Der Graf von Hohnstein und das Judenmädchen: Unterschied zwischen den Versionen

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In der Mitte des 13. Jahrhunderts ging in Nordhausen die fast immer  
In der Mitte des 13. Jahrhunderts ging in Nordhausen die fast immer  
todbringende Seuche der Pest um. Unzählige Einwohner fielen der furchtbaren  
todbringende Seuche der Pest um. Unzählige Einwohner fielen der furchtbaren  

Version vom 9. November 2019, 22:07 Uhr

Burg Hohnstein

In der Mitte des 13. Jahrhunderts ging in Nordhausen die fast immer todbringende Seuche der Pest um. Unzählige Einwohner fielen der furchtbaren Epidemie zum Opfer. Schon war die Stadt beinahe zur Hälfte entvölkert. Allgemeine Unwissenheit, mittelalterlicher Aberglaube und blindwütiger religiöser Haß bezichtigten die ortsansässigen Juden, das mit der Krankheit einhergehende kurzzeitige Siechtum und baldige Sterben so vieler Menschen herbeigeführt zu haben, durch verbrecherische Machenschaften dafür schuldig zu sein. Gegen die hebräischen Mitbürger mit ihren fremdartigen Lebensanschauungen setzten schreckliche Schmähungen, Verfolgungen und letztendlich die grausamsten Anklagen und Verurteilungen zum Tod auf dem Scheiterhaufen ein. Gleich, ob Frauen oder Kinder, Gebrechliche oder Greise, keinen verschonten die boshaften Anschuldigungen und Übergriffe auf Leib und Leben.

Im Hause des wohlhabenden jüdischen Kunsthändlers Isaac, der mit seiner jungfräulichen Tochter Esther zusammen lebte, verkehrte zu dieser Zeit freundschaftlich der junge Otto von Hohnstein. Schwer abzuwägen ist, was ihn mehr hierhin zog, die kostbaren Kunstgegenstände und Altertümer in der Vielfalt von Schmuck- und Zierstücken aus edlem Metall in feinster orientalischer Handwerkerarbeit, welche der Alte im Laufe eines langen Lebens zusammengetragen hatte, zu bewundern oder das Beisammensein mit der schönen, schwarzhaarigen, für angeregte Gespräche stets aufgeschlossenen Esther. Aber alsbald waren dem Sprößling der Hohnsteiner aus dem Kreise seiner Anverwandten dringende Warnungen zuteil geworden, von seinen Besuchen bei der verrufenen Judensippe abzulassen, da sie für einen jungen Edelmann nicht ziemlich seien. Aus Familienrücksicht und im Bemühen, seinem Onkel gehorsam zu sein, wollte er dessen Gebot zunächst befolgen. So gutwillig Otto von Hohnstein diese Zusage gegeben hatte, so bald bereute er sie, erschien ihm doch die ihm anbefohlene Haltung für ausgesprochen nichtswürdig. Denn war es ehrenhaft, Vater und Tochter, denen er wiederholt seine tiefe freundschaftliche Zuneigung und Hochachtung versichert hatte, in der Gefährdung Treue und Beistand zu versagen? Eines Abends, als der junge Graf in den Wäldern um Neustadt unterhalb des Hohnsteines gejagt hatte und sich bei eintretender Dunkelheit auf einem einsamen Pfad heimwärts wandte, hörte er aus dem Buschwerk zu seiner Rechten leise menschliche Stimmen. In gespannter Erwartung sein Pferd verhaltend, umfaßte der Reiter den Griff seines Schwertes um bei Gefahr gewappnet zu sein und unversehens blank ziehen zu können.

Wie sehr verwundert war er aber, daß aus dem Dickicht zwei weibliche Gestalten hervortraten, die von Kopf bis Fuß in derbe Kleidung gehüllt waren und ihn mit angststarren Blicken ansahen. „Ihr Frauen“, rief Otto ihnen entgegen, „was immer Euch zu dieser späten Stunde hier in den Wald geführt hat, von mir habt Ihr nichts zu befürchten Seid Ihr in Bedrängnis, so will ich Euch gerne helfen!' „Otto von Hohnstein“, rief eine der Frauen mit größter Erleichterung, „daß ich Euch hier treffe, ist eine glückliche Fügung.“ „Esther! — Ihr hier, allein, ohne männlichen Schutz, zu FuE in dieser einsamen Gegend? Was ist Euch geschehen?" „Mein Vater liegt eine Stunde weit von hier, ermordet, ich’ bin geflohen. Kehre ich nach Nordhausen zurück, ergreifen sie mich als Brunnenvergifterin“, erwiderte das Mädchen mil zitternder Stimme. „Kommt, ich nehme Euch in meine Obhut“, sagte der junge Ritter. Und noch ehe Esther weiter zu Wort kam, hatte er sie schon auf sein Pferd gehoben und die schreckerfüllte halb ohnmächtige Dienerin hinter sie gesetzt, während er sich anschickte, neben dem Tier herzugehen, den Pfad entlang, der zum Behretal führte.

„Letzte Nacht war es“, begann Esther stockend zu berichten, „als es plötzlich leise an unsere Hintertür klopfte. Es war Bernhard Seebald, der Ratsdiener. Er kam heimlich, um uns dringlich zur Flucht zu raten. Die Ratsversammlung hatte beschlossen, auch uns anzuklagen, um meines Vaters Besitztum einziehen zu können. Es hatte sich ein Ankläger gefunden, der beschwören wollte, selbst gesehen zu haben, wie mein Vater in einer Nacht im Mai vorigen Jahres mit Zaubersprüchen einen Beutel Pulver in den Brunnen am Markt geschüttet hätte. Wir besannen uns nicht lange, rafften das Nötigste und Wertvollste eiligst zusammen und flohen im Morgengrauen. Böse Nachbarn müssen uns verraten haben. Die Häscher holten uns ein, mißhandelten und erschlugen den Vater und trieben uns unter Johlen und wüsten Beschimpfungen als dreckige Judenweiber vor ihren Spießen her. Nur weil sie selbst ihrer Hetzjagd über Stock und Stein überdrüssig wurden, sind wir entkommen.“

Otto verbarg die beiden total erschöpften unglückseligen Frauen bei seinem Waldhüter, der mit Frau und Kindern tief im Forst eine Hütte bewohnte. Nach einigen Wochen, bei günstiger Jahreszeit, verließen dieser mit den Seinen und den beiden Jüdinnen den einsamen Flecken im Wald, um im Schutz der Nacht jenseits der Berge eine Stelle zu erreichen, an der Otto von Hohnstein mit Reittieren auf sie wartete. Von ihm selbst traf nie wieder ein Lebenszeichen auf der Burg Hohnstein ein. Erst nach Jahren wußten reisende Händler zu berichten, daß ein Herr dieses Namens in Venedig mit einer schönen schwarzhaarigen dunkeläugigen Gemahlin glücklich und als angesehener Mann lebe.