Memorandum – Kritische Betrachtung einer literarischen Selbstdarstellung: Unterschied zwischen den Versionen
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** Die ausnahmslos überalterten Straßenbahnwagen, die seit dem 25. August 1900 verkehrten, ersetzte die Direktion des Städt. Elektrizitätswerks durch Neubeschaffung, teils aus Rücklagen, teils aus Sondermitteln. Das war ein zwangsläufiger Vorgang ordnungsmäßiger Betriebsführung, nicht aber eine Aufbaumaßnahme des ersten nationalsozialistischen Oberbürgermeisters. Es mag sein, daß Sting das schönere goldgelbe "Gewand" der Wagen ausgesucht hat. Bereits im Mai 1931 hatte die Stadtverordnetenversammlung die Vorlage des Magistrats über den Umbau der Straßenbahnanlage und die Sicherung der elektrischen Stromversorgung einstimmig genehmigt und die veranschlagten Mittel in Höhe von 950 000 RM bereitgestellt. Im Januar 1933 beschloß die Stadtverordnetenversammlung die Aufnahme eines Darlehns von 1/2 Mio. RM für die Neuverlegung von Straßenbahngleisen in der Stolberger Straße und für Straßenverbesserungen. | ** Die ausnahmslos überalterten Straßenbahnwagen, die seit dem 25. August 1900 verkehrten, ersetzte die Direktion des Städt. Elektrizitätswerks durch Neubeschaffung, teils aus Rücklagen, teils aus Sondermitteln. Das war ein zwangsläufiger Vorgang ordnungsmäßiger Betriebsführung, nicht aber eine Aufbaumaßnahme des ersten nationalsozialistischen Oberbürgermeisters. Es mag sein, daß Sting das schönere goldgelbe "Gewand" der Wagen ausgesucht hat. Bereits im Mai 1931 hatte die Stadtverordnetenversammlung die Vorlage des Magistrats über den Umbau der Straßenbahnanlage und die Sicherung der elektrischen Stromversorgung einstimmig genehmigt und die veranschlagten Mittel in Höhe von 950 000 RM bereitgestellt. Im Januar 1933 beschloß die Stadtverordnetenversammlung die Aufnahme eines Darlehns von 1/2 Mio. RM für die Neuverlegung von Straßenbahngleisen in der Stolberger Straße und für Straßenverbesserungen. | ||
** Der Neubau des Feuerwehrhauses in der Hohekreuzstraße wurde an 1. Juni 1935 der Bürgerschaft übergeben. Die von Sting genannte Jahreszahl 1934 ist falsch. Finanzierung und Planung dieses Bauvorhabens waren schon in der Amtszeit des Oberbürgermeisters Dr. Baller zum Abschluß gekommen. Mit den Bauarbeiten wurde 1934 begonnen. | ** Der Neubau des Feuerwehrhauses in der Hohekreuzstraße wurde an 1. Juni 1935 der Bürgerschaft übergeben. Die von Sting genannte Jahreszahl 1934 ist falsch. Finanzierung und Planung dieses Bauvorhabens waren schon in der Amtszeit des Oberbürgermeisters Dr. Baller zum Abschluß gekommen. Mit den Bauarbeiten wurde 1934 begonnen. | ||
** Die von Sting erwähnte "Nordhäuser Handwerksmesse", die sich seiner besonderen Förderung erfreute, hatte den offiziellen Namen "Braune Messe". Träger der Veranstaltung war das Institut für deutsche Wirtschaftspropaganda, Sitz Berlin, ein von der NSDAP beeinflußtes Unternehmen, das zuvor in Berlin, Gotha und Erfurt unter denselben Namen gleichartige Ausstellungen | ** Die von Sting erwähnte "Nordhäuser Handwerksmesse", die sich seiner besonderen Förderung erfreute, hatte den offiziellen Namen "Braune Messe". Träger der Veranstaltung war das Institut für deutsche Wirtschaftspropaganda, Sitz Berlin, ein von der NSDAP beeinflußtes Unternehmen, das zuvor in Berlin, Gotha und Erfurt unter denselben Namen gleichartige Ausstellungen abgewickelt hatte. Der örtliche Leiter der "Braunen Messe" war der Maschinen-Ingenieur Stadtverordneter Georg Piesold. | ||
** Sting soll sich, wie es in seinen Buch heißt, | ** Sting soll sich, wie es in seinen Buch heißt, mit Erfolg bemüht haben, die Historischen Konzerte, die seit 1927 im Meyenburg-Museum stattfanden, in eine breitere Beachtung durch die Bevölkerung zu stellen und sie deshalb an warmen Sommerabenden auch im blühenden Garten des Museums durchzuführen (S. 46). Das ist unzutreffend. In dem Garten wurden die Harzer Mitternachtsmusiken abgehalten, die auf Initiative und unter Regie des Landesfremdenverkehrsverbandes gleichzeitig in 11 weiteren Harzrandorten veranstaltet wurden. Die erste Mitternachtsmusik fand an 1. Juni 1934 statt. Weitere folgten jeweils an Monatsersten des Juli, August und September 1934 und in dem gleichen Turnus auch in den späteren Jahren bis zum Ausbruch des Krieges. | ||
** Der Abdruck der Festpostkarte zum Martinstag 1933 in Stings Buch stimmt nicht so ganz überein mit dem Urbild, das hierneben zum Vergleichen eingefügt ist. | ** Der Abdruck der Festpostkarte zum Martinstag 1933 in Stings Buch stimmt nicht so ganz überein mit dem Urbild, das hierneben zum Vergleichen eingefügt ist. | ||
** Fremdenverkehrswerbung trieb die Stadt systematisch schon seit vielen Jahren vor der Machtergreifung mit den verschiedenartigsten Werbeträgern, darunter Postreklamestempeln und Prospekten. | ** Fremdenverkehrswerbung trieb die Stadt systematisch schon seit vielen Jahren vor der Machtergreifung mit den verschiedenartigsten Werbeträgern, darunter Postreklamestempeln und Prospekten. | ||
** Von 1902 bis 1926 hat ein Verkehrsverein unter seinem Vorsitzenden, Oberbürgermeister Dr. Contag, Beachtliches geleistet. Der Verein löste sich auf und überließ seine Aufgaben dem neu gegründeten Verkehrsamt der Stadt, da die zunehmenden Anforderungen der Fremdenverkehrswirtschaft auf ehrenamtlicher Basis nicht mehr zu bewältigen waren. Stings Neugründung, der Heimat- und Verkehrsverein "Das schöne Nordhausen”,ist auch in späteren Jahren hauptsächlich als Veranstalter von Volksfesten hervorgetreten. Über den Status eines Anhängsels des städtischen Verkehrsamtes ist der Verein nie hinausgewachsen. | ** Von 1902 bis 1926 hat ein Verkehrsverein unter seinem Vorsitzenden, Oberbürgermeister Dr. Contag, Beachtliches geleistet. Der Verein löste sich auf und überließ seine Aufgaben dem neu gegründeten Verkehrsamt der Stadt, da die zunehmenden Anforderungen der Fremdenverkehrswirtschaft auf ehrenamtlicher Basis nicht mehr zu bewältigen waren. Stings Neugründung, der Heimat- und Verkehrsverein "Das schöne Nordhausen”,ist auch in späteren Jahren hauptsächlich als Veranstalter von Volksfesten hervorgetreten. Über den Status eines Anhängsels des städtischen Verkehrsamtes ist der Verein nie hinausgewachsen. | ||
** In der Zeit zwischen den Weltkriegen bemühten sich städtische Institutionen gemeinsam, mit der Industrie- und Handelskammer fortgesetzt um die Verbesserung der Eisenbahnverbindungen. Manche ihrer Fahrplananträge wurden über Jahre hinweg bei den Reichsbahndirektionen immer wieder vorgebracht und begründet, so zum Beispiel der Wunsch auf Einlegung des Eilzugpaares Nordhausen-Paderborn, der im Sommerfahrplan 1933 erfüllt wurde. In Jahresfahrplan 1934 wurde das neue Zugpaar dann ganzjährig beibehalten. Die "kommunale Aufbauarbeit” des Oberbürgermeisters Sting war hieran in keiner Form beteiligt. | ** In der Zeit zwischen den Weltkriegen bemühten sich städtische Institutionen gemeinsam, mit der Industrie- und Handelskammer fortgesetzt um die Verbesserung der Eisenbahnverbindungen. Manche ihrer Fahrplananträge wurden über Jahre hinweg bei den Reichsbahndirektionen immer wieder vorgebracht und begründet, so zum Beispiel der Wunsch auf Einlegung des Eilzugpaares Nordhausen-Paderborn, der im Sommerfahrplan 1933 erfüllt wurde. In Jahresfahrplan 1934 wurde das neue Zugpaar dann ganzjährig beibehalten. Die "kommunale Aufbauarbeit” des Oberbürgermeisters Sting war hieran in keiner Form beteiligt. | ||
** Sting beklagt mit Recht (S. 258), daß linksradikale Bilderstürmer das Jung-Siegfried-Denkmal unmittelbar nach dem Einmarsch der Amerikaner in April 1945 von seinem Postament gestürzt haben. Die Vorverhandlungen über die Errichtung dieses Denkmals hatte er selbst als Oberbürgermeister noch geführt. Es wurde an 13. März 1936 geweiht und hieß offiziell "Wehrfreiheitsdenkmal”. Der Sockel trug die Aufschrift:<br> | ** Sting beklagt mit Recht (S. 258), daß linksradikale Bilderstürmer das Jung-Siegfried-Denkmal unmittelbar nach dem Einmarsch der Amerikaner in April 1945 von seinem Postament gestürzt haben. Die Vorverhandlungen über die Errichtung dieses Denkmals hatte er selbst als Oberbürgermeister noch geführt. Es wurde an 13. März 1936 geweiht und hieß offiziell "Wehrfreiheitsdenkmal”. Der Sockel trug die Aufschrift:<br>Dem wehrhaften deutschen Volke<br>Adolf Hitler ewigen Dank für den 16. März 1935.<br>Dem Bildersturm der Linksradikalen ist auch das am 1. Juli 1900 enthüllte Bismarckdenkmal am Ende der Promenade zum Opfer gefallen. Über das Schicksal des Schlageter- und Horst-Wessel-Denkmals sagt Sting nichts aus. Es stand am Eingang zum Stadtpark auf dem Platz des Friedrich-Ebert-Denkmals, das rechtsradikale Bilderstürmer alsbald nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten niedergerissen hatten. Die Weihe des Schlageter- und Horst-Wessel-Denkmals an 24.9.1933 hatte Ortsgruppenleiter Oberbürgermeister Sting zu einem Tag der alten Garde der NSDAP in Nordhausen ausgestaltet. Bei der Feier am Denkmal hielt er die Weiherede. Dann hieß er die alten Kämpfer der Partei in Stadtverordneten-Sitzungssaal willkommen und ließ sie sich in das Goldene Buch der tausendjährigen Stadt eintragen. An diesem Tag der alten Garde stellte Oberbürgermeister Sting der NSDAP das evangelische Vereinshaus, das er in Adolf-Hitler-Haus unbenannte, für die politische Erziehungsarbeit zur Verfügung. Ferner übergab er das bisherige "Haus der Jugend", das die Stadt gekauft hatte, den nationalsozialistischen Formationen zur Benutzung und benannte es "Horst-Wessel-Heim". | ||
*Dem Oberbürgermeister der aufstrebenden Stadt stellten sich 1933/ 34 naturgemäß auf längere Sicht auch größere Aufgaben des kommunalen Fortschritts, die neben Erfahrung und Sachkunde ein hohes Maß an Verwaltungskunst voraussetzten. Hierzu gehörten die Erweiterung des städtischen Krankenhauses | *Dem Oberbürgermeister der aufstrebenden Stadt stellten sich 1933/ 34 naturgemäß auf längere Sicht auch größere Aufgaben des kommunalen Fortschritts, die neben Erfahrung und Sachkunde ein hohes Maß an Verwaltungskunst voraussetzten. Hierzu gehörten die Erweiterung des städtischen Krankenhauses am Taschenberg oder dessen Neubau an anderer Stelle, die Errichtung eines neuen Sparkassen- und Verwaltungsgebäudes, sowie zweier großer Schulhäuser und einer modernen Turnhalle, die Erschliessung neuen Siedlungs- und Industriegeländes südlich des Bahnkorridors und Untertunnelung des Bahnhofsgeländes, die Frage der Eingemeindung von Salza und Crimderode, aufwendige Tiefbauten wie der Ausbau der Kasselerstraße, die Verbreiterung der Rumbachstraße, der seit langem vorgesehene Straßendurchbruch von der Bahnhofstraße über die Lesserstiege zur Rautenstraße, ferner auch einige mit unpopulären Eingriffen in das altvertraute Straßenbild verbundene Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse, nämlich die Verlegung des Luther- und des Neptunbrunnens sowie die Herausnahme des Wochenmarktes aus den Engpässen um das Rathaus. Stings Bericht über den angeblichen kommunalen Aufbau enthält nicht einmal eine Andeutung dieses kommunalpolitischen Programms. | ||
* Sting betitelt einen Abschnitt seines Buches "An Nordhausens Schulen". Dort und auf 3 Bildseiten stehen freundliche Beiträge aus dem Schatz persönlicher Erinnerungen eines kleinen Kreises ehemaliger Besucher der höheren Schulen. Ein ernsthafter Beitrag über das Staatl. Realgymnasium, das 1935 sein hundertjähriges Bestehen feiern konnte, fehlt. Zwei schulgeschichtliche Abschnitte behandeln lediglich das Staatl. Gymnasium und das Städtische Oberlyzeum. Die anderen modernen Schulen der Stadt hat der ehemalige Oberbürgermeister in seiner Geschichtsschreibung nicht einmal erwähnt. | * Sting betitelt einen Abschnitt seines Buches "An Nordhausens Schulen". Dort und auf 3 Bildseiten stehen freundliche Beiträge aus dem Schatz persönlicher Erinnerungen eines kleinen Kreises ehemaliger Besucher der höheren Schulen. Ein ernsthafter Beitrag über das Staatl. Realgymnasium, das 1935 sein hundertjähriges Bestehen feiern konnte, fehlt. Zwei schulgeschichtliche Abschnitte behandeln lediglich das Staatl. Gymnasium und das Städtische Oberlyzeum. Die anderen modernen Schulen der Stadt hat der ehemalige Oberbürgermeister in seiner Geschichtsschreibung nicht einmal erwähnt. | ||
* Sting findet kein Wort des Gedenkens für die ausgetriebenen und vergasten Nordhäuser Juden, deren Leidensweg am 1. April 1933 mit den von der Reichsleitung der NSDAP zentral gesteuerten Boykott jüdischer Geschäfte begann. Damals war Sting Leiter der Nordhäuser Ortsgruppe der Partei, nationalsozialistischer Stadtverordnetenvorsteher, Gauinspekteur des Gaues Thüringen der NSDAP und nationalsozialistischer Landtagsabgeordneter in einer Person. | * Sting findet kein Wort des Gedenkens für die ausgetriebenen und vergasten Nordhäuser Juden, deren Leidensweg am 1. April 1933 mit den von der Reichsleitung der NSDAP zentral gesteuerten Boykott jüdischer Geschäfte begann. Damals war Sting Leiter der Nordhäuser Ortsgruppe der Partei, nationalsozialistischer Stadtverordnetenvorsteher, Gauinspekteur des Gaues Thüringen der NSDAP und nationalsozialistischer Landtagsabgeordneter in einer Person. |
Aktuelle Version vom 20. Mai 2024, 10:58 Uhr
Kritische Betrachtung einer literarischen Selbstdarstellung. Das Stadtarchiv in Nordhausen verlor bei den Luftangriffen am 3. und 4. April 1945 sein Depotgebäude mit dem größten Teil der Bestände. Ausgelagerte Archivalien, die in Tresoren und in einem benachbarten Dorf vor dem Feuersturm bewahrt geblieben waren, sollen später von kommunistischen Eiferern vorsätzlich verbrannt worden sein. Für die künftige Geschichtsschreibung über die Jahre nach der Jahrtausendfeier bis zum Ende des zweiten Weltkrieges unersetzliche Dokumente sind vernichtet, von der Archivbücherei nur kleine Reste erhalten. Wir haben zwar Grund zu der Annahme, daß der am 9. Oktober 1949 in Nordhausen gestorbene Hans Silberborth, Hauptautor des anläßlich der Jahrtausendfeier vom Magistrat heraus gegebenen Geschichtswerks "Das tausendjährige Nordhausen", die historisch wichtigen Geschehnisse nach 1927 aufgezeichnet hat; jedoch ist der Verbleib dieser Hinterlassenschaft ungewiß.[1] Soweit uns bekannt, gibt es keine historischen Publikationen von Silberborth oder aus anderer berufener Feder über die vorgenannte Zeitspanne. Dem schien abgeholfen zu sein, als Heinz Sting, jetzt Leitender Regierungsdirektor beim Regierungspräsidenten in Hannover, im Jahre 1965 ein Buch herausgab und im Vorwort schrieb, er habe sich gern der Aufgabe unterzogen, die wichtigsten Ereignisse der beiden auf die Jahrtausendfeier folgenden Jahrzehnte festzuhalten. Auf der Umschlagklappe kündigt er an, er wolle jüngste Geschichte aus eigenem Erleben darstellen. Er erklärte in einer öffentlichen Veranstaltung des Vereins Nordhäuser Heimatfreunde am 4. September 1965 laut Pressebericht: "Die Alten sollen den Jungen mit diesem Buch zeigen, was Nordhausen war und ist," In einer Bezugseinladung läßt er den Verein verkünden, das Buch gehöre in die Hand eines jeden geschichtlich und heimatkundlich Interessierten und vor allem der Jugend. Der Herausgeber nennt sein Verlagserzeugnis in einem Werbeblatt vom Frühjahr 1965 ein heimat- und zeit-geschichtliches Buch und gab ihm den anspruchsvollen Titel: "Das 1000jährige Nordhausen und der schöne Südharz. - Ein Volksbuch von Heimat und Zeitgeschichte." Dieses Buch ist aus vielen Gründen bei zahlreichen emigrierten Nordhäuser Bürgern auf heftige Ablehnung gestoßen. Auch bei uns, den Unterzeichnern, von denen die meisten seit 20 Jahren und länger keine Verbindungen miteinander hatten. Erst Stings Buch gab uns den Anlaß zu einem Treffen im vorigen Jahr. Dabei kamen wir überein, von einer öffentlichen Replik abzusehen, um nicht den Agitatoren der SED in Nordhausen willkommenen Propagandastoff zu bieten, um nicht den Verein der Nordhäuser Heimatfreunde und seine alljährlichen Wiedersehensfeiern in Bad Sachsa durch Auseinandersetzungen über seinen Vorsitzenden zu beeinträchtigen und um nicht Stings politische Vergangenheit nach so vielen Jahren pharisäerhaft öffentlich anprangern zu müssen. Wir wollen keine zweite Entnazifizierung betreiben und sind uns wohl bewußt, daß auch der Zurückhaltende und Widerstrebende nicht frei ist von der historischen Schuld unserer Generation an der Etablierung des Hitlerstaates. So haben wir uns gefragt, ob es sich eigentlich lohnt, dieser Mixtur aus sentimentalen Reminiszenzen, Apologie und penetranter Eigenreklame, geschickt eingebettet in unkomponierte Auszüge aus alten publizistischen Arbeiten über die Stadtgeschichte, so viel Überlegung zu widmen, da jeder kritikfähige ehemalige Mitbürger Charakter und Tendenz des Buches erkennen muß und auch spätere Historiker die groteske Selbstüberschätzung des Herausgebers nicht übersehen können. Doch ist es unmöglich, die sachlichen Unrichtigkeiten, Entstellungen und Legenden, die das Buch enthält, mit Stillschweigen hinzunehmen, wenn vorgebeugt werden soll, daß die Geschichtsschreibung von morgen falsche Akzente setzt. Wir haben uns darum entschlossen, nach herübergeretteten Dokumenten und aus eigenen Erleben bemerkenswerte lokale Ereignisse der Jahre zwischen den Weltkriegen objektiv darzustellen. Es geschieht in diesem Memorandum, das mit allen beigefügten Drucksachen und Erinnerungsstücken für das Stadtarchiv in Nordhausen bestimmt ist. Dem Bundesarchiv in Koblenz danken wir für die depositarische Übernahme und die Zusicherung, das gesamte Material an das Stadtarchiv in Nordhausen abzugeben, sobald dort eine fachgerechte und objektive Behandlung gewährleistet ist. Wir haben das Bundesarchiv in einem Depositalvertrag ermächtigt, die Archivalien für amtliche Zwecke zu benutzen und auch die Benutzung durch Dritte zu gestatten. Den Herausgeber des Buches "Das 1000jährige Nordhausen und der schöne Südharz" ließen wir eine Ausfertigung unseres Memorandums zustellen. Bei Sting beginnen die beiden auf die Jahrtausendfeier von 1927 folgenden Jahrzehnte de facto erst 1933. Die Zeit der Wirtschaftskrise, mit der die Verwilderung der politischen Gepflogenheiten einherging, in der die traditionell demokratische Bürgergemeinschaft in Nordhausen nicht zuletzt durch seine Aktivität gesprengt wurde, klammert er in seiner Geschichtsschreibung aus. Das ist schade; denn er ist wie kein anderer prädestiniert, diese dramatischen, für die Stadt so folgenschweren Jahre zu beschreiben, in denen er als "Vorkämpfer Adolf Hitlers" im Südharz und Führer der Nordhäuser Nationalsozialisten mit allen Kräften dazu beitrug, die Weimarer Demokratie umzubringen und für die totalitäre Hakenkreuzpartei die Macht zu erringen. Er agitierte fanatisch für eine Entwicklung, deren Konsequenzen schließlich - gewiß von ihm nicht gewollt, doch das ändert nichts an Ergebnis - zur Zerstörung unserer Heimatstadt und zur Teilung Deutschlands führten. Es ist verständlich, daß sich Sting dieser Zeiten nicht gern erinnert. Er sei, so sagt er neuerdings, Nationalsozialist besonderer Art in Sinne Friedrich Naumanns (siehe Biogr. Register) gewesen, nennt sich Widerstandskämpfer, Vorläufer der Männer des 20. Juli 1944, Wortführer des nationalen Widerstandes (1934!) und Führer der Rebellion von 1934 in Nordhausen. Doch diese Rebellion ist eine Legende. In dem "dramatischen Jahr 1934" wurde keineswegs "für die Aufrechterhaltung rechtsstaatlicher Verhältnisse im wahrsten Sinne des Wortes auf breiter Front gerungen." Rechtsstaatliche Verhältnisse gab es seinerzeit in ganzen Reich schon nicht mehr. Nach den Verbot der sozialdemokratischen und der kommunistischen Parteiorganisationen sowie der "Selbstauflösung" aller anderen Parteien mit Ausnahme der NSDAP hatte Hitler die einseitige Parteiherrschaft bereits so gefestigt, daß sie durch lokale Demonstrationen nicht im geringsten berührt werden konnte. Die "Alten Kämpfer" hatten die Voraussetzungen für den Übergang zur Diktatur allzu eifrig gesichert. Jedermann wußte damals in Nordhausen, daß zwischen den beiden Altparteigenossen und Kreisleitern Sting und Kaiser (siehe Biogr. Register) ein erbitterter Machtkampf entbrannt war, in dem schließlich auf beiden Seiten um Sein oder Nichtsein gerungen wurde. Es ging dabei um die Führung der Partei in Nordhausen und im Südharz und um Kaisers Ernennung zum Landrat. Sting heizte die Atmosphäre in der Öffentlichkeit an, traktierte Kaiser mit Strafanzeigen und begehrte kühn und hartnäckig ohne Rücksicht auf die politischen Realitäten auch gegen den Gauleiter Sauckel auf, der Kaiser deckte. Damit hatte er aber seine Möglichkeiten überschätzt und seine Parteioberen in eine Lago gebracht, die sie am Ende nur noch disziplinarisch bereinigen konnten. Das Amt des Oberbürgermeisters, in das Sting durch die NSDAP gekommen ist, wurde ihm logischerweise nach seinem Ausschluß aus der Partei wieder entzogen. Seine Niederlage war damit besiegelt. Er hatte die Affäre zu sehr hochgespielt. Sauckel und Keiser setzten sich durch. Es ist einfach absurd, von Sauckels Niederlage zu sprechen, selbst in Anbetracht der späteren Versetzung Keisers als Kreisleiter nach Saalfeld. Daß Sting in diesem Streit ein politischer oder persönlicher Erfolg nicht beschieden sein konnte, war keinem zweifelhaft, der die Machtverhältnisse in Partei und Staat einigermaßen einzuschätzen vermochte. Die Auseinandersetzungen zwischen Sting und Keiser erregten ungewöhnliches Aufsehen in der Bevölkerung; denn beide waren sich jahrelang einig gewesen in ihrem unverrückbaren Ziel, Adolf Hitler an die Macht zu bringen. Mit großer Mehrheit standen die Nordhäuser gegen den militanten Nationalsozialisten Keiser. Der jugendliche Sting dagegen hatte großen Anhang in der HJ, im BDM, aber auch in der Parteiorganisation und in den vielen Vereinen, die er als Oberbürgermeister durch den Besuch zahlreicher Veranstaltungen mit Erfolg umworben hatte. Es gab aber auch viele, die nur amüsiert und unbeteiligt zusahen, wie die "Hoheitsträger" der NSDAP für die Parteikreise Nordhausen-Stadt und Südharz aufeinander einhieben. Die Demonstrationen der Bevölkerung waren gefühlsmäßige Reaktionen. Politische Ziele hatten sie nicht. Wir kennen niemanden, der sich aufgerufen fand, unter Führung von Sting ein Fanal des Widerstandes zu setzen. Die Nordhäuser Bürger wußten sehr wohl, daß jeder Widerstand von unten her damals schon längst aussichtslos geworden war. Nach Stings Enthebung von allen Parteiämtern Ende März 1934 wechselten seine alten Gefährten, von ein paar Ausnahmen abgesehen, stillschweigend zur anderen Seite hinüber und fügten sich den Parteimaßnahmen. Bereits am 25.3.1934 fand in Nordhausen ein Kreiskongreß der NSDAP statt, den Kreisleiter Keiser leitete, Gauleiter Sauckel nahm daran teil und erhielt von der Führerschaft der Parteiorganisationen und den politischen Leitern die Zusicherung unbedingter Gefolgschaft.Zu keiner Stunde war die politische Führung der Partei in Frage gestellt. Die Leitung hatte ihre Mitgliederorganisationen fest an der Hand. Wenn der Preußische Ministerpräsident anläßlich des Strafprozesses gegen Keiser im Oktober 1954 vorübergehend zwei Kompanien Schutzpolizei nach Nordhausen entsandte und alarmbereit halten ließ, so zeugt das von einer völligen Fehleinschätzung der wirklichen Lage und trug zu der Legendenbildung von der Rebellion in Nordhausen erheblich bei. Diese Maßnahmen erstickten zugleich aber auch - was hauptsächlich beabsichtigt gewesen sein mag - jedes Gelüst nach Radau. Wer sich unter Berufung auf die Geschehnisse in Nordhausen als antinazistischer Widerständler ausgibt, beleidigt die verfolgten, geschundenen Menschen und die Opfer der aktiven Gegner des Hitler-Regimes. Sting selbst hat auch nach der Maßregelung durch die Partei nicht den Eindruck erweckt, als sei er vom Hitlerkult abgerückt. Hier die Schlußworte seiner Rede als Vorsitzender des Heimat- und Verkehrsvereins vor vielen tausend Besuchern des großen Gehegefestes an 26. August 1934: ”Im Andenken an unsere Vorfahren und in Kampf um die neuen Ziele des Nationalsozialismus haben wir diesen Tag begangen. Deutschland, der Führer und die nationalsozialistische Hochburg Nordhausen Kampf Heil! Sieg Heil! Hitler Heil!" Vier Jahre später saß der Redner als Regierungsdirektor in Braunschweigischen Staatsministerium und in Oktober 1940 wurde Pg. Sting laut Pressemeldungen ehrenvoll zum Leiter der Zentralabteilung dieses Ministeriums durch den Führer berufen. Ministerpräsident Klagges (siehe Biogr. Register) war nicht der Mann, der einen Widerstandskämpfer in seiner nächsten Umgebung geduldet hätte. Sting ist heute wieder Landesbeamter des höheren Dienstes. Er ist in die Führungsspitze der Organisationen der Flüchtlinge aus Mitteldeutschland aufgerückt und tritt auch in Kuratorium 'Unteilbares Deutschland' in Erscheinung. Seit einigen Monaten ist er Träger der Goldenen Ehrennadel des Bundes der Landsmannschaften Provinz Sachsen und Anhalt e.V., dessen Vorsitz er führt. Mit wachen Sinn für wirkungsvolle Public Relations versteht es Heinz Sting, in alter, wohlbekannter Manier durch solche Vereinstätigkeit seine Person, selbst in der politischen Repräsentanz der Bundesrepublik, zur Geltung zu bringen. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür gab er als verantwortlicher Redakteur der Festschrift zum Treffen "seines” Bundes anläßlich des zehnjährigen Bestehens am 12. und. 15. Oktober 1963. Auf der ersten Innenseite des Heftes steht an der Spitze ein Manifest von Heinz Sting. Darunter folgen Grußworte Konrad Adenauers, des Ministerpräsidenten Dr. Diederichs, der damaligen Bundesminister Mischnick und Dr. Barzel, von Erich Ollenhauer - Willy Brandt - Herbert Wehner und von Dr. Mende. Alle Namen sind in augenfälligen Cicero-Schriftgrad gesetzt. Die Gunstbezeigungen aus der Bundeshauptstadt sind damit auch optisch gebührend hervorgehoben. Bundesminister, Landesminister und die Vorsitzenden der drei Bundestagsparteien gehörten zu den Gratulanten zu Stings 60. Geburtstag. (Wer soll sich bei all den noch wundern, wenn er eines Tages im Schmuck de Bundesverdienstkreuzes posiert?) Wir müssen es selbstverständlich ganz den Urteil der Herren Minister und führenden Politiker überlassen, ob gerade dieser Mann geeignet ist, die Vorstellungen demokratischer und gesamtdeutscher Politik achtbar und glaubwürdig zu vertreten. Viele rechtschaffene Deutsche, die in heutigen Nordhausen leben müssen und über Stings jetzige wie frühere Tätigkeit informiert sind, finden sein Comeback in den Landsmannschaften der Bundesrepublik unbegreiflich. Heinz Sting hat schon bald nach seiner Entlassung aus den Internierungslager 1948 den Verein "Nordhäuser Heimatfreunde" gegründet. Wir wissen, daß viele Flüchtlinge seitdem die Gelegenheit des Zusammenseins mit ehemaligen Mitbürgern bei den Veranstaltungen regelmäßig mit Freude wahrnehmen. Manchen von denen, die sich anfangs nur schwer den ihnen fremden Lebensumständen anzupassen vermochten, hat der Verein sicherlich viel bedeutet. Man hätte annehmen dürfen, daß Sting aus der Vergangenheit gelernt, sich geziemender Zurückhaltung befleißigt und bemüht hätte, durch stille Arbeit für die Heimatfreunde frühere Schuld abzutragen. Stattdessen sucht er, dem Rederausch verfallen, in aufdringlicher Betriebsamkeit jede Gelegenheit, sich in den Vordergrund zu spielen. Er fordert zornig die Wiedervereinigung und schimpft auf das totalitäre System in der Sowjetzone; er trauert um den Untergang der alten Stadt und schweigt über den tieferen Ursprung allen Unheils. Wer einmal die "Nordhäuser Nachrichten" durchblättert, wird sich des fatalen Eindrucks nicht erwehren können, daß der Herausgeber Sting hier seit Jahren systematisch an der Aufwertung seines Image arbeitet. Darum lehnte manch einer den Beitritt ab und meidet die Tagungen des Vereins, der bei einsichtiger Führung ein Forum der Versöhnung mit der Vergangenheit hätte werden können. Nicht wenige Nordhäuser Bürger, die sich des oft peinlich lauten Wesens und der stiefelknallenden Großspurigkeit dieses Mannes zu Zeiten seiner Agitation in der Heimat sehr deutlich erinnern, betrachten sein alljährliches Auftreten in Bad Sachsa, wo er einst mit verzehrender Leidenschaft für Adolf Hitler auszog, als Provokation.
Sting hat in einer gärenden Zeit, in der die Stadt der abwägenden, ausgleichenden Führung bedurfte, durch seinen forcierten ”Idealismus" dauernde Unruhe, Zwietracht und Schwierigkeiten in Nordhausen herbeigeführt, bis er gescheitert war und ihm das Amt des Oberbürgermeisters entzogen wurde. Das hindert ihn nicht, sich in eigenen Publikationen selbst zu den verdienten Persönlichkeiten unserer Heimat zu zählen. Diesem Anspruch dient die Verharmlosung jener schrecklichen Zeit der "Umwälzung", dienen die Manipulationen von Tatsachen und Motiven in seinem Buch. Wir haben mit Unbehagen wahrgenommen, wie er aus der Ich-Perspektive über sich erzählt, wie er formuliert, manches hinzusetzt, vieles verschweigt und die Last der Vergangenheit von sich abzuwälzen sucht. Es schien uns Pflicht, die Tendenz des Buches über das 1000-jährige Nordhausen und den schönen Südharz für die Nachgeborenen zu verdeutlichen. Unterzeichnet im Juli/August/September 1969:
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