Memorandum – Kritische Betrachtung einer literarischen Selbstdarstellung

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Textdaten
Autor: Verschiedene
Titel: Memorandum – Kritische Betrachtung einer literarischen Selbstdarstellung
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Erscheinungsdatum: 1967
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Kurzbeschreibung: Kritikschrift zu Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz
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Kritische Betrachtung einer literarischen Selbstdarstellung.

Das Stadtarchiv in Nordhausen verlor bei den Luftangriffen am 3. und 4. April 1945 sein Depotgebäude mit dem größten Teil der Bestände. Ausgelagerte Archivalien, die in Tresoren und in einem benachbarten Dorf vor dem Feuersturm bewährt geblieben waren, sollen später von kommunistischen Eiferern vorsätzlich verbrannt worden sein. Für die künftige Geschichtsschreibung über die Jahre nach der Jahrtausendfeier bis zum Ende des zweiten Weltkrieges unersetzliche Dokumente sind vernichtet, von der Archivbücherei nur kleine Reste erhalten. Wir haben zwar Grund zu der Annahme, daß der am 9. Oktober 1949 in Nordhausen gestorbene Hans Silberborth, Hauptautor des anläßlich der Jahrtausendfeier vom Magistrat heraus gegebenen Geschichtswerks "Das tausendjährige Nordhausen", die historisch wichtigen Geschehnisse nach 1927 aufgezeichnet hat; jedoch ist der Verbleib dieser Hinterlassenschaft ungewiß.[1] Soweit uns bekannt, gibt es keine historischen Publikationen von Silberborth oder aus anderer berufener Feder über die vorgenannte Zeitspanne. Dem schien abgeholfen zu sein, als Heinz Sting, jetzt Leitender Regierungsdirektor beim Regierungspräsidenten in Hannover, im Jahre 1965 ein Buch herausgab und im Vorwort schrieb, er habe sich gern der Aufgabe unterzogen, die wichtigsten Ereignisse der beiden auf die Jahrtausendfeier folgenden Jahrzehnte festzuhalten. Auf der Umschlagklappe kündigt er an, er wolle jüngste Geschichte aus eigenem Erleben darstellen. Er erklärte in einer öffentlichen Veranstaltung des Vereins Nordhäuser Heimatfreunde am 4. September 1965 laut Pressebericht: "Die Alten sollen den Jungen mit diesem Buch zeigen, was Nordhausen war und ist," In einer Bezugseinladung läßt er den Verein verkünden, das Buch gehöre in die Hand eines jeden geschichtlich und heimatkundlich Interessierten und vor allem der Jugend. Der Herausgeber nennt sein Verlagserzeugnis in einem Werbeblatt vom Frühjahr 1965 ein heimat- und zeit geschichtliches Buch und gab ihm den anspruchsvollen Titel: "Das 1000jährige Nordhausen und der schöne Südharz. - Ein Volksbuch von Heimat und Zeitgeschichte."

Dieses Buch ist aus vielen Gründen bei zahlreichen emigrierten Nordhäuser Bürgern auf heftige Ablehnung gestoßen. Auch bei uns, den Unterzeichnern, von denen die meisten seit 20 Jahren und länger keine Verbindungen miteinander hatten. Erst Stings Buch gab uns den Anlaß zu einem Treffen im vorigen Jahr. Dabei kamen wir überein, von einer öffentlichen Replik abzusehen, um nicht den Agitatoren der SED in Nordhausen willkommenen Propagandastoff zu bieten, um nicht den Verein der Nordhäuser Heimatfreunde und seine alljährlichen Wiedersehensfeiern in Bad Sachsa durch Auseinandersetzungen über seinen Vorsitzenden zu beeinträchtigen und um nicht. Stings politische Vergangenheit nach so vielen Jahren pharisäerhaft öffentlich anprangern zu müssen. Wir wollen keine zweite Entnazifizierung betreiben und sind uns wohl bewußt, daß auch der Zurückhaltende und Widerstrebende nicht frei ist von der historischen Schuld unserer Generation an der Etablierung des Hitlerstaates.

So haben wir uns gefragt, ob es sich eigentlich lohnt, dieser Mixtur aus sentimentalen Reminiszenzen, Apologie und penetranter.Eigenreklame, geschickt eingebettet in unkomponierte Auszüge aus alten publizistischen Arbeiten über die Stadtgeschichte, so viel Überlegung zu widmen, da jeder kritikfähige ehemalige Mitbürger Charakter und Tendenz des Buches erkennen muß und auch spätere Historiker die groteske Selbstüberschätzung des Herausgebers nicht übersehen können. Doch ist es unmöglich, die sachlichen Unrichtigkeiten, Entstellungen und Legenden, die das Buch enthält, mit Stillschweigen hinzunehmen, wenn vorgebeugt werden soll, daß die Geschichtsschreibung von morgen falsche Akzente setzt. Wir haben uns darum entschlossen, nach herübergeretteten Dokumenten und aus eigenen Erleben bemerkenswerte lokale Ereignisse der Jahre zwischen den Weltkriegen objektiv darzustellen. Es geschieht in diesem Memorandum, das.mit allen beigefügten Drucksachen und Erinnerungsstücken für das Stadtarchiv in Nordhausen bestimmt ist. Dem Bundesarchiv in Koblenz danken wir für die depositarische Übernahme und die Zusicherung, das gesamte Material an das Stadtarchiv in Nordhausen abzugeben, sobald dort eine fachgerechte und objektive Behandlung gewährleistet ist. Wir haben das Bundesarchiv in einem Depositalvertrag ermächtigt, die Archivalien für amtliche Zwecke zu benutzen und auch die Benutzung durch Dritte zu gestatten. Den Herausgeber des Buches "Das 1000jährige Nordhausen und der schöne Südharz" ließen wir eine Ausfertigung unseres Memorandums zustellen.

Bei Sting beginnen die beiden auf die Jahrtausendfeier von 1927 folgenden Jahrzehnte de facto erst 1933. Die Zeit der Wirtschaftskrise, mit der die Verwilderung der politischen Gepflogenheiten einherging, in der die traditionell demokratische Bürgergemeinschaft in Nordhausen nicht zuletzt durch seine Aktivität gesprengt wurde, klammert er in seiner Geschichtsschreibung aus. Das ist schade; denn er ist wie kein anderer prädestiniert, diese dramatischen, für die Stadt so folgenschweren Jahre zu beschreiben, in denen er als "Vorkämpfer Adolf Hitlers" im Südharz und Führer der Nordhäuser Nationalsozialisten mit allen Kräften dazu beitrug, die Weimarer Demokratie umzubringen und für die totalitäre Hakenkreuzpartei die Macht zu erringen. Er agitierte fanatisch für eine Entwicklung, deren Konsequenzen schließlich - gewiß von ihm nicht gewollt, doch das ändert nichts an Ergebnis - zur Zerstörung unserer Heimatstadt und zur Teilung Deutschlands führten. Es ist verständlich, daß sich Sting dieser Zeiten nicht gern erinnert. Er sei, so sagt er neuerdings, Nationalsozialist besonderer Art in Sinne Friedrich Naumanns (siehe Biogr. Register) gewesen, nennt sich Widerstandskämpfer, Vorläufer der Männer des 20. Juli 1944, Wortführer des nationalen Widerstandes (1934!) und Führer der Rebellion von 1934 in Nordhausen. Doch diese Rebellion ist eine Legende. In den "dramatischen Jahr 1934" wurde keineswegs "für die Aufrechterhaltung rechtsstaatlicher Verhältnisse im wahrsten Sinne des Wortes auf.breiter Front gerungen." Rechtsstaatliche Verhältnisse gab es seinerzeit in ganzen Reich schon nicht mehr. Nach den Verbot der sozialdemokratischen und der kommunistischen Parteiorganisationen sowie der "Selbstauflösung" aller anderen Parteien mit Ausnahme der NSDAP hatte Hitler die einseitige Parteiherrschaft bereits so gefestigt, daß sie durch lokale Demonstrationen nicht im geringsten berührt werden konnte. Die "Alten Kämpfer" hatten die Voraussetzungen für den Übergang zur Diktatur allzu eifrig gesichert.

Jedermann wußte damals in Nordhausen, daß zwischen den beiden Altparteigenossen und Kreisleitern Sting und Kaiser (siehe Biogr. Register) ein erbitterter Machtkampf entbrannt war, in dem schließlich auf beiden Seiten um Sein oder Nichtsein gerungen wurde. Es ging dabei um die Führung der Partei in Nordhausen und im Südharz und um Kaisers Ernennung zum Landrat. Sting heizte die Atmosphäre in der Öffentlichkeit an, traktierte Kaiser mit Strafanzeigen und begehrte kühn und hartnäckig ohne Rücksicht auf die politischen Realitäten auch gegen den Gauleiter Sauckel auf, der Kaiser deckte. Damit hatte er aber seine Möglichkeiten überschätzt und seine Parteioberen in eine Lago gebracht, die sie am Ende nur noch disziplinarisch bereinigen konnten. Das Amt des Oberbürgermeisters, in das Sting durch die NSDAP gekommen ist, wurde ihm logischerweise nach seinem Ausschluß aus der Partei wieder entzogen. Seine Niederlage war damit besiegelt. Er hatte die Affäre zu sehr hochgespielt. Sauckel und Keiser setzten sich durch. Es ist einfach absurd, von Sauckels Niederlage zu sprechen, selbst in Anbetracht der späteren Versetzung Keisers als Kreisleiter nach Saalfeld. Daß Sting in diesem Streit ein politischer oder persönlicher Erfolg nicht beschieden sein konnte, war keinem zweifelhaft, der die Machtverhältnisse in Partei und Staat einigermaßen einzuschätzen vermochte.

Die Auseinandersetzungen zwischen Sting und Keiser erregten ungewöhnliches Aufsehen in der Bevölkerung; denn beide waren sich jahrelang einig gewesen in ihrem unverrückbaren Ziel, Adolf Hitler die Macht zu bringen. Mit großer Mehrheit standen die Nordhäuser gegen den militanten Nationalsozialisten Keiser. Der jugendliche Sting dagegen hatte großen Anhang in der HJ, im BDM, aber auch in der Parteiorganisation und in den vielen Vereinen, die er als Oberbürgermeister durch den Besuch zahlreicher Veranstaltungen mit Erfolg umworben hatte. Es gab aber auch viele, die nur amüsiert und unbeteiligt zusahen, wie die "Hoheitsträger" der NSDAP für die Parteikreise Nordhausen-Stadt und Südharz aufeinander einhieben. Die Demonstrationen der Bevölkerung waren gefühlsmäßige Reaktionen. Politische Ziele hatten sie nicht. Wir kennen niemanden, der sich aufgerufen fand, unter Führung von Sting ein Fanal des Widerstandes zu setzen. Die Nordhäuser Bürger wußten sehr wohl, daß jeder Widerstand von unten her damals schon längst aussichtslos geworden war. Nach Stings Enthebung von allen Parteiämtern Ende März 1934 wechselten seine alten Gefährten, von ein paar Ausnahmen abgesehen, stillschweigend zur anderen Seite hinüber und fügten sich den Parteimaßnahmen. Bereits am 25.3.1934 fand in Nordhausen ein Kreiskongreß der NSDAP statt, den Kreisleiter Keiser leitete, Gauleiter Sauckel nahm daran teil und erhielt von der Führerschaft der Parteiorganisationen und den politischen Leitern die Zusicherung unbedingter Gefolgschaft.Zu keiner Stunde war die politische Führung der Partei in Frage gestellt. Die Leitung hatte ihre Mitgliederorganisationen fest an der Hand. Wenn der Preußische Ministerpräsident anläßlich des Strafprozesses gegen Keiser im Oktober 1954 vorübergehend zwei Kompanien Schutzpolizei nach Nordhausen entsandte und alarmbereit halten ließ, so zeugt das von einer völligen Fehleinschätzung der wirklichen Lage und trug zu der Legendenbildung von der Rebellion in Nordhausen erheblich bei. Diese Maßnahmen erstickten zugleich aber auch - was hauptsächlich beabsichtigt gewesen sein mag - jedes Gelüst nach Radau.

Vor sich unter Berufung auf die Geschehnisse in Nordhausen als antinazistischer Widerständler ausgibt, beleidigt die verfolgten, geschundenen Menschen und die Opfer der aktiven Gegner des Hitler-Regimes. Sting selbst hat auch nach der Maßregelung durch die Partei nicht den Eindruck erweckt, als sei er vom Hitlerkult abgerückt. Hier die Schlußworte seiner Rede als Vorsitzender des Heimat- und Verkehrsvereins vor vielen tausend Besuchern des großen Gehegefestes an 26. August 1934: ”Im Andenken an unsere Vorfahren und in Kampf um die neuen Ziele des Nationalsozialismus haben wir diesen Tag begangen. Deutschland, der Führer und die nationalsozialistische Hochburg Nordhausen Kampf Heil! Sieg Heil! Hitler Heil!" Vier Jahre später saß der Redner als Regierungsdirektor in Braunschweigischen Staatsministerium und in Oktober 1940 wurde Pg. Sting laut Pressemeldungen ehrenvoll zum Leiter der Zentralabteilung dieses Ministeriums durch den Führer berufen. Ministerpräsident Klagges (siehe Biogr. Register) war nicht der Mann, der einen Widerstandskämpfer in seiner nächsten Umgebung geduldet hätte.

Sting ist heute wieder Landesbeamter des höheren Dienstes. Er ist in die Führungsspitze der Organisationen der Flüchtlinge aus Mitteldeutschland aufgerückt und tritt auch in Kuratorium Unteilbares Deutschland in Erscheinung. Seit einigen Monaten ist er Träger der Goldenen Ehrennadel des Bundes der Landsmannschaften Provinz Sachsen und Anhalt e.V., dessen Vorsitz er führt. Mit wachen Sinn für wirkungsvolle Public Relations versteht es Heinz Sting, in alter, wohlbekannter Manier durch solche Vereinstätigkeit seine Person, selbst in der politischen Repräsentanz der Bundesrepublik, zur Geltung zu bringen. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür gab er als verantwortlicher Redakteur der Festschrift zum Treffen "seines” Bundes anläßlich des zehnjährigen Bestehens am 12. und. 15. Oktober 1963. Auf der ersten Innenseite des Heftes steht an der Spitze ein Manifest von Heinz Sting. Darunter folgen Grußworte Konrad Adenauers, des Ministerpräsidenten Dr. Diederichs, der damaligen Bundesminister Mischnick und Dr. Barzel, von Erich Ollenhauer - Willy Brandt - Herbert Wehnor und von Dr. Mende. Alle Namen sind in augenfälligen Cicero-Schriftgrad gesetzt. Die Gunstbezeigungen aus der Bundeshauptstadt sind damit auch optisch gebührend hervorgehoben.

Bundeminister, Landesminister und die Vorsitzenden der drei Bundestagsparteien gehörten zu den Gratulanten zu Stings 60. Geburtstag. (Wer soll sich bei all den noch wundern, wenn er eines Tages im Schmuck de Bundesverdienstkreuzes posiert?) Wir müssen es selbstverständlich ganz den Urteil der Herren Minister und führenden Politiker überlassen, ob gerade dieser Mann geeignet ist, die Vorstellungen demokratischer und gesamtdeutscher Politik achtbar und glaubwürdig zu vertreten. Viele rechtschaffene Deutsche, die in heutigen Nordhausen leben müssen und über Stings jetzige wie frühere Tätigkeit informiert sind, finden sein Comeback in den Landsmannschaften der Bundesrepublik unbegreiflich.

Heinz Sting hat schon bald nach seiner Entlassung aus den Internierungslager 1948 den Verein "Nordhäuser Heimatfreunde" gegründet. Dir wissen, daß viele Flüchtlinge seitdem die Gelegenheit des Zusammenseins mit ehemaligen Mitbürgern bei den Veranstaltungen regelmäßig mit Freude wahrnehmen. Manchen von denen, die sich anfangs nur schwur den ihnen fremden Lebensumständen anzupassen vermochten, hat der Verein sicherlich viel bedeutet. Man hätte annehmen dürfen, daß Sting aus der Vergangenheit gelernt, sich geziemender Zurückhaltung befleißigt und bemüht hätte, durch stille Arbeit für die Heimatfreunde frühere Schuld abzutragen. Stattdessen sucht er, den Rederausch verfallen, in aufdringlicher Betriebsamkeit jede Gelegenheit, sich in den Vordergrund zu spielen. Er fordert zornig die Wiedervereinigung und schimpft auf das totalitäre System in der Sowjetzone; er trauert um den Untergang der alten Stadt und schweigt über den tieferen Ursprung allen Unheils. Wer einmal die "Nordhäuser Nachrichten" durchblättert, wird sich des fatalen Eindrucks nicht erwehren können, daß der Herausgeber Sting hier seit Jahren systematisch an der Aufwertung seines Image arbeitet. Darum lohnte manch einer den Beitritt ab und meidet die Tagungen des Vereins, der bei einsichtiger Führung ein Forum der Versöhnung mit der Vergangenheit hätte wurden können. Nicht wenige Nordhäuser Bürger, die sich des oft peinlich lauten Wesens und der stiefelknallenden Großspurigkeit dieses Mannes zu Zeiten seiner Agitation in der Heimat sehr deutlich erinnern, betrachten sein alljährliches Auftreten in Bad Sachsa, wo er einst mit verzehrender Leidenschaft für Adolf Hitler auszog, als Provokation.


Vossische Zeitung Nr. 150
Abend-Ausgabe vom Mittwoch,
dem 29. März 1933, Seite 2


Neue Männer Im Justizministerium
Nach der kürzlich erfolgten Ernennung von Rechtsanwalt Dr. Roland Freisler zum Leiter der Personalabteilung des Preußischen Justiz-Ministeriums an Stelle von Ministerialdirektor Dr. Hartwig ist jetzt auch der kommissarische Leiter für die Straf- und Strafvollzugs-Abteilung ernannt worden: Kammergerichtsrat Goetsch - Berlin. Der neue Leiter der Strafabteilung, der Nachfolger von Ministerialdirektor Dr. Wirth ist, hat lange Zeit einem Zivilsenat des Kammergerichts angehört, er gehört zu den Führern der nationalsozialistischen Fachschaft.
Zum persönlichen Referenten des kommissarischen Justizministers ist Rechtsanwalt Sting aus Nordhausen in das Justizministerium berufen worden. Rechtsanwalt Sing, Gau-Inspekteur der NSDAP, ist 29 Jahre alt. Nach seinem Ausscheiden aus dem preußischen Staatsdienst als Gerichtsassessor aus politischen Gründen, wurde er Anwalt. Er ist Mitglied des Preußischen Landtages.


In anmutiger Schilderung gibt Sting in seinem Buch zum besten, wie er in überzeugenden Wahlen zum Oberbürgermeister auserkoren wurde, mit welcher Großmut er amtierte und wie er durch eine "Fülle von Maßnahmen und Planungen" lauter Wohltat, Freude und Einmütigkeit verbreitete. Die Tatsachen sind viel weniger romantisch. Wir verweisen hierzu auf die Berichte und Berichtigungen aus kundiger Feder in den ergänzenden Teilen dieses Memorandums. Unsere gemeinsamen Beanstandungen beziehen sich vor allem auf die folgenden Punkte.

  • Sting bietet sich als einer der drei letzten Wahl-Oberbürgermeister der 1000jährigen Stadt dar. In seinen Verwaltungsbe richt für das Rechnungsjahr 1935 dagegen nannte er sich betont "erster nationalsozialistischer Oberbürgermeister der Stadt Nordhausen". Mit der Vokabel "Wahl-Oberbürgermeister" manipuliert er sich neben die Oberbürgermeister Dr. Contag und Dr. Baller, die jahrzehntelang die Geschicke der Stadt mit sichtbaren Erfolgen geleitet haben. Für jeden Nordhäuser Bürger, der sich der Umstände der "Wahl" von 26. Juni 1933 erinnert und rechtes Maß zu setzen weiß, ist die Porträttafel in Bildteil des Sting-Buches ein Dokument herausfordernder Arroganz eines Epigonen.
  • Wir haben Bürgermeister Henschel befragt, wie es zu dem Antrag von Dr. Baller auf Beurlaubung vom Amt gekommen ist und erhielten diese Antwort: "Wenn Sting schreibt, er wäre in Berlin von den Gesuch Ballers um Beurlaubung überrascht worden, so ist das einfach nicht wahr. Ich mußte damals in Auftrag von Sting - ich weiß nicht mehr genau, ob er mich persönlich oder über Stadtrat Quelle darum ersucht hat - Baller mitteilen, daß er nicht mehr als Oberbürgermeister erwünscht sei und ihn in eigenen Interesse nahegelegt werde, um seine Beurlaubung nachzusuchen. Ich kann mich dessen noch genau erinnern. Baller war nicht im Stadthaus. Ich rief ihn zu Hause an und traf mich dann mit ihn in der Promenade in der Nähe des Theaters. B. fiel aus allen Wolken und suchte nach Gründen, weshalb er, der doch in keiner Partei gewesen sei, gehen solle. Er vermutete zunächst, daß es mit der Beurlaubung des Polizeioberinspektors Klaus, die er 1 oder 2 Tage vorher verfügt hatte, zusammenhinge. Ich sagte ihm schließlich, daß er den Stuhl räumen müsse, weil Sting Oberbürgermeister werden wolle; wenn dieser sich mit dem Posten des 2. Bürgermeisters begnügen würde, hätte selbstverständlich ich gehen müssen. Zwischen Baller und den örtlichen Parteidienststellen war es keineswegs zu besonderen Gegensätzen, soweit sie sich nicht sowieso aus der damaligen Situation ergaben, gekommen, wie es Sting heute wahrhaben will. In Nordhausen passierte in jenen entscheidenden Tagen nichts ohne Wissen und Wollen Stings, auch wenn er in Berlin war."
  • Sting hebt hervor, daß er die durch die neuen Verhältnisse bedingten personellen Veränderungen 1953 in möglichst milden Formen, also vor allem unter Wahrung der wohlerworbenen Rechte auf Pension, vorgenommen habe. So sei dar sozialdemokratische Stadtrat Pabst (siehe Biogr. Register) mit Rücksicht auf seine einwandfreie Amtsführung ohne Kränkung verabschiedet und in den Ruhestand versetzt worden. In einer notariell beglaubigten Erklärung vom 6. Mai 1947 schrieb Albert Pabst: "Auch ich selbst wurde um diese Zeit meines Amtes enthoben und dabei (von Sting) so unter Druck gesetzt, daß ich auf die Hälfte der mir zustehenden Pension verzichten mußte.” Nachdem Sting entlassen war, ordnete Bürgermeister Henschel an, die Pension des Herrn Pabst nach den eindeutigen Vorschriften des Versorgungsrechts und des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums korrekt neu festzusetzen. Auch das bestätigt Pabst in der vorgenannten Erklärung.
    Ähnlich liegt der Fall des Landtagsabgeordneten Johannes Kleinspehn (siehe Biogr. Register). Näheres hierüber ist aus der als Anlage hier beigefügten Erklärung des Sohnes des in Konzentrationslager umgekommenen Sozialdemokraten vom 9. April 1967 zu entnehmen.
  • Sting feiert sich als Manager des kommunalen Aufbaus. Lesen wir, was Kommunalfachleute der damaligen Zeit dazu berichten: Unsere alte Stadt Nordhausen besaß 1933 an kommunalen Einrichtungen alles, was ein Gemeinwesen dieser Größenordnung sich nur wünschen konnte. Es kam hauptsächlich darauf an, das Bestehende zu erhalten und den steigenden Ansprüchen einer stetig zunehmenden Bevölkerung anzupassen. Die Finanzen der Stadt waren dank der gesunden Struktur der heimischen Wirtschaft aus den Krisenjahren durchaus geordnet hervorgegangen. Umsichtige Haushaltspolitik des Oberbürgermeisters Dr. Baller und der Stadtkämmerer hatten die Stadt vor langfristiger Verschuldung und größeren Fehlbeträgen bewahrt. Sting übernahm einen intakten Verwaltungs- und Beamtenapparat. Der Behördenbetrieb ging ungestört weiter. Auf kommunalem Gebiet gab es keine Versäumnisse, die nach der "Umwälzung" von den ersten nationalsozialistischen Oberbürgermeister hätten nachgeholt werden müssen. In Gegenteil, Sting konnte auf einigen Gebieten die reifen Früchte ernten, die schon vor seiner Amtsübemahne herangewacheun waren zu einer Zeit, in der sich die besten Kräfte des demokratischen Gemeinwesens abgemüht hatten, den wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten abzuhelfen, während Sting zusammen mit Kaiser, Quelle, Klagges, Hirt und Anhang mit den Deutschland -erwache- Methoden ihrer Partei gegen die bestehende Ordnung gehetzt und die Krise auch in kommunalen Bereich angeheizt hatten. Ein Blick in die Zeittafel der Jahre von 1927 bis zur Machtergreifung läßt erkennen, daß die städtische Führung damals trotz der unablässigen Auseinandersetzungen mit den rechts- und linksradikalen Krawallmachern eine ganze Reihe für den kommunalen Fortschritt bedeutsamer Projekte verwirklicht hat.
  • Freilich hatte auch in Nordhausen die Arbeitslosigkeit einen bedenklichen Stand erreicht. An 1. Mai 1933 unterstützte das Städtische Wohlfahrtsamt fast 1800 und das Arbeitsamt weitere Erwerbslose in nicht mehr bekannter Anzahl. Auf kommunaler Ebene ließ sich diese Entwicklung kaum beeinflussen. Die Wende zum Besseren war vor allem von einer allgemeinen Belebung der deutschen Wirtschaft abhängig. Die Stadt hatte sich Jahr um Jahr bemüht, geeignete Bauprojekte als Notstandsarbeit auszuführen und damit Beschäftigung für Wohlfahrtserwerbslose zu schaffen. Allein bei der Errichtung der Volksbadeanlage in Jahre 1927 leisteten Notstandsarbeiter 7380 Tagewerke. Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit war ein langwieriger Prozeß. Am 1. Mai 1936 betreute das städtische Wohlfahrtsamt noch immer 415 Erwerbslose. Die Behauptung Stings in seinen Buch, daß Nordhausen in seiner episodenhaften Ära als Oberbürgermeister auf den Gebiete des wirtschaftlichen Aufbaus innerhalb der Provinz Sachsen eine Spitzenstellung (die er natürlich zu erhalten wußte) besessen haben soll, ist zum mindesten eine Übertreibung.
    Das andere Problem von sozialer Tragweite war der Wohnungsmangel. Diu Stadt hatte von 1919 bis 1932 dem Wohnungsmarkt rund 1800 neue Wohnungen zugeführt, die teils in eigener Regie, teils mit städtischer Unterstützung durch Abgabe wohlfeilen Baugeländes und sonstige Finanzierungshilfe von gemeinnützigen Bauträgern und privaten Bauherren errichtet worden waren. Trotz dieser beachtlichen Initiative in schweren Jahren bestand 1933 noch ein erheblicher Wohnungsbedarf. Jetzt konnte mit den 3. und 4. Bauabschnitt des Projektes der Stadtrandsiedlung begonnen werden, nachdem die Stadtgemeinde im Juli 1932 ein Reichsbaudarlehn von 75000 RM und später weitere Mittel von rd. 240 000.-RM erhalten hatte. Dabei wurde auch in Nordhausen nach den lange vor der Machtergreifung der NSDAP ergangenen Richtlinien des Reichskommissars für die vorstädtische Siedlung über die bauliche und wirtschaftliche Einrichtung der Siedlerstellen, die Auswahl der Siedler nach sozialen Gesichtspunkten und die stärkste Einschaltung des Siedlers beim Hausbau verfahren. Der erste Bauabschnitt der Stadtrandsiedlung mit 24 Siedlerstellen entstand kurz nach dem 1. Weltkrieg. Sie erhielt damals den amtlichen Namen Niedersalza.
    Eine spürbare Minderung des Mangels an Mittel- und Kleinwohnungen erzielte die Stadt erst in den Jahren 1936/39 in der Amtszeit des Oberbürgermeisters Dr. Meister (siehe Biogr. Register).
  • Sting nennt als einen "seiner" Lieblingspläne im Rahmen des kommunalen Aufbaus die lückenlose Erschließung der historischen Unwallung der tausendjährigen Stadt für die Öffentlichkeit. Die Wahrheit über dieses Vorhaben, das langjährigen Wünschen der Bürgerschaft entsprach, kann der Leser leicht aus dem Abschnitt "Der Promenadenweg um die Nordhäuser Stadtmauern" ersehen. Auch sonst noch gibt es einiges zu Stings kommunalen Aufbau zu bemerken:
    • Falsch ist der Text "Stadtumwallung Domstraße neu erschlossen" auf der Bildseite "Kulturelle Arbeit 1934"
    • Die Schenkung der Freimaurerloge war kein freiwilliger Akt zur Ehre des Herrn Sting. Nachdem die Loge in ganzen Reichsgebiet aufgelöst worden war, mußte sie sich auch in Nordhausen in geeigneter Form von ihren Eigentum trennen.
    • Die ausnahmslos überalterten Straßenbahnwagen, die seit dem 25. August 1900 verkehrten, ersetzte die Direktion des Stadt. Elektrizitätswerks durch Neubeschaffung, teils aus Rücklagen, teils aus Sondermitteln. Das war ein zwangsläufiger Vorgang ordnungsmäßiger Betriebsführung, nicht aber eine Aufbaumaßnahme des ersten nationalsozialistischen Oberbürgermeisters. Es mag sein, daß Sting das schönere goldgelbe "Gewand" der Wagen ausgesucht hat. Bereits im Mai 1931 hatte die Stadtverordnetenversammlung die Vorlage des Magistrats über den Umbau der Straßenbahnanlage und die Sicherung der elektrischen Stromversorgung einstimmig genehmigt und die veranschlagten Mittel in Höhe von 950 000 RM bereitgestellt. Im Januar 1933 beschloß die Stadtverordnetenversammlung die Aufnahme eines Darlehns von 1/2 Mio. RM für die Neuverlegung von Straßenbahngleisen in der Stolberger Straße und für Straßenverbesserungen.
    • Der Neubau des Feuerwehrhauses in der Hohekreuzstraße wurde an 1. Juni 1935 Bürgerschaft übergeben. Die von Sting genannte Jahreszahl 1934 ist falsch. Finanzierung und Planung dieses Bauvorhabens waren schon in der Amtszeit des Oberbürgermeisters Dr. Baller zum Abschluß gekommen. Mit den Bauarbeiten wurde 1934 begonnen.
    • Die von Sting erwähnte "Nordhäuser Handwerksmesse", die sich seiner besonderen Förderung erfreute, hatte den offiziellen Namen "Braune Messe". Träger der Veranstaltung war das Institut für deutsche Wirtschaftspropaganda, Sitz Berlin, ein von der NSDAP beeinflußtes Unternehmen, das zuvor in Berlin, Gotha und Erfurt unter denselben Nauen gleichartige Ausstellungen abgewickelt hatte. Der örtliche Leiter der Braunen Messe war der Maschineningenieur Stadtverordneter Georg Piesold.
    • Sting soll sich, wie es in seinen Buch heißt, nit Erfolg bemüht haben, die Historischen Konzerte, die seit 1927 im Meyenburg-Museum stattfanden, in eine breitere Beachtung durch die Bevölkerung zu stellen und sie deshalb an warmen Sommerabenden auch im blühenden Garten des Museums durchzuführen (S. 46). Das ist unzutreffend. In den Garten wurden die Harzer Mitternachtsmusiken abgehalten, die auf Initiative und unter Regie des Landesfremdenverkehrsverbandes gleichzeitig in 11 weiteren Harzrandorten veranstaltet wurden. Die erste Mitternachtsmusik fand an 1. Juni 1934 statt. Weitere folgten jeweils an Monatsersten des Juli, August und September 1934 und in dun gleichen Turnus auch in den späteren Jahren bis zum Ausbruch des Krieges.
    • Der Abdruck der Festpostkarte zum Martinstag 1933 in Stings Buch stimmt nicht so ganz überein mit dem Urbild, das hierneben zum Vergleichen eingefügt ist.
    • Fremdenverkehrswerbung trieb die Stadt systematisch schon seit vielen Jahren vor der Machtergreifung mit den verschiedenartigsten Werbeträgern, darunter Postreklamestempel und Prospekten.
    • Von 1902 bis 1926 hat ein Verkehrsverein unter seinen Vorsitzenden, Oberbürgermeister Dr. Contag, Beachtliches geleistet. Der Verein löste sich auf und überließ seine Aufgaben dem neu gegründeten Verkehrsamt der Stadt, da die zunehmenden Anforderungen der Fremdenverkehrswirtschaft auf ehrenamtlicher Basis nicht mehr zu bewältigen waren. Stings Neugründung, der Heimat- und Verkehrsverein "Das schöne Nordhausen”,ist auch in späteren Jahren hauptsächlich als Veranstalter von Volksfesten hervorgetreten. Über den Status eines Anhängsels des städtischen Verkehrsamtes ist der Verein nie hinausgewachsen.
    • In der Zeit zwischen den Weltkriegen bemühten sich städtische Institutionen gemeinsam, mit der Industrie- und Handelskammer fortgesetzt um die Verbesserung der Eisenbahnverbindungen. Manche ihrer Fahrplananträge wurden über Jahre hinweg bei den Reichsbahndirektionen immer wieder vorgebracht und begründet, so zum Beispiel der Wunsch auf Einlegung des Eilzugpaares Nordhausen-Paderborn, der im Sommerfahrplan 1933 erfüllt wurde. In Jahresfahrplan 1934 wurde das neue Zugpaar dann ganzjährig beibehalten. Die "kommunale Aufbauarbeit” des Oberbürgermeisters Sting war hieran in keiner Form beteiligt.
    • Sting beklagt mit Recht (S. 258), daß linksradikale Bilderstürmer das Jung-Siegfried-Denkmal unmittelbar nach dem Einmarsch der Amerikaner in April 1945 von seinem Postament gestürzt haben. Die Vorverhandlungen über die Errichtung dieses Denkmals hatte er selbst als Oberbürgermeister noch geführt. Es wurde an 13. März 1936 geweiht und hieß offiziell "Wehrfreiheitsdenkmal”. Der Sockel trug die Aufschrift:
      Den wehrhaften deutschen Volke
      Adolf Hitler ewigen Dank für den 16. März 1935.
      Dem Bildersturm der Linksradikalen ist auch das am 1. Juli 1900 enthüllte Bismarckdenkmal am Ende der Promenade zum Opfer gefallen. Über das Schicksal des Schlageter- und Horst-Wessel-Denkmals sagt Sting nichts aus. Es stand am Eingang zum Stadtpark auf dem Platz des Friedrich-Ebert-Denkmals, das rechtsradikale Bilderstürmer alsbald nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten niedergerisson hatten. Die Weihe des Schlageter- und Horst-Wessel-Denkmals an 24.9.1933 hatte Ortsgruppenleiter Oberbürgermeister Sting zu einem Tag der alten Garde der NSDAP in Nordhausen ausgestaltet. Bei der Feier am Denkmal hielt er die Weiherede. Dann hieß er die alten Kämpfer der Partei in Stadtverordnetunsitzungssaal willkommen und ließ sie sich in das Goldene Buch der tausendjährigen Stadt eintragen. An diesem Tag der alten Garde stellte Oberbürgermeister Sting der NSDaP das evangelische Vereinshaus, das er in Adolf-Hitler-Haus unbenannte, für die politische Erziehungsarbeit zur Verfügung. Ferner übergab er das bisherige "Haus der Jugend", das die Stadt gekauft hatte, den nationalsozialistischen Formationen zur Benutzung und benannte es "Horst-Wessel-Heim".
  • Dem Oberbürgermeister der aufstrebenden Stadt stellten sich 1933/ 34 naturgemäß auf längere Sicht auch größere Aufgaben des kommunalen Fortschritts, die neben Erfahrung und Sachkunde ein hohes Maß an Verwaltungskunst voraussetzten. Hierzu gehörten die Erweiterung des städtischen Krankenhauses an Taschenberg oder dessen Neubau an anderer Stelle, die Errichtung eines neuen Sparkassen- und Verwaltungsgebäudes, sowie zweier großer Schulhäuser und einer modernen Turnhalle, die Erschliessung neuen Siedlungs- und Industriegeländes südlich des Bahnkorridors und Untertunnelung des Bahnhofsgeländes, die Frage der Eingemeindung von Salza und Crimderode, aufwendige Tiefbautun wie der Ausbau der Kasselerstraße, die Verbreiterung der Rumbachstraße, der seit langem vorgesehene Straßendurchbruch von der Bahnhofstraße über die Lesserstiege zur Rautenstraße, ferner auch einige mit unpopulären Eingriffen in das altvertraute Straßenbild verbundene Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse, nämlich die Vorlegung des Lutherund des Neptunbrunnens sowie die Herausnahme des Wochenmarktes aus den Engpässen um das Rathaus. Stings Bericht über den angeblichen kommunalen Aufbau enthält nicht einmal eine Andeutung dieses kommunalpolitischen Programms.
  • Sting betitelt einen Abschnitt seines Buches "An Nordhausens Schulen". Dort und auf 3 Bildseiten stehen freundliche Beiträge aus dem Schatz persönlicher Erinnerungen eines kleinen Kreises ehemaliger Besucher der höheren Schulen. Ein ernsthafter Beitrag über das Staatl. Realgymnasium, das 1935 sein hundertjähriges Bestehen feiern konnte, fehlt. Zwei schulgeschichtliche Abschnitte behandeln lediglich das Staatl. Gymnasium und das Städtische Oberlyzeum. Die anderen modernen Schulen der Stadt hat der ehemalige Oberbürgermeister in seiner Geschichtsschreibung nicht einmal erwähnt.
  • Sting findet kein Wort des Gedenkens für die ausgetriebenen und vergasten Nordhäuser Juden, deren Leidensweg am 1. April 1933 mit den von der Reichsleitung der NSDAP zentral gesteuerten Boykott jüdischer Geschäfte begann. Damals war Sting Leiter der Nordhäuser Ortsgruppe der Partei, nationalsozialistischer Stadtverordnetenvorsteher, Gauinspokteur des Gaues Thüringen der NSDAP und nationalsozialisticher Landtagsabgeordneter in einer Person.

Sting hat in einer gärenden Zeit, in der die Stadt der abwägenden, ausgleichenden Führung bedurfte, durch seinen forcierten ”Idealismus" dauernde Unruhe, Zwietracht und Schwierigkeiten in Nordhausen herbeigeführt, bis er gescheitert war und ihm das Amt des Oberbürgermeisters entzogen wurde. Das hindert ihn nicht, sich in eigenen Publikationen selbst zu den verdienten Persönlichkeiten unserer Heimat zu zählen. Diesem Anspruch dient die Verharmlosung jener schrecklichen Zeit der "Umwälzung", dienen die Manipulationen von Tatsachen und Motiven in seinem Buch. Wir haben mit Unbehagen wahrgenommen, wie er aus der Ich-Perspektive über sich erzählt, wie er formuliert, manches hinzusetzt, vieles verschweigt und die Last der Vergangenheit von sich abzuwälzen sucht. Es schien uns Pflicht, die Tendenz des Buches über das 1000-jährige Nordhausen und den schönen Südharz für die Nachgeborenen zu verdeutlichen.

Unterzeichnet im Juli/August/September 1969:


Unterzeichnerliste


Albrecht, Emil, Kaufmann, 3423 Bad Sachsa, Lessingstraße 11, von 1927 bis 1944 Kaufmännischer Leiter in Nordhausen, Kriegsteilnehmer von Juli 1944 bis Kriegsende
Ernst, Walter, Bankdirektor, 6 Frankfurt a.M. 1, Im Sachsenlager 9, von 1921 bis 1951 Bankkaufmann in Nordhausen, Kriegsteilnehmer von 1943 bis 1945
Feuchte, Hermann, Legationsrat I.Kl.a. D., 2 Hamburg 73, Farmsener Zoll 10, von 1926 bis 1935 Verkehrsamtsleiter und bis 1933 Geschäftsführer der Wirtschafts- und Verkehrsgemeinschaft Südharz-Kyffhäuser, vom 13. November 1934 bis Ende 1939 Stadtverwaltungsdirektor in Nordhausen
Flies, Günter, Rechtsanwalt und Notar, 3423 Bad Sachsa, Bismarckstraße 1b, von 1933 bis 1946 Rechtsanwalt in Nordhausen, Kriegsteilnehmer von 1939 bis 1945
Frings, Bruno, Rechtsanwalt und Notar, 433 Mühlheim/Ruhr, Muhrenkamp 35, von Geburt bis 1932 (Abitur) ständig in Nordhausen, anschließend bis 1939 Hauptwohnsitz daselbst, Kriegsteilnehmer von 1939 - 1945, als Stabsoffizier bis 1951 in jugoslawischer Zuchthaushaft
Hagelstange, Rudolf, Schriftsteller, 777 Unteruhldingen (Bodensee), Bergstraße 103, Inhaber des Großen Bundesverdienstkreuzes, von Geburt bis 1946 in Nordhausen ansässig, 1935 bis 1940 Feuilletonredakteur an der "Nordhäuser Zeitung", Kriegsteilnehmer von 1940 bis 1945
Henschel, Kurt, Rechtsanwalt und Notar, 3548 Arolsen, Pyrmonterstrasse 44, vom 23. Mai 1932 bis 1945 Bürgermeister und Stadtkämmerer in Nordhausen, Kriegsteilnehmer von 1939 bis 1945
Kindel, Richard, Stadtangestellter, 33 Braunschweig, Wilmerdingstraße 6, von 1921 bis 1951 vom kaufmännischen Lehrling der Firma Julius Fischer, Maschinenfabrik in Nordhausen
Müller[2], Hanna, Bibliothekarin am Staatsarchiv, 4930 Detmold, Marienstraße 68, von 1928 bis 1954 Bibliothekarin in der Städt. Volksbücherei, sowie - mit Unterbrechung in den Kriegsjahren 1939/1945 - Assistenin im Staatsarchiv und in den städt. Museen in Nordhausen
Nebelung, Theodor, Dr. jur., Journalist, 608 Groß-Gerau, Adam-Rauch-Straße 5, Kreisvorsitzender und Mitglied des Landesvorstandes Hessen des Gesamtverbandes der Sowjetzonenflüchtlinge, Inhaber des Bundesverdienstkreuzes am Bande, von 1931 bis 1943 Chefredakteur der "Nordhäuser Zeitung". Teilnehmer an beiden Weltkriegen.
Peschken, Jacob, Dr.rer.pol., Gemeindedirektor a. D., 493 Detmold, Bandelstraße 21, von 1925 bis 1945 Hauptgeschäftsführer und Syndikus der Industrie- und Handelskammer Nordhausen, Kriegsteilnehmer von 1.9.1939 bis 1945 und 1917/1918
Petersen, Hans, Stadtrat a. D., 3423 Bad Sachsa, Hohebergstrasse 7, von 1918 bis 1938 Studienreferendar, -Assessor und 1935 bis 31.12.1938 ehrenamtlicher Beigeordneter und Schuldezernent, vom 1.1.1939 bis 1945 hauptamtlicher Stadtrat in Nordhausen (Teilnehmer beider Weltkriege)
Rost, Paul, Uhrmachermeister, 3389 Braunlage, Am Brunnen 5, von 1921 bis zur Zerstörung am 3.4.1945 Inhaber eines Uhrenfachgeschäfts in Nordhausen, Kaltegasse 10, gegründet 1821 von dem urgroßvater. Das Beschäft befand sich in der vierten Generation im Familienbesitz
Schmidt, Conrad, Kaufmann, 605 Offenbach/M., Humboldtstraße 5, von 1923 bis 1953 Brennereibesitzer, Inhaber der Brennerei und Likörfabrik Conrad Schmidt in Nordhausen (seit 1885 im Familienbesitz) Kriegsteilnehmer von 1939 bis 1945 und 1917/18
Uhley, Rudolf, Geschäftsführer, 505 Porz-Eil b. Köln, Bergerstraße 166, früher Brennereibesitzer, vom 1.10.1908 bis 4.4.1945 Inhaber der Firma Oskar Uhley, Kornbranntweinbrennerei in Nordhausen (seit 1888 im Familienbesitz), vom 1.3.1939 bis 1945 Präsident der Industrie- und Handelskammer Nordhausen, von 1935 bis 1945 ehrenamtlicher Beigeordneter der Stadt Nordhausen.
Völmicke, Karl Stefan, Dr.rer.pol., Steuerberater, 605 Offenbach/M., Buchhügelallee 61, von 1929 bis 1953 Steuerberater in Nordhausen, Kriegsteilnehmer von 1943 bis 1945


  1. Siehe Vermerk Blatt I - 18
  2. Der Unterzeichnerin Hanna Müller hat am 6.10.1968 gebeten, ihren Namen im Zusammenhang mit dem Memorandum nicht mehr zu nennen.