Stasi Nordhausen: Unterschied zwischen den Versionen

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== Stasi in Nordhausen ==
== Stasi in Nordhausen ==
Die Kreisdienststelle (KD) Nordhausen war die lokale Vertretung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in Nordhausen und unterstand direkt der MfS-Bezirksverwaltung in Erfurt.
Die Anfänge der KD Nordhausen gehen zurück auf das Kommissariat 5 (K5) der örtlichen Kriminaldienststelle, das nach Kriegsende 1945 aus zunächst nur vier Mitarbeitern bestand. Anfangs beschäftigte es sich vor allem mit Grenzdelikten und Waffengebrauch, ab 1948 dann zunehmend mit politischen Strafsachen. Kurz nach der Gründung des MfS 1950 wurde die KD Nordhausen mit zunächst acht Mitarbeitern aufgebaut.
In den 1950er Jahren nahm die Tätigkeit der KD ortsbezogene Konturen an. In den Akten finden sich Fälle von Spionageverdacht, "staatsfeindlicher Hetze", Wirtschaftssabotage und Grenzgängerei. Bei Verweigerungen des Eintritts in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) schritt die KD ein, ebenso bei den Zwangsaussiedlungen 1952 und 1961 an der innerdeutschen Grenze.
In den 1960er Jahren waren die KD-Mitarbeiter bereits besser geschult. Leitungspositionen erforderten MfS-interne Fach- oder Hochschulabschlüsse. 1968 regelte eine neue Arbeitsordnung die Struktur, Hauptaufgaben und Zusammenarbeit der KD mit der SED-Kreisleitung und MfS-Diensteinheiten.
Mit dem zunehmenden Transitverkehr zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin wurde 1970 in den KD das Sachgebiet VI für Sicherheitsüberprüfungen eingerichtet. 1978 kamen die "Referate Auswertung und Information" als unmittelbare Arbeitsgruppen der KD-Leiter hinzu. Sie trugen alle wichtigen Informationen aus dem Kreis zusammen und waren die eigentliche Schaltzentrale der Überwachung.
In den 1970er und 80er Jahren trafen die wirtschaftlichen und politischen Probleme der DDR die KD als unterste MfS-Einheit besonders hart. Minister Erich Mielke forderte eine effektivere Arbeit und enge Kooperation mit der Volkspolizei, um die anwachsende Staatsverdrossenheit einzudämmen. Ab 1983 richtete das MfS spezielle Referate "Sicherheitsüberprüfung/Ermittlungstätigkeit" ein, um angesichts zunehmender Reisen in den Westen jegliche Überraschungen zu vermeiden.
Mit der Reformpolitik in der Sowjetunion ab 1985 und dem Erstarken der Opposition in der DDR wurde die Lage schwieriger. Nach der Verhaftungs- und Ausreisewelle infolge der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration im Januar 1988 sah das MfS jedoch keinen Grund für Veränderungen, sondern verschärfte die Repressionen. Die KD erhielten mehr Befugnisse zur flexiblen Schwerpunktsetzung und Bildung von Arbeitsgruppen.
Aufgrund der gelockerten Reisebestimmungen und der anschwellenden Zahl von Ausreiseanträgen waren die Kreisdienststellen gegen Ende der 1980er Jahre völlig überfordert. Allein die KD Nordhausen musste täglich hunderte von Sicherheitsüberprüfungen vornehmen. Nach den massiven Wahlfälschungen bei den Kommunalwahlen im Mai 1989 spitzte sich die explosive Stimmung im Land weiter zu. Am 24. Oktober fand in Nordhausen eine Massendemonstration mit 25.000 Teilnehmern gegen das DDR-Regime statt.
Als unterste territoriale Einheit war die KD im hierarchischen Befehlssystem des MfS fest eingebunden. Grundsätzlich Weisungen erteilen konnten ihr nur der Minister, die Bezirksverwaltung und der eigene Leiter. Über ihn liefen alle Kontakte nach oben und zu den "Bruderorganen" wie der Volkspolizei. Wichtigste Aufgabe war die flächendeckende Bespitzelung der Bevölkerung durch einen Stab von inoffiziellen Mitarbeitern (IM) in allen Gesellschaftsbereichen.
Zu den Schwerpunkten der Überwachung durch die KD Nordhausen zählten die großen Industriebetriebe des Kreises wie die IFA-Motorenwerke, der VEB Schachtbau und das Fernmeldewerk, wo insgesamt fast 20.000 Menschen beschäftigt waren. Aber auch das gesellschaftliche Leben in Vereinen, Kirchen und unter Jugendlichen stand im Fokus. Oppositionelle Bestrebungen sollten bereits im Keim erstickt werden. Verhaftungen, Postkontrolle, Abhöraktionen und Wohnungsdurchsuchungen übernahmen allerdings Spezialabteilungen der Bezirksverwaltung.
Die Leitung der KD Nordhausen lag in den Händen linientreuer SED-Genossen, die vom Minister persönlich eingesetzt wurden. Sie waren gegenüber dem 1. Kreissekretär der SED berichtspflichtig, der den Arbeitsplan der KD bestätigte. Wichtigstes Instrument der Herrschaftssicherung waren die rund 350 IMs, die ein engmaschiges Informantennetz über alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens spannen sollten. Ihre tatsächliche Effizienz und Einsatzbereitschaft ließ jedoch oft zu wünschen übrig.
Wie andere Kreisdienststellen war auch die KD Nordhausen vor allem in den 1980er Jahren personell unterbesetzt und von Aufgaben überlastet. Allein die Sicherheitsüberprüfungen im Zusammenhang mit der wachsenden Reisetätigkeit von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik band enorme Kapazitäten. Am Ende gehörte etwa jeder 300. Einwohner des Kreises Nordhausen zum Apparat der Staatssicherheit - als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter.
Trotz dieses beträchtlichen Aufwands konnte auch die KD Nordhausen nicht verhindern, dass der Unmut über die Mangelwirtschaft und Unfreiheit in der DDR seit Mitte der 1980er Jahre immer offener zu Tage trat. Dabei spielte Nordhausen als Schwerpunkt der Samisdat-Szene und Ausgangspunkt von Demonstrationen eine wichtige Rolle. Trauriger Höhepunkt der Verfolgung Oppositioneller war die Verhaftungswelle im Januar 1988, die auch Bürger aus Nordhausen traf.
Nach dem Fall der Berliner Mauer beschleunigte sich die Auflösung der Staatssicherheit. Am 4. Dezember 1989 besetzten Bürgerrechtler die Bezirksverwaltung in Erfurt und beschlagnahmten erste Akten, um deren Vernichtung zu verhindern. Die KD Nordhausen wurde kurze Zeit später aufgelöst. Juristische Aufarbeitung der MfS-Verbrechen fand nur in wenigen spektakulären Fällen statt.
In der Dienststelle in Nordhausen waren am 1. November 1989 72 hauptamtliche Mitarbeiter tätig. Die Zahl der sogenannten inofiziellen Mitarbeiter belief sich auf ca. 400 (Stichtag 10. Oktober 1989). Nach neueren Forschungen gab es im Kreis Nordhausen rund 600 IMs. Die Stasi-Kreisdienststelle (KD) in Nordhausen gehörte zur Kategorie B (51 bis 83 Mitarbeiter). Die Nordhäuser KD verfügte über die Referate Militärobjekte/Spionageabwehr, Volkswirtschaft, Territorialsicherung, Sicherheitsüberprüfungen/Ermittlungstätigkeit und Grenzsicherheit.  
In der Dienststelle in Nordhausen waren am 1. November 1989 72 hauptamtliche Mitarbeiter tätig. Die Zahl der sogenannten inofiziellen Mitarbeiter belief sich auf ca. 400 (Stichtag 10. Oktober 1989). Nach neueren Forschungen gab es im Kreis Nordhausen rund 600 IMs. Die Stasi-Kreisdienststelle (KD) in Nordhausen gehörte zur Kategorie B (51 bis 83 Mitarbeiter). Die Nordhäuser KD verfügte über die Referate Militärobjekte/Spionageabwehr, Volkswirtschaft, Territorialsicherung, Sicherheitsüberprüfungen/Ermittlungstätigkeit und Grenzsicherheit.  


Die Stasi-Kreisdienststelle hatte ihren Sitz bis Mitte der 1980er Jahre in Gebäuden auf dem Eckgrundstück Riemannstraße/Köllingstraße 1(n?), danach in der Dr.-Kurt-Fischer-Straße (heute [[Ludolfingerstraße]]). Letzter Leiter der Nordhäuser Stasi war Oberstleutnant [[Hubert Kurzbach]].
Die Stasi-Kreisdienststelle hatte ihren Sitz bis Mitte der 1980er Jahre in Gebäuden auf dem Eckgrundstück Riemannstraße/ Köllingstraße 1, heute -Juni 2022 -Hausnummer Köllingstraße 1a, danach in der Dr.-Kurt-Fischer-Straße (heute [[Ludolfingerstraße]]). Letzter Leiter der Nordhäuser Stasi war Oberstleutnant [[Hubert Kurzbach]].


== Literatur ==
== Literatur ==

Aktuelle Version vom 5. Juni 2024, 11:28 Uhr

Wandbild aus der Stasi-Zentrale Leipzig

Das Ministerium für Staatssicherheit, kurz MfS, war der Geheimdienst und Machtinstrument der SED in der DDR. Im Volksmund wurde das MfS als „Stasi“ bezeichnet.

Stasi in Nordhausen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Kreisdienststelle (KD) Nordhausen war die lokale Vertretung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in Nordhausen und unterstand direkt der MfS-Bezirksverwaltung in Erfurt. Die Anfänge der KD Nordhausen gehen zurück auf das Kommissariat 5 (K5) der örtlichen Kriminaldienststelle, das nach Kriegsende 1945 aus zunächst nur vier Mitarbeitern bestand. Anfangs beschäftigte es sich vor allem mit Grenzdelikten und Waffengebrauch, ab 1948 dann zunehmend mit politischen Strafsachen. Kurz nach der Gründung des MfS 1950 wurde die KD Nordhausen mit zunächst acht Mitarbeitern aufgebaut.

In den 1950er Jahren nahm die Tätigkeit der KD ortsbezogene Konturen an. In den Akten finden sich Fälle von Spionageverdacht, "staatsfeindlicher Hetze", Wirtschaftssabotage und Grenzgängerei. Bei Verweigerungen des Eintritts in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) schritt die KD ein, ebenso bei den Zwangsaussiedlungen 1952 und 1961 an der innerdeutschen Grenze. In den 1960er Jahren waren die KD-Mitarbeiter bereits besser geschult. Leitungspositionen erforderten MfS-interne Fach- oder Hochschulabschlüsse. 1968 regelte eine neue Arbeitsordnung die Struktur, Hauptaufgaben und Zusammenarbeit der KD mit der SED-Kreisleitung und MfS-Diensteinheiten.

Mit dem zunehmenden Transitverkehr zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin wurde 1970 in den KD das Sachgebiet VI für Sicherheitsüberprüfungen eingerichtet. 1978 kamen die "Referate Auswertung und Information" als unmittelbare Arbeitsgruppen der KD-Leiter hinzu. Sie trugen alle wichtigen Informationen aus dem Kreis zusammen und waren die eigentliche Schaltzentrale der Überwachung.

In den 1970er und 80er Jahren trafen die wirtschaftlichen und politischen Probleme der DDR die KD als unterste MfS-Einheit besonders hart. Minister Erich Mielke forderte eine effektivere Arbeit und enge Kooperation mit der Volkspolizei, um die anwachsende Staatsverdrossenheit einzudämmen. Ab 1983 richtete das MfS spezielle Referate "Sicherheitsüberprüfung/Ermittlungstätigkeit" ein, um angesichts zunehmender Reisen in den Westen jegliche Überraschungen zu vermeiden. Mit der Reformpolitik in der Sowjetunion ab 1985 und dem Erstarken der Opposition in der DDR wurde die Lage schwieriger. Nach der Verhaftungs- und Ausreisewelle infolge der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration im Januar 1988 sah das MfS jedoch keinen Grund für Veränderungen, sondern verschärfte die Repressionen. Die KD erhielten mehr Befugnisse zur flexiblen Schwerpunktsetzung und Bildung von Arbeitsgruppen.

Aufgrund der gelockerten Reisebestimmungen und der anschwellenden Zahl von Ausreiseanträgen waren die Kreisdienststellen gegen Ende der 1980er Jahre völlig überfordert. Allein die KD Nordhausen musste täglich hunderte von Sicherheitsüberprüfungen vornehmen. Nach den massiven Wahlfälschungen bei den Kommunalwahlen im Mai 1989 spitzte sich die explosive Stimmung im Land weiter zu. Am 24. Oktober fand in Nordhausen eine Massendemonstration mit 25.000 Teilnehmern gegen das DDR-Regime statt.

Als unterste territoriale Einheit war die KD im hierarchischen Befehlssystem des MfS fest eingebunden. Grundsätzlich Weisungen erteilen konnten ihr nur der Minister, die Bezirksverwaltung und der eigene Leiter. Über ihn liefen alle Kontakte nach oben und zu den "Bruderorganen" wie der Volkspolizei. Wichtigste Aufgabe war die flächendeckende Bespitzelung der Bevölkerung durch einen Stab von inoffiziellen Mitarbeitern (IM) in allen Gesellschaftsbereichen.

Zu den Schwerpunkten der Überwachung durch die KD Nordhausen zählten die großen Industriebetriebe des Kreises wie die IFA-Motorenwerke, der VEB Schachtbau und das Fernmeldewerk, wo insgesamt fast 20.000 Menschen beschäftigt waren. Aber auch das gesellschaftliche Leben in Vereinen, Kirchen und unter Jugendlichen stand im Fokus. Oppositionelle Bestrebungen sollten bereits im Keim erstickt werden. Verhaftungen, Postkontrolle, Abhöraktionen und Wohnungsdurchsuchungen übernahmen allerdings Spezialabteilungen der Bezirksverwaltung.

Die Leitung der KD Nordhausen lag in den Händen linientreuer SED-Genossen, die vom Minister persönlich eingesetzt wurden. Sie waren gegenüber dem 1. Kreissekretär der SED berichtspflichtig, der den Arbeitsplan der KD bestätigte. Wichtigstes Instrument der Herrschaftssicherung waren die rund 350 IMs, die ein engmaschiges Informantennetz über alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens spannen sollten. Ihre tatsächliche Effizienz und Einsatzbereitschaft ließ jedoch oft zu wünschen übrig.

Wie andere Kreisdienststellen war auch die KD Nordhausen vor allem in den 1980er Jahren personell unterbesetzt und von Aufgaben überlastet. Allein die Sicherheitsüberprüfungen im Zusammenhang mit der wachsenden Reisetätigkeit von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik band enorme Kapazitäten. Am Ende gehörte etwa jeder 300. Einwohner des Kreises Nordhausen zum Apparat der Staatssicherheit - als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter.

Trotz dieses beträchtlichen Aufwands konnte auch die KD Nordhausen nicht verhindern, dass der Unmut über die Mangelwirtschaft und Unfreiheit in der DDR seit Mitte der 1980er Jahre immer offener zu Tage trat. Dabei spielte Nordhausen als Schwerpunkt der Samisdat-Szene und Ausgangspunkt von Demonstrationen eine wichtige Rolle. Trauriger Höhepunkt der Verfolgung Oppositioneller war die Verhaftungswelle im Januar 1988, die auch Bürger aus Nordhausen traf. Nach dem Fall der Berliner Mauer beschleunigte sich die Auflösung der Staatssicherheit. Am 4. Dezember 1989 besetzten Bürgerrechtler die Bezirksverwaltung in Erfurt und beschlagnahmten erste Akten, um deren Vernichtung zu verhindern. Die KD Nordhausen wurde kurze Zeit später aufgelöst. Juristische Aufarbeitung der MfS-Verbrechen fand nur in wenigen spektakulären Fällen statt.

In der Dienststelle in Nordhausen waren am 1. November 1989 72 hauptamtliche Mitarbeiter tätig. Die Zahl der sogenannten inofiziellen Mitarbeiter belief sich auf ca. 400 (Stichtag 10. Oktober 1989). Nach neueren Forschungen gab es im Kreis Nordhausen rund 600 IMs. Die Stasi-Kreisdienststelle (KD) in Nordhausen gehörte zur Kategorie B (51 bis 83 Mitarbeiter). Die Nordhäuser KD verfügte über die Referate Militärobjekte/Spionageabwehr, Volkswirtschaft, Territorialsicherung, Sicherheitsüberprüfungen/Ermittlungstätigkeit und Grenzsicherheit.

Die Stasi-Kreisdienststelle hatte ihren Sitz bis Mitte der 1980er Jahre in Gebäuden auf dem Eckgrundstück Riemannstraße/ Köllingstraße 1, heute -Juni 2022 -Hausnummer Köllingstraße 1a, danach in der Dr.-Kurt-Fischer-Straße (heute Ludolfingerstraße). Letzter Leiter der Nordhäuser Stasi war Oberstleutnant Hubert Kurzbach.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hanna Labrenz-Weiß: Die KD Nordhausen. Arbeitsstruktur und Wirkung der Kreisdienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit im Grenzkreis Nordhausen. Berlin: Bundesbeauftragter f. d. Unterlagen d. Staatssicherheitsdienstes d. ehem. DDR, 2017.