Heimatkundliches Lesebuch für den Kreis Nordhausen

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Heimatkundliches Lesebuch für den Kreis Nordhausen
Autor Gesamtleitung: Horst Rauscher
Verlag Nordhausen : Pädagogisches Kreiskabinett der Abteilung Volksbildung beim Rat des Kreises Nordhausen
Erscheinungsjahr 1957
Umfang 177 Seiten : Illustrationen
Preis DM-Ost 3.80
Stand: 1. Februar 2018
Digitalisat: [ PDF (4 MB)]
Editionsrichtlinien:



Heimatkundliches
Lesebuch
für den Kreis Nordhausen






Herausgegeben vom Pädagogischen Kreiskabinett
der Abteilung Volksbildung beim Rat des Kreises Nordhausen




Dieses Lesebuch ist eine Gemeinschaftsarbeit von einhundert Lehrern und Freunden der demokratischen Schule. Es entstand als Beitrag der Abteilung Volksbildung zum Nationalen Aufbauwerk des Jahres 1957 und mit dessen Unterstützung.


Gesamtleitung: Horst Rauscher

Federzeichnung: Fritz Teichmüller (34), Ewald Streletzki (4)

Karten: Hermann Echtermeyer, Georg Kohlhause

Einbandentwurf: Klaus Grosche

Grafische Beratung: Ewald Streletzki

Fotografische Beratung: Gerhard Schulze

Redaktionskollegium:
Gudrun Arpert, Ingeborg Dieck, Herbert Ehrhardt, Hellmuth Hartmann, Lore Hecker, Willi Höfer, Ruth Hupfer, Käthe Kirchner, Heinz Kneffel, Berta Ramisch, Horst Rauscher, Gerhard Ride, Annamaria Streletzki, Henry Triebel, Christa Wandt

Verantwortlich für den Inhalt: Pädagogisches Kreiskabinett, Abteilung Volksbildung, Rat des Kreises Nordhausen



Die Beiträge sind für den Schulgebrauch zugelassen und für die Hand der Schüler bestimmt



Gesamtherstellung: Druckerei Fortschritt Erfurt


An die jungen Leser!

Eure Lehrer haben für euch dieses Buch geschrieben und die Bilder gezeichnet oder fotografiert. Viele andere haben ihnen dabei geholfen. Fast alle mußten dazu ihre freie Zeit benutzen.

Dieses Heimatkundliche Lesebuch soll euch von der Geschichte und der Arbeit der Menschen unseres Kreises in früherer und heutiger Zeit erzählen. Es soll euch auf viele Dinge und Vorgänge in der Natur aufmerksam machen, an denen ihr sonst vielleicht achtlos vorübergeht. Es soll euch zeigen, daß durch die mühsame und harte Arbeit der Menschen die Natur und unser Leben verändert wurden, daß vieles besser geworden ist, daß aber auch noch viele Aufgaben vor uns liegen.

Eure Lehrer wünschen, daß ihr eure Heimat noch besser kennenlernt und daß ihr den Bauern, den Arbeiter an der Werkbank, den Kumpel unter Tage, den Mann im Steinbruch und in der Fabrik, den Waldarbeiter und alle die vielen anderen, die still und unermüdlich ihre Pflicht erfüllen, achtet. Sie sind es, deren fleißige Hände immer neue Werte schaffen.-Ich möchte allen denen, die zum Gelingen dieses Buches beitrugen, an dieser Stelle danken für ihren Fleiß, ihren Eifer und ihre Ratschläge.

So möge denn dieses Buch hinausgehen, euch in der Schule helfen und euch Freude bringen.

Horst Rauscher

Unsre Heimat,
das sind nicht nur die Städte und Dörfer. Unsre Heimat
sind auch all die Bäume im Wald.
Unsre Heimat ist das Gras auf der Wiese, das Korn auf dem Feld, und die Vögel in der Luft und die Tiere der Erde und die Fische im Fluß sind die Heimat.
Und wir lieben die Heimat, die schöne, und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört, weil sie unserem Volke gehört!

Aus der Vergangenheit und Gegenwart unserer Kreisstadt

Von alten Mauern, Gräben und Pergamenten

Ihr spielt gern Kriegen und Verstecken. Ist das ein Spaß, wenn ihr durch dunkle Kellergänge tobt und über knarrende Hausböden rennt, daß der Staub wirbelt!

Und auf der Stadtmauer klettert ihr auch gern herum, nicht wahr ? Das ist doch herrlich, auf dem alten Gemäuer entlangzulaufen, daß die Steine prasseln und der Mörtel bröckelt.

Doch dabei beschädigt ihr die Stadtmauer. Einstmals war sie der Stolz der Bürger. Viele Menschen mußten lange und fleißig arbeiten, bis sie so hoch und fest war, daß sie die Stadt gegen Feinde schützen konnte. Heute ist sie längst verfallen. Wir brauchen sie nicht mehr. Aber deshalb muß sie nicht zerstört werden. Sicher wollt ihr das auch gar nicht. Die Stadtmauer soll zur Erinnerung an alte Zeiten noch viele Jahre erhalten bleiben.

Aber noch andere Dinge sind wert, vor der Vernichtung bewahrt zu werden.

In der Ruine der Petrikirche steht eine große Sandsteinplatte. Vor Jahrhunderten wurde sie von einem Künstler behauen. In mühseliger Arbeit entstand auf dem Stein das Bild eines Mannes mit einem großen spanischen Kragen. Wir wissen nicht mehr, wen es darstellt: vielleicht einen Herzog oder einen Bischof ?

Heute finden wir nur noch die Platte, das Bild aber kaum noch. Durch Steinwürfe wurde es abgeschlagen. Wieder ist uns ein altes Kunstwerk verlorengegangen. Denkmäler und Gräber müssen geschont werden. Sie erzählen uns nämlich viel Interessantes aus früheren Zeiten. Schaut sie nur einmal genau an! Vorsichtig muß man auch mit alten Urkunden und Büchern umgehen. Ihr denkt, die kann man verbrennen. Das darf man aber nicht. Sie sind sehr wertvoll.

Urkunden wurden früher mit der Hand geschrieben, und zwar mit dem Gänsekiel. Die Druckerkunst wurde erst viel später erfunden. Da unsere Vorfahren auch Papier noch nicht kannten, schrieben sie Urkunden auf gegerbte Tierhäute, sogenannte Pergamente. Hätten wir die Pergamente nicht, wüßten wir nichts aus alter Zeit. Auf ihnen liest man vom Bau der Befestigungsanlagen und der Wehrgänge, der Stadttürme und der Wachttürme. Man liest vom Leben unserer Vorfahren. Die ältesten Schriften sind heute wohl 1000 Jahre alt. Viele Wissenschaftler studieren sie.

Verstaubt und grau, rissig und fleckig, abgegriffen und unschön sehen die Pergamente aus. Durch Kriege und Brände wurden viele vernichtet.

Nur manchmal noch finden wir einzelne Blätter oder wertvolle Bücher auf verstaubten Böden, in alten Truhen oder unter vielerlei wertlosem Papier. Wenn ihr welche findet, werdet ihr nichts davon haben. Ihr könnt sie nicht lesen. Aber im Museum werden sie gesammelt. Dort werden sie gelesen, und was interessant ist, wird neu gedruckt. In großen Glaskästen aber werden die alten Schriften ausgestellt. Aller Schmutz und Staub wird von ihnen entfernt. Dann erglänzen sie wieder in leuchtenden Darben.

Lohnt es nicht, solche Altertümer vor Zerstörung zu bewahren ? Jeder kann dabei helfen! Ihr merkt schon: Die zerfallene Stadtmauer und die alten Denkmäler und Grabsteine, die Pergamente und die vergilbten Bücher sind wirklich Schätze, die wir alle hüten und schützen müssen.

Wo heute die Finkenburg steht

Nordhausen ist über 1000 Jahre alt. Niemand kann heute mehr genau sagen, wie die Stadt vor so langer Zeit entstanden ist. Aber es könnte so gewesen sein:

Schon vor mehr als tausend Jahren kreuzten sich dort, wo heute der Korn-markt liegt, zwei wichtige Handelsstraßen. Die eine führte von Osten nach Westen, die andere von Norden nach Süden.

Dort also traf damals eine Wagenkolonne mit einer Reiterschar zusammen. Bei den schwerbeladenen Planwagen ritten Männer, die unter ihrem Lederwams einen leichten Kettenpanzer und am Sattel ein Schwert trugen. Es waren Kaufleute, die weither aus Westfalen kamen und ihre Ware verkaufen wollten: Tuche, eiserne Geräte, Schmuck und andere Kostbarkeiten. Gern besuchten sie die von den Franken angelegten und befestigten Königshöfe. Die Ritter mit ihren Knappen hielten bei den Wagen an. Gruß und Gegengruß erschollen. „Wohin des Weges, ihr Männer V‘ wandte sich der vornehmste unter den Reitern an die Händler. „Nach Northusen, Herr , wurde ihm zur Antwort. „Wir reisen in des Königs Schutz. In der Sicherheit des Hofes wollen wir einen Markt halten, dann wird uns der Weg weiter nach Sonnenaufgang führen.“

„Da habt ihr’s bald geschafft“, erwiderte der Vornehme, „am Fuße dieses Berges da, des Frauenberges, liegt der Königshof. Man erwartet euch mit Ungeduld. Auch fragte schon mancher Bote aus den Dörfern, wann ihr eintreffen würdet.“

,,Es ist gut, daß Friede im Lande herrscht“, sprach einer von den Kaufleuten. ..Auch des Königs befestigter Ort Northusen könnte uns nicht schützen, wenn die Reiterscharen der Hunnen hereinbrächen.“

..Geduld, ihr Männer!“ versetzte der reichgekleidete Ritter und ließ den Blick über das Gelände schweifen. „Der Plan ist fertig: Übers Jahr, wenn ihr wiederkehrt, wird man dort drüben, wo der Berg steil zum Flusse abfällt, eine starke Burg bauen. Ihr könnt dann ohne Furcht hier auf der Höhe, wo sich die Straßen kreuzen, euren Markt abhalten.“

Damit spornte er sein Roß und ritt mit seinen Begleitern davon. Die Kaufleute schauten ihm verwundert nach. Dann ging es mit hü und hott den Berg hinab dem Ziel entgegen. Hier erfuhren sie vom königlichen Vogt, daß sie dem König Heinrich begegnet waren. Er hatte einige Tage in Northusen geweilt, um den besten Platz für eine feste Burg auf der Höhe auszuwählen.

Wie geplant, wuchsen am Steilhang, da, wo heute die Finkenburg und die ehemalige Loge stehen, die Burgmauern empor. Weit konnte man von dort aus ins Land hinaussehen. Hier schaltete der Burgvogt im Namen des Königs und sorgte für Frieden in der Umgebung. Ihm dienten Ritter und Knappen, die mit ihm in der Burg wohnten. Neben der Burg lagen Stallungen, Scheunen und Vorratshäuser. Schmiede, Sattler und Harnischmacher, Schuhmacher, Schneider, Fleischer und Bäcker wohnten im Schutze der Burg. Unterhalb dieser klapperte die Mühle am Mühlgraben und mahlte Mehl aus dem Korn, das die Bauern aus den Dörfern als Steuer ablieferten.

Jahr für Jahr waren die reisenden Kaufleute wiedergekommen und hatten an eben der Kreuzung, wo sie einst dem König begegnet waren, ihren Markt abgehalten. Schließlich hatten einige von ihnen statt der Marktbuden feste Häuser gebaut und waren wohnen geblieben. Im Laufe der Jahre waren viele, viele Menschen von nah und fern, vor allem aus den Orten der Goldenen Aue und des nahen Eichsfeldes, hier zugewandert, um als Zimmerleute und Maurer, Tischler und Weber, Bäcker und Fleischer, Schuhmacher oder Händler ihr Brot zu verdienen.

Sie kamen aber meistens deshalb, weil sie in dieser neuentstehenden Stadt frei wurden und nicht mehr den adligen Grundherren und Klöstern dienen mußten. Sie wußten: Stadtluft macht frei.

Da die vielen Menschen viel Nahrung, Kleidung und Arbeitsgerät brauchten, wurde es bald nötig, nicht mehr ein- oder zweimal im Jahre, sondern allwöchentlich Markt abzuhalten. So wurde der Marktplatz der Mittelpunkt der Stadt. An ihm erbaute die Bürgerschaft die Marktkirche und das Rathaus. Um diesen Mittelpunkt herum entstanden Gassen, Plätze und Stadtviertel. Schließlich wurde die Siedlung mit einer hohen steinernen Mauer umgeben.

So entwickelte sich in Jahrhunderten aus König Heinrichs Burg und der Marktsiedlung der Kaufleute das mittelalterliche Nordhausen.

Der Kampf der Nordhäuser von den „Barfüßern“ 1329

Nordhausen war einst eine stolze Stadt.

Einmal hatten die Nordhäuser sechzig Patrizier, reiche Handels- und Ratsherren, aus ihren Mauern vertrieben. Diese gedachten, mit Gewalt zurückzukehren und sich zu rächen. Sie suchten Schutz bei dem Grafen von Hohenstein und einigen anderen Rittern. Die Adligen waren froh, Männer zu bekommen, die alle Zugangswege zur Stadt und diese selbst genau kannten. Sie beschlossen, sie mit Hilfe der Vertriebenen zu erstürmen.

In einer regnerischen Aprilnacht des Jahres 1329 bewegte sich ein dunkler Haufe Gewappneter auf Nordhausen zu. Kein Wort fiel. Nur ab und zu hörte man das Schnauben eines Rosses, das Klirren eines Steigbügels oder einer Waffe.

So gelangte man noch vor Morgengrauen unbemerkt bis ans Altentor. Zu spät stießen die überraschten Wächter ins Horn. Das Tor erdröhnte unter den krachenden Schlägen der Angreifer und wurde erbrochen. Mit lautem Kampfgeschrei drang der Haufe die Barfüßerstraße hinauf.

Doch schon waren die Nordhäuser da. In jenen unsicheren Zeiten waren sie zu jeder Stunde auf einen Überfall gefaßt. Jeder hatte seine Waffe im Haus und wußte, was er zu tun hatte, wenn die Sturmglocke ertönte. Aus Türen und Toren, Straßen und Seitengassen drangen sie hervor und warfen sich dem Feind entgegen. Allen voran der Bürgermeister Hellwig von Harzungen. Zwar fiel er, tapfer kämpfend, und mit ihm wurden drei weitere Bürger erschlagen. Doch die Eingedrungenen, von allen Seiten eingeschlossen, vermochten sich nicht zu halten. Sie wurden zurückgeworfen, und der ganze Haufe flutete schließlich in wilder Flucht durch dasselbe Tor zurück, durch das er gekommen war. Eine große Anzahl Gefallener blieb liegen. Vierzehn Gefangene fielen den Bürgern in die Hände.

Unbeschreiblich war der Jubel der Nordhäuser über den Sieg. Zum Andenken an ihn feierte man alljährlich ein großes Fest. Am Freitag vor Palmarum, zehn Tage vor Ostern, bewegte sieh ein froher Festzug um die Stadt. Darauf sammelte man sich in der Barfüßerkirche zu einer Dankesfeier.

Die Ratsherren und Geistlichen, die Lehrer und Schüler sowie die Reiter und Schützen, die am Umzug teilgenommen hatten, wurden mit Geldgeschenken bedacht. Den Armen spendete man Brot und Heringe.

Die Barfüßerkirche hieß fortan Spendekirche. Der Name des Spendekirchhofs, auf dem sie einst stand, erinnert uns noch heute an das Fest.


Der Sturm auf das Riesenhaus 1375

Am 14. Februar, dem St. Valentinstage, strömte das Volk vor dem Nordhäuser Rathaus zusammen. Die Schuhmacher, die Bäcker, die Krämer, die Schmiede, die Woll- und Leineweber, all die anderen Handwerker und die armen Tagelöhner waren in heller Aufregung.

..Die Gefreundeten haben uns betrogen“, rief ein Krämer. „Sie sprechen sich gegenseitig die Ämter zu; sie tun alles, damit unsereins nichts zu sagen hat.“ ..Ja“, stimmte ein Bäcker ihm zu, „alles wollen sie allein entscheiden, sie verschaffen sich viele Vorteile. Anordnungen werden erlassen, die ihnen große Einnahmen bringen.“ Als er den Lärm hörte, hatte er gleich seine Bäckerstube verlassen. Jetzt erst strich er sich den Mehlstaub von den bloßen Armen.

„Warum laßt ihr das zu ?“ fragte ein fahrender Handwerksgeselle, der wegen des Geschreis aus seiner Herberge herausgetreten war. Ein Tagelöhner antwortete für alle: „Diese Herren sind untereinander eng befreundet oder verwandt; jahraus, jahrein lassen sie uns hart für unser täglich Brot arbeiten, und doch haben Frau und Kinder nit genug zu beißen. Wir müssen auf der Stadtmauer wachen, müssen bei Feuersnot die ledernen Eimer vom Brunnen zur Brandstätte tragen.“

„Wir müssen immer mehr Steuern zahlen“, rief ein Schmied dazwischen. Sein Gesicht war verrußt, er war vom Schmiedefeuer hierhergeeilt. „Aber wir haben uns ja geregt“, schrie der Tagelöhner, so daß es die Menge hören konnte. Immer mehr Erregung packte die Menschen.

„Die Ratsherren meinen, wir wären dumm. Als wir sie fragten, wo denn all unser Geld geblieben sei, antworteten sie, mit Gemeinen würden sie nit über solche Dinge sprechen.“ Grimmig sprach dies ein Schuhmacher.

„Ha — und dann ?“ rief ein Leineweber, „was haben die Herren dann getan ? Sie haben die Stadttore schließen lassen, damit ja keiner von uns ihnen entweichen kann. Ausrufen ließen sie, die Wagenräder in ganz Nordhausen würden nit reichen, all die auf das Rad zu flechten, die man strafen wolle.“ „Und das ist noch nit genug, um ein End zu machen ?“ Der fahrende Handwerksgeselle hatte es gerufen.

Dumpfe Wut wuchs zu lodernder Flamme. „Weg mit den Gefreundeten!“ Hin zum Riesen!“ „Verjagt den Rat!“ All diese Rufe wiesen den Mensehen den Weg. Der Volkshaufen setzte sich in Bewegung.

Die Gefreundeten waren gerade im Haus „Zu dem Riesen“, das am Holzmarkt (dem späteren Luthermarkt) stand, zusammengekommen, denn der Zugang zum Rathaus war ihnen durch die Volksmenge versperrt.

Hört, Herren, die Türe bricht“, konnte ein Ratsherr gerade noch sagen, da standen die Stürmenden schon auf der Schwelle. Bleich saßen die Gefreundeten, eine Reihe kräftiger Handwerksgesellen hatte sie umringt.

Während der nächsten Tage wurde ein neupr Rat gewählt. Er bestand aus rechtschaffenen Zunftmeistern. Damit sich aber nicht wieder eine so gefährliche Freundschaft unter den Ratsherren bilden konnte, wählte man noch vier Männer aus dem Volke, die über den Rat gesetzt wurden. Diese sollten dafür sorgen, daß auch die Meinung der einfachen Leute, der Bauern und armen Bürger, gehört werden konnte.

Ob das wohl so blieb ?

Die gefangenen Ratsherren aber wurden für immer aus der Stadt ausgewiesen, weil sie so großes Unrecht getan hatten. In das Buch des Rates trug man ein, daß niemals wieder einer aus den gefreundeten Familien in den Rat gewählt werden sollte.

Im alten Nordhausen. Aus dem Leben einer mittelalterlichen Stadt

Um das Jahr 1600 sah es in unserer Heimatstadt Nordhausen und ihrer Umgebung ganz anders aus als heute. Kam man von der Petersdorfer Höhe, so erblickte man in Busch- und Strauchwerk versteckt das kleine Warttürmchen. Es stand weit vor der Stadtmauer. Daneben sah man den Stadtgalgen. Hier wurden Verbrecher gehängt.

Vor dem Töpfertor holten einst kunstfertige Töpfer ihren Ton aus den dort liegenden Gruben, um daraus Hausgerät zu brennen. Im Torbogen stand bei Tag und Nacht die Wache. Sie fragte alle Ankömmlinge nach dem Woher und Wohin und wollte nebenbei noch vieles aus der weiten Welt wissen. Auch der Torschreiber, der den Kaufleuten den Straßenzoll abnahm, hörte neugierig zu, wenn Reisende erzählten.

Durch den Torbogen betrat man die Stadt. Von den „Töpfern“ aus, so hieß die Töpferstraße früher, führte eine Gasse unter der Stadtmauer entlang. Bei einem Überfall versammelten sich auf dem Wehrgang die Handwerker unter ihren Zunftmeistern. Sie verteidigten ihre Heimatstadt mit Armbrüsten, Äxten, Spießen, Pech und heißem Wasser.

Je mehr man sich dem Innern der Stadt näherte, um so enger wurden die Straßen und Gassen. Die hohen Giebel der Häuser waren mit kunstreichem Schnitzwerk, klugen Haussprüchen und bunter Malerei verziert. Fachwerkhäuser waren es. Viele von ihnen hatten Namen. Oft hießen sie nach dem Bild, mit dem sie geschmückt waren. Aus solchen Hausnamen sind viele unserer Familiennamen entstanden, so die Namen Krug, Bär, Engel, Lorbeerbaum und Linde.

Hier verkündete ein schmiedeeisernes Zeichen das Handwerk des Bewohners. Dort lud ein mächtiger Bierkrug zum Trinken des „Bräuhans“, des Weizenbieres, ein. Der darunter hängende „Börner“, das ist ein Trinkglas, zeigte an, daß hier der bekannte „Nordhäuser Branntwein“ verkauft wurde.

Oft waren die oberen Stockwerke der Häuser vorgebaut. So wurde die enge Gasse nach oben hin noch schmaler. Lange Zeit war der Steinweg hinter der Marktkirche die einzige gepflasterte Straße. Nach Regentagen wateten die Einwohner auf den Wegen bis über die Knöchel im Schlamm. Oft waren die Gassen durch Dunghaufen eingeengt; die lagen damals nicht auf den Höfen, sondern auf der Straße. Darin wühlten dann Schweine, und Hühner scharrten darauf herum. Durch diese Unsauberkeit und die engen, niedrigen Wohnungen entstanden schlimme Krankheiten und Seuchen. Das sah man aber nicht ein. Die Bürger behaupteten, die Juden hätten Krankheiten von ihren Handelsreisen mitgebracht. Diese armen Menschen wurden deshalb grausam verfolgt. Sie wurden vor dem runden Turm auf der Stadtmauer auf dem „Rahmen“ verbrannt und ohne Leichenfeier verscharrt. Seit dieser Zeit führt der Turm den Namen ..Judenturm“.

Das Alte Rathaus stand damals schon. Ein Laubengang zierte die Südseite des Gebäudes. In ihm verkauften die „Knochenhauer“ — das waren die Fleischer — und Gewandschnitter — so nannte man die Tuchhändler — ihre Waren. Im ersten Stock des Rathauses lag der Sitzungssaal. Hier tagte der Rat der Stadt. Hier traten auch die Schöffen zusammen. Hier fanden aber auch große Gastmahle statt, wenn hoher Besuch in die Stadt kam.

In den feuerfesten Kellergewölben wurden alte Pergamentrollen aufbewahrt. Darauf stand geschrieben, daß Nordhausen eine Freie Reichsstadt sei. Nur dem Kaiser, keinem andern Herrn brauchte sie zu gehorchen. Die Stadt hatte sogar ein eigenes Gericht. Zum Zeichen dafür stand am Rathaus der „Roland“. Nicht viele Städte durften früher selbst richten.

Dem Roland gegenüber stand noch eine andere Holzfigur. Das war der „Riese“. Das Haus, an dem er angebracht war, hieß das Riesenhaus.

Vor dem „Roland“ lag der Marktplatz. Zum Zeichen des Marktfriedens wurde die rote Fahne aufgesteckt. Bauern aus der Umgebung boten Gemüse, Fleisch, Milch und Eier an. Bei den Handwerkern kauften sie Werkzeuge und Haushaltsgeräte. Bezahlt wurde in Waren, manchmal auch in Nordhäuser „Brak-teaten“, das war Stadtgeld, das in der Stadtmünze geschlagen wurde.

Durch das Gewühl der Käufer und Verkäufer bewegten sich fromme Bettelmönche. Sie sammelten Gaben für ihre Klöster in der Barfüßer- und Predigerstraße.

In der Stadt lebten nur wenige Bauern. Sie hatten hinter den Stadtmauern Schutz gesucht, als sie ihren Gutsherren davongelaufen waren. Sie wurden meistens Handwerker.

Abends wurden die Tore der Stadt geschlossen und Ketten über die Straßen gespannt, denn die Unsicherheit war groß. Laternen zur Straßenbeleuchtung gab es damals nicht. Wer sich noch nach dem Abendläuten vom Petrikirchturm auf der Straße befand, wurde vom Stadtbüttel in den Turm gesperrt. So war es einst!

Nordhausen brennt (1612)

„Feurio! Feurio!“ Langgezogen und schaurig hallt es durch die nächtliche Stille der Bäckerstraße. Hinter den kleinen Fenstern der niedrigen Häuser wird es lebendig. Notdürftig bekleidete Menschen stürzen auf die Gasse. Beißender Qualm dringt ihnen entgegen. Und da schlagen auch schon Flammen aus den Fenstern eines alten Fachwerkhauses und beleuchten die entsetzten Gesichter der aufgeschreckten Menschen.

„Feurio!“ Der Ruf wird in den angrenzenden Gassen aufgenommen und schallt weiter von Straße zu Straße. Einer der Männer rennt zur Nikolaikirche und setzt den Klopfer an der Tür des Küsterhauses in Bewegung. Der Küster ist schon munter, stürzt zur Kirche und zieht wie rasend am Glockenstrang. Gellend tönt das Sturmgeläute über die Stadt und ruft die Menschen zum Löschen auf.

Überall rennen die Menschen auf die Gassen. Am Hause des Schmiedes wird an einem Eisenhaken eine Laterne herausgehängt, die in Richtung Bäckerstraße zeigt, so daß alle Vorbeikommenden wissen, wo es brennt, und da holpert auch schon die erste Wasserspritze heran. Aus einem kurz darauf eintreffenden Feuerkarren wird sie gefüllt.

Inzwischen sind beim Schein von Sturmlaternen an langen Stangen die Ledereimer aus den Fenstern des Obersaales des Rathauses herabgelassen worden. Das Feuer ist während der Zeit auf die Nachbarhäuser übergesprungen.

Vom Kornmarktbrunnen aus bilden sich zwei Ketten von Männern. Von Hand zu Hand werden die gefüllten Eimer zur Brandstätte gegeben. Die leeren fliegen schnell zurück. Doch das Wasser reicht nicht aus, das Feuer einzudämmen. Der Wind facht die Flammen von neuem an und treibt einen Funkenregen vor sich her, der immer mehr Gebäude gefährdet. Brennende Schindeln fliegen wie verderbenbringende Geschosse durch die grausige Nacht. Dachdecker decken die Dächer der naheliegenden Häuser ab. Maurer und Zimmerleute reißen in der Nähe des immer weiter um sich greifenden Feuers Häuser ab, damit der Brand nicht die ganze Stadt ergreift.

Beim Rathaus und um die Nikolai- und Blasiikirche herrscht hastiges Treiben. Alles Wertvolle wird herausgetragen, auf Wagen verladen und in Sicherheit gebracht. Laute Rufe hallen durch die glutrote Nacht. Die Feuerkarren können in den engen Gassen nicht wenden. Die scheuenden Pferde werden vor das andere Ende des Karrens gespannt, und im Galopp geht es zum Mühlgraben oder zum gut bewachten Tor hinaus zur Zorge, um wieder und wieder neues Wasser heranzubringen.

Die Stadtsoldaten haben alle Hände voll zu tun, um die Neugierigen von der Brandstelle fernzuhalten. Dort führen sie einen Dieb ab, der das allgemeine Durcheinander zum Plündern benutzte, obwohl schwere Strafe darauf steht.

Immer größer wird die Not. Immer weiter breitet sich das Feuer aus. Und jetzt gibt es auch noch eine Stockung in der Eimerkette vom Rautengassenbrunnen her. Einige Männer sind davongeeilt, weil sich der Brand ihren Häusern nähert. Sie wollen wenigstens noch einiges retten.

Bürgermeister und Ratsherren mahnen immer wieder zum Ausharren und erinnern an den geleisteten Bürgereid, der alle zur Hilfe bei Feuersgefahr verpflichtet. Immer wieder jedoch verläßt einer seinen Platz, um sein eigenes Hab und Gut zu retten. Andere weichen müde und entmutigt vor der rasenden Glut. Die Nikolaikirche steht in einem Meer von Flammen und brennt völlig aus. Die beiden schönen Türme brechen in sich zusammen.

A1s sich der Schein des Feuers mit der Dämmerung des neuen Tages mischt, scheint die Gewalt der Flammen gebrochen. Das ganze Stadtviertel um die Bäckerstraße und Krämerstraße liegt in Schutt und Asche. Viele Familien sind in diesem Schreckensjahr 1612 völlig verarmt.

So war es bereits einmal nach dem großen Stadtbrand im Jahre 1540. Manche Wohnstätte blieb lange Zeit wüst liegen, obwohl die Stadt den Abgebrannten Beihilfe zum Neubau der Häuser gewährte.

Nach dieser schrecklichen Brandnacht versuchte die Bürgerschaft, in Zukunft ähnliches Unglück zu verhindern. Neue Brunnen wurden angelegt, Wasserleitungen, sogenannte Wasserkünste, wurden gebaut, um bei Bränden von hochgelegenen Teichen und Brunnen aus Wasser an die Brandstätten leiten zu können. Neue und bessere Spritzen wurden angeschafft. Das Feuerlöschwesen wurde besser eingerichtet.

Noch oft hallte der Schreckensruf „Feurio!“ durch die Straßen und Gassen. Es kam jedoch nie wieder zu einem so fürchterlichen Brande.

Die Pest in Nordhausen

Vor 300 Jahren brach in Nordhausen eine furchtbare Seuche aus. Es war die Pest. Die Nordhäuser kannten diese Krankheit, denn jahrhundertelang hatte sie die Stadt immer wieder heimgesucht.

Als man erfuhr, daß in Deutschland wieder die Pest wütete, gaben die Stadtväter eine Pestordnung heraus. Darin stand geschrieben, wie sich jeder verhalten müßte, wenn die Pest in Nordhausen ausbräche. Die Stadtväter bemühten sich auch darum, daß die Pest nicht von Fremden nach Nordhausen eingeschleppt wurde.

Wächter am Stadttor kontrollierten alle Leute, die in die Stadt hineinwollten. Sie mußten ihre Pässe zeigen und genau angeben, durch welche Städte und Dörfer sie gekommen waren. Wenn die Reisenden unterschrieben hatten, daß sie nicht durch pestverseuchte Orte gereist waren, durften sie in die Stadt hinein. Landstreicher, Zigeuner und andere arme, schlecht angezogene Leute wurden vor dem Stadttor zurückgewiesen. Aber Reiche ließ man ohne langes Befragen ein.

Im Altendorf wohnten damals nur Arme. Ihre Häuser waren dunkel und niedrig. Hühner und Gänse, Ziegen und anderes Vieh wurden in den kleinen Höfen gehalten. Es war in den Straßen schmutzig und roch schlecht.

Im Altendorf spielte ein etwa zehn Jahre alter Junge. Seine dünnen, nackten Beinchen steckten in großen Holzschuhen. Das Kittelchen, das er trug, war verschlissen und ärmlich. Johann, so hieß er nämlich, wollte sich einen Damm bauen. Stinkendes, schmutziges Wasser floß in der Gasse. Aber das störte Johann nicht. Er kannte es nicht anders.

Als sich das magere Kerlchen niederbeugte, um allerhand Unrat für seinen Damm zusammenzusuchen, verfärbte sich plötzlich sein hageres Gesichtchen. Heftiger Kopfschmerz und Schwindelgefühl erfaßten ihn. Er fror, und dann wurde ihm wieder ganz heiß. Doch ins Haus gehen mochte er nicht. Er setzte sich auf die Türschwelle und sah den anderen Kindern zu.

Hier fand ihn nach einiger Zeit die Mutter fest eingeschlafen. Sie legte ihn auf eine Holzbank und sah besorgt in sein verändertes Gesicht. Stoßweise hob und senkte sich die kleine Brust, der Atem war kurz.

Auf einmal richtete sich Johann entsetzt auf und schrie nach der Mutter er

hatte wohl geträumt. Blut lief ihm aus der Nase. Die Mutter konnte nicht verhindern, daß die Kleider beschmutzt wurden.

Langsam zog sie Johann aus und stand starr vor Schreck. Auf dem Rücken ihres Kindes zeigten sich gelbe und braune Flecken. Die Mutter wußte, was das bedeutet. Ihre Ahne hatte ihr von den Anzeichen der Pest erzählt. Eine grauenhafte Angst würgte die arme Frau. Sie nahm den Jungen auf ihre Arme und trug die leichte Last in ein armseliges Bett. Behutsam deckte sie Johann zu und holte zur Vorsicht noch eine Decke.

Doch Johann duldete es nicht. Er schlug im Fieber um sich und versuchte, sich bloßzumachen. Zwischendurch wimmerte er vor Schmerzen, dann verfiel er in einen todesähnlichen Schlaf.

Der Vater kam mit sorgenvoller Miene nach Hause. „Mutter“, sagte er, „in der Stadt ist die Pest! Man hat schon einige Häuser abgesperrt!“ Die Frau zeigte nur stumm auf ihr krankes Kind. Es gab einen Arzt, der den Armen schon oft geholfen hatte, auch wenn sie ihm nicht viel Geld dafür geben konnten. Zu ihm ging Johanns Vater und erzählte von seinem Jungen. Der Arzt kam und untersuchte den fiebernden Knaben. Die Flecken auf dem Rücken waren geschwollen und waren dunkler, fast schwarz und glänzend geworden. Am ganzen Körper zeigten sich jetzt solche Beulen.

„Ja“, sagte der Arzt, „es ist die Pest. Es wird eine schlimme Zeit für unsere Stadt kommen.“ Er schrieb ein Heilmittel auf und verließ schnell das Haus. Am nächsten Morgen ging eine seltsame dunkle Gestalt durch das Altendorf: ein Mann, der einen großen schwarzen Stock mit einem weißen Kreuz in den Händen trug — es war der Pestinspektor.

Er kam in das Haus, in dem der arme Johann in großen Schmerzen mit unlöschbarem Durst lag und immer wieder nach Wasser verlangte. Kurz und streng gab er dem Vater Anweisungen. Die Haustür wurde mit einem großen Eisenband zugenagelt.

Jeder wußte nun: in diesem Hause ist die Pest. Niemand darf mehr heraus und hinein.

Bald kam eine Kranken Wärterin. Auch sie trug als Zeichen ihrer gefährlichen Arbeit den schwarzen Stock. Mit ihm klopfte sie an ein Fenster. An einem Strick wurde ein Körbchen herabgelassen. Sie nahm das Rezept heraus und legte Lebensmittel in den Korb, der danach wieder hinaufgezogen wurde.

In der Apotheke brannte vor einem vergitterten Fenster ein qualmendes Feuer. Die Krankenwärterin hielt das Rezept darüber und reichte es dann dem Apothekergehilfen durch das Gitter. Sie erhielt ein Fläschchen mit Arznei, das sie eilig dem Johann brachte.

Doch alle Vorsichtsmaßnahmen halfen nicht. Die Seuche verbreitete sich sehr schnell in der ganzen Stadt. Angst und Grauen erfaßte die Menschen. Sie räucherten täglich ihre Wohnungen mit Schwefel aus, wuschen ihre Haushaltsgeräte mit heißem Essigwasser und strichen die Wände mit Kalk.

Und doch wuchs die Zahl der Kranken und Sterbenden stündlich. Das außerhalb der Stadt liegende Hospital St. Cyriaci, das ist der heutige Siechhof, wurde als Lazarett eingerichtet. Es waren fast nur Arme, die man hierher brachte. Da fehlte es an Bettzeug und Lebensmitteln. Die harten Herzen der Reichen waren aber weich geworden durch das schreckliche Unglück. Es bedrohte ja auch sie oder hatte sie schon betroffen. Sie gaben von ihrem Überfluß das Nötigste für die hungernden und frierenden Kranken.

Unserem Johann ging es sehr schlecht. Er war kaum wiederzuerkennen. Große schwarze Pestbeulen bedeckten seinen kleinen, abgezehrten Körper. In den trüben Augen flackerte die Todesangst. — Aber wo war die Mutter ? Da lag sie, genauso entstellt und gequält wie ihr Junge. In der Nacht starben beide.

Die Toten wurden in roh gezimmerte Särge gelegt. Diese wurden sofort zugenagelt. So verlangte es die Vorschrift.

Nach einigen Stunden schon kamen die Leichenträger. Die an der Pest Gestorbenen wurden auf einem besonderen Friedhof begraben. In einer tiefen Grube standen schon 5 Särge. Johann und seine Mutter wurden dazugebettet. Dann schaufelte der Totengräber gelöschten Kalk und Erde darauf. Still und trostlos stand der Vater vor dem großen Hügel. — Wie arm er war!

Länger als ein Jahr wütete die Pest in unserer Heimatstadt. Von der Oberschule starben fast alle Lehrer und allein aus einer Klasse 30 Schüler. Der „Schwarze Tod“ holte sich in diesem einen Pestjahr 3500 Opfer.

Hüpedens Garten

Südlich von Nordhausen liegt Hüpedens Garten. Schon oft hatte ich mich über diesen eigenartigen Namen gewundert. Von einem alten Nordhäuser erfuhr ich seine Geschichte:

In Rottleberode am Harz wurde am 23. Juli 1726 Johann Heinrich Christian Hüpeden geboren. Über 40 Jahre lebte er in Nordhausen als Pfarrer der Jakobigemeinde. Die Nordhäuser nannten das Haus Hüpedens „Grenadiermütze“, weil es mit seinem spitzen Giebel wie eine Soldatenmütze aussah. Von dem Geld, das Hüpeden als Pfarrer bekam, konnte er aber nicht leben, denn die Jakobigemeinde war nur klein. So mußte er sich überlegen, wie er zu Geld käme, damit er nicht zu hungern brauche.

Als Kind hatte er auf dem Dorf gelebt und verstand etwas von der Landwirtschaft. Deshalb legte er sich vor der Stadt einen Garten an und arbeitete hier nebenbei als Landwirt.

Vor 200 Jahren bebauten die Menschen einen Teil des Bodens mit Wintergetreide, einen Teil mit Sommergetreide. Den dritten Teil düngten, pflügten und eggten sie, ließen ihn aber brach liegen, damit die Erde sich erholen konnte. Doch viel brachte das nicht ein. Die Ernten reichten nicht mehr aus, um die Menschen und das Vieh zu ernähren. Wenn Mißernten eintraten, litten viele Hunger.

Hüpeden baute nun auf dem dritten Teil des Bodens, der Brache, Klee an. Den trocknete er, und nun war im späten Winter und im Frühjahr genügend Futter für das Vieh vorhanden. Damals konnten die Tiere im Winter nur so wenig Futter bekommen, daß sie im Frühjahr vor Schwäche nicht auf die Weide gehen konnten. Sie mußten gefahren werden.

Hüpeden erwarb Land rund um sein Haus an der Salza und baute dort Luzerneklee an. Wer damals an Hüpedens Besitztum vorbeikam, staunte, wie gut alles gedieh, obgleich es hier kein Brachland gab. Das sahen auch viele Bauern, und sie machten es ihrem klugen Pfarrer nach:

Ein Teil des Landes wurde mit Wintergetreide, ein Teil mit Sommergetreide und der dritte Teil mit Klee bebaut. Das Vieh hatte so im Winter mehr Futter und gedieh besser, und die Menschen konnten mehr Fleich essen. Hüpeden führte auch die Stierwirtschaft in Nordhausen ein. Die Brennereibesitzer, die von den Abfällen ihrer Brennereien Schweine gemästet hatten, mästeten nun auch Stiere. Diesen Rat hatte ihnen Hüpeden gegeben.

Weil Pfarrer Hüpeden sich um die Wirtschaft Nordhausens so verdient gemacht hatte, sollte er nicht vergessen werden. Deshalb wurde vor einigen Jahrzehnten der Weg an der Salza bei „Hüpedens Garten“ in „Hüpedenweg“ umbenannt.

Das Gehege

Welches Nordhäuser Kind kennt nicht das Gehege? Nicht immer sah es hier so schön aus. Jahrhundertelang gab es da, wo heute der Buchenwald steht, nur kahle Hügel. Etwas Gras wuchs darauf. Die Nordhäuser weideten dort ihr Vieh. Weit schaut man von diesem Bergabhang ins Land hinaus. Diese schöne Aussicht erfreute die Nordhäuser schon immer sehr.

Deshalb wurde der Kirschberg — erst später nannte man ihn Geiersberg — zum Ausflugsort. Am Sonntag zogen die Nordhäuser mit Kaffee und Kuchen dort hinaus und lagerten sich auf den weiten Wiesenflächen.

Im Laufe der Zeit fanden sich auch Leute ein, die Getränke anboten. Andere spielten fröhliche Weisen. Das war ein lustiges Treiben auf dem Kirschberg.

Doch war es nicht eigentlich schade, daß die Abhänge so kahl waren ? Schattige Bäume hätten vor allem in den warmen Sommermonaten angenehme Kühle verbreitet.

Da nahmen sich die Stadtväter vor, für einen Wald am Geiersberg zu sorgen. Das war aber teuer und kostete viel Mühe.

So machte man also aus, daß die Bürger der Stadt die Bäume spenden sollten, besonders aber junge Brautleute.

Hatten sie Hochzeit gefeiert, so pflanzte der junge Mann am darauffolgenden Tag mehrere Buchen. Auch neu nach Nordhausen zuziehende Leute stifteten Bäume. So entstand vor dem Jahre 1800 der Gehegewald, der uns heute so viel Freude schenkt.

Nur ein Baum hat schon seit uralten Zeiten auf der Höhe des Berges gestanden. Allen ist er bekannt. Es ist die Merwigslinde. Die Sage erzählt, daß sie ihren Namen von einem thüringischen König bekommen haben soll.

Auf dieser Höhe soll er seine Untertanen versammelt und Gericht gehalten haben. Danach habe er in fröhlichem Kreise mit den Seinen zusammengesessen. Es wird weiter erzählt, daß sein Vater Schuhmacher gewesen sein soll. Auch Merwig selbst soll dieses Handwerk ausgeübt haben, bis ihn das Volk zu seinem König wählte. Frieden und Gerechtigkeit habe er für seine Untertanen gewünscht. So weit die Sage.

Merwig zu Ehren wanderten früher die Schuhmacher der Stadt Nordhausen alle sieben Jahre zur Merwigslinde. Hier feierten sie ein frohes Fest mit Gesang und Tanz. Vor dem Heimgehen steckte sich jeder Teilnehmer ein grünes Lindenzweiglein an den Hut.

Als diese Lindenfeste nicht mehr gefeiert wurden, fanden sich die Nordhäuser zu Maifesten auf dem Gehegeplatz zusammen. Ehe es Sportplätze gab, hatte er den Turnern eine Zeitlang als Übungsstätte gedient. Zur Erinnerung daran steht jetzt am Eingang des Gehegeplatzes ein Gedenkstein. Er ist dem Turnvater Jahn gewidmet.

Und heute ? Auch heute noch gehen die Einwohner der Stadt ins Gehege, wenn es etwas zu feiern gibt. Denkt nur an das Nordhäuser Rolandsfest!

Nordhausen und der Tabak

Mein Vater arbeitet im Nortakwerk, das ist eine große Fabrik draußen am Hüpedenweg. Sie ist die größte Kautabak- und Zigarrenfabrik unserer Republik. Auch Pfeifentabak wird dort hergestellt.

Wir wohnen in der Nähe. — Wenn morgens die Sirene ertönt, muß ich immer daran denken, daß nun mein Vater seine Arbeitskleidung angezogen hat und an seine große Maschine tritt, die die Tabakblätter schneidet.

Wenn Vater abends bei seiner Pfeife sitzt und das Radio einstellt, drehe ich es immer etwas leiser, um dann allerlei zu fragen. Ich staune immer wieder, was er alles weiß.

Eines Abends fragte ich ihn: „Sag mal, Vati, haben die Leute eigentlich schon immer geraucht?“ Er erzählte mir darauf folgende Geschichte: „Vor einigen hundert Jahren kannte man in Deutschland noch gar keinen Tabak. Er kam aus fremden Ländern zu uns. Die Leute hatten sogar Angst vor dem glimmenden Kraut. Vor 200 Jahren erließen die Nordhäuser Stadtväter eine Verordnung ,wider das unvorsichtige Tabakrauchen auf den Straßen'. Einmal spazierte ein braver Bürger gemütlich den Neuen Weg herauf. Er trug trotz des Verbotes sein halblanges Pfeifchen im Munde. Da eilte ein Stadtsoldat auf ihn zu. ,Er hat geraucht“, rief der Gestrenge, zückte sein Büchlein und schrieb den Namen des Übeltäters auf. Dem Armen blieb vor Schreck der Mund offen stehen. Zitternd hielt er seine Pfeife, aus der sich feiner Rauch kräuselte, auf den Rücken. Warum hatte er es auch gewagt, auf offener Straße zu rauchen ?“

Da mußte ich doch sehr lachen. „Haben wir denn auch hier bei uns Tabak angebaut?“ fragte ich, denn ich wollte noch mehr wissen, obwohl ich immer noch kichern mußte. „Oh ja“, sagte Vater, „schon um 1650 wurde in unserer Heimat Tabak angebaut. Die Bauern, die durch den harten 30jährigen Krieg verarmt waren, gelangten durch den Tabakanbau wieder zu einem bescheidenen Wohlstand“. „Na, da haben sie doch ganz schön Geld verdient“, meinte ich. „So schlimm war das nicht. In manchen Jahren bekamen die Bauern für einen Zentner Tabak 13 Taler, bisweilen allerdings auch nur 2% Taler. Nun rechne dir selbst aus, was der Bauer bekam, wenn er auf einem Morgen Land bis 25 Zentner ernten konnte.“ Jetzt mußte ich erst einmal rechnen. Aber lange war ich nicht ruhig.

„Sag mal, war der Tabak damals auch so gut wie der heute?“ fragte ich weiter. Vater schmunzelte. „Du bist heute abend wieder ein richtiger Quälgeist“, sagte er, „aber besser, du fragst, ehe du dir selbst dumme Sachen zurechtdenkst. Dieser Tabak, der bei uns hier angebaut wurde, brannte schlecht. Er roch auch nicht gut. Bald durften die Bauern nur noch bestimmte veredelte Sorten anbauen. Mit Jauche durften sie nicht düngen, sondern nur mit Kali. Wenn die Tabakblätter geerntet waren, wurden sie an Zäunen und Hauswänden zum Trocknen aufgehängt. Aber auch dieser Tabak brannte schlecht, und die Bauern wurden schlecht bezahlt“. Voller Spannung hatte ich zugehört.

Schon hatte ich eine neue Frage. „Da hätte man doch das Anbauen von Tabak verbieten sollen“, meinte ich, „warum hat man dann nicht nur Tabak aus dem Ausland gekauft?“ „Ja“, sagte der Vater, „vor etwa 25 Jahren durfte in unserer Gegend nur noch eine ganz bestimmte Sorte Tabak angebaut werden. Schuppen wurden errichtet, in denen die Tabakblätter mit Heißluft getrocknet wurden. So kam es wirklich zu einem schönen zitronengelben und wohlschmeckenden Tabak, der gern von den Nordhäuser und Eichsfelder Fabrikherren gekauft wurde. Wir brauchen aber unseren Boden für wichtigere Dinge.

In anderen Ländern, in Amerika, in Italien und in China zum Beispiel gedeiht Tabak besser, deshalb ist es günstiger für uns, wenn wir den größten Teil einführen.“

„Was du nicht alles weißt“, staunte ich. Vater lachte. „Ich bin ja Tabakfacharbeiter. In unserer Fabrik haben wir noch alte Schriften, in denen lese ich gern mal über diese Dinge nach. Aber nun läßt du mich die Zeitung lesen, ja?“

Flugs brachte ich die Zeitung, stellte das Radio ein wenig lauter und war fein still, denn Vater sollte nach seinem Arbeitstag und nach meiner Fragerei auch ein Stündchen der Erholung haben. Nachts träumte ich, ich wäre in China und würde große Tabakballen zusammenschnüren, auf denen stand:

Nortak-Werk
Nordhausen/Harz
Deutschland — DDR

Guckst du auch einmal in die Schaufenster unserer Tabakwarengeschäfte ? Dort siehst du die fertigen Erzeugnisse.

„Nordhäuser“

Vor dem Krieg bin ich weit in unserem schönen Vaterland herumgekommen. Ich war im Spreewald und in Berlin, ich war auf Rügen und in Hamburg, ich war in Kassel und am Rhein. Auf all den Reisen und Wanderungen war ich immer wieder erstaunt, wie bekannt unsere Heimatstadt ist.

Nur selten hängt der Name einer Stadt so eng mit einer dort hergestellten Ware zusammen wie bei uns. Es war in allen Gaststätten nicht notwendig, „Nordhäuser Korn“ oder „Nordhäuser Kornbranntwein“ zu verlangen. Es genügte das Wort „Nordhäuser“, manchmal hörte ich auch „Alter Nordhäuser“ oder „Echter Nordhäuser“.

In unserer Stadt wird nämlich seit Jahrzehnten guter Schnaps hergestellt. Die Branntweinbrennerei ist unsere älteste Industrie. Im vorigen Jahrhundert konnte Nordhausen mit Recht „Schnapshausen“ genannt werden, denn es versorgte ganz Mittel- und Norddeutschland mit Branntwein.

Im Jahre 1803 schrieb ein preußischer Beamter: Die Branntweinbrennerei ist in Nordhausen unstreitig das Gewerbe, welchem die Stadt einzig und allein ihren Wohlstand zu verdanken hat.

Wir wissen aber auch aus anderen Schriften über die jahrhundertealte Herstellung des Nordhäuser Branntweins. Um das Jahr 1500 stellten die Brennereien den Schnaps aus ausgepreßten Früchten und halbreifen Weinbeeren her. Später lernte man, den Branntwein aus Getreide zu bereiten.

Das war in Nordhausen leicht möglich. Alles, was man dazu brauchte, gab es in der Nähe. Das Getreide lieferte die Goldene Aue. Aus dem Harz kam das Holz zum Brennen. Auf guten Straßen rollte der fertige „Nordhäuser“ in alle Himmelsrichtungen.

Als unsere Großväter zur Schule gingen, wurden jährlich etwa 200000 große Fässer mit Schnaps gefüllt und verschickt.

Inzwischen war eine wichtige Erfindung gemacht worden. Die Nordhäuser hatten gelernt, Kartoffelbranntwein herzustellen. Nun kauften die Fabrikanten große Mengen Kartoffelsprit und machten daraus durch Mischen und Veredeln Trinkbranntwein.

Viel Geld gelangte dadurch in die Stadt. Doch die Arbeiter blieben arm. Sie hatten nichts von den hohen Verdiensten. Als nun um die Jahrhundertwende die Schnapsherstellung auch in Westfalen und Bayern begann, wurde weniger Schnaps aus Nordhausen bezogen, und viele Arbeiter wurden arbeitslos.

Im 2. Weltkrieg wurden die Brennereien zerstört. Auch die Branntweinindustrie mußte neu aufgebaut werden.

Viele gute Branntweine und Liköre tragen den Namen unserer Heimatstadt wieder in alle Welt, auch der „Nordhäuser“ ist unter ihnen.

Eine Stadt braucht Wasser

Wo immer Menschen wohnen, müssen sie daran denken, wie sie sich mit Wasser versorgen können. Deshalb liegen die meisten Siedlungen an Quellen, Teichen oder Flüssen. Von ihnen haben sie oft ihre Namen. Das alte Nordhausen auf dem Frauenberge bekam sein Wasser aus der Quelle des Rumbachs.

Als Nordhausen größer wurde und die Oberstadt entstand, mußten unsere Vorfahren mehr Wasser heranschalfen. Aus der Zorge wurde bei Krimderode der Mühlgraben abgeleitet. Zwei steinerne Treppen führten aus der Stadt hinab zum Wasser. Es waren die Wasser treppe und die Kutteltreppe.

An der Kutteltreppe lagen drei Kuttel- oder Wursthäuser der Fleischer. Die gaben der Treppe den Namen. Später wurde eine dritte Treppe gebaut, die Johannistreppe. Sie wurde nach Johannis dem Täufer, dem Wasserheiligen, benannt.

Fleißig trugen auf diesen Treppen die Frauen das Wasser aus dem Mühlgraben in die hochgelegene Stadt. Jeden Morgen und jeden Abend machten sie mit Butten, hölzernen Tragfässern und Eimern den beschwerlichen Weg.

Große Bedeutung hatte der Mühlgraben für unsere Vaterstadt. Im Jahre 1198 mußte sich Nordhausen bei einer Belagerung ergeben, weil der Landgraf Hermann von Thüringen den Mühlgraben trockenlegte. Er hatte ihn in die Zorge zurückleiten lassen.

Später wurden mehrere Brunnen angelegt, um sauberes und frisches Trinkwasser zu haben. Mit Eimern holte man das Wasser aus der Tiefe.

Einer der bedeutendsten war der Elisabethbrunnen. Sein Wasser floß in der Unterstadt aus einem Eisenrohr. Die aus roten Ziegelsteinen gemauerte Einfassung ist noch heute zu sehen. Dieses Wasser sollte besonders wundertätig sein und dem, der es trank, unauslöschliche Liebe zur Heimat ins Herz geben.

Ein anderer Brunnen war der Rauteborn an der unteren Rautenstraße. Wieder ein anderer lag auf dem Petersberge. Aber trotz der acht fließenden Brunnen hatte die Bevölkerung oft unter großem Wassermangel zu leiden.

Um das Übel zu beseitigen, mußte der Rat der Stadt neue Maßnahmen ergreifen. Der Retter aus der Not wurde der Meister Hans Laxner aus Niedersachswerfen. Er baute für die Oberstadt eine neue Wasseranlage, die sogenannte Oberkunst. Im Jahre 1546 pumpte er das Wasser in Metallrohren vom Mühlgraben auf den Geiersberg in ein Sammelbecken. Von dort rieselte es durch viele Holzröhren in die Oberstadt. Aber nur ein halbes Jahrhundert lang reichte das Werk Laxners für die immer mehr anwachsende Bevölkerung aus.

Der Meister Peter Günther aus Halle verbesserte die Oberkunst Laxners dadurch, daß er das Wasser bis in ein Sammelhäuschen auf dem Geiersberg trieb. Dieses Häuschen nannten die Leute das Schöppmännchen.

Von hier aus lief das Wasser durch hölzerne Röhren in große Bottiche, die in den verschiedensten Gegenden der Stadt aufgestellt waren. Dazu baute Meister Peter Günther die Unterkunst, die er unter den Weiden am Fuße der Johannistreppe anlegte. Er preßte das Wasser durch 75 Rohre aus Messing in ein Wasserhäuschen vor dem Neuen-Weg-Tor.

Es gab damals zehn steinerne und drei hölzerne Wasserkünste in Nordhausen.

Das waren die aufgestellten Wasserbecken. Sie befanden sich Vor dem Riesenhaus auf dem Pferdemarkt, am Königshof, auf dem Petersberg und an anderen Plätzen.

Die einzig übriggebliebenen Wasserkünste finden wir heute in der Barfüßerstraße, auf der Promenade und dem Geiersberg. Vor dem Spendekirchhof und in den Anlagen beim Theater sind es steinerne Becken und im Gehege ein kleiner Backsteinbau.

Das Wasser aus dem Mühlgraben und den „Künsten“ konnten die Leute nicht trinken, weil es sehr unsauber war.

Im Jahre 1873 wurde eine neue Leitung angelegt, die frisches Wasser aus dem oberen Krebsbach lieferte. Aus einem großen Sammelbecken lief es durch eiserne Rohre 16 km weit in einen Hochbehälter auf dem Geiersberg. Vom Wasserwerk bis zum Bahnhof hatte es viel Gefälle, so daß es mit großem Druck aus allen Leitungshähnen floß. Dazu war es gereinigt und gefiltert, also ganz sauber und gesund.

Um aber vor jedem Wassermangel geschützt zu sein, hat die Stadt 1905 quer durch das obere Tiefe Tal eine gewaltige Mauer ziehen lassen. Es entstand die Nordhäuser Talsperre.

Die untere Breite der Mauer beträgt 20 Meter, ihre obere 4,25 Meter. Die Mauer ist 27 Meter hoch und 120 Meter lang. Der höchste Wasserstand des Stausees betrug 23 Meter.

Von der Talsperre fließt das Wasser seitdem in einer eisernen Rohrleitung nach Nordhausen. Die Rohre haben 40 cm Durchmesser. Die Leitung ist fast 11 Kilometer lang.

Nun hat Nordhausen endlich selbst in den trockensten Jahren genügend Wasser zum Trinken und zur Versorgung der Fabriken und der Reichsbahn.

Der Neptun

Vor langer Zeit stiftete ein Bürger Nordhausens viele Taler, damit die Wasserkunst am Kornmarkt verziert werden konnte. Ein Standbild Neptuns sollte sie erhalten. Die Römer verehrten nämlich Neptun als Gott des fließenden Wassers und des Meeres. Sie glaubten, daß er Quellen und Flüsse vor dem Vertrocknen bewahren könne. So bestellte also der damalige Bürgermeister in einer Eisengießerei eine solche Figur.

Heute suchen wir den Brunnen mit dem Meeresgott vergeblich auf dem Kornmarkt. Wir finden ihn wieder in den gepflegten Anlagen der Promenade. Das frische Grün seiner Umgebung leuchtet um das schwarze Erz seiner Gestalt.

Trotzig und finster blickt er auf die bunte Pracht zu seinen Füßen. Mächtig ragt in seiner Rechten der Dreizack. Schwer stützt er sein linkes Bein auf den Kopf eines riesigen Fisches mit geöffnetem Maul. Seine wuchtige Gestalt neigt sich leicht nach vorn. Sein wilder Bart scheint von Wasserperlen zu glänzen. Sein Haar ist zu festen Büscheln geballt.

Und wie ist dieses Standbild entstanden ?

Der Mann, der den Nordhäuser Neptun schuf, war der berühmte Bildhauer Ernst Rietschel. Es war sein erstes Werk. Noch niemals hatte er eine so große Aufgabe ausgeführt. Fast hätte er dabei den Mut verloren.

Ernst Rietschel lebte damals in Dresden. Er mußte in dem kalten, kahlen Zimmer eines Museums arbeiten und erzählt davon: ,,Es wurde mir ein eiserner Ofen in diesen großen steinernen Raum gesetzt. Ich ließ mir einen Drehstuhl machen, auf dem der Neptun stehen sollte, damit ich die große und schwere Gestalt später drehen konnte.“

Wer schon einmal bei einem Bildhauer zugesehen hat, der weiß, daß jede Figur aus Ton geformt wird, bevor sie aus Erz entsteht.

Heute baut man dazu ein festes Gerüst aus starken Eisenstangen. Dieses hält den Ton fest. Doch das wußte Rietschel damals noch nicht. Er formte die Figur ohne ein Eisengerippe.

Aber es gab noch mehr Schwierigkeiten. Im Winter war eines Morgens die Oberfläche des Tones so gefroren, daß sie sich teilweise ablöste. Der rechte Arm fiel zweimal herunter. Rietschel fühlte sich ganz unglücklich. Er berichtet darüber:

„Einst passierte es mir, daß ich eine Stütze zerbrach, die die Figur hielt. Der ganze Neptun neigte sich nach vorn. Mit aller Kraft versuchte ich, den rutschenden Ton zu halten. Ich rief um Hilfe und hoffte, der Hüter des Museums würde mich hören. Aber fast eine Stunde mußte ich stehen und halten, bis ich von so großer Not erlöst wurde und eine neue Stütze anbringen konnte.“ Endlich war die vordere Seite der Gestalt fertig. Aber schon drohte eine neue Gefahr. Zum Formen des Rückens mußte der Neptun gedreht werden. Das war nicht einfach. Es wurden also drei starke Männer bestellt. Zwei drehten mit aller Kraft das Standbild, während ein dritter und Rietschel die Figur hielten. Trotzdem sank der Ton immer wieder in sich zusammen, weil er naß und schwer war. Das eine Bein, auf dem der Neptun stand, wurde immer kürzer.

Beinahe ein Jahr hatte der Bildhauer mit dieser Arbeit zugebracht. Welch kostbare Zeit! Erst nach weiteren zwei Jahren war die Figur vollendet und konnte in Erz gegossen werden. Am 2. Juli 1828 wurde der Neptun auf dem Kornmarkt in Nordhausen aufgestellt.

Die Stiftung des Nordhäuser Bürgers wurde der Stolz der Stadt. Viele andere Brunnenfiguren entstanden im Laufe der Zeit, aber keine war mit dieser zu vergleichen.

Der bießeninge Haring

Vor Johren, wie der Näptun noch uffen Kornmarte schtund, wohnte do en Bengel, der hotte nischt wie Deuwelsschtrieche in’n Koppe. So schtellte sich hingers Fenster met en Pusterohr uff die Luer un schoß den Lieten, die ungene verbiegingen, uff den Buckel oder sunst wo hän, un die wußten nich, wo’s här kamb. — Einmol hotte sich en Buer von’n Napperdorfe en Häring jelanget. Er wullten gliech bie Sippein in der Wärtschaft verspachteln un krätschte räwwer zum Näptun, weil’ en erseht en bäßchen obwaschen wullte. Wie en grode ungertuchen will— futsch — kriete eins uf de Föten. Do krehlte wie en Zinshahn: „Du verflecktes Luder, worte mant! Du witt mich woll gar noch bieße?“

Anmerkung: Der Ausdruck: „krehlte wie ein Zinshahn“ stammt aus dem Mittelalter. Pächter, Hörige usw. waren verpflichtet, Hähne mit als Zins zu entrichten.

Die Feuerwehr kommt

„Morgen gehen wir zur Feuerwehr!“

„Fein!“ schreit Rolf und führt einen Freudentanz auf, „da dürfen wir die Stange herunterrutschen!“ Das weiß er von seinem älteren Bruder. Der war im vorigen Jahr dort und erzählt seitdem allerhand Wunderdinge. Egon macht ein bedenkliches Gesicht und fragt: „Sind die Stangen sehr hoch?“

Gespannt marschieren wir am anderen Morgen zur Feuerwache, einem langen Gebäude mit großen Toren. „Das sind die Garagen“, erklärt Rolf sachverständig. Und wirklich! Bald darauf stehen wir um die großen, roten Autos.

Ein Brandmeister zeigt uns, wie die große Leiter ausgefahren werden kann, wo Äxte, Beile, Einreißhaken und sonstige Werkzeuge griffbereit liegen. Viele dicke Schlauchrollen hängen an den Wänden.

Daneben befinden sich Schaumlöscher. Die werden gebraucht, wenn Benzin brennt. Da würde nämlich Wasser überhaupt nicht löschen. Aber der Schaum erstickt die Flammen.

Auf dem Hof üben gerade einige Feuerwehrleute das Klettern an einer Hauswand. „Sind die aber geschickt“, flüstert Inge bewundernd. Jetzt kommt der nächste dran. Mit einer leichten Leiter in der Hand steht er nahe der Wand. Auf ein Zeichen flitzt er los, hakt die Leiter ins untere Fenster und klettert flink wie ein Eichhörnchen in die Höhe. Schon hat er sich aufs Fensterbrett geschwungen, faßt die Leiter, reißt sie nach oben und hängt sie ins nächsthöhere Fenster. Nun schwingt er sich darauf und sitzt wenige Augenblicke später in schwindelnder Höhe auf dem Fensterbrett. Begeistert klatschen wir ihm Beifall. Lachend winkt er uns zu. Am liebsten möchten wir hier noch weiter zuschauen. Jetzt soll uns ein Probealarm vorgeführt werden. Im ersten Stock liegen die Schlafräume der Feuerlöschpolizei. Im Fußboden sind große, runde Öffnungen freigelassen, in deren Mitte glatte Stangen nach unten führen, wie die Kletterstangen in der Turnhalle. Des Nachts haben die Feuerwehrleute ihre Stiefel und Uniformstücke so griffbereit liegen, daß sie in wenigen Sekunden angezogen sind und an den Stangen nach unten sausen können.

Da ertönt ein schrilles Klingeln. Über uns trappelt es. Schon kommen die ersten Männer an den Stangen heruntergesaust, greifen nach Helm und Gasmaske und springen auf die Autos. Die Motoren dröhnen, ohrenbetäubend heult die Sirene, das Tor öffnet sich — ein Pfeifsignal beendet den Alarm. Wir sind erstaunt, wie schnell das ging.

Diesmal war es nur eine Übung. Im Ernstfall verhütet die Schnelligkeit der Feuerwehr oft großen Schaden. Wohl steht sie bereit, um Tag und Nacht ein-greifen zu können. Besser ist es aber, wenn jeder mithilft. Brände zu verhüten.

Die Tabakarbeiter streiken

In Nordhausen wird Tabak verarbeitet. Aus den Tabakblättern wird auch Kautabak hergestellt, „Priem“ sagen wir dazu. Seit 150 Jahren arbeiten viele Menschen aus Nordhausen und Salza in großen Fabriken, deren Erzeugnisse wir in manchen Schaufenstern sehen können. Aber nicht immer ging es den Tabakarbeitern gut.

Im Jahre 1890 versammelten sich die Arbeiter. Einer ihrer Kameraden trat vor und schilderte seine Not: „In der Woche verdiene ich nur 16 Mark. Als meine Frau noch in die Fabrik ging, zahlte der Fabrikant ihr 6 Mark Lohn für eine Woche harter Arbeit. Ich kann nur das Nötigste für meine Familie kaufen. So darf das Hungerleben nicht weitergehen!“ Zustimmende Rufe kamen aus der Versammlung. „Hat der Fabrikherr schon mal daran gedacht, seine Kinder zur Arbeit zu schicken, wie wir es tun müssen, damit die verdienten Groschen nur fürs Essen reichen?“ rief ein anderer Arbeiter dazwischen.

Die Versammelten beschlossen, die Fabrikherren um höhere Löhne zu bitten. Aber sie wurden ausgelacht .

Wieder kamen sie zusammen. Der Sprecher, der schon vor drei Tagen die Not seiner Familie geschildert hatte, rief zum Streik auf: Zur gleichen Zeit sollten die Schaffenden ihre Arbeit niederlegen, dann wollte man einige Kameraden zum Fabrikherrn schicken, dem sie sagen sollten, es würde erst dann wieder mit der Arbeit begonnen, wenn sie höhere Löhne bekämen. Noch nie hatten sie gestreikt, jetzt taten sie es.

Die Fabrikherren ließen sich bei den Verhandlungen viel Zeit. Die Arbeiter hatten kein Geld mehr, weil sie ja keinen Lohn bekamen. Der Hunger zwang die Streikenden, nach drei Wochen nachzugeben. Alles war umsonst gewesen. — Der niedrige Lohn blieb.

Aber schon 11 Jahre später, im Jahre 1901, streikten die Tabakarbeiter wieder für höhere Löhne und für eme bessere Ausbildung der Lehrlinge. Die Fabrikanten versuchten diesmal, Zeit zu gewinnen, damit der Hunger die Arbeiter in die Fabrik zurücktriebe. Aber jetzt halfen die Kollegen aus Nordhausen und anderen Industrieorten. Als die Streikenden in Geldnot gerieten, wurden ihnen Spenden überreicht, die sie an Bedürftige verteilten.

Die Fabrikbesitzer stellten fremde Arbeiter ein, aber es half alles nichts. Am Ende mußten sie doch erkennen, daß sie gegen so viele einige Arbeiter nichts ausrichten konnten.

War das ein Jubel, als nach einem halben Jahr der Sprecher der Streikenden vor die wieder Versammelten trat und sagte: „Unser Streik hat mit unserem Sieg geendet. Die reichen Herren zahlen jetzt 18 Mark Wochenlohn und werden unseren Kindern eine bessere Lehrlingsausbildung geben. Sicher hätten wir noch mehr erreichen können, aber der Winter steht vor der Tür, und Frauen und Kinder sollen keine Not leiden. Wir wissen nun. wie stark wir sind. Die Herren sollen sich hüten!“

Weißt du, wie es heute ist ?

Ein alter Arbeiter erzählt vom 1. Mai

Es war vor etwa fünfzig Jahren. Ich arbeitete damals in einer Nordhäuser Branntweinbrennerei. — Der 1. Mai kam heran, mit ihm begann der schönste Monat des Frühjahrs; auch die Bäume schmückten sich mit duftigem Grün. Wir freuten uns am schönen Bild der Natur, gleichzeitig aber freuten wir uns auf den Tag, an dem wir unseren Fabrikherren und ihrer Polizei einmal zeigen konnten, wie Arbeiter Zusammenhalten.

Damals war der 1. Mai kein Feiertag. Die Besitzer der großen Fabriken bestimmten unsere Arbeitszeit; sie sagten uns auch, daß wir am 1. Mai zu arbeiten hätten. Wir versammelten uns trotzdem. Meine Kollegen aus der Branntweinbrennerei und die Tabakarbeiter einigten sich, daß wir in Hohenrode Zusammentreffen wollten.

Ich war damals noch sehr jung, trotzdem durfte ich schon eine rote Fahne tragen. Um uns vor der Polizei zu sichern, stellten wir rund um den Versammlungsplatz Posten auf.

Ich stand mit der Fahne neben dem Redner; ins rote Tuch war eine weiße Acht eingenäht. Das bedeutete: Wir wollen eine achtstündige Arbeitszeit. Der Redner war Mitglied einer Arbeiterpartei, der Sozialdemokratischen Partei. Er sprach uns allen aus dem Herzen: „Wir wollen nicht länger die Sklaven unserer Arbeitgeber sein! Wir wollen nicht, daß unsere Familien hungern! Wir fordern den Achtstundentag! Wir fordern höhere Löhne! Wir wollen wie Menschen leben: ohne Hunger, ohne Not, ohne Arbeitslosigkeit!“

Da gaben die Posten Alarm. Ein Arbeiter in meinem Alter eilte den Berg hinauf und rief: „Polizei! Vom Altentor her kommen sie!“ In die einbrechende Stille hinein hörten wir den Marschtritt der genagelten Stiefel. Schon glänzten die Helmspitzen durch das lichte Grün. Bedrohlich kamen sie näher. Die Gesichter der Polizisten waren hart. Nun erklang ein scharfes Kommando. Die Säbel wurden gezückt. Und wir ? Wir ballten die Fäuste in den Taschen und schwiegen Wir waren wehrlos. Ein Kampf hätte unnötige Opfer gebracht.

Viel Blut wäre geflossen, Arbeiterblut. — Schweigend räumten wir den Versammlungsplatz. Meine Fahne hatte ich schnell vom Schaft genommen. Das Tuch verbarg ich unter dem Hemd.

So geschah es im Park Hohenrode, im Gebiet des damaligen Preußen. Aber glaubt nicht, wir hätten unsere Sache aufgegeben. Unten auf der Straße nach Krimderode sammelten wir uns und zogen geordnet zum Kurhaus. Stolz flatterte wieder das rote Tuch in der Maiensonne.

An der Kurhausbrücke begann Hannover, hier waren Maifeiern erlaubt. Die Polizei folgte unserem Zuge bis zur Grenze des preußischen Landes. Dort blieb sie machtlos stehen. — Lachend standen wir zusammen und atmeten befreit auf, als die „Blauen“ abmarschierten. Wieder hatten wir ihnen ein Schnippchen geschlagen. Ja, so war es damals.

Schwer w'ar unser Kampf, mancher hat dafür sein Leben eingesetzt.

Ob heute wohl noch alle Menschen daran denken, wenn sie am 1. Mai durch die Straßen ihrer Städte und Dörfer ziehen ?

Die rote Fahne auf dem Schornstein. Ein Erlebnis aus dem Jahre 1912

Es war am 30. April 1912. Der Abgeordnete Dr. Oskar Cohn war wenige Wochen vorher in den Reichstag gewählt worden. Für die Arbeiter war damit ein großer Sieg errungen. Und nun sollte der l.Mai gefeiert werden, der l.Mai 1912.

Er war ein Festtag, denn an diesem Tage forderten die Arbeiter erneut die achtstündige Arbeitszeit. Noch immer beschäftigten die Fabrikanten ihre Arbeiter länger. Mit der Wahl des Dr. Cohn sollte vieles anders werden.

In der Fabrik Tief bohr wollten die Schlosser Paul Baumbach und Gustav Fischer in ihrer Freude über den erreichten Wahlsieg etwas ganz Besonderes tun. Am 1. Mai sollte am Schornstein des Werkes die rote Fahne wehen. Heimlich berieten sich die Arbeiter und legten den Treffpunkt fest. Gefährlich war das Unternehmen, denn der Schornstein des Werkes war der höchste der Stadt. 35 Meter ragte er über die Dächer.

Als sich der Abend des 30. April über die Stadt senkte, begann der gefahrvolle Weg. Die Frau eines Freundes hatte eine große rote Fahne genäht, auf der eine weiße Acht glänzte. Das sollte bedeuten: Wir fordern eine achtstündige Arbeitszeit.

Paul Baumbach wickelte sich die Fahne um den Leib. Gustav Fischer versteckte unter seiner Jacke ein Seil.

Vorsichtig verließen die Männer ihre Wohnung. Sie trugen Turnschuhe, um besser klettern zu können. Bald standen beide vor dem Fabriktor. Dunkel lag das Werk. Eben hatte der Posten der Wach-und-Schließ-Gesellschaft das Eingangstor überprüft. Es war fest verschlossen. Langsam ging er weiter.

Noch klangen seine Schritte in der schmalen Straße, als sich Baumbach und Fischer über die Mauer in den Fabrikhof schwangen. Ihre Herzen schlugen schneller, denn nun galt es! In der Dunkelheit war die Schornsteinkrone nicht zu erkennen. Vorsichtig zwängten sich beide durch die enge Öffnung ins Innere des Schornsteins.

Da trat Paul Baumbach fehl und stürzte ab. Schwer schlug er in eine dicke Asche- und Rußschicht, die sich auf dem Boden des Schornsteins abgelagert hatte. Gustav Fischer klammerte sich indessen an einem Steigeisen fest. Mehrere Meter unter ihm versuchte Paul Baumbach, sich wieder nach oben zu ziehen. Aber es gelang nicht. Sollte alles verloren sein? Vorsichtig löste Fischer das Seil von seinem Rücken, ließ es hinab, bis es der Abgestürzte ergreifen konnte. Und nun zog er ihn nach oben, Zentimeter um Zentimeter, bis Paul Baumbach die Steigeisen erreichte. Nun ging es aufwärts. Die Eisen gaben notdürftigen Halt. Polternd lösten sich Ascheklumpen von der schmutzigen Wand.

Staub verklebte die Augen der Männer. Vor Aufregung und Anstrengung lief ihnen der Schweiß über Gesicht und Rücken. Mit zusammengebissenen Zähnen klommen sie in die Höhe, Meter um Meter, Eisen um Eisen. Nach Minuten, die ihnen wie Ewigkeiten erschienen, hatten sie es geschafft. Mit letzter Anstrengung schwangen sie sich über den Rand des Schornsteins und saßen nun in schwindelnder Höhe.

Tief unter ihnen schimmerte in der Dunkelheit die Fabrik. Aus wenigen Fenstern der umliegenden Häuser sahen sie Lampenschein. Tief atmeten die Männer die kühle und klare Nachtluft ein.

Und nun begann der gefährlichste Teil ihres Unternehmens. Langsam und vorsichtig löste Paul Baumbach die Fahne von seinem Leib. Rittlings rutschte er zum Blitzableiter. Kein Seil und kein Haken sicherte ihn. Fest knüpfte er das rote Tuch mit der weißen Acht an die kupferne Stange.

Die Männer sprachen nicht, als sich die Fahne, ihre Fahne, im Nachtwind blähte. Ein Gefühl des Stolzes und der Zufriedenheit hob ihre Brust. Diese Fahne gab morgen, wenn der 1. Mai graute, den vielen Wankelmütigen und Verzagten neue Kraft für den weiteren Kampf. Wie würden die Fabrikherren toben, wenn sie die Fahne entdeckten!

Aber es blieb keine Zeit. Bald mußte der Posten der Wach-und-Schließ-Gesellschaft wieder auftauchen. Vorsichtig stiegen sie abwärts, vorsichtig krochen sie durch die enge Öffnung ins Freie. Nun noch die Mauer am Fabrikhof, dann war es geschafft.

Im trüben Schein einer Straßenlaterne betrachteten sich die beiden. Verschmutzt waren ihre Kleider, rußverschmiert Gesicht und Hände. In der Zorge wuschen sie sich.

An diesem Abend feierten alle Arbeiter Nordhausens den kommenden 1. Mai. Nun nahmen auch Paul Baumbach und Gustav Fischer daran teil. Aber auch hier sprachen sie nicht von ihrer Tat. Als sich einige über den Schmutz an ihren Kleidern wunderten, sagten sie, daß sie vom Kesselreinigen kämen. Und dann war der 1. Mai 1912 da. In der strahlenden Morgensonne flatterte sieghaft und stolz die rote Fahne mit der weißen Acht vom Schornstein der Fabrik Tiefbohr. Vielen gab sie Kraft im Kampf. Die Fabrikanten tobten. Das hatte noch niemand gewagt. Die Täter aber blieben unbekannt. Niemand wußte ihre Namen.

Am nächsten Tage bot der Direktor der Fabrik demjenigen drei Mark, der es fertigbrächte, die Fahne herunterzuholen. Aber keiner fand sich.

Da wurde der Werkmeister beauftragt, nach oben zu steigen. Zitternd führte er den Befehl aus. Aber er hatte nicht die Kraft, die Fahne festzuhalten. Vom Blitzableiter gelöst, schwebte sie im weiten Bogen nach unten. Gustav Fischer sah das rote Tuch fliegen. Es gelang ihm, die Fahne, die länger als einen Tag über Nordhausen geweht hatte, zu ergreifen und in seiner Werkzeugtasche zu verstecken.

Als der Werkmeister unten anlangte, war er so schwach, daß ein Arzt gerufen werden mußte. Nun forschte der Fabrikdirektor nach demjenigen, der die Fahne versteckt hatte. Aber auch ihn fand er nicht. Wohl munkelten viele, aber es gab keine Beweise.

Im August des Jahres 1912 wurden Paul Baumbach und Gustav Fischer aus der Fabrik entlassen, weil es angeblich an Arbeit mangelte.

Albert Kuntz im Lager Dora

Tausende sind auf dem großen Appellplatz, der mitten im Lager Dora liegt, angetreten. Stundenlang müssen sie hier stehen. Es sind Häftlinge. Sie haben Hunger. Es gab nur eine Wassersuppe, die mußte für den ganzen Tag reichen. Der dünne Anzug, der grau-schwarz gestreift ist, schützt nicht vor der Kälte. Sie beißen die Zähne zusammen. Keiner will sich schwach zeigen gegenüber dem SS-Wachmann, der auf seiner schwarzen Uniform ein Totenkopfabzeichen trägt.

Dort vor dem Stacheldrahtzaun, elektrisch geladen, damit, niemand fliehen kann, ist die Freiheit.

Ganz hinten sieht der Gefangene die Schornsteine und die Dächer von Nordhausen. Dort fahren Straßenbahnen, dort gehen jetzt fröhlich lachende Menschen ins Kino. In den Gaststätten geht es lustig zu. Aber der Gefangene darf nicht hin, obwohl er nichts verbrochen hat. Weil er gegen den Krieg war, weil er für den Frieden eintrat, weil er Mitglied der Kommunistischen Partei war, wird er wie ein Verbrecher behandelt.

Neben dem Arbeiter steht der Arzt, neben dem Lehrer steht der Pfarrer — sie sind im Konzentrationslager.

Im hinteren Teil des Lagers liegt ein flaches Gebäude mit einem hohen, eckigen Schornstein, der Tag und Nacht Rauch ausstößt. Dort werden Gefangene getötet und verbrannt. Zwanzigtausend!

Als der zweite Weltkrieg ausbricht, kommen zu den deutschen Gefangenen noch Menschen aus all den Ländern, die von Hitlers Soldaten besetzt wurden. Dort in der Baracke liegen Männer aus Frankreich, in diesem Holzhaus müssen Menschen aus der Sowjetunion hausen.

Wenn die vier- oder fünftausend endlich die Baracken betreten dürfen, sitzen sie noch einige Zeit an den selbstgezimmerten Tischen. Sie denken nach. Unter ihnen sitzt Albert Kuntz.

Er war ein einfacher Kesselschmied. Vor 1933, ehe die Nazis regierten, war er Sekretär der Kommunistischen Partei und Reichstagsabgeordneter. Sein Herz schlug für ein freies und demokratisches Deutschland. All seine Kraft setzte er ein, um gegen die Nazis und ihren Führer Hitler zu kämpfen.

Als 1933 die Kommunistische Partei verboten wurde, wurde er verhaftet. Nach vielen Verhören, nach vielen Quälereien, die sich die SS-Leute ausgedacht hatten, kam er in das gefürchtete Konzentrationslager Dora. Albert Kuntz mußte mit seinen Kameraden in den unterirdischen Stollen bei Niedersachswerfen Waffen herstellen. In diesen Stollen war eine Fabrik untergebracht, in der Häftlinge die Mordwerkzeuge bauten, mit denen die Nazis die Menschen vieler Völker töteten.

Das aber wollte Albert nicht. Er gründete eine Widerstandsgruppe und war einer ihrer Leiter. In heimlich gehaltenen Sitzungen berieten die Häftlinge, wie sie das Leben besonders bedrohter Kameraden beschützen könnten. Viele verdanken dieser Gruppe ihr Leben.

In den Januartagen 1945 berieten die Führer der Widerstandsgruppe, wie man das Lager vor der SS schützen könne, wenn sich die Befreier dem Kreis Nordhausen näherten. Aber auch unter den Häftlingen fanden sich Verräter. Über hundert Genossen wurden aus den Baracken geholt, einem furchtbaren Verhör unterzogen, dann erschlagen oder gehenkt. Unter ihnen der Kesselschmied und ehemalige Reichstagsabgeordnete, der Kommunist Albert Kuntz.

Nicht hoch genug können wir sein Heldentum ehren. Ruhig ging er für seine Überzeugung in den Tod.

Der Name ist uns geblieben. Der Platz vor dem Bahnhof in Nordhausen, der Sportpark von Krimderode, beide tragen den Namen Albert Kuntz. Vor dem Bahnhof erinnert ein schlichter Stein an den Patrioten, der für uns starb.

Es gibt Menschen, die ihr Leben von früher Jugend an in den Dienst einer guten Sache stellen. Hunger und Durst, Qual und Verfolgung erleiden sie, ohne zu verzagen. Ein solcher Mensch war Albert Kuntz.

Wie Nordhausen zerstört wurde

Oft brausten in den Jahren des zweiten Weltkrieges die endlosen Geschwader schwerer amerikanischer Bomber über Nordhausen dahin, ohne sich um diese kleine Stadt zu kümmern. Bis zum 3. April des Jahres 1945 war ihr — außer ein paar Notabwürfen und Tieffliegerangriffen auf den Flugplatz und die Umgebung — noch nichts geschehen. Die Hoffnung der Bevölkerung, den furchtbaren Krieg heil zu überstehen, sollte jedoch in den ersten Apriltagen 1945 auf das entsetzlichste zunichte werden.

3. und 4. April 1945 in Nordhausen! 750 schwere Bomber — mit einer Bombenlast, für drei Städte bestimmt — zerschlugen unsere Stadt bis zur Unkenntlichkeit! —

Wir wollen hören, wie es damals war:

Gerhard, ein kleiner Wicht von knapp zwei Jahren, wohnte mit seiner Mutter in der Oskar-Cohn-Straße nahe am Harzquerbahnhof. Vergnügt saß er in seinem Sportwagen und patschte in die Händchen. Er wußte: Jetzt geht’s mit Mutter und Großvater in die Stadt. Trübe war der Tag, naßkalt wie im November. Nieselregen ging hernieder. Heiter war nur der kleine Gerhard, denn endlich sollte es hinausgehen. Er jauchzte.

Da heulte plötzlich die Sirene. Ein Schreck durchfuhr alle, die wußten, was dieser Ton bedeutete.

Nur wenige Schritte trennten die drei Menschen — Großvater, Mutter und Kind — von ihrer Wohnung. Hastig schoben Mutter und Großvater den Kinderwagen zurück. Zu Hause rannten sie die Kellertreppe hinab. Eine dunkle, enge Nische im Kellergang bot kümmerlichen Schutz für Mutter und Kind.

In der Luft begann es zu rauschen und zu pfeifen. Da knirschte schon das Gemäuer. Krachend schlugen die Bomben ein. Prasselnd und wuchtig ergoß sich eine Flut von Steinen über die schmale Kellertreppe. Ringsum war Nacht. Ganz allein hockten jetzt Mutter und Kind in der engen Nische, zugedeckt vom Schutt ihres Hauses. Unaufhörlich rieselte feiner Mörtel auf die beiden. Die Mutter tastete mit ihren Händen nach vorn und griff zwischen ein Lattengerüst. Sie tastete nach hinten und spürte auch hier vierkantige Leisten. Ja, das mußten zwei Kellertüren sein. Dicht über ihrem Kopf trafen sie zusammen und bildeten ein brüchiges Schutzdach, das Steine und Mörtel aufhielt.

Ganz von fern hörte die Mutter Hilferufe. Woher sie kamen, wußte sie nicht. Immer noch krachten Bombeneinschläge. Sie drückte ihr Kind an sich, sie rief es beim Namen. Es antwortete nicht. Warum schwieg es ? Steif hockte sie inmitten der Steinbrocken und Latten in undurchdringlicher Finsternis und wartete.

Kräftige Schläge erschütterten die Kellerwand, die die beiden von Trümmern eingeschlossenen Menschen vom Nachbarhaus trennte. Schreien wollte die Mutter, und doch kam es nur gebrochen heraus: „Helft uns!“

Wieviel Zeit war verronnen? Waren es Stunden? Waren es nur Minuten? Von draußen arbeiteten sich Retter heran. Eine kleine Öffnung klaifte jetzt im Gemäuer. Sie war gerade so groß, daß die Mutter das Bündel mit dem Kind durchschiehen konnte. In fieberhafter Eile wurde das Loch in der Mauer vergrößert. Die Mutter kroch nach. Ringsum sah sie eine Wüste von Stein, wo sonst festgefügte Häuser und freundliche Wohnungen gestanden hatten.

Da lag Gerhard, der kleine Wicht von knapp zwei Jahren. Seine dicken Patschhändchen waren reglos. Der kleine Plappermund war verstummt. Die Mutter tauchte ein Tuch in das Wasser, das in einer Tonne bereit stand, wischte das liebe Gesichtchen ab und wußte: Nie mehr würden die blauen Augen des Kindes strahlend zu ihr aufblicken. Der zarte, junge Körper hatte die Erschütterung nicht überstanden. Gerhard war tot!

Der Großvater rief stundenlang um Hilfe. Eingeklemmt zwischen Mauerwerk, geborstenen Balken und Brettern war er verschüttet worden. Die Mutter und andere hilfsbereite Menschen hörten ihn und versuchten zu helfen und zu retten. Alles war vergeblich. Er starb und mit ihm noch viele Männer, Frauen und Kinder überall in der Stadt.

Viele waren ins Freie gelaufen, getrieben vom Rauschen der Bombengeschwader. Wohin sie wollten, wußten sie nicht. Nur heraus aus dieser brennenden, qualmenden Stadt, in der ganze Straßenzüge bis auf den Grund zerstört waren.

Dies alles geschah am 3. April 1945. Das war ein schlimmer Tag in der Geschichte unserer Heimatstadt, aber noch nicht so schlimm wie der folgende, der 4. April.

An diesem Tage starb das alte Nordhausen. Das Viertel um den Stresemann-rin^ brannte lichterloh, ebenso das Gelände um den Petersberg. Vom Kornmarkt aus sah man die Rautenstraße mit den angrenzenden Straßen in Flammen aufgehen. Wohin man schaute: Flammen, einstürzende Häuser. Weinende Kinder suchten ihre Eltern, Eltern ihre Kinder. Viele Tote und Schwerverletzte bedeckten die Straßen.

Die Innenstadt wurde zu einem Trümmermeer. Nur wenige Gebäude, darunter das Alte und das Neue Rathaus, standen noch. Doch auch sie überdauerten nicht diesen Angriff. Bomben, die erst später explodierten, beschädigten diese stolzen Bauwerke schwer. Zwanzig Minuten hatten die Bombenflugzeuge gebraucht, um unsere tausendjährige Heimatstadt zu zerstören. 8800 Menschen fanden den Tod — verschüttet, verbrannt, von Splittern zerfetzt. Die Überlebenden flohen in langen Elendszügen in die Dörfer. Viele besaßen nichts mehr als die Kleidung auf dem Leib.

Das alles war der Preis, den Nordhausen im zweiten Weltkrieg zahlen mußte. Aber die Menschen legten die Hände nicht in den Schoß. Sie zogen eine Erkenntnis aus diesem Leid. Nie wieder soll es dazu kommen, daß ein verbrecherischer Krieg beginnt. Friede soll sein!

Eine Stadt wird aufgebaut

Der zweite Weltkrieg war zu Ende. Nordhausen, unsere Heimatstadt, war zerstört.

Trümmer ringsum, Rauch, Schutt, Schrott. Tausende waren verbrannt, qualvoll umgekommen.

Wo einst rote Giebel leuchteten, wo sich einst stolze Türme erhoben, wo einst Menschen gelacht und gelebt hatten — Trümmer, nichts als Trümmer!

Wo einst der Verkehr flutete, wo Autos hupten und Straßenbahnen läuteten, wo einst Schaufenster lockten und Fenster glänzten, wo das Lärmen fröhlicher Kinder erscholl — Trümmer, nichts als Trümmer!

Wo einst Maschinen surrten, wo hochbeladene Wagen Waren von weither brachten, Waren weithin beförderten, wo dampfende Lokomotiven endlos scheinende Güterzüge zogen, wo Fässer rollten und Traktoren ratterten — Trümmer, nichts als Trümmer!

Wir hatten das Lachen verlernt. Kummer und Schmerz, Mutlosigkeit und Verzweiflung überall! Nordhausen war zerstört, war zerschlagen worden von den Bomben amerikanischer Flugzeuge. Was die Menschen vieler Jahrhunderte erstrebt und erreicht hatten, war verschwunden, dem Erdboden gleichgemacht.

Zusammengebrochen lagen Häuser und Fabriken. Zusammengebrochen war auch in vielen Menschen der Wille zum Leben. Und das war schlimmer. Aber es mußte weitergehen, trotz allem.

Ein neuer Anfang mußte gefunden werden. Und er wurde gefunden.

Mutige Menschen nahmen Hacke und Spaten, Hammer und Kelle. Trümmer wurden beseitigt, Straßen vom Schutt befreit, Wohnungen erneuert.

Nach Monaten der Niedergeschlagenheit begann langsam und zaghaft das neue Leben. Das war der Anfang. Bald flammte wieder das Licht auf in der Stadt. Aus den Wasserhähnen floß wieder Wasser. Die ersten Schornsteine begannen zu rauchen. Maschinen begannen zu surren.

Wir arbeiteten hart, verbissen, unermüdlich, Tag und Nacht.

Bald läuteten wieder die Straßenbahnen und beförderten die Fahrgäste. Aber wie sahen diese aus ? In ihren Gesichtern stand der Hunger. Ihre Kleidung war ärmlich. Der Krieg hatte ihnen alles genommen.

Die Regierung der Arbeiter und Bauern half der Stadt. Ziegelsteine wurden herangefahren. Güterzüge brachten neue Maschinen.

Der erste Fünfjahrplan wurde aufgestellt. Was bisher ungeordnet erschien, geschah nun planmäßig.

Schon waren die meisten Straßen frei für den Verkehr. Schon hatten die ersten Geschäfte ihre Waren ausgelegt. Jedes Jahr brachte neue Erfolge.

Nun halfen den Menschen bei ihrer Arbeit moderne Maschinen. Bagger und Lastfahrzeuge, Transportbänder und Preßluftbohrer wurden eingesetzt. Ein Kran begann zu arbeiten. Wo einst Trümmerfelder gelegen hatten, befanden sich nun freie Plätze.

Und dann begann der Aufbau noch sichtbarer zu werden. Neue Häuser wuchsen empor, größer, schöner. Neue Hoffnungen erwachten, und langsam lernten die Menschen wieder das Lachen. Der Aufbau der Stadt brachte Freude. Schon spielten wieder Kinder auf sonnigen Plätzen.

Das neue Nordhausen entsteht. Was Baumeister erdachten, wird Wirklichkeit. Heute hat das Leben die düstere Vergangenheit hinweggefegt.

Längst sind nicht alle Schäden beseitigt. Jahrzehnte wird es noch dauern, bis Nordhausen den Krieg vergessen kann. Aber eins ist Wirklichkeit geworden: Nordhausen lebt.

Wir bauen Schlepper für unsere Bauern

Es ist ein schöner Herbstsonntag. Der Vater und Rolf machen einen Spaziergang durch die Felder.

Ein Rattern tönt durch die klare Luft. Drüben zieht ein Traktor einen Pflug über das Feld.

„Vater“, ruft Rolf, „das ist doch ein Schlepper aus eurem Werk!“ „Freilich“, sagt der Vater, „das ist ein ,Pionier“, so nennen wir unsere schweren Schlepper. Sie werden nur für schwere Feldarbeiten verwendet. Wir bauen noch einen leichteren Schlepper. Der eignet sich besser für leichte Arbeiten wie Eggen, Anhäufeln oder das Herausschleudern von Kartoffeln. Du kannst unsere beiden Schlepper typen leicht unterscheiden. Der .Pionier“ ist niedrig und wuchtig. Der leichte Schlepper fällt durch seine sehr hohen Hinterräder auf“. Inzwischen ist eine Fläche des Ackers umgebrochen.

Wie schnell das geht!“, meint Rolf. „Mit einem Pferdegespann oder gar fflit Kühen würde man doch tagelang an dem Stück Land pflügen.“ „Das stimmt“, sagt der Vater. „Deshalb lassen viele Bauern ihre Felder von den Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) bearbeiten, für die wir unsere Schlepper bauen. Im Herbst drängt die Landarbeit sehr. Der Bauer weiß oft nicht, was er zuerst tun soll. Da müssen die Kartoffeln und Rüben ausgemacht werden. Er darf aber auch nicht die Zeit zum Pflügen und Säen des Wintergetreides versäumen. Unsere Schlepper helfen mit, daß alle Arbeiten zur rechten Zeit aus-geführt werden können. Denn nur dann können wir eine gute Ernte erwarten.“

„Ach, Vater, ich möchte zu gern einmal sehen, wie eure Schlepper gebaut werden! Morgen spreche ich mit unserem Pionierleiter. Vielleicht darf unsere Gruppe euer Werk besichtigen.“

Und nach einigen Tagen ist es so weit. Rolfs Pioniergruppe ist auf dem Wege zum VEB (volkseigenen Betrieb) Schlepperwerk. Sie müssen tüchtig marschieren. Das Werk liegt weit draußen vor der Stadt. Das rote Verwaltungsgebäude ist weithin zu sehen. Jetzt können die Kinder nicht weiter. Männer der Werkpolizei sperren die Straße ab. Ein großer Güterwagen, der von einer kleinen Lok gezogen wird, fährt ins Werk. Rolf weiß Bescheid: „Das Schlepperwerk hat ein eigenes Anschlußgleis. Der Waggon bringt sicher Gußteile.“

Die Pioniere treten in den weiten Werkhof mit den niedrigen, langgestreckten Werkhallen. Rolfs Vater, Herr Walter, wird sie führen. Eben werden die neueingetroffenen Gußstücke abgeladen: Motorengehäuse, Felgen und vieles andere. Rostig und unansehnlich sehen sie aus. Bis aus ihnen ein Schlepper wird, dauert es sehr lange. Herr Walter erklärt, daß man diese Stücke so rostig und schmutzig nicht verarbeiten kann. Sie laufen vorher auf einem Fließband durch einen Tunnel. Die Stücke gleiten langsam durch den Tunnel und werden von allen Seiten mit Sand und Stahlkügelchen bespritzt. Das macht sie etwas sauberer. Der Fachmann nennt diese Vorrichtung ein Sandstrahlgebläse. Der letzte Schmutz verschwindet dann in einem Bad mit einer sehr scharfen Flüssigkeit. Die sauberen Gußstücke werden nun zu wichtigen Teilen zusammengeschraubt, zu Motoren, Getrieben und anderen. Diese wichtigen Teile nennt man im Werk „Baugruppen“.

Aufmerksam hören die Kinder zu. Nun dürfen sie einen Blick in die hellen, sauberen Werkhallen werfen. Sie sind erfüllt vom brausenden Lärm der Maschinen. Aber am interessantesten ist doch die Endmontage. Dort werden die „Baugruppen“ zu fertigen Schleppern zusammengebaut. Durch die Halle läuft ein Fließband. Darauf wird von Zeit zu Zeit ein Getriebe geladen. Langsam trägt das Fließband diese Baugruppen an einigen Monteuren vorbei.

Sie befestigen mit sicheren Handgriffen den Motor daran. Schnell muß das gehen, denn das Fließband bleibt rächt stehen. In unaufhaltsamer Fahrt trägt es das Getriebe mit dem Motor davon und gleichzeitig ein neues Getriebe heran, an dem die gleiche Arbeit geleistet werden muß. Das erste Getriebe fährt bereits an anderen Monteuren vorbei. Diese setzen die Hinterachsen ein. Weiter gleitet das Band zu anderen Monteuren. Alle haben ihre bestimmte Arbeit an den Schleppern. Da werden die Kotflügel angebracht, dort die Räder, das Fahrerhaus, der Kühler, die Scheinwerfer... Bald sieht der Schlepper schon wie ein Schlepper aus. Er fährt von dem Fließband herunter, und langsam nähert sich der nächste fertige Schlepper. Das ist interessant für die Pioniere. Sie sind gar nicht aus der Halle herauszubringen.

Draußen bedanken sie sich herzlich bei Herrn Walter. Klaus ruft ganz begeistert: „Wenn ich aus der Schule komme, dann werde ich hier im Werk lernen.“ „Das tue nur“, sagt Herr Walter, „wir können tüchtige Lehrlinge brauchen.“

Im fruchtbaren Helmetal

Wie vor vielen tausend Jahren die Menschen in unserer Heimat lebten

Vor dem Sturm. Die Verschwörung der Bauern und Holzarbeiter von Trebra

Von den Schiedunger Teichfischern

Die Heringer Grafen und ihr Schloß

Wer kennt das Südharzvorland

Die Salzaquelle

Die Burg Hohenstein in früherer Zeit

Die Sage vom Gänseschnabel

Das Nadelöhr

Die Sage vom Tanzteich

Die Kelle

Der Säuferkönig von Ellrich

Holzverarbeitung in Ilfeld

Im Leichtbauplattenwerk

Im Leunawerk

Hohensteiner Kärmeßliedchen

He hät aen Retuurbilljet

Vom Wald und seinen Menschen im Südharz

Wie die Harzschützen im Dreißigjährigen Kriege ihre Heimat verteidigten

Harzer Waldarbeiter kämpfen um ihr Recht

Am Kohlenmeiler und in der Köhlerhütte

Aus meiner Harzer Heimat

Der „Quirl“

Beim Hirschhornschnitzer

Finkenmanöver in Bennecktenstein

Das saltsame Tier

Erzählungen aus dem Wippertal

Die Wöbelsburg, eine alte Fluchtburg

Die Sage vom Hünstein

Der weiße Mönch in Münchenlohra

Die Sage von den dankbaren Zwergen im Gickendörfchen

Burg und Amt Lohra

Die Zigeuner und Friedrichslohra

Aus Bleicherode und seiner Umgebung

Die Sage vom Stadtwappen

Die „Schneckenhengste“

Ein Besuch im Kaliwerk

Spitznamen in unserer Heimat