Kinder- und Jugendsportschule Nordhausen
Die Kinder- und Jugendsportschule (KJS) Nordhausen war eine spezielle Bildungseinrichtung in der DDR, die sich auf die sportliche Ausbildung von Nachwuchstalenten konzentrierte. Sie bestand von 1954 bis 1967 und war eine von insgesamt vier derartigen Spezialschulen im Staatsgebiet.
Gründung und Anfangsjahre
Die Gründung der KJS Nordhausen ging 1954 auf die Initiative einiger Sportinteressierter in der Region zurück. Eine zentrale Rolle spielte dabei Irmgard Linder (1910–2003), die von den Schülern liebevoll „Mutter Linder“ genannt wurde. Sie widmete der Schule einen großen Teil ihrer Freizeit und unterstützte sie auch finanziell und materiell; sie engagierte sich besonders für die Betreuung und Förderung der Schüler.
In den Anfangsjahren gestalteten sich die Rahmenbedingungen äußerst schwierig. Die Schule musste sich zunächst unter widrigen Umständen etablieren. Neben dem regulären Unterricht legten die Lehrkräfte von Beginn an einen Schwerpunkt auf die Sportarten Turnen, Leichtathletik und Schwimmen.
Standort und Internat
Die KJS Nordhausen hatte ihren Sitz in der Stadt Nordhausen selbst. Ein Internat am Geiersberg beherbergte diejenigen Schüler, die von außerhalb kamen. Das Internat bildete eine Art Wohngemeinschaft und nahm Schüler aus dem gesamten Bezirk Erfurt sowie aus Regionen wie dem Harz und dem Mansfelder Land auf. Zu den bekannten Internatsschülern zählte die vierköpfige Familie Koppen aus Ilfeld.
Umstrukturierung und Zentralisierung
Im Jahr 1957 kam es mit der Gründung der KJS Erfurt zu einer Neuordnung der Nachwuchsförderung in der DDR. Jeder der 14 Bezirke sollte nur noch über eine zentrale Sportschule je Sportart verfügen. Für die Erfurter Schule bedeutete das eine verstärkte finanzielle Unterstützung, die KJS Nordhausen hingegen musste ihre besten Sportler fortan für den SC Turbine Erfurt starten lassen anstatt für die heimische Betriebssportgemeinschaft Lokomotive. Die weniger erfolgreichen Sportler, die mitunter scherzhaft „Milchtrinker“ genannt wurden, durften vorerst weiterhin für die Nordhäuser Gemeinschaft antreten. Als Vorteil galt, dass die Bahnfahrten zu Wettkämpfen mit Freifahrtscheinen erfolgen konnten.
Durch die Neuregelungen war der KJS Nordhausen der Weg in die Bedeutungslosigkeit vorgezeichnet. Die Schulleitung und engagierten Lehrkräfte wie Helmut Bornkessel (1931–2019[1]) versuchten jedoch mit aller Kraft, den Fortbestand der Einrichtung und die Nachwuchsgewinnung in Eigenregie zu gewährleisten. Dabei halfen oft persönliche Kontakte, durch die Bornkessel Hinweise auf Talente in der Region wie dem Eichsfeld erhielt. Die familiäre Atmosphäre der Schule erleichterte es, Eltern von der Unterstützung ihrer Kinder zu überzeugen.
Erfolge und Schicksale ehemaliger Schüler
Trotz der zunehmenden Benachteiligung gingen aus der Nordhäuser Schule zahlreiche sportliche Erfolge hervor:
- Peter Frenkel (Sportclub Potsdam): Olympiasieger 1972 im 20-km-Gehen
- Johanna Schaller/Klier (SC Turbine Erfurt): Olympiasiegerin 1976 und -zweite 1980 über 100-m-Hürden
- Günter Beier (SC Potsdam): Bronzemedaille mit der DDR-Turnmannschaft 1968
Ein weitere bekannter Leichtathlet war Jürgen May, der zunächst für die DDR und später für die BRD antrat, jedoch beide Male bei Olympischen Spielen erfolglos blieb. Obwohl einer der weltbesten 1500-m-Läufer und Weltrekordhalter über 1000 m, wurde er 1967-1970 als „Republikflüchtling“ geächtet und gesperrt.
Die letzten Titelkämpfe der DDR 1967 in Erfurt untermauern das Niveau der KJS: Von 10 DDR-Jugendmeistertiteln des SC Turbine errangen acht Schüler aus Nordhausen, bei der 4x400-m-Staffel waren zwei Nordhäuser dabei.
Schulalltag und Gemeinschaftsleben
Trotz der intensiven sportlichen Ausbildung legte man an der KJS auch Wert auf Gemeinschaftssinn und umfassende Persönlichkeitsbildung. Die Schüler wurden nicht nur im Einzelunterricht betreut wie später bei den zentralen Sportclubs üblich, sondern absolvierten den regulären Schulunterricht im Klassenverband.
Neben dem Sport gehörten kulturelle Aktivitäten zum festen Bestandteil des Schulalltags. So bestand ein Theaterabonnement und ein Schulchor unter der Leitung von Musiklehrer Schelz. Bei schulinternen Feiern mit Tanz konnten die Schüler sogar freiwillig Tanzstunden besuchen. In den Wintermonaten wurden einwöchige Sportkurzlehrgänge in Wintersportarten auf Klassenbasis durchgeführt.
Einer der Höhepunkte des Gemeinschaftslebens war der Bau einer Skihütte in Elend im Harz. Durch freiwillige Arbeitseinsätze von Eltern, Lehrern und Schülern im Rahmen des „Nationalen Aufbauwerks“ entstand die Unterkunft für Wintersportaktivitäten. Nach nur wenigen Jahren wurde die Hütte jedoch 1961 im Zuge des Mauerbaus von DDR-Grenztruppen beschlagnahmt und fortan selbst genutzt, da Elend dem Grenzgebiet zugeschlagen wurde. Eine Entschädigung erhielten die Erbauer nicht.
Auflösung und Nachwirken
1967 erfolgte die endgültige Schließung der KJS Nordhausen. Die letzten verbliebenen Klassen wurden noch bis zum Abitur geführt, eine Neuaufnahme von Schülern fand jedoch nicht mehr statt. Damit endete die 13-jährige Existenz der Bildungseinrichtung.
Obwohl die Schule nur kurz bestand, hinterließ sie bemerkenswerte Spuren. Fast alle Absolventen erlangten die Hochschulreife und studierten anschließend verschiedenste Fachrichtungen. Darunter befanden sich neben Sportlehrern auch viele andere Berufsgruppen wie Ärzte, Minister, Professoren und Institutsdirektoren. Einige der ehemaligen Schüler machten Karrieren oder wurden zu erfolgreichen Trainern von Spitzensportlern.
Ehemalige Klassen wie die Abiturienten von 1961 veranstalteten Jahrzehnte später Treffen zum Abiturjubiläum in Nordhausen. 1989 fand erstmals eine Zusammenkunft aus Anlass des 35-jährigen Gründungsjubiläums der Schule statt. Der ehemalige Lehrer Helmut Bornkessel arbeitete gemeinsam mit anderen an einer umfassenden Chronik der KJS Nordhausen.
Literatur
- Joachim Ender: Kurzer Abriss über die Geschichte der Kinder und Jugendsportschule Nordhausen. In: Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2008).
Einzelnachweise
- ↑ Ein Grabstein für Helmut Bornkessel. In: NNZ-Online. 10. August 2023, abgerufen am 19. April 2024.