem Klosterhof in Nordhausen (in der Töpferstraße gelegen) schaffen lassen. Als die Plünderer daher kamen, fanden sie nur Vieh und Getreide, das sie unter sich verteilten. Die geflohenen Mönche kehrten nicht wieder in das verödete Kloster zurück, und seitdem ist Himmelgarten eine stolbergische Domäne. Die ehemalige Klosterbibliothek befindet sich heute in der Sakristei der St. Blasiikirche.

Die Bauern der Grafschaft Lohra plünderten Dietenborn und Münchenlohra. Als sie die Pfarre in Elende überfielen, soll der Pfarrer seine Bienen aufgerüttelt haben, so daß sich diese auf die Plünderer stürzten, die nun eiligst die Flucht ergriffen.

Die klettenbergischen und hohensteinischen Bauern hatten das Kloster Walkenried zu ihrem Standquartier erwählt. Damit sie das Kloster nicht zerstören sollten, hatte der Abt bei seinem Wegzuge die Schlüssel stecken lassen. Trotzdem blieb das Kloster nicht verschont. Zunächst zerschlugen die Bauern alle Fenster, Ofen, Türen und Bilder; dann richteten sie ihr Augenmerk auf die große Glocke, deren Metall sie verkaufen konnten. Sie hing in einem kleinen Turme mitten über der Kirche; beim Herabstürzen zerschlug sie das Kirchendach. Der Schaden wurde später nicht wieder ausgebeffert, und die Kirche verfiel immer mehr/ heute sind nur noch Ruinen davon vorhanden. — Auch kriegerische Übungen wurden vorgenommen, an denen selbst der Graf Ernst von Honstein teilnehmen mußte. Als die Bauern einst von solcher Übung zurückkehrten, sagte der Anführer, der Schäfer Hans Arnold von Bartholfelde, zu dem Grafen, indem er sich auf einem Bein umdrehte: „Sieh, Bruder Ernst, den Krieg kann ich führen, was kannst denn du?" Der Graf antwortete: „Ei Hans, sei zufrieden, das Bier ist noch nicht in dem Fasse, darin es gären soll." Diese Antwort verdroß die Bauern sehr, und der Graf mußte sie mit guten Worten beschwichtigen.

Nach einiger Zeit zogen die Bauern weiter auf Nordhausen zu und lagerten sich auf der Wiese bei der Flarichsmühle vor Kleinwechsungen. Schnell traf nun der Rat von Nordhausen Vorkehrungen zum Schutze der Stadt. Er verstärkte die Besatzung durch vierhundert Fußknechte, nahm die Kleinodien der Klöster in Verwahrung und ließ die einzelnen Stadtviertel zu einer Beratung Zusammenkommen und ihre Beschwerden, die sie etwa gegen den Rat hätten, aufsetzen. Trotzdem konnte der Rat nicht verhindern, daß auch hier Ausschreitungen vorkamen. 2n einer Nacht wurde das predigerkloster erbrochen und ausgeplündert, ebenso das Augustinerkloster in der Neustadt und das Barfüßerkloster. Ein gleiches Schicksal ereilte die beiden Nonnenklöster auf dem Frauenberge und im Altendorfe und die Häuser der Stiftsgeistlichen im Dome. Ein Haufe zog aus dem Altentore, um sich mit den klettenbergischen Bauern auf der Flarichswiese zu vereinigen. Als diese am anderen Tage nach Heringen kamen und von der Niederlage Münzers bei Frankenhausen hörten, stoben sie erschreckt auseinander.

Die Grafen von Honstein sowohl wie der Rat von Nordhausen straften die Empörer ziemlich milde, nur einige der Haupträdelsführer wurden hingerichtet. Einer, ein Töpfer von Ellrich, der den glücklichen Einfall hatte, den Grafen zu Gevatter zu bitten, wurde unter der Bedingung begnadigt, daß er lebenslänglich die gräflichen Ofen zu Lohra und Klettenberg im Stande erhielt. Der übrige Haufe mußte zur Erntezeit 1525 an einem bestimmten Tage auf dem Teichdamme bei Schiebungen[2] ohne Wehr und mit weißen Stäben in den Händen erscheinen. Hier umringten die Grafen und Edelleute sie und berieten, was mit ihnen zu tun sei. Bernhard von Tettenborn, dessen Sohn in dem Aufstande umgekommen war, hielt für recht, daß an jedes Edelmannes Spieße neun Bauern hingen. Andere meinten, man sollte alle in den großen Teich jagen und ersäufen/ doch Balthasar von Sundhausen, Stadthauptmann in Nordhausen, von dem Grafen Ernst um seine Meinung befragt, sagte, das arme Volk habe freilich den Tod verdient, aber der Graf möge bedenken, daß dadurch viele Acker wüst liegen und die Menge der Witwen und Waisen groß werden würde; darum möge man sie lieber die Acker bauen und hie Ihrigen ernähren lassen, den einzelnen aber nach ihrem Vermögen Geldstrafen auflegen. Da entschied der Graf: „Sundhausen, du hast heute geredet wie ein ehrlicher Mann, dein Wort soll Ehre haben/ Aber die anderen Edelleute waren über diese Entscheidung so unwillig, daß der Graf den wackeren Sundhausen zur Sicherheit durch seine Diener zurückbegleiten ließ. Die Bauern zahlten darauf Geldstrafen, doch keiner über vier Gulden.

So ward die Ruhe alsbald wieder hergestellt. Rat und Bürgerschaft durften wieder freudig aufatmen. Den armen irregeführten Bauern brachte der Aufstand die erhoffte Freiheit nicht,- sie gerieten vielmehr in eine noch größere Abhängigkeit von ihren Herren, und ihre Lage ward schlimmer als vorher. Die Stadt Nordhausen dagegen gewann an Besitz und Macht. Fünf Klöster standen zum Teil verlassen da, ihre reichen Besitzungen fielen der Stadt zu, denn die entflohenen Insassen hatten sich zerstreut und zeigten keine Lust zurückzukehren. Von den predigermönchen ließen sich die meisten als Landpfarrer anstellen, einige von ihnen heirateten nach Luthers Beispiel. Die Barfüßer und Augustiner forderten nur Entschädigungen für die Aussteuer, die sie einst dem Kloster zugebracht hatten. In das Frauenbergkloster kehrten die Nonnen nach zwei Jahren wieder zurück und blieben darin bis 1557 da stifteten die letzten aus dem Klostervermögen eine Mädchenschule.

Ein Hexenprozeß in Nordhausen. (1573)

Es sind im 16. und 17. Jahrhundert auch in Nordhausen Frauen, die man der Zauberei und des Umganges mit dem Teufel beschuldigte, als Hexen verbrannt. Uber einen solchen Fall wird folgendes berichtet: „1573 am 18. Juli ist Catharina Wille in Güte befragt, ob sie Hans Reinhardts Frau die Krankheit zugebracht oder nicht, sie gesteht aber ganz und gar nicht. Darauf ist sie mit der Schärfe angegriffen und nun bekannte sie: Reinhards Frau habe ihr gedroht, sie wolle sie noch in großen Schaden bringen, da sei sie hernach zu ihr gegangen und habe eine Suppe mit ihr gegessen und ihr ein pülverchen hineingetan von Osterluzei, Reinfal und wilder Kreuzwurzel, davon habe sie den Schaden bekommen. Zum andern wurde ihr vorgehalten, daß sie Heinrich Pechsteins Jungen, der ihren Hund geworfen, gedroht und gesagt: es solle ihn gereuen, daß er den Hund geworfen. Darauf hat sie gesagt: Ja, sie gestehe es, daß sie dem Jungen sechs paar Elben zugebracht habe und diese Worte in aller Teufels Namen gesprochen: es komme dich an, wie ich es meine. Gefragt, von wem sie solches gelernt habe, hat sie berichtet, der Teufel habe es sie gelehrt. Frage: ob sie auch auf dem Brocken gewesen sei? Antwort: Ja, sie sei einmal auf Walpurgisabend auf dem Brocken gewesen und sei auf einem weißen Ziegenbock durch die Lust dahingefahren. Der Teufel habe dort mit ihr getanzt. — Wonach sie getanzt? — Antwort! Es habe einer eine lange Pfeife gehabt, der sei gestaltet gewesen wie ein Schäfer und habe gepfiffen. Es hätten auch noch andere mehr am Reigen getanzt, doch habe sie diese nicht erkannt. Frage: Wem sie die Elben zugebracht? — Antwort: Zwei paar habe sie des Bäckers Jungen auf dem Frauenberge zugebracht, weil er sie mit Dreck geworfen habe,- doch habe sie der Junge nur zwei Tage gehabt. — Um die Elben abzubringen, habe sie die Leute geräuchert und diesen Segen gesprochen: Alle Elben über den Reyn, so gebiete ich dir zu welchen, daß du niemand Schaden tust, weder Menschen, Vieh noch Tiere,- im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! — Nachher wurde ihr das abgelegte Bekenntnis noch einmal vorgelesen und sie in Güte gefragt, ob sie dabei bleiben wolle, worauf sie gesagt hat: Ja!

Auf solch ihr Bekenntnis ist Catharina Wille Freitags, den 7. August, mit dem Feuer vom Leben zum Tode gerichtet worden."

Der Dreißigjährige Krieg in unserer Heimat

Bis zum Jahre 1625 merkte man in unseren Gegenden nichts vom Kriege. Da kam Tilly mit seinen Scharen, und bald daraus erschienen auch wallen- steinische Truppen. Alle Dörfer, Städte und Schlösser lagen voll von Kriegern, die unglaublich zügellos waren,- sie verwüsteten die Felder, raubten das Vieh und erpreßten unerschwingliche Kriegssteuern von den Bewohnern, so daß diese fast an den Bettelstab kamen.

Nordhausen hatte von 1626 — 1649 unter fortwährenden Einquartierungen zu leiden. Zuerst kamen kaiserliche Truppen, später auch schwedische,- beide hausten gleich schrecklich in der Stadt. Die Kaiserlichen betrachteten sie als ein Ketzernest, und die Schweden sahen in ihr eine kaiserliche Reichsstadt.

Im Herbst 1627 besetzte der sächsische Oberst Vitzthum von Eckstädt die Grafschaft Hohenstein. Da die geforderte Summe der Kriegsschatzung nicht sogleich aufgebracht werden konnte, ließ er in der Chrlstnacht trockenes Holz um die Burg Hohnstein aufsichten und dann das Holz anzünden, so daß auch die Burg mit verbrennen mußte. Damit niemand löschen oder etwas aus der Burg retten könne, ließ er eine Postenkette um den Burgberg aufstellen. So wurde die alte Grafenburg ein Raub der Flammen und liegt seit dieser Christnacht (1627) in Trümmern.

Die Kirchenbücher aus dieser Zeit enthalten erschütternde Beispiele von dem Elend, das überall herrschte.

Die Dorfinsassen hatten durch die langen Schreckensfahre jede Zucht verloren und zeigten sich vielfach nicht besser als die Kriegsvölker. So schreibt der Pfarrer in Stöckey: »Anno 16Z? da die kaiserliche Armee den 18. und 19. Januar und folgends durchzog, haben etliche meiner pfarrkinder dasjenige, was die Soldaten nicht verdorben und genommen, alles von der Pfarre abtragen, also daß ich nicht einen Löffel, Topf oder Becken, ja nicht soviel wiedergefunden, daß ich könnte die Hände an trocknen, haben mich also mit meinem Weib und Kindern (weil ich nichts hinweggebracht) gänzlich an den Bettelstab gesetzt, daß ich auch ihrethalben, wo mich unser Herrgott nicht wunderlich ernähret, die größte Not leiden müssen".

Im Totenregister von Niedergebra heißt es: "Es wurden begraben: Hans Schillings Enkelkind, so von Hüpstedt wegen der Soldaten hergelaufen, eine Magd, so allhier gedient, ist von Soldaten bei Bleicherode erwürget, ein Soldat, der auf dem Felde erschossen worden,- Ulrich Michel, der Knecht eines Kornetts, so von diesem erschossen worden. Ein armes Bettelkind vom Eichsfelde begraben, ein arm Kind, so sein Vater hier sitzen lassen, ein Söhnlein, so tot auf dem Wege wiedergefunden, ein fremdes Mägdlein auf Hägens Hofe, dann wieder ein armes Mägdlein,- ein armer Knabe zur Erde gestattet, die unser aller Mutter ist.

Das Kirchenbuch in Pustleben enthält folgende Aufzeichnungen: »Martin Knöchelmann, welcher von den Soldaten zu Tode geschlagen, ungefähr 14 Tage vor Weihnachten von seinem Tochtermann »»gepredigt, ungesungen und ungeklungen begraben.

Ottilia Scheffers und ihr Kind, welche in der bösen Zeit beide Hungers gestorben und von den Hunden fast aufgefressen, und das übrige zusammengelegt und von ihrer Schwester ungeklungen und -gesungen begraben worden.

Das Kirchenbuch von Mitteldorf bringt folgenden Bericht: »Etliche kaiserliche Soldaten von den Schwedischen erschlagen und allhier beigeschoren.

Etliche Kinder „ob tumultum dsllicum" (in den Kriegsunruhen) als die Herde zerstört, in die Erden verschoren worden.

Von Buhla heißt es: »1639 am 5. Marti! ist Lorentz Keßler von Lraja begraben, welcher den Tag zuvor, als er das Eisen nach der Schmiede tragen wollte, von den Soldaten unterwegs jämmerlich und unschuldig erschlagen und erstochen worden. Und wie sah es am Ende des Krieges bei uns aus?

Nordhausen war an den Rand des Verderbens gebracht, die Stadt hatte mehr als 1½ Millionen Mark an Kriegskosten bezahlt.

Ellrich hatte beim Friedensschlüsse nur noch 146 bewohnte Häuser, 237 lagen in Schutt und Asche.

Sachsa hatte 9 bewohnte Häuser, 56 waren wüste Schuttstätten.

Über den Zustand der Dörfer in der Grafschaft am Ende des Krieges gibt folgendes Verzeichnis Auskunft:

Name bewohnte Häuser wüste Hausstellen
Buhla 38 16
Klettenberg 24 15
Etzelsrode 5 15
Epschenrode 16 12
Gratzungen 13 7
Großwenden 27 16
Haferungen 7 21
Hainrode 24 15
Holbach 4 10
Kleinwenden 16 2
Liebenrode 27 17
Limlingerode 26 16
Lipprechterode 35 19
Mackenrode 0 25
Obersachswerfen hatte
nur 12 Familien
Pützlingen 8 12
Rüxleben 17 32
Schiebungen 3 8
Sollstedt 37 21
Steinsee 4 4
Stöckey 24 10
Tettenborn 30
Trebra 21 36
Werningerode 20 47
Wülfingerode 32 19

Vom Kloster Münchenlohra wird berichtet: Schafstall abgebrannt, der Kuhstall ist eingefallen, das Wohnhaus eingefallen, Pferdestall eingefallen, ebenso die Kirche, das Brauhaus und der Heuschuppen; die Kirche ist sehr wüste; am Kloster ist das Tor ganz wüste.

Wie in Nordhausen der Westfälische Friede gefeiert wurde

Quellenbericht.

1650 am 2. September ist der Frieden- und Freuden-Festtag nach geschlossenem Frieden allhier feierlich gehalten worden. Des Abends vorher ist die Vesper gehalten und darauf von 4-5 Uhr mit allen Glocken 1 Stunde lang geläutet. Des andern Tages frühe ward der Anfang gemacht auf der Schule und mit Trompeten und anderem Saitenspiel über die Mauer hinaus, denn der Rat ließ allda eine Bühne Hinsehen, mit 4 Choren trefflich musizieret,- dies hat gewähret bis um 6 Uhr. Nach solchem sind die Knaben, Schüler und die ganze Schule, dazu auch die Bürger ihre kleinen Kinder geschicket, mit paaren vor den Weinkeller auf den Markt gegangen, die jüngeren Knaben haben weiße Hemden an, grüne Kränze auf ihren Häuptern und grüne Zweige in ihren Händen und sungen miteinander bis dahin, fingen auch aufs neue und stattlichste an mit allen Saitenspielen zu musizieren auf dem Markt vor dem Rathause mit pauken und Trompeten. Nachdem solches vollbracht, gingen die Schüler und alle Knaben dreimal um die Kirche St. Nikolai über den Kornmarkt durch den Krämern her und sungen,- letztlich aber nahm ein jeglicher Lehrer seine Schüler, so in seine Pfarre gehörten und sungen ein jeglicher mit solchen bis in seine zugehörige Kirche hinein und ward der Gottesdienst mit Singen, Loben, predigen und Danken in allen Kirchen gehalten. Um 12 Uhr ward von St. Nikolai, St. Blasii, St. Petri und St. Jakobi Kirchturm mit Trompeten chorweis, da einer dem andern herumgeantwortet, gespielet und um 1 Uhr zum abermaligen Gottesdienst geläutet. Auch von 4 bis 5 Uhr abermals 1 Stunde mit allen Glocken geläutet und letzlich abends um 8 Uhr von allen jetztgedachten 4 Kirchtürmen wechselsweise musizieret und sonderlich das Te Deum laudamus (Herr Gott, dich loben wir) sowohl mit Vocal- als auch mit Instrumentalmusik abgesungen.

Die Grafschaft Hohenstein kommt an Brandenburg 1648

Im Westfälischen Frieden erhielt der Große Kurfürst, Friedrich Wilhelm von Brandenburg, von unserer jetzigen Provinz Sachsen die geistlichen Fürstentümer Magdeburg und Halberstadt. Zu Halberstadt gehörte seit dem Tode des letzten Grafen von Honstein (1593) auch die Grafschaft Hohenstein; so kam diese jetzt mit Ausnahme des Stifts Walkenried, das an Braunschweig fiel, zu Halberstadt; wie Walkenried, so blieb auch der jetzt Hannoversche Teil der alten Grafschaft bei Braunschweig, dessen Herzöge seit dem 15. Jahrh. Lehnsherrn der Burg Honstein und dessen Zubehör gewesen waren.

Die Besitzergreifung der neuen Landesteile durch den Großen Kurfürsten verzögerte sich aber bis ins Jahr 1650. Im Juni dieses Jahres kamen die kurfürstlichen Abgesandten hierher, um die Untertanen durch den Huldigungseid dem neuen Landesherrn zu verpflichten. Ehe jedoch der Eid geleistet wurde, schlossen die Vertreter der Grafschaft mit den Abgesandten auf dem Rittersitze des Herrn v. Berlepsch zu Buhla[3] einen Vertrag, nach dem für die Grafschaft eine besondere Negierung unter einem von der Grafschaft selbst gewählten Direktor eingerichtet werden sollte. Darauf wurde der Huldigungseid geleistet. Zum Schluß der feierlichen Handlung riefen die Vertreter der Grafschaft: „Es lebe Brandenburg!" So war nun die Grafschaft Hohenstein an Brandenburg gekommen.

Jedoch übernahm der Große Kurfürst die Negierung noch nicht selbst. Schon während der Friedensverhandlungen zu Münster und Osnabrück hatte er die Grafschaft seinem Geheimen Nate, dem Grafen von Sayn-Wittgenstein, verliehen, der bei den Friedensverhandlungen Brandenburg vertrat und es verstanden hatte, manche Vorteile für seinen Herrn durchzusehen. Allerdings kannte der Große Kurfürst die Grafschaft Hohenstein nicht; der Graf von Sayn-Wittgenstein hatte ihm vorgespiegelt, sie bestehe nur aus zwei Ämtern und dem Städtchen Bleicherode und sei nur wenige 100 Taler wert. Als jedoch der Große Kurfürst durch seine Abgesandten zu dem Tage in Buhla erfuhr, daß sie nicht aus zwei Ämtern, sondern aus zwei Herrschaften — Lohra und Klettenberg — bestehe, zu denen 3 Städte, 1 Flecken, 2 Klöster, 45 Amts- und 14 adelige Dörfer, 14 Vorwerke, 51 Rittergüter und 26 Freigüter gehörten, zögerte er, sie dem Grafen zu überlassen. Indessen wollte er sein einmal gegebenes Wort nicht brechen, und so gab er ihm die Grafschaft, jedoch unter dem Vorbehalte, daß sie jederzeit durch etne Zahlung von 150000 Talern, die einige Jahre später auf 60000 Taler verringert wurde, von dem Kurfürsten von Brandenburg wieder eingelöst werden könne; auch schrieb er dem Grafen: „Wenn Wir gewußt, daß es eine solche Beschaffenheit um die Grafschaft Hohenstein, wie Uns erst hernach von Unsern Ständen klar gemacht worden, gehabt hätte, so würden Wir Uns zu einer solchen Vergebung nicht haben verstehen können"". Bevor der Graf von Sayn-Wittgenstein die Negierung antrat, kam es zu Verhandlungen zwischen ihm und den Vertretern der Grafschaft. Das kleine Ländchen glich einem Ball in den Händen der Spielenden. Seit dem Tode des letzten Grafen von Honstein (1593) sollten die Bewohner jetzt zum siebenten Male den Huldigungseid leisten. Nachdem der Graf versprochen hatte, ihnen alle ihre Rechte zu lassen, fand 1651 zu Ellrich die Huldigung statt. Eine besondere Negierung für die Grafschaft wurde in Bleicherode errichtet.

Nur ungern hatte der Große Kurfürst dem Grafen von Sayn-Wittgenstein die Grafschaft überlassen. Er fing auch bald Verhandlungen mit ihm an, um die Grafschaft wieder zu erhalten; sie führten jedoch nicht zum Ziele. Besonders war der Kurfürst darüber erbittert, daß der Graf die Güter schlecht verwaltete. Auch machte der Graf Schulden auf die Grafschaft. Am meisten aber kränkte es dem Großen Kurfürsten, daß der Graf zu Klettenberg (1672) eine Münze einrichtete, die ganz geringwertiges Geld, sogenannte „Heckemünzen" prägte, die bald in ganz Deutschland verrufen waren. Das schlechte Geld, das kaum den halben Wert hatte, den es haben sollte, wurde in der Umgegend in Umlauf gesetzt. Das erregte in den angrenzenden Ländern große Unzufriedenheit, besonders bei der Regierung in Hannover,- denn es war ermittelt worden, daß vorzugsweise das vollwichtige Harzer Silbergeld umgeprägt wurde, das von umherziehenden Juden aufgekauft und in großen Säcken nach Klettenberg geschafft wurde, wo man es einschmolz, mit Kupfer vermischte und wieder neu ausprägte. Der Graf wurde deswegen mehrfach, aber vergeblich, verwarnt. Da beschwerte der Kurfürst Ernst August von Hannover sich beim Kaiser, der die Sache untersuchen ließ; aber einen Erfolg hatte dieser Schritt auch nicht. Da griff die Hannoversche Regierung zur Selbsthilfe. Sie befahl ihren Beamten und Forstleuten Ln der Nähe Klettenbergs den Personen aufzulauern und sie anzuhalten, die Silber dahin oder ausgeprägtes Geld von dort zurückschafften. Längere Zeit war alle Wachsamkeit der Beamten vergebens; endlich entdeckten sie einen verdächtigen Zug und griffen ihn an; aber gräflicher- seits hatte man sich vorgesehen. Denn als beide Teile kaum begonnen hatten, mit Knüppeln und Steinen handgemein zu werden, erschien plötzlich ein Trupp gräflicher Reiter und nötigte die Hannoverschen Beamten, unverrichteter Dinge wieder abzuziehen. Die Hannoversche Regierung berichtete diese Vorgänge an den Kurfürsten von Brandenburg mit dem dringenden Ersuchen, das Unwesen endlich und gründlich abzustellen. Bald traf auch die Antwort ein, daß der Befehl erteilt sei, die Heckemünze zu Klettenberg aufzuheben. Mit dem Jahre 1691 nahmen die Heckemünzen des Grafen von Sayn-Wittgenstein ihr Ende.

Bald darauf kam die Grafschaft wieder an Brandenburg; da gütliche Verhandlungen erfolglos blieben, nahm Kurfürst Friedrich III. im Jahre 1699 die Grafschaft mit Gewalt dem Grafen von Sayn-Wittgenstein ab und verleibte sie seinen Staaten ein. Dem Grafen zahlte er eine Entschädigung von 100 000 Talern und übernahm auch noch die auf den Gütern liegende Schuldenlast von fast 300 000 Talern. Seitdem gehört nun die Grafschaft Hohenstein zu Brandenburg-Preußen. Die Orte der Grafschaft gewannen jetzt an Bedeutung, so besonders Benneckenstein, das im Jahre 1741 durch Friedrich den Großen zur Stadt erhoben wurde. Schon 1691 war die gräfliche Regierung nach Ellrich verlegt worden; dort blieb sie auch als „preußische Landesregierung für die Grafschaft Hohenstein" bis zum Jahre 1714 dann wurde die Grafschaft der „Königlichen Kreis- und Domänenkammer" zu Halberstadt zugeteilt. Neu entstand unter der Regierung Friedrichs I. seit dem Jahre 1700 das Dorf Friedrichsrode in der Grafschaft.

König Friedrich Wilhelm I. in unserer Heimat

Im Jahre 1722 besuchte König Friedrich Wilhelm I. unsere Heimat. Er kam über Benneckenstein und fuhr zuerst nach dem Gute Klettenberg und von da nach Woffleben. Von dem dortigen Amtmann Fahrenholz war allgemein bekannt, daß er die Bauern seines Bezirkes durch Hand- und Spanndienste so schwer drücke, daß sie ihren eignen Ackerbau versäumen mußten und dabei ganz verarmten. Als nun der König in den Amtshof einfuhr, rief er mit lauter Stimme: „Wo ist der Bauernschinder, der Amtmann Fahrenholz?" Dieser war aber aus Angst vor dem König schon geflohen. Aus Unwillen darüber betrat der König das Gutshaus nicht, sondern speiste in einer Scheune zu Mittag. — Hier zu Woffleben spielte sich noch ein drolliger Vorgang ab. Als der König in der Scheune zu Mittag aß, stand das Volk draußen und wollte den König sehen. Da kam der „alte Dessauer", der in der Begleitung des Königs war, heraus und mischte sich unter die Leute. Ehrerbietig zogen alle den Hut vor dem alten Haudegen bis auf einen Nordhäuser Bürger. Dieser meinte, da er als „freier Reichsstädter" nicht preußischer Untertan war, seinen Hut auf dem Kopfe behalten zu dürfen. Darüber wurde der „alte Dessauer" fuchswild und bearbeitete den Nordhäuser so mit seinem Knotenstock, daß er vorzog, das Weite zu suchen.

Von Woffleben begab sich der König nach Bleicherode, der Hauptstadt der Herrschaft Hohenstein. Als er das Städtchen wieder verließ und nach der Domäne Lohra fahren wollte, lief sich eine Achse seines Wagens in Brand. Während der Schaden ausgebessert wurde, erschien die Frau des Amtmanns Hofmann von Lohra, um den König um eine Ermäßigung der Pachtsumme zu bitten. Unglücklicherweise trug die Frau nun ein Kleid von französischem Kattun. Bei der Abneigung des Königs gegen alle ausländischen, besonders aber gegen französische Stoffe, ist es begreiflich, daß die Frau einen Erfolg ihres Gesuches von vornherein vereitelte. Kaum hatte sie sich unter vielen Knixen dem Könige genähert und ihre Bitte vorgebracht, als er unwillig erwiderte, daß er keinen Pfifferling von der Pachtsumme ablassen werde; denn wenn sie noch Geld für französische Kleider übrig habe, dürfte auch die Domänenkammer in Halberstadt (wozu die Grafschaft Hohenstein gehörte) ihr Geld erhalten können. Durch die Bitte der Frau auf die Wirtschaft ihres Mannes aufmerksam gemacht, beschloß der König, sich in Lohra genau von dem Stande der Dinge zu überzeugen. Auch über den Amtmann Hofmann wurden von den Untertanen zahlreiche Beschwerden erhoben; der König fand sie gerechtfertigt, er ließ den Amtmann festnehmen und nach der Festung Magdeburg abführen. — Am andern Tage hielt sich der König auf dem Rittergut in Pustleben auf. Auch hier belustigte der „alte Dessauer" die zahlreich herbeigeeilten Landleute wieder durch seine Späße, indem er sich ihnen als ihren König vorstellte. Er rief aus dem geöffneten Fenster: „Wollt ihr den König sehen? Ich bin es!" Aber lachend erwiderten die Leute: „Dich kennen wir wohl, du bist der alte Dessauer, unser König bist du nicht"* — Über Nordhausen und Halle fuhr der König nach Berlin zurück.

Nordhausen und die Grafschaft Hohenstein im Siebenjährigen Kriege

Auch im siebenjährigen Kriege nahm Nordhausen eine eigentümliche Stellung ein; als Reichsstadt mußte sie auf Seiten des deutschen Reiches stehen und zu Friedrichs des Großen Feinden gehören; das Reich war aber nicht imstande, sie zu schützen, und so war sie dem siegreichen Preußenkönige wehrlos preisgegeben; außerdem war sie ganz von preußischen Landesteilen eingeschlossen, da die Grafschaft Hohenstein preußisch war. Die Franzosen aber, die ja eigentlich Bundesgenossen der Stadt waren, machten als fremdes Volk keinen großen Unterschied zwischen preußischem und nichtpreußischem Gebiete. Anfangs Okrober 1757 rückten sie mit einigen Tausend Mann in Nordhausen ein. Als Magazin für Heu und Stroh diente die Spendekirche, für Korn der Walkenrieder Hof (jetziges Hauptsteueramt), für Hafer der Ilfelder Hof (Pferdemarkt 11), die Hospitäler St. Martini und St. Cyriaci wurden als Lazarett benutzt. Nachdem die Franzosen bei Roßbach geschlagen waren, lagen sie auf dem Rückzuge hier wieder mehrere Tage. — Am schlimmsten trieb es der preußische Rittmeister Kovats. Den Bürgern forderte er ihre Gewehre ab, den Kaufleuten nahm er rotes und grünes Tuch weg, den Kürschnern Pelze, den Schuhmachern und Gerbern Leder. Als der Bürgermeister Riemann ihm die Schlüssel zu den Kanonen nicht aushändigen wollte, nahm er ihn zwei Stunden in Haft und ließ unterdes die Geschütze auf den Kornmarkt vor sein Quartier bringen. Nachdem man ihm 15000 Taler zugesichert hatte, versprach er, die Kanonen hier zu lassen und keine Geiseln mitzunehmen. Er hielt aber sein Wort nicht, denn die Bürgermeister Rennecke und Lange und drei andere Ratsherrn nahm er als Geiseln mit, und außerdem behielt er die schönste Kanone der Stadt, den „Lindwurm", und führte sie nach Magdeburg, wo sie später eingeschmolzen worden ist. — Im ganzen hat Nordhausen während des Siebenjährigen Krieges an Kriegskosten und allerlei Lieferungen an Brot, Getreide, Fleisch usw. etwa 400 000 Taler aufbringen müssen.

Wie für Nordhausen so sind namentlich die Franzosen auch für die Grafschaft eine schwere Last gewesen. Aufzeichnungen und Berichte aus jener Zeit wissen davon zu erzählen.

Zum ersten Male kamen Franzosen auf ihrem Vormarsch gegen Friedrich den Großen vor der Schlacht bei Roßbach durch unsere Gegend. Bei dieser Gelegenheit bemächtigten sie sich auch Ende September der Burg Scharzfels, die fast nur von Invaliden verteidigt wurde. Nach 10 Tagen tapferen Widerstandes ergab sie sich, und der französische General berichtete nach Paris, daß es ihm gelungen sei, eine bedeutende Festung in Deutschland einzunehmen. Die Franzosen bewerteten die Burg als Stützpunkt für weitere Unternehmungen. Von hier aus rückten sie am 1. Oktober in die Grafschaft ein. Etwa 1700 Mann und 600 Pferde wurden in Ellrich einquartiert, wo sie 13 Tage blieben. Ellrich war das Hauptquartier; von hier aus diktierte der Oberst seine Forderungen an das Land; fortgesetzt mußte Getreide, Brot und Fleisch für die Armee geliefert werden. Alle Dörfer waren voll von Franzosen; in manchen Bauernhäusern lagen oft 120 bis 130 Mann. Das Vieh wurde den Leuten aus dem Stalle geholt und nicht bezahlt; in Ellrich wurde einmal eine ganze Herde von 84 Stück aufgefangen und weggeführt. Nach Bleicherode kamen am 2. Oktober (1757) 2200 Mann und blieben dort 9 Tage; von der Stadt wurden bei dieser Gelegenheit 4000 Taler Brandschatzung erpreßt. Ellrich kostete die erste Einquartierung etwa 10000 Taler. Nach Abzug dieser ersten Truppe kam eine zweite in der Stärke von 15000 Mann nach Ellrich. In Kleinwerther wurden 3 Kompagnien Kürassiere gelegt und mußten hier 10 Tage verpflegt werden. Kleinwerther wurde immer stark hetmgesucht, weil hier der Landrat Freiherr von Werther auf seinem Gute wohnte, der stets für das Wohl seines Kreises regste Teilnahme zeigte, auch öfters gefangen gehalten wurde, aber immer mit den Machthabern persönlich verhandelte, um die dem Lande aufgebürdeten Lasten zu erleichtern.

Nach der Schlacht bei Roßbach kamen die Franzosen als Flüchtlinge wieder durch unsere Gegend. Den abziehenden Franzosen folgten österreichische Husaren, die hier 6 Wochen lagen. Was mag da alles von den Bewohnern herausgepreßt sein! Als sie abzogen, nahmen sie den Landrat und je 2 Magistratspersonen von Bleicherode und Ellrich als Geiseln bis nach Heiligenstadt zu dem kommandierenden General mit, weil der Kreis mit Lieferungen im Rückstände war. Als der Landrat sich darüber mit dem General geeinigt hatte, wurden die Geiseln entlassen. Im Sommer des Jahres 1758 kamen abermals österreichische Husaren. Ein Kommando suchte den Landrat wieder auf. Er war nicht sogleich zugegen, kam aber noch zur rechten Zeit, als eben der Hof und das Dorf geplündert werden sollte. Die Plünderung konnte verhindert werden, aber der Landrat wurde zu dem Oberst nach Nohra, von dort nach Bleicherode und schließlich mit noch 4 andern Geiseln nach Prag fortgeführt. Erst nach 3 Wochen kamen sie wieder zurück, der Landrat erhielt aber nun vom König den Befehl, bei Annäherung von Feinden sich sofort aus der Provinz zu entfernen.

Die letzten Jahre des Krieges gehörten für die Grafschaft zu den schlimmsten. Die Franzosen hatten sich in Mühlhausen festgesetzt und brandschatzten von da aus unsere Heimat. Es heißt in einem Bericht: „1761 und 1762 stand die Grafschaft unter beständiger französischer Zuchtrute. Die Truppen haben nicht allein über 100 000 Taler erpreßt, sondern es mußten auch 100 000 vollständige Rationen und 12000 Scheffel Früchte geliefert werden. Über 1500 Pferde hat der Untertan, ohne die Adeligen und Beamten, verloren."

Endlich wurde der Friede geschlossen. Von Ellrich brachte ein Bote die frohe Kunde von Dorf zu Dorf. In ganz Preußen wurde am 13. März das Friedensfest durch feierlichen Gottesdienst begangen. Nordhausen feierte das Friedenssest erst am 10.-12. April. Der 1. Tag (Sonntag nach Ostern) war eine kirchliche Feier. Am 2. Tage fand ein allgemeines Volksfest mit Aufzügen der Schulkinder, der Gewerke und der Bürgergarde und mit Illumination am Abend statt. Am 3. Tage veranstaltete das Gymnasium noch eine besondere Feier durch Schüleraufführungen. - Kinder und Frauen trugen bei dieser Gelegenheit „Friedensbänder", sie waren aus Seide, etwa 25-30 cm lang und 4 cm breit und mit Bildern und Inschriften bedruckt. Im Städtischen Museum zu Nordhausen werden verschiedene Friedensbänder ausbewahrt, die sich aus den Hubertusburger Frieden beziehen und die Inschrift tragen: Nordhausen, den 10. April 1763.

Friedrich der Große in unserer Heimat

Im Jahre 1754 kam Friedrich der Große auf der Reise durch seine Länder auch in die Grafschaft Hohenstein. Er war über den Harz gefahren, wo die Wege für ihn geebnet worden waren und kam über Stiege auf der alten Poststraße (bei der Nordhäuser Talsperre) von Petersdorf her in unsere Gegend. Als er auf der Höhe bei Harzrigi war, ließ er halten und sah sich Nordhausen aus der Ferne an. Dann fuhr er aber nicht auf die Stadt zu, sondern durch die Gumpe an der Stadt vorbei. Es war ihm nicht recht, daß Nordhausen nicht preußisch, sondern eine freie Reichsstadt war. Er wollte die Domäne Salza besuchen und fuhr in der Nähe des Schurzfells durch die Zorge. Hier soll ihm nun, wie die Sage erzählt, ein Rad am Wagen zerbrochen sein. Er mußte aussteigen, bis der Schaden vom Schmied in dem heutigen Schurzfell ausgebessert war.

Während dies geschah, ging der König im Freien umher, und da er Durst bekam, ließ er sich Bier bringen. Er wollte das Bier bezahlen, aber der Schmied weigerte sich, Geld dafür zu nehmen, da er keine Gastwirtschaft habe. „Nun gut", soll der König darauf gesagt haben, „dann sollst du von jetzt an eine haben". Seit dieser Zeit soll das Schurzfell eine Gastwirtschaft sein.

Von Salza fuhr der König nach Bleicherode. Hier erkannte er unter unter den zusammengekommenen Menschen den Oberstleutnant von Hitzacker aus Ascherode, der ihn in seiner Jugend das Exerzieren gelehrt hatte; er rief ihn zu sich, unterhielt sich mit ihm und nahm ihn mit nach Nohra, wo er aus dem dortigen Gut speiste und übernachtete. Der König war hier sehr vergnügt und spielte auch auf seiner Flöte. Er fuhr dann über Bielen nach Halle zu weiter. Um Nordhausen befahl er herumzulenken, denn er hatte erfahren, daß die Stadt ihm eine besondere Ehrung veranstalten wollte. Doch schoß die Stadt mit ihren Kanonen, als sie seinen Wagen von ferne vorbeifahren sah.

Friedrich Christian Lesser

In Nordhausen führt die Lesserstiege von der Neustadtstraße nach der Neuen- und der Rautenstraße, und an dem Pfarrhause der Jakobikirchengemeinde ist eine Lessergedenktafel angebracht. Wer war Lesser und welche Bedeutung hat er für Nordhausen?

Er war Prediger, Naturforscher, Geschichtsschreiber und Erbauer der Jakobikirche.

Friedrich Christian Lesser ist am 12. Mai 1692 in Nordhausen geboren, wo sein Vater Prediger an der Marktkirche war. Auch er wählte diesen Beruf und wurde zuerst Prediger an der Frauenbergerkirche und dann 1741 an der Jakobikirche, an der er bis an sein Ende 1754 gewirkt hat.

Da er kränklich war, rieten ihm die Ärzte, sich häufig Bewegung in der freien Natur zu machen. Das tat er auch, und auf den Spaziergängen, die er recht weit ausdehnte, lernte er seine Heimat genau kennen. Täglich sah man ihn wandern und Pflanzen, Insekten und Steine mit sich nach Hause schleppen. Was er fand, beschrieb er auch, und es erschienen zahlreiche naturkundliche Schriften von ihm.

Wie die Naturgegenstände, so sammelte Lesser auch geschichtliche Nachrichten über Nordhausen. Daraus ist die erste Nordhäuser Chronik hervorgegangen, die er im Jahre 1740 unter dem Titel „Historische Nachrichten von Nordhausen" herausgab. Noch heute ist das Buch für die Geschichte Nordhausens wertvoll, wenn es auch in bezug auf Form und Darstellung veraltet ist. Im Jahre 1860 wurde es durch Professor Förstemann umgearbeitet und erweitert.

Lesser ist auch der Erbauer der Jakobikirche. Die alte Kirche, die bereits 450 Jahre gestanden hatte, war so baufällig geworden, daß eine Ausbesserung nicht mehr viel nützte. Vor einem Neubau scheute sich aber sowohl der Magistrat als auch die Kirchengemeinde, weil das Geld fehlte. Aber Lesser ließ sich dadurch nicht abschrecken. In Halle, wo er studiert hatte, war er mit August Hermann Francke (1663–1727) bekannt geworden und hatte gesehen, wie dieser seine Stiftungen ohne eigene Mittel, allein im Vertrauen auf Gott, ins Leben gerufen hatte. Dies Vorbild gab ihm Mut, ein Gleiches zu wagen. Gleich zu Beginn seiner Tätigkeit an der Jakobikirche fing er an, den Neubau der Kirche zu betreiben. Schließlich erlangte er auch die Zustimmung des Magistrats. Aber woher das Geld nehmen? Lesser erließ einen Aufruf zur Einsendung milder Gaben für den Kirchenbau. Er hatte damit einen solchen Erfolg, daß im Jahre 1744 die alte Kirche abgebrochen und bereits am 14. Juli desselben Jahres der Grundstein für die neue gelegt werden konnte. Aber mit dem Fortschreiten des Baues wuchsen auch die Schwierigkeiten. Lesser war unermüdlich tätig. Alle Pläne und Entwürfe, alle Lieferungen und Rechnungen gingen durch seine Hand. Und immer fehlte das Geld. Der Magistrat genehmigte eine Sammlung in der Stadt. Auch fanden sich stets Gönner, die Geld sandten, oft, wenn die Not am größten war. Der Herzog von Braunschweig gestattete, daß von den Ruinen des Klosters Walkenried Quadersteine für billigen Preis geholt werden konnten, freilich zum Schaden des Klosters. Endlich nach unsäglichen Schwierigkeiten war der Bau vollendet; am 12. Oktober 1749 konnte die neue Kirche eingeweiht werden. Das war der glücklichste Tag Lessers.

Nordhausen wird eine preußische Stadt. 1802

Bis zum Jahre 1802 nannte Nordhausen sich eine freie Reichsstadt. Als im Kriege mit Napoleon das linke Rheinufer an Frankreich abgetreten werden mußte, sollten die deutschen Fürsten, die dort Land verloren hatten, anderweitig entschädigt werden, besonders mit Gebieten der geistlichen Fürstentümer und mit den bisherigen freien Reichsstädten. Da bekam Preußen in unserer Heimat die früheren freien Reichsstädte Goslar, Mühlhausen und Nordhausen, das Gebiet des Bistums Hildesheim und die mainzischen Gebiete Erfurt und das Eichsfeld. So wurde Nordhausen eine preußische Stadt.

Am 2. August 1802 nahm Preußen Besitz von der Stadt.

Das war ein bedeutungsvoller Tag für die Bewohner und lockte viele Neugierige herbei. Schon früh um 6 Uhr gingen die Leute vor die Stadt, etwa in die Gegend der heutigen Schützenstraße, wo sie die aus der Richtung von Bielen herkommenden Preußen beobachten konnten. Sie brauchten nicht lange zu warten. Bereits um 7 Uhr kam ein Trupp Husaren herangesprengt, an der Spitze ein Offizier, der auf dem Rathause die Ankunft des Generalleutnants v. Wartensleben meldete. Sofort wurden alle Mitglieder des Rats hierhergeladen. Um 8 Uhr erschien v. Wartensleben und überreichte dem Versammelten Rat das Königliche Patent vom 6. Juni über die Besitzergreifung der Stadt. Gegen 9 Uhr zog dann die preußische Besatzungstruppe in einer Stärke von etwa 1500 Mann in die Stadt ein,- sie besetzte die Tore und die Hauptwache[4] und stellte vor der Hauptwache 2 Kanonen auf. Die Stadtsoldaten, 49 an der Zahl — sie trugen weiße Uniform mit roten Aufschlägen, — wurden entwaffnet; 12 davon wurden als diensttauglich in das preußische Heer eingestellt, die andern als untauglich entlassen, davon waren 2 im Alter von 60 und 2 im Alter von 58 Jahren. Dann wurden vom Rathause die Stadtwappen abgenommen, an dessen Stelle der preußische Adler gesetzt ward; ein Gleiches geschah an den Toren. Ebenso wurde das Besitzergreifungspatent des Königs am Rathause, an den Kirchtüren, an den Stadttoren und an den größeren Gasthöfen angeheftet. Endlich wurden die städtischen öffentlichen Kassen versiegelt.

Ihren Abschluß erhielt die Einverleibung der Stadt erst im folgenden Jahre durch die Huldigung in Hildesheim.

Sitz der Regierung von Nordhausen, Mühlhausen, Erfurt und dem Eichsfelde war zuerst Heiligenstadt und von 1804 ab Erfurt.

Der erste preußische König, der Nordhausen besuchte, war Friedrich Wilhelm III., der am 1. Juni 1805 mit seiner Gemahlin, der Königin Luise, auf einer Reise von Magdeburg über den Harz von Ellrich her hier vorbeikam und am Grimmeltore vor dem Gasthause „Zu den 3 Linden" hielt, wo umgespannt wurde. (S. Gedenktafel an dem Gasthause.)

Rückzug der Preußen nach den Schlachten bei Jena und Auerstedt durch unsere Heimat am 16., 17. und 18. Oktober 1806

Die preußische Armee war nach den unglücklichen Schlachten von Jena und Auerstedt vollkommen zersprengt; an verschiedenen Punkten, bei Sömmerda, Buttstedt (bei Weimar), Erfurt trafen sich einzelne Haufen. General Wartensleben führte die bei Weimar und Büttstedt gesammelten Truppen am 15. Oktober nach Frankenhausen und von da an demselben Tage noch weiter nach Nordhausen, wo er um Mitternacht anlangte. Am anderen Morgen stand seine Schar schon wieder zum Abmarsch bereit, als der König durch Nordhausen kam; er bezeichnete Magdeburg als allgemeinen Sammelpunkt, darum marschierte Wartensleben über Ellrich nach Benneckenstein weiter, wo er die folgende Nacht über blieb.

Der Fürst Hohenlohe erreichte mit einem Teile seiner geschlagenen Armee am Abend des 15. Oktober Sondershausen. Hier sammelte er noch einzelne versprengte Haufen, so daß er etwa 10000 Mann bei sich hatte, die er am folgenden Tage nach Nordhausen führte. Am Nachmittage des 16. Oktober kam er hier an. Die Wartenslebenschen Truppen hatten die Stadt bereits verlassen. Trotzdem war aber das Gedränge in Nordhausen über alle Maßen groß, als Hohenlohe einrückte. Es war unmöglich, den Bedürfnissen einer solchen Menge, die sich immer noch durch neue Ankömmlinge vergrößerte, schnell genug abzuhelfen. Dazu begann die Zucht der auf der Flucht durcheinander und in Unordnung geratenen Abteilungen sich schon zu lockern; die ausgestellten Schildwachen in den Straßen wurden nicht mehr geachtet; man drang z. B. mit Gewalt in die Bäckerläden und plünderte. Um weiteren Unfug zu verhüten, wurden sämtliche Mannschaften bis auf zwei zur Besatzung bestimmte Bataillone aus der Stadt entfernt und in die umliegenden Dörfer verlegt.

Andere Trümmer der geschlagenen Armee, etwa 10000 Mann, erreichten, ebenfalls über Sondershausen kommend, Nordhausen erst am 17. Oktober kurz vor Mittag. Ihr Führer war General Kalckreuth, unter dessen Oberbefehl auch Blücher mit einer Kavallerieabteilung stand. Als sie in Nordhausen eintrafen, hatten die Hohenloheschen Truppen die Stadt schon geräumt. Scharnhorst, der in der Nacht vorher ebenfalls in Nordhausen angekommen war, hatte für alle hier durchkommenden Truppen eine Rückzugslinie auf Magdeburg entworfen. Es sollten vier Wege benutzt werden; die Hohenloheschen Truppen sollten über Stolberg marschieren; ihr Sammelpunkt war Petersdorf. Andere Truppen sollten über Ilfeld und Hasselfelde, weitere über Ellrich nach Benneckenstein und die schweren Geschütze mit einer Kavalleriebedeckung über Scharzfeld, Herzberg und Osterode um den Harz herumziehen.

Als Kalckreuth von Sondershausen her hier in Nordhausen eintraf, standen die Hohenloheschen Truppen bereits an ihrem Sammelplatz bei Petersdorf. Für den weiteren Rückzug wählte Kalckreuth die Straße über Ilfeld und Hasselfelde. Er gedachte gegen Abend zwischen 5 und 6 Uhr den Marsch dahin fortzusetzen. Die Garden wurden in der Stadt einquartiert, die übrige Infanterie lagerte sich zwischen Nordhausen und Crimderode, die Blüchersche Kavallerie und die reitende Artillerie biwakierte auf den Feldern südlich der Stadt nach der Helme zu.

Die Nachhut der preußischen Truppen, geführt vom Prinzen August von Preußen, einem Verwandten des Königs, erreichte Nordhausen erst um 1 Uhr. Ihr folgte der Feind auf dem Fuße. Schon diesseits Sondershausen hatten vier französische Reiterregimenter mit reitender Artillerie die preußische Nachhut erreicht und trieben sie vor sich her. Kaum hatten die letzten Preußen die auf den Helmefeldern lagernde Kavallerie und Artillerie erreicht, als auch schon die Franzosen auf den südlichen Höhen bei Sundhausen erschienen und die ersten Kanonenschüsse gegen Nordhausen sandten. Das war etwa um 2 Uhr nachmittags. Nun wurden alle Truppen aus der Stadt gezogen,- die Infanterie nahm Stellung aus den Höhen im Norden der Stadt östlich der Zorge bis über Crimderode hinaus. Prinz August besetzte mit seinen Truppen den Südeingang der Stadt, namentlich die Siechenbrücke, die einzige Brücke damals hier über die Zorge,- am Taschenberg, am Sundhäuser Tor, bei der Siechenbrücke, bei der Rothleimmühle, auf dem Kuhberg und weiter nach Crimderode zu standen Kanonen. Es entwickelte sich nun ein lebhafter Geschützkampf; französische Kugeln pfiffen von der Helme herüber, und preußische Kanonen antworteten. Zwei Stunden dauerte das Gefecht. Langsam rückten die Franzosen näher, und langsam zogen die preußischen Führer eine Batterie nach der anderen zurück. Sie hatten nicht die Absicht, die Stadt gegen den Feind zu verteidigen; sie wollten nur die Franzosen aushalten, damit die preußische Infanterie sich in Sicherheit bringen konnte. Die Stadt wurde von den Franzosen genommen. Der allgemeine Verbandplatz und das Lazarett befanden sich im Siechhof, die Toten wurden auf dem benachbarten Landgrabenwege in Massengräbern beerdigt.

Blücher erhielt den Auftrag, den Schutz der schweren Artillerie zu übernehmen, die Scharnhorst am Mittag schon über Ellrich nach Scharzfeld vorausgeschickt hatte. Es stand Blücher zu diesem Zweck noch ein halbes Bataillon Infanterie und seine Kavallerie zur Verfügung; alles übrige hatte bereits den Rückzug bewerkstelligt. Heftig vom Feinde verfolgt, eilte Blücher, dem sich auch Scharnhorst angeschlossen, hatte, mit der kleinen Bedeckung den Batterien nach, die einen ansehnlichen Vorsprung gewonnen hatten. Erst gegen Mittag des anderen Tages wurde Scharzfeld erreicht.

Fürst Hohenlohe hatte während des Kampfes bei Nordhausen mit seinen Truppen bei Petersdorf gestanden. Den Abzug der Heeresteile im Zorgetal hatte er nicht bemerkt; erst als er durch ausgesandte Offiziere davon Kenntnis erhielt, trat auch er den Rückzug an und gelangte abends um 10 Uhr nach Stolberg.

Höchst mühselig gestaltete sich der Marsch der Kalckreuthschen Truppe durch das Ilfelder Tal über Hasselfelde nach Stiege. Durch das Tal ging damals nur ein schmaler Waldweg; die jetzige Straße nach Hasselfelde ist erst 1848 angelegt. Die Truppe kam in der Nacht ganz auseinander, und erst am folgenden Vormittag langten einzelne Haufen nach und nach in Stiege an.

Den abziehenden Preußen folgten die Franzosen nach. Nordhausen war mit feindlichen Truppen angefüllt, doch die meisten lagerten im Felde, da das Wetter schön war. In das Lager wurden Betten und Nahrungsmittel aus der Stadt und den benachbarten Dörfern geschleppt. Noch in der Nacht des 17. Oktober mußte Nordhausen 100 fette Ochsen, 100 Faß Branntwein und eine große Menge Brot an die Truppen liefern. Die Marktkirche wurde gebraucht als Magazin für Heu, Stroh, Hafer und Branntwein, die Blasiikirche als Brotmagazin, die Domkirche als Pferdestall, in der Petrikirche wurden gefangene Preußen untergebracht. Überall lagen weggeworfene Waffen und Gepäckstücke. In der Barfüßerstraße lagen einige vollbeladene Pulverkarren, deren Achsen gebrochen waren; nachts schafften die umwohnenden Bürger die gefährliche Ladung teils in die dortige Wasserkunst, teils in den alten Mauerturm auf dem Spendekirchhof, der seitdem im Volksmunde vielfach „der Pulverturm" genannt wird.

Aus der Zeit des Königreichs Westfalen

Im Jahre 1807 bildete Napoleon aus den von Preußen genommenen Ländern nebst Braunschweig und Teilen von Hannover das Königreich Westfalen, das er seinem jüngsten Bruder Jerome gab. Kassel war die Hauptstadt. Das Königreich zerfiel in acht Departements, die ihren Namen nach den bedeutendsten Flüssen und Gebirgen erhielten. Unsere Gegend gehörte zum Harzdepartement, das vier Distrikte umfaßte, nämlich: Heiligenstadt, Nordhausen, Duderstadt, Osterode a. H. Jeder Distrikt zerfiel in Kantone, zu dem Distrikt Nordhausen gehörten neun Kantone, nämlich: Nordhausen, Wechsungen, Pustleben, BLEICHERODE, Pützlingen, Sachsa, Ellrich, Benneckenstekn, Neustadt. Der Hauptort des Harzdepartementes war Heiligenstadt, hier wohnte der Präfekt; an der Spitze eines Distriks stand der Unterpräfekt, dem Kanton stand ein Maire vor. In Heiligenstadt war auch das oberste Gericht, das Kriminalgericht; in den Hauptstädten der Distrikte, also in Nordhausen, Duderstadt und Osterode, waren Zivilgerichte.

Die westfälische Regierung wußte wohl, daß man ihr nur widerwillig gehorchte. Darum hatte sie überall Späher, die jeden Ungehorsam und jede mißliebige Äußerung zur Anzeige brachten. Besonders verschärfte sie ihre Aufmerksamkeit zu Anfang des Jahres 1813. Die Maires mußten sogar Bericht über die Gesinnung der Einwohner ihres Orts erstatten. Aber die Tage der Fremdherrschaft waren gezählt. In Rußland war Napoleons Macht gebrochen. Schon Anfang Dezember 1812 kamen die ersten Franzosen durch Nordhausen zurück. Anfang Januar 1813 liegen hier mehr als 3000 Verwundete; sie werden im Siechhofe verbunden, die Toten in der Landgrabenstraße — damals noch freies Feld — beigescharrt. Am 12. April erscheinen hier schon preußische Soldaten; es war der Wachtmeister Weiß mit 3 Husaren vom Korps des Freischarenführers Major v. Hellwig. Diese vier Mann traten so keck auf, daß der westfälische Platzkommandant sich gefangen nehmen ließ und die ganze westfälische Besatzung durch das Grimmeltor aus der Stadt floh. Freilich mußten die kühnen Husaren am folgenden Tage Nordhausen wieder verlassen, da 200 westfälische Reiter ankamen, um die Herrschaft Jeromes wieder zu befestigen. Kaum waren diese wieder abgezogen, da rückten am 15. April, es war der Gründonnerstag, auch schon Russen in die Stadt ein. In der Nacht zogen diese in der Richtung nach Bleicherode weiter, wo die westfälischen Reiter in Garnison standen. Diese waren ebenfalls gegen Nordhausen vorgerückt, und am frühen Morgen kam es zwischen Russen und Westfalen am Schern zu einem Gefecht. Als die westfälischen Reiter sorglos von Pustleben her über den Berg kamen, stürzten die Russen, die in einer Senkung versteckt gelegen hatten, sich auf sie, nahmen 103 Reiter mit 4 Offizieren gefangen und brachten sie nach Nordhausen.

An demselben Tage machte der russische General bekannt, daß nachmittags 3 Uhr auf dem Kornmarkt ein westfälischer Spion (es war ein Schneider Hartmann aus Ellrich) erschossen werden sollte. Auf Fürsprache des Superintendenten Förstemann zu Nordhausen, der nachwies, daß der Schneider kein Spion, sondern vom Magistrat zu Ellrich abgeschickt worden sei, um Erkundigungen einzuziehen, wurde der Unglückliche begnadigt. Nur eine fürchterliche Tracht Prügel bekam er.

Besonders hatte man es auf einflußreiche Personen in der Grafschaft abgesehen, die als Preußenfreunde bekannt waren und ihre vaterländische Gesinnung nicht genug verbergen konnten. Am 16. Mai wurden sie als Gefangene nach Kassel abgeführt. Dies Schicksal traf die Pastoren Plieth zu Salza, Panse zu Hesserode und Bötticher zu Pützlingen, ebenso auch den Oberamtmann Tauber zu Wollersleben und den Förster Kleemann zu Salza. Am meisten war Plieth verdächtig. Er wird im Sträflingsanzug in strenger Haft gehalten; absichtlich zögert man seine Aburteilung hinaus. Endlich wird das Todesurteil über ihn gesprochen. Da naht plötzlich die unerwartete Rettung. Wenige Tage vor der festgesetzten Erschießung gelingt der Handstreich eines Kosakenstreifzuges gegen Kassel, der König Jerome entflieht, und den Gegangenen gelingt es in der Verwirrung zu entkommen. Im Sträflingsanzug machte Plieth den Weg von Kassel nach Salza zu Fuß. Wund und todmüde kam er hier an, wo ihm die Bevölkerung allgemeine Teilnahme entgegenbrachte.

Nach der Überrumpelung Kassels streiften preußische und russische Truppen durch unsere Heimat. Die Bande der Fremdherrschaft lockerten sich allmählich. Der Präfekt des Harzdepartements schreibt selbst am 13. Oktober: "Ein Zustand der Gesetzlosigkeit fängt an, um sich zu greifen, die Abgaben bleiben fast durchweg unbezahlt, die Verfügungen unbefolgt und die Ortsbehörden wagen es nicht, Strenge zu gebrauchen; 5 Tage darauf wurde Napoleon schon bei Leipzig geschlagen; am 26. Oktober verließ Jerome Kassel für immer. Das Königreich Westfalen hörte damit auf zu bestehen, wenn es auch dem Namen nach noch einige Tage fortdauerte. Das Siegesfest der Schlacht bei Leipzig konnte daher auch erst am 14. November in Nordhausen gefeiert werden. Am 18. November wurden die preußischen Adler wieder an der Grenze aufgerichtet, die westfälischen Siegel und Amtsbezeichnungen abgeschafft. Am 26. November nannte sich das Haupt der Stadt Nordhausen wieder Bürgermeister, und aus dem Unterpräfekt ward wieder ein Landrat. Nordhausen und die Grafschaft waren wieder preußisch.

Aus der Zeit des Befreiungskrieges

1. Nach dem Aufhören des Königreichs Westfalen trat wieder die frühere Einteilung unserer Heimat an die Stelle der westfälischen. Die Gebiete von Nordhausen, der Grafschaft Hohenstein, dem Eichsfelde, von Mühlhausen und Erfurt wurden wieder vereinigt und bildeten das 3. Departement der Provinzen zwischen Elbe und Weser und wurden von einem Landesdirektor, der in Heiligenstadt seinen Sitz hatte, verwaltet. Der ehemalige Distrikt Nordhausen wurde wieder in seinen früheren Stand gesetzt; an seiner Spitze stand seit 1813 der Landrat v. Arnstedt aus Großwerther.

2. Vor allen Dingen galt es nun, in den Bürgern das Vaterlandsgefühl, das unter der westfälischen Herrschaft gedämpft worden war, wieder wach zu rufen und zu stärken und den beginnenden Befreiungskampf militärisch vor- zubereiten. Schon unmittelbar nach der Schlacht bei Leipzig war der Major v. Hellwig in Nordhausen eingerückt und hatte am 23. Oktober einen „Aufruf an meine deutschen Brüder" erlassen. Darin heißt es: „Auf, deutsche Brüder! Der Augenblick ist gekommen, wo das Hochgefühl das deutsche Herz durchströmen muß. Die übermütigen Franken erlagen unter den für deutsche Freiheit kämpfenden Schwertern. Beeilt euch, mitzuwirken im heiligen Kampfe! Die deutsche Rechte euch zu bieten, kam ich hierher. Schließt euch an mich an. Rasch muß das Werk begonnen werden. Säumet nicht, eure paniere mit den unsern zu vereinigen, und wem es für jetzt unmöglich ist, dem Rufe zu folgen, der warte, bis die Sturmglocke das Zeichen gibt. Dann ströme das Volk herbei und freue sich des Glücks, Anteil zu nehmen am heiligen Werk.

Wer aber zurückbleibt in dem Augenblick, wo es Germaniens Freiheit gilt, der bleibe daheim. Sein Name ist — Schwächling, sein Los ist — Schande! Ein Deutscher ist er nicht!"

Dieser Aufruf lockte zahlreiche Freiwillige aus allen Orten unserer Heimat herbei, so daß Major v. Hellwig 1 Offizier und 40 Mann zu ihrer Ausbildung in Nordhausen lassen mußte. 3 Tage später, am 26. Oktober, erließ Rittmeister v. Hagen ebenfalls einen Aufruf zur Bildung eines freiwilligen Jägerkorps zu Pferde, dem auch viele Jünglinge folgten.

Ihr Hauptaugenmerk richteten die Behörden aber auf die Bildung der Landwehr. So schreibt der Landrat: „Um bei den großen allgemeinen Anstrengungen, die zu Deutschlands Rettung und Selbständigkeit gemacht werden, nicht zurückzubleiben, so ist es Zeit, daß auch in der hiesigen Provinz zur Errichtung der Landwehr vorgeschritten und alles zum Eintreten in den großen Kampf vorbereitet wird, der Heil und Segen für unsere Nachkommen erwarten läßt; Landwehrpflichtig waren alle Mannschaften von 17—40 Jahren. Schon Ende Dezember fand in Nordhausen die Musterung statt; die tauglichen Mannschaften wurden in das Ersatzbataillon des 2. Elblandwehr-Bataillons in Nordhausen eingestellt. Schwierigkeiten bereitete die Ausrüstung. Teilweise mußten die Krieger aus Gemeindemitteln mit Uniformen und Waffen versehen werden. Auch freiwillige Beiträge wurden reichlich gespendet.

Während Jünglinge und Männer von 17—40 Jahren vor dem Feinde ihr Leben in die Schanze schlugen, taten auch die in der Heimat zurückgebliebenen Dienstuntauglichen und die Männer von 40—60 Jahren das Ihrige, um das Vaterland im Falle der Not zu beschützen; sie bildeten den Landsturm. Der Kommandeur des Landsturms in der Grafschaft war der Major v. Hihacker in Ascherode. Jeden Sonntag Nachmittag wurde eifrig geübt. Eine Uniform war zwar auch gewünscht, aber nur die wenigsten besaßen eine. Auch mit der Bewaffnung sah es schlimm aus; manche hatten wohl einen Säbel oder ein altes Gewehr, die meisten dagegen waren nur mit einer mit Eisen beschlagenen Pike bewaffnet. An Begeisterung und Vaterlandsliebe stand aber auch der Landsturm nicht hinter den Frontkämpfern zurück.

Aber auch die weibliche Bevölkerung brachte Opfer für das Vaterland. Bereits im Februar 1814 wurde in Nordhausen wie auch in der Grafschaft Hohenstein ein Frauenbund zur Unterstützung hilfsbedürftiger Familien der Landwehrmänner gegründet. Er lieferte hauptsächlich Bekleidungsstücke, wie Hemden, Jacken, Leibbinden, Handschuhe, Strümpfe, sowohl für die im Felde stehenden als auch für die in dem Lazarett zu Nordhausen liegenden Vaterlandsverteidiger. Für die Verwundeten wurden vorwiegend Verbandstoffe geliefert. Daneben bildete sich 1814 auch noch ein Mädchenverein in Nordhausen, der Beiträge in barem Gelde oder in feinen Handarbeiten, die verkauft werden sollten, entgegennahm.

Dorothea Pichelt, eine Kämpferin in den Befreiungskriegen

Dorothea pichelt ist am 26. April 1790 als Tochter des Weißgerbers Pichelt im Hause Lohmarkt Nr. 18 zu Nordhausen geboren. Schon als Kind zeigte sie einen lebhaften Geist und große Furchtlosigkeit. Öfter hat sie, selbst noch ein Kind, Gespielen, die in den Mühlgraben gefallen waren, mit eigner Lebensgefahr den Fluten entrissen. Der Mühlgraben diente zu der Zeit noch als Pferdeschwemme, und da die Brennereibesitzer in Nordhausen damals auch noch Landwirtschaft betrieben, wurden täglich Pferde in den Mühlgraben geritten. Dorothea Pichelt sah dem Treiben von ihrem Elternhause zu, machte sich selbst mit den Pferden zu schaffen und lernte bald reiten. Als junges Mädchen sah sie am 1. Juni 1805 König Friedrich Wilhelm III. und die Königin Luise vor den „drei Linden". Das Bild der liebreizenden Fürstin blieb ihr unvergeßlich und erregte in ihr glühende Verehrung der hohen Frau. An den Ereignissen, die dem Ausbruch des Krieges vorangingen, nahm Dorothea lebhaften Anteil. Da das einmal wöchentlich erscheinende "Nordhäuser Nachrichtsblatt" wenig Neues brachte, bemühte sie sich um Nachrichten bei den durchreisenden Fellhändlern, die in ihr Haus kamen.

Nach der unglücklichen Schlacht bei Jena 1806 und der Flucht des preußischen Heeres, von dem ein Teil seinen Rückzug über Nordhausen nahm, bemächtigte sich des Mädchens eine große Niedergeschlagenheit, und oft bedauerte sie ihrem Bruder gegenüber, kein Mann zu sein und nicht mitkämpfen zu können. Der Tod der von ihr heißgeliebten Königin Luise steigerte ihre trübe Stimmung. Erst der Aufruf Friedrich Wilhelms III. an sein Volk erfüllte auch sie mit neuer Hoffnung. Sie bekam ihre alte Fröhlichkeit wieder; aber eines Tages war sie spurlos verschwunden, ohne ihren Angehörigen irgend eine Mitteilung gemacht zu haben. Auch einen größeren Geldbetrag hatte sie mitgenommen, um, wie sich später herausstellte, sich davon ein Pferd, Uniform und Waffen zu kaufen und in ein östlich der Elbe gebildetes Freikorps als Dragoner einzutreten. Als ihr Regiment später einmal durch Nordhausen gekommen ist, soll sie sich den Ihrigen als Vaterlandsverteidiger vorgestellt haben.

Als Soldat hat sie während des ganzen Feldzuges in Deutschland und Frankreich öfters Beweise ihrer Tapferkeit und Unerschrockenheit gegeben. So hat sie mit noch zwei anderen Dragonern in einem Gefecht ihren unter die Feinde geratenen Schwadronsführer herausgehauen, wofür sie eine Denkmünze bekommen hat.

Nach dem Einzüge der Sieger in Magdeburg hat sie dem Wachtmeister ihrer Schwadron gesagt, daß sie ein Mädchen sei. Diese Mitteilung erregte natürlich große Überraschung und gab dem Kommandeur, dem sie sofort gemeldet wurde, Veranlassung, die soldatischen Tugenden sowie die Vaterlandsliebe der Dorothea Pichelt öffentlich zu rühmen.

Später soll sie einen Feldwebel geheiratet und in glücklicher Ehe in Magdeburg gelebt haben. In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts soll sie dort gestorben und auf dem Garnisonfriedhofe in Magdeburg begraben worden sein. Genaueres über ihr Leben nach den Befreiungskriegen weiß man nicht.

Am 18. Oktober 1913 ist an ihrem Geburtshause in Nordhausen eine Gedenktafel angebracht.

Unsere Heimat vor hundert Jahren

Im Jahre 1812 schildert der Präfekt des Harzdepartements seiner Regierung in Kassel den Distrikt Nordhausen. Folgendes sei daraus hervorgehoben:

„Der Charakter der Bewohner ist gut, ruhig und zum Fleiße geneigt.
Die Vermögensumstände sind im allgemeinen nur sehr mittelmäßig, denn wenn auch die Stadt Nordhausen einige reiche und mehrere wohlhabende Einwohner besitzt, so ist dagegen der größte Teil arm. Die Wohlhabenheit verliert sich immer mehr, so daß in einigen Jahren, wenn die gegenwärtigen Verhältnisse noch fortdauern sollten, nur noch sehr wenige dieser Klasse zu finden sein werden. Die Hauptnahrungszweige bestehen in Ackerbau und Viehzucht, zudem besonders zu Nordhausen im Branntweinbrennern, Handel mit Früchten mit der Nachbarschaft, in Wollenweberei und Lohgerberei auf dem platten Lande und zu Bleicherode.

Der Tagelohn ist in der Stadt Nordhausen gewöhnlich 6-7 Gr., auf dem platten Lande nur 5-6 Gr.

Der Zustand der Landwirtschaft ist im ganzen genommen gut. In Nordhausen und auf den größeren Gütern ist die Stallfütterung größtenteils ein- geführt, aber nicht bei dem Bauersmann wegen Mangel an Futter und Streustroh und besonders, weil er sich noch nicht von dem Nutzen überzeugen will.

Bei Weizen ist das Erzeugnis vom Scheffel Aussaat im Durchschnitt 4-5 Scheffel, Roggen 5-6 Scheffel, Gerste 6-7 Scheffel, Hafer 7-8 Scheffel, Kartoffeln 8-12 Scheffel.

An Manufakturpflanzen wird nur und zwar hauptsächlich in den Cantons Pustleben, Großwechsungen, Pützlingen und Bleicherode der Flachs zum Handel gebaut, in den übrigen Cantons nur wenig, nicht einmal zu eignem Gebrauche hinreichend. Auch leidet der Boden nicht wohl einen stärkeren Anbau, und es dürfte dermalen der vermehrte Anbau um so weniger rätlich sein, als der Handel mit Linnen jetzt gänzlich darnieder liegt.

Tabak, Krapp, Weid werden gar nicht gebaut, Hopfen ganz unbedeutend an einigen Orten. Hanf wird nicht gebaut; Rübsamen wird in den mehrsten Ortschaften lediglich zur eignen Consumption gebaut, nur die größeren Güter bauen zum Verkaufe. Runkelrüben werden hier zwar, jedoch hauptsächlich auf größeren Gütern und zum Viehfutter gebaut. Zichorien werden nicht gebaut.

Gartenbau und Obstzucht werden nur in den Cantons Nordhausen, Großwechsungen, Pustleben, Bleicherode und Pützlingen mit gutem Erfolg betrieben.

Die Wiesen im Canton Ellrich sind gut und mehr als hinreichend, so daß an andere Cantons noch verkauft werden kann.

An Rindvieh hält jeder Landwirt soviel, als er ausfüttern kann, da der Gewinn so einleuchtend ist, und die Zahl des Viehes wird nicht leicht vermehrt werden können, wenn man sich nicht mehr als bisher auf den Anbau der Futterkräuter und Verbesserung der Wiesen durch Düngemittel legt. Der Bestand war im Jahre 1811: 159 Stiere und Bullen, 336 Zug- und Mastochsen, 6899 Kühe und 2746 Rinder und Jungvieh. Nur in einzelnen Cantons gibt man sich mit Pferdezucht ab, die im ganzen unbedeutend ist. Bestand: 3824 Pferde über 3 Jahre, 991 Füllen, 24 Esel.

Die Schafzucht ist im guten Stande, und der jetzige Preis der feinen Wolle hat viel zur Veredelung beigetragen. Die Wolle ist nach Maßgabe sehr verschieden. Indessen ist doch die Landwolle nicht schlecht und wird zu Tüchern, Strümpfen und Flanellen verarbeitet. Der Distrikt zählt 48 261 Schafe.

An Schweinen wird im Durchschnitt soviel gezogen, als der Landmann zu eignem Bedarf nötig hat. Bestand 12 530.
Die Bienenzucht ist ganz unbedeutend. 1466 Stöcke.
Die Ziegenzucht ist unbedeutend.
Die Federviehzucht ist im ganzen hinreichend und gewährt dem Landmann einen nicht ganz unbeträchtlichen Beitrag zum Unterhalte.

Noch im Jahre 1806 war die Leinweberei durch 675 Arbeiter betrieben; seit dieser Zeit und seit der Handel ins Stocken geraten, hat diese Anzahl sich vermindert. Der Handel mit ihnen wird besonders nach Hamburg und seewärts betrieben; seitdem aber die Sperre herrscht und die neueren Erzeugnisse eingetreten sind, stockt dieser Handel, der das meiste Geld einbrachte, ganz und gar.

Baumwolle wird nicht verarbeitet.

Die Branntweinbrennerei ist der Hauptnahrungszweig der Stadt Nordhausen.

Die Ölfabrikation ist in Nordhausen und im Canton Großwechsungen sehr bedeutend. In den übrigen Cantons wird hauptsächlich zum eignen Bedarf Öl geschlagen. Der Wert des jährlichen Fabrikats kann in den 2 ersten Cantons auf 300 000 Taler, in den übrigen Cantons überhaupt auf 30000 Taler angenommen werden. Der Handel mit Ölen hat eher zu als abgenommen, da der Tran fehlt.

Zichorie[5] Tabak, Zucker, Stärke und Puder werden nicht fabriziert.

Die Wollenweberei ist hier nur wenig im Gange; in Nordhausen sind nur 2 Fabriken, die einige 40 Stühle innehalten und einige Meister, die für eigene Rechnung arbeiten. Sodann befindet sich in Bleicherode die ansehnliche Tuchfabrik des Herrn Müller, wo gegen 60 Stühle im Gange sein sollen, und endlich in Ellrich 16 Tuchmacher, welche Flanelle und grobe Tücher Herstellen. Der Absatz war in vorigen Zeiten weit besser als jetzt.

Leder wird in Nordhausen, Ellrich und Blekcherode bereitet. Es beschäftigen sich 250 Menschen damit; der Umsatz wird sich auf 75-80000 Taler belaufen.

Seife und Lichter werden nur zum Bedarf gemacht. Das Material (Talg) wird aus dem Distrikt und aus Magdeburg bezogen.

Porzellan, Steingut usw. wird nicht gemacht, wohl aber werden gewöhnliche Töpferwaren, Ziegel und Kalk zum Bedarf des Distrikts gebrannt.

Das Verhältnis in Rücksicht der Töpferwaren mag ungefähr das nämliche des ehemaligen sein, nur in Ansehung der Ziegel und des Kalks hat es sich verändert, da wegen Mangels an Geld nicht mehr soviel gebaut wird als sonst.

Eisenbahnen in unserer Heimat

Wie wenig Bedeutung man bei uns vor 100 Jahren den Eisenbahnen beilegte, geht daraus hervor, daß die damalige Zeitung in Nordhausen, das „Nordhäuser wöchentliche Nachrichtsblatt" weder den ersten Eisenbahnzug in England (1825), noch die Eröffnung der ersten Eisenbahn in Deutschland (von Nürnberg bis Fürth, 1855) erwähnt. Erst als im folgenden Jahre, 1856, der Plan auftaucht, von Bremen über Lüneburg und Hannover eine Bahn bis nach Braunschweig zu bauen, erwacht auch hier die Teilnahme. Und 1837 ist es dem Büchsenmacher und Mechaniker Eichler von hier bereits gelungen, eine Lokomotive herzustellen; in dem „Nordhäuser wöchentlichen Nachrichtsblatt" wird angezeigt: „Donnerstag abends 7 Uhr wird die gewöhnliche Konzertmusik mit Tanzvergnügen im Saale des Herrn Reichenbach (Riesenhaus) stattfinden, wobei Herr Eichler den von ihm verfertigten Dampfwagen (Lokomotive) sehen und verschiedene Male fahren lassen wird." Demnach hat unser Eichler noch vor Borsig, der bekanntlich 1841 die erste Lokomotive baute, die Bauart des „Dampfwagens" gefunden.

Ebenso hat ein anderer Nordhäuser, Dr. August Kramer, Lehrer am Gymnasium, einen elektrischen Telegraphen und ein elektrisches Eisenbahnläutewerk erfunden, ehe die Eisenbahn nach Nordhausen kam. Seine Erfindung wurde auch bei vielen Eisenbahnen damals (1850) eingeführt, und er hatte einen großen Nutzen daran, so daß er sich oben an der Promenade ein prächtiges Haus bauen konnte (jetzt das Haus mit der Uhr, Wallrothstr.); es war neben der „Hoffnung" dort das erste.

Im Jahre 1846 tauchte der plan auf, eine Eisenbahn von Halle über Nordhausen nach Kassel zu bauen. Nach langen Verhandlungen beginnt endlich die Magdeburg-Leipziger Bahngesellschaft den Bau, und am 10. Juli 1866 konnte die Teilstrecke Halle-Nordhausen eröffnet werden. Die Bahn war eingleisig, täglich verkehrten in jeder Richtung 2 Züge, je einer vormittags und einer nachmittags. Ein Jahr später, am 9. Juli 1867, ist die Strecke bis Ahrenshausen fertig, und erst 1872 konnte die ganze Linie bis Kassel dem Verkehr übergeben werden.

Die zweite von Nordhausen ausgehende Bahnstrecke, von Nordhausen bis Northeim, mit Anschluß an die Hannoversche Südbahn, konnte bereits 1869 eröffnet werden. In demselben Jahre wurde auch die Bahn Nordhausen-Erfurt in Betrieb genommen. Diese Eisenbahnen gehörten Privatgesellschaften; verstaatlicht wurde die Halle-Kasseler Bahn 1875 und die Nordhausen-Erfurter 1887.

Für den Verkehr durch den Harz ist die Kleinbahn Nordhausen-Wernigerode mit Abzweigung nach dem Brocken wichtig; sie ist 1899 eröffnet. Durch sie ist Nordhausen zu einem wichtigen Ausgangspunkt für Reisen in den Harz geworden. An diese sogen. „Harzquerbahn" schloß sich 1905 die Bahn von Eisfelder Talmühle nach Stiege zur Verbindung mit der Gernröder Eisenbahn, die das Selketal erschließt.

Von der Nordhausen-Northeimer Bahn zweigt sich in Ellrich die Bahn nach Zorge und von Walkenried die Bahn nach Braunlage, die sogen. Südharzbahn, ab.

Wachstum der Bevölkerung in Nordhausen

1790 = 5000 Einwohner
1800 = 8000
1828 = 10 000
1849 = 14 000
1861 = 17 000
1880 = 26 000
1890 = 27 000
1900 = 28 000
1910 = 32 000
1925 = 35 000

Anhang

Sagen aus der Heimat

Das Achtuhrläuten vom Petriturm

[6] Vor langen Jahren hatten die drei Töchter einer vornehmen Familie in Nordhausen sich im Walde, der vom Harze bis nahe an die Stadt reichte, verirrt. Es wurde Abend, und immer konnten sie den Heimweg nicht finden. Da wurde ihnen bange in dem dunkeln Walde, der gar kein Ende nehmen wollte; denn es gab damals noch Wölfe dort, und sie fürchteten, von ihnen zerrissen zu werden. Da hörten sie, wie es vom Petriturme acht Uhr schlug. Sie gingen dem Schalle nach und kamen nun bald in die Stadt. Aus Dankbarkeit stifteten die Eltern eine Summe Geld, daß jeden Abend um acht Uhr geläutet werden sollte, damit keiner wieder in Gefahr käme, den Heimweg nach der Stadt zu verfehlen.

Wenn später einmal der Türmer den Glockenschlag versäumte und nicht gleich zu läuten anfing, erhielt er wohl von unsichtbarer Hand einen gewaltigen Schlag auf die Backe, und eine Stimme, wie aus dem Grabe, rief ihm zu: Wäre es schon halb auf Neune, bräch' ich dir so Hals als Beine.

Das Kreuz in der Mauer am Neuen Wege

In alter Zeit wohnte am Neuen Wege ein Handwerker mit seiner Frau. Sie hatten einen Sohn von 16 Jahren, der half seinem Vater in der Werkstatt. Aber seitdem bei ihnen ein Geselle gearbeitet hatte, der wohl schon durch die ganze Welt gekommen war und viel erzählen konnte, träumte er nur noch von fremden Ländern und sehnte sich hinaus in die weite Welt.

Da hörte er eines Tages die Trommel rühren: ein fremder Offizier warb Soldaten an für den Krieg. Das war eine Gelegenheit, die Welt kennen zu lernen. Er ließ sich anwerben und zog frohen Mutes hinaus, wie sehr auch die Mutter weinte und der Vater ihm zum Bleiben zugeredet hatte.

Die Jahre vergingen. Von ihrem Sohn erhielten die Eltern keine Kunde. Sie selbst waren alt geworden; zu verdienen gab es nicht viel. Der sie hätte unterstützen und für sie hätte sorgen können, lebte wohl nicht mehr. Kümmerlich schleppten sie ihre Tage dahin.

Eines Abends spät trat ein Reisender in feinen Kleidern bei ihnen ein. Da die Tore der Stadt schon verschlossen waren, konnte er keine Herberge mehr aufsuchen, und er bat die alten Leute, ihn die Nacht über zu behalten; es solle ihr Schade nicht sein, er habe Geld genug, und dabei zeigte er ihnen eine wohlgefüllte Geldtasche.

Die beiden Leute nahmen ihn gerne auf; die Frau mußte ihm noch ein Essen zurechtmachen, an dem sie auf seinen Wunsch teilnahmen. Dabei erzählte er ihnen von fremden Ländern und von seinen Kriegssahrten. Er habe viele Beute machen können und sei reich geworden; jetzt reise er zu seinen Eltern, die es nun in ihren alten Tagen gut haben sollten. Sie würden ihn aber kaum wiedererkennen, da er so lange fortgewesen sei.

Unter solchen Gesprächen war es spät geworden; die Frau bereitete ihm eine Lagerstätte, und sie wünschten ihm eine gute Nacht.

Aber in den beiden Alten war ein unheimlicher Gedanke aufgetaucht; das viele Geld, das sie bei ihrem Gast gesehen hatten, hatte ihren Sinn verwirrt. Sie beschlossen, ihn zu töten und zu berauben. Die Frau brachte einen Kessel voll Ol zum Sieden, und das gossen sie dem Schlafenden in den Mund. Als er nun tot war und sie ihm die Kleider vom Leibe rissen, bemerkten sie an der linken Seite über dem Herzen ein dunkles Mal: ein solches Zeichen hatte auch ihr Sohn an derselben Stelle gehabt. Und nun fielen ihnen auch noch andere Merkmale auf: schaudernd erkannten sie, daß sie ihren eigenen Sohn ermordet hatten.

Am andern Morgen stellten sie sich der Obrigkeit, und bald darauf wurden sie hingerichtet. In der Stadtmauer aber, gegenüber dem Hause, in dem der Mord geschehen war, wurde zur Erinnerung an die gräßliche Tat ein Kreuz von Steinen eingemauert.

Der Teufel im Kohnstein

Früher hatte der Teufel im Kohnstein eine Schatzkammer. Wer sich ihm verschrieben hatte, konnte die Tür dazu öffnen. In der Kammer lag ein feuriges Buch, und darin standen auch die Namen sehr vieler Nordhäuser. Nun war einst zu Nordhausen ein Mann, der hatte sehr viele Schulden, und seine Gläubiger drängten ihn unbarmherzig, ja, es wollten ihm zwei davon das Haus über dem Kopf verkaufen lassen. Da ging der Mann betrübt umher. Und so begegnete ihm der Teufel, der ihn fragte, was ihm fehle. Als er s nun erzählt hatte, wollte ihn der Teufel mit sich führen; der Mann ließ sich auch endlich herbei, mit zu der Schatzkammer zu gehen. Da ihm nun der Teufel sagte, wenn er sich in das feurige Buch schriebe, so könne er so viel Geld erhalten, als er wolle, sprach er: so will ich morgen wiederkommen und mich unterschreiben. Das war der Teufel zufrieden. Als aber der Mann wegging, hatte er schon einen Blick in das brennende Buch geworfen und auch die Namen der beiden Gläubiger darin gelesen. Wie er nun nach Nordhausen kam, ging er sogleich zu seinen Gläubigern und sprach: „Jetzt kann ich das Geld erhalten, das ich euch schulde; aber da ihr euch einmal dem Teufel verschrieben habt, so laßt es euch doch lieber von ihm selbst geben. Da flehten ihn die Gläubiger an, sie nur nicht zu verraten und schenkten ihm soviel Geld, als er nur mochte.

Der Tanzteich bei Niedersachswerfen

Bei Niedersachswerfen, an dem Woffleber Wege, liegt am Fuße des Mühlberges ein Teich, der Tanzteich genannt; davon geht folgende Sage: Wo jetzt der Tanzteich ist, hat ehemals eine Schenke gestanden. 2n diesem Wirtshause wurde alle Sonntage getanzt, schon bevor am Nachmitag der Gottesdienst zu Ende war. Da zog einmal ein Gewitter herauf und hielt über der Schenke. Doch die wilde Gesellschaft wollte nicht aufhören zu tanzen und zu lärmen. Ja, einer ging in seinem Frevelmute so weit, daß er sagte: „Hört einmal, wie der liebe Gott mit Bierfässern rollt!" Indem fuhr ein Blitz mit einem furchtbaren Donnerschlage hernieder, und die Schenke versank mit allen, die darin waren. Aus dem Abgrund aber quoll ein dunkles, schwarzes Gewässer herauf, das den Tanzteich bildet.

Der Glockenguß zu Stolberg

Am Hardtwald bei Steigertal steht ein alter Stein, Ln den eine Glocke und eine Keule eingehauen sind. Was mag er bedeuten?

Zu Stolberg wohnte einst ein gar geschickter Glockengießer, und weit und breit erklang von manchem Turm ein liebliches Geläute, das aus seiner Werk-- statt hervorgegangen war. Nun bestellte auch die Stadt Stolberg bei ihm eine Glocke, und voller Freude darüber, daß er seinem Heimatsort ein Werk seiner Hände hinterlassen konnte, machte er sich an die Vorbereitung zum Guß, um eine Glocke herzustellen, die alle andern, die er geschaffen hatte, weit übertreffen sollte. Aber diesmal wollte ihnen der Guß, soviel er auch sann und suchte, durchaus nicht nach Wunsch gelingen.

Verdrießlich unterbrach er seine Arbeit und machte sich auf, um seinen Vater, der ein berühmter Glockengießer in Nordhausen war, um Rat zu fragen. Seinem Gesellen aber befahl er, auf den Tag seiner Rückkehr alles zur Wiederaufnahme des Gusses bereitzuhalten. Damit war der Geselle nun bald fertig, und er sann und zerbrach sich den Kopf, warum dem Meister, mit dem er schon so manche schöne Glocke gegossen hatte, diesmal die Arbeit nicht gelungen war. Nach langem Grübeln glaubte er den Grund erkannt zu haben, und er arbeitete rastlos Tag und Nacht, um den Meister freudig zu überraschen, und siehe, der Guß gelang vortrefflich.

Doch jetzt mischte sich in seine Freude auch die Besorgnis, ob der Meister seine Eigenmächtigkeit gutheißen werde, und er beschloß, ihm entgegenzugehen und ihm alles zu gestehen. Er traf ihn am Hardtwalde bei Steigertal, wie er sich da niedergelassen hatte, um ein wenig auszuruhen. Verwundert schaute der Meister auf, als er den Jüngling ihm entgegenkommen sah, und erkundigte sich nicht ohne Besorgnis, wie es zu Hause stände. Da konnte der Geselle das Geheimnis nicht länger bewahren, und er erzählte, wie alles gekommen war, und daß die Glocke nun fertig und wohlgelungen zu Hause stehe. Je weiter er sprach, desto dicker schwollen dem Meister die Zornesadern; die Scham, von seinem Gesellen übertroffen worden zu sein, wurde zur grimmigen Wut, und ohne zu wissen, was er tat, sprang er auf, ergriff seinen Knotenstock und versetzte dem Jüngling einen so gewaltigen Hieb über das Haupt, daß er lautlos zusammenbrach.

Als er den unglücklichen Gesellen blutüberströmt am Boden liegen sah, da erwachte er aus seinem Zorn: das Entsetzen ob der gräßlichen Tat packte den starken Mann, und von Gewissensangst gejagt, eilte er von dannen. Doch bald kehrte er um und lief denselben Weg wieder zurück: vielleicht war der Unglückliche noch zu retten, der Blutstrom noch zu stillen. Vergebliche Hoffnung — er lag starr und kalt, mit gebrochenem Auge da.

Nun irrte er die ganze Nacht unstät und flüchtig im Walde umher. Als der Morgen anbrach, wurde er ruhiger: er wußte, was er zu tun hatte. Erging nach Stolberg und stellte sich dem Gerichte, und da er alles eingestand, bedurfte es keiner langen Untersuchung,- er wurde zum Tode verurteilt und nach der Hinrichtung an der Stelle eingescharrt, wo er zum Mörder geworden war.

Zum ewigen Andenken an diese Tat wurde an der Mordstelle der Stein errichtet.

Die Nachtmusik

Lustige Musikanten aus Kelbra beschlossen einmal, dem alten Kaiser eine Nachtmusik darzubringen. In der Mitternachtsstunde gehen sie im Mondenschein den Berg hinauf und langen gerade um Mitternacht oben an. Eben schlägt unten im Dorfe die Glocke zwölf, als sie losblasen. Beim zweiten Stücke kommt die Prinzessin mit einem Lichte in der Hand tanzend auf sie zu und winkt ihnen zu folgen. Der Berg tut sich vor ihnen auf, und mit klingendem Spiele ziehen sie der Prinzessin nach mitten in die unterirdische Herrlichkeit hinein. Essen und Trinken wird ihnen reichlich aufgetischt, und sie lassen sich^s gut schmecken; doch hätten sie gern auch etwas von den Schätzen gehabt, die rings in großer Menge umherlagen. Aber niemand bot ihnen etwas an. Endlich, als der Morgen graut, brechen sie wieder auf; der Kaiser winkt ihnen recht freundlich zu, und die Prinzessin reicht jedem einen grünen Busch zum Andenken. Als sie wieder aus dem Berge heraus und im Freien angelangt sind, werfen sie die Büsche, die sie ehrenhalber angenommen haben, fort und lachen und schelten über solch ein kaiserliches Geschenk; nur einer behält den Busch und will ihn zum Andenken aufheben. Als er nach Hause kommt, überreicht er seiner Frau scherzend den Busch und gewahrt auch in demselben Augenblicke, daß der Busch nicht mehr leicht ist, und daß alle Blätter und Zweige sich in gediegenes Gold verwandelt haben. Schnell liefen die andern auf den Berg zurück, um ihre fortgeworfenen Büsche zu holen; aber sie waren fort. Ihr Mißtrauen hatte sie betrogen.

Die Löwenburg bei Bleicherode

Auf der Löwenburg bei Bleicherode wohnte ein Ritter, der einen Löwen im Wappen führte und daher auch der Löwenritter genannt wurde. Sein hochmütiges und stolzes Wesen machte ihn bei jedermann unbeliebt. Dazu kam, daß er raubte und plünderte, wo nur immer Beute in Aussicht stand. Der Hochmut des Vaters war auch auf seine einzige Tochter, die sich durch große Schönheit auszeichnete, übergegangen. Kein Freiersmann genügte ihr; der eine war ihr nicht reich, der andere nicht schön genug, und so kam es, daß sie unvermählt blieb.

An gewissen Tagen sieht man das Fräulein in roten, lang herabwallenden Haaren, mit weißen Kleidern angetan, einen Schlüsselbund an der Seite, auf der Löwenburg umherwandeln und nach ihrem Erlöser ausschauen. Wenn dieser kommt, wird sie ihn in den unterirdischen Palast führen und ihn mit den seit Jahrhunderten gesammelten Schätzen beschenken.

Nach einer anderen Sage ist die Schlüsseljungfrau auf der Löwenburg verzaubert und harrt auf ihre Erlösung. Wer die blaue Wunderblume, die alle sieben Jahre am Johannistage blüht, findet, kann sie erlösen. Mit der schönen Jungfrau werden ihm auch unermeßliche Schätze an Gold und Silber zufallen.

Der wilde Jäger

Ein Schäfer hütete bei Bleicherode seine Herde. Als er einst nachts in -er Bucht lag und nicht schlafen konnte, vernahm er plötzlich ein wildes Rufen und lautes Hundegebell in der Nähe. Gespenstische Retter, mit langen peitschen in den Händen und von großen Hunden gefolgt, jagten in sausendem Galopp durch die Luft dem nahen Walde zu. Der Schäferhund schloß sich dem Zuge seiner Kameraden an. Kaum hatte er sich entfernt von der Herde, so wurde eine Pferdekeule aus der Luft mit den Worten herabgeworfen:

Hast du mit helfen jagen,
sollst auch mit helfen knagen.

Der Schäfer suchte sich des unwillkommenen Geschenkes zu entledigen und warf die Pferdekeule wett weg; aber sie kehrte immer wieder auf ihren ersten Lagerplatz zurück. Endlich brachte er sie über die Flurgrenze, und nun blieb sie verschwunden.

Der Römerstein

Südlich von der Eisenbahn, die an Sachsa vorbeifährt, nicht wett vom Bahnhof Tettenborn in der Richtung nach Osterhagen zu, ragen zackige Felsen empor, die wie die Trümmer einer verfallenen Burg aussehen. Das ist der Römerstein. Vor Zeiten wohnten hier Riesen, während drüben in dem weißen Alabaster des Sachsensteins mächtige Zwerge mit ihrem König hausten. Vor diesen Zwergen schwebten die ungeschlachten Riesen in solcher Furcht, daß sie die Felsburg austürmten, um vor ihnen sicher zu sein.

Einst durchschweifte ein Riesenjüngling, Romar geheißen, den Wald und fand unter einem Baume schlafend eine wunderschöne Jungfrau; es war Ruma, des Zwergkönigs jünste Tochter. Staunend blieb er stehen,- da schlug sie die Augen auf und wollte fliehen. Doch Romar sprach ihr freundlich zu,- so blieb sie und fand bald Gefallen an dem Jüngling. Sie trafen sich nun öfter und konnten nicht mehr voneinander lassen, obgleich sie wußten, daß sie zwei feindlichen Mächten angehörten. Aber sie liebten sich so sehr, daß sie Mann und Frau wurden und jahrelang heimlich in glücklicher Ehe lebten.

Eines Tages saßen sie traulich beisammen und freuten sich des Spieles ihres munteren Knaben. Da stand plötzlich der Zwergkönig vor ihnen. Sein Antlitz war bleich, sein Haar weiß wie das Gestein, vom Scheitel war ihm eine Helle Kristallkrone emporgeschossen. Zornig rollten seine kleinen Augen, als er in dem Gemahl seiner Tochter einen Sohn des Riesenlandes erkannte,- und ohne auf die flehentlichen Bitten seiner Tochter zu achten, rief er eine Schar dienstbereiter Zwerge herbei, die den Jüngling über die Grenze des Zwergenreiches peitschten. Den kleinen Sohn zerschmetterte er an der Felswand; seine Tochter aber schloß er in eine feste Höhle tief im Innern des Berges ein und ließ den Eingang durch boshafte Kobolde bewachen.

Die unglückliche Ruma versuchte auf jede Weise ihre Rettung. Sie verwandelte sich in eine Wassernixe und suchte als Quelle an das Tageslicht zu kommen, um zu ihrem Gatten zu gelangen, und eine ganze Reihe tiefer Löcher zeugt von ihren Anstrengungen. Aber stets schleuderte der erbarmungslose Vater sie in das Innere des Berges zurück. Von den vielen Tränen, die sie dort vergossen hat, heißt die Höhle, worin sie eingekerkert war, noch heute Weingartenloch, die Höhle des Weinens. Einmal glückte es ihr, den trauernden Romar, der sie überrall suchte, wiederzusehen. Der Ort, wo das geschah, heißt jetzt noch Nixei.

Endlich nach langen Jahren war es ihr gelungen, unter der Erde so weit vorzudringen, daß sie die Grenze des Zwergenrelchs weit überschritten hatte, und nun trat sie ungehindert als mächtige Quelle zutage. Rhume heißt zu ihrem Andenken der Fluß, der aus der Quelle entsteht.

Nach Romar aber wurde die Riesenburg der Römerstein genannt.

Die Zwerge vom Sachsenstein

Einst lebten in dem Sachsenstein bei Sachsa Zwerge. Ihre Wohnungen waren die Zwerglöcher, kleine, überwölbte Höhlen in dem Kalkfelsen. Sie waren immer munter und guter Dinge und machten gern Musik. Auch haben sie unter sich Hochzeit gehalten und Kindtaufe gefeiert und dazu Reisbrei gegessen, und es ist dabei sehr lustig hergegangen im Sachsenstein. Ein Schäfer, der einst in der Nähe die Schafe hütete, hörte die Musik und räumte mit seinem Hakenstocke vor den Zwerglöchern auf. Da hat er die Zwerge und die Zwergmusikanten alle gesehen, ist auch eingeladen worden, an der Festlichkeit teilzunehmen. Das hat er sich nicht zweimal sagen lassen und hat sich mit zu ihnen gesetzt,- er ist auch unversehrt wieder aus dem Sachsensteine herausgekommen.

Mit den Menschen standen die Zwerge sich gut und erschienen häufig bei ihnen auf Hochzeiten und Kindtaufen. Mit leise trippelnden Schritten kamen sie dann herein und setzten sich mit an die Tafel. Stückchen um Stückchen verschwand vom Braten und Kuchen. Die Hochzeitsleute sahen sich an, nickten und lächelten: „Die guten Zwerge!" Keiner aber konnte sie erblicken,- denn sie hatten ihre Nebelkappen angetan, die machten unsichtbar.

Wenn die Menschen duldsam gegen sie waren, so erwiesen sie sich hilfreich und dankbar und verrichteten für sie manche Arbeiten. So brachen einmal Maurer Steine am Sachsenstein. Da kamen abends die Zwerge daher und sagten zu ihnen, sie möchten jetzt nur heimgehen, ihr Werkzeug dalassen, sich um nichts kümmern und ihnen am anderen Morgen Brot mit- bringen, dann solle die Arbeit schon getan werden. Das taten die Maurer auch, kamen am anderen Morgen wieder, legten das Brot vor den Sachsenstein und brauchten auf die mittgebrachten Wagen nur die Steine aufzuladen, die die Zwerge losgebrochen hatten.

Sehr gern aßen sie Erbsen; kein Erbsenfeld ringsumher war vor ihnen sicher, und man hotte sie oft darin schmatzen wie die Schweine, ohne daß man sie sah. Darüber wurden die Menschen dann böse. Äm wenigsten mochten die Frauen sie leiden; sie beschuldigten die Zwerge, daß sie ihnen ihre hübschen Kinder raubten und ihnen dafür häßliche unterschöben. Auch brach das Zwergvolk wohl einmal ln ganzen Haufen in die Bäckerläden in Sachsa und Walkenried ein und stahl Brote. Da ritt ein Mädchen den Leuten, daß sie Kümmel ins Brot backen sollten,- das konnten die Zwerge nicht vertragen und wurden krank davon. Von der Zeit an wurde kein Brot mehr ohne Kümmel gebacken, und nur wenige Zwerge, die Kümmelzwerge genannt wurden, konnten es essen. Da beschlossen die Zwerge, auszuwandern.

Mit voller Musik zogen sie in Sachsa ein und versammelten sich vor dem Rathause. Weil sie den Sachsaern für das Wohlwollen, das sie ihnen bewiesen hatten, dankbar sein wollten, fragten sie diese: »Wollt ihr ein ewiges Bergwerk haben oder von einem jeden von uns einen Pfennig?" Da antworten die Leute zu Sachsa: »Von jedem einen Pfennig" Nun wurde ein leeres Scheffelmaß auf dem Markte vors Rathaus htngestellt. In langer Reihe zogen die Zwerge vorbei, und jeder warf, kling, kling, seinen Pfennig in das Scheffelmaß, daß es über und über voll wurde.

Seit dieser Zeit hat man keinen Zwerg wieder in Sachsa gesehen.

Die Zwerge im Erbsenfelde

Ein Bauer bei Osterode hatte ein Feld Erbsen, das wurde ihm jede Nacht bestohlen und zertreten. Er stellte Wache dabei, aber niemals sah man die Diebe. Eines Tages klagte er dies seinem Nachbar, und der sagte: »Das tun gewiß die Zwerge. Mach einmal ein langes Seil und zieh es rings um das Erbsenfeld; dann knalle mit der peitsche und klappere und lärme, so eklen sie fort, und dabei fällt gewiß dem einen oder dem anderen, wenn er unter dem Seil wegschlüpft, die Nebelkappe ab; dann kannst du sie sehen."

Der Bauer tat, wie ihm der Nachbar geraten hatte. Und als er des Nachts mit seinen Leuten knallte und lärmte, da stürzten die Zwerge Hals über Kopf aus dem Erbsenfelde, und bei der Gelegenheit verloren mehrere die Kappe vom Kopf und wurden gefangen genommen. Sie bettelten und flehten, der Bauer möge sie doch loslassen,- aber der wollte nicht. Da versprachen sie ihm endlich ein ganzes Fuder Gold,- er müsse aber vor Sonnenaufgang kommen und es holen. Der Vorschlag gefiel dem Bauern, und er ließ sie los bis auf einen, den er fragte: »Wann geht denn eigentlich bei euch die Sonne auf?" Der Zwerg wollte erst nicht mit der Sprache heraus,- da er aber nicht anders fort sollte, so antwortete er endlich: »Um zwölf." Der Bauer ließ ihn los und sagte: »Danke schön, werde mich zur rechten Zeit einfinden."

Nun eilte der Bauer mit den Knechten nach Haus und fuhr mit einem vierspännigen Wagen hin nach dem Felsen, wo die Zwerge hausten. Als er draußen anhielt, hörte er, wie sie spielten und dabei sangen:

„Dat is gut, dat is gut,
dat dat Büerken nich weit,
dat de Sunne um twölwe upgeiht."

Der Bauer lachte, daß er's doch wußte, und pochte an. Sie öffneten, und als er sich nun demnach zu rechter Zeit gemeldet hatte, zeigten sie ihm ein abgeschundenes Pferd, das sollte er aufladen und mitnehmen. Ärgerlich darüber, daß sie ihn angeführt hatten, fluchte er und wollte es liegen lassen; doch besann er sich und dachte;

„Wat mehr is as 'ne Lus,
dat nümmt man midde na Hus —

als er zu Hause aber ankam und die Hunde füttern wollte, da hatte er einen großen Goldklumpen auf dem Wagen.

Schnell fuhr er nun wieder zurück, um auch das andere zu holen. Doch alles war verschwunden, Höhle und Pferd, und er mußte leer nach Hause fahren. Er hatte indes immerhin soviel Gold, als er mit seinen Kindern und Kindeskindern nur gebrauchen wollte.



  1. Gegen Zahlung von 1500 Mark konnten die Nordhäuser 1368 die Schnabelsburg, die der Graf v. Honstein erbaut hatte, niederreißen.
  2. Die Teiche sind von 1840—1850 trocken gelegt.
  3. Das Haus mit dem Saale, der ehemalige Rittersih der Herren v. Berlepsch, steht noch bei Buhla.
  4. Auf dem Lutherptatz vor dem Riesenhaus, nach der Jüdenstraße zu, Schönau gegenüber, 1819 abgebrochen.
  5. Zichorien baute zuerst Schreiber an; um 1820 entstand die Zichorkenfabrik an der Stolberger Straße. Tabakfabriken waren um 1800 schon einige kleinere vorhanden; größere entstanden später: Die von Hanewacker 1815, von Knies 1818, von Kneifs 1827, von Reddersen 1836.
  6. Ein Nordhäuser Geschichtschreiber berichtet, daß infolge des Brandes im Jahre 1610 allabendlich um 8 Uhr auf dem Petrikirchturm die Beiglocke geläutet wird.