Heimatkundliches Lesebuch für den Kreis Nordhausen
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Heimatkundliches
Lesebuch für den Kreis Nordhausen
Herausgegeben vom Pädagogischen Kreiskabinett
der Abteilung Volksbildung beim Rat des Kreises Nordhausen
Federzeichnung: Fritz Teichmüller (34), Ewald Streletzki (4) Karten: Hermann Echtermeyer, Georg Kohlhause Einbandentwurf: Klaus Grosche Grafische Beratung: Ewald Streletzki Fotografische Beratung: Gerhard Schulze Redaktionskollegium: Verantwortlich für den Inhalt: Pädagogisches Kreiskabinett, Abteilung Volksbildung, Rat des Kreises Nordhausen
Die Beiträge sind für den Schulgebrauch zugelassen und für die Hand der Schüler bestimmt
An die jungen Leser! Eure Lehrer haben für euch dieses Buch geschrieben und die Bilder gezeichnet oder fotografiert. Viele andere haben ihnen dabei geholfen. Fast alle mußten dazu ihre freie Zeit benutzen. Dieses Heimatkundliche Lesebuch soll euch von der Geschichte und der Arbeit der Menschen unseres Kreises in früherer und heutiger Zeit erzählen. Es soll euch auf viele Dinge und Vorgänge in der Natur aufmerksam machen, an denen ihr sonst vielleicht achtlos vorübergeht. Es soll euch zeigen, daß durch die mühsame und harte Arbeit der Menschen die Natur und unser Leben verändert wurden, daß vieles besser geworden ist, daß aber auch noch viele Aufgaben vor uns liegen. Eure Lehrer wünschen, daß ihr eure Heimat noch besser kennenlernt und daß ihr den Bauern, den Arbeiter an der Werkbank, den Kumpel unter Tage, den Mann im Steinbruch und in der Fabrik, den Waldarbeiter und alle die vielen anderen, die still und unermüdlich ihre Pflicht erfüllen, achtet. Sie sind es, deren fleißige Hände immer neue Werte schaffen. Ich möchte allen denen, die zum Gelingen dieses Buches beitrugen, an dieser Stelle danken für ihren Fleiß, ihren Eifer und ihre Ratschläge. So möge denn dieses Buch hinausgehen, euch in der Schule helfen und euch Freude bringen.
Unsre Heimat, Aus der Vergangenheit und Gegenwart unserer KreisstadtVon alten Mauern, Gräben und PergamentenIhr spielt gern Kriegen und Verstecken. Ist das ein Spaß, wenn ihr durch dunkle Kellergänge tobt und über knarrende Hausböden rennt, daß der Staub wirbelt! Und auf der Stadtmauer klettert ihr auch gern herum, nicht wahr ? Das ist doch herrlich, auf dem alten Gemäuer entlangzulaufen, daß die Steine prasseln und der Mörtel bröckelt. Doch dabei beschädigt ihr die Stadtmauer. Einstmals war sie der Stolz der Bürger. Viele Menschen mußten lange und fleißig arbeiten, bis sie so hoch und fest war, daß sie die Stadt gegen Feinde schützen konnte. Heute ist sie längst verfallen. Wir brauchen sie nicht mehr. Aber deshalb muß sie nicht zerstört werden. Sicher wollt ihr das auch gar nicht. Die Stadtmauer soll zur Erinnerung an alte Zeiten noch viele Jahre erhalten bleiben. Aber noch andere Dinge sind wert, vor der Vernichtung bewahrt zu werden. In der Ruine der Petrikirche steht eine große Sandsteinplatte. Vor Jahrhunderten wurde sie von einem Künstler behauen. In mühseliger Arbeit entstand auf dem Stein das Bild eines Mannes mit einem großen spanischen Kragen. Wir wissen nicht mehr, wen es darstellt: vielleicht einen Herzog oder einen Bischof ? Heute finden wir nur noch die Platte, das Bild aber kaum noch. Durch Steinwürfe wurde es abgeschlagen. Wieder ist uns ein altes Kunstwerk verlorengegangen. Denkmäler und Gräber müssen geschont werden. Sie erzählen uns nämlich viel Interessantes aus früheren Zeiten. Schaut sie nur einmal genau an! Vorsichtig muß man auch mit alten Urkunden und Büchern umgehen. Ihr denkt, die kann man verbrennen. Das darf man aber nicht. Sie sind sehr wertvoll. Urkunden wurden früher mit der Hand geschrieben, und zwar mit dem Gänsekiel. Die Druckerkunst wurde erst viel später erfunden. Da unsere Vorfahren auch Papier noch nicht kannten, schrieben sie Urkunden auf gegerbte Tierhäute, sogenannte Pergamente. Hätten wir die Pergamente nicht, wüßten wir nichts aus alter Zeit. Auf ihnen liest man vom Bau der Befestigungsanlagen und der Wehrgänge, der Stadttürme und der Wachttürme. Man liest vom Leben unserer Vorfahren. Die ältesten Schriften sind heute wohl 1000 Jahre alt. Viele Wissenschaftler studieren sie. Verstaubt und grau, rissig und fleckig, abgegriffen und unschön sehen die Pergamente aus. Durch Kriege und Brände wurden viele vernichtet. Nur manchmal noch finden wir einzelne Blätter oder wertvolle Bücher auf verstaubten Böden, in alten Truhen oder unter vielerlei wertlosem Papier. Wenn ihr welche findet, werdet ihr nichts davon haben. Ihr könnt sie nicht lesen. Aber im Museum werden sie gesammelt. Dort werden sie gelesen, und was interessant ist, wird neu gedruckt. In großen Glaskästen aber werden die alten Schriften ausgestellt. Aller Schmutz und Staub wird von ihnen entfernt. Dann erglänzen sie wieder in leuchtenden Darben. Lohnt es nicht, solche Altertümer vor Zerstörung zu bewahren ? Jeder kann dabei helfen! Ihr merkt schon: Die zerfallene Stadtmauer und die alten Denkmäler und Grabsteine, die Pergamente und die vergilbten Bücher sind wirklich Schätze, die wir alle hüten und schützen müssen. Wo heute die Finkenburg stehtNordhausen ist über 1000 Jahre alt. Niemand kann heute mehr genau sagen, wie die Stadt vor so langer Zeit entstanden ist. Aber es könnte so gewesen sein: Schon vor mehr als tausend Jahren kreuzten sich dort, wo heute der Kornmarkt liegt, zwei wichtige Handelsstraßen. Die eine führte von Osten nach Westen, die andere von Norden nach Süden. Dort also traf damals eine Wagenkolonne mit einer Reiterschar zusammen. Bei den schwerbeladenen Planwagen ritten Männer, die unter ihrem Lederwams einen leichten Kettenpanzer und am Sattel ein Schwert trugen. Es waren Kaufleute, die weither aus Westfalen kamen und ihre Ware verkaufen wollten: Tuche, eiserne Geräte, Schmuck und andere Kostbarkeiten. Gern besuchten sie die von den Franken angelegten und befestigten Königshöfe. Die Ritter mit ihren Knappen hielten bei den Wagen an. Gruß und Gegengruß erschollen. „Wohin des Weges, ihr Männer V‘ wandte sich der vornehmste unter den Reitern an die Händler. „Nach Northusen, Herr , wurde ihm zur Antwort. „Wir reisen in des Königs Schutz. In der Sicherheit des Hofes wollen wir einen Markt halten, dann wird uns der Weg weiter nach Sonnenaufgang führen.“ „Da habt ihr’s bald geschafft“, erwiderte der Vornehme, „am Fuße dieses Berges da, des Frauenberges, liegt der Königshof. Man erwartet euch mit Ungeduld. Auch fragte schon mancher Bote aus den Dörfern, wann ihr eintreffen würdet.“ ,,Es ist gut, daß Friede im Lande herrscht“, sprach einer von den Kaufleuten. ..Auch des Königs befestigter Ort Northusen könnte uns nicht schützen, wenn die Reiterscharen der Hunnen hereinbrächen.“ ..Geduld, ihr Männer!“ versetzte der reichgekleidete Ritter und ließ den Blick über das Gelände schweifen. „Der Plan ist fertig: Übers Jahr, wenn ihr wiederkehrt, wird man dort drüben, wo der Berg steil zum Flusse abfällt, eine starke Burg bauen. Ihr könnt dann ohne Furcht hier auf der Höhe, wo sich die Straßen kreuzen, euren Markt abhalten.“ Damit spornte er sein Roß und ritt mit seinen Begleitern davon. Die Kaufleute schauten ihm verwundert nach. Dann ging es mit hü und hott den Berg hinab dem Ziel entgegen. Hier erfuhren sie vom königlichen Vogt, daß sie dem König Heinrich begegnet waren. Er hatte einige Tage in Northusen geweilt, um den besten Platz für eine feste Burg auf der Höhe auszuwählen. Wie geplant, wuchsen am Steilhang, da, wo heute die Finkenburg und die ehemalige Loge stehen, die Burgmauern empor. Weit konnte man von dort aus ins Land hinaussehen. Hier schaltete der Burgvogt im Namen des Königs und sorgte für Frieden in der Umgebung. Ihm dienten Ritter und Knappen, die mit ihm in der Burg wohnten. Neben der Burg lagen Stallungen, Scheunen und Vorratshäuser. Schmiede, Sattler und Harnischmacher, Schuhmacher, Schneider, Fleischer und Bäcker wohnten im Schutze der Burg. Unterhalb dieser klapperte die Mühle am Mühlgraben und mahlte Mehl aus dem Korn, das die Bauern aus den Dörfern als Steuer ablieferten. Jahr für Jahr waren die reisenden Kaufleute wiedergekommen und hatten an eben der Kreuzung, wo sie einst dem König begegnet waren, ihren Markt abgehalten. Schließlich hatten einige von ihnen statt der Marktbuden feste Häuser gebaut und waren wohnen geblieben. Im Laufe der Jahre waren viele, viele Menschen von nah und fern, vor allem aus den Orten der Goldenen Aue und des nahen Eichsfeldes, hier zugewandert, um als Zimmerleute und Maurer, Tischler und Weber, Bäcker und Fleischer, Schuhmacher oder Händler ihr Brot zu verdienen. Sie kamen aber meistens deshalb, weil sie in dieser neuentstehenden Stadt frei wurden und nicht mehr den adligen Grundherren und Klöstern dienen mußten. Sie wußten: Stadtluft macht frei. Da die vielen Menschen viel Nahrung, Kleidung und Arbeitsgerät brauchten, wurde es bald nötig, nicht mehr ein- oder zweimal im Jahre, sondern allwöchentlich Markt abzuhalten. So wurde der Marktplatz der Mittelpunkt der Stadt. An ihm erbaute die Bürgerschaft die Marktkirche und das Rathaus. Um diesen Mittelpunkt herum entstanden Gassen, Plätze und Stadtviertel. Schließlich wurde die Siedlung mit einer hohen steinernen Mauer umgeben. So entwickelte sich in Jahrhunderten aus König Heinrichs Burg und der Marktsiedlung der Kaufleute das mittelalterliche Nordhausen. Der Kampf der Nordhäuser von den „Barfüßern“ 1329Nordhausen war einst eine stolze Stadt. Einmal hatten die Nordhäuser sechzig Patrizier, reiche Handels- und Ratsherren, aus ihren Mauern vertrieben. Diese gedachten, mit Gewalt zurückzukehren und sich zu rächen. Sie suchten Schutz bei dem Grafen von Hohenstein und einigen anderen Rittern. Die Adligen waren froh, Männer zu bekommen, die alle Zugangswege zur Stadt und diese selbst genau kannten. Sie beschlossen, sie mit Hilfe der Vertriebenen zu erstürmen. In einer regnerischen Aprilnacht des Jahres 1329 bewegte sich ein dunkler Haufe Gewappneter auf Nordhausen zu. Kein Wort fiel. Nur ab und zu hörte man das Schnauben eines Rosses, das Klirren eines Steigbügels oder einer Waffe. So gelangte man noch vor Morgengrauen unbemerkt bis ans Altentor. Zu spät stießen die überraschten Wächter ins Horn. Das Tor erdröhnte unter den krachenden Schlägen der Angreifer und wurde erbrochen. Mit lautem Kampfgeschrei drang der Haufe die Barfüßerstraße hinauf. Doch schon waren die Nordhäuser da. In jenen unsicheren Zeiten waren sie zu jeder Stunde auf einen Überfall gefaßt. Jeder hatte seine Waffe im Haus und wußte, was er zu tun hatte, wenn die Sturmglocke ertönte. Aus Türen und Toren, Straßen und Seitengassen drangen sie hervor und warfen sich dem Feind entgegen. Allen voran der Bürgermeister Hellwig von Harzungen. Zwar fiel er, tapfer kämpfend, und mit ihm wurden drei weitere Bürger erschlagen. Doch die Eingedrungenen, von allen Seiten eingeschlossen, vermochten sich nicht zu halten. Sie wurden zurückgeworfen, und der ganze Haufe flutete schließlich in wilder Flucht durch dasselbe Tor zurück, durch das er gekommen war. Eine große Anzahl Gefallener blieb liegen. Vierzehn Gefangene fielen den Bürgern in die Hände. Unbeschreiblich war der Jubel der Nordhäuser über den Sieg. Zum Andenken an ihn feierte man alljährlich ein großes Fest. Am Freitag vor Palmarum, zehn Tage vor Ostern, bewegte sieh ein froher Festzug um die Stadt. Darauf sammelte man sich in der Barfüßerkirche zu einer Dankesfeier. Die Ratsherren und Geistlichen, die Lehrer und Schüler sowie die Reiter und Schützen, die am Umzug teilgenommen hatten, wurden mit Geldgeschenken bedacht. Den Armen spendete man Brot und Heringe. Die Barfüßerkirche hieß fortan Spendekirche. Der Name des Spendekirchhofs, auf dem sie einst stand, erinnert uns noch heute an das Fest.
Der Sturm auf das Riesenhaus 1375Am 14. Februar, dem St. Valentinstage, strömte das Volk vor dem Nordhäuser Rathaus zusammen. Die Schuhmacher, die Bäcker, die Krämer, die Schmiede, die Woll- und Leineweber, all die anderen Handwerker und die armen Tagelöhner waren in heller Aufregung. ..Die Gefreundeten haben uns betrogen“, rief ein Krämer. „Sie sprechen sich gegenseitig die Ämter zu; sie tun alles, damit unsereins nichts zu sagen hat.“ ..Ja“, stimmte ein Bäcker ihm zu, „alles wollen sie allein entscheiden, sie verschaffen sich viele Vorteile. Anordnungen werden erlassen, die ihnen große Einnahmen bringen.“ Als er den Lärm hörte, hatte er gleich seine Bäckerstube verlassen. Jetzt erst strich er sich den Mehlstaub von den bloßen Armen. „Warum laßt ihr das zu ?“ fragte ein fahrender Handwerksgeselle, der wegen des Geschreis aus seiner Herberge herausgetreten war. Ein Tagelöhner antwortete für alle: „Diese Herren sind untereinander eng befreundet oder verwandt; jahraus, jahrein lassen sie uns hart für unser täglich Brot arbeiten, und doch haben Frau und Kinder nit genug zu beißen. Wir müssen auf der Stadtmauer wachen, müssen bei Feuersnot die ledernen Eimer vom Brunnen zur Brandstätte tragen.“ „Wir müssen immer mehr Steuern zahlen“, rief ein Schmied dazwischen. Sein Gesicht war verrußt, er war vom Schmiedefeuer hierhergeeilt. „Aber wir haben uns ja geregt“, schrie der Tagelöhner, so daß es die Menge hören konnte. Immer mehr Erregung packte die Menschen. „Die Ratsherren meinen, wir wären dumm. Als wir sie fragten, wo denn all unser Geld geblieben sei, antworteten sie, mit Gemeinen würden sie nit über solche Dinge sprechen.“ Grimmig sprach dies ein Schuhmacher. „Ha — und dann ?“ rief ein Leineweber, „was haben die Herren dann getan ? Sie haben die Stadttore schließen lassen, damit ja keiner von uns ihnen entweichen kann. Ausrufen ließen sie, die Wagenräder in ganz Nordhausen würden nit reichen, all die auf das Rad zu flechten, die man strafen wolle.“ „Und das ist noch nit genug, um ein End zu machen ?“ Der fahrende Handwerksgeselle hatte es gerufen. Dumpfe Wut wuchs zu lodernder Flamme. „Weg mit den Gefreundeten!“ Hin zum Riesen!“ „Verjagt den Rat!“ All diese Rufe wiesen den Mensehen den Weg. Der Volkshaufen setzte sich in Bewegung. Die Gefreundeten waren gerade im Haus „Zu dem Riesen“, das am Holzmarkt (dem späteren Luthermarkt) stand, zusammengekommen, denn der Zugang zum Rathaus war ihnen durch die Volksmenge versperrt. Hört, Herren, die Türe bricht“, konnte ein Ratsherr gerade noch sagen, da standen die Stürmenden schon auf der Schwelle. Bleich saßen die Gefreundeten, eine Reihe kräftiger Handwerksgesellen hatte sie umringt. Während der nächsten Tage wurde ein neupr Rat gewählt. Er bestand aus rechtschaffenen Zunftmeistern. Damit sich aber nicht wieder eine so gefährliche Freundschaft unter den Ratsherren bilden konnte, wählte man noch vier Männer aus dem Volke, die über den Rat gesetzt wurden. Diese sollten dafür sorgen, daß auch die Meinung der einfachen Leute, der Bauern und armen Bürger, gehört werden konnte. Ob das wohl so blieb ? Die gefangenen Ratsherren aber wurden für immer aus der Stadt ausgewiesen, weil sie so großes Unrecht getan hatten. In das Buch des Rates trug man ein, daß niemals wieder einer aus den gefreundeten Familien in den Rat gewählt werden sollte. Im alten Nordhausen. Aus dem Leben einer mittelalterlichen StadtUm das Jahr 1600 sah es in unserer Heimatstadt Nordhausen und ihrer Umgebung ganz anders aus als heute. Kam man von der Petersdorfer Höhe, so erblickte man in Busch- und Strauchwerk versteckt das kleine Warttürmchen. Es stand weit vor der Stadtmauer. Daneben sah man den Stadtgalgen. Hier wurden Verbrecher gehängt. Vor dem Töpfertor holten einst kunstfertige Töpfer ihren Ton aus den dort liegenden Gruben, um daraus Hausgerät zu brennen. Im Torbogen stand bei Tag und Nacht die Wache. Sie fragte alle Ankömmlinge nach dem Woher und Wohin und wollte nebenbei noch vieles aus der weiten Welt wissen. Auch der Torschreiber, der den Kaufleuten den Straßenzoll abnahm, hörte neugierig zu, wenn Reisende erzählten. Durch den Torbogen betrat man die Stadt. Von den „Töpfern“ aus, so hieß die Töpferstraße früher, führte eine Gasse unter der Stadtmauer entlang. Bei einem Überfall versammelten sich auf dem Wehrgang die Handwerker unter ihren Zunftmeistern. Sie verteidigten ihre Heimatstadt mit Armbrüsten, Äxten, Spießen, Pech und heißem Wasser. Je mehr man sich dem Innern der Stadt näherte, um so enger wurden die Straßen und Gassen. Die hohen Giebel der Häuser waren mit kunstreichem Schnitzwerk, klugen Haussprüchen und bunter Malerei verziert. Fachwerkhäuser waren es. Viele von ihnen hatten Namen. Oft hießen sie nach dem Bild, mit dem sie geschmückt waren. Aus solchen Hausnamen sind viele unserer Familiennamen entstanden, so die Namen Krug, Bär, Engel, Lorbeerbaum und Linde. Hier verkündete ein schmiedeeisernes Zeichen das Handwerk des Bewohners. Dort lud ein mächtiger Bierkrug zum Trinken des „Bräuhans“, des Weizenbieres, ein. Der darunter hängende „Börner“, das ist ein Trinkglas, zeigte an, daß hier der bekannte „Nordhäuser Branntwein“ verkauft wurde. Oft waren die oberen Stockwerke der Häuser vorgebaut. So wurde die enge Gasse nach oben hin noch schmaler. Lange Zeit war der Steinweg hinter der Marktkirche die einzige gepflasterte Straße. Nach Regentagen wateten die Einwohner auf den Wegen bis über die Knöchel im Schlamm. Oft waren die Gassen durch Dunghaufen eingeengt; die lagen damals nicht auf den Höfen, sondern auf der Straße. Darin wühlten dann Schweine, und Hühner scharrten darauf herum. Durch diese Unsauberkeit und die engen, niedrigen Wohnungen entstanden schlimme Krankheiten und Seuchen. Das sah man aber nicht ein. Die Bürger behaupteten, die Juden hätten Krankheiten von ihren Handelsreisen mitgebracht. Diese armen Menschen wurden deshalb grausam verfolgt. Sie wurden vor dem runden Turm auf der Stadtmauer auf dem „Rahmen“ verbrannt und ohne Leichenfeier verscharrt. Seit dieser Zeit führt der Turm den Namen ..Judenturm“. Das Alte Rathaus stand damals schon. Ein Laubengang zierte die Südseite des Gebäudes. In ihm verkauften die „Knochenhauer“ — das waren die Fleischer — und Gewandschnitter — so nannte man die Tuchhändler — ihre Waren. Im ersten Stock des Rathauses lag der Sitzungssaal. Hier tagte der Rat der Stadt. Hier traten auch die Schöffen zusammen. Hier fanden aber auch große Gastmahle statt, wenn hoher Besuch in die Stadt kam. In den feuerfesten Kellergewölben wurden alte Pergamentrollen aufbewahrt. Darauf stand geschrieben, daß Nordhausen eine Freie Reichsstadt sei. Nur dem Kaiser, keinem andern Herrn brauchte sie zu gehorchen. Die Stadt hatte sogar ein eigenes Gericht. Zum Zeichen dafür stand am Rathaus der „Roland“. Nicht viele Städte durften früher selbst richten. Dem Roland gegenüber stand noch eine andere Holzfigur. Das war der „Riese“. Das Haus, an dem er angebracht war, hieß das Riesenhaus. Vor dem „Roland“ lag der Marktplatz. Zum Zeichen des Marktfriedens wurde die rote Fahne aufgesteckt. Bauern aus der Umgebung boten Gemüse, Fleisch, Milch und Eier an. Bei den Handwerkern kauften sie Werkzeuge und Haushaltsgeräte. Bezahlt wurde in Waren, manchmal auch in Nordhäuser „Brakteaten“, das war Stadtgeld, das in der Stadtmünze geschlagen wurde. Durch das Gewühl der Käufer und Verkäufer bewegten sich fromme Bettelmönche. Sie sammelten Gaben für ihre Klöster in der Barfüßer- und Predigerstraße. In der Stadt lebten nur wenige Bauern. Sie hatten hinter den Stadtmauern Schutz gesucht, als sie ihren Gutsherren davongelaufen waren. Sie wurden meistens Handwerker. Abends wurden die Tore der Stadt geschlossen und Ketten über die Straßen gespannt, denn die Unsicherheit war groß. Laternen zur Straßenbeleuchtung gab es damals nicht. Wer sich noch nach dem Abendläuten vom Petrikirchturm auf der Straße befand, wurde vom Stadtbüttel in den Turm gesperrt. So war es einst! Nordhausen brennt (1612)„Feurio! Feurio!“ Langgezogen und schaurig hallt es durch die nächtliche Stille der Bäckerstraße. Hinter den kleinen Fenstern der niedrigen Häuser wird es lebendig. Notdürftig bekleidete Menschen stürzen auf die Gasse. Beißender Qualm dringt ihnen entgegen. Und da schlagen auch schon Flammen aus den Fenstern eines alten Fachwerkhauses und beleuchten die entsetzten Gesichter der aufgeschreckten Menschen. „Feurio!“ Der Ruf wird in den angrenzenden Gassen aufgenommen und schallt weiter von Straße zu Straße. Einer der Männer rennt zur Nikolaikirche und setzt den Klopfer an der Tür des Küsterhauses in Bewegung. Der Küster ist schon munter, stürzt zur Kirche und zieht wie rasend am Glockenstrang. Gellend tönt das Sturmgeläute über die Stadt und ruft die Menschen zum Löschen auf. Überall rennen die Menschen auf die Gassen. Am Hause des Schmiedes wird an einem Eisenhaken eine Laterne herausgehängt, die in Richtung Bäckerstraße zeigt, so daß alle Vorbeikommenden wissen, wo es brennt, und da holpert auch schon die erste Wasserspritze heran. Aus einem kurz darauf eintreffenden Feuerkarren wird sie gefüllt. Inzwischen sind beim Schein von Sturmlaternen an langen Stangen die Ledereimer aus den Fenstern des Obersaales des Rathauses herabgelassen worden. Das Feuer ist während der Zeit auf die Nachbarhäuser übergesprungen. Vom Kornmarktbrunnen aus bilden sich zwei Ketten von Männern. Von Hand zu Hand werden die gefüllten Eimer zur Brandstätte gegeben. Die leeren fliegen schnell zurück. Doch das Wasser reicht nicht aus, das Feuer einzudämmen. Der Wind facht die Flammen von neuem an und treibt einen Funkenregen vor sich her, der immer mehr Gebäude gefährdet. Brennende Schindeln fliegen wie verderbenbringende Geschosse durch die grausige Nacht. Dachdecker decken die Dächer der naheliegenden Häuser ab. Maurer und Zimmerleute reißen in der Nähe des immer weiter um sich greifenden Feuers Häuser ab, damit der Brand nicht die ganze Stadt ergreift. Beim Rathaus und um die Nikolai- und Blasiikirche herrscht hastiges Treiben. Alles Wertvolle wird herausgetragen, auf Wagen verladen und in Sicherheit gebracht. Laute Rufe hallen durch die glutrote Nacht. Die Feuerkarren können in den engen Gassen nicht wenden. Die scheuenden Pferde werden vor das andere Ende des Karrens gespannt, und im Galopp geht es zum Mühlgraben oder zum gut bewachten Tor hinaus zur Zorge, um wieder und wieder neues Wasser heranzubringen. Die Stadtsoldaten haben alle Hände voll zu tun, um die Neugierigen von der Brandstelle fernzuhalten. Dort führen sie einen Dieb ab, der das allgemeine Durcheinander zum Plündern benutzte, obwohl schwere Strafe darauf steht. Immer größer wird die Not. Immer weiter breitet sich das Feuer aus. Und jetzt gibt es auch noch eine Stockung in der Eimerkette vom Rautengassenbrunnen her. Einige Männer sind davongeeilt, weil sich der Brand ihren Häusern nähert. Sie wollen wenigstens noch einiges retten. Bürgermeister und Ratsherren mahnen immer wieder zum Ausharren und erinnern an den geleisteten Bürgereid, der alle zur Hilfe bei Feuersgefahr verpflichtet. Immer wieder jedoch verläßt einer seinen Platz, um sein eigenes Hab und Gut zu retten. Andere weichen müde und entmutigt vor der rasenden Glut. Die Nikolaikirche steht in einem Meer von Flammen und brennt völlig aus. Die beiden schönen Türme brechen in sich zusammen. A1s sich der Schein des Feuers mit der Dämmerung des neuen Tages mischt, scheint die Gewalt der Flammen gebrochen. Das ganze Stadtviertel um die Bäckerstraße und Krämerstraße liegt in Schutt und Asche. Viele Familien sind in diesem Schreckensjahr 1612 völlig verarmt. So war es bereits einmal nach dem großen Stadtbrand im Jahre 1540. Manche Wohnstätte blieb lange Zeit wüst liegen, obwohl die Stadt den Abgebrannten Beihilfe zum Neubau der Häuser gewährte. Nach dieser schrecklichen Brandnacht versuchte die Bürgerschaft, in Zukunft ähnliches Unglück zu verhindern. Neue Brunnen wurden angelegt, Wasserleitungen, sogenannte Wasserkünste, wurden gebaut, um bei Bränden von hochgelegenen Teichen und Brunnen aus Wasser an die Brandstätten leiten zu können. Neue und bessere Spritzen wurden angeschafft. Das Feuerlöschwesen wurde besser eingerichtet. Noch oft hallte der Schreckensruf „Feurio!“ durch die Straßen und Gassen. Es kam jedoch nie wieder zu einem so fürchterlichen Brande. Die Pest in NordhausenVor 300 Jahren brach in Nordhausen eine furchtbare Seuche aus. Es war die Pest. Die Nordhäuser kannten diese Krankheit, denn jahrhundertelang hatte sie die Stadt immer wieder heimgesucht. Als man erfuhr, daß in Deutschland wieder die Pest wütete, gaben die Stadtväter eine Pestordnung heraus. Darin stand geschrieben, wie sich jeder verhalten müßte, wenn die Pest in Nordhausen ausbräche. Die Stadtväter bemühten sich auch darum, daß die Pest nicht von Fremden nach Nordhausen eingeschleppt wurde. Wächter am Stadttor kontrollierten alle Leute, die in die Stadt hineinwollten. Sie mußten ihre Pässe zeigen und genau angeben, durch welche Städte und Dörfer sie gekommen waren. Wenn die Reisenden unterschrieben hatten, daß sie nicht durch pestverseuchte Orte gereist waren, durften sie in die Stadt hinein. Landstreicher, Zigeuner und andere arme, schlecht angezogene Leute wurden vor dem Stadttor zurückgewiesen. Aber Reiche ließ man ohne langes Befragen ein. Im Altendorf wohnten damals nur Arme. Ihre Häuser waren dunkel und niedrig. Hühner und Gänse, Ziegen und anderes Vieh wurden in den kleinen Höfen gehalten. Es war in den Straßen schmutzig und roch schlecht. Im Altendorf spielte ein etwa zehn Jahre alter Junge. Seine dünnen, nackten Beinchen steckten in großen Holzschuhen. Das Kittelchen, das er trug, war verschlissen und ärmlich. Johann, so hieß er nämlich, wollte sich einen Damm bauen. Stinkendes, schmutziges Wasser floß in der Gasse. Aber das störte Johann nicht. Er kannte es nicht anders. Als sich das magere Kerlchen niederbeugte, um allerhand Unrat für seinen Damm zusammenzusuchen, verfärbte sich plötzlich sein hageres Gesichtchen. Heftiger Kopfschmerz und Schwindelgefühl erfaßten ihn. Er fror, und dann wurde ihm wieder ganz heiß. Doch ins Haus gehen mochte er nicht. Er setzte sich auf die Türschwelle und sah den anderen Kindern zu. Hier fand ihn nach einiger Zeit die Mutter fest eingeschlafen. Sie legte ihn auf eine Holzbank und sah besorgt in sein verändertes Gesicht. Stoßweise hob und senkte sich die kleine Brust, der Atem war kurz. Auf einmal richtete sich Johann entsetzt auf und schrie nach der Mutter er hatte wohl geträumt. Blut lief ihm aus der Nase. Die Mutter konnte nicht verhindern, daß die Kleider beschmutzt wurden. Langsam zog sie Johann aus und stand starr vor Schreck. Auf dem Rücken ihres Kindes zeigten sich gelbe und braune Flecken. Die Mutter wußte, was das bedeutet. Ihre Ahne hatte ihr von den Anzeichen der Pest erzählt. Eine grauenhafte Angst würgte die arme Frau. Sie nahm den Jungen auf ihre Arme und trug die leichte Last in ein armseliges Bett. Behutsam deckte sie Johann zu und holte zur Vorsicht noch eine Decke. Doch Johann duldete es nicht. Er schlug im Fieber um sich und versuchte, sich bloßzumachen. Zwischendurch wimmerte er vor Schmerzen, dann verfiel er in einen todesähnlichen Schlaf. Der Vater kam mit sorgenvoller Miene nach Hause. „Mutter“, sagte er, „in der Stadt ist die Pest! Man hat schon einige Häuser abgesperrt!“ Die Frau zeigte nur stumm auf ihr krankes Kind. Es gab einen Arzt, der den Armen schon oft geholfen hatte, auch wenn sie ihm nicht viel Geld dafür geben konnten. Zu ihm ging Johanns Vater und erzählte von seinem Jungen. Der Arzt kam und untersuchte den fiebernden Knaben. Die Flecken auf dem Rücken waren geschwollen und waren dunkler, fast schwarz und glänzend geworden. Am ganzen Körper zeigten sich jetzt solche Beulen. „Ja“, sagte der Arzt, „es ist die Pest. Es wird eine schlimme Zeit für unsere Stadt kommen.“ Er schrieb ein Heilmittel auf und verließ schnell das Haus. Am nächsten Morgen ging eine seltsame dunkle Gestalt durch das Altendorf: ein Mann, der einen großen schwarzen Stock mit einem weißen Kreuz in den Händen trug — es war der Pestinspektor. Er kam in das Haus, in dem der arme Johann in großen Schmerzen mit unlöschbarem Durst lag und immer wieder nach Wasser verlangte. Kurz und streng gab er dem Vater Anweisungen. Die Haustür wurde mit einem großen Eisenband zugenagelt. Jeder wußte nun: in diesem Hause ist die Pest. Niemand darf mehr heraus und hinein. Bald kam eine Kranken Wärterin. Auch sie trug als Zeichen ihrer gefährlichen Arbeit den schwarzen Stock. Mit ihm klopfte sie an ein Fenster. An einem Strick wurde ein Körbchen herabgelassen. Sie nahm das Rezept heraus und legte Lebensmittel in den Korb, der danach wieder hinaufgezogen wurde. In der Apotheke brannte vor einem vergitterten Fenster ein qualmendes Feuer. Die Krankenwärterin hielt das Rezept darüber und reichte es dann dem Apothekergehilfen durch das Gitter. Sie erhielt ein Fläschchen mit Arznei, das sie eilig dem Johann brachte. Doch alle Vorsichtsmaßnahmen halfen nicht. Die Seuche verbreitete sich sehr schnell in der ganzen Stadt. Angst und Grauen erfaßte die Menschen. Sie räucherten täglich ihre Wohnungen mit Schwefel aus, wuschen ihre Haushaltsgeräte mit heißem Essigwasser und strichen die Wände mit Kalk. Und doch wuchs die Zahl der Kranken und Sterbenden stündlich. Das außerhalb der Stadt liegende Hospital St. Cyriaci, das ist der heutige Siechhof, wurde als Lazarett eingerichtet. Es waren fast nur Arme, die man hierher brachte. Da fehlte es an Bettzeug und Lebensmitteln. Die harten Herzen der Reichen waren aber weich geworden durch das schreckliche Unglück. Es bedrohte ja auch sie oder hatte sie schon betroffen. Sie gaben von ihrem Überfluß das Nötigste für die hungernden und frierenden Kranken. Unserem Johann ging es sehr schlecht. Er war kaum wiederzuerkennen. Große schwarze Pestbeulen bedeckten seinen kleinen, abgezehrten Körper. In den trüben Augen flackerte die Todesangst. — Aber wo war die Mutter ? Da lag sie, genauso entstellt und gequält wie ihr Junge. In der Nacht starben beide. Die Toten wurden in roh gezimmerte Särge gelegt. Diese wurden sofort zugenagelt. So verlangte es die Vorschrift. Nach einigen Stunden schon kamen die Leichenträger. Die an der Pest Gestorbenen wurden auf einem besonderen Friedhof begraben. In einer tiefen Grube standen schon 5 Särge. Johann und seine Mutter wurden dazugebettet. Dann schaufelte der Totengräber gelöschten Kalk und Erde darauf. Still und trostlos stand der Vater vor dem großen Hügel. — Wie arm er war! Länger als ein Jahr wütete die Pest in unserer Heimatstadt. Von der Oberschule starben fast alle Lehrer und allein aus einer Klasse 30 Schüler. Der „Schwarze Tod“ holte sich in diesem einen Pestjahr 3500 Opfer. Hüpedens GartenSüdlich von Nordhausen liegt Hüpedens Garten. Schon oft hatte ich mich über diesen eigenartigen Namen gewundert. Von einem alten Nordhäuser erfuhr ich seine Geschichte: In Rottleberode am Harz wurde am 23. Juli 1726 Johann Heinrich Christian Hüpeden geboren. Über 40 Jahre lebte er in Nordhausen als Pfarrer der Jakobigemeinde. Die Nordhäuser nannten das Haus Hüpedens „Grenadiermütze“, weil es mit seinem spitzen Giebel wie eine Soldatenmütze aussah. Von dem Geld, das Hüpeden als Pfarrer bekam, konnte er aber nicht leben, denn die Jakobigemeinde war nur klein. So mußte er sich überlegen, wie er zu Geld käme, damit er nicht zu hungern brauche. Als Kind hatte er auf dem Dorf gelebt und verstand etwas von der Landwirtschaft. Deshalb legte er sich vor der Stadt einen Garten an und arbeitete hier nebenbei als Landwirt. Vor 200 Jahren bebauten die Menschen einen Teil des Bodens mit Wintergetreide, einen Teil mit Sommergetreide. Den dritten Teil düngten, pflügten und eggten sie, ließen ihn aber brach liegen, damit die Erde sich erholen konnte. Doch viel brachte das nicht ein. Die Ernten reichten nicht mehr aus, um die Menschen und das Vieh zu ernähren. Wenn Mißernten eintraten, litten viele Hunger. Hüpeden baute nun auf dem dritten Teil des Bodens, der Brache, Klee an. Den trocknete er, und nun war im späten Winter und im Frühjahr genügend Futter für das Vieh vorhanden. Damals konnten die Tiere im Winter nur so wenig Futter bekommen, daß sie im Frühjahr vor Schwäche nicht auf die Weide gehen konnten. Sie mußten gefahren werden. Hüpeden erwarb Land rund um sein Haus an der Salza und baute dort Luzerneklee an. Wer damals an Hüpedens Besitztum vorbeikam, staunte, wie gut alles gedieh, obgleich es hier kein Brachland gab. Das sahen auch viele Bauern, und sie machten es ihrem klugen Pfarrer nach: Ein Teil des Landes wurde mit Wintergetreide, ein Teil mit Sommergetreide und der dritte Teil mit Klee bebaut. Das Vieh hatte so im Winter mehr Futter und gedieh besser, und die Menschen konnten mehr Fleich essen. Hüpeden führte auch die Stierwirtschaft in Nordhausen ein. Die Brennereibesitzer, die von den Abfällen ihrer Brennereien Schweine gemästet hatten, mästeten nun auch Stiere. Diesen Rat hatte ihnen Hüpeden gegeben. Weil Pfarrer Hüpeden sich um die Wirtschaft Nordhausens so verdient gemacht hatte, sollte er nicht vergessen werden. Deshalb wurde vor einigen Jahrzehnten der Weg an der Salza bei „Hüpedens Garten“ in „Hüpedenweg“ umbenannt. Das GehegeWelches Nordhäuser Kind kennt nicht das Gehege? Nicht immer sah es hier so schön aus. Jahrhundertelang gab es da, wo heute der Buchenwald steht, nur kahle Hügel. Etwas Gras wuchs darauf. Die Nordhäuser weideten dort ihr Vieh. Weit schaut man von diesem Bergabhang ins Land hinaus. Diese schöne Aussicht erfreute die Nordhäuser schon immer sehr. Deshalb wurde der Kirschberg — erst später nannte man ihn Geiersberg — zum Ausflugsort. Am Sonntag zogen die Nordhäuser mit Kaffee und Kuchen dort hinaus und lagerten sich auf den weiten Wiesenflächen. Im Laufe der Zeit fanden sich auch Leute ein, die Getränke anboten. Andere spielten fröhliche Weisen. Das war ein lustiges Treiben auf dem Kirschberg. Doch war es nicht eigentlich schade, daß die Abhänge so kahl waren ? Schattige Bäume hätten vor allem in den warmen Sommermonaten angenehme Kühle verbreitet. Da nahmen sich die Stadtväter vor, für einen Wald am Geiersberg zu sorgen. Das war aber teuer und kostete viel Mühe. So machte man also aus, daß die Bürger der Stadt die Bäume spenden sollten, besonders aber junge Brautleute. Hatten sie Hochzeit gefeiert, so pflanzte der junge Mann am darauffolgenden Tag mehrere Buchen. Auch neu nach Nordhausen zuziehende Leute stifteten Bäume. So entstand vor dem Jahre 1800 der Gehegewald, der uns heute so viel Freude schenkt. Nur ein Baum hat schon seit uralten Zeiten auf der Höhe des Berges gestanden. Allen ist er bekannt. Es ist die Merwigslinde. Die Sage erzählt, daß sie ihren Namen von einem thüringischen König bekommen haben soll. Auf dieser Höhe soll er seine Untertanen versammelt und Gericht gehalten haben. Danach habe er in fröhlichem Kreise mit den Seinen zusammengesessen. Es wird weiter erzählt, daß sein Vater Schuhmacher gewesen sein soll. Auch Merwig selbst soll dieses Handwerk ausgeübt haben, bis ihn das Volk zu seinem König wählte. Frieden und Gerechtigkeit habe er für seine Untertanen gewünscht. So weit die Sage. Merwig zu Ehren wanderten früher die Schuhmacher der Stadt Nordhausen alle sieben Jahre zur Merwigslinde. Hier feierten sie ein frohes Fest mit Gesang und Tanz. Vor dem Heimgehen steckte sich jeder Teilnehmer ein grünes Lindenzweiglein an den Hut. Als diese Lindenfeste nicht mehr gefeiert wurden, fanden sich die Nordhäuser zu Maifesten auf dem Gehegeplatz zusammen. Ehe es Sportplätze gab, hatte er den Turnern eine Zeitlang als Übungsstätte gedient. Zur Erinnerung daran steht jetzt am Eingang des Gehegeplatzes ein Gedenkstein. Er ist dem Turnvater Jahn gewidmet. Und heute ? Auch heute noch gehen die Einwohner der Stadt ins Gehege, wenn es etwas zu feiern gibt. Denkt nur an das Nordhäuser Rolandsfest! Nordhausen und der TabakMein Vater arbeitet im Nortakwerk, das ist eine große Fabrik draußen am Hüpedenweg. Sie ist die größte Kautabak- und Zigarrenfabrik unserer Republik. Auch Pfeifentabak wird dort hergestellt. Wir wohnen in der Nähe. — Wenn morgens die Sirene ertönt, muß ich immer daran denken, daß nun mein Vater seine Arbeitskleidung angezogen hat und an seine große Maschine tritt, die die Tabakblätter schneidet. Wenn Vater abends bei seiner Pfeife sitzt und das Radio einstellt, drehe ich es immer etwas leiser, um dann allerlei zu fragen. Ich staune immer wieder, was er alles weiß. Eines Abends fragte ich ihn: „Sag mal, Vati, haben die Leute eigentlich schon immer geraucht?“ Er erzählte mir darauf folgende Geschichte: „Vor einigen hundert Jahren kannte man in Deutschland noch gar keinen Tabak. Er kam aus fremden Ländern zu uns. Die Leute hatten sogar Angst vor dem glimmenden Kraut. Vor 200 Jahren erließen die Nordhäuser Stadtväter eine Verordnung ,wider das unvorsichtige Tabakrauchen auf den Straßen'. Einmal spazierte ein braver Bürger gemütlich den Neuen Weg herauf. Er trug trotz des Verbotes sein halblanges Pfeifchen im Munde. Da eilte ein Stadtsoldat auf ihn zu. ,Er hat geraucht“, rief der Gestrenge, zückte sein Büchlein und schrieb den Namen des Übeltäters auf. Dem Armen blieb vor Schreck der Mund offen stehen. Zitternd hielt er seine Pfeife, aus der sich feiner Rauch kräuselte, auf den Rücken. Warum hatte er es auch gewagt, auf offener Straße zu rauchen ?“ Da mußte ich doch sehr lachen. „Haben wir denn auch hier bei uns Tabak angebaut?“ fragte ich, denn ich wollte noch mehr wissen, obwohl ich immer noch kichern mußte. „Oh ja“, sagte Vater, „schon um 1650 wurde in unserer Heimat Tabak angebaut. Die Bauern, die durch den harten 30jährigen Krieg verarmt waren, gelangten durch den Tabakanbau wieder zu einem bescheidenen Wohlstand“. „Na, da haben sie doch ganz schön Geld verdient“, meinte ich. „So schlimm war das nicht. In manchen Jahren bekamen die Bauern für einen Zentner Tabak 13 Taler, bisweilen allerdings auch nur 2% Taler. Nun rechne dir selbst aus, was der Bauer bekam, wenn er auf einem Morgen Land bis 25 Zentner ernten konnte.“ Jetzt mußte ich erst einmal rechnen. Aber lange war ich nicht ruhig. „Sag mal, war der Tabak damals auch so gut wie der heute?“ fragte ich weiter. Vater schmunzelte. „Du bist heute abend wieder ein richtiger Quälgeist“, sagte er, „aber besser, du fragst, ehe du dir selbst dumme Sachen zurechtdenkst. Dieser Tabak, der bei uns hier angebaut wurde, brannte schlecht. Er roch auch nicht gut. Bald durften die Bauern nur noch bestimmte veredelte Sorten anbauen. Mit Jauche durften sie nicht düngen, sondern nur mit Kali. Wenn die Tabakblätter geerntet waren, wurden sie an Zäunen und Hauswänden zum Trocknen aufgehängt. Aber auch dieser Tabak brannte schlecht, und die Bauern wurden schlecht bezahlt“. Voller Spannung hatte ich zugehört. Schon hatte ich eine neue Frage. „Da hätte man doch das Anbauen von Tabak verbieten sollen“, meinte ich, „warum hat man dann nicht nur Tabak aus dem Ausland gekauft?“ „Ja“, sagte der Vater, „vor etwa 25 Jahren durfte in unserer Gegend nur noch eine ganz bestimmte Sorte Tabak angebaut werden. Schuppen wurden errichtet, in denen die Tabakblätter mit Heißluft getrocknet wurden. So kam es wirklich zu einem schönen zitronengelben und wohlschmeckenden Tabak, der gern von den Nordhäuser und Eichsfelder Fabrikherren gekauft wurde. Wir brauchen aber unseren Boden für wichtigere Dinge. In anderen Ländern, in Amerika, in Italien und in China zum Beispiel gedeiht Tabak besser, deshalb ist es günstiger für uns, wenn wir den größten Teil einführen.“ „Was du nicht alles weißt“, staunte ich. Vater lachte. „Ich bin ja Tabakfacharbeiter. In unserer Fabrik haben wir noch alte Schriften, in denen lese ich gern mal über diese Dinge nach. Aber nun läßt du mich die Zeitung lesen, ja?“ Flugs brachte ich die Zeitung, stellte das Radio ein wenig lauter und war fein still, denn Vater sollte nach seinem Arbeitstag und nach meiner Fragerei auch ein Stündchen der Erholung haben. Nachts träumte ich, ich wäre in China und würde große Tabakballen zusammenschnüren, auf denen stand:
Guckst du auch einmal in die Schaufenster unserer Tabakwarengeschäfte ? Dort siehst du die fertigen Erzeugnisse. „Nordhäuser“Vor dem Krieg bin ich weit in unserem schönen Vaterland herumgekommen. Ich war im Spreewald und in Berlin, ich war auf Rügen und in Hamburg, ich war in Kassel und am Rhein. Auf all den Reisen und Wanderungen war ich immer wieder erstaunt, wie bekannt unsere Heimatstadt ist. Nur selten hängt der Name einer Stadt so eng mit einer dort hergestellten Ware zusammen wie bei uns. Es war in allen Gaststätten nicht notwendig, „Nordhäuser Korn“ oder „Nordhäuser Kornbranntwein“ zu verlangen. Es genügte das Wort „Nordhäuser“, manchmal hörte ich auch „Alter Nordhäuser“ oder „Echter Nordhäuser“. In unserer Stadt wird nämlich seit Jahrzehnten guter Schnaps hergestellt. Die Branntweinbrennerei ist unsere älteste Industrie. Im vorigen Jahrhundert konnte Nordhausen mit Recht „Schnapshausen“ genannt werden, denn es versorgte ganz Mittel- und Norddeutschland mit Branntwein. Im Jahre 1803 schrieb ein preußischer Beamter: Die Branntweinbrennerei ist in Nordhausen unstreitig das Gewerbe, welchem die Stadt einzig und allein ihren Wohlstand zu verdanken hat. Wir wissen aber auch aus anderen Schriften über die jahrhundertealte Herstellung des Nordhäuser Branntweins. Um das Jahr 1500 stellten die Brennereien den Schnaps aus ausgepreßten Früchten und halbreifen Weinbeeren her. Später lernte man, den Branntwein aus Getreide zu bereiten. Das war in Nordhausen leicht möglich. Alles, was man dazu brauchte, gab es in der Nähe. Das Getreide lieferte die Goldene Aue. Aus dem Harz kam das Holz zum Brennen. Auf guten Straßen rollte der fertige „Nordhäuser“ in alle Himmelsrichtungen. Als unsere Großväter zur Schule gingen, wurden jährlich etwa 200000 große Fässer mit Schnaps gefüllt und verschickt. Inzwischen war eine wichtige Erfindung gemacht worden. Die Nordhäuser hatten gelernt, Kartoffelbranntwein herzustellen. Nun kauften die Fabrikanten große Mengen Kartoffelsprit und machten daraus durch Mischen und Veredeln Trinkbranntwein. Viel Geld gelangte dadurch in die Stadt. Doch die Arbeiter blieben arm. Sie hatten nichts von den hohen Verdiensten. Als nun um die Jahrhundertwende die Schnapsherstellung auch in Westfalen und Bayern begann, wurde weniger Schnaps aus Nordhausen bezogen, und viele Arbeiter wurden arbeitslos. Im 2. Weltkrieg wurden die Brennereien zerstört. Auch die Branntweinindustrie mußte neu aufgebaut werden. Viele gute Branntweine und Liköre tragen den Namen unserer Heimatstadt wieder in alle Welt, auch der „Nordhäuser“ ist unter ihnen. Eine Stadt braucht WasserWo immer Menschen wohnen, müssen sie daran denken, wie sie sich mit Wasser versorgen können. Deshalb liegen die meisten Siedlungen an Quellen, Teichen oder Flüssen. Von ihnen haben sie oft ihre Namen. Das alte Nordhausen auf dem Frauenberge bekam sein Wasser aus der Quelle des Rumbachs. Als Nordhausen größer wurde und die Oberstadt entstand, mußten unsere Vorfahren mehr Wasser heranschalfen. Aus der Zorge wurde bei Krimderode der Mühlgraben abgeleitet. Zwei steinerne Treppen führten aus der Stadt hinab zum Wasser. Es waren die Wasser treppe und die Kutteltreppe. An der Kutteltreppe lagen drei Kuttel- oder Wursthäuser der Fleischer. Die gaben der Treppe den Namen. Später wurde eine dritte Treppe gebaut, die Johannistreppe. Sie wurde nach Johannis dem Täufer, dem Wasserheiligen, benannt. Fleißig trugen auf diesen Treppen die Frauen das Wasser aus dem Mühlgraben in die hochgelegene Stadt. Jeden Morgen und jeden Abend machten sie mit Butten, hölzernen Tragfässern und Eimern den beschwerlichen Weg. Große Bedeutung hatte der Mühlgraben für unsere Vaterstadt. Im Jahre 1198 mußte sich Nordhausen bei einer Belagerung ergeben, weil der Landgraf Hermann von Thüringen den Mühlgraben trockenlegte. Er hatte ihn in die Zorge zurückleiten lassen. Später wurden mehrere Brunnen angelegt, um sauberes und frisches Trinkwasser zu haben. Mit Eimern holte man das Wasser aus der Tiefe. Einer der bedeutendsten war der Elisabethbrunnen. Sein Wasser floß in der Unterstadt aus einem Eisenrohr. Die aus roten Ziegelsteinen gemauerte Einfassung ist noch heute zu sehen. Dieses Wasser sollte besonders wundertätig sein und dem, der es trank, unauslöschliche Liebe zur Heimat ins Herz geben. Ein anderer Brunnen war der Rauteborn an der unteren Rautenstraße. Wieder ein anderer lag auf dem Petersberge. Aber trotz der acht fließenden Brunnen hatte die Bevölkerung oft unter großem Wassermangel zu leiden. Um das Übel zu beseitigen, mußte der Rat der Stadt neue Maßnahmen ergreifen. Der Retter aus der Not wurde der Meister Hans Laxner aus Niedersachswerfen. Er baute für die Oberstadt eine neue Wasseranlage, die sogenannte Oberkunst. Im Jahre 1546 pumpte er das Wasser in Metallrohren vom Mühlgraben auf den Geiersberg in ein Sammelbecken. Von dort rieselte es durch viele Holzröhren in die Oberstadt. Aber nur ein halbes Jahrhundert lang reichte das Werk Laxners für die immer mehr anwachsende Bevölkerung aus. Der Meister Peter Günther aus Halle verbesserte die Oberkunst Laxners dadurch, daß er das Wasser bis in ein Sammelhäuschen auf dem Geiersberg trieb. Dieses Häuschen nannten die Leute das Schöppmännchen. Von hier aus lief das Wasser durch hölzerne Röhren in große Bottiche, die in den verschiedensten Gegenden der Stadt aufgestellt waren. Dazu baute Meister Peter Günther die Unterkunst, die er unter den Weiden am Fuße der Johannistreppe anlegte. Er preßte das Wasser durch 75 Rohre aus Messing in ein Wasserhäuschen vor dem Neuen-Weg-Tor. Es gab damals zehn steinerne und drei hölzerne Wasserkünste in Nordhausen. Das waren die aufgestellten Wasserbecken. Sie befanden sich Vor dem Riesenhaus auf dem Pferdemarkt, am Königshof, auf dem Petersberg und an anderen Plätzen. Die einzig übriggebliebenen Wasserkünste finden wir heute in der Barfüßerstraße, auf der Promenade und dem Geiersberg. Vor dem Spendekirchhof und in den Anlagen beim Theater sind es steinerne Becken und im Gehege ein kleiner Backsteinbau. Das Wasser aus dem Mühlgraben und den „Künsten“ konnten die Leute nicht trinken, weil es sehr unsauber war. Im Jahre 1873 wurde eine neue Leitung angelegt, die frisches Wasser aus dem oberen Krebsbach lieferte. Aus einem großen Sammelbecken lief es durch eiserne Rohre 16 km weit in einen Hochbehälter auf dem Geiersberg. Vom Wasserwerk bis zum Bahnhof hatte es viel Gefälle, so daß es mit großem Druck aus allen Leitungshähnen floß. Dazu war es gereinigt und gefiltert, also ganz sauber und gesund. Um aber vor jedem Wassermangel geschützt zu sein, hat die Stadt 1905 quer durch das obere Tiefe Tal eine gewaltige Mauer ziehen lassen. Es entstand die Nordhäuser Talsperre. Die untere Breite der Mauer beträgt 20 Meter, ihre obere 4,25 Meter. Die Mauer ist 27 Meter hoch und 120 Meter lang. Der höchste Wasserstand des Stausees betrug 23 Meter. Von der Talsperre fließt das Wasser seitdem in einer eisernen Rohrleitung nach Nordhausen. Die Rohre haben 40 cm Durchmesser. Die Leitung ist fast 11 Kilometer lang. Nun hat Nordhausen endlich selbst in den trockensten Jahren genügend Wasser zum Trinken und zur Versorgung der Fabriken und der Reichsbahn. Der NeptunVor langer Zeit stiftete ein Bürger Nordhausens viele Taler, damit die Wasserkunst am Kornmarkt verziert werden konnte. Ein Standbild Neptuns sollte sie erhalten. Die Römer verehrten nämlich Neptun als Gott des fließenden Wassers und des Meeres. Sie glaubten, daß er Quellen und Flüsse vor dem Vertrocknen bewahren könne. So bestellte also der damalige Bürgermeister in einer Eisengießerei eine solche Figur. Heute suchen wir den Brunnen mit dem Meeresgott vergeblich auf dem Kornmarkt. Wir finden ihn wieder in den gepflegten Anlagen der Promenade. Das frische Grün seiner Umgebung leuchtet um das schwarze Erz seiner Gestalt. Trotzig und finster blickt er auf die bunte Pracht zu seinen Füßen. Mächtig ragt in seiner Rechten der Dreizack. Schwer stützt er sein linkes Bein auf den Kopf eines riesigen Fisches mit geöffnetem Maul. Seine wuchtige Gestalt neigt sich leicht nach vorn. Sein wilder Bart scheint von Wasserperlen zu glänzen. Sein Haar ist zu festen Büscheln geballt. Und wie ist dieses Standbild entstanden ? Der Mann, der den Nordhäuser Neptun schuf, war der berühmte Bildhauer Ernst Rietschel. Es war sein erstes Werk. Noch niemals hatte er eine so große Aufgabe ausgeführt. Fast hätte er dabei den Mut verloren. Ernst Rietschel lebte damals in Dresden. Er mußte in dem kalten, kahlen Zimmer eines Museums arbeiten und erzählt davon: ,,Es wurde mir ein eiserner Ofen in diesen großen steinernen Raum gesetzt. Ich ließ mir einen Drehstuhl machen, auf dem der Neptun stehen sollte, damit ich die große und schwere Gestalt später drehen konnte.“ Wer schon einmal bei einem Bildhauer zugesehen hat, der weiß, daß jede Figur aus Ton geformt wird, bevor sie aus Erz entsteht. Heute baut man dazu ein festes Gerüst aus starken Eisenstangen. Dieses hält den Ton fest. Doch das wußte Rietschel damals noch nicht. Er formte die Figur ohne ein Eisengerippe. Aber es gab noch mehr Schwierigkeiten. Im Winter war eines Morgens die Oberfläche des Tones so gefroren, daß sie sich teilweise ablöste. Der rechte Arm fiel zweimal herunter. Rietschel fühlte sich ganz unglücklich. Er berichtet darüber: „Einst passierte es mir, daß ich eine Stütze zerbrach, die die Figur hielt. Der ganze Neptun neigte sich nach vorn. Mit aller Kraft versuchte ich, den rutschenden Ton zu halten. Ich rief um Hilfe und hoffte, der Hüter des Museums würde mich hören. Aber fast eine Stunde mußte ich stehen und halten, bis ich von so großer Not erlöst wurde und eine neue Stütze anbringen konnte.“ Endlich war die vordere Seite der Gestalt fertig. Aber schon drohte eine neue Gefahr. Zum Formen des Rückens mußte der Neptun gedreht werden. Das war nicht einfach. Es wurden also drei starke Männer bestellt. Zwei drehten mit aller Kraft das Standbild, während ein dritter und Rietschel die Figur hielten. Trotzdem sank der Ton immer wieder in sich zusammen, weil er naß und schwer war. Das eine Bein, auf dem der Neptun stand, wurde immer kürzer. Beinahe ein Jahr hatte der Bildhauer mit dieser Arbeit zugebracht. Welch kostbare Zeit! Erst nach weiteren zwei Jahren war die Figur vollendet und konnte in Erz gegossen werden. Am 2. Juli 1828 wurde der Neptun auf dem Kornmarkt in Nordhausen aufgestellt. Die Stiftung des Nordhäuser Bürgers wurde der Stolz der Stadt. Viele andere Brunnenfiguren entstanden im Laufe der Zeit, aber keine war mit dieser zu vergleichen. Der bießeninge HaringVor Johren, wie der Näptun noch uffen Kornmarte schtund, wohnte do en Bengel, der hotte nischt wie Deuwelsschtrieche in’n Koppe. So schtellte sich hingers Fenster met en Pusterohr uff die Luer un schoß den Lieten, die ungene verbiegingen, uff den Buckel oder sunst wo hän, un die wußten nich, wo’s här kamb. — Einmol hotte sich en Buer von’n Napperdorfe en Häring jelanget. Er wullten gliech bie Sippein in der Wärtschaft verspachteln un krätschte räwwer zum Näptun, weil’ en erseht en bäßchen obwaschen wullte. Wie en grode ungertuchen will— futsch — kriete eins uf de Föten. Do krehlte wie en Zinshahn: „Du verflecktes Luder, worte mant! Du witt mich woll gar noch bieße?“ Anmerkung: Der Ausdruck: „krehlte wie ein Zinshahn“ stammt aus dem Mittelalter. Pächter, Hörige usw. waren verpflichtet, Hähne mit als Zins zu entrichten. Die Feuerwehr kommt„Morgen gehen wir zur Feuerwehr!“ „Fein!“ schreit Rolf und führt einen Freudentanz auf, „da dürfen wir die Stange herunterrutschen!“ Das weiß er von seinem älteren Bruder. Der war im vorigen Jahr dort und erzählt seitdem allerhand Wunderdinge. Egon macht ein bedenkliches Gesicht und fragt: „Sind die Stangen sehr hoch?“ Gespannt marschieren wir am anderen Morgen zur Feuerwache, einem langen Gebäude mit großen Toren. „Das sind die Garagen“, erklärt Rolf sachverständig. Und wirklich! Bald darauf stehen wir um die großen, roten Autos. Ein Brandmeister zeigt uns, wie die große Leiter ausgefahren werden kann, wo Äxte, Beile, Einreißhaken und sonstige Werkzeuge griffbereit liegen. Viele dicke Schlauchrollen hängen an den Wänden. Daneben befinden sich Schaumlöscher. Die werden gebraucht, wenn Benzin brennt. Da würde nämlich Wasser überhaupt nicht löschen. Aber der Schaum erstickt die Flammen. Auf dem Hof üben gerade einige Feuerwehrleute das Klettern an einer Hauswand. „Sind die aber geschickt“, flüstert Inge bewundernd. Jetzt kommt der nächste dran. Mit einer leichten Leiter in der Hand steht er nahe der Wand. Auf ein Zeichen flitzt er los, hakt die Leiter ins untere Fenster und klettert flink wie ein Eichhörnchen in die Höhe. Schon hat er sich aufs Fensterbrett geschwungen, faßt die Leiter, reißt sie nach oben und hängt sie ins nächsthöhere Fenster. Nun schwingt er sich darauf und sitzt wenige Augenblicke später in schwindelnder Höhe auf dem Fensterbrett. Begeistert klatschen wir ihm Beifall. Lachend winkt er uns zu. Am liebsten möchten wir hier noch weiter zuschauen. Jetzt soll uns ein Probealarm vorgeführt werden. Im ersten Stock liegen die Schlafräume der Feuerlöschpolizei. Im Fußboden sind große, runde Öffnungen freigelassen, in deren Mitte glatte Stangen nach unten führen, wie die Kletterstangen in der Turnhalle. Des Nachts haben die Feuerwehrleute ihre Stiefel und Uniformstücke so griffbereit liegen, daß sie in wenigen Sekunden angezogen sind und an den Stangen nach unten sausen können. Da ertönt ein schrilles Klingeln. Über uns trappelt es. Schon kommen die ersten Männer an den Stangen heruntergesaust, greifen nach Helm und Gasmaske und springen auf die Autos. Die Motoren dröhnen, ohrenbetäubend heult die Sirene, das Tor öffnet sich — ein Pfeifsignal beendet den Alarm. Wir sind erstaunt, wie schnell das ging. Diesmal war es nur eine Übung. Im Ernstfall verhütet die Schnelligkeit der Feuerwehr oft großen Schaden. Wohl steht sie bereit, um Tag und Nacht eingreifen zu können. Besser ist es aber, wenn jeder mithilft. Brände zu verhüten. Die Tabakarbeiter streikenIn Nordhausen wird Tabak verarbeitet. Aus den Tabakblättern wird auch Kautabak hergestellt, „Priem“ sagen wir dazu. Seit 150 Jahren arbeiten viele Menschen aus Nordhausen und Salza in großen Fabriken, deren Erzeugnisse wir in manchen Schaufenstern sehen können. Aber nicht immer ging es den Tabakarbeitern gut. Im Jahre 1890 versammelten sich die Arbeiter. Einer ihrer Kameraden trat vor und schilderte seine Not: „In der Woche verdiene ich nur 16 Mark. Als meine Frau noch in die Fabrik ging, zahlte der Fabrikant ihr 6 Mark Lohn für eine Woche harter Arbeit. Ich kann nur das Nötigste für meine Familie kaufen. So darf das Hungerleben nicht weitergehen!“ Zustimmende Rufe kamen aus der Versammlung. „Hat der Fabrikherr schon mal daran gedacht, seine Kinder zur Arbeit zu schicken, wie wir es tun müssen, damit die verdienten Groschen nur fürs Essen reichen?“ rief ein anderer Arbeiter dazwischen. Die Versammelten beschlossen, die Fabrikherren um höhere Löhne zu bitten. Aber sie wurden ausgelacht . Wieder kamen sie zusammen. Der Sprecher, der schon vor drei Tagen die Not seiner Familie geschildert hatte, rief zum Streik auf: Zur gleichen Zeit sollten die Schaffenden ihre Arbeit niederlegen, dann wollte man einige Kameraden zum Fabrikherrn schicken, dem sie sagen sollten, es würde erst dann wieder mit der Arbeit begonnen, wenn sie höhere Löhne bekämen. Noch nie hatten sie gestreikt, jetzt taten sie es. Die Fabrikherren ließen sich bei den Verhandlungen viel Zeit. Die Arbeiter hatten kein Geld mehr, weil sie ja keinen Lohn bekamen. Der Hunger zwang die Streikenden, nach drei Wochen nachzugeben. Alles war umsonst gewesen. — Der niedrige Lohn blieb. Aber schon 11 Jahre später, im Jahre 1901, streikten die Tabakarbeiter wieder für höhere Löhne und für eme bessere Ausbildung der Lehrlinge. Die Fabrikanten versuchten diesmal, Zeit zu gewinnen, damit der Hunger die Arbeiter in die Fabrik zurücktriebe. Aber jetzt halfen die Kollegen aus Nordhausen und anderen Industrieorten. Als die Streikenden in Geldnot gerieten, wurden ihnen Spenden überreicht, die sie an Bedürftige verteilten. Die Fabrikbesitzer stellten fremde Arbeiter ein, aber es half alles nichts. Am Ende mußten sie doch erkennen, daß sie gegen so viele einige Arbeiter nichts ausrichten konnten. War das ein Jubel, als nach einem halben Jahr der Sprecher der Streikenden vor die wieder Versammelten trat und sagte: „Unser Streik hat mit unserem Sieg geendet. Die reichen Herren zahlen jetzt 18 Mark Wochenlohn und werden unseren Kindern eine bessere Lehrlingsausbildung geben. Sicher hätten wir noch mehr erreichen können, aber der Winter steht vor der Tür, und Frauen und Kinder sollen keine Not leiden. Wir wissen nun. wie stark wir sind. Die Herren sollen sich hüten!“ Weißt du, wie es heute ist ? Ein alter Arbeiter erzählt vom 1. MaiEs war vor etwa fünfzig Jahren. Ich arbeitete damals in einer Nordhäuser Branntweinbrennerei. — Der 1. Mai kam heran, mit ihm begann der schönste Monat des Frühjahrs; auch die Bäume schmückten sich mit duftigem Grün. Wir freuten uns am schönen Bild der Natur, gleichzeitig aber freuten wir uns auf den Tag, an dem wir unseren Fabrikherren und ihrer Polizei einmal zeigen konnten, wie Arbeiter Zusammenhalten. Damals war der 1. Mai kein Feiertag. Die Besitzer der großen Fabriken bestimmten unsere Arbeitszeit; sie sagten uns auch, daß wir am 1. Mai zu arbeiten hätten. Wir versammelten uns trotzdem. Meine Kollegen aus der Branntweinbrennerei und die Tabakarbeiter einigten sich, daß wir in Hohenrode Zusammentreffen wollten. Ich war damals noch sehr jung, trotzdem durfte ich schon eine rote Fahne tragen. Um uns vor der Polizei zu sichern, stellten wir rund um den Versammlungsplatz Posten auf. Ich stand mit der Fahne neben dem Redner; ins rote Tuch war eine weiße Acht eingenäht. Das bedeutete: Wir wollen eine achtstündige Arbeitszeit. Der Redner war Mitglied einer Arbeiterpartei, der Sozialdemokratischen Partei. Er sprach uns allen aus dem Herzen: „Wir wollen nicht länger die Sklaven unserer Arbeitgeber sein! Wir wollen nicht, daß unsere Familien hungern! Wir fordern den Achtstundentag! Wir fordern höhere Löhne! Wir wollen wie Menschen leben: ohne Hunger, ohne Not, ohne Arbeitslosigkeit!“ Da gaben die Posten Alarm. Ein Arbeiter in meinem Alter eilte den Berg hinauf und rief: „Polizei! Vom Altentor her kommen sie!“ In die einbrechende Stille hinein hörten wir den Marschtritt der genagelten Stiefel. Schon glänzten die Helmspitzen durch das lichte Grün. Bedrohlich kamen sie näher. Die Gesichter der Polizisten waren hart. Nun erklang ein scharfes Kommando. Die Säbel wurden gezückt. Und wir ? Wir ballten die Fäuste in den Taschen und schwiegen Wir waren wehrlos. Ein Kampf hätte unnötige Opfer gebracht. Viel Blut wäre geflossen, Arbeiterblut. — Schweigend räumten wir den Versammlungsplatz. Meine Fahne hatte ich schnell vom Schaft genommen. Das Tuch verbarg ich unter dem Hemd. So geschah es im Park Hohenrode, im Gebiet des damaligen Preußen. Aber glaubt nicht, wir hätten unsere Sache aufgegeben. Unten auf der Straße nach Krimderode sammelten wir uns und zogen geordnet zum Kurhaus. Stolz flatterte wieder das rote Tuch in der Maiensonne. An der Kurhausbrücke begann Hannover, hier waren Maifeiern erlaubt. Die Polizei folgte unserem Zuge bis zur Grenze des preußischen Landes. Dort blieb sie machtlos stehen. — Lachend standen wir zusammen und atmeten befreit auf, als die „Blauen“ abmarschierten. Wieder hatten wir ihnen ein Schnippchen geschlagen. Ja, so war es damals. Schwer w'ar unser Kampf, mancher hat dafür sein Leben eingesetzt. Ob heute wohl noch alle Menschen daran denken, wenn sie am 1. Mai durch die Straßen ihrer Städte und Dörfer ziehen ? Die rote Fahne auf dem Schornstein. Ein Erlebnis aus dem Jahre 1912Es war am 30. April 1912. Der Abgeordnete Dr. Oskar Cohn war wenige Wochen vorher in den Reichstag gewählt worden. Für die Arbeiter war damit ein großer Sieg errungen. Und nun sollte der l.Mai gefeiert werden, der l.Mai 1912. Er war ein Festtag, denn an diesem Tage forderten die Arbeiter erneut die achtstündige Arbeitszeit. Noch immer beschäftigten die Fabrikanten ihre Arbeiter länger. Mit der Wahl des Dr. Cohn sollte vieles anders werden. In der Fabrik Tief bohr wollten die Schlosser Paul Baumbach und Gustav Fischer in ihrer Freude über den erreichten Wahlsieg etwas ganz Besonderes tun. Am 1. Mai sollte am Schornstein des Werkes die rote Fahne wehen. Heimlich berieten sich die Arbeiter und legten den Treffpunkt fest. Gefährlich war das Unternehmen, denn der Schornstein des Werkes war der höchste der Stadt. 35 Meter ragte er über die Dächer. Als sich der Abend des 30. April über die Stadt senkte, begann der gefahrvolle Weg. Die Frau eines Freundes hatte eine große rote Fahne genäht, auf der eine weiße Acht glänzte. Das sollte bedeuten: Wir fordern eine achtstündige Arbeitszeit. Paul Baumbach wickelte sich die Fahne um den Leib. Gustav Fischer versteckte unter seiner Jacke ein Seil. Vorsichtig verließen die Männer ihre Wohnung. Sie trugen Turnschuhe, um besser klettern zu können. Bald standen beide vor dem Fabriktor. Dunkel lag das Werk. Eben hatte der Posten der Wach-und-Schließ-Gesellschaft das Eingangstor überprüft. Es war fest verschlossen. Langsam ging er weiter. Noch klangen seine Schritte in der schmalen Straße, als sich Baumbach und Fischer über die Mauer in den Fabrikhof schwangen. Ihre Herzen schlugen schneller, denn nun galt es! In der Dunkelheit war die Schornsteinkrone nicht zu erkennen. Vorsichtig zwängten sich beide durch die enge Öffnung ins Innere des Schornsteins. Da trat Paul Baumbach fehl und stürzte ab. Schwer schlug er in eine dicke Asche- und Rußschicht, die sich auf dem Boden des Schornsteins abgelagert hatte. Gustav Fischer klammerte sich indessen an einem Steigeisen fest. Mehrere Meter unter ihm versuchte Paul Baumbach, sich wieder nach oben zu ziehen. Aber es gelang nicht. Sollte alles verloren sein? Vorsichtig löste Fischer das Seil von seinem Rücken, ließ es hinab, bis es der Abgestürzte ergreifen konnte. Und nun zog er ihn nach oben, Zentimeter um Zentimeter, bis Paul Baumbach die Steigeisen erreichte. Nun ging es aufwärts. Die Eisen gaben notdürftigen Halt. Polternd lösten sich Ascheklumpen von der schmutzigen Wand. Staub verklebte die Augen der Männer. Vor Aufregung und Anstrengung lief ihnen der Schweiß über Gesicht und Rücken. Mit zusammengebissenen Zähnen klommen sie in die Höhe, Meter um Meter, Eisen um Eisen. Nach Minuten, die ihnen wie Ewigkeiten erschienen, hatten sie es geschafft. Mit letzter Anstrengung schwangen sie sich über den Rand des Schornsteins und saßen nun in schwindelnder Höhe. Tief unter ihnen schimmerte in der Dunkelheit die Fabrik. Aus wenigen Fenstern der umliegenden Häuser sahen sie Lampenschein. Tief atmeten die Männer die kühle und klare Nachtluft ein. Und nun begann der gefährlichste Teil ihres Unternehmens. Langsam und vorsichtig löste Paul Baumbach die Fahne von seinem Leib. Rittlings rutschte er zum Blitzableiter. Kein Seil und kein Haken sicherte ihn. Fest knüpfte er das rote Tuch mit der weißen Acht an die kupferne Stange. Die Männer sprachen nicht, als sich die Fahne, ihre Fahne, im Nachtwind blähte. Ein Gefühl des Stolzes und der Zufriedenheit hob ihre Brust. Diese Fahne gab morgen, wenn der 1. Mai graute, den vielen Wankelmütigen und Verzagten neue Kraft für den weiteren Kampf. Wie würden die Fabrikherren toben, wenn sie die Fahne entdeckten! Aber es blieb keine Zeit. Bald mußte der Posten der Wach-und-Schließ-Gesellschaft wieder auftauchen. Vorsichtig stiegen sie abwärts, vorsichtig krochen sie durch die enge Öffnung ins Freie. Nun noch die Mauer am Fabrikhof, dann war es geschafft. Im trüben Schein einer Straßenlaterne betrachteten sich die beiden. Verschmutzt waren ihre Kleider, rußverschmiert Gesicht und Hände. In der Zorge wuschen sie sich. An diesem Abend feierten alle Arbeiter Nordhausens den kommenden 1. Mai. Nun nahmen auch Paul Baumbach und Gustav Fischer daran teil. Aber auch hier sprachen sie nicht von ihrer Tat. Als sich einige über den Schmutz an ihren Kleidern wunderten, sagten sie, daß sie vom Kesselreinigen kämen. Und dann war der 1. Mai 1912 da. In der strahlenden Morgensonne flatterte sieghaft und stolz die rote Fahne mit der weißen Acht vom Schornstein der Fabrik Tiefbohr. Vielen gab sie Kraft im Kampf. Die Fabrikanten tobten. Das hatte noch niemand gewagt. Die Täter aber blieben unbekannt. Niemand wußte ihre Namen. Am nächsten Tage bot der Direktor der Fabrik demjenigen drei Mark, der es fertigbrächte, die Fahne herunterzuholen. Aber keiner fand sich. Da wurde der Werkmeister beauftragt, nach oben zu steigen. Zitternd führte er den Befehl aus. Aber er hatte nicht die Kraft, die Fahne festzuhalten. Vom Blitzableiter gelöst, schwebte sie im weiten Bogen nach unten. Gustav Fischer sah das rote Tuch fliegen. Es gelang ihm, die Fahne, die länger als einen Tag über Nordhausen geweht hatte, zu ergreifen und in seiner Werkzeugtasche zu verstecken. Als der Werkmeister unten anlangte, war er so schwach, daß ein Arzt gerufen werden mußte. Nun forschte der Fabrikdirektor nach demjenigen, der die Fahne versteckt hatte. Aber auch ihn fand er nicht. Wohl munkelten viele, aber es gab keine Beweise. Im August des Jahres 1912 wurden Paul Baumbach und Gustav Fischer aus der Fabrik entlassen, weil es angeblich an Arbeit mangelte. Albert Kuntz im Lager DoraTausende sind auf dem großen Appellplatz, der mitten im Lager Dora liegt, angetreten. Stundenlang müssen sie hier stehen. Es sind Häftlinge. Sie haben Hunger. Es gab nur eine Wassersuppe, die mußte für den ganzen Tag reichen. Der dünne Anzug, der grau-schwarz gestreift ist, schützt nicht vor der Kälte. Sie beißen die Zähne zusammen. Keiner will sich schwach zeigen gegenüber dem SS-Wachmann, der auf seiner schwarzen Uniform ein Totenkopfabzeichen trägt. Dort vor dem Stacheldrahtzaun, elektrisch geladen, damit, niemand fliehen kann, ist die Freiheit. Ganz hinten sieht der Gefangene die Schornsteine und die Dächer von Nordhausen. Dort fahren Straßenbahnen, dort gehen jetzt fröhlich lachende Menschen ins Kino. In den Gaststätten geht es lustig zu. Aber der Gefangene darf nicht hin, obwohl er nichts verbrochen hat. Weil er gegen den Krieg war, weil er für den Frieden eintrat, weil er Mitglied der Kommunistischen Partei war, wird er wie ein Verbrecher behandelt. Neben dem Arbeiter steht der Arzt, neben dem Lehrer steht der Pfarrer — sie sind im Konzentrationslager. Im hinteren Teil des Lagers liegt ein flaches Gebäude mit einem hohen, eckigen Schornstein, der Tag und Nacht Rauch ausstößt. Dort werden Gefangene getötet und verbrannt. Zwanzigtausend! Als der zweite Weltkrieg ausbricht, kommen zu den deutschen Gefangenen noch Menschen aus all den Ländern, die von Hitlers Soldaten besetzt wurden. Dort in der Baracke liegen Männer aus Frankreich, in diesem Holzhaus müssen Menschen aus der Sowjetunion hausen. Wenn die vier- oder fünftausend endlich die Baracken betreten dürfen, sitzen sie noch einige Zeit an den selbstgezimmerten Tischen. Sie denken nach. Unter ihnen sitzt Albert Kuntz. Er war ein einfacher Kesselschmied. Vor 1933, ehe die Nazis regierten, war er Sekretär der Kommunistischen Partei und Reichstagsabgeordneter. Sein Herz schlug für ein freies und demokratisches Deutschland. All seine Kraft setzte er ein, um gegen die Nazis und ihren Führer Hitler zu kämpfen. Als 1933 die Kommunistische Partei verboten wurde, wurde er verhaftet. Nach vielen Verhören, nach vielen Quälereien, die sich die SS-Leute ausgedacht hatten, kam er in das gefürchtete Konzentrationslager Dora. Albert Kuntz mußte mit seinen Kameraden in den unterirdischen Stollen bei Niedersachswerfen Waffen herstellen. In diesen Stollen war eine Fabrik untergebracht, in der Häftlinge die Mordwerkzeuge bauten, mit denen die Nazis die Menschen vieler Völker töteten. Das aber wollte Albert nicht. Er gründete eine Widerstandsgruppe und war einer ihrer Leiter. In heimlich gehaltenen Sitzungen berieten die Häftlinge, wie sie das Leben besonders bedrohter Kameraden beschützen könnten. Viele verdanken dieser Gruppe ihr Leben. In den Januartagen 1945 berieten die Führer der Widerstandsgruppe, wie man das Lager vor der SS schützen könne, wenn sich die Befreier dem Kreis Nordhausen näherten. Aber auch unter den Häftlingen fanden sich Verräter. Über hundert Genossen wurden aus den Baracken geholt, einem furchtbaren Verhör unterzogen, dann erschlagen oder gehenkt. Unter ihnen der Kesselschmied und ehemalige Reichstagsabgeordnete, der Kommunist Albert Kuntz. Nicht hoch genug können wir sein Heldentum ehren. Ruhig ging er für seine Überzeugung in den Tod. Der Name ist uns geblieben. Der Platz vor dem Bahnhof in Nordhausen, der Sportpark von Krimderode, beide tragen den Namen Albert Kuntz. Vor dem Bahnhof erinnert ein schlichter Stein an den Patrioten, der für uns starb. Es gibt Menschen, die ihr Leben von früher Jugend an in den Dienst einer guten Sache stellen. Hunger und Durst, Qual und Verfolgung erleiden sie, ohne zu verzagen. Ein solcher Mensch war Albert Kuntz. Wie Nordhausen zerstört wurdeOft brausten in den Jahren des zweiten Weltkrieges die endlosen Geschwader schwerer amerikanischer Bomber über Nordhausen dahin, ohne sich um diese kleine Stadt zu kümmern. Bis zum 3. April des Jahres 1945 war ihr — außer ein paar Notabwürfen und Tieffliegerangriffen auf den Flugplatz und die Umgebung — noch nichts geschehen. Die Hoffnung der Bevölkerung, den furchtbaren Krieg heil zu überstehen, sollte jedoch in den ersten Apriltagen 1945 auf das entsetzlichste zunichte werden. 3. und 4. April 1945 in Nordhausen! 750 schwere Bomber — mit einer Bombenlast, für drei Städte bestimmt — zerschlugen unsere Stadt bis zur Unkenntlichkeit! — Wir wollen hören, wie es damals war: Gerhard, ein kleiner Wicht von knapp zwei Jahren, wohnte mit seiner Mutter in der Oskar-Cohn-Straße nahe am Harzquerbahnhof. Vergnügt saß er in seinem Sportwagen und patschte in die Händchen. Er wußte: Jetzt geht’s mit Mutter und Großvater in die Stadt. Trübe war der Tag, naßkalt wie im November. Nieselregen ging hernieder. Heiter war nur der kleine Gerhard, denn endlich sollte es hinausgehen. Er jauchzte. Da heulte plötzlich die Sirene. Ein Schreck durchfuhr alle, die wußten, was dieser Ton bedeutete. Nur wenige Schritte trennten die drei Menschen — Großvater, Mutter und Kind — von ihrer Wohnung. Hastig schoben Mutter und Großvater den Kinderwagen zurück. Zu Hause rannten sie die Kellertreppe hinab. Eine dunkle, enge Nische im Kellergang bot kümmerlichen Schutz für Mutter und Kind. In der Luft begann es zu rauschen und zu pfeifen. Da knirschte schon das Gemäuer. Krachend schlugen die Bomben ein. Prasselnd und wuchtig ergoß sich eine Flut von Steinen über die schmale Kellertreppe. Ringsum war Nacht. Ganz allein hockten jetzt Mutter und Kind in der engen Nische, zugedeckt vom Schutt ihres Hauses. Unaufhörlich rieselte feiner Mörtel auf die beiden. Die Mutter tastete mit ihren Händen nach vorn und griff zwischen ein Lattengerüst. Sie tastete nach hinten und spürte auch hier vierkantige Leisten. Ja, das mußten zwei Kellertüren sein. Dicht über ihrem Kopf trafen sie zusammen und bildeten ein brüchiges Schutzdach, das Steine und Mörtel aufhielt. Ganz von fern hörte die Mutter Hilferufe. Woher sie kamen, wußte sie nicht. Immer noch krachten Bombeneinschläge. Sie drückte ihr Kind an sich, sie rief es beim Namen. Es antwortete nicht. Warum schwieg es ? Steif hockte sie inmitten der Steinbrocken und Latten in undurchdringlicher Finsternis und wartete. Kräftige Schläge erschütterten die Kellerwand, die die beiden von Trümmern eingeschlossenen Menschen vom Nachbarhaus trennte. Schreien wollte die Mutter, und doch kam es nur gebrochen heraus: „Helft uns!“ Wieviel Zeit war verronnen? Waren es Stunden? Waren es nur Minuten? Von draußen arbeiteten sich Retter heran. Eine kleine Öffnung klaifte jetzt im Gemäuer. Sie war gerade so groß, daß die Mutter das Bündel mit dem Kind durchschiehen konnte. In fieberhafter Eile wurde das Loch in der Mauer vergrößert. Die Mutter kroch nach. Ringsum sah sie eine Wüste von Stein, wo sonst festgefügte Häuser und freundliche Wohnungen gestanden hatten. Da lag Gerhard, der kleine Wicht von knapp zwei Jahren. Seine dicken Patschhändchen waren reglos. Der kleine Plappermund war verstummt. Die Mutter tauchte ein Tuch in das Wasser, das in einer Tonne bereit stand, wischte das liebe Gesichtchen ab und wußte: Nie mehr würden die blauen Augen des Kindes strahlend zu ihr aufblicken. Der zarte, junge Körper hatte die Erschütterung nicht überstanden. Gerhard war tot! Der Großvater rief stundenlang um Hilfe. Eingeklemmt zwischen Mauerwerk, geborstenen Balken und Brettern war er verschüttet worden. Die Mutter und andere hilfsbereite Menschen hörten ihn und versuchten zu helfen und zu retten. Alles war vergeblich. Er starb und mit ihm noch viele Männer, Frauen und Kinder überall in der Stadt. Viele waren ins Freie gelaufen, getrieben vom Rauschen der Bombengeschwader. Wohin sie wollten, wußten sie nicht. Nur heraus aus dieser brennenden, qualmenden Stadt, in der ganze Straßenzüge bis auf den Grund zerstört waren. Dies alles geschah am 3. April 1945. Das war ein schlimmer Tag in der Geschichte unserer Heimatstadt, aber noch nicht so schlimm wie der folgende, der 4. April. An diesem Tage starb das alte Nordhausen. Das Viertel um den Stresemannring brannte lichterloh, ebenso das Gelände um den Petersberg. Vom Kornmarkt aus sah man die Rautenstraße mit den angrenzenden Straßen in Flammen aufgehen. Wohin man schaute: Flammen, einstürzende Häuser. Weinende Kinder suchten ihre Eltern, Eltern ihre Kinder. Viele Tote und Schwerverletzte bedeckten die Straßen. Die Innenstadt wurde zu einem Trümmermeer. Nur wenige Gebäude, darunter das Alte und das Neue Rathaus, standen noch. Doch auch sie überdauerten nicht diesen Angriff. Bomben, die erst später explodierten, beschädigten diese stolzen Bauwerke schwer. Zwanzig Minuten hatten die Bombenflugzeuge gebraucht, um unsere tausendjährige Heimatstadt zu zerstören. 8800 Menschen fanden den Tod — verschüttet, verbrannt, von Splittern zerfetzt. Die Überlebenden flohen in langen Elendszügen in die Dörfer. Viele besaßen nichts mehr als die Kleidung auf dem Leib. Das alles war der Preis, den Nordhausen im zweiten Weltkrieg zahlen mußte. Aber die Menschen legten die Hände nicht in den Schoß. Sie zogen eine Erkenntnis aus diesem Leid. Nie wieder soll es dazu kommen, daß ein verbrecherischer Krieg beginnt. Friede soll sein! Eine Stadt wird aufgebautDer zweite Weltkrieg war zu Ende. Nordhausen, unsere Heimatstadt, war zerstört. Trümmer ringsum, Rauch, Schutt, Schrott. Tausende waren verbrannt, qualvoll umgekommen. Wo einst rote Giebel leuchteten, wo sich einst stolze Türme erhoben, wo einst Menschen gelacht und gelebt hatten — Trümmer, nichts als Trümmer! Wo einst der Verkehr flutete, wo Autos hupten und Straßenbahnen läuteten, wo einst Schaufenster lockten und Fenster glänzten, wo das Lärmen fröhlicher Kinder erscholl — Trümmer, nichts als Trümmer! Wo einst Maschinen surrten, wo hochbeladene Wagen Waren von weither brachten, Waren weithin beförderten, wo dampfende Lokomotiven endlos scheinende Güterzüge zogen, wo Fässer rollten und Traktoren ratterten — Trümmer, nichts als Trümmer! Wir hatten das Lachen verlernt. Kummer und Schmerz, Mutlosigkeit und Verzweiflung überall! Nordhausen war zerstört, war zerschlagen worden von den Bomben amerikanischer Flugzeuge. Was die Menschen vieler Jahrhunderte erstrebt und erreicht hatten, war verschwunden, dem Erdboden gleichgemacht. Zusammengebrochen lagen Häuser und Fabriken. Zusammengebrochen war auch in vielen Menschen der Wille zum Leben. Und das war schlimmer. Aber es mußte weitergehen, trotz allem. Ein neuer Anfang mußte gefunden werden. Und er wurde gefunden. Mutige Menschen nahmen Hacke und Spaten, Hammer und Kelle. Trümmer wurden beseitigt, Straßen vom Schutt befreit, Wohnungen erneuert. Nach Monaten der Niedergeschlagenheit begann langsam und zaghaft das neue Leben. Das war der Anfang. Bald flammte wieder das Licht auf in der Stadt. Aus den Wasserhähnen floß wieder Wasser. Die ersten Schornsteine begannen zu rauchen. Maschinen begannen zu surren. Wir arbeiteten hart, verbissen, unermüdlich, Tag und Nacht. Bald läuteten wieder die Straßenbahnen und beförderten die Fahrgäste. Aber wie sahen diese aus ? In ihren Gesichtern stand der Hunger. Ihre Kleidung war ärmlich. Der Krieg hatte ihnen alles genommen. Die Regierung der Arbeiter und Bauern half der Stadt. Ziegelsteine wurden herangefahren. Güterzüge brachten neue Maschinen. Der erste Fünfjahrplan wurde aufgestellt. Was bisher ungeordnet erschien, geschah nun planmäßig. Schon waren die meisten Straßen frei für den Verkehr. Schon hatten die ersten Geschäfte ihre Waren ausgelegt. Jedes Jahr brachte neue Erfolge. Nun halfen den Menschen bei ihrer Arbeit moderne Maschinen. Bagger und Lastfahrzeuge, Transportbänder und Preßluftbohrer wurden eingesetzt. Ein Kran begann zu arbeiten. Wo einst Trümmerfelder gelegen hatten, befanden sich nun freie Plätze. Und dann begann der Aufbau noch sichtbarer zu werden. Neue Häuser wuchsen empor, größer, schöner. Neue Hoffnungen erwachten, und langsam lernten die Menschen wieder das Lachen. Der Aufbau der Stadt brachte Freude. Schon spielten wieder Kinder auf sonnigen Plätzen. Das neue Nordhausen entsteht. Was Baumeister erdachten, wird Wirklichkeit. Heute hat das Leben die düstere Vergangenheit hinweggefegt. Längst sind nicht alle Schäden beseitigt. Jahrzehnte wird es noch dauern, bis Nordhausen den Krieg vergessen kann. Aber eins ist Wirklichkeit geworden: Nordhausen lebt. Wir bauen Schlepper für unsere BauernEs ist ein schöner Herbstsonntag. Der Vater und Rolf machen einen Spaziergang durch die Felder. Ein Rattern tönt durch die klare Luft. Drüben zieht ein Traktor einen Pflug über das Feld. „Vater“, ruft Rolf, „das ist doch ein Schlepper aus eurem Werk!“ „Freilich“, sagt der Vater, „das ist ein ,Pionier“, so nennen wir unsere schweren Schlepper. Sie werden nur für schwere Feldarbeiten verwendet. Wir bauen noch einen leichteren Schlepper. Der eignet sich besser für leichte Arbeiten wie Eggen, Anhäufeln oder das Herausschleudern von Kartoffeln. Du kannst unsere beiden Schlepper typen leicht unterscheiden. Der .Pionier“ ist niedrig und wuchtig. Der leichte Schlepper fällt durch seine sehr hohen Hinterräder auf“. Inzwischen ist eine Fläche des Ackers umgebrochen. Wie schnell das geht!“, meint Rolf. „Mit einem Pferdegespann oder gar fflit Kühen würde man doch tagelang an dem Stück Land pflügen.“ „Das stimmt“, sagt der Vater. „Deshalb lassen viele Bauern ihre Felder von den Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) bearbeiten, für die wir unsere Schlepper bauen. Im Herbst drängt die Landarbeit sehr. Der Bauer weiß oft nicht, was er zuerst tun soll. Da müssen die Kartoffeln und Rüben ausgemacht werden. Er darf aber auch nicht die Zeit zum Pflügen und Säen des Wintergetreides versäumen. Unsere Schlepper helfen mit, daß alle Arbeiten zur rechten Zeit aus-geführt werden können. Denn nur dann können wir eine gute Ernte erwarten.“ „Ach, Vater, ich möchte zu gern einmal sehen, wie eure Schlepper gebaut werden! Morgen spreche ich mit unserem Pionierleiter. Vielleicht darf unsere Gruppe euer Werk besichtigen.“ Und nach einigen Tagen ist es so weit. Rolfs Pioniergruppe ist auf dem Wege zum VEB (volkseigenen Betrieb) Schlepperwerk. Sie müssen tüchtig marschieren. Das Werk liegt weit draußen vor der Stadt. Das rote Verwaltungsgebäude ist weithin zu sehen. Jetzt können die Kinder nicht weiter. Männer der Werkpolizei sperren die Straße ab. Ein großer Güterwagen, der von einer kleinen Lok gezogen wird, fährt ins Werk. Rolf weiß Bescheid: „Das Schlepperwerk hat ein eigenes Anschlußgleis. Der Waggon bringt sicher Gußteile.“ Die Pioniere treten in den weiten Werkhof mit den niedrigen, langgestreckten Werkhallen. Rolfs Vater, Herr Walter, wird sie führen. Eben werden die neueingetroffenen Gußstücke abgeladen: Motorengehäuse, Felgen und vieles andere. Rostig und unansehnlich sehen sie aus. Bis aus ihnen ein Schlepper wird, dauert es sehr lange. Herr Walter erklärt, daß man diese Stücke so rostig und schmutzig nicht verarbeiten kann. Sie laufen vorher auf einem Fließband durch einen Tunnel. Die Stücke gleiten langsam durch den Tunnel und werden von allen Seiten mit Sand und Stahlkügelchen bespritzt. Das macht sie etwas sauberer. Der Fachmann nennt diese Vorrichtung ein Sandstrahlgebläse. Der letzte Schmutz verschwindet dann in einem Bad mit einer sehr scharfen Flüssigkeit. Die sauberen Gußstücke werden nun zu wichtigen Teilen zusammengeschraubt, zu Motoren, Getrieben und anderen. Diese wichtigen Teile nennt man im Werk „Baugruppen“. Aufmerksam hören die Kinder zu. Nun dürfen sie einen Blick in die hellen, sauberen Werkhallen werfen. Sie sind erfüllt vom brausenden Lärm der Maschinen. Aber am interessantesten ist doch die Endmontage. Dort werden die „Baugruppen“ zu fertigen Schleppern zusammengebaut. Durch die Halle läuft ein Fließband. Darauf wird von Zeit zu Zeit ein Getriebe geladen. Langsam trägt das Fließband diese Baugruppen an einigen Monteuren vorbei. Sie befestigen mit sicheren Handgriffen den Motor daran. Schnell muß das gehen, denn das Fließband bleibt rächt stehen. In unaufhaltsamer Fahrt trägt es das Getriebe mit dem Motor davon und gleichzeitig ein neues Getriebe heran, an dem die gleiche Arbeit geleistet werden muß. Das erste Getriebe fährt bereits an anderen Monteuren vorbei. Diese setzen die Hinterachsen ein. Weiter gleitet das Band zu anderen Monteuren. Alle haben ihre bestimmte Arbeit an den Schleppern. Da werden die Kotflügel angebracht, dort die Räder, das Fahrerhaus, der Kühler, die Scheinwerfer... Bald sieht der Schlepper schon wie ein Schlepper aus. Er fährt von dem Fließband herunter, und langsam nähert sich der nächste fertige Schlepper. Das ist interessant für die Pioniere. Sie sind gar nicht aus der Halle herauszubringen. Draußen bedanken sie sich herzlich bei Herrn Walter. Klaus ruft ganz begeistert: „Wenn ich aus der Schule komme, dann werde ich hier im Werk lernen.“ „Das tue nur“, sagt Herr Walter, „wir können tüchtige Lehrlinge brauchen.“ Im fruchtbaren HelmetalWie vor vielen tausend Jahren die Menschen in unserer Heimat lebtenVor langer, langer Zeit bedeckte eine Eisschicht große Teile unseres Heimatbodens. Man nennt diese Zeit deshalb die Eiszeit. Die Eisschicht war 10, 20, auch 50 oder 100 Meter dick. Die Oberfläche des Eises bildete keine glatte Fläche, sondern Berge und Täler. Sie hatte tiefe Risse und war sehr rauh. Ob zu jener Zeit in unserer Heimat schon Menschen lebten, weiß man noch nicht genau. Wahrscheinlich haben nur einzelne Gruppen von streifenden Jägern unsere Gegend durchzogen, ohne sich länger hier aufzuhalten. Diese Menschen kamen vom Westen, aus der Gegend des heutigen Frankreich. Sie lebten dort in Höhlen, denn das Eis war bis dorthin nicht vorgedrungen. Sie sahen ganz anders aus als wir. Sie waren klein, stark behaart und hatten lange Arme. Sie sahen beinahe wie Affen aus. Aus ihren schwarzen Augen, die tief unter den dicken Augenbrauenwülsten lagen, schauten sie scharf über die Landschaft hin. Die Männer waren gute Jäger. Mit Faustkeilen aus Stein und Holzkeulen jagten sie das Wild. Die Beutetiere mußten den Jägern nicht nur Fleisch und Knochen geben, sondern auch die warmen Pelze als Kleidungsstücke. Mit ihnen schützten sie sich vor Kälte und Nässe. Im Laufe der Jahrhunderte schmolz das Eis. Die Eisdecke zog sich immer weiter zurück. Auf dem abgetauten Boden begannen Pflanzen zu wachsen. Mit den Pflanzen kamen die Tiere. Bis das Eis ganz geschmolzen war, vergingen mehr als 10000 Jahre. Nun siedelten sich auch Menschen an. Da die meisten Geräte dieser Menschen aus Stein waren, nennt man heute die Zeit, in der sie lebten, die Steinzeit. Die Steinzeitmenschen hatten das Feueranzünden gelernt. Sie bauten einfache Wohnungen. Erdgruben wurden mit Stangen, Reisig und Grasbüscheln bedeckt oder kleine Hütten aus Holz und Lehm errichtet. Woher weiß man wohl von der Eiszeit und der Steinzeit ? Von der Eiszeit erzählen uns Berge und Täler. Große Rillen hat das Eis hineingerieben. Noch heute sind sie zu sehen. Sie geben uns sogar die Richtung an, in der sich das Eis entlangschob. Noch heute liegen an vielen Stellen große Steinblöcke. Viele Kilometer wurden sie vom Eis mitgeschleppt. Ihre Kanten sind abgerieben, ihre Oberfläche ist glatt. Sie blieben liegen, als das Eis schmolz. Diese Steine heißen Findlinge. Woher aber erfahren wir von der Steinzeit? Unsere Vorfahren konnten doch noch nicht schreiben! Wir wissen es nicht aus alten Büchern, sondern erfahren es auf eine andere Art. Hört: Vor einigen Jahren stieg eine Reihe sch wer bepackter Männer den Feldweg von Auleben zur Windleite hinauf. Sie trugen Spaten und Kreuzhacken. Aber noch mehr war in ihren Rucksäcken verborgen: Metermaß, Zollstock, Fotoapparat, Papier und Bleistift. Sie gingen auf den Kiefernwald auf dem Solberg zu. Mitten zwischen den Bäumen hielten sie an. Einige bauten sogleich aus Brettern eine kleine Schutz-und Gerätehütte. Die anderen aber suchten einen der im Walde versteckten Hügel aus und begannen, auf dem grasbewachsenen Boden zu graben. Ein älterer Herr — ob es ein Professor war ? — achtete darauf, daß alle Arbeiter ganz vorsichtig zu Werke gingen. Einige Zeit verstrich, ohne daß sie etwas Besonderes fanden. Plötzlich aber rief einer der Männer: „Vorsicht! Hier scheint etwas zu liegen!“ Er legte den Spaten beiseite. Sorgfältig schaufelte er mit einem Spachtel die Erde weg. Die Arbeit war sehr mühselig. Nach einigen Stunden aber zeigte sich der Erfolg. Das Skelett eines Menschen wurde freigelegt. Der Hügel war seine Grabstätte gewesen. Einer der Forscher holte den Fotoapparat. Andere maßen die Knochen und die Grabstelle ab und schrieben alles auf. Außer den Knochenteilen fanden sich noch Scherben von Tontöpfen. Diese waren mit hübschen Mustern verziert. Auch Steinbeile und behauene Feuersteine lagen bei dem Grab. Solche Funde sind es, die uns heute vom Leben unserer Vorfahren erzählen. Aber es ist ein sehr mühsames Forschen, und vieles ist uns aus jener Zeit noch unbekannt. Nicht immer bringt eine Ausgrabung so viel Erfolg wie hier am Solberg bei Auleben. Von diesem Solberg aber weiß man noch mehr. An der Stelle, wo die Männer das Skelett fanden, war früher eine Begräbnisstätte. Die Hütten der Menschen standen unterhalb des Berges in der Ebene, wo heute die großen Solwiesen liegen. Die Menschen wußten wohl, warum sie sich gerade hier niederließen. Hier fanden sie etwas, was damals sehr kostbar war. Es war Salz. Sie brauchten es unbedingt zum Leben. Noch heute sprudelt an der Fahrstraße, am Fuße des Berges, eine Quelle aus dem Gestein hervor. Ihr klares Wasser schmeckt sehr salzig. Man nennt sie deshalb auch Solquelle. Aus diesem Wasser wurde das Salz gewonnen. Salz brauchen die Menschen für ihre Nahrung. Da es an vielen anderen Orten kein Salz gab, reisten Händler heran, um es im Tauschhandel zu erwerben. Sie kamen oft von weit her. Einmal brachte ein solcher Händler etwas bisher Unbekanntes mit. Es waren Gegenstände aus einem Metall, das wir heute Bronze nennen. Daraus gab es glänzenden Schmuck für Männer und Frauen. Später tauschte der Händler sogar Bronzebeile ein. Die waren schärfer als die Steinbeile und wurden daher mit Salz, Pelzen und Korn teuer bezahlt. Der Händler hatte auch erzählt, daß Bronze aus zwei Metallen hergestellt würde, nämlich aus Kupfer und Zinn. Kupfer steckte in schwarzen Steinen, die er in seiner Heimat in den Bergen fand. Er brachte einen solchen Stein mit und zeigte ihn den Leuten. Von da an suchten die Siedler an der Solquelle in den Bergen gleichfalls nach solchen schwarzen Steinen. Sie hatten Glück! Bei Mansfeld am Harz fanden sie welche. Sie enthielten Kupfer, so, wie es ihnen der Händler gesagt hatte. Eine neue Zeit brach an. Wir nennen sie heute die Bronzezeit. Erst viele, viele Jahre später fand man ein noch besseres Metall in den Bergen, das Eisen. Es ist viel härter als Bronze. Noch heute erzeugen wir daraus Stahl, aus dem wir Werkzeuge, Maschinen und vieles andere anfertigen. Von der Zeit an, da das erste Eisenerz gefunden und verarbeitet wurde, spricht man von der Eisenzeit. Das ist nun schon wieder 3000 Jahre her. Vor dem Sturm. Die Verschwörung der Bauern und Holzarbeiter von TrebraVor mehr als vierhundert Jahren lebte in Bliedungen bei Trebra ein Holzhauer mit Namen Andreas. Er besaß ein kleines Haus, hatte mit seiner Frau Liesel zusammen fleißig gearbeitet und dadurch etwas Geld gespart. Im Herbst erkrankten seine Frau und die sechs Kinder an Blattern. Andreas mußte die Kranken pflegen und konnte nicht in den Wald zur Arbeit gehen. So war das ersparte Geld bald aufgebraucht. Da kam Martini heran. An diesem Tage mußte Andreas wie alle anderen Bliedunger dem Priester Konrad vom Klosterhof Bliedungen die schuldigen Abgaben bringen. Dieser Priester war ein harter Mann, der den Armen die letzte Ziege aus dem Stalle holen ließ, wenn er ihre Abgaben nicht zur rechten Zeit erhielt. Bald danach zerschlug ein nieder brechender Baum Andreas den rechten Arm, und wieder konnte er nichts verdienen. Bettelarm saß er mit seiner Frau und den Kindern in seiner Hütte. Trübe Gedanken bewegten ihn. Sie hatten schon recht, die wilden Gesellen, die immer häufiger bettelnd ins Dorf kamen und von der Härte und Grausamkeit der adligen und kirchlichen Herren berichteten. Sie wußten von einem heimlichen Bunde zu erzählen, den in Thüringen Bauern und Waldarbeiter geschlossen hatten, um sich von der Unterdrückung durch die Dienstherren zu befreien. In Bliedungen schimpften die Leute schon ganz offen über die unerschwinglichen Abgaben. Andreas hatte sogar gehört, daß in Trebra eine heimliche Verbrüderung bestand, daß man sich nachts versammelte und dabei seltsame Bräuche hatte. Wer hatte wohl im Walde den grausamen Vogt von Enkenrode erhängt ? Es war ein Heimlichtun unter den Leuten, und keiner traute mehr dem Nachbarn. Plötzlich sprang Andreas aus seinem Nachdenken auf. Weg mit allen diesen Gedanken! Seine Kinder sollten ihre Weihnachtsfreude haben. Er holte vom Boden ein paar Marderfelle herunter, zog seinen dicken Winterrock an und stapfte durch den tief verschneiten Winterwald zum Händler nach Weitzelsrode. Dem gefielen die Felle, und Andreas bekam außer einem Stollen, Äpfeln, Nüssen und bunten Tüchern für die Kleinen auch noch etwas Geld. Es dunkelte schon, als er sich auf den Heimweg machte. Kam da nicht jemand hinter ihm her ? Plötzlich fühlte er eine Hand auf seiner Schulter. Ein großer bärtiger Mann stand hinter ihm und fragte, was er zu so später Stunde im Walde zu tun habe. Voll Teilnahme hörte der Bärtige an, was Andreas von seinem Schicksal berichtete. Dann sagte er: „Mich sendet der große Thomas Müntzer, und Apostel nennt man mich. Gib mir deine Hand und werde einer der unseren, die wir das Joch der Priester und Herren nicht länger tragen wollen!“ Verwirrt stand Andreas vor dem Fremden. Sollte er ihm glauben und die dargebotene Hand ergreifen ? Da gedachte Andreas seines hungernden Weibes und seiner frierenden Kinder und der Knüppelschläge, die er am Tage vor seinem Unfall erhalten hatte. „Hier ist meine Hand“, sagte er entschlossen, „was soll ich tun?“ „Laß kein Wort über deine Lippen kommen von dem, was du heute hier erlebt hast. Auch dein Weib darf nichts erfahren! Komme am Silvesterabend zurück an diesen Ort! Wenn dich jemand im Wald anhält, dann sprich nur: ,David und Goliath!‘ und man wird dich gehen lassen. Auf Wiedersehen am Silvesterabend!“ Nachdenklich ging Andreas in der Woche zwischen Weihnachten und Neujahr einher. Am Silvesterabend machte er sich auf den Weg zum Treffpunkt, einer Kapelle beim Gesundbrunnen am Bauernberge. Am Waldrande wurde er von Bewaffneten angehalten. Als er aber „David und Goliath“ gesagt hatte, ließen sie ihn gehen. Die Kapelle war von Kerzen hell erleuchtet. Über 100 Männer, mit Schwertern, Morgensternen, Äxten und Spießen bewaffnet, hatten sich schon versammelt. Vor dem Altar stand im blutroten Gewände und mit einem breiten Schwert am Gürtel der Apostel und hielt einen feierlichen Gottesdienst ab. Als das kraftvolle Schlußlied verklungen war, hoben die Männer ihre Waffen und riefen: „Führe uns zum Kampf! Tod den Tyrannen!“ Der Apostel erhob seine Stimme: „Freunde, Brüder! Geduld! Unser Prophet, Thomas Müntzer, sagt: ,Noch ist der Tag der Freiheit nicht gekommen.“ Noch gehören nicht alle zu unserer Brüderschaft. Wenn es so weit ist, muß der Aufruhr aller Unterdrückten auf einmal in allen Landen beginnen. Wenn ihr in einigen Wochen hört, daß Burgen und Klöster durch unsere Gewalt fallen, dann erhebt euch zum heiligen Krieg gegen eure Unterdrücker und kommt in Waffen wieder an diesen Ort!“ Andreas war es unheimlich zumute. Doch plötzlich war er von Männern umringt, von denen er viele kannte. Es waren Bauern und Waldarbeiter aus Trebra und den umliegenden Orten. „Willst du nun als freier Mann dich ganz unserem Bunde weihen?“ fragte der Apostel. „Dann knie nieder und schwöre bei dem Allmächtigen, daß du dem Bunde treu sein, seine Geheimnisse verschweigen und dem Befehl des Propheten und Apostels gehorchen willst!“ Andreas kniete nieder, hob seine Hand und schwor. Der Apostel ließ ihn aufstehen, und alle begrüßten ihn als neues Mitglied ihres Bundes. Gemeinsam gingen sie schweigend durch den Schnee in ihre Dörfer zurück. Andreas war froh und stolz, Freund und Bruder der großen Verschwörung geworden zu sein. Aber es kam anders. Wohl brach der Aufruhr los, aber das Bauernheer wurde in der Schlacht bei Frankenhausen durch Verrat und die Übermacht der Fürsten geschlagen. Zwölf Anführer wurden ergriffen und enthauptet. Alle übrigen befahlen die Sieger zum Gericht auf den Damm des Großen Teiches bei Schiedungen. Der Graf Ernst von Hohenstein führte den Vorsitz. Er meinte, es wäre am besten, den ganzen Bauernhaufen den Teichdamm hinunterzutreiben und zu ertränken. Ein junger Ritter jedoch, Balthasar von Sundhausen, war dagegen. Er sagte, man wisse dann nicht, wer dem Grafen und seinen Rittern die Frondienste leisten, die Felder bestellen und abernten, Fuhren und Bauarbeiten machen solle. Die Richter sahen das ein. So wurden die Bauern nicht getötet, sondern dazu verurteilt, noch mehr und noch härter für ihre Herren zu arbeiten. Ein junger Ritter jedoch, Balthasar von Sundhausen, war dagegen. Er sagte, man wisse dann nicht, wer dem Grafen und seinen Rittern die Frondienste leisten, die Felder bestellen und abernten, Fuhren und Bauarbeiten machen solle. Die Richter sahen das ein. So wurden die Bauern nicht getötet, sondern dazu verurteilt, noch mehr und noch härter für ihre Herren zu arbeiten. Von den Schiedunger TeichfischernFrüher gab es in der Umgebung von Schiedungen viele Teiche. Auf alten Landkarten sind sie noch eingezeichnet. Sie sollen von Karpfen, Hechten, Schleien und anderen eßbaren Fischen gewimmelt haben. Wahrscheinlich wurden diese Teiche von den Mönchen aus dem Kloster Walkenried angelegt, denn diese rühmten sich, so viele zu besitzen, daß sie jeden Tag im Jahre Fische aus einem anderen essen könnten. Die Bauern mußten bei der Anlage der Teiche helfen. Sie mußten Gräben ausheben, um das Wasser von Ohe, Sehte und Helme abzuleiten, und viele tausend Wagen Erde herbeifahren, um die Dämme aufzuschütten. Noch heute kann man auf dem Damm des Großen Teiches entlanggehen. Man braucht aber eine gute Stunde Zeit dazu. Dieser Teich bedeckte mehr Land, als heute zu vier Neubauernwirtschaften gehört. Damals wurde alle zwei Jahre gefischt. Vier Wochen brauchte das Wasser zum Abfließen. Alle Einwohner waren auf den Beinen, wenn die Zeit des Fischens gekommen war. Der Kantor gab mit der Kirchenglocke das Zeichen zum Beginn. Das war ein Zappeln und Springen, ein Wimmeln und Flossenschlagen in dem flachen Wasser vor dem Abfluß. Jeder stärkte sich noch mit einem Trunk Branntwein, und dann ging es mit Netzen und Körben an die Arbeit. Der Dorfschulze und der Fischmeister führten die Aufsicht, gaben Anweisungen und paßten auf, daß keiner der Helfer einen Fisch für sich beiseite brachte. Unterdessen kamen die Fuhrwerksbesitzer und ließen ihre Wagen mit dem Fang beladen. Sie waren nämlich verpflichtet, die Fische zum Verkauf fortzufahren. Für jede Fuhre bekamen sie einen Scheffel Hafer, Essen und Trinken und zwei Groschen Lohn. Die anderen Helfer erhielten für jeden Arbeitstag eine Mahlzeit Fische, einen Karpfen und einen Krug Bier. War der Fang gut, so brieten die Gutspächter ein Schaf und schenkten eine Tonne Bier aus. Bis nach Heringen und Sondershausen wurden die Fische verkauft. Die Klöster in Heiligenstadt und Worbis gehörten zu den besten Kunden der Schiedunger Teichpächter. Die Fische, die nicht sogleich verkauft wurden, kamen in die Fischlöcher hinter dem Fischhaus, das noch heute auf dem unteren Damm an der neuerbauten Brücke steht. War der Teich wieder voll Wasser gelaufen, wurden Jungfische ausgesetzt. Diese mußten die Pferdebesitzer aus den Zuchtteichen bei Holbach herbeifahren. ft hatten die Gutspächter und der Fischmeister große Sorgen. Bei Hochwasser mußten sie und die Bauern Tag und Nacht bereit sein, um Schaden zu verhüten. Mit Reisigbündeln, Stroh und Erde stopften sie Löcher im Damm zu, die das Wasser riß. Trotzdem wurden oft genug die hohen Ufer überspült, und viele Fische schwammen davon. Einmal durchbrach das vom Sturm aufgepeitschte Wasser den unteren Damm des Großen Teiches, schwemmte eine ganze Herde Schafe davon und führte ertrunkene Tiere mit sich bis in die Gegend von Nordhausen. Von Jahr zu Jahr sammelte sich im Großen Teich mehr Schlamm an. Das Wasser wurde immer flacher, und in kalten Wintern froren die Fische ein. Hätte man den Schlamm herausfahren wollen, so wären mehr als zweitausend Fuhren nötig gewesen. Das wäre zu teuer geworden. Statt dessen wollten die Gutspächter den Damm höher aufschütten. Aber auch dazu wären einige tausend Fuhren gebraucht worden. Diese sollten die Bauern von vierzehn Dörfern kostenlos anfahren. Mit Recht lehnten sie sich dagegen auf und verweigerten die Arbeit. So verschlammte der Teich immer mehr, bis er trockengelegt wurde. Die Gutspächter hatten aber noch andere Sorgen. Oft fanden sie nicht genug Käufer für die Fische. Dann mußten sie den Fang billig oder ganz umsonst abgeben. Den Schiedungern kam das zugute. Sie konnten sich an Fischen gütlich tun. Das ärgerte die Bewohner der umliegenden Dörfer, und sie nannten die Schiedunger boshaft „die Grätenfresser“. Im Jahre 1809 wurde im Großen Teich zum letzten Male gefischt. Man ließ kein Wasser mehr hineinlaufen. Als der Teichboden trocken war, wurde Gras darauf gesät. Viele Jahrzehnte sind seitdem vergangen. Wo einst der Große Teich glänzte, grünt heute eine Wiese. Zur Erntezeit rattern darüber Traktoren, gesteuert von jungen Arbeitern einer nahen Produktionsgenossenschaft. Kaum einer von ihnen wird daran denken, daß noch seine Vorfahren als Leibeigene hier für die Gutspächter fischen mußten. Die Heringer Grafen und ihr SchloßHoch ragt das Schloß in Heringen über die Dächer des Städtchens. Bis zu fünf Stockwerken steigen seine wuchtigen Mauern in die Höhe. Viele Jahre lang war das Schloß der Sitz eines alten Grafengeschlechts, das hier wohnte und herrschte. Nur wenige kennen heute noch die Namen der Besitzer. Von den vielen Arbeitern aber, die das Schloß bauten, künden Steinmetzzeichen an Wänden und Treppen. Bemalte Deckenbalken, viele kunstvoll verzierte Säulen und Träger erzählen von früherer Pracht. Ungezählte Fuhren Sandstein, Holz, Dachziegel und anderes Baumaterial wurden damals in harter Fronarbeit herangeschafft. Wieviel Tropfen Schweiß mögen geflossen, wieviel Hammerschläge erklungen, wieviel Flüche verhallt sein, bis dieses Bauwerk entstand, errichtet für wenige Menschen! Später wurde das ganze Anliegen mit seinen Nebengebäuden eine staatliche Domäne. Dieses Schloß hat eine lange Geschichte. Immer wieder diente es dazu, die Bauern im Helmetal auszunutzen. Immer wieder flössen die Ernten der reichen Goldenen Aue in seine Speicher und Vorratsräume. Und die Menschen, die das alles schufen? Sie hatten nichts von den angehäuften Schätzen und Reichtümern, sie waren arm und rechtlos. Grafen und Domänenpächter beuteten sie aus. Einer der Pächter benutzte das Schloß als Getreidespeicher, die Schloßkapelle als Schmiede. Dann kam eine Zeit, in der die Kräfte der Bauern nicht mehr ausreichten, um die Forderungen der Pächter zu erfüllen. So wurden polnische Arbeiter geworben. Aber sie mußten hier wohnen. Der Pächter baute für sie eine Unterkunft, die noch heute die Polenkaserne genannt wird. Ein Stück der alten Stadtmauer wurde als Wand verwendet, um Geld zu sparen. Das Gebäude ist ein Schandfleck der mittelalterlichen Stadt. Es bildet einen häßlichen Gegensatz zum stolzen Schloß. Und hier wohnten Menschen! Menschen, die arbeiteten, die für die Bewohner des Schlosses arbeiteten! Dem letzten Pächter gehörten mehrere Güter in der Umgebung von Nordhausen. In Heringen wurde ein Teil der Erzeugnisse verarbeitet. Eine Zichoriendarre, eine Zuckerfabrik, eine Brennerei und große Speicher wurden gebaut. Und überall mühten sich einheimische und polnische Landarbeiter um geringen Lohn für den Besitzer. Sicher bekam er mehr Geld als die alten Grafen, denn alle großen Höfe der Umgebung waren sein. Wohl war der Pächter kein Graf mehr, aber er lebte wie ein Graf. So kam das Jahr 1945. Menschen, die bisher für andere gearbeitet hatten, schafften von nun an für sich. Durch die Bodenreform erhielten sie Land. Ehemalige Landarbeiter und landarme Bauern wurden frei. Neubauerngehöfte entstanden. Viele Familien erhielten Wohnung. Wieder kamen Handwerker und Arbeiter, aber diesmal bauten sie nicht für die Grafen, nicht für die Pächter. Diesmal bauten sie für sich und ihresgleichen. In den Scheunen und Gebäuden an der Helme entstand ein Betonwerk. In die ehemalige Schlosserei und Stellmacherei zog die MTS. Brennerei und Zuckerfabrik wurden volkseigen. Im freigewordenen Gebäude der Rübensamenstation, die der letzte Pächter noch gebaut hatte, fand eine Großtischlerei Platz. Die riesigen Speicher dienen heute der Bäuerlichen Handelsgenossenschaft. In wenigen Jahren veränderte sich, was jahrhundertelang unveränderlich schien. Ein früherer Grafensitz ging in die Hand des Volkes über. Die Ausgebeuteten wurden freie Menschen. Das neue Leben zog ein in die alten Mauern. Wo vor etwa 150 Jahren noch leibeigene Bauern das Land des Grafen bearbeiteten, rattern heute die Traktoren der MTS. Wo vor wenigen Jahren noch polnische Arbeiter für geringen Lohn säten und mähten, sich mühten und plagten, ziehen heute die Pflüge einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft ihre Furchen. Das neue Leben hat die düstere Vergangenheit besiegt. Wer kennt das SüdharzvorlandDie SalzaquelleGewaltige Wassermengen fließen aus dem Gebirge ins Tal, bilden Bäche, Flüsse und Ströme, die im Meere enden. In unserer Heimat gibt es viele Quellen. Zu ihnen gehört die Salzaquelle, die südlich vom Kohnstein entspringt. Sie ist die viertgrößte in Deutschland. Die Salzaquelle erhält ihr Wasser aus der Wieda. Dieses Flüßchen aus dem Harz verliert in der Nähe von Woffleben große Wassermengen. Sie versickern im Kalkboden des Flußbettes und dringen unterirdisch in die Risse des Gipsgesteins des Kohnsteins ein. Der zweite Zufluß der Quelle kommt aus der Zorge. Diese verliert bei der Schnabelsmühle viel Wasser. Es durchdringt eine mächtige Erdschicht. Nach einem langen unterirdischen Weg quellen das Wieda- und das Zorgewasser als „Salzaspring“ hervor. Die abfließenden Wassermengen bilden den Quellteich. Sein Spiegel ist in ständiger Bewegung. Da der Teich nicht tief ist, sieht man an unzähligen Stellen das Wasser aus dem Teichboden sprudeln. An der Oberfläche bildet es kreisförmige Wellen. Aber nicht jede kleine Quelle im Teich quillt ständig, sondern immer nur wenige Sekunden. Dann treten wieder Sekunden der Ruhe ein. Die schöne Umgebung des Quellteiches wurde wegen ihrer Eigenart zum Naturschutzgebiet erklärt. Seine Buchten haben im Volksmund lustige Namen bekommen. Die Leute nennen sie die Wanne, den Tabaksbeutel, den Stiefel und das Euter. Nicht weit vom Quellteich liegt das Grundlose Loch. Es ist aber durchaus nicht grundlos, man kann sogar seinen Boden sehen. Auch hier quellen die Wasser der Zorge und der Wieda empor. Die Wasser vom Quellteich und vom Grundlosen Loch bilden die Salza. In geradem Lauf fließt sie an Nordhausen vorbei und mündet in die Helme. Sie bewässert Wiesen und Gärten und treibt noch heute Wasserräder von Mühlen und Betrieben. Die Burg Hohenstein in früherer ZeitEs ist nun bald 850 Jahre her, daß die Bauern aus Neustadt, Harzungen, Osterode und anderen Ortschaften die Burg Hohenstein erbauten. Diese Arbeit mußten sie umsonst verrichten. Die Bauern waren damals verpflichtet, an mehreren Tagen der Woche ohne Bezahlung für den Burgherren zu arbeiten. Schwer war die Arbeit, und schwer mußten die Pferde ziehen, um die Steine von einem entfernten Berge herbeizuholen. Es war Eronarbeit. Viele Kriege und schlechte Zeiten hat der Hohenstein erlebt. Einst trug sich folgende Geschichte zu: Dunkel und trübe war der Maimorgen des Jahres 1525. Am Fuße des Poppenberges knarrte auf einem einsamen Wege ein schweres Fuhrwerk. Nur leise trieben die Knechte die Pferde an. Manchmal schaute unter der Plane des Wagens ein Mami hervor, der zu größtem Stillschweigen und zur Eile mahnte. Es war der Abt des Klosters Ilfeld, der heimlich mit den reichen Klosterschätzen zur Burg Hohenstein floh. Er wollte dort vor den empörten Ilfelder Bauern Schutz suchen. Viele Jahrhunderte hatten die reichen Grafen und Äbte die Bauern ausgenutzt und ihnen kaum das Nötigste zum Leben gelassen. Jetzt empörten sich die Geknechteten im ganzen Lande gegen ihre Unterdrücker. Nun hatte der Abt den Hohenstein erreicht. Sein Freund, der Burgvogt, öffnete ihm das schwere eichene Burgtor und ließ ihn ein. Ganz unbemerkt war aber die Flucht des Abtes nicht geblieben. Ein Köhler hatte im Walde das Fuhrwerk des Klosters erkannt und die Bauern benachrichtigt. Nun rückten sie heran und wollten mit dem Abt Abrechnung halten, weil sie oft von ihm wegen Kleinigkeiten hart bestraft worden waren. Alle Verhandlungen des Vogtes halfen nichts. Der Klosterschatz mußte herausgerückt werden. Laut singend zogen die Bauern damit wieder hinunter nach Neustadt. Auf dem Marktplatz wurden Freudenfeuer angezündet und die Schätze des Klosters geteilt. Manch armer Bauer brachte einen silbernen Becher oder einen goldenen Schmuck nach Hause. Doch nicht lange konnten sich die Bauern freuen. Ihr Aufstand wurde niedergeschlagen. Noch mehr mußten dieBauern nun an Abgaben bezahlen, noch mehr Frondienste mußten sie leisten. Ihr gemeinsamer Wille war gebrochen. Der alte Haß gegen ihre Herren auf dem Hohenstein und im Kloster Ilfeld aber war geblieben und wurde stärker. Sie wußten, eines Tages würden sie frei sein. Die Sage vom GänseschnabelVor vielen, vielen Jahren stand in Ilfeld ein Kloster, in dem Mönche lebten und arbeiteten. Sie mußten genau nach den Kirchenregeln handeln. Es war ihnen bei strenger Strafe verboten, das Kloster zu verlassen. Sie durften auch nicht heiraten. Einer der Mönche, Gregor genannt, sah fast täglich an der Mauer des Klosters ein Mädchen mit einer Schar Gänse vorbeiziehen. Weithin leuchtete das schöne blonde Haar der Gänsehirtin. Es war auch der einzige Schmuck, den sie besaß, denn sie war sehr arm. Für das Hüten der Gänse bekam sie nur kargen Lohn und schmale Kost. Vater und Mutter waren früh gestorben, und so mußte sie bei fremden Menschen dienen. Wenn es im Herbst kalt und rauh wurde, fror sie oft bitterlich in ihrem dünnen grauen Kittelchen. An solchen Tagen zog die Gänseliesel, so nannte sie das ganze Dorf, mit besonders traurigem Gesicht dem Walde zu, um dort ihr Tagewerk zu vollbringen. Das schöne Kind tat dem Mönche leid. Tag und Nacht überlegte er, wie er ihm helfen könnte. Eines Tages tat er, was ihm streng verboten war. Er folgte dem Gänseliesel in den Wald. Liesel freute sich sehr, daß sich ein Mensch um sie kümmerte. Sie gewannen sich beide sehr lieb. Von nun an trafen sie sich heimlich jeden Tag im Walde. Gar zu gern hätte Gregor das Liesel geheiratet, aber das durfte er als Mönch ja nicht. Ihre Zusammenkünfte blieben zwar den Menschen verborgen, aber die Waldgeister sahen und hörten davon. Als eines Tages der Mönch auf einem der Berge am Rande des Ilfelder Tales stand und seinem Liesel auf der anderen Seite zuwinkte, kam eine böse Hexe geschlichen. Da sich der Mönch außerhalb des Klosters befand, hatte sie Gewalt über ihn. Sie verzauberte ihn in einen mächtigen Felsen. Als das Gänseliesel über sein Unglück zu jammern anfing, geschah ihr das gleiche. Auch sie wurde in einen Felsen verwandelt, der wie ein Gänseschnabel aussah. Da standen sie sich nun gegenüber und waren doch für immer voneinander getrennt. Noch heute kann man beide Felsen sehen, den „Mönch“ und den „Gänseschnahel“. Das NadelöhrHinter dem Freibad von Ilfeld beginnt der Goetheweg. Dieser führt an einem Felsblock vorbei, der eine enge Spalte hat. Die Sage erzählt von diesem Felsblock, daß ihn einst ein Riese aus dem Schuh geschüttet habe, weil der Block darin so drückte. In alter Zeit mußten alle Fuhrleute, die ihre Waren in die anderen Harzdörfer bringen wollten oder FIolz aus dem Walde zu holen hatten, an diesem Stein vorbeifahren. War nun ein Fuhrknecht neu eingestellt, so war es Brauch, daß er auf seiner ersten Fahrt unter dem Johlen und Lachen seiner Kameraden durch diesen engen Felsspalt kroch. Hinter ihm standen die anderen Knechte und halfen mit ihren Peitschen nach. Konnte er seinen Kameraden einen Taler bezahlen, brauchte er nicht hindurch. Davon erzählt ein Gedicht: Bei Ilefeld, da liegt ein Stein, Kaum fährt ein neuer Knecht ins Holz, Kauft er sich aber los mit Geld, Die Sage vom TanzteichAm Fuße des Mühlbergs liegt ein kleiner, verschwiegener See. Wie ein dunkles Auge glänzt er vor dem hellen Gipsgestein des Berges. Wie von so manchem See in den Gipsbergen unserer Heimat gibt es auch von ihm eine Sage. Sie erzählt: Vor langen Jahren stand an der Stelle des Sees ein stattliches Schloß. In ihm wohnte ein stolzer und wegen seines Reichtums übermütiger Ritter. Viele laute Feste und Trinkgelage feierte er mit seinen ebenso übermütigen Gästen. An einem heißen Sommertag schmauste, trank und tanzte wieder einmal eine große Festgesellschaft auf dem Schlosse am Mühlberg. Weithin im Tal hörte man ihren Lärm. Fern über den Harzbergen aber zog dunkel und drohend Gewittergewölk auf. Grelle Blitze zuckten über den schwarzen Himmel, und dumpfer Donner grollte in der Ferne. Da kam ein müder Greis in ärmlichem Gewände des Weges. Er schritt durch das Schloßtor über den Hof hinweg und betrat das Schloß. Die Knechte und Mägde bemerkten ihn nicht. Auch sie zechten und tanzten im Schloßhof wie ihre Herren oben im Festsaal. Bescheiden blieb der Alte an der Saaltür stehen und bat die übermütige Gesellschaft um ein wenig Brot. Zornentbrannt ging der Schloßherr auf den ungebetenen Gast los, ergriff ihn an seinem zerschlissenen Rock und warf ihn kurzerhand aus dem Fenster in die Tiefe. Johlend schaute die Menge zu. Doch welch ein Entsetzen malte sich auf ihren Gesichtern! Unten stand, von hellem Glanz umflossen, unversehrt der Alte und rief ihnen mit lauter Stimme zu: „Verflucht sei dieses Haus und jeder Stein von ihm! Verflucht sei der Herr und all sein Gesinde, verflucht die Gäste auch auf alle Zeit! Versinken soll die frevle Brut in ewiger Finsternis!“ Kaum hatte der Greis diese Worte ausgesprochen, zuckte ein greller Blitz hernieder, gefolgt von einem krachenden Donnerschlag. Vom Himmel goß es in Strömen. Als das Unwetter vergangen war, lag an der Stelle des lauten Schlosses mit seinem übermütigen Herrn und seinen Gästen der stille See, den man heute den Tanzteich nennt. Die KelleDicht bei Woffleben liegt eine Höhle, die früher zu den größten in Deutschland gehörte. Wände, Decke und Fußboden bestehen aus Gips. Es ist jenes weiße bröcklige Gestein, das überall zwischen Nordhausen und Ellrich abgebaut wird. Aber es ist nicht nur bröcklig, es löst sich auch im Wasser langsam auf. Der einsickernde Regen spülte im Inneren der Gipsberge große Hohlräume aus. Es entstanden sogar unterirdische Seen. Später brachen die Deckgewölbe ein, und an der Erdoberfläche bildeten sich tiefe Löcher, die Erdfälle. Mitunter sind auch diese mit Wasser gefüllt. So entstand auch die Kelle bei Woffleben. Sie war einst eine vielbesuchte Höhle. Weil sie groß war, konnten in ihr sogar Feste gefeiert werden. Der Höhlenwirt kühlte seinen Wein im unterirdischen See. Vor einigen Jahrzehnten wurde das Betreten der Höhle gefährlich. Große Gipsbrocken lösten sich aus der Decke. Nach und nach stürzte sie ein. Die Kelle geriet in Vergessenheit. Heute findet nur hin und wieder ein einsamer Wanderer den Weg zu ihr. Auch ich war an einem Sonntag dort. Ein dichtes Gewirr von Brennesseln und Farnkräutern versperrte mir den Weg. Langsam tastete ich mich auf dem steilen, schlüpfrigen Pfad vorwärts. In der Tiefe der Grotte glänzte dunkel der See. Sein Wasser schimmerte blaugrün. Ein eisiger Hauch stieg auf. Unaufhörlich fielen Tropfen, es klang fast wie eine Melodie. Kühl und still war es. Mir war unheimlich zumute. Erst auf dem Heimweg weckten die warmen Sonnenstrahlen in mir wieder fröhliche Wander Stimmung. Der Säuferkönig von EllrichAn Ellrichs Kirchentür sieht man vier Hufeisen. Was haben sie zu bedeuten ? Turnier war angesagt unter den Edelherren und Grafen. Aber nicht auf Tapferkeit und Geschicklichkeit kam es diesen Herren an, sondern auf den größten Durst. Der Sieger im Trinken sollte eine schwergoldene Kette erhalten. Ein berüchtigter Säufer war der Graf von Klettenberg. Vor dem hatten sie alle Respekt. Nun durstete mancher Graf tagelang, manch hoher Herr verzehrte nur Salzfleisch und Brot, den Durst zu steigern, ehe er zum Turnier nach Ellrich ritt. Nur der Klettenberger hatte keine Sorge. „Reicht mir den Humpen mit dem Pfälzer Wein!“ brüllte er vom Pferde herab dem Diener zu, ehe er aus Klettenberg zum großen Trinkgelage ritt. Die Saufbrüder saßen schon um den Tisch. „Ha, ihr Feiglinge, ihr habt die Krüge voll, aber ihr traut euch nicht, ein Tröpflein zu trinken, ehe der Klettenberger kommt. Und die goldene Kette ist mir jetzt schon sicher!“ rief er. „Hört, wie er prahlt!“ brüllten die Zecher, griffen nach den Humpen, und Kanne um Kanne wurde geleert und angeschrieben. Aber nach und nach sank hier ein Kopf auf die Brust, fiel da ein Trinker, der genug hatte, zu Boden. Steif und fest saß allein der Klettenberger. Der nahm vom Tisch die goldene Kette, tat sie sich um und wankte hinaus. Er stieg auf sein Pferd. Der frische Morgenwind machte ihn munter. Er war voll toller Launen. Aus der Kirche klang ihm der Gesang des Geistlichen und der Gemeinde entgegen, es war Sonntag. Da zwang er sein Roß durch die offene Kirchentür, lachte laut und frech über die verstörten Gesichter und ritt auf den Altar zu. Aber sein Pferd zögerte vor den Altarstufen. Hohnlachend gab er ihm die Sporen, da stürzte es, die Eisen fielen ihm von den Hufen, unter sich begrub es den Reiter. Tot war er samt dem Rosse. Säuferkönig von Ellrich gewesen zu sein, welch trauriger Ruhm! Die Hufeisen aber nagelte man an die Kirchtür, damit die schauerliche Begebenheit nicht vergessen werde. Holzverarbeitung in IlfeldVor einigen Tagen besuchte ich Ilfeld. Es liegt inmitten aufstrebender Berge. Hohe Wälder schützen den Ort vor rauhen Winden. Lichter Laubwkld wechselt mit dunklem Tannenforst. In vollen Zügen atmete ich die würzige Luft. Da rollte an mir ein Wagen vorbei; er war mit Eässern beladen, die zum Bahnhof gebracht wurden. Mir fiel ein, daß gerade das Holz eine bedeutende Grundlage für die Ilfelder Industrie geworden ist. Hier wird es zu Fässern, zu Parkett und zu Papier verarbeitet. Diese Fabriken wollte ich mir einmal ansehen. Vielleicht würde mir auch ein Arbeiter Auskunft über die Arbeit in seinem Betrieb geben. Im Ortsteil Wiegersdorf steht die Volkseigene Südharzer Faßfabrik. Auf dem Platz rings um die Gebäude lagern die Holzvorräte, starke Buchen-, Eichen -und Fichtenstämme. Ich hielt einen Lehrling an, der gerade über den Hof ging. Er erzählte: „Ein Sägegatter zerschneidet das Holz zu Brettern. Die Pendelsäge schneidet die Faßlängen. Bis aus den Brettern die fertigen Dauben entstehen, aus denen ein Faß zusammengesetzt wird, müssen sie nochmals beschnitten, getrocknet und gefräst werden. Vier Eisenbänder, die Reifen, halten den Faßkörper zusammen. Die fertigen Fässer dienen zum Lagern und Einlegen von Butter, Quark und Schmalz, von Marmelade, Gurken und Fischen. Die Deutsche Demokratische Republik liefert sie nach Ungarn, Holland, sogar bis nach China.“ Ich bedankte mich und ging weiter. Mein Weg führte an der Parkettfabrik vorbei. Gerade war Frühstückspause. Ich gesellte mich zu zwei Arbeitern, die, im Schatten auf einem Stamm sitzend, ihr Brot verzehrten. Freundlich berichtete einer von ihnen: „Unsere Fabrik ist die älteste, die in Ilfeld Holz verarbeitet. Sie fertigt die Parkettbrettchen, die dann gebündelt und nach dem Ausland geliefert werden. Oft fahren wir in andere Orte, um die Parkettböden selbst zu legen, deshalb nennt man uns Parkettleger.“ Weißt du eigentlich, was Parkett ist ? Überlege einmal! Die Sonne stand hoch. Es wurde immer wärmer. Ich freute mich, daß ich auf meinem Rundgang endlich auf einen Waldweg kam, wo Schatten und Kühle mir Erholung spendeten. Hinter den Bäumen lag die Papierfabrik. Hier sprach ich mit dem Betriebsleiter. „Wir holen unser Holz nicht direkt aus dem Wald, sondern beziehen es von einer anderen Fabrik. Diese hat das Holz bereits zerrieben und Holzschliff und Zellulose hergestellt. Aber auch Altpapier benötigen wir. Wie wir neues Papier hersteilen ? Große Mahlsteine reiben Holzschliff, Zellulose und Altpapier zu winzigen Teilchen. Diese Masse kommt in den „Holländer“, einen riesigen Behälter. Hier wird sie mit Wasser, Leim und Alaun, einem besonderen Salz, vermischt. Will man farbiges Papier hersteilen, kommt Farbe hinzu. Durch die Rührbütte gelangt die Masse auf ein Sieb. Das Wasser wird abgesaugt. Dann endlich fließt der Brei in die Papiermaschine. Diese preßt ihn durch einen engen Spalt zwischen zwei heißen Walzen hindurch. Hervor kommt ein langes, breites Papierblatt. Das wird auf große Rollen gewickelt. In einer besonderen Maschine wird dann das Papier in Bogen geschnitten.“ „Und was geschieht mit dem Papier, das Sie herstellen ?“ fragte ich ihn. „Wir stellen hauptsächlich Packpapier her und beliefern vor allem die HO und den Konsum. Aber auch Pappschachteln werden angefertigt“, antwortete mir der Betriebsleiter. Auf dem Wege zum Bahnhof hatte ich allerlei Gedanken. Unser tägliches Leben ist doch ohne den Rohstoff Holz gar nicht vorstellbar. Unser Heimatland liefert ihn in reichem Maße. Aber selbst der größte Vorrat geht einmal zu Ende, wenn nicht für neue Baumbestände gesorgt wird. Unermüdlich sind darum Forstarbeiter tätig, um an Stelle der geschlagenen Bäume Sämlinge einzusetzen. Vom Bäumchen bis zum Parkett, vom Stamm bis zur Zeitung, vom Brett bis zum fertigen Faß ist ein weiter Weg. Weißt du nun, warum wir sparsam mit Holz umgehen müssen ? Im LeichtbauplattenwerkZwischen Nordhausen und Ellrich erhebt sich ein langgestreckter Bergrücken, auf dessen Kuppen hohe Buchen stehen. Dazwischen liegen liebliche Waldwiesen. Wer auf dem Bergrücken entlangwandert, trifft an vielen Stellen auf einen festen Zaun, an dem eine Tafel verkündet, daß das Weitergehen wegen Absturzgefahr verboten ist. Dahinter fällt der Berg steil ab. In nächster Nähe hört man das Poltern von Steinen, das Rattern von Preßluftbohrern und das Fauchen von kleinen Lokomotiven. Eine umfangreiche Industrie erstand hier schon vor Jahrhunderten. Gips wird abgebaut. Unter einer dünnen Erdschicht lagert dieses Gestein viele Meter tief. Die Abbaustellen zwischen Nordhausen und Ellrich zählen zu den größten in ganz Europa. Hunderte von Menschen arbeiten hier. Mit Bohrern und Sprengstoff, mit Baggern und Schippen rücken sie täglich dem Gestein zu Leibe. Eine riesige weißgraue Wand entstand dadurch. Dazwischen wachsen rotgelbe Schutthalden mit dem Abraum in die Höhe. Neben dem Anhydritwerk und dem Leunawerk in Niedersachswerfen wurden Fabriken gebaut, die den gewonnenen Gips sofort weiterverarbeiten. Eine von diesen ist das Leichtbauplattenwerk in Ellrich. In ihm werden aus Holzwolle und Gips dünne Platten hergestellt, die beim Häuserbau verwendet werden. Ich schaue mir die Produktion von Leichtbauplatten einmal näher an. „Haben Sie auch die Kleiderbürste nicht vergessen ?“ fragt mich der Betriebsleiter des volkseigenen Werkes, denn feiner, weißer Gipsstaub wirbelt überall durch die Luft und bedeckt Arbeiter und Maschinen. Die Fabrik ist außen und innen damit überpudert. Mit meinem Begleiter betrete ich eine der Hallen. Ein Förderband führt schwere Brocken Gipsgestein heran und füllt damit einen Brecher. Das ist eine große Maschine, die die Steine zerbricht und zu feinem Gipsmehl werden läßt. Es knirscht und kracht in ihrem Innern. Daneben steht ein Brennofen. In ihm wird bei starker Hitze das Gipsmehl gebrannt. Ein anderes Förderband bringt den Gips zur Abfüllerei. Zwei Arbeiter mit Schutzanzügen füllen ihn in feste Papiersäcke. Vor lauter Gipsstaub sind sie kaum zu erkennen. Mit dem Betriebsleiter komme ich in die Halle, in der Leichtbauplatten hergestellt werden. Eine Maschine verarbeitet an dieser Stelle Fichten- und Kiefernholz zu dicken Ballen Holzwolle. Mehrere Frauen befördern diese in ein großes Becken, in dem sieh dünner Gipsbrei befindet. Sie haben Gummischürzen umgehängt und ihr Haar durch Kopftücher geschützt. Sie vermengen Holzwolle und Gips. Über und über sind sie mit grauen Spritzern bedeckt. Hier muß schnell zugepackt werden, denn Gips wird rasch hart. Neben den Frauen werfen zwei Arbeiter die mit Gips getränkte Holzwolle in eine Wringmaschine. Das ist eine anstrengende Tätigkeit, denn die Holzwolle ist inzwischen sehr schwer geworden. Sie wird ausgewrungen und in eiserne Formen gepackt, die so umfangreich sind, wie später die Leichtbauplatten sein werden. Die Formen sehen wie mächtige Kuchenbleche aus. Kleine Wagen fahren damit unter eine Maschine, die die Platten preßt. Sie sind schmutziggrau. Danach rollen die Platten in den Trockenraum. „Wie lange müssen die Formen hier bleiben?“ will ich vom Betriebsleiter wissen. „Eineinhalb Stunden bei 75 Grad Wärme“, entgegnet er. „Das ist lange“, denke ich, und als ob er meine Gedanken erraten hätte, sagte er: „Das Trocknen der Leichtbauplatten braucht die meiste Zeit. Danach sind sie fertig.“ Das sehe ich auch. Am Ende des Fabrikraumes liegen die hellgrauen Platten vor mir. Stolz überschaut sie der Betriebsleiter und sagt: „Seit 1949 liefern wir täglich 450 Stück. Viele Wohnungen können damit gebaut werden.“ „Eine Menge Holz und Gips wird hier verbraucht“, stelle ich fest. ..Tausend Kubikmeter Holz und tausend Tonnen Gips benötigen wir jährlich“, erklärt wieder der Betriebsleiter. „Für eine Leichtbauplatte brauchen wir 7—8 Kilogramm Gips und 3—4 Kilogramm Holzwolle.“ „Dann wiegt doch eine Platte etwa 11 Kilogramm, ich denke, es soll eine Leichtbauplatte sein?“ Wieder erläutert mein Begleiter: „Früher wurden aus Schilf und Zement ähnliche Platten hergestellt, die 30—40 Kilogramm wogen. Unsere neue Platte ist also wirklich leicht. Alle Baufachleute freuen sich darüber, weil sie beim Häuserbau gute Dienste leistet. Und dann stehe ich wieder draußen auf dem Fabrikhof, sehr bestaubt. Ich weiß nun, warum mich der Betriebsleiter nach der Kleiderbürste fragte. Nachdenklich betrachte ich die kahlen Gipswände des Bergrückens. Sie kommen mir jetzt nicht mehr grau und kahl vor, sondern weiß und freundlich. Mir ist, als wollten sie sagen: Wir wollen euch Menschen helfen, damit ihr schönere Wohnungen bekommt. Im LeunawerkWeiß leuchten die Gipswände bei Niedersachswerfen im Grün der Landschaft . Lokomotiven fauchen, Loren quietschen, Drucklufthämmer rattern. Nun ertönen Signale. Jetzt zerreißt der Knall einer gewaltigen Sprengung die Luft. Staubwolken steigen hoch. Steine poltern, rutschen, rieseln. Das ist der Gipsbruch des Leunawerkes „Walter Ulbricht“. Hier wird Gipsgestein abgebaut, das Industrie und Landwirtschaft dringend brauchen. Hart ist die Arbeit im Werk. Gefährlich ist der Arbeitstag der dort beschäftigten Menschen. Wenn die Frühschicht beginnt, steigen die Bohrkolonnen in die Wand. An Seilen ziehen sich die Männer in die Höhe. Hier fängt ihr Tagewerk an. Mit Brecheisen wird loses Gestein gelöst. Prasselnd rutscht es in die Tiefe. Nun arbeitet der Druckluftbohrer. Ratternd dreht sich der harte Stahl in den festen Felsen. Bohrlöcher werden gelegt. Eine Sprengung wird vorbereitet. Viele Bohrkolonnen arbeiten so. In der Mittagszeit verrichtet der Sprengmeister sein Werk. Andere Kolonnen zerkleinern die größten Brocken an der Sohle des Hanges. Bagger beginnen ihre Arbeit. Rastlos und ohne Pause verladen sie den gesprengten Gips in die Loren. Sie befördern ihn zu den Brechmaschinen, die ihn zu winzigen Steinchen zerkleinern. Viele hundert Tonnen werden so tagtäglich gesprengt, gebrochen, verladen. Die Eisenbahn transportiert den zerkleinerten Gips zum Hauptwerk nach Merseburg. Hier wartet der größte Betrieb unserer Republik auf den begehrten Rohstoff. Eine ganze Industrie verarbeitet Gips. Düngemittel für die Landwirtschaft werden hergestellt. Schwefelsäure entsteht. Zuschlagstoffe für die Zementindustrie werden gewonnen. Baustoffe für den Aufbau in unserer Republik werden erzeugt. Dieses Leunawerk hat eine ereignisreiche Geschichte. 1917 wurde es gebaut. Bis 1945 gehörte es einem großen Konzern an. 1946 übernahmen es sowjetische Eachleute. 1954 gaben sie den Betrieb in deutsche Hände zurück. Heute ist das Werk volkseigen. Mit allen seinen Maschinen, mit allen seinen Menschen, den Ingenieuren, Arbeitern und Angestellten, trägt es dazu bei, daß das Leben für uns alle besser wird. Hohensteiner KärmeßliedchenHoißa! hiet äß unse Kärmeß, Hei! bi solchen Kärmeßfreiden He hät aen RetuurbilljetNach Walkenried met dr Isenbahn Vom Wald und seinen Menschen im SüdharzWie die Harzschützen im Dreißigjährigen Kriege ihre Heimat verteidigtenEs geschah am Großen Auerberg bei Stolberg im Sommer des Jahres 1638. Heiß schien die Sonne auf Berge und Täler. Die Luft flimmerte. Dünner Rauch kräuselte über den Baumkronen. Hier, am Großen Auerberg, hatte noch vor kurzem eine Siedlung gestanden. Lautlose Stille lag nun über den schwarzen Trümmern der niedergebrannten Häuser. Kein Vieh brüllte mehr in den Ställen. In den verkohlten Resten scharrten magere Hühner und suchten vergeblich unter der Asche verbrannten Gebälks nach Körnern. Nicht weit davon lag eine ähnliche Brandstelle. Was war geschehen ? Räubernde Soldaten hatten das Dorf überfallen, hatten gemordet, geplündert, gesengt. Krieg herrschte in Deutschland, seit vielen Jahren. Ein Ende war nicht abzusehen. Immer wieder durchzogen fremde Truppen das Gebiet des Harzes, nahmen mit, was mitnehmenswert war, zerstörten und töteten, was Zurückbleiben mußte. Soldaten des Generals Tilly waren es. Nun ritten sie, die gestern noch geplündert hatten, auf der schmalen Waldstraße nach Breitenstein. Staubbedeckt waren die Pferde. Die Hitze ermattete auch sie. Etwa 30 Reiter waren es in abgeschabten Lederkollern, bunt gekleidet, mit Narben bedeckt. Verwegene Gesichter blickten unter den zerschlissenen Hüten. An den Sätteln klirrte geraubtes Hausgerät. Prall waren die Satteltaschen gefüllt. Den Reitern folgten schwankende Planwagen mit Bettzeug und Kleidung, Korn und anderen Vorräten der überfallenen Bauern. Gut war auch dieser Überfall geglückt, gestern! Lautlos hatten sie sich an das Dorf herangeschlichen. Die Pferde blieben im Schatten der Bäume zurück. Dann war alles sehr schnell gegangen. Schreiend waren die Bewohner vor den Soldaten in den Wald gestürzt, Frauen, Kinder und junge Burschen. Dann war der Haufe ins Dorf eingebrochen. Nicht viel war zu finden gewesen. So hatten sie sich damit begnügen müssen, zusammenzuschlagen, was noch unzerstört war. Wo aber waren die Männer geblieben, die Ernährer der vertriebenen Familien? Niemand hatte doch gekämpft ? Und nun ging es nach Breitenstein. Die Pferde schnauften, Staub wirbelte unter ihren Hufen auf. Nur langsam ging es vorwärts. Die Soldaten hatten die Lederkoller geöffnet. Schweiß perlte ihnen vom Gesicht. Die schweren Lanzen lagen auf den begleitenden Wagen, denn Feinde waren nicht zu befürchten. Auf der holprigen Straße ging es nun bergab. Dicht trat hier der hohe Buchenwald an den Fahrweg heran. Unterholz verhinderte jede Sicht. Poch was war das ? In den Büschen an der Seite war plötzlich das Schnappen von Gewehrhähnen zu vernehmen. Der Wald schien lebendig. Wild aussehende Männer versperrten den Reitern die Straße. Verdutzt griffen diese zu den Waffen. Aber schon krachten Schüsse. Getroffen sanken einige in den Staub. Nun knallten auch Pistolen, und dann drang eine Rotte kühn aussehender Gestalten mit schweren Säbeln auf die Reiter ein. Pferde wieherten. Flüche und Schmerzensschreie waren zu hören. Verzweifelt versuchte der Offizier des Soldatenhaufens mit wenigen zu entkommen. Bleich schrie er: „Harzschützen sind da! Rettet euch!“ Aber es war zu spät. Die Plünderer des Dorfes wurden zusammengehauen. Vereinsamt standen die Wagen mit dem geraubten Gut. Die Männer der vertriebenen Familien hatten Rache genommen. Keiner war ihnen entgangen. Was hatte dies alles zu bedeuten? Die ständigen Überfälle der Soldaten verschiedener Heere hatten die Harzbewohner zur Selbsthilfe gezwungen. Da der Landesherr sie nicht schützte, mußten sie sich selbst helfen. So bewaffneten sich die Männer und lauerten im Hinterhalt auf durchziehende Truppen. „Harzschützen“ nannten sie sich. Sie wollten ihre Heimat vor dem fremden Gesindel schützen. Nicht die Lust am Kriege vereinigte sie, sondern der Wille, daß Frieden werde. Längst war es nicht mehr möglich, daß sie als Bauern ihre Äcker bestellten und das Korn ernteten. Ihre Familien hungerten, denn die Vorräte waren geraubt. Jedes weitere Kriegsjahr brachte neue Schrecken. Es galt, das Letzte zu verteidigen. Wenn die Späher der Bauern neue Feinde meldeten, rotteten sie sich zusammen und stellten sich den raubenden Soldaten entgegen. Die furchtlosen Harzbewohner plünderten nicht und raubten nicht. Sie verteidigten ihre Heimat. Noch heute heißt die Straße, die vom Großen Auerberg bei Stolberg nach Breitenstein führt, die Harzschützenstraße. Harzer Waldarbeiter kämpfen um ihr Rechtie Holzfälleraxt geschultert, stapft Wilhelm Hahnemann durch den tiefen Schnee, den Lienberg hinab, seiner Hütte in Wiegersdorf zu. Der Wind zaust an seinen zerschlissenen Kleidern. Dichter Flockenwirbel nimmt ihm die Sicht. Doch er kennt hier selbst in stockfinsterer Nacht jeden Weg, jede Wurzel. Das lustige Geklingel eines Pferdeschlittens schreckt den Holzarbeiter aus seinem Sinnen. Er lauscht. „Der dicke Jost aus Ilfeld, der Händler, dieser Halsabschneider.“ Unwillkürlich faßt er seine Axt fester. Vorgestern war seine Frau bei dem Händler gewesen. Den letzten Taler aus dem Sparstrumpf hatte sie für einen halben Scheffel Kartoffeln geben müssen. Der Holzfäller stöhnt. Sorgen bedrücken ihn. Die Kartoffelkrankheit vernichtet seit Jahren die Kartoffelernte. Fünf hungrige Mäuler warten daheim. Und er verdient nur 75 Pfennig täglich für schwere, zwölfstündige Arbeit! Das paßt nicht zusammen. Sein Blick bleibt an einer breitkronigen, knorrigen Eiche hängen. Für die Rinde zahlen die Nordhäuser Lohgerber harte Taler, denkt er. Holz braucht der Bäcker. Seine Kinder hungern. Das Schneetreiben hat nachgelassen. Wilhelm Hahnemann hat die Straße erreicht. Aus dem Schornstein seiner Hütte sieht er dicken Rauch in den Himmel steigen. „Hilf dir selbst!“ fährt es ihm durch den Sinn. Fest schreitet er seinem Hause zu. Dr. Blumenthal, der mit seiner prallen Instrumententasche aus einem der Häuser tritt, erschrickt, als er in das grimmige Gesicht des Waldarbeiters blickt. Eilig trippelt er nach Ilfeld. Als Förster Wehrhahn einige Tage später am Lienberg den Spuren eines Rudels Rehe nachgeht, bleibt sein Blick plötzlich an einer bestimmten Stelle im Schnee haften. Doch es ist kein Reh, dem seine Aufmerksamkeit gilt. Der helle Stumpf einer Eiche und zerwühlter Schnee, Holzsplitter und die tiefe, talwärts führende Spur eines großen Schlittens treiben ihm die Röte ins Gesicht. „Holzfrevel, na warte!“ schreit er. Deshalb also steckten die Holzfäller heimlich die Köpfe zusammen, als er ihnen neulich die Lohnerhöhung glattweg abschlug. So schnell es der tiefe Schnee zuläßt, marschiert der Förster in der Richtung weiter, aus der Axtschläge erschallen. „Denen werde ich’s zeigen! Wollen doch sehen, wer hier zu bestimmen hat, diese aufsässigen Kerle oder Förster Wehrhahn, ihre Obrigkeit!“ Als die Waldarbeiter den Förster kommen sehen, zögern sie hei ihrer Arbeit. Schweigend sehen sie einander in die Augen, nicken sich zu und greifen wieder zu ihrem Handwerkszeug. Dann bricht das Gewitter los. Wehrhahn tobt und beschuldigt die Holzarbeiter. Worte fliegen hin und her. „Wenn wir unser Recht nicht bekommen, so nehmen wir’s uns.“ Als Wehrhahn zur Flinte greifen will, haben ihn schon zwei derbe Fäuste gepackt und zu Boden geftssen. Donnernd löst sich der Schuß und hallt von den Bergen wider. Dann schlagen die Arbeiter zu. Zwei Stunden später ziehen die Waldarbeiter aus Ilfeld und Wiegersdorf geschlossen zum Hause des Ortsschulzen, Friedrich Breer. Ihm wollen sie ihre Forderung überbringen. Doch die Kunde von der Auseinandersetzung am Lienberg ist schneller gewesen als sie. Friedrich Breer ist feige nach Osterode geflohen. Dr. Blumenthal hat die „Ilfelder Bürgerwehr“, deren Oberster er ist, alarmiert. Und der dicke Jost jagt einen Eilboten zu seinem Bruder, dem Hauptmann bei den Goslarer Jägern, er solle Soldaten schicken, um die „Revolution“ niederzuschlagen. Als sich die empörten Arbeiter nach Ilfeld wenden, sperren bewaffnete Bürger die Straße. „Macht Platz! Wir wollen zum Amtmann! Kartoffeln und Brot für unsere Kinder! Mehr Lohn für die Schinderei im Wald!“ Doch Dr. Blumenthal gibt seinen Leuten einen Wink. „Das ist Aufruhr gegen die Obrigkeit! Faßt die Rädelsführer!“ Schnell sind die unbewaffneten Arbeiter überwältigt, einige werden abgeführt, die anderen gehen unverrichteterdinge nach Hause. Der Frühling ist ins Land gezogen, die Märzsonne hat die Erde aufgetaut. Frau Hahnemann schaut die Straße nach Osterode hinauf. Wilhelm mußte doch bald kommen. Ungeduldig fragt sie die Nachbarin, ob deren Mann schon daheim sei. Hatte sie doch eine frohe Nachricht für ihren Wilhelm. Sie malt sich sein überraschtes Gesicht aus, wenn er in die Stube tritt und sieht, daß er sich satt essen kann, richtig satt. Und sie brauchte nicht einen Pfennig zu zahlen für drei große Körbe, randvoll mit Kartoffeln. Der Gutsherr von Werna hatte geholfen. Spät abends kommt Wilhelm müde nach Hause. Um die Rechte hat er einen schmutzigen Lumpen gewickelt. Schweigend, mit gesenktem Kopf, setzt er sich zu Tisch und greift mit der Linken in die Schüssel. „Wilhelm, so sag doch was! Sei nicht so undankbar! Geschenkt, sage ich dir, geschenkt!“ Doch der wickelt nur den Lumpen ab und zeigt die zerschundene Hand. „.Bezahlt, teuer genug bezahlt.“ Die Frau versteht nicht. Wilhelm weist zum Fenster hinaus auf die Straße nach Osterode. „Die dürfen wir auch umsonst bauen: für den Gutsherrn von Werna, für den Dr. Blumenthal und die feinen Bürger von Ilfeld, für den Amtmann und den dicken Jost und für ihren Förster Wehrhahn. Der Teufel hole die Obrigkeit !“ Am Kohlenmeiler und in der KöhlerhütteKöhler arbeiten im Walde. Auf freien Plätzen errichten sie seltsame Rundhügel aus geschälten Stämmen. Das sind Meiler. Darin brennen sie aus Holz die Holzkohle. Es ist eine schwierige Arbeit, einen solchen Meiler zu bauen. Zuerst schlagen die Köhler drei Stangen, die Quandelpfähle, senkrecht in die Erde. Um sie herum stellen sie Rundholz oder gespaltene Stammstücke auf. Dicht und gleichmäßig muß das Holz stehen. In der Mitte wird ein Luftschacht freigelassen. Die Stämme werden so gestellt, daß sie zum Schluß eine richtige Kuppel bilden. Nun wird der Meiler mit Rasenstücken und Erde bedeckt. Es darf nämlich nur ganz wenig Luft nach innen dringen, wenn das Holz angezündet ist. Brennen darf es nicht, denn dann bliebe nur Asche zurück. Es soll nur glühen, damit es verkohlt und zu Holzkohle wird. Tag und Nacht müssen die Köhler darum aufpassen, daß die Holzkohle gut gerät. Mit schwarzen Händen, rußigen Gesichtern und in ganz verrußter Kleidung arbeiten sie am Meiler. Nach 8 bis 14 Tagen ist er gar. Mit Erde oder Wasser löschen die Köhler die Glut. Dann wird die Holzkohle in Säcke gefüllt, zur Bahn gefahren und weiter befördert. Früher wohnten die Köhler im Sommer im Wald. Sie bauten Hütten, die sie „Koten“ nannten. Fichtenstämme wurden so eingerammt, daß ihre Enden oben zusammentrafen. Es blieb nur ein Loch für den abziehenden Rauch frei. Darüber legten sie aus Rasenstücken einen Regenschutz. Die ganze Hütte bedeckten sie außerdem mit Gras und Erde, damit sie regendicht wurde. Im Innern stand eine Bank, die aus dünnen Fichtenstämmen zusammengefügt war. Der Sitz neben der Tür gehörte dem Köhlermeister. Darunter lagen die Vorräte, die Töpfe und Tiegel und die Schlafdecken. Nur das Wochenende verbrachten die Köhler bei ihren Familien. Montags kehrten sie mit neuen Eßvorräten in den Wald zurück. Manchmal kamen auch die Frauen zur Arbeitsstelle. In schweren Tragekörben brachten sie ihren Männern Brot und Fleisch in die Koten. Damit die Männer wußten, wann Sonntag ist, legten sie sich montags sechs Fichtenzapfen auf die Bank ihrer Köte. Jeder bedeutete einen Arbeitstag. An jedem Abend warfen sie einen Zapfen ins Feuer. Waren alle verbrannt, so war der Sonntag wieder da. Sie hatten sogar ein Signalinstrument. Das nannten sie „Hille-Bille“. Es bestand aus einem dünnen Brett aus hartem Holz. Schlugen sie mit zwei Holzhämmern darauf, so war der Klang weithin zu hören. Mit der Anzahl der Schläge rief ein Köhler die anderen zum Essen oder zur Hilfe bei Gefahr. Auch heute gibt es noch Köhlerhütten. Aber sie sind unbewohnt. Waldarbeiter und Wanderer benutzen sie als Unterschlupf bei Regen. Die Köhler sind heute besser untergebracht. Aus meiner Harzer HeimatEs ist noch sehr früh am Morgen. Ich sitze am Waldrand hoch in den Bergen des Harzes. Eben ist die Sonne aufgegangen. Mit goldenem Schimmer überstrahlt sie das Land, und es kommt mir vor, als sei ich in eine ferne Märchenwelt versetzt worden. Die kleinen Tautropfen im Grase sehen aus wie viele glitzernde Edelsteine. Ach, mein Heimatland, wie bist du doch so schön! Während bis jetzt noch alles ruhig war, beginnt das Lehen ringsum sich mit den ersten Sonnenstrahlen zu regen. Die Vögel lassen ihre Lieder erschallen. Hier und da knackt ein Zweig. Ein Tier huschte wohl darüber. In der Luft summt und brummt es, und aus den Schornsteinen der Häuser im Tal steigt Rauch auf. Ein neuer Tag hat begonnen. Männer kommen auf mich zu, Harzkratzer sind es. Sie kratzen das Harz mit der Harzhacke vom Stamm. In besonderen Schürzen fangen sie es auf. Warum bricht das Harz eigentlich in derart großen gelben und klebrigen Klumpen hervor? Wenn die Tiere im Winter Hunger leiden, knabbern sie die Fichtenstämme an und fressen die Rinde. „Sie schälen die Stämme“, sagt der Förster, wenn er durch die Windstille ein seltsames Schaben und Kratzen hört. Aus den so entstandenen Wunden bluten die Bäume. Harz ist ein wertvoller Rohstoff. Um ihn zu gewinnen, ziehen Tag für Tag die Harzkratzer in den Wald. Das sind Leute aus den Bergdörfern, die für die Forstverwaltung arbeiten. Zweimal in der Woche rattert ein großer Lastwagen durch den Wald. Er holt das gewonnene „Gold“ ab und bringt es in das Harzwerk Blankenburg. Dort wird es in großen Apparaten durch Erhitzen und Abkühlen zu Kolophonium verarbeitet. Wozu braucht man Kolophonium? h überlege noch. — Da, horch, welch wundersames Geläut! Ich schaue in die Richtung, aus der es zu kommen scheint. Sind es nicht Kühe? Ja, richtig, ich bin doch im Harz, wo die Kuhherden jeden Morgen ausgetrieben werden. Jedes Tier hat am Hals eine Glocke hängen. Beim langsamen, bedächtigen Schreiten der Kühe bewegen sich die Glocken und läuten. Nun ist die Herde nähergekommen. Ich sehe einen Hirten. Ihm zur Seite läuft ein kleiner, flinker, langhaariger Hund mit buschiger Rute. Seine schwarzen Augen weichen keinen Augenblick von seinem Herrn. Sie verstehen einander ohne Worte. Ein leiser Pfiff durch die Zähne, ein Wink mit der Hand, und schon saust der Hund los und kneift ein ungehorsames Kalb oder eine Kuh in die Beine. Freundlich grüßt der Kuhhirt zu mir herüber. Ob ich wohl ein Stück mit ihm gehen darf ? Der Hirt freut sich, wenn er Gesellschaft hat. Bald kommen wir ins Gespräch. Natürlich möchte ich etwas über seine Herde und sein Leben erfahren. Bereitwillig erzählt er: „Es ist jedesmal ein Festtag für mich, wenn ich im Frühjahr meine Herden austreiben kann. Früh am Morgen geht es hinaus auf die Waldweiden. Im Dorf öffnen sich die Tore, und die braunen Kühe folgen mir, wenn ich durch die Straßen und Gassen gehe. Man muß nämlich wissen, daß die Tiere nicht nur einem Besitzer gehören. O nein, ich treibe alle Kühe unseres Ortes hinaus. Es geht dann auf unsere saftigen Harzwiesen oder in den Wald, wo das frische Gras den Tieren gut schmeckt. Kein Wunder, daß sie so fette Milch geben. An der frischen Luft schmeckt ihnen das würzige Futter besonders gut. Unsere Milch und den Harzer Käse schätzt man überall. Einen festen Weideplatz haben wir meistens nicht. Wir ziehen immer dahin, wo das beste Futter gedeiht. Wenn wir abends ins Dorf zurückkommen, weiß jede Kuh, in welches Haus sie gehört. Die Besitzer brauchen ihre Türen nur zu öffnen, und wenn ich am Ende des Ortes bin, ist auch die letzte Kuh in ihrem Stall verschwunden. Gemolken werden die Tiere vor und nach dem Austreiben.“ Gern möchte ich noch etwas über die Glocken der Tiere erfahren. Der Hirt erzählt weiter: „Alle Glocken, die die Tiere tragen, gehören mir. Die Glockenbügel, die um den Hals der Tiere gelegt werden, sind von mir selbst geschnitzt worden. Nach dem Schnitzen werden sie mit der Hand über das Knie gebogen. Dazu braucht man viel Kraft und Geschicklichkeit, bis die Bogen die richtige Form haben. Die Glocken werden vom Glockenschmied hergestellt. Er hat einen schönen, aber auch schweren Beruf; denn nicht alle Glocken klingen gleich. In sieben verschiedenen Tönen stimmt er sie ab. Deshalb klingt es auch wie Musik, wenn unsere Kühe durch die Harzer Berge ziehen. Die sieben Glockenarten geben dem Ganzen erst ihre Melodie, die man sich nicht aus unserer Heimat wegdenken kann. Der Glockenstimmer reist vom Herbst bis zum Frühjahr «von einem Harzort zum anderen, um bei allen Herden die Glocken abzustimmen. Durch das Weiden kommt es nämlich vor, daß die Glocken verbeult oder beschädigt werden. Dann klingen sie nicht mehr rein. Es ist doch eine schöne Sitte, die sich hier im Harz erhalten hat. Alle Harzer und auch die Fremden freuen sich, wenn sie das Geläut hören.“ Inzwischen sind wir auf einer saftigen, grünen Waldwiese angekommen. Der Hirt will hier verweilen. Eine Frage habe ich noch: „Und was geschieht im Winter?“ „Wenn im Spätherbst die Nächte immer kälter werden, wenn morgens der Reif immer dicker auf den Wiesen liegt und schließlich Schnee fällt, dann bleiben die Kühe im warmen Stall. Langsam zermahlen sie das nach Kräutern duftende Heu, das die Bauern im Sommer mit vieler Mühe einbrachten. Auch im Winter habe ich zu tun. Vielen Müttern unter den Kühen helfe ich, die Kälbchen zur Welt zu bringen. Jedem Tier bin ich ein guter Helfer, wenn es von Krankheiten befallen wird. Weitab wohnt der Tierarzt. Tiefverschneit und verweht sind Weg und Steg. Für mich heißt es heute wie früher: ,Hilf dir selbst!““ Ich verabschiede mich von ihm und bedanke mich für seine Auskunft. Nun wandere ich wieder heimwärts. Die Sonne ist jetzt höher gestiegen, und ich muß mir schon den Schweiß von der Stirn wischen. Noch lange höre ich das Lied der Herde hinter mir, und nur ganz langsam verklingt der letzte Ton in meinen Harzer Heimatbergen. Der „Quirl“Wohl jedes Kind weiß, was ein Quirl ist. Die Mutter braucht ihn in der Küche. Ich kenne aber einen, der sogar pfeifen und fahren kann. Na, so etwas gibt es ja gar nicht, wirst du denken. Komme nur einmal in deinen Ferien in unseren schönen Harz, dann wirst du ihn auch kennenlernen, den „Quirl“. Ich will dir aber schon heute verraten, was das für ein „Quirl“ ist, der da pfeift und fährt. So wird im Volksmund unsere Harzquerbahn genannt. Ihr Name sagt schon, daß sie quer durch den Harz fährt. Vor hundert Jahren schrieben die Wernigeröder an die Regierung um die Erlaubnis für den Bau einer Bahn von Halberstadt nach Wernigerode. Diese Bitte wurde abgelehnt. Da versuchten die Stadtväter, die Erlaubnis für den Bau einer anderen Eisenbahnstrecke quer durch den Harz nach Nordhausen zu erhalten. Die Bahnverbindung war dringend notwendig, denn viele fleißige Harzer wußten nicht, wie sie ihre Waren in andere Orte befördern sollten, um sie dort zu verkaufen. Mit der Postkutsche und dem Pferdewagen war das zu teuer, denn die Harzbewohner waren sehr arm. Wie sollten sie sonst Geld verdienen ? Die neue Bahn sollte nur unter der Bedingung gebaut werden, daß die Strecke über Ilfeld führte. Endlich wurden die Vorarbeiten begonnen. Aber dabei blieb es auch. Die eigentliche Bauerlaubnis erteilte die Regierung nicht. Sie brauchte ihr Geld für einen neuen Krieg. Dieser brach 1870 aus. Erst zehn Jahre später wurde die Erlaubnis zum Bau erteilt. Nun konnte er endlich begonnen werden. Wieviel Schweißtropfen .sind aber geflossen, wieviel Mühe und Arbeit hat es gekostet, bis dieser Bau beendet war! Im Jahre 1897 wurde der erste Teil der Strecke, von Nordhausen nach Ilfeld, in Betrieb genommen. Die Nebenstrecke zum Brocken konnte man jedoch erst zwei Jahre später fertigstellen. Es war sehr schwierig, durch das unwegsame Gebirge eine Bahnlinie zu legen. Heute ist die Harz querbahn aus unserer Heimat nicht mehr wegzudenken. Nachdem der Zug Nordhausen verlassen hat, hält er zum erstenmal auf dem Bahnhof AJtentor. Viele Arbeiter benutzen ihn bis zur Haltestelle Krimderode. Dann geht die Fahrt weiter am Kohnstein vorbei nach Niedersachswerfen. In Ilfeld steigen viele Menschen aus. Einige wollen zum Krankenhaus, um Angehörige zu besuchen. Andere wollen hier ihren Urlaub in den schönen FDGB-Heimen verleben. Nun fährt die Bahn durch das Ilfelder Tal, vorbei am Freibad. Bald ist der Bahnhof Netzkater erreicht. Von hier aus kann man viele Wanderungen unternehmen. In Tiefenbachmühle hält der Zug nur, wenn vorher ein Reisender dem Schaffner Bescheid sagt, daß er aussteigen will. Nun beginnt der „Quirl“ tüchtig zu pusten. Es geht Benneckenstein entgegen. Die Bahn scheint zu stöhnen: „Schub en bißchen! Schub en bißchen!“ Bis nach Sorge fährt der Zug wieder bergab. Fröhlich rattern deshalb auch die Räder: „Ich hab’ es geschafft! Ich hab’ es geschafft!“ Auf Sorge folgt die Station Elend. In Dreiannen-Hohne zweigt die Bahn nach dem Brocken ab. Unsere Fahrt aber geht jetzt bergab, dem Nordharz und seiner bunten Stadt Wernigerode zu. Schon von weitem sieht man das Schloß liegen. Prustend und schnaufend läuft der Zug endlich auf der Endstation ein. Es ist geschafft. In ein paar Stunden geht es nach Nordhausen zurück. Beim HirschhornschnitzerWenn der Frühling in die Harzberge einzieht, durchstreift der Hirschhornschnitzer die Wälder. Er sucht die abgeworfenen Geweihstangen der Hirsche. Schon während des Winters hat er die Tiere belauscht und ihre Standorte beobachtet. Wenn in den ersten Monaten jedes Jahres die männlichen Tiere ihren Kopfschmuck abwerfen oder an Bäumen abstoßen, weiß er ihn leicht zu finden. Mit einem Rucksack zieht er aus, um die Geweihstangen, die für seine Arbeit so notwendig sind, zu sammeln. Er erzählt darüber: „Ich übe ein sehr seltenes Handwerk aus. Aus den Geweihen lassen sich kunstvolle Broschen, Spangen, Anhänger, Stockkrücken, Serviettenringe und Knöpfe hersteilen. Das ist nicht einfach. Es gehört viel Geduld und Geschick dazu, und manche Arbeit wandert in den Abfall, wenn ich unachtsam bin. Zunächst säge ich von jedem Geweih die „Rose“ ab. Das ist eine Verdickung an der Stelle, die früher mit dem Schädelknochen des Tieres verwachsen war. Daraus läßt sich die kunstvolle Brosche schnitzen, die von den jungen Burschen gern am Trachtenhut getragen wird. Die Mädchen heften sie als Schmuck an ihre Bluse. Sie zeigt meistens das Bild eines Hirsches und ist das Kennzeichen aller Bewohner der Dörfer im Harz. Zur kostbaren Brosche gehört die bunte Trachtenjacke, die mit großen Hornknöpfen besetzt ist. Früher trugen reiche Bauern an der Stelle der Hornknöpfe Silbertaler, um ihren Reichtum zu zeigen. Heute hat sich dieser Brauch geändert, denn die Silbergruben des Harzes bestehen nicht mehr. Auch die Knöpfe fertige ich aus Hirschgeweihen an. Oft werden sie vom Vater auf den Sohn vererbt. Ich arbeite nicht nur für die einheimische Bevölkerung. Meine Arbeiten aus Horn werden auch von den vielen Urlaubern, die im Sommer und im Winter den Harz aufsuchen, als Erinnerungsstücke gekauft. Daher liefere ich viele Gegenstände an die großen Geschäfte in Wernigerode, Benneckenstein oder Nordhausen. Meine Stockkrücken und Anhänger versehe ich mit dem Namen bekannter Wanderziele des Harzes. So gelangen meine Erzeugnisse als Reiseandenken in viele Teile unseres Vaterlandes, manchmal sogar in die weite Welt. Ist mir eine große Brosche oder ein schöner Anhänger gelungen, dann freue ich mich darüber genauso wie die Menschen, die meine Schnitzerei stolz tragen. Für die langen Winterabende hebe ich mir eine besondere Arbeit auf. Ich fertige Lampen aus Geweihstangen an, die ich kunstvoll zusammengefügt habe. Viele Jagdzimmer in Forsthäusern oder Bauernstuben in den Gaststätten der kleinen Harzdörfer werden damit geschmückt. Ich stelle sie heute nur noch selten her, denn ich benötige dazu prächtige Geweihe, die nicht in jedem Jahr zu finden sind.“ Wenn der Sommer ins Land zieht, legt der Hirschhornschnitzer sein Werkzeug zur Seite. Er muß die warme Jahreszeit ausnutzen, um seinen Acker zu bestellen. Sein Handwerk reicht für den Lebensunterhalt allein nicht aus. Erst wenn der Schnee die Harzberge wieder bedeckt und die Spuren der gehörnten Waldbewohner sichtbar werden, wird es in seiner Werkstatt wieder lebendig. Er sägt, schnitzt und feilt. Und wenn der Frühling in die Harzberge einzieht, werden seine Arbeiten mit den Urlaubern den Weg in die weite Welt antreten. Finkenmanöver in BennecktensteinMuntere Vogelstimmen klingen an mein Ohr. Verwundert schlage ich die Augen auf und schaue mich um. Alles kommt mir fremd vor. Ach richtig, gestern bin ich ja mit Vater und Mutter zu den Großeltern nach Benneckenstein gefahren. Wie gut habe ich doch die erste Nacht geschlafen! Heute ist nun der zweite Pfingstfeiertag. Es ist noch sehr früh. Die Sonne lugt zum Fenster herein, und die Vöglein lassen ihr Lied erschallen. Da kann ich es nicht mehr länger im Bett aushalten. Ich springe auf, wasche mich, ziehe mich schnell an und blicke zum Fenster hinaus. Das ist also Vaters Heimat, von der er uns schon so oft erzählt hat. Die dunklen Fichten im Hintergrund und die saftigen Harzwiesen, all das kenne ich schon aus seinen Erzählungen. Aus den Schornsteinen der kleinen Häuser steigt Rauch auf. Sicher wird der Morgenkaffee gekocht. Von fern her ertönen Kuhglocken. Das sind die Harzkühe, die zur Weide ziehen. Ach, wie schön ist doch Vaters Heimat! Gibt es etwas Schöneres auf der Welt ? Da ruft die Mutter zum Frühstück. Schnell springe ich die Treppe hinunter und sehe, daß die ganze Familie schon am Kaffeetisch sitzt. Heute muß alles schneller gehen, denn wir haben etwas ganz Besonderes vor. Wir wollen zum Finkenmanöver. Inzwischen hat sich die Straße belebt. Viele Menschen strömen zum „Waldschlößchen“, wo jedes Jahr am zweiten Pfingstfeiertag das Finkenmanöver stattfindet. Wir schließen uns ihnen an. Viele Männer tragen kleine Vogelbauer in der Hand. Darin sitzen die Finken, die nachher um die Wette singen sollen. Leider können wir die kleinen Sänger nicht sehen, denn die Bauer sind in weiße Tücher gehüllt. Am Waldschlößchen stehen Tische, auf die die verdeckten Vogelbauer gestellt werden. Auf der einen Seite sitzen die Schiedsrichter. Nach kurzer Zeit beginnt das lustige Wettsingen. „Zip, zip, zip, zick, ziele, zick! Bin ich nicht ein schöner Bräutigam?“ schlagen die Finken. Gespannt lauschen alle dem Gesang. Welcher wird Sieger werden ? Die Schiedsrichter müssen gut aufpassen, denn jeder Fink, der nicht mehr singt, scheidet aus dem Wettkampf aus. Nun sind nur noch zwei Tierchen übriggeblieben. Die Schiedsrichter halten ihre Köpfe dicht über das Bauer. Da hört der eine Fink auf zu schlagen. Der Sieger ist somit ermittelt. Wie stolz ist der Besitzer des kleinen Finken! Ein „Hoch“ auf ihn wird ausgebracht, denn er ist Finkenkönig des diesjährigen Finkenmanövers. „Ich möchte nur einmal wissen, wie es zu diesem Volksfest gekommen ist“, frage ich meinen Vater. „Das will ich dir sagen“, beginnt er. „Das Fest soll noch auf Kaiser Heinrich I., den man den Vogler nannte, zurückführen. Er zog häufig in den Harz, um Finken zu fangen, die er dann in Käfigen hielt. Der Name der Finkenburg in Nordhausen erinnert uns auch noch daran. In fast allen Orten des Harzes wurden deshalb zur Erinnerung an Kaiser Heinrich Finkenmanöver abgehalten. Leider besteht der schöne Brauch nur noch in Benneckenstein, Wieda, Hohegeiß, Thale und Blankenburg.“ Wie schade, daß das Wettsingen beendet ist! Aber das muntere Treiben auf dem Festplatz hat noch nicht aufgehört. Reisigfeuer werden abgebrannt. In der heißen Asche werden Bratwürste und Kartoffeln geröstet, die die Mutter vorsorglich mitgenommen hat. Immer noch treffen Besucher ein. Es sind Fremde, die heute nachmittag mitfeiern wollen. Alle sind vergnügt, so wie es eben bei einem Finkenmanöver Brauch ist. Das saltsame TierMe hat gehart un au gelasen, War mant an meelichen in dr Graweschaft de Gieter kennt, dar weiß, daß me an Assen „Howetiebichen“ nennt. Das war gor grusig ahnzesiehn — Wu hiete noch warn Howetiebichen geassen, Erzählungen aus dem WippertalDie Wöbelsburg, eine alte FluchtburgDicht bei Hainrode liegt die Wöbelsburg. Gewaltig ragt der mächtige Berg aus grauem Muschelkalk in die Höhe. Nach drei Seiten hin fallen steile Felswände ab. Auf seiner Kuppe liegen die Reste einer alten Wallburg. Vor vielen, vielen Jahren verbargen sich in Zeiten derGefahr hier obenMenschen. Wir kennen ihre Namen nicht mehr. Ihre Hütten standen am Fuße des Berges. Aber die Zeiten waren gefährlich. Oft brachen Feinde ein. Dann blieb als einziger Unterschlupf noch der Berg, dessen Felsen schwer ersteigbar waren. Hier bauten die Hüttenbewohner eine Fluchtburg, die sie und ihre Habe in Notzeiten aufnehmen konnte. Die Verbindung des Berges zur Hainleite hin sicherten sie durch einen Wall. Seine Reste aus Erde und Steinen sehen wir noch heute. Nicht lange aber konnten hier oben Menschen leben, denn es fehlte an Wasser. Sieher aber wurden hier früher den alten Göttern Opfer gebracht, zur Zeit der Sonnenwende. Vielleicht auch mögen im Sommer ihre Feuer zum nächtlichen Himmel gelodert haben. Aus dem aufsteigenden Rauch deuteten die Bewohner des Tales Wohlgefallen oder Zorn ihrer Götter. Wer denkt heute noch daran, wenn er den mächtigen Berg betrachtet ? Weit schweift von hier aus der Blick über das Land. Südharz und Bleicheröder Berge scheinen an klaren Tagen zum Greifen nahe. Fördertürme sieht man, Dörfer und fruchtbare Felder, Bauern, die unten im Tal auf schwerem Boden sich mühen, um Korn zu ernten für unser Brot. Die Sage vom HünsteinAuf der Wöbelsburg, einem Berg der Hainleite, lebte einst ein Riese mit seiner Frau. Eines Tages stritten sich die beiden, wer am weitesten werfen könnte. Endlich nahm der Riese einen Felsen und sprach zu seiner Frau: „Wenn du diesen Stein über die Wipper wirfst, so soll das Dorf Nohra eine Stadt werden.“ Die Riesenfrau liebte Nohra und hätte gern gesehen, wenn es eine Stadt geworden wäre. In weitem Bogen holte sie aus und warf den Brocken hinab ins Tal. Aber, o weh! Der Felsen fiel vor der Wipper nieder. Nun mußte Nohra ein Dorf bleiben. Die Riesenfrau war jedoch so böse, daß sie vor Wut mit ihrem Fuß ein Loch in den Stein stieß. Noch heute ist der Stein mit dem Loch zu sehen. Er liegt an der Landstraße zwischen Wolkramshausen und Nohra und heißt der Hünstein. Der weiße Mönch in MünchenlohraEine alte Sage erzählt, daß früher im Pferdestall des Klosters Münchenlohra öfter um Mitternacht ein weißgekleideter Mönch erschien. Geräuschlos tauchte er auf, wenn man es am wenigsten vermutete. Mit einem kräftigen Knüppel prügelte er die Knechte aus den Betten heraus, daß sie wie besessen herumsprangen. Wohl ballte mancher die Fäuste gegen den frechen Eindringling, aber zu einer Gegenwehr kam es niemals, denn der tolle Mönch hatte sie verzaubert, daß sie unfähig waren, sich zu wehren. Die Pferde band er los und jagte sie wie wild im Stalle umher. Gesprochen wurde dabei kein Wort, weder von den Knechten, noch von dem Mönch. Nachdem der Spektakel eine Weile gedauert hatte, band der Weißrock die Tiere wieder zusammen und prügelte die Knechte in die Betten hinein. Dann verschwand er geräuschlos, wie er gekommen war. Jetzt hat der Spuk aufgehört. Hat es ihn überhaupt je gegeben ? Nein, natürlich nicht. Spuk, Geister, Hexen gibt es nicht und gab es nie. Und doch ist sehr viel Wahres an dieser Sage. Münchenlohra war früher ein Kloster. Zu dem Kloster gehörten große Ländereien, Wiesen und Wald, also eine umfangreiche Landwirtschaft mit Ställen, Scheunen und Speichern. Die Arbeit mußten Knechte verrichten wie auf den großen Gütern der Ritter und Junker. Aber wie kamen die Knechte des Nachts in den Pferdestall ? Nun, ihr glaubt doch nicht etwa, daß man damals den Knechten Wohnungen — und seien es auch nur elende Kammern — baute ? Nein, die Knechte schliefen im Pferdestall auf Stroh. Zu essen bekamen sie auch nicht viel. Dafür mußten sie vom frühesten Morgen bis spät in die Nacht hinein arbeiten. Und wenn sie nicht eifrig genug arbeiteten oder sich gar einmal ausruhen wollten, tauchte bestimmt der Vogt auf,, ,wenn man es am wenigsten vermutete. Mit einem kräftigen Knüppel prügelte er die Knechte, daß sie wie besessen herumsprangen. Wohl ballte mancher die Fäuste gegen den Frechen, aber zu einer Gegenwehr kam es niemals, denn. . .“, denn sonst wären die Knechte noch viel furchtbarer bestraft worden. Die Knechte durften nicht einmal ein Wort des Widerspruchs wagen. — Seht, das ist die Wahrheit. Aber wie wurde aus der Wahrheit eine Sage ? Vielleicht wollten die Knechte einmal von ihrer Not berichten. Da sie es nicht offen wagen durften, kleideten sie die Wahrheit in eine Spukgeschichte. Vielleicht wollten auch die herrschenden Kreise die wahrheitsgetreue Überlieferung durch Einkleidung in eine Sage zur Unwahrheit stempeln. — Aber halt! Die wichtigste Wahrheit wollen wir nicht vergessen. „Jetzt hat der Spuk aufgehört.'1 Der ganze Spuk einer Zeit, in der es Knechte gab, hat für uns aufgehört. Auch in Münchenlohra leben jetzt freie Bauern auf freiem Boden. Sie haben sich zur LPG „Fortschritt“ zusammengeschlossen und arbeiten gemeinsam am Aufbau eines schöneren und besseren Lebens. Die Sage von den dankbaren Zwergen im GickendörfchenEs war einmal ein junger Bauer. Er wohnte in Oberdorf und mühte und plagte sich das ganze Jahr über. Seinen Acker hatte er im nahen Gickendorf. An einem klaren Frühlingsmorgen zog er wieder einmal mit seinen Pferden hinaus, um zu pflügen. Tief drückte er den Pflug in die Erde, um den Boden für die kommende Saat zu lockern. Hart und schwer war die Arbeit. Als der Bauer einmal anhielt, um den Pferden eine Pause zu gönnen und sich den Schweiß vom Gesicht zu wischen, vernahm er plötzlich den Ruf: „Einmengen!“ Die Stimme schien aus der Erde zu kommen und klang genau wie die Anordnung des Bäckers in seiner Backstube im Dorf. „Aha“, dachte der junge Landmann, „die Zwerge haben Backtag“. Vergnügt rief er: „Wann dr Kuchen gar jebakken äs, so brenget mi au en Stücke därvone!“ Mittags spannte der Bauer aus und zog mit seinen Pferden nach Hause. Den Pflug ließ er auf dem Felde zurück. Als er nachmittags wieder auf den Acker kam und anspannen wollte, blieb er überrascht stehen. Er traute seinen Augen nicht, denn auf dem Pfluge lag ein großes Stück Kuchen. Die Zwerge, die in seinem Acker lebten, bewiesen ihm so ihre Dankbarkeit für seinen Fleiß. Wie kamen nur die Menschen dazu, an Zwerge zu glauben ? Damals kannte man die Natur noch nicht so, wie man sie heute kennt. Selbst die klügsten Leute wußten vieles nicht, was Kinder heute schon in der Schule lernen. Schlechte Ernten waren den Bauern oft unerklärlich. Darum meinten sie, die Zwerge würden ihnen helfen oder schaden. Heute glauben wir nicht mehr an Zwerge. Unsere Wissenschaftler untersuchen den Erdboden. Sie stellen fest, welche Nahrung er nötig hat. Die Bauern aber führen ihm diese durch künstlichen und natürlichen Dünger zu. So arbeiten Bauern und Wissenschaftler gemeinsam, um bessere Ernten zu erzielen. Burg und Amt LohraAuf den bewaldeten Höhen der Hainleite liegt Lohra. Es ist eine alte Burg. Sie soll ihren Namen nach der Göttin „Lara“ bekommen haben, die früher an dieser Stelle verehrt wurde. Vor vielen hundert Jahren ließ ein mächtiger Ritter die Burg auf steiler Höhe erbauen. Hier führte ein enger Paß quer durch die Berge der Hainleite. Über diese Straße zogen in friedlichen Zeiten Händler, Mönche und Spielleute. In Kriegszeiten aber diente sie den Krieger- und Landsknechtsscharen als Einfallstor nach Thüringen oder nach dem Harz. Den Verkehr zwischen Nord und Süd beherrschte der Ritter von seiner Burg aus. Er konnte die Durchfahrt erlauben oder verbieten. Mit bewaffneten Knechten schützte er die Reisenden auf seinem Gebiet oft gegen fahrendes Gesindel. Dafür verlangte er natürlich Abgaben. Die brachten ihm großen Reichtum. Von den ersten Besitzern der Burg wissen wir nichts. Um das Jahr 1150 aber soll ein Graf Beringer von Lara gelebt haben. Raublustig und streitsüchtig soll er gewesen sein und im Kampf gegen die Mühlhäuser dicht vor seinem Burgtor ein schreckliches Ende gefunden haben. Seine Tochter Adelheid, an die die Sage von der „Steinernen Jungfrau“ erinnert, soll das Kloster in Walkenried gestiftet haben. Die Burg wechselte oft ihre Besitzer. Auch Hohensteiner und Klettenberger Grafen wohnten darin. Im Dreißigjährigen Kriege schlugen in ihren Mauern Wallensteiner und Schweden ihre Feldlager auf. Gegen Silber wurde die Burg verkauft. Später wurde sie vertauscht, und 1712 erwarb sie der preußische Staat. Sie wurde eine preußische Domäne. 1945 entstand aus ihr ein Volksgut. Obgleich von der alten Anlage nicht mehr allzuviel vorhanden ist, zeugen die noch erhaltenen Gebäude von hoher handwerklicher Kunst, emsigem Fleiß und Hingabe an ein großes Werk. Die Grundmauern des Bergfrieds sind über drei Meter dick. Sie zeigen regelmäßig nach rechts und links gesetzte Steine. Diese Bauart, der Heringsgrätenverband, machte den Turm sehr haltbar und druckfest. Die Doppelkapelle gehört wohl zu den ältesten Teilen der Burg. Diese Kapelle hat zwei Stockwerke. Das obere ist mit einer Orgel, einer meisterhaft geschnitzten Kanzel für den Pfarrer, mit Fenstern und Bankreihen wie eine Kirche gestaltet. Das untere Stockwerk ist heute aber nur noch ein leeres, recht dunkles Steingewölbe. Es wird von Säulen gestützt und hat in der Decke eine große Öffnung. Wurde Gottesdienst abgehalten, so saßen der Burgherr und seine Familie oben. Die Knechte und Mägde aber mußten unten stehen und sich alles durch das Loch in der Decke anhören. Das Burgtor, ein Teil des Wallgrabens und Stücke der Ringmauer mit Ecktürmen sind erhalten geblieben. Sie erinnern an die Zeit, in der es noch Herren und Knechte gab. Die Zigeuner und FriedrichslohraRot leuchten die Dächer des volkseigenen Gutes Amt Lohra auf der Hainleite aus dem Grün des Buchenwaldes. Zu den Füßen des Bergrückens liegt in einer Mulde das Dorf Friedrichslohra. Vor 200 Jahren standen dort nur 22 Häuser, in denen die Knechte des Gutes Lohra wohnten. Daher heißt noch heute eine Straße „Die 22er“. König Friedrich II. ließ 58 kleine Kolonistenhäuschen bauen. Dort sollten Wollkämmer wohnen, die für die Wollgeschäfte in Bleicherode arbeiteten, aber bisher auf dem Eichsfelde wohnten. Aber die Eichsfelder fühlten sich nicht recht wohl in dem neuen Dorf. Viele gingen wieder in ihre Heimat zurück. Damals zogen viele Zigeuner durch die Lande. Alles an ihnen war fremd und eigenartig. Sie hatten ihre eigene Sprache, ihre besonderen Gebräuche, ja sogar einen eigenen König. Schon durch ihr Äußeres — die bräunliche Hautfarbe, die dunklen Augen, das rabenschwarze Haar — fielen sie auf. Frei und ungebunden fuhren sie mit armseligen Wohnwagen umher. Bunt aufgeputzt erschienen sie in den Dörfern, machten Musik, handelten mit Geigen und tauschten Pferde. Die Frauen verdienten sich Geld durch Wahrsagen. Sie lasen aus den Händen der Menschen angeblich deren zukünftiges Schicksal. Den Bürgern und Bauern in den Städten und Dörfern waren die Zigeuner ein wenig unheimlich. Viele hatten Angst vor ihnen und sagten ihnen Böses nach. Manche verachteten sie wegen ihrer Armut, andere fanden das scheinbar sorgenfreie Umherziehen abenteuerlich und verlockend. Weil manche Knechte des Gutes nicht in den Kolonistenhäuschen wohnen wollten, standen viele leer. Darum siedelte man die Zigeuner dort an, um sie zu seßhaften Menschen zu machen. Sogar ein Missionslehrer wurde nach Friedrichslohra geschickt. Er sollte die Kinder erziehen und den Alten Religionsunterricht erteilen und sie zur Arbeit anhalten. Aber alle Bemühungen blieben erfolglos. Um die Kinder vom Einfluß der Eltern fernzuhalten, wurden die Erwachsenen in ein Arbeitshaus bei Magdeburg gebracht. Dort mußten sie „tatern“, so hieß das Arbeiten im Arbeitshaus. Für die Kinder wurde ein Erziehungsheim gebaut. Dies ist die heutige Schule am Dorfeingang. Als die Eltern nach einiger Zeit entlassen wurden, holten sie ihre Kinder mit viel List zu sich und verschwanden mit ihnen. Friedrichslohra blieb jedoch immer ein Anziehungspunkt für die Zigeuner. Oft konnte man ihre Wagen vor dem Dorfe stehen sehen. Sie gehörten ganz einfach zu Friedrichslohra, zu „Taternlohra“. Aus Bleicherode und seiner UmgebungDie Sage vom StadtwappenIn alten Zeiten stand auf dem Vogelberg bei Bleicherode eine Raubritter bürg. Wer hier vorbeikam, wurde vom Raubritter und seinen Gesellen überfallen und manchmal sogar getötet. Bald waren die Wege so unsicher, daß sich niemand außerhalb der Stadtmauer auf die Straße traute. In dieser Not kam ein fremder Ritter nach Bleicherode. Er zog mit den wehrfähigen Männern der Stadt vor das Raubnest und zerstörte es. Zum Dank für seine Hilfe nahmen die Einwohner von Bleicherode das Bild des Ritters in ihr Stadtwappen auf. Die „Schneckenhengste“In den schweren Hungerjahren nach dem Dreißigjährigen Kriege litt die Bevölkerung in unserer Heimat große Not. In den Hütten der Dörfer fehlte oftmals das Brot. Handel und Handwerk ruhten. Besonders litten die Einwohner des Weberstädtchens Bleicherode. Sie konnten weder Garn noch Flachs vom Eichsfeld kaufen, da sie zu arm waren. Den kleinen Häusern in der Stadt drohte der Verfall. Den Bauern fehlten die Pferde zum Pflügen. Gebückt nahmen sie das Joch selbst um den Hals und zogen den Pflug durch den schweren Boden. Die Bäuerin führte die Pflugschar. So zogen sie Furche um Furche. Die Ritter und ifyre Landsknechte hatten den Bauern sämtliches Vieh aus den Ställen geholt. Die Erträge der Ernten waren sehr gering. Darum suchten die Bürger Bleicherodes nach anderen Verdienstmöglichkeiten, um das bittere Elend abzuwenden. An den Hängen der Bleicheröder Berge hatten sie früher Wein angebaut. Durch den Krieg waren die Weingärten verkommen. In den verwilderten Büschen saßen Weinbergschnecken. Früher waren sie nicht beachtet worden. In Frankreich aber galten sie als besonderer Leckerbissen. Ein Händler aus Bleicherode, der auf seinen Reisen durch Leipzig gekommen war, sah dort, wie diese großen Schnecken nach Frankreich verkauft wurden. Zurückgekehrt sammelte er die Schnecken in seinem Berggarten. Da es nicht genug waren, züchtete er welche. Im Winter brachte er sie nach Leipzig zum Verkauf. Sein Geldbeutel füllte sich. Wie ein Lauffeuer eilte die Kunde von diesem glücklichen Geschäft durch das kleine Städtchen. Viele tausend Schock Weinbergschnecken wurden jetzt in den Bleicheröder Gärten gesammelt. Überall lagen von nun an in den Berggärten hohe Reisighaufen, die von einem Wassergraben umgeben waren. Zwischen den Zweigen krochen die Schnecken. Der Wassergraben verhinderte ihre Flucht. Den ganzen Herbst hindurch wurden sie mit Kohlblättern gefüttert, damit sie recht gut gediehen. Im Spätherbst war die Zeit für die Züchter gekommen, denn dann begannen die Schnecken ihren Winterschlaf. Sie konnten verkauft werden. Auf vierspännigen Wagen rollte das kostbare Gut nach Leipzig auf den Markt. Es gab aber auch habgierige Menschen, die mit dem Erlös nicht zufrieden waren. Sie fuhren zweimal den weiten Weg zur Messestadt. Einst fuhr ein Händler im zeitigen Frühjahr nach Leipzig. Das Geld für die Schnecken hatte er in Gedanken schon in der Tasche. Da brach plötzlich die Sonne durch die Erühlingswolken und brachte den Schnee zum Schmelzen. Die behagliche Wärme wirkte auch auf die Schneckenladung. Kurz vor den Toren der großen Stadt kroch die erste Schnecke aus ihrem Winterhäuschen heraus. Weitere folgten. Bald krabbelte es in allen Kisten. Der bestürzte Handelsmann sah mit großem Schrecken, daß seine Ladung lebendig wurde. Sein Geschäft war dahin, und sein Geld war verloren, denn ausgekrochene Schnecken wurden in Leipzig nicht gekauft. Es blieb ihm weiter nichts übrig, als die verdorbene Ladung schweren Herzens in den Graben zu schütten. Kleinlaut zog er heimwärts nach Bleicherode. Als er sein Heimatstädtchen wieder erreicht hatte, konnte er nicht mit seinem Gewinn prahlen, und da er ein Geizhals war, freuten sich die Mitbürger über sein Mißgeschick. Überall auf den Straßen und Dörfern erzählten sich die Leute die Geschichte des Fuhrmannes. Ließen sich später die Bleicheröder Einwohner in den umliegenden Dörfern sehen, wurden sie „Schneckenhengste“ gerufen. Diesen Spottnamen haben sie bis zum heutigen Tage behalten. Das Bleicheröder Stadtwappen, das einen Ritter mit zwei Hirschstangen zeigt, hat den Kamen übernommen. Seitdem heißt er der „Schneckenhengst“ und erinnert so an diese lustige Geschichte. Ein Besuch im KaliwerkUnweit von Kraja erhebt sich ein Förderturm. Solche Türme kann man auch bei Sondershausen, bei Bleicherode, Sollstedt und Bodungen sehen. Sie bestehen nicht aus festem Gestein, wie wir es von den Türmen unserer Kirchen her gewohnt sind. Ihr Gerippe ist aus Stahl. Staunend folgt das Auge den nach oben strebenden Stahlmasten. Vielfach sind sie durch Streben miteinander verbunden. Das sieht aus wie riesiges Gitterwerk. Der oberste Teil besteht aus einem gitterartigen Kasten mit einem leicht gebogenen Blechdach, unter dem sich ein großes Rad dreht. Darüber laufen Seile, die straff nach unten führen und deren Enden nicht zu sehen sind. Zu Füßen des Turmes erheben sich flache Gebäude, umgeben von einem Zaun. An der nahen Straße befindet sich ein Tor, darüber ein großes Schild. „Schachtanlage Karl Marx“ ist zu lesen. Neugierig trete ich näher, denn ich w ill einfahren. Ein Steiger begrüßt mich mit „Glück auf“, dem Gruß der Bergleute. Vorbei geht es an großen Hallen, in denen es dröhnt, hämmert und klopft. Es sind die Schmiede-, Schlosser- und Tischlerwerkstätten der Schachtanlage. Wir treten in die Waschkaue. Das ist ein großes Gebäude, in dem sich die Bergleute umkleiden und waschen. Auch wir legen unsere Bekleidung ab und erhalten weiße Leinenjacken und Leinenhosen, feste Lederschuhe, eine lederne Schirmmütze und ein graues Halstuch zum Schutz gegen den Kalistaub. Nun begeben wir uns zum Maschinenhaus. Inmitten einer großen Halle brummt die Fördermaschine, die von einem Mann im blauen Schlosseranzug bedient wird. Ich muß warten. Noch einmal überlege ich, was ich alles über das Kalisalz weiß: Alle Völker der Erde benötigen es. Der Bauer streut es als Dünger auf Äcker, Wiesen und Weiden. Der Gärtner düngt damit sein Gemüse, auch die Obstbäume. Der Förster gibt es dem Waldboden bei, damit die Bäume besser gedeihen. Damit im Sommer hohe Erntefelder wogen, damit die Kühe auf saftigen Wiesen weiden können, deshalb holt der Bergmann das Kalisalz aus der Tiefe der Ei’de. Das Brot auf dem Tisch, die Früchte der Bäume und Sträucher, das alles ist auch dem Kalisalz und den Bergleuten zu verdanken, die es fördern. Ist dieses Salz nicht ein kostbarer Schatz ? In Deutschland lagert davon so viel, daß wir auch anderen Völkern damit helfen können. Dafür bekommen wir Waren, die uns fehlen. Aber Kalisalz dient nicht nur als Dünger. Ein kleiner Teil des Salzes wird benutzt zur Herstellung vieler Dinge, die wir täglich benötigen: Seife, Gläser, Porzellanteller und Tassen. Sogar zur Herstellung einiger Farben ist Kalisalz notwendig. Jetzt dürfen wir eintreten. Über ein paar eiserne Stufen geht es zum Förderturm. Schwarz gähnt der Schacht. „Über vierhundert Meter führt er in die Tiefe“, erklärt der Bergmann. Hinter dem Schutzgitter taucht der Förderkorb auf. Er hängt an dem Drahtseil, welches über das große eiserne Rad im Turm läuft. Der Korb wird von der Fördermaschine heraufgezogen oder hinabgelassen. Mehrere Loren bringt er jetzt nach oben. In ihnen schimmert in mächtigen, rötlich glitzernden Brocken das Kali. Wir erhalten elektrische Lampen und betreten den Korb. Ein Hornsignal ertönt für den Maschinisten zum Zeichen, daß Personen befördert werden. Das Schutzgitter wird von innen geschlossen. Der Fußboden beginnt zu zittern, denn nun geht es hinab. Die Wände scheinen plötzlich vorbeizufliegen. Ein unangenehmer Druck in den Ohren macht sich emerkbar. Das Tageslicht ist längst verschwunden. Im Schein unserer Lampen geht die rasende Fahrt weiter. Ich glaube zu schweben. Plötzlich endet die Fahrt. Die Sohle des Schachts ist erreicht. Wir steigen aus. Heiß ist es hier. Staubbedeckte Arbeiter bedienen brummende Maschinen. Scheinwerfer erhellen einen breiten Gang, den Stollen. Unter der hohen Decke läuft eine mächtige Kette entlang, die gefüllte Loren heranzieht und leere zu den Abbaustellen befördert. Nun laufen wir „vor Ort“. Das ist die Stelle, wo das Kali gebrochen wird. Über große Brocken und schmale Gleise stolpern wir vorwärts. Im Schein unserer Lampen glitzern Wände und Decken in vielen Farben. Hoch und breit ist der „Vortrieb“. Bergauf geht es und bergab. Schräg über uns rasselt die Kette. Leere Loren überholen uns, gefüllte kommen uns entgegen. Endlos scheint der Weg. „Viele Kilometer sind manche Stollen lang“, sagt der Steiger. Dann sind wir „vor Ort“. Hier arbeitet eine Hauerbrigade: vier Kumpel, die zwei ratternde Bohrer bedienen. Schweiß steht den Männern auf Gesicht und Rücken, denn schwer ist die Arbeit. Auch hier leuchten Scheinwerfer. Hinter der Brigade wird durch ein mächtiges Rohr der aufsteigende Bohrstaub abgezogen. Die Gesundheit der Arbeiter ist oberstes Gebot. Nun wechseln die Arbeiter ihren Standort. Erneut fressen sich die Bohrer in , das glitzernde Kali. Der Sprengmeister stopft in die angelegten Löcher Sprengstoffrollen und verschließt die Öffnungen. Zündschnüre werden gelegt. Dann ziehen wir uns weit in den Hauptschlag zurück. Mit dumpfem Rollen bricht die Sprengung los. Es poltert und dröhnt. Staubwolken wehen uns ins Gesicht. Wo vorher glatte Wände standen, liegen jetzt große Brocken gesprengten Gesteins. Auf den schmalen Gleisen rollen leere Loren heran. Sie werden vom Schrapper beladen. Dieser Schrapper ist ein großer Stahlkasten ohne Boden. Er wird durch eine Maschine vor- und zurückgezogen. Er kratzt dabei das abgesprengte Kali zur Beladestelle. Hier fällt es in die bereitstehenden Wagen. Wieder sind nun die Loren mit Kali gefüllt, dessen Sprengung wir eben erlebten. Rasch ist die Zeit verflogen. Wir wandern zum Förderkorb zurück. Der Steiger beginnt zu erzählen: „Schon seit vielen Jahrhunderten bemühen sich die Menschen um Salz. Zuerst wurde es aus salzhaltigen Quellen gewonnen. Seit Beginn des vorigen Jahrhunderts wird es auch aus Bergwerken gefördert. Das Kalisalz wurde erst gar nicht beachtet. Man suchte Steinsalz, das zum Würzen unserer Speisen dient. Wir kennen es alle als Kochsalz. Um zum Steinsalz zu gelangen, mußten gewaltige Schichten von Kalisalz abgeräumt werden. Da mit diesem Salz damals nichts anzufangen war, schütteten es die Bergleute in der Nähe von Schachtanlagen auf Abraumhalden, die bald immer größer wurden. Bei jedem Schacht liegen solche Halden. Sie sehen aus wie kleine Berge. Seit langer Zeit kommen keine Kalisalze mehr auf diese Halden.“ „Wie mag das Salz in die Erde gekommen sein?“ frage ich voller Wißbegier. Und er erzählt weiter: „Wer schon einmal an der See war, wird bemerkt haben, daß das Wasser salzig schmeckt. In diesem Wasser ist neben anderen Salzen besonders viel Kalisalz gelöst. Vor vielen Millionen Jahren überspülte das Meer auch unsere Heimat. Da es damals sehr heiß war, verdunstete das Wasser, und das Salz blieb zurück. Es setzte sich als Schicht ab. Immer wieder überflutete das Meer das Land, und immer wieder verdunstete das Wasser. So wurde die Salzschicht immer mächtiger. Darüber lagerte sich der Schlamm des Meeres ab. Jahrtausende später war das Wasser völlig verdunstet. Der Meeresboden lag trocken, und der Wind blies Staub, Sand und Erde darauf, viele Meter hoch. So kam das Kalisalz in die Erde.“ Mittlerweile sind wir wieder beim Eörderkorb angekommen. Schnell geht es nach oben. Befreit atmen wir die frische Luft über Tag ein. Nach der Dunkelheit im Schacht scheint die Sonne heller zu strahlen. Kalistaub bedeckt uns. Wir gehen zur Waschkaue, um uns zu reinigen, auch die Kleider sollen gewechselt werden. Als ich mich mit herzlichen Dankesworten verabschiedet habe, rufen wir uns noch einmal „Glück auf“ zu. Noch auf dem Heimweg sind meine Gedanken bei den Kumpeln im Schacht. Tag für Tag fördern sie gewaltige Mengen von Kali, das unsere Wirtschaft so dringend braucht. Hart ist ihre Arbeit. Schwer, gefährlich — und doch schön ist ihr Beruf. Wenn wir im Sommer die goldenen Ährenfelder sehen, dann wollen wir auch der Kumpel im Schacht gedenken, die für ein besseres Leben arbeiten. Spitznamen in unserer Heimat„Spitznamen sollen wir uns doch nicht geben!“ sagen vielleicht einige von euch, wenn sie diese Überschrift lesen. Und ihr denkt wohl dabei an die Schelte, die ihr schon dafür erhalten habt. Gewiß, ihr habt recht! Und dennoch will ich euch einige lustige Namen verraten, die man den Bewohnern verschiedener Orte unserer Heimat gegeben hat. Ich erzähle euch davon, weil ihr aus den Spitznamen allerlei lernen könnt. Die Menschen unserer Heimat arbeiteten nämlich nicht nur, sondern sie konnten auch lustig sein. Die Spitznamen zeigen auch, welche Tätigkeiten die Bewohner früher einmal ausübten oder welche Gewohnheiten ihnen eigen waren. Auch über die geschichtliche Vergangenheit einiger Orte wird manches bekannt. Oft waren Dummheit oder törichte Taten schuld daran, daß sich die Menschen über jemand lustig machten. Ein hübsches Beispiel dafür ist folgende Geschichte : Es herrschte einmal große Dürre in unserer Heimat. Sehnsüchtig schauten die Bauern von Hörningen Tag für Tag nach Regen aus. Sie sannen hin und her, wie sie ihn herbeischaffen könnten. In dieser Not wollte ihnen ein Schneidergeselle im Dorf helfen. Er forderte eine tüchtige Zeche im Gasthaus dafür. Gern gingen die Bauern darauf ein. Der Schneidergeselle schickte einen Bauernjungen mit einem versiegelten Brief in die Apotheke nach Nordhausen. Der Apotheker schmunzelte, als er den Brief las. Auch er war ein Schalk wie der Schneidergeselle. Er gab dem Jungen eine Schachtel, in die er einige frisch gefangene Hummeln gesteckt hatte. „Die darfst du aber nicht eher öffnen, bis du bei den Bauern in Hörningen bist!“ sagte er ernsthaft zu dem Jungen. Der versprach es, aber unterwegs plagte ihn die Neugierde so sehr, daß er die Schachtel doch ein klein wenig öffnete. Brrrrrr -— brummten die Hummeln davon, aber nicht in Richtung Hörningen, sondern nach Woffleben. „Nach Hörningen, nach Hörningen!“ rief der Bauernjunge hinter ihnen her. Aber das nutzte nichts. — Die Woffleber bekamen das Gewitter, das die Hörninger bezahlt hatten. — „Hummelkönige“ heißen sie seit dieser Zeit. Jetzt lacht ihr sicher ebenso wie der schalkhafte Apotheker. Nun aber sollt ihr euch einige Namen selbst erklären: Die Bewohner von Bielen heißen „Speckschnitzer“, von Steinbrücken „Klößebrenner“, von Leimbach „Musdiemen“, von Pützlingen „Schmandlecker“, und die von Gebra nennt man „Hotzelsäcke“, denn von alters her ist in den Dörfern Ober- und Niedergebra viel Obst geerntet worden. Gern dörrte man es und bewahrte die Hotzein in Leinwandsäcken auf. Oft erhielten die Einwohner ihre Spitznamen nach ihrem Erwerb. Die Bleicheröder heißen noch heute „Schneckenhengste“, weil ihre Vorfahren einst in den Berggärten Schnecken züchteten und sie in den Städten verkauften. Die Lipprechteröder und Bernteröder nennt man die „Besenbinder“ oder „Besenköpfe“. In früheren Zeiten mußten sie sich ihr Brot mit Besenbinden verdienen. Nach dem Goldlack, den die Sundhäuser in ihren Gärten zogen und nach Nordhausen verkauften, nannte man sie „Lackstöckchen“. Und ihre Nachbarn, die Uthleber, haben den Spitznamen „Salatsrachen“, denn sie ernteten besonders guten Salat. Warum nennt man wohl die Bauern aus Werther „Tragekörbe“ und die aus Groß wenden „Kuhköpfe“ ? Die Rothesütter „Hackespänchen“ sind heute noch fleißige Holzhauer in unserem schönen Harzwald. Warum in Nohra und in Durra „Wasserratten“ wohnen, werdet ihr leicht erraten. Die Leute in Elende verdanken ihren Namen „Spittelkatzen“ dem Spital oder Altersheim gegenüber der alten Wallfahrtskirche. Wenn die Friedrichsröder auf der Hainleite „Zigeuner“ geschimpft werden, so ist der Preußenkönig Friedrich daran schuld. Er wollte dort Zigeuner seßhaft machen. Die aus Werna nennt man „Howedotters“. Sehr viele von ihnen waren Gutsarbeiter auf dem Hofe (Howe) des Freiherrn von Spiegel. Nach einem schönen, alten Bildwerk aus Lindenholz, das in der Kirche von Windehausen zu sehen ist, haben die Bewohner des Ortes ihren Spitznamen „Pomeiböcke“ erhalten. Die ersten Ansiedler dieses Dorfes waren Wenden. Sie stellten in ihrer Kirche das Heiligenbild von der Mutter Maria und ihrem Sohne Jesus auf und nannten es in ihrer Muttersprache „pomaibog“, das heißt „Hilf Gott!“ Auch die schöne Geschichte von den „Hasengroßvätern“ will ich nicht verschweigen. Einst fanden einige Einwohner von Großberndten auf der Hainleite mitten im Walde einen Grauschimmel. Sie staunten das Pferd an, denn keiner von ihnen hatte bisher solch ein Tier gesehen. Sie rieten hin und her, was es wohl sein könnte. Endlich meinte ein ganz Schlauer, das könnte nur der „Hasengroßvater“ sein. — Ihr könnt euch denken, daß die Großberndtener ihren schönen Spitznamen nicht gern hören, den sie seit dieser Begebenheit haben. Es gibt noch viel mehr Spitznamen und Geschichten darüber. Eure Großeltern wissen davon zu erzählen. Quellen und benutzte LiteraturI. Ungedruckte Quellen 1. Halbritter, Hans: Aufzeichnungen 2. Handgeschriebene Chronik der Grundschule Ilfeld 3. Handgeschriebene Chronik der Gemeinde Salza 4. Schiedunger Gutsakten im Archiv der Stadt Magdeburg 5. Statutenbuch von 1350 Stadtarchiv Nordhausen II N A 3a II. Gedruckte Quellen und Literatur 6. „Der Harz“, Monatsschrift des Harzklubs Ausgabe vom Juni 1924, S. 288/299 7. „Der Nordhäuser Roland“, Novemberheft 1953, S. 155 Ploetz, Otto: „Vom Tabakanbau in unserer Heimat“ 8. „Der Nordhäuser Roland“, Jahrgang 1955 9. Eckstorm, Heinrich: „Chronicon Walkenredense“, 1617 10. Feuerordnung des Rates der Freien Reichsstadt Nordhausen 1689 11. Froman, Dr. Conrad: „Infektions- und Pestordnung 1681“ 12. Heine, Heinrich: „Heimatbuch für Nordhausen und die Grafschaft Hohenstein“, S. 32 ff. Nordhausen o. J. 13. Heine, Heinrich: „Heimatbuch für Nordhausen und die Grafschaft Hohenstein“ S. 93 Nordhausen o. J. 14. Heine, Heinrich: „Heimatbuch für Nordhausen und die Grafschaft Hohenstein“, S. 206 Nordhausen o. J. 15. Hennig, Rudolf: „Am Solquell bei Auleben“ Aus: „Heimatbilder aus dem Kreise Sangerhausen und seinen Randgebieten“, Jahrg. 1929 Teil I, S. 39/40, Teil H, S. 3/4 16. Hennig, Rudolf: „Wie die Stadt Heringen belagert wurde“, S. 13/15, Heringen o. J. 17. Internationales Lagerkomitee des Konzentrationslagers Buchenwald: , .Konzentrationslager Buchenwald1 ‘ 18. Kolbe, Wilhelm: „Heimatland“, Illustrierte Halbmonatsschrift für Heimatkunde 3. Jahrgang vom 1. November 1906, S. 23 und 31 Nach Fr. König, Bremen 19. Kolbe, Wilhelm: „Heimatland“, Illustrierte Halbmonatsschrift für Heimatkunde 3. Jahrgang vom 15. April 1907, S. 108 Nach R. Reichhardt 20. Kolbe, Wilhelm: „Heimatland“, Illustrierte Halbmonatsschrift für Heimatkunde 4. Jahrgang vom 1. Oktober 1907, S. 5 ff., S. 11 ff. 21. Kolbe, Wilhelm: „Heimatland“, Illustrierte Halbmonatsschrift für Heimatkunde 4. Jahrgang vom 1. Januar 1908, S. 55 22. Kolbe, Wilhelm: „Heimatland“, Illustrierte Halbmonatsschrift für Heimatkunde 7. Jahrgang vom 1. Juni 1911, S. 135 23. Kolbe, Wilhelm: „Heimatland“, Illustrierte Halbmonatsschrift für Heimatkunde 8. Jahrgang vom 1. August 1911, S. 191 24. Kolbe, Wilhelm: „Heimatland“, Illustrierte Halbmonatsschrift für Heimatkunde 9. Jahrgang vom 1. November 1912, S. 23, 25, 36 Nach den Akten der Kgl. ßuperintendentur zu Bleicherode Mitgeteilt von Fr. Krönig, Bremen 25. Kolbe, Wilhelm: „Heimatland“, Illustrierte Halbmonatsschrift für Heimatkunde 9. Jahrgang vom 1. Dezember 1912, S. 38 Nach Fr. Krönig, Bremen 26. Kolbe, Wilhelm: „Heimatland“, Illustrierte Halbmonatsschrift für Heimatkunde 9. Jahrgang vom 15. Januar 1913, S. 59 Nach Fr. Krönig, Bremen 27. Kopisch, August: „Das Nadelöhr“ 28. Liederheft der Freien Deutschen Jugend „Freie Jugend — Junge Garde — kampfbereit“ Heft 2 29. Lüddecke, H.: „Vorgeschichtliches Gräberfeld auf dem Solberg bei Auleben Aus der Zeitung „Das Volk“ vom 16. und 18. 3. 1954 0. Meyer, Karl: „Niedersachswerfen in Geschichte und Sage“ Nordhausen 1904 31. Meyer, Karl: „Nordhieser Schnurren“ Nordhausen o. J. 32. Palmie: „Günther von Bliedungen“ Nordhausen o. J. 33. Propp, Dr. rer. pol. Arthur: „Die industrielle Entwicklung Nordhausens“ (Eine Standortsgeschichte) 34. Riemenschneider, Otto: „Johann Heinrich Christian Hüpeden“ Nordhausen 1926 35. „Rieme um Biller“ Nordhausen 1926 36. Rietschel, Ernst: „Erinnerungen aus meinem Leben“ Dresden 1954 37. Silberborth, Dr. Hans: „Geschichte der Freien Reichsstadt Nordhausen“ Nordhausen 1927 38. Silberborth, Dr. Hans: „Heimatsagen des Südharzes“ Nordhausen 1931 39. Vahlbruch, Wilhelm: „Vom Südharzrand zur Goldenen Aue“ Nordhausen 1927 40. Wille, Horst: „Kleine Kostbarkeiten“ (Zeitungsbeitrag) III. Mündliche Überlieferungen 41. Mündliche Überlieferung, festgestellt am jeweils beschriebenen Ort IV. Mündlicher Bericht 42. Mündlicher Bericht von Arbeitern, Partei- und Gewerkschaftsveteranen u. a. Nachfolgend genannte Beitrüge geben keine Quellen an: Beitrag Nr.: 1 — 15 — 26 — 34 — 35 — 36 — 51 — 55 Verzeichnis der Mitarbeiter am Bilderteil Walter Eimer, Sülzhayn: Aufnahme S. 126 Gerhard Henning, Sundhausen: Aufnahme S. 9 Kreisbildstelle Nordhausen: Aufnahme S. 72 Karl-Heinz Kromann, Nordhausen: Aufnahme S. 88 Fritz Paul, Sollstedt: Aufnahme S. 168 Franz Rode, Nordhausen: Aufnahme S. 14 Fritz Schlothauer, Niedersachswerfen: Aufnahme S. 49 Adolf Schmidt, Leipzig: Aufnahmen S. 127, 152 Gerhard Schulze, Niedersachswerfen: Aufnahme S. 92 Stadtarchiv Nordhausen: Aufnahme S. 21 Werner Steinmann, Nordhausen: Aufnahmen S. 15, 32, 33, 34, 47, 66, 153 Walter Weschke, Bleicherode: Reproduktion S. 160 Horst Wille, Benneckenstein: Aufnahmen S. 13, 20, 24, 28, 42, 44, 67, 68 (2), 69 (2), 70, 71, 73 (2), 76, 90 (2), 95, 97, 98, 108, 109 (2), 110 (2), 112, 114/115, 115, 118, 126, 128, 129, 132, 133, 137, 139, 142, 147, 149 (2), 150, 160, 163, 166, 167, 168, 169 (2), 170 Herbert Wolff, Nordhausen: Aufnahmen S. 16, 127, 144, 158 |