Bearbeiten von „Nordhäuser Realgymnasiasten im Weltkriege

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Als nach der Ypernschlacht die Aussichten auf einen schnellen Erfolg, den man von der Durchführung des von Schlieffen geprägten operativen Vernichtungsgedankens erhofft hatte, dahinschwanden, entschloß sich unsere O.H.L., zunächst zur Defensive Überzugehen und sich unter sparsamster Wirtschaft mit Menschen und Material auf begrenzte Offensiven zur Erreichung bestimmter militärpolitischer und wirtschaftlicher Ziele zu beschränken.
Als nach der Ypernschlacht die Aussichten auf einen schnellen Erfolg, den man von der Durchführung des von Schlieffen geprägten operativen Vernichtungsgedankens erhofft hatte, dahinschwanden, entschloß sich unsere O.H.L., zunächst zur Defensive Überzugehen und sich unter sparsamster Wirtschaft mit Menschen und Material auf begrenzte Offensiven zur Erreichung bestimmter militärpolitischer und wirtschaftlicher Ziele zu beschränken.


General v. Falkenhayn ließ sich dabei wohl von der Ansicht leiten, daß der Russe bei der Weite des ihm zur Verfügung stehenden Raumes einem Entscheidungskampfe stets ausweichen könne, die Entscheidung des Krieges daher nur im Westen zu haben sei. Für eine Entscheidung suchende Offensive hier, vermittels Durchbruchs durch die feindlichen Stellungen, hielt er aber die deutschen Kräfte noch nicht für ausreichend. Ob dies richtig war, soll hier nicht untersucht werden, — Deutschland geriet dadurch jedenfalls in die Lage einer zu Lande und zu Wasser eng eingeschlossenen, dabei ungenügend verproviantierten und ausgerüsteten Festung. An der Front begann jenes „Martyrium des 1200 Tage dauernden Stellungskrieges, des Krieges der Technik und des Materials, des Krieges der Unterführer, bei dem die soldatischen Eigenschaften der Initiative und Beweglichkeit unter der drückenden Abhängigkeit von den verfügbaren technischen Kampfmitteln zu verkümmern drohten, weil man sich meist auf das Handwerksmäßige der Kriegsführung beschränken mußte.
General v. Falkenhayn ließ sich dabei wohl von der Ansicht leiten, daß der Russe bei der Weite des ihm zur Verfügung stehenden Raumes einem Entscheidungskampfe stets ausweichen könne, die Entscheidung des Krieges daher nur im Westen zu haben sei. Für eine Entscheidung suchende Offensive hier, vermittels Durchbruchs durch die feindlichen Stellungen, hielt er aber die deutschen Kräfte noch nicht für ausreichend. Ob dies richtig war, soll hier nicht untersucht werden, — Deutschland geriet dadurch jedenfalls in die Lage einer zu Lande und zu Wasser eng eingeschlossenen, dabei ungenügend verproviantierten und ausgerüsteten Festung. An der Front begann jenes „Martyrium des 1200 Tage dauernden Stellungskrieges, des Krieges der Technik und des Materials, des Krieges der Unterführer, bei dem die soldatischen Eigenschaften der Initiative und Beweglichkeit unter der drückenden Abhängigkeit von den verfügbaren technischen Kampfmitteln zu verkümmern drohten, weil man sich meist auf das Handwerksmäßige der Kriegsführung beschränken mußte."


Das politische Ringen um die Neutralen, um Italien und die Balkanstaaten, ließ nun mit Beginn des Jahres 1915 beiderseits einen größeren militärischen Erfolg als dringend erwünscht erscheinen.
Das politische Ringen um die Neutralen, um Italien und die Balkanstaaten, ließ nun mit Beginn des Jahres 1915 beiderseits einen größeren militärischen Erfolg als dringend erwünscht erscheinen.


Auf beiden Seiten war die Führung im Laufe des Winters darauf bedacht gewesen, sich neue Reserven zu schaffen. 22 Divisionen waren vom Gegner neu aufgestellt, während unsere O.H.L., außer den in der Heimat aufzustellenden Divisionen, aus der Front durch Umformationen weitere Kräfte zu ihrer Verfügung ausschied.<ref>O.H.L. = Oberste Heeresleitung; A.O.K. = Armee-Ober-Kommando; IR., RIR. = Inf., bzw. Reserve-Inf.-Rgt.; ID., IB. = Inf.-Division, bzw. Brigade; MG. = Maschinen-Gewehr.</ref> Da die bisherige Erfahrung gelehrt hatte, daß zur Besetzung befestigter Feldstellungen, wie sie im Laufe des Winters an der Front ausgebaut waren, verhältnismäßig schwache Truppen genügten, wurde die Zahl der Infanterieregimenter einer Division von 4 auf 3 herabgesetzt — eine „Dreiteilung“ durchgeführt, wobei dem Divisionskommandeur außer dem Kommandeur der Artillerie und der Pioniere noch ein Infanteriebrigadekommandeur als besonderer Infanterieführer unterstellt wurden.
Auf beiden Seiten war die Führung im Laufe des Winters darauf bedacht gewesen, sich neue Reserven zu schaffen. 22 Divisionen waren vom Gegner neu aufgestellt, während unsere O.H.L., außer den in der Heimat aufzustellenden Divisionen, aus der Front durch Umformationen weitere Kräfte zu ihrer Verfügung ausschied.<ref>O.H.L. = Oberste Heeresleitung; A.O.K. = Armee-Ober-Kommando; IR., RIR. = Inf., bzw. Reserve-Inf.-Rgt.; ID., IB. = Inf.-Division, bzw. Brigade; MG. = Maschinen-Gewehr.</ref> Da die bisherige Erfahrung gelehrt hatte, daß zur Besetzung befestigter Feldstellungen, wie sie im Laufe des Winters an der Front ausgebaut waren, verhältnismäßig schwache Truppen genügten, wurde die Zahl der Infanterieregimenter einer Division von 4 auf 3 herabgesetzt — eine „Dreiteilung" durchgeführt, wobei dem Divisionskommandeur außer dem Kommandeur der Artillerie und der Pioniere noch ein Infanteriebrigadekommandeur als besonderer Infanterieführer unterstellt wurden.


Die deutsche O.H.L. entschloß sich, trotzdem gewaltige französische Angriffsvorbereitungen an der Westfront erkannt waren, die frischen Kräfte mit ihrer Masse auf der Ostfront einzusetzen und in der Befreiung der von den Russen stark bedrohten Festung Przmysl den politisch notwendigen Sieg zu suchen. General v. Falkenhayn hatte das Vertrauen, daß die Westfront auch stärksten französischen Angriffen gegenüber standhalten würde, zumal inzwischen der Ausbau des Bahnnetzes hinter der deutschen Front beendet war und nunmehr ein schnelles Verschieben der Reserven an besonders bedrohte Punkte gewährleistete.
Die deutsche O.H.L. entschloß sich, trotzdem gewaltige französische Angriffsvorbereitungen an der Westfront erkannt waren, die frischen Kräfte mit ihrer Masse auf der Ostfront einzusetzen und in der Befreiung der von den Russen stark bedrohten Festung Przmysl den politisch notwendigen Sieg zu suchen. General v. Falkenhayn hatte das Vertrauen, daß die Westfront auch stärksten französischen Angriffen gegenüber standhalten würde, zumal inzwischen der Ausbau des Bahnnetzes hinter der deutschen Front beendet war und nunmehr ein schnelles Verschieben der Reserven an besonders bedrohte Punkte gewährleistete.


Der französische Generalissimus Joffre hielt trotz der Mißerfolge, welche die zur Entlastung des russischen Verbündeten im Laufe des Winters unternommenen Angriffe gegen die deutsche Stellung ausnahmslos gezeitigt hatten, einen Durchbruch durch die deutsche Front noch für durchaus möglich, wenn man dazu nur genügende Mengen Munition und Truppen einsetzen konnte, und die standen ihm im Gegensatz zu den bisherigen Angriffen jetzt zur Verfügung. Zu einem entscheidenden Erfolge mußte zweifellos ein solcher Durchbruch führen, wenn es gelang, den Keil der deutschen Front, der bei St. Mihiel tief in die französischen Linien hinein- sprang auf beiden Flanken zu durchbrechen und seine Spitze so im „Zangenangriff“ abzuquetschen und zu vernichten.
Der französische Generalissimus Joffre hielt trotz der Mißerfolge, welche die zur Entlastung des russischen Verbündeten im Laufe des Winters unternommenen Angriffe gegen die deutsche Stellung ausnahmslos gezeitigt hatten, einen Durchbruch durch die deutsche Front noch für durchaus möglich, wenn man dazu nur genügende Mengen Munition und Truppen einsetzen konnte, und die standen ihm im Gegensatz zu den bisherigen Angriffen jetzt zur Verfügung. Zu einem entscheidenden Erfolge mußte zweifellos ein solcher Durchbruch führen, wenn es gelang, den Keil der deutschen Front, der bei St. Mihiel tief in die französischen Linien hinein- sprang auf beiden Flanken zu durchbrechen und seine Spitze so im „Zangenangriff" abzuquetschen und zu vernichten.


Die deutsche 5. Armee war es gewesen, der es mit der Eroberung des Sperrforts Camp des Romains und mit dem Ueberschreiten der Maas bei St. Mihiel im September 14 gelungen war, diesen Keil in die französische Sperrfortlinie zwischen Toul und Verdun hineinzutreiben und damit den Franzosen die strategische Ausnutzung ihrer gewaltigen Ausfallstellung Toul—Verdun unmöglich zu machen. General Sarail hatte deshalb auch hier bereits im Winter versucht in immer neuem Ansturm bei Combres, bei Apremont und an der Straße Essey—Flirey die Flanken dieses Keiles einzudrücken; sämtliche Angriffe waren im deutschen Feuer zusammengebrochen. Seit Mitte Dezember war hier wieder Ruhe eingetreten, da die französischen Kräfte anscheinend erschöpft waren.
Die deutsche 5. Armee war es gewesen, der es mit der Eroberung des Sperrforts Camp des Romains und mit dem Ueberschreiten der Maas bei St. Mihiel im September 14 gelungen war, diesen Keil in die französische Sperrfortlinie zwischen Toul und Verdun hineinzutreiben und damit den Franzosen die strategische Ausnutzung ihrer gewaltigen Ausfallstellung Toul—Verdun unmöglich zu machen. General Sarail hatte deshalb auch hier bereits im Winter versucht in immer neuem Ansturm bei Combres, bei Apremont und an der Straße Essey—Flirey die Flanken dieses Keiles einzudrücken; sämtliche Angriffe waren im deutschen Feuer zusammengebrochen. Seit Mitte Dezember war hier wieder Ruhe eingetreten, da die französischen Kräfte anscheinend erschöpft waren.
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Welches waren nun die Ursachen dieses deutschen Mißerfolges, lagen sie etwa in unseren taktischen Vorschriften und Anschauungen über den Stellungskrieg begründet?
Welches waren nun die Ursachen dieses deutschen Mißerfolges, lagen sie etwa in unseren taktischen Vorschriften und Anschauungen über den Stellungskrieg begründet?


Das deutsche Heer, im altpreußischen Angriffsgeist erzogen, war im Frieden kein Freund der Anwendung von Feldbefestigungen gewesen, — die „Buddelei“ fand bei der Fronttruppe nie die rechte Gegenliebe. Von Seiten des Generalstabes war jedoch nach den Erfahrungen des Russisch-Japanischen Krieges die erhöhte Bedeutung der Feldbefestigung zum Ausgleich der dauernd sich steigernden Waffenwirkung klar erkannt und in zwei neuen Dienstvorschriften ausgewertet (Kampf um Festungen, 1910, Feldpionierdienst für alle Waffen, 1911) und durch Uebungen in den Manövern sowie durch Anlage großer Sonderübungen (z. B. Festungskriegsübung Thorn, 1912) dafür gesorgt, daß die Truppe sich mit diesen neuen Vorschriften vertraut machte. Den Forderungen für die verstärkte technische Ausrüstung der Armee und für Vermehrung der Pionierformationen, welche der Generalstab auf Grund dieser Erkenntnisse beim Kriegsministerium stellen mußte, wurde jedoch aus „Sparsamkeitsgründen“ auch bei der Heeresvermehrung 1913 nur in sehr bescheidenen Maße stattgegeben. So kam es, daß die technische Ausrüstung der Ersatzdivisionen, trotz planmäßiger Aufstellung bei der Mobilmachung, den modernen Anforderungen nicht genügte.
Das deutsche Heer, im altpreußischen Angriffsgeist erzogen, war im Frieden kein Freund der Anwendung von Feldbefestigungen gewesen, — die „Buddelei" fand bei der Fronttruppe nie die rechte Gegenliebe. Von Seiten des Generalstabes war jedoch nach den Erfahrungen des Russisch-Japanischen Krieges die erhöhte Bedeutung der Feldbefestigung zum Ausgleich der dauernd sich steigernden Waffenwirkung klar erkannt und in zwei neuen Dienstvorschriften ausgewertet (Kampf um Festungen, 1910, Feldpionierdienst für alle Waffen, 1911) und durch Uebungen in den Manövern sowie durch Anlage großer Sonderübungen (z. B. Festungskriegsübung Thorn, 1912) dafür gesorgt, daß die Truppe sich mit diesen neuen Vorschriften vertraut machte. Den Forderungen für die verstärkte technische Ausrüstung der Armee und für Vermehrung der Pionierformationen, welche der Generalstab auf Grund dieser Erkenntnisse beim Kriegsministerium stellen mußte, wurde jedoch aus „Sparsamkeitsgründen" auch bei der Heeresvermehrung 1913 nur in sehr bescheidenen Maße stattgegeben. So kam es, daß die technische Ausrüstung der Ersatzdivisionen, trotz planmäßiger Aufstellung bei der Mobilmachung, den modernen Anforderungen nicht genügte.


Bei der Aufstellung der neuen Vorschriften war auch dem psychischen Element Rechnung getragen, nachdem im russischjapanischen Feldzug die Gefahr besonders hervorgetreten war, daß die Schwäche der menschlichen Natur bei der gesteigerten Feuerwirkung nur allzu gern die Deckung sucht und so die Feldbefestigung leicht zum Grabe des Angriffsgedankens werden läßt. Dies hatte den Russen in diesem Feldzuge den Sieg gekostet, unsere Vorschriften betonten daher grundsätzlich den Offensivgedanken auch für die Verteidigung. Im Gegensatz zu den französischen Anschauungen, die für den Ausbau von Feldstellungen mehrere Linien hintereinander grundsätzlich vorsahen (Vorstellung, Hauptstellung, rückwärtige Stellung), hielt man bei uns eine hartnäckige Verteidigung nur für gewährleistet, wenn der Verteidiger keine zweite Deckung hinter sich weiß und so gezwungen ist, in seiner Stellung aus- zuhalten. Man forderte dafür aus dem Grundsatz der offensiven Verteidigung heraus die Bereitstellung starker Reserven zum schnellen und kräftigen Gegenstoß. Schießerfahrungen im Frieden gegen feldmäßig gedeckte Ziele mit unseren leichten und schweren Feldhaubitzen hatten auch immer wieder gezeigt, daß eine entscheidende artilleristische Wirkung gegen solche Ziele nur schwer zu erreichen war, — daß die Waffenwirkung gegen Feldbefestigungen durch Einsatz von schwerstem Steilfeuer und Minenwerfern, wie sie der Stellungskrieg im Winter 1914/15 brächte, eine derartige Steigerung erfahren sollte, konnte niemand voraussehen.
Bei der Aufstellung der neuen Vorschriften war auch dem psychischen Element Rechnung getragen, nachdem im russischjapanischen Feldzug die Gefahr besonders hervorgetreten war, daß die Schwäche der menschlichen Natur bei der gesteigerten Feuerwirkung nur allzu gern die Deckung sucht und so die Feldbefestigung leicht zum Grabe des Angriffsgedankens werden läßt. Dies hatte den Russen in diesem Feldzuge den Sieg gekostet, unsere Vorschriften betonten daher grundsätzlich den Offensivgedanken auch für die Verteidigung. Im Gegensatz zu den französischen Anschauungen, die für den Ausbau von Feldstellungen mehrere Linien hintereinander grundsätzlich vorsahen (Vorstellung, Hauptstellung, rückwärtige Stellung), hielt man bei uns eine hartnäckige Verteidigung nur für gewährleistet, wenn der Verteidiger keine zweite Deckung hinter sich weiß und so gezwungen ist, in seiner Stellung aus- zuhalten. Man forderte dafür aus dem Grundsatz der offensiven Verteidigung heraus die Bereitstellung starker Reserven zum schnellen und kräftigen Gegenstoß. Schießerfahrungen im Frieden gegen feldmäßig gedeckte Ziele mit unseren leichten und schweren Feldhaubitzen hatten auch immer wieder gezeigt, daß eine entscheidende artilleristische Wirkung gegen solche Ziele nur schwer zu erreichen war, — daß die Waffenwirkung gegen Feldbefestigungen durch Einsatz von schwerstem Steilfeuer und Minenwerfern, wie sie der Stellungskrieg im Winter 1914/15 brächte, eine derartige Steigerung erfahren sollte, konnte niemand voraussehen.
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Dort, wo an der Front nun die Stellungen aus den Rückzugskämpfen heraus entstanden waren und wo die Verteidigung von der Truppe im Sinne der Vorschriften in immer erneuten Unternehmungen und Vorstößen offensiv geführt wurde, hatte sich ganz von allein aus der einen Hauptkampflinie ein System von mehreren Gräben hintereinander entwickelt. Die Kämpfe in der Champagne hatten weiter den Wert der Tiefengliederung im Stellungskampfe zum Ausgleich der gesteigerten Waffenwirkung erkennen lasten, so daß die O.H.L. schon damals den Ausbau der Stellungen nach der Tiefe anordnete.
Dort, wo an der Front nun die Stellungen aus den Rückzugskämpfen heraus entstanden waren und wo die Verteidigung von der Truppe im Sinne der Vorschriften in immer erneuten Unternehmungen und Vorstößen offensiv geführt wurde, hatte sich ganz von allein aus der einen Hauptkampflinie ein System von mehreren Gräben hintereinander entwickelt. Die Kämpfe in der Champagne hatten weiter den Wert der Tiefengliederung im Stellungskampfe zum Ausgleich der gesteigerten Waffenwirkung erkennen lasten, so daß die O.H.L. schon damals den Ausbau der Stellungen nach der Tiefe anordnete.


An der Front der 8. Ers.-Div. im Priesterwald hatten nun unglücklicherweise verschiedene Umstände zusammengewirkt, um diese Entwicklung der Taktik im Kampf um Feldbefestigungen, wie sie schon im Winter 14/15 an anderen Fronten eingesetzt hatte, nicht zur Auswirkung kommen zu lassen. Einmal lag dies eben in der Schwäche der menschlichen Natur, aus der heraus die Truppe sich nicht recht entschließen konnte, den hier herrschenden Frieden durch offensive Kampfhandlungen zu stören. Mangel an Munition leistete dem nur Vorschub und diente als Entschuldigung. Weiter bot der harte Kalkfels des Untergrundes bei der mangelnden technischen Ausrüstung der Truppe dem Stellungsausbau sehr erheh- liche Schwierigkeiten, auch war die unglückliche Organisation der Ersatzbrigaden und Divisionen, denen der Regimentsverband fehlte, nicht dazu angetan, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Endlich aber lag es wohl auch an dem Mangel von aktiven Offizieren bei diesen Formationen, datz sie mit den taktischen Anschauungen der Vorschriften für den Stellungskrieg doch noch nicht so recht vertraut waren und eine gewisse Nachgiebigkeit dem Wunsche der Truppe gegenüber nach Ruhe Platz greifen konnte. So trat, als hier der Einbruch des Gegners erfolgt war, gerade das ein, was die Vorschriften vermeiden wollten — nämlich die Ueberschätzung des Wertes der Pionierkunst und ihrer Vertreter auf dem Schlachtfelde. Was taktisch nicht geleistet werden konnte, sollte die Pionierkunst nunmehr retten. Die Befehle der 41. Ersatzbrigade lauteten dahin, datz der Kampf als „Pionierangriff im Sappen- und unterirdischen Minenkriege unter Einsatz starker Artillerie weiterzuführen sei“. — Ein Befehl, dessen Ausführung mehr oder weniger illusorisch bleiben mutzte, da die außerordentlichen Anstrengungen, die ein solcher Pionierangriff noch dazu unter dauerndem schweren feindlichen Feuer fordert, von der stark erschöpften Truppe einfach nicht zu leisten waren.
An der Front der 8. Ers.-Div. im Priesterwald hatten nun unglücklicherweise verschiedene Umstände zusammengewirkt, um diese Entwicklung der Taktik im Kampf um Feldbefestigungen, wie sie schon im Winter 14/15 an anderen Fronten eingesetzt hatte, nicht zur Auswirkung kommen zu lassen. Einmal lag dies eben in der Schwäche der menschlichen Natur, aus der heraus die Truppe sich nicht recht entschließen konnte, den hier herrschenden Frieden durch offensive Kampfhandlungen zu stören. Mangel an Munition leistete dem nur Vorschub und diente als Entschuldigung. Weiter bot der harte Kalkfels des Untergrundes bei der mangelnden technischen Ausrüstung der Truppe dem Stellungsausbau sehr erheh- liche Schwierigkeiten, auch war die unglückliche Organisation der Ersatzbrigaden und Divisionen, denen der Regimentsverband fehlte, nicht dazu angetan, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Endlich aber lag es wohl auch an dem Mangel von aktiven Offizieren bei diesen Formationen, datz sie mit den taktischen Anschauungen der Vorschriften für den Stellungskrieg doch noch nicht so recht vertraut waren und eine gewisse Nachgiebigkeit dem Wunsche der Truppe gegenüber nach Ruhe Platz greifen konnte. So trat, als hier der Einbruch des Gegners erfolgt war, gerade das ein, was die Vorschriften vermeiden wollten — nämlich die Ueberschätzung des Wertes der Pionierkunst und ihrer Vertreter auf dem Schlachtfelde. Was taktisch nicht geleistet werden konnte, sollte die Pionierkunst nunmehr retten. Die Befehle der 41. Ersatzbrigade lauteten dahin, datz der Kampf als „Pionierangriff im Sappen- und unterirdischen Minenkriege unter Einsatz starker Artillerie weiterzuführen sei". — Ein Befehl, dessen Ausführung mehr oder weniger illusorisch bleiben mutzte, da die außerordentlichen Anstrengungen, die ein solcher Pionierangriff noch dazu unter dauerndem schweren feindlichen Feuer fordert, von der stark erschöpften Truppe einfach nicht zu leisten waren.


Daß aber neue französische Angriffe hier unmittelbar bevor- standen, lag autzer Zweifel, ebenso war vorauszusehen, datz die Verteidiger des Priesterwaldabschnittes solchen Angriffen nicht mehr gewachsen waren. Ein damals erbeuteter Tagesbefehl des Generals Dubail (1915 Führer der I. fr. Armee) besagte: „Auf einer Front von 14 Km. hat die verstärkte I. Armee eine Sturmstellung gewonnen. Bald werden wir die Zange, in der wir dey Gegner zwischen Verdun und Pont á Mousson eingeschlossen haben, schließen und mit beträchtlichen Kräften von vorn und im Rücken angreifen, um die feindlichen Truppen zu vernichten. — Jeder Mitkämpfer mutz wissen: Die Kanonen, die er vor sich hört (Lombres), sind die französischen Geschütze, die im Rücken des Gegners feuern.
Daß aber neue französische Angriffe hier unmittelbar bevor- standen, lag autzer Zweifel, ebenso war vorauszusehen, datz die Verteidiger des Priesterwaldabschnittes solchen Angriffen nicht mehr gewachsen waren. Ein damals erbeuteter Tagesbefehl des Generals Dubail (1915 Führer der I. fr. Armee) besagte: „Auf einer Front von 14 Km. hat die verstärkte I. Armee eine Sturmstellung gewonnen. Bald werden wir die Zange, in der wir dey Gegner zwischen Verdun und Pont á Mousson eingeschlossen haben, schließen und mit beträchtlichen Kräften von vorn und im Rücken angreifen, um die feindlichen Truppen zu vernichten. — Jeder Mitkämpfer mutz wissen: Die Kanonen, die er vor sich hört (Lombres), sind die französischen Geschütze, die im Rücken des Gegners feuern."


In dieser kritischen Lage setzte das A.O.K. seine Reserve, die neu formierte 121. ID. ein. Die Infanterie-Brigade dieser aus Abgaben anderer Divisionen als Verfügungsdivision der O.H.L. neu zusammengestellten Truppe bestand aus den Inf.-Regimentern R. I. R. 56, dem I. R. 60 und dem R. I. R. 7 und trug die No. 241. Diese Brigade war bereits, ehe die Aufstellung der Division völlig beendet war, vom A.O.K. v. Stranz in den Kampf geworfen, als Mitte April die französischen Angriffe an der Straße Essey—Flirey und bei Regnieville erneut in die eigene Stellung eindrangen und zwar, wie die Not der Stunde es erforderte, regimenterweise, unter Zerreißung der Verbände. 14 Tage lang stand sie hier in einem außerordentlich blutigen Ringen um jeden Meter Graben, das ihr schwerste Verluste brächte, darunter den Brigadekommandeur selbst und den Kommandeur des I. R. 60.
In dieser kritischen Lage setzte das A.O.K. seine Reserve, die neu formierte 121. ID. ein. Die Infanterie-Brigade dieser aus Abgaben anderer Divisionen als Verfügungsdivision der O.H.L. neu zusammengestellten Truppe bestand aus den Inf.-Regimentern R. I. R. 56, dem I. R. 60 und dem R. I. R. 7 und trug die No. 241. Diese Brigade war bereits, ehe die Aufstellung der Division völlig beendet war, vom A.O.K. v. Stranz in den Kampf geworfen, als Mitte April die französischen Angriffe an der Straße Essey—Flirey und bei Regnieville erneut in die eigene Stellung eindrangen und zwar, wie die Not der Stunde es erforderte, regimenterweise, unter Zerreißung der Verbände. 14 Tage lang stand sie hier in einem außerordentlich blutigen Ringen um jeden Meter Graben, das ihr schwerste Verluste brächte, darunter den Brigadekommandeur selbst und den Kommandeur des I. R. 60.


Aus diesen Kämpfen ergaben sich aber schwerwiegende Erfahrungen, für die Führung der Infanterie besonders hinsichtlich der von unseren Vorschriften geforderten Gegenstöße zum Herauswerfen eines in die Stellung eingedrungenen Gegners. Solche frontal geführten Gegenstöße glückten fast nur, wenn sie so schnell einsetzten, daß der Gegner noch nicht Zeit gefunden hatte, sich in den besetzten Gräben einzurichten — vor allem Maschinengewehre in Stellung zu bringen. Dazu aber war das leichte französische M.G. auf feiner kleinen Dreibeinlafette ganz besonders geeignet im Gegensatz zu dem zwar an und für sich vorzüglichen deutschen M.G., das aber für den Grabenkrieg zu unhandlich war. Leichter erwies es sich vielfach, einen vom Gegner genommenen Graben von der Flanke her mittels Handgranatenangriffes aufzurollen. Es zeigte sich, daß das unbedingt erforderliche schnelle Ansetzen zum Gegenangriff sich nur ausnahmsweise verwirklichen ließ. Einmal waren die Reserven selten nah genug heran, die Befehlsübermittlung in den zerschossenen Stellungen durch Meldegänger erforderte viel Zeit und war im feindlichen Feuer höchst unsicher, es dauerte auch immer erst eine ganze Weile, bis erkannt war, wo der eingedrungene Gegner sich festgesetzt hatte, endlich waren die für ein Aufrollen des Grabens von der Flanke her notwendige große Menge Handgranaten meist nicht zur Stelle. Unsere Vorschriften betonten nun zwar auch schon, daß für den Erfolg von Gegenstößen genaue Erkundung und durch Befehl geregeltes Zusammenwirken der Waffen Vorbedingung sei — mit den Reibungen des Ernstfalles und der langen Zeit, die solche Vorbereitungen im feindlichen Feuer erforderten, hatte man doch noch nicht rechnen gelernt. Die dringenden Befehle der höheren Führung im Falle des Verlustes eines Stellungsstückes, zum „sofortigen“ Gegenstoß, die damals noch an der Tagesordnung waren, wurden daher vielfach die Ursache von Fehlschlägen und brachten die Gefahr mit sich, die höhere Führung bei der Fronttruppe in Mißkredit zu bringen.
Aus diesen Kämpfen ergaben sich aber schwerwiegende Erfahrungen, für die Führung der Infanterie besonders hinsichtlich der von unseren Vorschriften geforderten Gegenstöße zum Herauswerfen eines in die Stellung eingedrungenen Gegners. Solche frontal geführten Gegenstöße glückten fast nur, wenn sie so schnell einsetzten, daß der Gegner noch nicht Zeit gefunden hatte, sich in den besetzten Gräben einzurichten — vor allem Maschinengewehre in Stellung zu bringen. Dazu aber war das leichte französische M.G. auf feiner kleinen Dreibeinlafette ganz besonders geeignet im Gegensatz zu dem zwar an und für sich vorzüglichen deutschen M.G., das aber für den Grabenkrieg zu unhandlich war. Leichter erwies es sich vielfach, einen vom Gegner genommenen Graben von der Flanke her mittels Handgranatenangriffes aufzurollen. Es zeigte sich, daß das unbedingt erforderliche schnelle Ansetzen zum Gegenangriff sich nur ausnahmsweise verwirklichen ließ. Einmal waren die Reserven selten nah genug heran, die Befehlsübermittlung in den zerschossenen Stellungen durch Meldegänger erforderte viel Zeit und war im feindlichen Feuer höchst unsicher, es dauerte auch immer erst eine ganze Weile, bis erkannt war, wo der eingedrungene Gegner sich festgesetzt hatte, endlich waren die für ein Aufrollen des Grabens von der Flanke her notwendige große Menge Handgranaten meist nicht zur Stelle. Unsere Vorschriften betonten nun zwar auch schon, daß für den Erfolg von Gegenstößen genaue Erkundung und durch Befehl geregeltes Zusammenwirken der Waffen Vorbedingung sei — mit den Reibungen des Ernstfalles und der langen Zeit, die solche Vorbereitungen im feindlichen Feuer erforderten, hatte man doch noch nicht rechnen gelernt. Die dringenden Befehle der höheren Führung im Falle des Verlustes eines Stellungsstückes, zum „sofortigen" Gegenstoß, die damals noch an der Tagesordnung waren, wurden daher vielfach die Ursache von Fehlschlägen und brachten die Gefahr mit sich, die höhere Führung bei der Fronttruppe in Mißkredit zu bringen.


Der Einsatz der 241. Inf.-Brigade im Priesterwalde in dem bisher von der 41. Gem.-Ersatzbrigade gehaltenen Abschnitt erfolgte nun in den ersten Maitagen. Die 3 Regimenter wurden flügelweise nebeneinander eingesetzt in Abschnitten von ca. 600 m Breite mit je 1 Bataillon in Front, in Bereitschaft und in Reserve. Das R.I.R. 56, das mit seinem Ersatz von westfälischen Bergleuten sich in den bisherigen Kämpfen als besonders kampftüchtig erwiesen hatte, erhielt dabei den gefährdetsten Abschnitt gegenüber der Höhe 372. Der Gegner lag auf dieser Front dicht gegenüber, oft trennten nur wenige Meter die beiderseitigen Linien. Der Wald war im Abschnitt II und III im Bereich der vorderen Linien völlig vernichtet, nur wenige Baumstrunke ragten noch aus dem Boden hervor, während einige 100 m hinter der vordersten Linie noch Hochwald vorhanden war. Anschließend an Abschnitt III stand bis zur Mosel eine Landwehrbrigade, vor deren Stellung bisher der Gegner sich völlig ruhig verhalten hatte, — sie wurde der 241. I.B. mit unterstellt.
Der Einsatz der 241. Inf.-Brigade im Priesterwalde in dem bisher von der 41. Gem.-Ersatzbrigade gehaltenen Abschnitt erfolgte nun in den ersten Maitagen. Die 3 Regimenter wurden flügelweise nebeneinander eingesetzt in Abschnitten von ca. 600 m Breite mit je 1 Bataillon in Front, in Bereitschaft und in Reserve. Das R.I.R. 56, das mit seinem Ersatz von westfälischen Bergleuten sich in den bisherigen Kämpfen als besonders kampftüchtig erwiesen hatte, erhielt dabei den gefährdetsten Abschnitt gegenüber der Höhe 372. Der Gegner lag auf dieser Front dicht gegenüber, oft trennten nur wenige Meter die beiderseitigen Linien. Der Wald war im Abschnitt II und III im Bereich der vorderen Linien völlig vernichtet, nur wenige Baumstrunke ragten noch aus dem Boden hervor, während einige 100 m hinter der vordersten Linie noch Hochwald vorhanden war. Anschließend an Abschnitt III stand bis zur Mosel eine Landwehrbrigade, vor deren Stellung bisher der Gegner sich völlig ruhig verhalten hatte, — sie wurde der 241. I.B. mit unterstellt.
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15. 5.: Der Angriff auf Höhe 372 scheitert, nachdem die Minensprengung insofern mißglückt, als der Stollen sich noch nicht weit genug unter die Höhe vorgetrieben erwies. Rgt. 56 gewinnt zwar wieder einige Meter Boden, Rtg. 7 kommt aber gegen fdl. MG.-Feuer nicht vorwärts. Am Nachmittag greift der Gegner hier nach stärkster Artillerievorbereitung selbst an und buchtet unsere Stellung am Rande des Priesterwaldes um fast 100 m nach der Tiefe aus — es gelingt nach sehr blutigem Kampfe nur, ihn hier mit Hilfe alter rückwärtiger Grabenstücke, die schnell verbunden werden, abzuriegeln.
15. 5.: Der Angriff auf Höhe 372 scheitert, nachdem die Minensprengung insofern mißglückt, als der Stollen sich noch nicht weit genug unter die Höhe vorgetrieben erwies. Rgt. 56 gewinnt zwar wieder einige Meter Boden, Rtg. 7 kommt aber gegen fdl. MG.-Feuer nicht vorwärts. Am Nachmittag greift der Gegner hier nach stärkster Artillerievorbereitung selbst an und buchtet unsere Stellung am Rande des Priesterwaldes um fast 100 m nach der Tiefe aus — es gelingt nach sehr blutigem Kampfe nur, ihn hier mit Hilfe alter rückwärtiger Grabenstücke, die schnell verbunden werden, abzuriegeln.


16. 5.: Gegner greift erneut an, kommt aber im Feuer unserer 21 und 15 em-Kaliber, die an den kritischen Punkt rechtzeitig massiert werden konnten, nicht vorwärts. Die Division befiehlt einen neuen „schleunigen“ Angriff auf Höhe 372.
16. 5.: Gegner greift erneut an, kommt aber im Feuer unserer 21 und 15 em-Kaliber, die an den kritischen Punkt rechtzeitig massiert werden konnten, nicht vorwärts. Die Division befiehlt einen neuen „schleunigen" Angriff auf Höhe 372.


Nunmehr aber macht die Brigade energisch Front gegen diese Angriffshetze. Nachdem dazu der Divisionsstab etwas rücksichtslos zur persönlichen Inaugenscheinnahme der Verhältniße hineingeschleppt war in die Hölle vor Höhe 372, mußte er sich zu den Anschauungen der Brigade bekehren. An dem Gedanken eines großen einheitlichen Angriffs sollte unbedingt festgehalten werden — aber erst, nachdem eine gründliche Vorbereitung dazu durchgeführt war. Es wurde nunmehr befohlen, daß in den nächsten Tagen von offensiver Tätigkeit abzusehen sei — auch die Artillerie sollte nur in enger Zusammenarbeit mit dem Infanteriebrigadestab ihre Ziele wählen und sich hauptsächlich der Bekämpfung der feindlichen Batterien widmen, um so der Infanterie zunächst einmal eine gewisse Ruhe zum Ausbau der Stellung zu verschaffen. Nebel in den nächsten Tagen legte auch die Feuertätigkeit des Gegners mehr oder weniger lahm und begünstigte den befohlenen Ausbau der Stellung.
Nunmehr aber macht die Brigade energisch Front gegen diese Angriffshetze. Nachdem dazu der Divisionsstab etwas rücksichtslos zur persönlichen Inaugenscheinnahme der Verhältniße hineingeschleppt war in die Hölle vor Höhe 372, mußte er sich zu den Anschauungen der Brigade bekehren. An dem Gedanken eines großen einheitlichen Angriffs sollte unbedingt festgehalten werden — aber erst, nachdem eine gründliche Vorbereitung dazu durchgeführt war. Es wurde nunmehr befohlen, daß in den nächsten Tagen von offensiver Tätigkeit abzusehen sei — auch die Artillerie sollte nur in enger Zusammenarbeit mit dem Infanteriebrigadestab ihre Ziele wählen und sich hauptsächlich der Bekämpfung der feindlichen Batterien widmen, um so der Infanterie zunächst einmal eine gewisse Ruhe zum Ausbau der Stellung zu verschaffen. Nebel in den nächsten Tagen legte auch die Feuertätigkeit des Gegners mehr oder weniger lahm und begünstigte den befohlenen Ausbau der Stellung.
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Dies gab der Division und Brigade sofort die Veranlassung, den ursprünglichen Gedanken eines großen, einheitlich angelegten Angriffes wieder aufzunehmen, um dem Gegner die gesamte Höhenstellung zu entreißen. Die vom AOK. noch zur Verfügung gestellten Reserven gestatteten zunächst einmal, die Brigade- Regimenter aus der Kampflinie auf einige Tage herauszuziehen. Diese Truppe stand nun seit Mitte März ununterbrochen in schwerstem Kampfe und Arbeitsdienst im feindlichen Feuer — ihre blutigen Verluste hatten inzwischen die 100^ erreicht, und doch war es in diesen kritischen Zeiten auf der Westfront nicht möglich, ihr einmal volle Ruhe zu gewähren. Denn noch tobten die Kämpfe bei Combres auf der anderen Flanke des Keils und auch im Priesterwalde waren, nachdem der Gegner nunmehr die gesamte Höhenstellung in einer Breite von über 2 km in seinen Besitz gebracht hatte, in absehbarer Zeit neue Angriffe zu erwarten. Nur ein voller deutscher Erfolg konnte dies blutige Ringen um die beherrschende Priesterwaldhöhe endgültig zu unseren Gunsten entscheiden, deshalb war jede Minute zu seiner Vorbereitung kostbar. Es galt die eingetroffenen Ersatzmannschaften mit dem alten Stamm zu verschmelzen und die Truppe für den geplanten Angriff unter Berücksichtigung all der in den letzten Kämpfen gewonnenen Erfahrungen exerziermäßig einzudrillen.
Dies gab der Division und Brigade sofort die Veranlassung, den ursprünglichen Gedanken eines großen, einheitlich angelegten Angriffes wieder aufzunehmen, um dem Gegner die gesamte Höhenstellung zu entreißen. Die vom AOK. noch zur Verfügung gestellten Reserven gestatteten zunächst einmal, die Brigade- Regimenter aus der Kampflinie auf einige Tage herauszuziehen. Diese Truppe stand nun seit Mitte März ununterbrochen in schwerstem Kampfe und Arbeitsdienst im feindlichen Feuer — ihre blutigen Verluste hatten inzwischen die 100^ erreicht, und doch war es in diesen kritischen Zeiten auf der Westfront nicht möglich, ihr einmal volle Ruhe zu gewähren. Denn noch tobten die Kämpfe bei Combres auf der anderen Flanke des Keils und auch im Priesterwalde waren, nachdem der Gegner nunmehr die gesamte Höhenstellung in einer Breite von über 2 km in seinen Besitz gebracht hatte, in absehbarer Zeit neue Angriffe zu erwarten. Nur ein voller deutscher Erfolg konnte dies blutige Ringen um die beherrschende Priesterwaldhöhe endgültig zu unseren Gunsten entscheiden, deshalb war jede Minute zu seiner Vorbereitung kostbar. Es galt die eingetroffenen Ersatzmannschaften mit dem alten Stamm zu verschmelzen und die Truppe für den geplanten Angriff unter Berücksichtigung all der in den letzten Kämpfen gewonnenen Erfahrungen exerziermäßig einzudrillen.


Aus ausgesuchten Mannschaften jeder Kompagnie wurden daher besondere Sturmtrupps gebildet zur Lösung von Sonderaufgaben des Grabenkampfes. Zu diesen Sturmtrupps traten die besten Handgranatenwerfer, Gewehrgranatschützen und Scharfschützen, deren Gewehre mit Zielfernrohren versehen waren. Ohne viel nach Vorschriften und Bestimmungen zu fragen, erhielten die Mannschaften besondere Aermelabzeichen an ihrer Uniform, die sie als „Elite“ kenntlich machten und ihren Ehrgeiz in hohem Maße anzuspornen geeignet waren. Die Frage der Unhandlichkeit unserer MG. wurde durch eine von der Truppe selbst konstruierte, leichte, hölzerne Behelfslafette gelöst, auf welche der Lauf mit Wassermantel montiert wurde. Bei der meist geringen Schußentfernung im Grabenkampf genügte die Treffgenauigkeit noch vollauf. Die Zahl der MG. war durch Einstellung von Beutegewehren stark vermehrt. Die MG.-Schützen waren allmählich zu einem organischen Bestandteil der Inf.-Kompagnie geworden. An einem hinter der Front errichteten Uebungswerk wurde dann die Zusammenarbeit dieser Sondertrupps mit den Kompagnien exerziermäßig gedrillt und zwar sogar, um die jüngeren Ersatzmannschaften daran zu gewöhnen, mit scharfer Munition, bis alles klappte. Bei all diesem nicht leichten Dienst konnte der Truppe noch nicht einmal volle Nachtruhe gewährt werden, da die Bataillone nachts am Stellungsausbau mitarbeiten mußten.
Aus ausgesuchten Mannschaften jeder Kompagnie wurden daher besondere Sturmtrupps gebildet zur Lösung von Sonderaufgaben des Grabenkampfes. Zu diesen Sturmtrupps traten die besten Handgranatenwerfer, Gewehrgranatschützen und Scharfschützen, deren Gewehre mit Zielfernrohren versehen waren. Ohne viel nach Vorschriften und Bestimmungen zu fragen, erhielten die Mannschaften besondere Aermelabzeichen an ihrer Uniform, die sie als „Elite" kenntlich machten und ihren Ehrgeiz in hohem Maße anzuspornen geeignet waren. Die Frage der Unhandlichkeit unserer MG. wurde durch eine von der Truppe selbst konstruierte, leichte, hölzerne Behelfslafette gelöst, auf welche der Lauf mit Wassermantel montiert wurde. Bei der meist geringen Schußentfernung im Grabenkampf genügte die Treffgenauigkeit noch vollauf. Die Zahl der MG. war durch Einstellung von Beutegewehren stark vermehrt. Die MG.-Schützen waren allmählich zu einem organischen Bestandteil der Inf.-Kompagnie geworden. An einem hinter der Front errichteten Uebungswerk wurde dann die Zusammenarbeit dieser Sondertrupps mit den Kompagnien exerziermäßig gedrillt und zwar sogar, um die jüngeren Ersatzmannschaften daran zu gewöhnen, mit scharfer Munition, bis alles klappte. Bei all diesem nicht leichten Dienst konnte der Truppe noch nicht einmal volle Nachtruhe gewährt werden, da die Bataillone nachts am Stellungsausbau mitarbeiten mußten.


Daß aber diese außerordentlich hart erscheinenden Anforderungen an die Truppe gestellt werden konnten und daß es dabei auch noch gelang, die Stimmung der Truppe bis zu einer gewissen Siegeszuversicht zu steigern, das beruhte auf dem selten guten Vertrauensverhältnis, das bei der 241. I.-Brigade zwischen Truppe und Führung herrschte. Wo „dicke Luft“ war, da war die Truppe gewohnt auch ihre Führer zu finden. Der Tod des Brigadekommandeurs und des Kommandeurs IN. 60 in ihrer vordersten Reihe in den Kämpfen bei Flirey hatte ihr gezeigt, daß die Führung alles mit ihr teilte. Wie oft müssen dem Mann im Graben Befehle der Führung unverständlich und unnötig hart erscheinen, wenn er nicht das unerschütterliche Vertrauen gewonnen hat, daß der Führer aus eigener Erfahrung weiß, wie es im vordersten Graben zugeht und nur befiehlt, was wirklich notwendig und zweckmäßig ist. Ein solches Verhältnis zwischen Truppe und Führer ist die echte Disziplin, die — aufgebaut auf die Persönlichkeit des Führers selbst — auch in kritischen Lagen nicht versagt und gestattet, von der Truppe das scheinbar Menschenunmögliche zu verlangen. Einen mächtigen Antrieb zur Hebung der Stimmung bot auch der Umstand, daß der Truppe Urlaub in Aussicht gestellt werden konnte, wenn es gelang, hier die Lage zu meistern und gründlich zu bereinigen.
Daß aber diese außerordentlich hart erscheinenden Anforderungen an die Truppe gestellt werden konnten und daß es dabei auch noch gelang, die Stimmung der Truppe bis zu einer gewissen Siegeszuversicht zu steigern, das beruhte auf dem selten guten Vertrauensverhältnis, das bei der 241. I.-Brigade zwischen Truppe und Führung herrschte. Wo „dicke Luft" war, da war die Truppe gewohnt auch ihre Führer zu finden. Der Tod des Brigadekommandeurs und des Kommandeurs IN. 60 in ihrer vordersten Reihe in den Kämpfen bei Flirey hatte ihr gezeigt, daß die Führung alles mit ihr teilte. Wie oft müssen dem Mann im Graben Befehle der Führung unverständlich und unnötig hart erscheinen, wenn er nicht das unerschütterliche Vertrauen gewonnen hat, daß der Führer aus eigener Erfahrung weiß, wie es im vordersten Graben zugeht und nur befiehlt, was wirklich notwendig und zweckmäßig ist. Ein solches Verhältnis zwischen Truppe und Führer ist die echte Disziplin, die — aufgebaut auf die Persönlichkeit des Führers selbst — auch in kritischen Lagen nicht versagt und gestattet, von der Truppe das scheinbar Menschenunmögliche zu verlangen. Einen mächtigen Antrieb zur Hebung der Stimmung bot auch der Umstand, daß der Truppe Urlaub in Aussicht gestellt werden konnte, wenn es gelang, hier die Lage zu meistern und gründlich zu bereinigen.


Die Ausschiffung all solcher psychologischen Momente seitens der Führung ist im Kriege aber für den Erfolg oft von ausschlaggebender Bedeutung. Die Führung muß sich ein richtiges Urteil bilden können einmal über soldatischen Wert des einzelnen Mannes und dann auch über die Truppe in ihrer Gesamtheit, deren Menschenmaterial ja je nach der Stammeseigenart den harten Anforderungen des Stellungskrieges sich sehr verschieden gewachsen zeigt. Der intelligente, gefahrengewohnte niederdeutsche Bergmann, aus denen sich das RIR. 56 rekrutierte, stellte z. B. zweifellos eine Auslese vor, an welche ganz andere Anforderungen gestellt werden konnten, als an den leichtlebigeren Ersatz des IR. 60, des alten Brandenburgischen Regiments, das Düppel gestürmt hatte, inzwischen aber nach Weißenburg verlegt worden war und sich aus dortiger Gegend rekrutierte. Im allgemeinen ist ja das Denken des Grabenkämpfers überhaupt weit primitiver, als man es in den Romanen der Nachkriegszeit immer wieder vorgesetzt bekommt. Der Soldat im Stellungskampf und vor allem der Unterführer, der ihm ein Beispiel sein soll in selbstaufopfernder Pflichterfüllung, muß alle Brücken hinter sich abgebrochen haben, um überhaupt die Kraft zu finden, dies harte Leben zu ertragen. Mit einem Ballast philosophischer Grübeleien über den Sinn und Urgrund des Geschehens kann und darf er sich nicht belasten. Das wichtigste für ihn zur Erhaltung seiner Kraft sind die höchst realen Bedürfnisse des täglichen Lebens. Nicht umsonst haben unsere Gegner in dieser Hinsicht für eine erstklassige Verpflegung und Versorgung des Frontkämpfers ganz besondere Sorge getragen, und nicht zuletzt regte die Aussicht von diesen dort im Ueberfluß vorhandenen schönen Dingen etwas zu erbeuten, den Tatendrang unserer Leute für Patrouillengänge und kleine Unternehmungen in starkem Maße an. Es bildeten sich bei der Truppe dafür direkt Spezialisten aus, deren Vorhandensein für die Kampffreudigkeit der Truppe von nicht zu unterschätzender Bedeutung war. Damit ist aber noch lange nicht gesagt, daß diese an und für sich „geborenen Soldaten“, die in kritischen Augenblicken des Kampfes oft die Führung an sich reißen werden und denen sich andere schwächere Geister dann auch willig unterordnen, echte Führernaturen im wahren Sinne des Wortes sind. In der Mehrzahl sind es doch mehr Landsknechts- und Abenteurernaturen, — im Rahmen der Truppe hervorragend zu brauchen, in Führerstellungen gelangt, jedoch eine große Gefahr, da dann bei ihnen nur zu leicht der Machtkitzel die Oberhand gewinnt. —
Die Ausschiffung all solcher psychologischen Momente seitens der Führung ist im Kriege aber für den Erfolg oft von ausschlaggebender Bedeutung. Die Führung muß sich ein richtiges Urteil bilden können einmal über soldatischen Wert des einzelnen Mannes und dann auch über die Truppe in ihrer Gesamtheit, deren Menschenmaterial ja je nach der Stammeseigenart den harten Anforderungen des Stellungskrieges sich sehr verschieden gewachsen zeigt. Der intelligente, gefahrengewohnte niederdeutsche Bergmann, aus denen sich das RIR. 56 rekrutierte, stellte z. B. zweifellos eine Auslese vor, an welche ganz andere Anforderungen gestellt werden konnten, als an den leichtlebigeren Ersatz des IR. 60, des alten Brandenburgischen Regiments, das Düppel gestürmt hatte, inzwischen aber nach Weißenburg verlegt worden war und sich aus dortiger Gegend rekrutierte. Im allgemeinen ist ja das Denken des Grabenkämpfers überhaupt weit primitiver, als man es in den Romanen der Nachkriegszeit immer wieder vorgesetzt bekommt. Der Soldat im Stellungskampf und vor allem der Unterführer, der ihm ein Beispiel sein soll in selbstaufopfernder Pflichterfüllung, muß alle Brücken hinter sich abgebrochen haben, um überhaupt die Kraft zu finden, dies harte Leben zu ertragen. Mit einem Ballast philosophischer Grübeleien über den Sinn und Urgrund des Geschehens kann und darf er sich nicht belasten. Das wichtigste für ihn zur Erhaltung seiner Kraft sind die höchst realen Bedürfnisse des täglichen Lebens. Nicht umsonst haben unsere Gegner in dieser Hinsicht für eine erstklassige Verpflegung und Versorgung des Frontkämpfers ganz besondere Sorge getragen, und nicht zuletzt regte die Aussicht von diesen dort im Ueberfluß vorhandenen schönen Dingen etwas zu erbeuten, den Tatendrang unserer Leute für Patrouillengänge und kleine Unternehmungen in starkem Maße an. Es bildeten sich bei der Truppe dafür direkt Spezialisten aus, deren Vorhandensein für die Kampffreudigkeit der Truppe von nicht zu unterschätzender Bedeutung war. Damit ist aber noch lange nicht gesagt, daß diese an und für sich „geborenen Soldaten", die in kritischen Augenblicken des Kampfes oft die Führung an sich reißen werden und denen sich andere schwächere Geister dann auch willig unterordnen, echte Führernaturen im wahren Sinne des Wortes sind. In der Mehrzahl sind es doch mehr Landsknechts- und Abenteurernaturen, — im Rahmen der Truppe hervorragend zu brauchen, in Führerstellungen gelangt, jedoch eine große Gefahr, da dann bei ihnen nur zu leicht der Machtkitzel die Oberhand gewinnt. —


Die nächsten Tage wurden nun ausgefüllt mit einer regen Erkundungstätigkeit. Persönlich werden die Angriffsziele und die besten Bereitstellungsmöglichkeiten für die Sturmtruppe seitens der Stäbe mit allen Mitteln neuzeitlicher Technik, vom Flugzeug aus und vom Boden, mit Scherenfernrohr und Fernphotographie erkundet. Alle Nachrichten werden sorgfältig ausgewertet, um ein möglichst genaues Bild der feindlichen Stellung zu gewinnen. In Zusammenarbeit mit dem Artillerieführer wird der Einsatz der Batterien und Minenwerser festgelegt und mit einem unauffälligen Einschieben begonnen.
Die nächsten Tage wurden nun ausgefüllt mit einer regen Erkundungstätigkeit. Persönlich werden die Angriffsziele und die besten Bereitstellungsmöglichkeiten für die Sturmtruppe seitens der Stäbe mit allen Mitteln neuzeitlicher Technik, vom Flugzeug aus und vom Boden, mit Scherenfernrohr und Fernphotographie erkundet. Alle Nachrichten werden sorgfältig ausgewertet, um ein möglichst genaues Bild der feindlichen Stellung zu gewinnen. In Zusammenarbeit mit dem Artillerieführer wird der Einsatz der Batterien und Minenwerser festgelegt und mit einem unauffälligen Einschieben begonnen.
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Die Richtigkeit der getroffenen Maßnahmen erwies sich auch hier. Der Gegner stellte in diesem Abschnitt seine Durchbruchsversuche völlig ein — bis zum Ende des Krieges blieb die Stellung fest in deutscher Hand, auch nachdem die 121 ID. herausgezogen war, um als Stoßdivision der OHL. an anderen kritischen Punkten der Westfront Verwendung zu finden.
Die Richtigkeit der getroffenen Maßnahmen erwies sich auch hier. Der Gegner stellte in diesem Abschnitt seine Durchbruchsversuche völlig ein — bis zum Ende des Krieges blieb die Stellung fest in deutscher Hand, auch nachdem die 121 ID. herausgezogen war, um als Stoßdivision der OHL. an anderen kritischen Punkten der Westfront Verwendung zu finden.


Der Erfolg, der hier errungen werden konnte und zwar mit einer Minderheit gegen überlegene feindliche Kräfte, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß es der Führung möglich war, die Kampfweise ihrer Truppe schnell den Erfahrungen anzupassen, die in den ersten größeren Stellungskämpfen im Winter und Frühjahr an der Westfront gemacht waren. 1916 wurden diese Erfahrungen von der OHL. in einer neuen Vorschrift für die Ausbildung der Truppe in der Abwehrschlacht zusammengefaßt. Sie enthält all die bei der 241. IB. schon in diesen Priesterwaldkämpfen angewandten Grundsätze der Tiefengliederung, der Beweglichkeit der Verteidigung und des „Stoßtrupps“ mit seiner Spezialausbildung. Sie hebt auch besonders hervor die lange Zeit, die im Ernstfälle des Krieges die Vorbereitung eines Angriffes erfordert, sowie den Vorteil des Vorgehens der Infanterie beim Sturm dicht hinter der Feuerwalze der Artillerie. Auch psychologische Momente werden darin stark beachtet, wie die große Bedeutung der Verbesserung aller Lebensbedingungen für die Truppe zur Erhaltung ihrer Kampfkraft und Kampffreudigkeit.
Der Erfolg, der hier errungen werden konnte und zwar mit einer Minderheit gegen überlegene feindliche Kräfte, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß es der Führung möglich war, die Kampfweise ihrer Truppe schnell den Erfahrungen anzupassen, die in den ersten größeren Stellungskämpfen im Winter und Frühjahr an der Westfront gemacht waren. 1916 wurden diese Erfahrungen von der OHL. in einer neuen Vorschrift für die Ausbildung der Truppe in der Abwehrschlacht zusammengefaßt. Sie enthält all die bei der 241. IB. schon in diesen Priesterwaldkämpfen angewandten Grundsätze der Tiefengliederung, der Beweglichkeit der Verteidigung und des „Stoßtrupps" mit seiner Spezialausbildung. Sie hebt auch besonders hervor die lange Zeit, die im Ernstfälle des Krieges die Vorbereitung eines Angriffes erfordert, sowie den Vorteil des Vorgehens der Infanterie beim Sturm dicht hinter der Feuerwalze der Artillerie. Auch psychologische Momente werden darin stark beachtet, wie die große Bedeutung der Verbesserung aller Lebensbedingungen für die Truppe zur Erhaltung ihrer Kampfkraft und Kampffreudigkeit.


Die Vorschrift gibt aber auch einen Fingerzeig dafür, weshalb es nicht überall möglich war, schnell genug die Fronterfahrungen taktisch und technisch auszuwerten, wenn sie von der Wichtigkeit der Aufgabe des Offiziers als Erzieher und Lehrer seiner Truppe spricht: Aller Diensteifer und die größte Tapferkeit der jungen Kompagnieführer im Felde, die oft nur eine Dienstzeit von wenigen Jahren und die Ausbildung des Reserve-Offiziers hinter sich hatten, die aber nach den starken Verlusten an älteren aktiven Kompagnieführern an deren Stelle treten mußten, konnten eben doch nicht die mangelnde Schulung ersetzen. Dauerte es doch im Frieden 12—15 Jahre, bis der Offizier zum Kompagnieführer aufrücken konnte, und nur eine solche gründliche Schulung macht es eben möglich, die Erfahrungen des Ernstfalles in sinngemäßer Fortentwicklung der Vorschriften unverzüglich für die Führung und Ausbildung der Truppe nutzbar zu machen und ihr damit viel Blut zu ersparen. —
Die Vorschrift gibt aber auch einen Fingerzeig dafür, weshalb es nicht überall möglich war, schnell genug die Fronterfahrungen taktisch und technisch auszuwerten, wenn sie von der Wichtigkeit der Aufgabe des Offiziers als Erzieher und Lehrer seiner Truppe spricht: Aller Diensteifer und die größte Tapferkeit der jungen Kompagnieführer im Felde, die oft nur eine Dienstzeit von wenigen Jahren und die Ausbildung des Reserve-Offiziers hinter sich hatten, die aber nach den starken Verlusten an älteren aktiven Kompagnieführern an deren Stelle treten mußten, konnten eben doch nicht die mangelnde Schulung ersetzen. Dauerte es doch im Frieden 12—15 Jahre, bis der Offizier zum Kompagnieführer aufrücken konnte, und nur eine solche gründliche Schulung macht es eben möglich, die Erfahrungen des Ernstfalles in sinngemäßer Fortentwicklung der Vorschriften unverzüglich für die Führung und Ausbildung der Truppe nutzbar zu machen und ihr damit viel Blut zu ersparen. —


Wenn es auch im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich war, auf taktische Einzelheiten dieser Kämpfe im Priesterwald näher einzugehen, vor allem auch die vielen Reibungen darzustellen, welche im Ernstfälle zwischen dem Befehl und seiner Ausführung sich einstellen und von dem eisernen Willen der Führung überwunden werden müssen, so ergibt schon die Skizzierung dieser Kämpfe einen Einblick in die Gedankengänge und Tätigkeit der Kampftruppenführung im Kriege und zeigt andererseits, zu welch außerordentlichen Leistungen sorgfältige Schulung und Ausbildung die Truppe befähigen. Die Schulung der Erfatzmannschaften, die damals aus der Heimat zur Front abgingen, war zweifellos nicht ausreichend und genügte nicht den Anforderungen des Krieges. Aber auch die heutige Dienstzeit der allgemeinen Wehrpflicht wird in Zukunft nicht ausreichen, unser felddienstfähiges Menschenmaterial zu wirklich kriegsfertigen Soldaten auszubilden. Ohne auf die Frage Volks-Milizheer oder langdienendes Berufsheer einzugehen, kann man doch heute schon voraussagen, daß auch bei uns ein Teil der militärischen Ausbildung in die Schulzeit verlegt werden muß, wie es bereits bei fast allen anderen Völkern der Fall ist. Diese Ausbildung aber gehört — wenn sie nutzbringend sein soll — in die Hände ausgesuchter erfahrener Soldaten, denn nur so lätzt es sich vermeiden, daß daraus ein nutzloses „Soldatenspielen“ wird, das in den äußeren Formen des Soldaten- Berufes stecken bleibt.
Wenn es auch im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich war, auf taktische Einzelheiten dieser Kämpfe im Priesterwald näher einzugehen, vor allem auch die vielen Reibungen darzustellen, welche im Ernstfälle zwischen dem Befehl und seiner Ausführung sich einstellen und von dem eisernen Willen der Führung überwunden werden müssen, so ergibt schon die Skizzierung dieser Kämpfe einen Einblick in die Gedankengänge und Tätigkeit der Kampftruppenführung im Kriege und zeigt andererseits, zu welch außerordentlichen Leistungen sorgfältige Schulung und Ausbildung die Truppe befähigen. Die Schulung der Erfatzmannschaften, die damals aus der Heimat zur Front abgingen, war zweifellos nicht ausreichend und genügte nicht den Anforderungen des Krieges. Aber auch die heutige Dienstzeit der allgemeinen Wehrpflicht wird in Zukunft nicht ausreichen, unser felddienstfähiges Menschenmaterial zu wirklich kriegsfertigen Soldaten auszubilden. Ohne auf die Frage Volks-Milizheer oder langdienendes Berufsheer einzugehen, kann man doch heute schon voraussagen, daß auch bei uns ein Teil der militärischen Ausbildung in die Schulzeit verlegt werden muß, wie es bereits bei fast allen anderen Völkern der Fall ist. Diese Ausbildung aber gehört — wenn sie nutzbringend sein soll — in die Hände ausgesuchter erfahrener Soldaten, denn nur so lätzt es sich vermeiden, daß daraus ein nutzloses „Soldatenspielen" wird, das in den äußeren Formen des Soldaten- Berufes stecken bleibt.


Je mehr die Technik fortschreitet und je mehr im Felde der Mann durch die Maschine ersetzt wird, — desto schwieriger wird die soldatische Ausbildung — niemals jedoch wird im Felde die Maschine selbst das Ausschlaggebende sein, sondern stets der Mann, der dahinter steht und sie bedient.
Je mehr die Technik fortschreitet und je mehr im Felde der Mann durch die Maschine ersetzt wird, — desto schwieriger wird die soldatische Ausbildung — niemals jedoch wird im Felde die Maschine selbst das Ausschlaggebende sein, sondern stets der Mann, der dahinter steht und sie bedient.
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Scharen von Kriegsfreiwilligen, vom Milchgesicht bis zum vollbärtigen Landsturmmann, füllten den Kasernenhof und harrten der Dinge, die da kommen sollten.
Scharen von Kriegsfreiwilligen, vom Milchgesicht bis zum vollbärtigen Landsturmmann, füllten den Kasernenhof und harrten der Dinge, die da kommen sollten.


Plötzlich hieß es in scharfem Kommandoton: „Alles zur Untersuchung antreten.Der beschränkten Raumverhältnisse wegen fand diese im Pferdestalle statt.
Plötzlich hieß es in scharfem Kommandoton: „Alles zur Untersuchung antreten." Der beschränkten Raumverhältnisse wegen fand diese im Pferdestalle statt.


Klopfenden Herzens schritt auch ich mit entblößtem Oberkörper dem untersuchenden Stabsarzt entgegen, um seine Entscheidung über meine Tauglichkeit zu hören. Lächelnd prüfte er meine Körperkonstitution und fragte mich: „Wie alt bist Du denn, Bürschchen.Dreist kam die Antwort: „Siebzehn Jahre, Herr Stabsarzt!„Der Junge ist tauglich für die Infanterie“, und schnell wurde ich denen zugeschoben, die sich auf der anderen Seite des Pferdestalles aufhielten und ebenfalls die Untersuchung hinter sich hatten.
Klopfenden Herzens schritt auch ich mit entblößtem Oberkörper dem untersuchenden Stabsarzt entgegen, um seine Entscheidung über meine Tauglichkeit zu hören. Lächelnd prüfte er meine Körperkonstitution und fragte mich: „Wie alt bist Du denn, Bürschchen." Dreist kam die Antwort: „Siebzehn Jahre, Herr Stabsarzt!" „Der Junge ist tauglich für die Infanterie", und schnell wurde ich denen zugeschoben, die sich auf der anderen Seite des Pferdestalles aufhielten und ebenfalls die Untersuchung hinter sich hatten.


Nun überstürzten sich die Ereignisse vom Einkleiden bis zum ersten scharfen Dienst auf dem Kasernenhof.
Nun überstürzten sich die Ereignisse vom Einkleiden bis zum ersten scharfen Dienst auf dem Kasernenhof.
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Erhebend und unvergeßlich die Eindrücke der fahnen- geschmückten Stadt und der taufende von Menschen, die uns mit Blumen und Liebesgaben überschütteten und uns zur Bahn geleiteten.
Erhebend und unvergeßlich die Eindrücke der fahnen- geschmückten Stadt und der taufende von Menschen, die uns mit Blumen und Liebesgaben überschütteten und uns zur Bahn geleiteten.


Unübersehbare Menschenmasfen drängten sich auf dem Bahnsteig. Die Klänge der Militärkapelle gaben uns den Abschiedsgruß. Langsam wie durch einen wogenden See fuhr der Zug an dem Menschenhaufen vorbei, der die Bahngleise umsäumte, unter lebhaftem Schwenken der Hüte und Taschentücher. — „Muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus. …!
Unübersehbare Menschenmasfen drängten sich auf dem Bahnsteig. Die Klänge der Militärkapelle gaben uns den Abschiedsgruß. Langsam wie durch einen wogenden See fuhr der Zug an dem Menschenhaufen vorbei, der die Bahngleise umsäumte, unter lebhaftem Schwenken der Hüte und Taschentücher. — „Muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus. …!"


Ein kurzer Aufenthalt in Nordhausen, das unser Transportzug auf der Fahrt nach dem Osten berührte, gab mir Gelegenheit, von den Eltern Abschied zu nehmen.
Ein kurzer Aufenthalt in Nordhausen, das unser Transportzug auf der Fahrt nach dem Osten berührte, gab mir Gelegenheit, von den Eltern Abschied zu nehmen.
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Tage und Nächte hindurch rollte unser Zug gen Rußland. Kurz vor der Posenschen Grenze wurden wir ausgeladen.
Tage und Nächte hindurch rollte unser Zug gen Rußland. Kurz vor der Posenschen Grenze wurden wir ausgeladen.


Die ersten anstrengenden Märsche begannen, bis wir unsere Division erreichten, zu der wir gehörten. Schnell war die Einteilung für die einzelnen Bataillone und Kompagnien erledigt, und schon empfing uns der „Spieß“, um uns den einzelnen Korporalschaften einzureihen.
Die ersten anstrengenden Märsche begannen, bis wir unsere Division erreichten, zu der wir gehörten. Schnell war die Einteilung für die einzelnen Bataillone und Kompagnien erledigt, und schon empfing uns der „Spieß", um uns den einzelnen Korporalschaften einzureihen.


Auf den Befehl „Unteroffizier, die Kerle aufschreiben“, erschien ein kleiner Korporal mit schwarzem Haar und langem Vollbart. Obwohl stark zerzaust, und in seiner schmutzigen Uniform recht heruntergekommen aussehend, hörte man doch an seiner gepflegten Sprache, daß wir es hier mit einem „Besseren“ zu tun hatten.
Auf den Befehl „Unteroffizier, die Kerle aufschreiben", erschien ein kleiner Korporal mit schwarzem Haar und langem Vollbart. Obwohl stark zerzaust, und in seiner schmutzigen Uniform recht heruntergekommen aussehend, hörte man doch an seiner gepflegten Sprache, daß wir es hier mit einem „Besseren" zu tun hatten.


Noch heute sehe ich ihn vor mir stehen und werde nie die darauffolgenden Augenblicke vergessen, die mir ein Wiedersehen mit meinem gleich bei Kriegsausbruch eingezogenen Mathematik-Oberlehrer Freytag vom Realgymnasium Nordhausen bescherten. Lehrer und Schüler dienten nun in derselben Kompagnie.<ref>Freytag wurde 1915 durch Brustschutz schwer verwundet, ging als Reserveoffizier wieder ins Feld und wurde in Oktober 1918 als Kompagnieführer von Bolschewisten hinterrücks erschossen.</ref>  
Noch heute sehe ich ihn vor mir stehen und werde nie die darauffolgenden Augenblicke vergessen, die mir ein Wiedersehen mit meinem gleich bei Kriegsausbruch eingezogenen Mathematik-Oberlehrer Freytag vom Realgymnasium Nordhausen bescherten. Lehrer und Schüler dienten nun in derselben Kompagnie.<ref>Freytag wurde 1915 durch Brustschutz schwer verwundet, ging als Reserveoffizier wieder ins Feld und wurde in Oktober 1918 als Kompagnieführer von Bolschewisten hinterrücks erschossen.</ref>  
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Einem glücklichen Zufall also habe ich es zu verdanken, daß ich in diesem Mann, der ein strenger, aber gerechter Vorgesetzter war, einen väterlichen Freund und Berater fand.
Einem glücklichen Zufall also habe ich es zu verdanken, daß ich in diesem Mann, der ein strenger, aber gerechter Vorgesetzter war, einen väterlichen Freund und Berater fand.


Nach einigen Tagen des Vormarsches wurden wir in stockfinsterer Nacht geweckt, und als beim Antreten das Kommando kam: „Laden und sichern“, wußten wir, was die Glocke geschlagen hatte.
Nach einigen Tagen des Vormarsches wurden wir in stockfinsterer Nacht geweckt, und als beim Antreten das Kommando kam: „Laden und sichern", wußten wir, was die Glocke geschlagen hatte.


Vom Horizont im Osten, der sich langsam erhellte, hörten wir Kanonen-Donner. Mit gemischten Gefühlen, schweigsam, unter der drückenden Last des Tornisters, trottete ich hinter meinem Vordermann her, der mir einer meiner besten Kameraden werden sollte und der noch heute als Arbeiter in Nordhausen tätig ist.
Vom Horizont im Osten, der sich langsam erhellte, hörten wir Kanonen-Donner. Mit gemischten Gefühlen, schweigsam, unter der drückenden Last des Tornisters, trottete ich hinter meinem Vordermann her, der mir einer meiner besten Kameraden werden sollte und der noch heute als Arbeiter in Nordhausen tätig ist.
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Doch auch der Gegner mußte Verluste haben. Jetzt plötzlich stellten wir fest, daß schon einzelne türmten, als wir auf ca. 200 Meter herangekommen waren. Hier und da huschten auch Gestalten zurück, die auf niedrigen Rädern montierte Maschinengewehre hinter sich Herzogen.
Doch auch der Gegner mußte Verluste haben. Jetzt plötzlich stellten wir fest, daß schon einzelne türmten, als wir auf ca. 200 Meter herangekommen waren. Hier und da huschten auch Gestalten zurück, die auf niedrigen Rädern montierte Maschinengewehre hinter sich Herzogen.


Das war das Signal zum Sturm! Mit aufgepflanztem Bajonett, unter lautem „Hurra“ drangen wir in die feindlichen befestigten Schützenlinien ein. Nach kurzem, aber erbittertem Nah- kampf war der Gegner niedergerungen. Es müssen wohl Elite- Truppen gewesen sein, die so lange standhalten konnten. Zahlreiche Gesangene und viele S.M.G. waren unsere Beute.
Das war das Signal zum Sturm! Mit aufgepflanztem Bajonett, unter lautem „Hurra" drangen wir in die feindlichen befestigten Schützenlinien ein. Nach kurzem, aber erbittertem Nah- kampf war der Gegner niedergerungen. Es müssen wohl Elite- Truppen gewesen sein, die so lange standhalten konnten. Zahlreiche Gesangene und viele S.M.G. waren unsere Beute.


Nach kurzer Zeit brach die Nacht herein, und wir machten es uns in den russischen Stallungen und verlassenen verbarrikadierten Häusern bequem, so gut es ging. Auch ich fand trotz der ungeheuren Aufregung bald den ersehnten Schlaf. Doch das Entrücktsein von der rauhen Wirklichkeit sollte uns nicht lange beschieden sein. Schon nach einigen Stunden, mitten in finsterer Nacht hieß es wieder antreten, um den Verfolgungsmarsch aufzunehmen.
Nach kurzer Zeit brach die Nacht herein, und wir machten es uns in den russischen Stallungen und verlassenen verbarrikadierten Häusern bequem, so gut es ging. Auch ich fand trotz der ungeheuren Aufregung bald den ersehnten Schlaf. Doch das Entrücktsein von der rauhen Wirklichkeit sollte uns nicht lange beschieden sein. Schon nach einigen Stunden, mitten in finsterer Nacht hieß es wieder antreten, um den Verfolgungsmarsch aufzunehmen.
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Von Munitionsmangel beim Feinde, von dem geistvolle Kriegsberichterstatter zu erzählen wußten, war bei Lodz nichts zu spüren. Unheimlich lichteten sich unsere Reihen, durch Tod, Verwundung und schwere Erfrierungen.
Von Munitionsmangel beim Feinde, von dem geistvolle Kriegsberichterstatter zu erzählen wußten, war bei Lodz nichts zu spüren. Unheimlich lichteten sich unsere Reihen, durch Tod, Verwundung und schwere Erfrierungen.


Immer wieder versuchte der Russe, vorzukommen und sich von seiner Umklammerung zu befreien, aber nie ist es ihm gelungen! Mit erfrorenen Füßen lag der deutsche Musketier im Graben, frierend, hungernd, übermüdet, verlaust. Aber wenn es galt, den Angriff abzuwehren, stand er trotz allem seinen Mann in selbstverständlicher Pflichterfüllung, und gebrauchte ruhig und bedächtig die Waffe, wie es ihn die Ausbildungzeit gelehrt hatte. Mitunter waren unsere Gewehrläufe von der schnellen Schußfolge glühendheiß. Langen Zielens bedurfte es ja nicht, denn der Gegner be- rannte oft in geschlossenen Kolonnen unsere Stellungen und brach mehrmals in einer Nacht unter dem markerschütternden Kriegsgeschrei „Ureh, Ureh“ aus seinen Stellungen vor. Vergeblich! Unter riesigen Verlusten brachen seine Sturmangriffe zusammen!
Immer wieder versuchte der Russe, vorzukommen und sich von seiner Umklammerung zu befreien, aber nie ist es ihm gelungen! Mit erfrorenen Füßen lag der deutsche Musketier im Graben, frierend, hungernd, übermüdet, verlaust. Aber wenn es galt, den Angriff abzuwehren, stand er trotz allem seinen Mann in selbstverständlicher Pflichterfüllung, und gebrauchte ruhig und bedächtig die Waffe, wie es ihn die Ausbildungzeit gelehrt hatte. Mitunter waren unsere Gewehrläufe von der schnellen Schußfolge glühendheiß. Langen Zielens bedurfte es ja nicht, denn der Gegner be- rannte oft in geschlossenen Kolonnen unsere Stellungen und brach mehrmals in einer Nacht unter dem markerschütternden Kriegsgeschrei „Ureh, Ureh" aus seinen Stellungen vor. Vergeblich! Unter riesigen Verlusten brachen seine Sturmangriffe zusammen!


Bis zum 6. 12. 14 dauerte die Wacht vor Lodz.
Bis zum 6. 12. 14 dauerte die Wacht vor Lodz.
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Notabitur 1915. — Endlich durften auch wir Oberprimaner des Realgymnasiums den Soldatenrock anziehen. Die meisten von uns, darunter auch ich, traten als Kriegsfreiwillige in das Feldartillerieregiment Nr. 11 in Kassel ein. Nach beendeter Ausbildung gingen wir Nordhäuser gemeinsam zu einer Gebirgsbatterie des Alpenkorps, die in Fulda zusammengestellt wurde. Eines Tages fragte ein fremder Offizier vor der angetretenen Batterie, wer sich freiwillig zur Teilnahme an einer Expedition nach Persien melde?<br>
Notabitur 1915. — Endlich durften auch wir Oberprimaner des Realgymnasiums den Soldatenrock anziehen. Die meisten von uns, darunter auch ich, traten als Kriegsfreiwillige in das Feldartillerieregiment Nr. 11 in Kassel ein. Nach beendeter Ausbildung gingen wir Nordhäuser gemeinsam zu einer Gebirgsbatterie des Alpenkorps, die in Fulda zusammengestellt wurde. Eines Tages fragte ein fremder Offizier vor der angetretenen Batterie, wer sich freiwillig zur Teilnahme an einer Expedition nach Persien melde?<br>
Wir Nordhäuser meldeten uns. Unter den wenigen Ausgewählten befand ich mich allein von meinen Nordhäuser Kameraden. Nun hieß es Abschiednehmen von den bisherigen Freunden. Doch dafür lockte die unbekannte Ferne. Persien — 1001 Nacht und andere märchenhafte Vorstellungen wurden wach bei diesem Worte Persien. — Doch zunächst ging es nach Berlin, dort wurde die Expedition zusammengestellt. Sondermission „P“ hieß sie. Sie bestand aus etwa 150 Mann und Offizieren, eingeteilt in 4 MG.- Kompagnien und 1 Batterie, zu der ich gehörte. Unsere Batterie bestand aus 6 Hotchkißgeschützen, Kaliber 3,7 cm, zerlegbar für Tragtiere eingerichtet. Wir waren insgesamt 2 Offiziere, 6 Unteroffiziere und 18 Mann. Ergänzt werden sollte die Batterie durch türkische Soldaten. In Berlin empfingen wir unsere mannigfache Ausrüstung, gewöhnliches Feldgrau und Tropenausrüstung. Am 21. März 1916 wurden wir verladen und befanden uns am folgenden Morgen bereits in Oderberg, der österreichischen Grenzstation. Von da ab ging es dann durch die weite Pußta Ungarns auf der üblichen Strecke bis Konstantinopel.
Wir Nordhäuser meldeten uns. Unter den wenigen Ausgewählten befand ich mich allein von meinen Nordhäuser Kameraden. Nun hieß es Abschiednehmen von den bisherigen Freunden. Doch dafür lockte die unbekannte Ferne. Persien — 1001 Nacht und andere märchenhafte Vorstellungen wurden wach bei diesem Worte Persien. — Doch zunächst ging es nach Berlin, dort wurde die Expedition zusammengestellt. Sondermission „P" hieß sie. Sie bestand aus etwa 150 Mann und Offizieren, eingeteilt in 4 MG.- Kompagnien und 1 Batterie, zu der ich gehörte. Unsere Batterie bestand aus 6 Hotchkißgeschützen, Kaliber 3,7 cm, zerlegbar für Tragtiere eingerichtet. Wir waren insgesamt 2 Offiziere, 6 Unteroffiziere und 18 Mann. Ergänzt werden sollte die Batterie durch türkische Soldaten. In Berlin empfingen wir unsere mannigfache Ausrüstung, gewöhnliches Feldgrau und Tropenausrüstung. Am 21. März 1916 wurden wir verladen und befanden uns am folgenden Morgen bereits in Oderberg, der österreichischen Grenzstation. Von da ab ging es dann durch die weite Pußta Ungarns auf der üblichen Strecke bis Konstantinopel.


Endlich tauchte das Marmarameer auf, und Konstantinopel, unser erstes Ziel. Hier mußte alles Material ausgeladen und in große Kähne, sogenannte Mahonen verladen werden, um über den Bosporus nach der asiatischen Seite, nach Haidar Pascha, dem Ausgangspunkt der Bagdadbahn, übergesetzt zu werden. Eine umständliche und zeitraubende Sache. Wir wurden aus dem Dampfer „Lorcovado“ untergebracht, einem Deutsch-Südamerika- Dampfer, der hier vom Kriegsausbruch überrascht worden war. Während unseres etwa 2-wöchigen Aufenthalts hatten wir Gelegenheit, Konstantinopel näher kennen zu lernen. Unser Dampfer lag im „Goldenen Horn“, der Einbuchtung des Marmarameeres, die tief in das Land schneidet und Konstantinopel in zwei Teile trennt. Welche Fülle neuer ungewohnter Eindrücke stürmte täglich auf uns ein. Links und rechts an der Straße, die zu unserem Dampfer führte, kleine Häuser aus Holz und Lehm, nach vorn mit offenen Verkaufsstellen, in denen fremdartige Gemüse und Früchte feilgeboten wurden. Dazwischen ein Garküche, in der die Speisen offen zubereitet werden. Auf den Straßen die verschiedenen Volkstypen, überwiegend mit dem roten Fez auf dem Kopfe. Staunend betrachteten wir die mehr oder weniger tief verschleierten Frauen. Unser Weg führte auch zur Hagia Sophia mit ihrem monumentalen Kuppelbau, im Innern so wuchtig wirkend, weil entsprechend einem Gerhot des Islams keine Ausschmückung mit irgendwelchen Bildern vorhanden war. Ein Abstecher führte auch zu den ehemaligen deutschen Kreuzern „Goeben“ und „Breslau“, die weiter draußen im Bosporus vor Anker lagen. Vorbei ging es dabei am Sultanspalaste, Dolmar Bagtsche, wo kurz darauf der Sultan die Parade unserer Expedition abnahm zusammen mit einer österreichischen Abteilung. So bot sich Tag für Tag ein abwechslungsreiches Bild ungewohnter Eindrücke. Der Verkehr mit den Türken ging nicht immer so reibungslos ab. Der Türke steht der deutschen Hast und Geschäftigkeit verständnislos gegenüber. Ein Ausdruck, der uns bald vertraut wurde und uns überall entgegentönte, war „Jawasch, jawasch — langsam, langsam“.
Endlich tauchte das Marmarameer auf, und Konstantinopel, unser erstes Ziel. Hier mußte alles Material ausgeladen und in große Kähne, sogenannte Mahonen verladen werden, um über den Bosporus nach der asiatischen Seite, nach Haidar Pascha, dem Ausgangspunkt der Bagdadbahn, übergesetzt zu werden. Eine umständliche und zeitraubende Sache. Wir wurden aus dem Dampfer „Lorcovado" untergebracht, einem Deutsch-Südamerika- Dampfer, der hier vom Kriegsausbruch überrascht worden war. Während unseres etwa 2-wöchigen Aufenthalts hatten wir Gelegenheit, Konstantinopel näher kennen zu lernen. Unser Dampfer lag im „Goldenen Horn", der Einbuchtung des Marmarameeres, die tief in das Land schneidet und Konstantinopel in zwei Teile trennt. Welche Fülle neuer ungewohnter Eindrücke stürmte täglich auf uns ein. Links und rechts an der Straße, die zu unserem Dampfer führte, kleine Häuser aus Holz und Lehm, nach vorn mit offenen Verkaufsstellen, in denen fremdartige Gemüse und Früchte feilgeboten wurden. Dazwischen ein Garküche, in der die Speisen offen zubereitet werden. Auf den Straßen die verschiedenen Volkstypen, überwiegend mit dem roten Fez auf dem Kopfe. Staunend betrachteten wir die mehr oder weniger tief verschleierten Frauen. Unser Weg führte auch zur Hagia Sophia mit ihrem monumentalen Kuppelbau, im Innern so wuchtig wirkend, weil entsprechend einem Gerhot des Islams keine Ausschmückung mit irgendwelchen Bildern vorhanden war. Ein Abstecher führte auch zu den ehemaligen deutschen Kreuzern „Goeben" und „Breslau", die weiter draußen im Bosporus vor Anker lagen. Vorbei ging es dabei am Sultanspalaste, Dolmar Bagtsche, wo kurz darauf der Sultan die Parade unserer Expedition abnahm zusammen mit einer österreichischen Abteilung. So bot sich Tag für Tag ein abwechslungsreiches Bild ungewohnter Eindrücke. Der Verkehr mit den Türken ging nicht immer so reibungslos ab. Der Türke steht der deutschen Hast und Geschäftigkeit verständnislos gegenüber. Ein Ausdruck, der uns bald vertraut wurde und uns überall entgegentönte, war „Jawasch, jawasch — langsam, langsam".


Inzwischen war auch das Umladen und Uebersetzen unseres Transportes beendigt, und es ging nun weiter von Haidar Pascha ab ins Innere von Kleinasien. Ueber Eskischehir, wo es Zigarettenspitzen aus dem dort gewonnenen Meerschaum gab, die sich aber von keiner großen Dauerhaftigkeit erwiesen, ging es vorbei an den malerischen Felsnadeln und Steinburgen von Afiun—Karahissar und dann endlos durch das weite bald gut angebaute, bald steinige Steppenplateau Inneranatoliens bis Bosanti, an den Fuß des Taurusgebirges. Hier begann die große Unterbrechung des Verkehrs, die während des ganzen Weltkrieges nie wirklich überwunden wurde. Der ganz Nachschub der in Vorderasien stehenden Armeen mußte durch Lastautos über das Gebirge gebracht werden. Als Ende 1918 endlich der Vollbahnbetrieb über die Taurusstrecke eröffnet wurde, erfolgte der Zusammenbruch der deutsch-türkischen Heere. Die Bagdadbahn konnte daher die großen Dienste, die man damals noch von ihr erhoffte, nicht leisten. In Bosanti war ein großes Heerlager entstanden. Deutsche Kraftwagenkolonnen waren hier eingesetzt und übernahmen den Transport über das Gebirge. Auf Lastkraftwagen verladen, traten wir die Fahrt an. Der Weg über den Taurus ist schön — bald in schwindelnder Höhe an steil abfallender Schlucht, bald im tiefen Tal, über alte zerbröckelte Steinbrücken, über neue unter dem Druck des Krieges entstandene Brücken führt der Weg. Der Weg folgt hier der alten Heerstraße, an der überall noch türkische Arbeiterbataillone arbeiten. Jetzt kommen wir durch die Kilikischen Tore, einem schmalen Engpaß zwischen himmelragenden Wänden. Hoch an einer Wand eine viereckige Inschristentafel mit römischen Lettern erinnert daran, daß dieser Weg die uralte Straße der Völkerzüge ist. Wieviel Menschen sind durch dieses Tor im Laufe der Jahrtausende von hüben und drüben geschritten: Darms, Xerxes, Alexander der Große, die Feldherren der Römer, Friedrich Barbarossa. Eine Welle folgt der anderen. Jetzt fauchen deutsche Kraftwagen die Straße entlang, vorbei an langen Kamelkarawanen und primitiven Wagenkolonnen. Modernes Abendland und Morgenland begegnen sich hier.
Inzwischen war auch das Umladen und Uebersetzen unseres Transportes beendigt, und es ging nun weiter von Haidar Pascha ab ins Innere von Kleinasien. Ueber Eskischehir, wo es Zigarettenspitzen aus dem dort gewonnenen Meerschaum gab, die sich aber von keiner großen Dauerhaftigkeit erwiesen, ging es vorbei an den malerischen Felsnadeln und Steinburgen von Afiun—Karahissar und dann endlos durch das weite bald gut angebaute, bald steinige Steppenplateau Inneranatoliens bis Bosanti, an den Fuß des Taurusgebirges. Hier begann die große Unterbrechung des Verkehrs, die während des ganzen Weltkrieges nie wirklich überwunden wurde. Der ganz Nachschub der in Vorderasien stehenden Armeen mußte durch Lastautos über das Gebirge gebracht werden. Als Ende 1918 endlich der Vollbahnbetrieb über die Taurusstrecke eröffnet wurde, erfolgte der Zusammenbruch der deutsch-türkischen Heere. Die Bagdadbahn konnte daher die großen Dienste, die man damals noch von ihr erhoffte, nicht leisten. In Bosanti war ein großes Heerlager entstanden. Deutsche Kraftwagenkolonnen waren hier eingesetzt und übernahmen den Transport über das Gebirge. Auf Lastkraftwagen verladen, traten wir die Fahrt an. Der Weg über den Taurus ist schön — bald in schwindelnder Höhe an steil abfallender Schlucht, bald im tiefen Tal, über alte zerbröckelte Steinbrücken, über neue unter dem Druck des Krieges entstandene Brücken führt der Weg. Der Weg folgt hier der alten Heerstraße, an der überall noch türkische Arbeiterbataillone arbeiten. Jetzt kommen wir durch die Kilikischen Tore, einem schmalen Engpaß zwischen himmelragenden Wänden. Hoch an einer Wand eine viereckige Inschristentafel mit römischen Lettern erinnert daran, daß dieser Weg die uralte Straße der Völkerzüge ist. Wieviel Menschen sind durch dieses Tor im Laufe der Jahrtausende von hüben und drüben geschritten: Darms, Xerxes, Alexander der Große, die Feldherren der Römer, Friedrich Barbarossa. Eine Welle folgt der anderen. Jetzt fauchen deutsche Kraftwagen die Straße entlang, vorbei an langen Kamelkarawanen und primitiven Wagenkolonnen. Modernes Abendland und Morgenland begegnen sich hier.
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Von hier geht alles durch Karawanen von Kamelen und Tragtieren weiter. Nächstes Ziel ist das etwa 300 km entfernte Mosul. Zunächst werden Reit- und Tragtiere von den Eingeborenen angekauft. Bemerkenswert ist, daß es nur Stuten und Hengste gibt. Der Wallach ist fast ganz unbekannt. Da die zur Ergänzung unserer Batterie vorgesehene türkische Mannschaft immer noch nicht eingetroffen ist, können wir uns einige Armenier aus dem in der Nähe befindlichen Armenierlager holen. Schon verschiedentlich waren wir Armenierzügen begegnet. Zerlumpt und halb verhungert werden die Armenier weitergetrieben in die Steppe und Wüste. Ein ganzes Volk wanderte so in Elend und Tod. Ob dieses Schicksal verdient war oder nicht, soll hier nicht untersucht werden. Von den Armeniern, die wir aus dem Lager von Rasulain mitgenommen haben und die damit einem harten Schicksal entronnen waren, haben wir bis auf wenige Ausnahmen nur Undank geerntet.
Von hier geht alles durch Karawanen von Kamelen und Tragtieren weiter. Nächstes Ziel ist das etwa 300 km entfernte Mosul. Zunächst werden Reit- und Tragtiere von den Eingeborenen angekauft. Bemerkenswert ist, daß es nur Stuten und Hengste gibt. Der Wallach ist fast ganz unbekannt. Da die zur Ergänzung unserer Batterie vorgesehene türkische Mannschaft immer noch nicht eingetroffen ist, können wir uns einige Armenier aus dem in der Nähe befindlichen Armenierlager holen. Schon verschiedentlich waren wir Armenierzügen begegnet. Zerlumpt und halb verhungert werden die Armenier weitergetrieben in die Steppe und Wüste. Ein ganzes Volk wanderte so in Elend und Tod. Ob dieses Schicksal verdient war oder nicht, soll hier nicht untersucht werden. Von den Armeniern, die wir aus dem Lager von Rasulain mitgenommen haben und die damit einem harten Schicksal entronnen waren, haben wir bis auf wenige Ausnahmen nur Undank geerntet.


Der Ankauf der Tiere, das Einreiten und Einteilen der Lasten dauerte einige Zeit. In dieser Zeit besuchte uns auch der damals allgewaltige türkische Kriegsminister Enver-Pascha. Erstaunt waren wir, als er uns mit einem kräftigen „Guten Tag, Kameraden“ begrüßte. Ebenso kam die Leiche des Generalfeldmarschalls von der Goltz-Pascha durch, dessen Stäbe wir zugeteilt waren, der aber inzwischen in Bagdad am Flecktyphus gestorben war. Nun wurde seine Leiche zur letzten Ruhestätte in den Park der Deutschen Botschaft in Therapia bei Konstantinopel überführt. —  
Der Ankauf der Tiere, das Einreiten und Einteilen der Lasten dauerte einige Zeit. In dieser Zeit besuchte uns auch der damals allgewaltige türkische Kriegsminister Enver-Pascha. Erstaunt waren wir, als er uns mit einem kräftigen „Guten Tag, Kameraden" begrüßte. Ebenso kam die Leiche des Generalfeldmarschalls von der Goltz-Pascha durch, dessen Stäbe wir zugeteilt waren, der aber inzwischen in Bagdad am Flecktyphus gestorben war. Nun wurde seine Leiche zur letzten Ruhestätte in den Park der Deutschen Botschaft in Therapia bei Konstantinopel überführt. —  


Endlich sind die Tiere vollzählig, eingeteilt, Sättel verpaßt und die Lasten für die Tragtiere eingeteilt. Letzteres eine ungewohnte Arbeit, bei der es vor allen Dingen darauf ankommt, die Lasten auf beiden Seiten der Tragtiere gleichmäßig zu verteilen, da sie sonst leicht herunterrutschen. Ein Teil des Materials der Expedition wird von Kamelkarawanen befördert. Wegen der unsicheren Verhältnisse müßen wir als Bedeckung bei der Kamelkarawane bleiben, während die anderen Abteilungen schneller vorwärts reiten. Das Gebiet, durch das wir jetzt kommen, ist das Grenzgebiet, in welchem die Kurden und die Beduinen zusammenstoßen. Zum Teil sind es noch reine Nomaden, vor allem die Beduinen. Diese waren im allgemeinen politisch unzuverlässig. Nominell unterstanden sie der türkischen Herrschaft, machten aber, was ihnen gefiel. Ihre politische Stellungnahme betrachteten sie als Geschäft und verschacherten sie um klingende Münze. Sie nahmen während des Krieges Geld von beiden Seiten. Anders die Kurden, die immer einwandfrei auf türkischer Seite gestanden und als Soldaten der Türkei wertvolle Dienste geleistet haben. — Das Beladen der Kamelkarawanen geht unter mächtigem Getöse vor sich. Die Kamele legen sich, während die arabischen Kameltreiber tiefe Gutturallaute ausstoßen, nur laut brüllend zum Beladen nieder. Marschiert wird wegen der Hitze nur in den späten Abendstunden und nachts. Ein komischer Anblick ist es, wie die Kamele hinter einem kleinen Esel als Leittier hertrotten. Einen Weg in unserem Sinne gibt es nicht. Durch die Steppe führen nur Spuren, die durch die Karawanen ausgetreten sind. An Wasserläufen, die jetzt zumeist ausgetrocknet sind, gibt es nur selten Brücken oder hergerichtete Uebergänge. Die ausgetrockneten Wasserläufe bilden besonders für unseren Wagen, den wir mit uns führten, starke Hindernisse. In den ersten Tagen trafen wir noch regelmäßig Ansiedlungen, später wurden sie spärlicher. Verschiedentlich trafen wir auch die schwarzen Zelte nomadisierender Beduinen mit ihren Viehherden, die bei Beginn der heißen Jahreszeit den großen Wasserläufen zuwandern. Die Kleidung der Eingeborenen besteht aus einem Hemd, darüber einem kaftanartigen Obergewand und einem ärmellosen Ueberwurf, der in Mesopotanien rot-weiß gestreift war. Als Kopfbedeckung dient die Kefieh, ein großes viereckiges, im Winkel zusammengelegtes Tuch, das über Scheitel und Kopf gefaltet wird und dessen Zipfel weit über den Rücken hinabflattern. Sie ist aus Wolle oder Seide. Festgehalten wird das Kopftuch durch das Agal, beim gewöhnlichen Beduinen ein drei- oder viermal um den Kopf geschlungener Strick aus Ziegenhaaren, beim Vornehmen eine seidene, mit Goldfäden durchwirkte und in Goldtroddeln nach rückwärts endende bunte Schnur. Schuhe werden nicht getragen. Die Beduinin trägt ebenfalls wie der Mann das Obergewand und den Ueberwurf. Auf dem Kopfe trägt sie ein schwarzes Tuch. Das Gesicht ist aber frei. Arm- und Beinringe, je nach dem Stande aus Glas, Silber oder Gold, Ohr- und Nasenringe bilden hauptsächlich den Schmuck. Tätowierungen in Hellem Blau auf Arm, Hand und im Gesicht vervollständigen das Bild der Nomadenschönheit. —
Endlich sind die Tiere vollzählig, eingeteilt, Sättel verpaßt und die Lasten für die Tragtiere eingeteilt. Letzteres eine ungewohnte Arbeit, bei der es vor allen Dingen darauf ankommt, die Lasten auf beiden Seiten der Tragtiere gleichmäßig zu verteilen, da sie sonst leicht herunterrutschen. Ein Teil des Materials der Expedition wird von Kamelkarawanen befördert. Wegen der unsicheren Verhältnisse müßen wir als Bedeckung bei der Kamelkarawane bleiben, während die anderen Abteilungen schneller vorwärts reiten. Das Gebiet, durch das wir jetzt kommen, ist das Grenzgebiet, in welchem die Kurden und die Beduinen zusammenstoßen. Zum Teil sind es noch reine Nomaden, vor allem die Beduinen. Diese waren im allgemeinen politisch unzuverlässig. Nominell unterstanden sie der türkischen Herrschaft, machten aber, was ihnen gefiel. Ihre politische Stellungnahme betrachteten sie als Geschäft und verschacherten sie um klingende Münze. Sie nahmen während des Krieges Geld von beiden Seiten. Anders die Kurden, die immer einwandfrei auf türkischer Seite gestanden und als Soldaten der Türkei wertvolle Dienste geleistet haben. — Das Beladen der Kamelkarawanen geht unter mächtigem Getöse vor sich. Die Kamele legen sich, während die arabischen Kameltreiber tiefe Gutturallaute ausstoßen, nur laut brüllend zum Beladen nieder. Marschiert wird wegen der Hitze nur in den späten Abendstunden und nachts. Ein komischer Anblick ist es, wie die Kamele hinter einem kleinen Esel als Leittier hertrotten. Einen Weg in unserem Sinne gibt es nicht. Durch die Steppe führen nur Spuren, die durch die Karawanen ausgetreten sind. An Wasserläufen, die jetzt zumeist ausgetrocknet sind, gibt es nur selten Brücken oder hergerichtete Uebergänge. Die ausgetrockneten Wasserläufe bilden besonders für unseren Wagen, den wir mit uns führten, starke Hindernisse. In den ersten Tagen trafen wir noch regelmäßig Ansiedlungen, später wurden sie spärlicher. Verschiedentlich trafen wir auch die schwarzen Zelte nomadisierender Beduinen mit ihren Viehherden, die bei Beginn der heißen Jahreszeit den großen Wasserläufen zuwandern. Die Kleidung der Eingeborenen besteht aus einem Hemd, darüber einem kaftanartigen Obergewand und einem ärmellosen Ueberwurf, der in Mesopotanien rot-weiß gestreift war. Als Kopfbedeckung dient die Kefieh, ein großes viereckiges, im Winkel zusammengelegtes Tuch, das über Scheitel und Kopf gefaltet wird und dessen Zipfel weit über den Rücken hinabflattern. Sie ist aus Wolle oder Seide. Festgehalten wird das Kopftuch durch das Agal, beim gewöhnlichen Beduinen ein drei- oder viermal um den Kopf geschlungener Strick aus Ziegenhaaren, beim Vornehmen eine seidene, mit Goldfäden durchwirkte und in Goldtroddeln nach rückwärts endende bunte Schnur. Schuhe werden nicht getragen. Die Beduinin trägt ebenfalls wie der Mann das Obergewand und den Ueberwurf. Auf dem Kopfe trägt sie ein schwarzes Tuch. Das Gesicht ist aber frei. Arm- und Beinringe, je nach dem Stande aus Glas, Silber oder Gold, Ohr- und Nasenringe bilden hauptsächlich den Schmuck. Tätowierungen in Hellem Blau auf Arm, Hand und im Gesicht vervollständigen das Bild der Nomadenschönheit. —
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Nach einigen Tagen gelangen wir nach Tellermen, einer größeren Armeniersiedlung. Alles ist aber verödet und leer, die Mauern noch von Rauch-geschwärzt, die Bewohner in die Verbannung fortgetrieben. Am nächsten Tage kommen wir nach Nisibin, wo an einem Flusse gelagert wird. Es ist die letzte größere Siedlung mit einem Basar, in dem es noch einige Lebensmittel zu kaufen gibt. In unserer Nähe lagern gefangene Inder, die von Kut-el-amara kommen und nach Kleinasien gebracht werden. In der Unterhaltung zeigen sie uns vorgedruckte Karten, die sie von der englischen Militärverwaltung geliefert erhalten hatten und die zu ihrer Korrespondenz mit der Heimat dienen mußten.
Nach einigen Tagen gelangen wir nach Tellermen, einer größeren Armeniersiedlung. Alles ist aber verödet und leer, die Mauern noch von Rauch-geschwärzt, die Bewohner in die Verbannung fortgetrieben. Am nächsten Tage kommen wir nach Nisibin, wo an einem Flusse gelagert wird. Es ist die letzte größere Siedlung mit einem Basar, in dem es noch einige Lebensmittel zu kaufen gibt. In unserer Nähe lagern gefangene Inder, die von Kut-el-amara kommen und nach Kleinasien gebracht werden. In der Unterhaltung zeigen sie uns vorgedruckte Karten, die sie von der englischen Militärverwaltung geliefert erhalten hatten und die zu ihrer Korrespondenz mit der Heimat dienen mußten.


Hinter Nisibin beginnt eine längere wasserlose Strecke. In der Nacht vorher gab es einen Zwischenfall. Eine Schlange hatte sich ausgerechnet den Bauch unseres Wachtmeisters zum Schlafen ausgesucht. Den Schreck des Wachtmeisters kann man sich vorstellen. Am anderen Morgen wurden noch verschiedene Schlangen unter den Sätteln, die wir als Kopfkissen benutzt hatten, gefunden. Zur Ueberwindung der wasserlosen Strecke wurde schon am frühen Nachmittag, sobald die Kraft der heißen Sonne etwas nachgelassen hatte, abmarschiert. Erst am späten Vormittag des nächsten Tages, die Sonne brannte schon lange auf uns unbarmherzig herab und der letzte Tropfen war schon lange getrunken, der Rand der Feldflaschen war heiß geworden und konnte nicht mehr an den Mund geführt werden, um vielleicht doch noch einen Tropfen Flüssigkeit zu erhäschen, langten wir an einem dürftigen Gebäude, umgeben von einer Lehmmauer, der türkischen Etappe, an. Es gab aber nur eine braune Flüssigkeit in einem Wasserloch, die selbst von den Pferden verschmäht wurde. Selbst durch Abkochen und Zusatz von Chemikalien, die wir sür solche Zwecke mitbekommen hatten, wurde das Master nicht genießbarer. Unseres Bleibens war deshalb nicht lange hier. Sobald es die Sonne zuließ, ging es weiter bis zu einem klaren Bach. Doch war auch dieses Master nicht trinkbar, da es bitter schmeckte. Von Eingeborenen wurde uns aber eine süße Quelle unter einer verfallenen Brücke gezeigt. In der nächsten Nacht mußten wir den Marsch bald unterbrechen und lagern, weil an unserem Wagen ein Rad zerbrochen war. In der Nähe bemerkten wir noch ein Lagerfeuer. Am nächsten Morgen stellte es sich heraus, daß der schwedische Forscher Sven Hedin dort lagerte. Vor dem Weitermarsch begrüßte er uns. In seinem Buche „Bagdad, Babylon, Ninive“ erwähnt er auch dieses Zusammentreffen. —
Hinter Nisibin beginnt eine längere wasserlose Strecke. In der Nacht vorher gab es einen Zwischenfall. Eine Schlange hatte sich ausgerechnet den Bauch unseres Wachtmeisters zum Schlafen ausgesucht. Den Schreck des Wachtmeisters kann man sich vorstellen. Am anderen Morgen wurden noch verschiedene Schlangen unter den Sätteln, die wir als Kopfkissen benutzt hatten, gefunden. Zur Ueberwindung der wasserlosen Strecke wurde schon am frühen Nachmittag, sobald die Kraft der heißen Sonne etwas nachgelassen hatte, abmarschiert. Erst am späten Vormittag des nächsten Tages, die Sonne brannte schon lange auf uns unbarmherzig herab und der letzte Tropfen war schon lange getrunken, der Rand der Feldflaschen war heiß geworden und konnte nicht mehr an den Mund geführt werden, um vielleicht doch noch einen Tropfen Flüssigkeit zu erhäschen, langten wir an einem dürftigen Gebäude, umgeben von einer Lehmmauer, der türkischen Etappe, an. Es gab aber nur eine braune Flüssigkeit in einem Wasserloch, die selbst von den Pferden verschmäht wurde. Selbst durch Abkochen und Zusatz von Chemikalien, die wir sür solche Zwecke mitbekommen hatten, wurde das Master nicht genießbarer. Unseres Bleibens war deshalb nicht lange hier. Sobald es die Sonne zuließ, ging es weiter bis zu einem klaren Bach. Doch war auch dieses Master nicht trinkbar, da es bitter schmeckte. Von Eingeborenen wurde uns aber eine süße Quelle unter einer verfallenen Brücke gezeigt. In der nächsten Nacht mußten wir den Marsch bald unterbrechen und lagern, weil an unserem Wagen ein Rad zerbrochen war. In der Nähe bemerkten wir noch ein Lagerfeuer. Am nächsten Morgen stellte es sich heraus, daß der schwedische Forscher Sven Hedin dort lagerte. Vor dem Weitermarsch begrüßte er uns. In seinem Buche „Bagdad, Babylon, Ninive" erwähnt er auch dieses Zusammentreffen. —


Schließlich erreichen wir den Tigris und nähern uns Mosul. Zwischen Schutthaufen leuchten weißblendende Grabmäler zwischen den Gräbermasten ungeheurer Friedhöfe auf. Durch ein mächtiges Tor, an das sich Reste einer Stadtmauer anschließen, hinter der sich Minaretts und Kuppeln erheben, betreten wir die weißleuchtende Stadt, eingehüllt in eine dichte Staubwolke. Das Innere der Stadt besteht aus engen, winkligen Straßen, die fußhoher Staub bedeckt. Wenn Mosul auch noch der wirtschaftliche Mittelpunkt weiter Gebiete ist, hat seine Bedeutung gegenüher dem Mittelalter sehr verloren. Dies tritt auch darin in Erscheinung, daß sich zwischen der alten Stadtmauer und dem Kern der inneren Stadt weite Ruinenfelder und große Friedhöfe ausdehnen. Der Gürtel ist der Stadt zu weit geworden. Nach der Straße sind die Häuser, wie überall im Orient verschlossen. Die Dächer sind flach. In den heißen Nächten schläft alles auf den Dächern, auch wir. Das ungewohnte heiße Klima wirkt sich für unsere Gesundheit verheerend aus. Alles ist krank. An einigen Tagen ist kein Mann von der Batterie im Stande, die Pferde zu besorgen. Einige Kameraden sterben. Nachteilig für die hygienischen Verhältnisse ist die Wasserversorgung. Brunnenwasser ist in Mosul nicht trinkbar, da es bitter schmeckt. Die ganze Stadt muß sich aus dem Tigris versorgen. Leider wird aber auch aller Abfall in den Fluß geworfen. Das Wasser wird von Wasserträgern auf Eseln in die Stadt gebracht und in großen irdenen Gefäßen filtiert. Infolge dieser mangelhaften Wasserversorgung reißen auch die Seuchen in Mosul nicht ab. Der Tigris wird von Mosul abwärts nach Bagdad mit primitiven Fahrzeugen zur Schiffahrt benutzt. Benutzt wird eine Art Floß, das Kellek. Dieses besteht aus aufgeblasenen Hammel- und Ziegenhäuten, deren offenes Ende nach unten gerichtet ist. Ueber die dicht nebeneinander gelegten und mit Schnüren zusammengehaltenen Schläuche ist ein Gestell aus Aesten angebracht.<br>
Schließlich erreichen wir den Tigris und nähern uns Mosul. Zwischen Schutthaufen leuchten weißblendende Grabmäler zwischen den Gräbermasten ungeheurer Friedhöfe auf. Durch ein mächtiges Tor, an das sich Reste einer Stadtmauer anschließen, hinter der sich Minaretts und Kuppeln erheben, betreten wir die weißleuchtende Stadt, eingehüllt in eine dichte Staubwolke. Das Innere der Stadt besteht aus engen, winkligen Straßen, die fußhoher Staub bedeckt. Wenn Mosul auch noch der wirtschaftliche Mittelpunkt weiter Gebiete ist, hat seine Bedeutung gegenüher dem Mittelalter sehr verloren. Dies tritt auch darin in Erscheinung, daß sich zwischen der alten Stadtmauer und dem Kern der inneren Stadt weite Ruinenfelder und große Friedhöfe ausdehnen. Der Gürtel ist der Stadt zu weit geworden. Nach der Straße sind die Häuser, wie überall im Orient verschlossen. Die Dächer sind flach. In den heißen Nächten schläft alles auf den Dächern, auch wir. Das ungewohnte heiße Klima wirkt sich für unsere Gesundheit verheerend aus. Alles ist krank. An einigen Tagen ist kein Mann von der Batterie im Stande, die Pferde zu besorgen. Einige Kameraden sterben. Nachteilig für die hygienischen Verhältnisse ist die Wasserversorgung. Brunnenwasser ist in Mosul nicht trinkbar, da es bitter schmeckt. Die ganze Stadt muß sich aus dem Tigris versorgen. Leider wird aber auch aller Abfall in den Fluß geworfen. Das Wasser wird von Wasserträgern auf Eseln in die Stadt gebracht und in großen irdenen Gefäßen filtiert. Infolge dieser mangelhaften Wasserversorgung reißen auch die Seuchen in Mosul nicht ab. Der Tigris wird von Mosul abwärts nach Bagdad mit primitiven Fahrzeugen zur Schiffahrt benutzt. Benutzt wird eine Art Floß, das Kellek. Dieses besteht aus aufgeblasenen Hammel- und Ziegenhäuten, deren offenes Ende nach unten gerichtet ist. Ueber die dicht nebeneinander gelegten und mit Schnüren zusammengehaltenen Schläuche ist ein Gestell aus Aesten angebracht.<br>
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Gramvolles Antlitz unerlösten Landes mit der erschütternden Furche einer einzigen uralten Straße, die ihre windzerrissenen Bäume ohne Trost einer unerbittlichen Ferne entgegenschickt. Ein dünner Wind, mit dem Heimweh der ganzen Welt beladen, sirrt ewig in diesen riesenhaften Birken. Armselige Hütten, allein und in Rudeln, suchen demütig und geduckt den Schutz der großen Straße, und die Gehöfte auf den Höhen haben die bittere Geste der Verlassenheit. Unter der Last all der Gebärden schleppt sich die Straße durch das weite Land, an dunklen Hochwäldern vorbei und schweigenden Seen, schneidet den wilden Schwung eines Tales und stürzt endlich schicksalsbereit und wissend hügelab dem offenen Rachen einer schwarzen Bastion entgegen: Dünaburg.
Gramvolles Antlitz unerlösten Landes mit der erschütternden Furche einer einzigen uralten Straße, die ihre windzerrissenen Bäume ohne Trost einer unerbittlichen Ferne entgegenschickt. Ein dünner Wind, mit dem Heimweh der ganzen Welt beladen, sirrt ewig in diesen riesenhaften Birken. Armselige Hütten, allein und in Rudeln, suchen demütig und geduckt den Schutz der großen Straße, und die Gehöfte auf den Höhen haben die bittere Geste der Verlassenheit. Unter der Last all der Gebärden schleppt sich die Straße durch das weite Land, an dunklen Hochwäldern vorbei und schweigenden Seen, schneidet den wilden Schwung eines Tales und stürzt endlich schicksalsbereit und wissend hügelab dem offenen Rachen einer schwarzen Bastion entgegen: Dünaburg.


Fast zwei Jahre haben wir davor gelegen, ehe die Front sich wieder bewegte dort oben; etwa 16 km südwestlich der Stadt schnitten die Gräben die Heerstraße. Unweit dieser Stelle, am Randes eines Wäldchens, hatte zwischen Birken und Fichten die Feldartillerie-Batterie 849 sich eingebaut. Von Swerbischki her erscheint hier im Januar 1916 ihr erstes Arbeitskommando, räumt den meterhohen Schnee fort, fällt Bäume und reißt mit der Kreuzhacke den glasharten Boden auf. Das Holz zum Verschalen und Abdecken muß im Nachbarwalde geschlagen und herbeigetragen werden, schwere Arbeit, für viele ungewohnte Arbeit, für uns Junge gewiß. Abends fallen wir um und schlafen, am anderen Morgen besehen wir uns die Blutblasen an unseren Händen, fassen vorsichtig auf die zerschundenen Schultern, waten durch frische Schneewehen wieder in Stellung, hacken, schaufeln, schleppen Stämme. Der bleifarbene tiefe Himmel, der alle Farbe löschend über den Anmarschtagen gelegen hat, ist einer strahlenden blauen Kuppel gewichen, der Schnee gleißt und glitzert und wirft blaue Schatten; über den Sumpf herüber, der vor der Feuerstellung liegt, leuchtet der Kiefernwald mit roten Stämmen. Dahinter muß der Graben sein: dort haben wir am Abend Leuchtkugeln emporsteige sehen, dort wacht jetzt mit der Morgensonne die Front auf. Ein Maschinengewehr hämmert wütend, klapperndes Schützenseuer schallt herüber, klatschend schlagen ein paar Kugeln über uns in die Stämme. Das erste russische Flugzeug erscheint, eine große Maschine, fast durchsichtig im Frühlicht. Die Flaks beginnen zu bellen, wie hingezaubert entfalten sich oben in der Bläue blendend weiße und schwarzgraue Wölkchen, gleich darauf dringt das scharfe Krachen zu uns herunter. Der Russe schraubt sich höher und hält unentwegt auf uns zu. Als die Abwehr einen Augenblick schweigt, hören wir schwere Kaliber über uns Hinwegrauschen. Weit aus unserem Hinterlande kommt das gedämpfte Brausen der Einschläge zurück. Zwei deutsche Maschinen sind aufgestiegen und steuern den Russen an. Der wendet. Vorn ist es lebhafter geworden. „Feuerüberfall“, sagt einer von den alten Leuten, der schon mal verwundet war, und guckt uns ein bißchen von der Seite an. Schwere und leichte Kaliber heulen und bersten, dazwischen vernimmt man das Krachen schwerer Minen, es muß wohl in der Nähe der Straße sein. 10 Minuten dauert's, dann ist alles stille. Die Sonne meint es gut, es wird stramm gearbeitet, ab und zu rutscht aufstäubend eine Last Schnee herab, und ein befreiter Zweig schwankt schaukelnd in der Höhe. Eben macht einer von uns eine launige Bemerkung über die Gemütsruhe unserer Artillerie, da fängt rechts eine Haubitzbatterie zu feuern an und hinter uns fast gleichzeitig schweres Geschütz. Mörser sollen an der Lawkessa stehen. Und — Junge, Junge, was ist denn das —, das knallt ja ordentlich. „Langrohre“, schmunzelt der Fachmann von vorhin. Die können nicht weit von hier liegen, die Geschosse jagen über uns hin. Als ob ungeheure Bahnen Seide gerissen würden, so hört sich's an, dann wird ein tiefes Röhren daraus, die Wälder werfen sich das Echo zu.
Fast zwei Jahre haben wir davor gelegen, ehe die Front sich wieder bewegte dort oben; etwa 16 km südwestlich der Stadt schnitten die Gräben die Heerstraße. Unweit dieser Stelle, am Randes eines Wäldchens, hatte zwischen Birken und Fichten die Feldartillerie-Batterie 849 sich eingebaut. Von Swerbischki her erscheint hier im Januar 1916 ihr erstes Arbeitskommando, räumt den meterhohen Schnee fort, fällt Bäume und reißt mit der Kreuzhacke den glasharten Boden auf. Das Holz zum Verschalen und Abdecken muß im Nachbarwalde geschlagen und herbeigetragen werden, schwere Arbeit, für viele ungewohnte Arbeit, für uns Junge gewiß. Abends fallen wir um und schlafen, am anderen Morgen besehen wir uns die Blutblasen an unseren Händen, fassen vorsichtig auf die zerschundenen Schultern, waten durch frische Schneewehen wieder in Stellung, hacken, schaufeln, schleppen Stämme. Der bleifarbene tiefe Himmel, der alle Farbe löschend über den Anmarschtagen gelegen hat, ist einer strahlenden blauen Kuppel gewichen, der Schnee gleißt und glitzert und wirft blaue Schatten; über den Sumpf herüber, der vor der Feuerstellung liegt, leuchtet der Kiefernwald mit roten Stämmen. Dahinter muß der Graben sein: dort haben wir am Abend Leuchtkugeln emporsteige sehen, dort wacht jetzt mit der Morgensonne die Front auf. Ein Maschinengewehr hämmert wütend, klapperndes Schützenseuer schallt herüber, klatschend schlagen ein paar Kugeln über uns in die Stämme. Das erste russische Flugzeug erscheint, eine große Maschine, fast durchsichtig im Frühlicht. Die Flaks beginnen zu bellen, wie hingezaubert entfalten sich oben in der Bläue blendend weiße und schwarzgraue Wölkchen, gleich darauf dringt das scharfe Krachen zu uns herunter. Der Russe schraubt sich höher und hält unentwegt auf uns zu. Als die Abwehr einen Augenblick schweigt, hören wir schwere Kaliber über uns Hinwegrauschen. Weit aus unserem Hinterlande kommt das gedämpfte Brausen der Einschläge zurück. Zwei deutsche Maschinen sind aufgestiegen und steuern den Russen an. Der wendet. Vorn ist es lebhafter geworden. „Feuerüberfall", sagt einer von den alten Leuten, der schon mal verwundet war, und guckt uns ein bißchen von der Seite an. Schwere und leichte Kaliber heulen und bersten, dazwischen vernimmt man das Krachen schwerer Minen, es muß wohl in der Nähe der Straße sein. 10 Minuten dauert's, dann ist alles stille. Die Sonne meint es gut, es wird stramm gearbeitet, ab und zu rutscht aufstäubend eine Last Schnee herab, und ein befreiter Zweig schwankt schaukelnd in der Höhe. Eben macht einer von uns eine launige Bemerkung über die Gemütsruhe unserer Artillerie, da fängt rechts eine Haubitzbatterie zu feuern an und hinter uns fast gleichzeitig schweres Geschütz. Mörser sollen an der Lawkessa stehen. Und — Junge, Junge, was ist denn das —, das knallt ja ordentlich. „Langrohre", schmunzelt der Fachmann von vorhin. Die können nicht weit von hier liegen, die Geschosse jagen über uns hin. Als ob ungeheure Bahnen Seide gerissen würden, so hört sich's an, dann wird ein tiefes Röhren daraus, die Wälder werfen sich das Echo zu.


Mittagspause. Alles stapft auf einem getretenen Pfade um das Wäldchen herum, die Feldküche trifft mit uns hinter dem Hügel ein, der Koch schwingt sich neben den Kessel, teilt Portionen aus und allerlei Sprüche. Gelächter, Zurufe, Tellerklappern. Unsere Artillerie schweigt, irgendwo summt ein Flugzeug.
Mittagspause. Alles stapft auf einem getretenen Pfade um das Wäldchen herum, die Feldküche trifft mit uns hinter dem Hügel ein, der Koch schwingt sich neben den Kessel, teilt Portionen aus und allerlei Sprüche. Gelächter, Zurufe, Tellerklappern. Unsere Artillerie schweigt, irgendwo summt ein Flugzeug.
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Des Schreckens, der uns bei dieser unserer Feuertaufe ins Gebein fuhr, brauchen wir uns nicht zu schämen; ein Eisenbahn- Geschütz großen Kalibers war es gewesen, das der Nachbarbatterie den Garaus machen sollte. Es wurde einige Tage später von unseren Mörsern vernichtet.
Des Schreckens, der uns bei dieser unserer Feuertaufe ins Gebein fuhr, brauchen wir uns nicht zu schämen; ein Eisenbahn- Geschütz großen Kalibers war es gewesen, das der Nachbarbatterie den Garaus machen sollte. Es wurde einige Tage später von unseren Mörsern vernichtet.


Kaum sind die ersten Unterstände notdürftig fertig, so muh die Verbindung zum Graben und nach rückwärts zur Artilleriegruppe ausgenommen werden. „Telefonisten rechts raus!Nichts hören wir lieber. Zu viert gehen wir los mit Handsäge und Beil, Kabeltrommeln und Feldtelefon. Der Sumpf wird umgangen, die Leitung in halbhohe Erlen gelegt, dann nimmt Kiefernwald uns auf, der zunächst noch ziemlich unversehrt ist und eine Reservestellung birgt. Sein jenseitiger Rand ist arg mitgenommen, viele aufgesplitterte halbe Schäfte, die mit jammervoller Gebärde zum Himmel weisen. Die Kronen liegen, soweit die vierten Jäger sie nicht geholt und verfeuert haben, wie große Spinnen über alten verschneiten und frischen schwarzen Trichtern. Durch dieses Gelände windet sich der vorderste Graben. Es dämmert bereits, als wir hier eintreffen, leise fängt es an zu schneien, an der Front fällt nicht ein Schuß. Wir beziehen fürs erste einen unbenutzten, schon etwas zusammengerutschten Unterstand und schließen an. Die Feuerstellung meldet sich, der Batterieführer verlangt den Beobachter. Wir holen den Vize vom Scherenfernrohr weg und legen schnell noch eine kurze Strippe um ein paar Brustwehren herum bis zum Beobachtungsstand. Dann gehen zwei von uns wieder nach der Batterie zurück, während ich mit meinem Freunde T. vornbleiben kann. Der Schnee leuchtet schwach, es wird nicht ganz dunkel. Unser Vize ist mit einem Oberjäger in die Sappe gegangen, Wir versuchen, durch das Scherenfernrohr das Vorfeld zu erkennen, doch das Glas ist nicht sehr lichtstark. Der Russe liegt hier knapp 100 in weit von uns. Hubertushöhe haben die Jäger das feindliche Grabenstück genannt. Eine Leuchtkugel geht drüben hoch, hält sich eine Weile über dem Niemandsland und erlischt. Nun ist gar nichts mehr zu sehen, wir bauen die Station ab und kriechen in unser Erdloch. Auf einer Pritsche von Knüppelholz können leidlich bequem zwei Mann liegen. Vorn, gleich hinter der sog. Tür, kann man auf einer Munitionskiste zur Not auch sitzen. Das Aufrechtstehen gewöhnt man sich nach wenigen schmerzhaften Versuchen ab. Längst haben die Jäger sich tiefe geräumige Unterstände gebaut. Nach einigen Wochen werden auch wir einen haben, vorläufig richten wir uns hier für die erste Nacht im Schützengraben ein.
Kaum sind die ersten Unterstände notdürftig fertig, so muh die Verbindung zum Graben und nach rückwärts zur Artilleriegruppe ausgenommen werden. „Telefonisten rechts raus!" Nichts hören wir lieber. Zu viert gehen wir los mit Handsäge und Beil, Kabeltrommeln und Feldtelefon. Der Sumpf wird umgangen, die Leitung in halbhohe Erlen gelegt, dann nimmt Kiefernwald uns auf, der zunächst noch ziemlich unversehrt ist und eine Reservestellung birgt. Sein jenseitiger Rand ist arg mitgenommen, viele aufgesplitterte halbe Schäfte, die mit jammervoller Gebärde zum Himmel weisen. Die Kronen liegen, soweit die vierten Jäger sie nicht geholt und verfeuert haben, wie große Spinnen über alten verschneiten und frischen schwarzen Trichtern. Durch dieses Gelände windet sich der vorderste Graben. Es dämmert bereits, als wir hier eintreffen, leise fängt es an zu schneien, an der Front fällt nicht ein Schuß. Wir beziehen fürs erste einen unbenutzten, schon etwas zusammengerutschten Unterstand und schließen an. Die Feuerstellung meldet sich, der Batterieführer verlangt den Beobachter. Wir holen den Vize vom Scherenfernrohr weg und legen schnell noch eine kurze Strippe um ein paar Brustwehren herum bis zum Beobachtungsstand. Dann gehen zwei von uns wieder nach der Batterie zurück, während ich mit meinem Freunde T. vornbleiben kann. Der Schnee leuchtet schwach, es wird nicht ganz dunkel. Unser Vize ist mit einem Oberjäger in die Sappe gegangen, Wir versuchen, durch das Scherenfernrohr das Vorfeld zu erkennen, doch das Glas ist nicht sehr lichtstark. Der Russe liegt hier knapp 100 in weit von uns. Hubertushöhe haben die Jäger das feindliche Grabenstück genannt. Eine Leuchtkugel geht drüben hoch, hält sich eine Weile über dem Niemandsland und erlischt. Nun ist gar nichts mehr zu sehen, wir bauen die Station ab und kriechen in unser Erdloch. Auf einer Pritsche von Knüppelholz können leidlich bequem zwei Mann liegen. Vorn, gleich hinter der sog. Tür, kann man auf einer Munitionskiste zur Not auch sitzen. Das Aufrechtstehen gewöhnt man sich nach wenigen schmerzhaften Versuchen ab. Längst haben die Jäger sich tiefe geräumige Unterstände gebaut. Nach einigen Wochen werden auch wir einen haben, vorläufig richten wir uns hier für die erste Nacht im Schützengraben ein.


Mitternacht ist vorüber, als ich durch einen leichten Griff an den Arm geweckt werde. Es dauert einen Augenblick, bis ich mich zurechtfinde, dann krieche ich aus Mantel und Decke, vorsichtig, um den anderen nicht zu wecken, und T. legt sich an meinen Platz. „Was Besonderes?„Nein, das MG. schoß eben und vorhin haben sie rechts gesprengt, die Leitung ist in Ordnung.„Na, dann schlaf gut!
Mitternacht ist vorüber, als ich durch einen leichten Griff an den Arm geweckt werde. Es dauert einen Augenblick, bis ich mich zurechtfinde, dann krieche ich aus Mantel und Decke, vorsichtig, um den anderen nicht zu wecken, und T. legt sich an meinen Platz. „Was Besonderes?" „Nein, das MG. schoß eben und vorhin haben sie rechts gesprengt, die Leitung ist in Ordnung." „Na, dann schlaf gut!"


Wer hat nicht als Kind einmal wach gelegen des Nachts inmitten der ruhigen Atemzüge von Eltern und Geschwistern wie auf einem Meere treibend? Gedanken und Gefühle kommen und gehen, Kinderbangigkeit und Kinderhoffnung, wie Wellen fließt das hin und wieder, wie jene tiefen Atemzüge, unter denen sich die dunkle Kammer ins Endlose zu dehnen scheint.
Wer hat nicht als Kind einmal wach gelegen des Nachts inmitten der ruhigen Atemzüge von Eltern und Geschwistern wie auf einem Meere treibend? Gedanken und Gefühle kommen und gehen, Kinderbangigkeit und Kinderhoffnung, wie Wellen fließt das hin und wieder, wie jene tiefen Atemzüge, unter denen sich die dunkle Kammer ins Endlose zu dehnen scheint.
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Am Morgen kommt Leutnant H. mit dem Beobachter von 3/31. Das Scherenfernrohr ist schon im Graben, und wir schließen jetzt ebenfalls draußen an. Seltsam starr stehen im Zwielicht die zersetzten Bäume, die Sterne sind bleich geworden, und im Osten liegt unter einer schmalen Wolkenbank ein fahler Schein. Totenstille ringsum. Wir warten 10 Minuten, 12 Minuten, eine Viertelstunde. Die Haubitzen melden ihre Feuerbereitschast, und dann setzt mit einem Schlage im ganzen Abschnitt das Vernichtungsfeuer ein. Das flitzt hechelnd und zischend dicht über uns weg, das kommt sauchend und kreischend aus der Höhe, tausendfach wird der Himmel zerrissen, das schmettert — grauenhafter Höllensturz — unsichtbar herab aus die Erde, die sich in Schmerzen bäumt. In einem Nu steht über der Kiesernhöhe eine einzige Wand aus Feuer, Dreck und Eisen, aus Qualm und Qual, eine brüllende Mauer, deren weißlich lodernder Schwadenrand da und dort von den dicken Rauchballen der schweren Einschläge überstiegen wird. Fassungslos starre ich hinüber; mir ist plötzlich, als stände ich bis zur Brust in eiskaltem Master.
Am Morgen kommt Leutnant H. mit dem Beobachter von 3/31. Das Scherenfernrohr ist schon im Graben, und wir schließen jetzt ebenfalls draußen an. Seltsam starr stehen im Zwielicht die zersetzten Bäume, die Sterne sind bleich geworden, und im Osten liegt unter einer schmalen Wolkenbank ein fahler Schein. Totenstille ringsum. Wir warten 10 Minuten, 12 Minuten, eine Viertelstunde. Die Haubitzen melden ihre Feuerbereitschast, und dann setzt mit einem Schlage im ganzen Abschnitt das Vernichtungsfeuer ein. Das flitzt hechelnd und zischend dicht über uns weg, das kommt sauchend und kreischend aus der Höhe, tausendfach wird der Himmel zerrissen, das schmettert — grauenhafter Höllensturz — unsichtbar herab aus die Erde, die sich in Schmerzen bäumt. In einem Nu steht über der Kiesernhöhe eine einzige Wand aus Feuer, Dreck und Eisen, aus Qualm und Qual, eine brüllende Mauer, deren weißlich lodernder Schwadenrand da und dort von den dicken Rauchballen der schweren Einschläge überstiegen wird. Fassungslos starre ich hinüber; mir ist plötzlich, als stände ich bis zur Brust in eiskaltem Master.


So ist das also! So ist das also! „Sperrfeuer“, ruft der Offizier vom Scherenfernrohr, ich wiederhole und gebe den Befehl durch. Allmählich löst sich der Krampf, aber ich bin ganz heiser vor Erregung. Die Batterie ruft an. Mitten im Satz ist die Stimme weg. Ich drücke den Verstärker, sehe die Stöpsel nach, ich klopfe den Fernsprecher mit der flachen Hand. Ich summe an, — dünn und kläglich klingt's, kein Zweifel, die Leitung ist entzwei. Und nun wird mir erst bewußt, daß der Rüste das Feuer erwidert. Das meiste kriegen die Stellungen der 257er ab, doch auch hinter uns im Wald krachen die Einschläge.
So ist das also! So ist das also! „Sperrfeuer", ruft der Offizier vom Scherenfernrohr, ich wiederhole und gebe den Befehl durch. Allmählich löst sich der Krampf, aber ich bin ganz heiser vor Erregung. Die Batterie ruft an. Mitten im Satz ist die Stimme weg. Ich drücke den Verstärker, sehe die Stöpsel nach, ich klopfe den Fernsprecher mit der flachen Hand. Ich summe an, — dünn und kläglich klingt's, kein Zweifel, die Leitung ist entzwei. Und nun wird mir erst bewußt, daß der Rüste das Feuer erwidert. Das meiste kriegen die Stellungen der 257er ab, doch auch hinter uns im Wald krachen die Einschläge.


Mit dem Reserveapparat, Flickdraht und allem, was noch dazu gehört, machen wir uns zu zweien auf den Weg. Das Gelände senkt sich etwas gegen eine kleine Waldblöße, auf der wir tags zuvor Jäger hatten spanische Reiter wickeln sehen. Vier frische Einschläge liegen quer darüber hin, einer der schweren Böcke hängt in einer Kiefer, die Leitung wenige Meter davon ist ganz. An der Reservestellung schließen wir an, bekommen aber nur die Beobachtung. Also weiter zurück. Unser Artilleriefeuer hat aufgehört, der Russe streut den Wald ab. Wir traben unter der Leitung her. Da, zwei mächtige Trichter nebeneinander, die Bäume ringsum wie nach einem Windbruch, schiefe Föhren, hochgestellte Wurzelscheiben. Und da hängen auch die Strippen. Wir flicken ein Stück dazwischen, rufen an und bekommen sofort von einer unbekannten Stimme einen gewaltigen Ansauser und die freundliche Aufforderung, uns aus der Leitung zu scheren. Das tun wir denn auch mit Hilfe der Drahtzange und haben nach einigen Minuten das Glück, die paffenden Enden gefunden zu haben. Dann knoten wir auch die Infanterieleitung noch zusammen und gehen nach vorn.
Mit dem Reserveapparat, Flickdraht und allem, was noch dazu gehört, machen wir uns zu zweien auf den Weg. Das Gelände senkt sich etwas gegen eine kleine Waldblöße, auf der wir tags zuvor Jäger hatten spanische Reiter wickeln sehen. Vier frische Einschläge liegen quer darüber hin, einer der schweren Böcke hängt in einer Kiefer, die Leitung wenige Meter davon ist ganz. An der Reservestellung schließen wir an, bekommen aber nur die Beobachtung. Also weiter zurück. Unser Artilleriefeuer hat aufgehört, der Russe streut den Wald ab. Wir traben unter der Leitung her. Da, zwei mächtige Trichter nebeneinander, die Bäume ringsum wie nach einem Windbruch, schiefe Föhren, hochgestellte Wurzelscheiben. Und da hängen auch die Strippen. Wir flicken ein Stück dazwischen, rufen an und bekommen sofort von einer unbekannten Stimme einen gewaltigen Ansauser und die freundliche Aufforderung, uns aus der Leitung zu scheren. Das tun wir denn auch mit Hilfe der Drahtzange und haben nach einigen Minuten das Glück, die paffenden Enden gefunden zu haben. Dann knoten wir auch die Infanterieleitung noch zusammen und gehen nach vorn.
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=== Wie ich Melder wurde ===
=== Wie ich Melder wurde ===


„Verluste: 4. Komp.: 16 Tote, 70 Verwundete, 43 Vermißte; 10. Komp.: 30 Tote, 66 Verwundete, 6 Vermißte.
„Verluste: 4. Komp.: 16 Tote, 70 Verwundete, 43 Vermißte; 10. Komp.: 30 Tote, 66 Verwundete, 6 Vermißte."
So meldet der Bericht des 2. Kurhessischen Inf.-Rgts. Nr. 82 (Göttingen) über den Einsatz der beiden Kompagnien bei Kamarow drunten am Styr, einem Nebenfluß des Pripet, im weiten sümpfe- und waldreichen Wolhynien. Für die damalige Zeit wahrhaftig eine Verlustziffer von seltener Höhe! Was uns, die wenigen Ueber- lebenden der „Vierten“, immer wieder, auch noch in den Kämpfen im Westen, an jene Spätherbsttage 1915 erinnern ließ, war die Einmaligkeit der Erlebnisse, war der unmittelbare Eindruck des Kampfes von Mann gegen Mann gleichsam auf der von aller Welt abgeschlossenen Bühne der langgestreckten Lichtung im russischpolnischen Waldmeer. Für den Erzähler selbst schließen diese Kampftage allerpersönlichste Erinnerung ein. —  
So meldet der Bericht des 2. Kurhessischen Inf.-Rgts. Nr. 82 (Göttingen) über den Einsatz der beiden Kompagnien bei Kamarow drunten am Styr, einem Nebenfluß des Pripet, im weiten sümpfe- und waldreichen Wolhynien. Für die damalige Zeit wahrhaftig eine Verlustziffer von seltener Höhe! Was uns, die wenigen Ueber- lebenden der „Vierten", immer wieder, auch noch in den Kämpfen im Westen, an jene Spätherbsttage 1915 erinnern ließ, war die Einmaligkeit der Erlebnisse, war der unmittelbare Eindruck des Kampfes von Mann gegen Mann gleichsam auf der von aller Welt abgeschlossenen Bühne der langgestreckten Lichtung im russischpolnischen Waldmeer. Für den Erzähler selbst schließen diese Kampftage allerpersönlichste Erinnerung ein. —  


Die große Durchbruchsschlacht bei Tarnow und Gorlice im Mai 1915 und die nachfolgenden „Wanderschlachten“ hatten die russische Front, die sich bedenklich nahe bis an die deutsche Grenze hatte schieben können und den Oesterreicher unaufhaltsam über die Karpathen nach Ungarn gedrückt hatte, bis in die Pripetsümpfe, nach Weißrußland, hineingejagt. Bei diesem ungestümen Vorstoß in den weiten russischen Raum waren die deutschen Linien jedoch immer dünner geworden. Der Russe dagegen, günstige Aufmarschlinien im Rücken, war wieder zum Stehen gekommen und schritt mit starken, unerschöpflich scheinenden Massen zum Gegenangriff.
Die große Durchbruchsschlacht bei Tarnow und Gorlice im Mai 1915 und die nachfolgenden „Wanderschlachten" hatten die russische Front, die sich bedenklich nahe bis an die deutsche Grenze hatte schieben können und den Oesterreicher unaufhaltsam über die Karpathen nach Ungarn gedrückt hatte, bis in die Pripetsümpfe, nach Weißrußland, hineingejagt. Bei diesem ungestümen Vorstoß in den weiten russischen Raum waren die deutschen Linien jedoch immer dünner geworden. Der Russe dagegen, günstige Aufmarschlinien im Rücken, war wieder zum Stehen gekommen und schritt mit starken, unerschöpflich scheinenden Massen zum Gegenangriff.


Den letzten Teil des Angriffs hatte der Ersatz, der 900 jugendliche Rekruten, darunter mich, den achtzehnjährigen Kriegsfreiwilligen, Anfang September 1915 dem ausgebluteten Regiment zugeführt hatte, noch miterlebt. Nun kam die harte Zeit, in der es galt, das Gewonnene mit geringen Kräften zu halten und neue Angriffsmaßnahmen an anderen Fronten zu ermöglichen. Das erfordert härtere Nerven und entsagungsvolleren Dienst als beim frisch-fröhlichen Angriff.
Den letzten Teil des Angriffs hatte der Ersatz, der 900 jugendliche Rekruten, darunter mich, den achtzehnjährigen Kriegsfreiwilligen, Anfang September 1915 dem ausgebluteten Regiment zugeführt hatte, noch miterlebt. Nun kam die harte Zeit, in der es galt, das Gewonnene mit geringen Kräften zu halten und neue Angriffsmaßnahmen an anderen Fronten zu ermöglichen. Das erfordert härtere Nerven und entsagungsvolleren Dienst als beim frisch-fröhlichen Angriff.


So begann nördlich und südlich der Rokitnosümpfe bis nach Wolhynien hinunter ein zäher Kampf: „Immer dasselbe Bild: Infolge des Durchbruchs der Russen und der durch ihn eingetretenen Verluste auf der ganzen Front eine dünne Besetzung, der Einsatz der einzelnen kleinen Einheiten je nach Bedarf, wie die drohende Gefahr es an den verschiedenen Punkten verlangte … in dem unübersichtlichen Gelände schwere Nachrichten- und Befehlsübermittelung .… Aber trotz aller nervenaufreibenden, verlustreichen Kampftätigkeit eine ungebrochene Angriffslust und zäheste Pflichterfüllung der Truppe und ihrer Führer“, so heißt es in der Regimentsgeschichte über diese Art von Kämpfen. Die Unbilden der Witterung wurden immer größer.
So begann nördlich und südlich der Rokitnosümpfe bis nach Wolhynien hinunter ein zäher Kampf: „Immer dasselbe Bild: Infolge des Durchbruchs der Russen und der durch ihn eingetretenen Verluste auf der ganzen Front eine dünne Besetzung, der Einsatz der einzelnen kleinen Einheiten je nach Bedarf, wie die drohende Gefahr es an den verschiedenen Punkten verlangte … in dem unübersichtlichen Gelände schwere Nachrichten- und Befehlsübermittelung .… Aber trotz aller nervenaufreibenden, verlustreichen Kampftätigkeit eine ungebrochene Angriffslust und zäheste Pflichterfüllung der Truppe und ihrer Führer", so heißt es in der Regimentsgeschichte über diese Art von Kämpfen. Die Unbilden der Witterung wurden immer größer.


In diese Zeit und Umstände führt der Bericht.
In diese Zeit und Umstände führt der Bericht.
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Aus den Rokitnosümpfen, von der Jasiolda, war das Regiment in Eilmärschen nach Süden beordert worden, um den Oesterreichern zu helfen. Das erste Gefecht bei Kamarow, noch diesseits des Styrs, und die Schlacht bei Tschernysch (26. 9. bis 1. 10. 1915) waren geschlagen. Hier hatte es meinen Schulkameraden Werner König, mit 16 Jahren des Regiments jüngsten Kriegsfreiwilligen, erwischt. Mit herzlichem Bedauern sah ich ihn auf der Bahre verwundet nach hinten weggetragen werden.
Aus den Rokitnosümpfen, von der Jasiolda, war das Regiment in Eilmärschen nach Süden beordert worden, um den Oesterreichern zu helfen. Das erste Gefecht bei Kamarow, noch diesseits des Styrs, und die Schlacht bei Tschernysch (26. 9. bis 1. 10. 1915) waren geschlagen. Hier hatte es meinen Schulkameraden Werner König, mit 16 Jahren des Regiments jüngsten Kriegsfreiwilligen, erwischt. Mit herzlichem Bedauern sah ich ihn auf der Bahre verwundet nach hinten weggetragen werden.


So kam die Herbstnacht des 19. Oktober. Ich stand neben dem Fernsprech-Unterstand der Kompagnie Wache. Da tönte der Summer. „4. und 10. Komp. setzen sich am 20. Okt. 4 Uhr früh in Richtung Kolki—Kamarow in Marsch. Der Russe ist bei K. überraschend durchgebrochen und hat die Stellung der öfter. Landwehr-Inf.-Regt. 6 und 7 genommen.— Kein Wunder, daß die Gruppe des prächtigen Unteroffiziers Lorenz, der ich angehörte, am ersten marschfertig war!
So kam die Herbstnacht des 19. Oktober. Ich stand neben dem Fernsprech-Unterstand der Kompagnie Wache. Da tönte der Summer. „4. und 10. Komp. setzen sich am 20. Okt. 4 Uhr früh in Richtung Kolki—Kamarow in Marsch. Der Russe ist bei K. überraschend durchgebrochen und hat die Stellung der öfter. Landwehr-Inf.-Regt. 6 und 7 genommen." — Kein Wunder, daß die Gruppe des prächtigen Unteroffiziers Lorenz, der ich angehörte, am ersten marschfertig war!


Auf altbekannten Wegen rückte das aus je 2 Kompagnien des I.R. 82 und 83 gebildete Stoßbataillon in Eilmärschen über Kolki gen Norden. Als uns der schweigende Wald ausgenommen hatte, begann das Abenteuer. Langsam tasteten wir uns vor. Ohne Kampf konnten wir am Abend des 21. Oktober den Südrand der großen, leicht gewellten Lichtung erreichen, die sich von Kamarow in nordost-südwestlicher Richtung in den Wald erstreckte. Die Ruhe war uns ungemütlich. Wir dachten an die Legionen des Varus im Teutoburger Walde. In der Frühe des nächsten Morgens kamen die Feldküchen und Patronenwagen noch einmal angeprescht und teilten Bohnen aus, solche und solche! Die Fahrer berichteten schon von abgefangenen Wagen des Gefechtstrosses. Wir schickten sie mit starker Begleitung schnellstens zurück und sicherten nach allen Seiten.
Auf altbekannten Wegen rückte das aus je 2 Kompagnien des I.R. 82 und 83 gebildete Stoßbataillon in Eilmärschen über Kolki gen Norden. Als uns der schweigende Wald ausgenommen hatte, begann das Abenteuer. Langsam tasteten wir uns vor. Ohne Kampf konnten wir am Abend des 21. Oktober den Südrand der großen, leicht gewellten Lichtung erreichen, die sich von Kamarow in nordost-südwestlicher Richtung in den Wald erstreckte. Die Ruhe war uns ungemütlich. Wir dachten an die Legionen des Varus im Teutoburger Walde. In der Frühe des nächsten Morgens kamen die Feldküchen und Patronenwagen noch einmal angeprescht und teilten Bohnen aus, solche und solche! Die Fahrer berichteten schon von abgefangenen Wagen des Gefechtstrosses. Wir schickten sie mit starker Begleitung schnellstens zurück und sicherten nach allen Seiten.
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Endlich kam Klarheit. Ringsum begann der Wald lebendig zu werden. Es knisterte und knackte an allen Ecken. Lehmgelbe Schützenlinien, im herbstfarbenen Gehölz kaum zu erkennen, schoben sich heran und schlossen den Ring. Wir waren umzingelt. Wir jungen Soldaten erlebten das erste Waldgefecht. Bald aber schafften uns Gegenangriffe wieder Luft. Oesterreichische Artillerie fuhr auf. Ihre Beobachter freuten sich der deutschen Sicherung und gingen in den nächsten Tagen stets in der vordersten Linie mit. Zur Sicherung unserer Schützenlöcher bauten wir Astverhaue, das einzige Mal im Kriege. Rund um uns lag der Russe, in 100 m Entfernung, geduckt und angriffsbereit wie Rudel hungriger Wölfe.
Endlich kam Klarheit. Ringsum begann der Wald lebendig zu werden. Es knisterte und knackte an allen Ecken. Lehmgelbe Schützenlinien, im herbstfarbenen Gehölz kaum zu erkennen, schoben sich heran und schlossen den Ring. Wir waren umzingelt. Wir jungen Soldaten erlebten das erste Waldgefecht. Bald aber schafften uns Gegenangriffe wieder Luft. Oesterreichische Artillerie fuhr auf. Ihre Beobachter freuten sich der deutschen Sicherung und gingen in den nächsten Tagen stets in der vordersten Linie mit. Zur Sicherung unserer Schützenlöcher bauten wir Astverhaue, das einzige Mal im Kriege. Rund um uns lag der Russe, in 100 m Entfernung, geduckt und angriffsbereit wie Rudel hungriger Wölfe.


Bei dem unübersichtlichen Gelände wurde plötzlich mein Kompaß, bis dahin Privatstück eines Kriegsfreiwilligen, eine öffentliche Angelegenheit, denn er war der einzige, sodaß ich ihn kurzerhand der Kompagnie stiftete. (Mein zweiter Kompaß verschaffte mir im Frühjahr 1916 in Kurland — sicherlich auf Grund der vom Bataillonsführer hellseherisch festgestellten positiven mathematischen Kenntnisse, System Bochow — einen freundlichen „Druckposten“, wie es so schön heißt. Dort fing das Bataillon Landwirtschaft an. Während aber die Nicht-Landwirte schwer exerzierten, bewegte ich mich als feldgrauer Pan durch die Fluren und maß mit einigen Helfern Feldbreiten ab.)
Bei dem unübersichtlichen Gelände wurde plötzlich mein Kompaß, bis dahin Privatstück eines Kriegsfreiwilligen, eine öffentliche Angelegenheit, denn er war der einzige, sodaß ich ihn kurzerhand der Kompagnie stiftete. (Mein zweiter Kompaß verschaffte mir im Frühjahr 1916 in Kurland — sicherlich auf Grund der vom Bataillonsführer hellseherisch festgestellten positiven mathematischen Kenntnisse, System Bochow — einen freundlichen „Druckposten", wie es so schön heißt. Dort fing das Bataillon Landwirtschaft an. Während aber die Nicht-Landwirte schwer exerzierten, bewegte ich mich als feldgrauer Pan durch die Fluren und maß mit einigen Helfern Feldbreiten ab.)


Trotz der zunehmenden Unbilden der Witterung und des starken feindlichen Artillerie-, Infanterie- und M.G.-Feuers setzte das Bataillon zum Angriff an, um wieder dem Feinde das Gesetz des Handelns vorzuschreiben. Weithin erschallte im Walde das Hornsignal „Rasch vorwärts“ und „Greift nach der Klinge“, und mit aufgepflanztem Seitengewehr ging's hinaus auf die Lichtung. Der Melder des Kompagnieführers, des Leutnants Selbmann, war gleich zu Beginn gefallen, sein Ersatzmann bald danach schwer verwundet.
Trotz der zunehmenden Unbilden der Witterung und des starken feindlichen Artillerie-, Infanterie- und M.G.-Feuers setzte das Bataillon zum Angriff an, um wieder dem Feinde das Gesetz des Handelns vorzuschreiben. Weithin erschallte im Walde das Hornsignal „Rasch vorwärts" und „Greift nach der Klinge", und mit aufgepflanztem Seitengewehr ging's hinaus auf die Lichtung. Der Melder des Kompagnieführers, des Leutnants Selbmann, war gleich zu Beginn gefallen, sein Ersatzmann bald danach schwer verwundet.


Der zweite Sturmangriff galt einer quer über die Lichtung laufenden Stellung, die über eine Anhöhe führte, von der aus sibirische Scharfschützen, prächtige große Wald- und Steppenmenschen, uns mit ihrem gutgezielten Feuer empfindliche Verluste zufügten. Wir waren so schnell, daß wir das Feuer der schweren russischen Mörser unterliefen. Doch — was war das mit den österreichischen Anschlußtruppen zu unserer Linken im Walde? Tschechen waren es, unsere ständigen Sorgenkinder! Schon während des Sturmes waren wir in ihre Linien z. T. eingeschwärmt, jetzt stellten sie gar die Kampfhandlung ein, wickelten sich in ihre Decken und legten sich in Deckung hinter dicke Bäume. Bald setzte der russische Gegenangriff ein, unterstützt durch schwere Mörser. Noch waren sie auf unsere neue Stellung zum Glück nicht eingeschossen. Während wir ihn vor uns zum Stehen brachten, kam der Russe im Wald mühelos vor. Er wollte uns überflügeln und abfangen. Wir zogen unsere Leute schleunigst heraus, um freie Hand zu haben. Da, als die ersten Tschechen aufstanden, um den Gang des Verräters anzutreten, war unsere Geduld zu Ende. Was aus der Büchse heraus wollte, das brannten wir ihnen von der Höhe aus auf den Pelz. Es war eine wilde Abschiedsmusik und bei der nahen Entfernung von besonderer Wirkung. Und als gar die Russen durch die flutenden Haufen der Ueberläufer strömten, da sausten die Patronenrahmen in die Knarre, daß die Läufe glühend heiß anliefen. Dann aber hieß es, schleunigst zurück, um nicht umfaßt zu werden. Kaum hatten wir geräumt und näherten uns, in breiter Front gegen den Wald in allen Stilarten vom freien Feld aus, sogar knieend und stehend freihändig, schießend, unserer Ausgangsstellung, da hatten die ersten Lagen der Mörser den Höhengraben endlich gepackt und zermalmten die tschechischen Verräter, die darin verblieben waren. Mit vielen anderen war bei diesem Angriff der 3. Melder geblieben. An seine Stelle trat ein junger Bergmann, ein Landsmann von einem der Schächte rund um die Bleicheröder Berge.
Der zweite Sturmangriff galt einer quer über die Lichtung laufenden Stellung, die über eine Anhöhe führte, von der aus sibirische Scharfschützen, prächtige große Wald- und Steppenmenschen, uns mit ihrem gutgezielten Feuer empfindliche Verluste zufügten. Wir waren so schnell, daß wir das Feuer der schweren russischen Mörser unterliefen. Doch — was war das mit den österreichischen Anschlußtruppen zu unserer Linken im Walde? Tschechen waren es, unsere ständigen Sorgenkinder! Schon während des Sturmes waren wir in ihre Linien z. T. eingeschwärmt, jetzt stellten sie gar die Kampfhandlung ein, wickelten sich in ihre Decken und legten sich in Deckung hinter dicke Bäume. Bald setzte der russische Gegenangriff ein, unterstützt durch schwere Mörser. Noch waren sie auf unsere neue Stellung zum Glück nicht eingeschossen. Während wir ihn vor uns zum Stehen brachten, kam der Russe im Wald mühelos vor. Er wollte uns überflügeln und abfangen. Wir zogen unsere Leute schleunigst heraus, um freie Hand zu haben. Da, als die ersten Tschechen aufstanden, um den Gang des Verräters anzutreten, war unsere Geduld zu Ende. Was aus der Büchse heraus wollte, das brannten wir ihnen von der Höhe aus auf den Pelz. Es war eine wilde Abschiedsmusik und bei der nahen Entfernung von besonderer Wirkung. Und als gar die Russen durch die flutenden Haufen der Ueberläufer strömten, da sausten die Patronenrahmen in die Knarre, daß die Läufe glühend heiß anliefen. Dann aber hieß es, schleunigst zurück, um nicht umfaßt zu werden. Kaum hatten wir geräumt und näherten uns, in breiter Front gegen den Wald in allen Stilarten vom freien Feld aus, sogar knieend und stehend freihändig, schießend, unserer Ausgangsstellung, da hatten die ersten Lagen der Mörser den Höhengraben endlich gepackt und zermalmten die tschechischen Verräter, die darin verblieben waren. Mit vielen anderen war bei diesem Angriff der 3. Melder geblieben. An seine Stelle trat ein junger Bergmann, ein Landsmann von einem der Schächte rund um die Bleicheröder Berge.


Der dritte Angriff gelang besser, da sich die österreichische Artillerie inzwischen eingeschossen hatte. Wir gewannen in der Lichtung tüchtig Gelände nach Kamarow zu, trotz schärfster Gegenwehr. Als erste erreichten, nahe am Russen, der Kompagnieführer mit seinem Melder und der erste Zug einen alten österreichischen Graben. Wir brauchten Verstärkung. Der Melder raste über die bestrichene Bodenwelle hinter unserem flachen Graben davon. Bald hörten wir ihn wieder angeschnauft kommen. Scharf hob sich seine Gestalt hinter der kalten, tiefen Herbstsonne ab. Noch brüllte ich mit 2 oder 3 Kameraden „hinlegen, kriechen!, denn er strebte, müde und abgekämpft, durch das unheimlich dichte Feuer nur wenig geduckt unserem Graben zu. Da, ein dumpfer Aufschlag des Körpers, kein Rühren mehr. Herzschuß, 4 m vorm rettenden Graben. Aber der Kompagnieführer mußte wissen, was hinten bei den beiden anderen Zügen und links beim österreichischen Anschluß los war. „Utffz. Lorenz, stellen Sie mir einen neuen Melder!Ein jeder von uns rechnete aus: der Fünfte, drei sind bisher tot, einer schwer verwundet. „Musketier L., — es war ein großer stämmiger Handlungsgehilfe — „machen Sie sich fertig!Def aber: „Wir haben doch einen Kriegsfreiwilligen in der Gruppe, der hat sich doch freiwillig in den Krieg gemeldet.„Der Kriegsfreiwillige Neumeyer ist bereit; Herr Unteroffizier, ich bitte um Abkommandierung!„Ich danke Ihnen, alles Gute.Kriechend zum Kompagnieführer. Spaten zur Hand. Dann ging's den gleichen Weg nach hinten, doch über die Bodenwelle mußte ich kriechen und auf dem Sattel mich wie ein Maulwurf mit dem Spaten vorarbeiten — denn ich war ja der 5. Melder. Allein auf mich gestellt, durchlief oder -kroch ich den Graben zur Linken und Rechten, preschte ins Hintergelände, holte die Feldküchen und Patronenwagen möglichst nahe heran, führte österreichische Reserven herbei. Ueber mir sangen die Kugeln ihr unheimlich Lied. Es war gut, daß ich im Schüler-Turnverein den Langstreckenlaus besonders geübt hatte.
Der dritte Angriff gelang besser, da sich die österreichische Artillerie inzwischen eingeschossen hatte. Wir gewannen in der Lichtung tüchtig Gelände nach Kamarow zu, trotz schärfster Gegenwehr. Als erste erreichten, nahe am Russen, der Kompagnieführer mit seinem Melder und der erste Zug einen alten österreichischen Graben. Wir brauchten Verstärkung. Der Melder raste über die bestrichene Bodenwelle hinter unserem flachen Graben davon. Bald hörten wir ihn wieder angeschnauft kommen. Scharf hob sich seine Gestalt hinter der kalten, tiefen Herbstsonne ab. Noch brüllte ich mit 2 oder 3 Kameraden „hinlegen, kriechen!", denn er strebte, müde und abgekämpft, durch das unheimlich dichte Feuer nur wenig geduckt unserem Graben zu. Da, ein dumpfer Aufschlag des Körpers, kein Rühren mehr. Herzschuß, 4 m vorm rettenden Graben. Aber der Kompagnieführer mußte wissen, was hinten bei den beiden anderen Zügen und links beim österreichischen Anschluß los war. „Utffz. Lorenz, stellen Sie mir einen neuen Melder!" Ein jeder von uns rechnete aus: der Fünfte, drei sind bisher tot, einer schwer verwundet. „Musketier L.", — es war ein großer stämmiger Handlungsgehilfe — „machen Sie sich fertig!" Def aber: „Wir haben doch einen Kriegsfreiwilligen in der Gruppe, der hat sich doch freiwillig in den Krieg gemeldet." „Der Kriegsfreiwillige Neumeyer ist bereit; Herr Unteroffizier, ich bitte um Abkommandierung!" „Ich danke Ihnen, alles Gute." Kriechend zum Kompagnieführer. Spaten zur Hand. Dann ging's den gleichen Weg nach hinten, doch über die Bodenwelle mußte ich kriechen und auf dem Sattel mich wie ein Maulwurf mit dem Spaten vorarbeiten — denn ich war ja der 5. Melder. Allein auf mich gestellt, durchlief oder -kroch ich den Graben zur Linken und Rechten, preschte ins Hintergelände, holte die Feldküchen und Patronenwagen möglichst nahe heran, führte österreichische Reserven herbei. Ueber mir sangen die Kugeln ihr unheimlich Lied. Es war gut, daß ich im Schüler-Turnverein den Langstreckenlaus besonders geübt hatte.


Der 4. Angriff richtete sich gegen die russische Hauptstellung, Gräben vor Waldstücken der sich nach Kamarow zu verjüngenden Lichtung, während in der Lichtung selbst die Stellung zurücksprang und als Hauptstützpunkt einen Windmühlenhügel umfaßte. Trotz schwerer Verluste schafften wir es. Müde warf sich nach dem notdürftigsten Stellungsumbau alles, was nicht Wache zu stehen brauchte, in die strohgefüllten Unterstände, denn die letzten Tage hatten wir bei Schnee und Regen in offenen Löchern zugebracht. Nur für den Melder gab's keine Ruhe. Ein Befehl jagte den anderen. Der schwierigste war die Heranführung österreichischer Reserven bei Nacht von weit hinten her bis vorn in die Stellungsnähe am Windmühlenhügel, der umgekehrt nun in die russische Stellung hineinsprang. Denn jederzeit konnte es Artillerie- und M.G.-Feuerüberfälle geben, so daß es galt, jede Deckung auszunutzen. Wie eine Schafherde, so trieben der österreichische Stabsfeldwebel und ich, der junge Dachs, die slowakischen und ruthenischen Bundesgenossen vor, sorgsam achtgebend, daß keiner im Gebüsch „volle Deckung“ nahm, denn jedes Gewehr war wichtig. Auf die Rucksäcke der Langsamsten sauste sogar der Krückstock des Stabsfeldwebels nieder.
Der 4. Angriff richtete sich gegen die russische Hauptstellung, Gräben vor Waldstücken der sich nach Kamarow zu verjüngenden Lichtung, während in der Lichtung selbst die Stellung zurücksprang und als Hauptstützpunkt einen Windmühlenhügel umfaßte. Trotz schwerer Verluste schafften wir es. Müde warf sich nach dem notdürftigsten Stellungsumbau alles, was nicht Wache zu stehen brauchte, in die strohgefüllten Unterstände, denn die letzten Tage hatten wir bei Schnee und Regen in offenen Löchern zugebracht. Nur für den Melder gab's keine Ruhe. Ein Befehl jagte den anderen. Der schwierigste war die Heranführung österreichischer Reserven bei Nacht von weit hinten her bis vorn in die Stellungsnähe am Windmühlenhügel, der umgekehrt nun in die russische Stellung hineinsprang. Denn jederzeit konnte es Artillerie- und M.G.-Feuerüberfälle geben, so daß es galt, jede Deckung auszunutzen. Wie eine Schafherde, so trieben der österreichische Stabsfeldwebel und ich, der junge Dachs, die slowakischen und ruthenischen Bundesgenossen vor, sorgsam achtgebend, daß keiner im Gebüsch „volle Deckung" nahm, denn jedes Gewehr war wichtig. Auf die Rucksäcke der Langsamsten sauste sogar der Krückstock des Stabsfeldwebels nieder.


Gerade, als ich am nächsten Morgen dem bei der Windmühle befehlenden österreichischen Offizier meine ehemalige Gruppe Lorenz zugeführt hatte, kam der Gegenangriff, bei der geringen Entfernung hier von — rd. 50 m — ohne jede Vorbereitung. Ein prächtiges Bild, wie die lehmfahlen sibirischen Hünen aus den niedrigen Gräben am Dorfrande und hinter den Brandruinen herausquollen. An die Gewehre! Doch in den Verbindungs- und Flankierungsgraben saßen die Slowaken und Ruthenen tief in ihren Schützenlöchern, auf dem Rucksack zusam- mengetauert und murmelten, in bunte Gebetsbücher versenkt, unverständliche Worte. Ihre Gewehre lagen, wie ein Flakgeschütz gen Himmel ragend, auf der Deckung, z. T. versandet oder sonstwie unbrauchbar. Mit rauhen Worten, mit denen ich mir selbst Mut machte, brächte ich die meisten auf die Beine, holte wohl da und dort ein unversehrtes Gewehr herbei; übernächtigt schauten sie mir mit dumpf-ergebenen Augen zu, wie ich hin und her sprang. Warum hatte sie der große Krieg aus der Ruhe ihres Dorfes am Hange der Karpathen herausgerissen? Dann kamen die Russen! Noch sehe ich den großen Kerl auf der Deckung, wie er das Gewehr mit dem ständig daran befestigten spitzkantigen Seitengewehr zum Bajonettstoß auf einen der tapferen deutsch-österreichischen M.G.- Männer anhebt und wie dieser ihm die langgezogene Pistole unter das Kinn hält. Mit schwerem Kieferschuß fällt der Russe in den Graben. Endlich ist der Angriff abgeschlagen. Ich rase zurück, wenigstens ein oder zwei Gruppen Deutsche zu holen, denn die Gruppe Lorenz hat nur noch 4 Gewehre und der österreichische Oberleutnant verweist auf seine Slowaken, die wieder stumpf in den Löchern liegen.
Gerade, als ich am nächsten Morgen dem bei der Windmühle befehlenden österreichischen Offizier meine ehemalige Gruppe Lorenz zugeführt hatte, kam der Gegenangriff, bei der geringen Entfernung hier von — rd. 50 m — ohne jede Vorbereitung. Ein prächtiges Bild, wie die lehmfahlen sibirischen Hünen aus den niedrigen Gräben am Dorfrande und hinter den Brandruinen herausquollen. An die Gewehre! Doch in den Verbindungs- und Flankierungsgraben saßen die Slowaken und Ruthenen tief in ihren Schützenlöchern, auf dem Rucksack zusam- mengetauert und murmelten, in bunte Gebetsbücher versenkt, unverständliche Worte. Ihre Gewehre lagen, wie ein Flakgeschütz gen Himmel ragend, auf der Deckung, z. T. versandet oder sonstwie unbrauchbar. Mit rauhen Worten, mit denen ich mir selbst Mut machte, brächte ich die meisten auf die Beine, holte wohl da und dort ein unversehrtes Gewehr herbei; übernächtigt schauten sie mir mit dumpf-ergebenen Augen zu, wie ich hin und her sprang. Warum hatte sie der große Krieg aus der Ruhe ihres Dorfes am Hange der Karpathen herausgerissen? Dann kamen die Russen! Noch sehe ich den großen Kerl auf der Deckung, wie er das Gewehr mit dem ständig daran befestigten spitzkantigen Seitengewehr zum Bajonettstoß auf einen der tapferen deutsch-österreichischen M.G.- Männer anhebt und wie dieser ihm die langgezogene Pistole unter das Kinn hält. Mit schwerem Kieferschuß fällt der Russe in den Graben. Endlich ist der Angriff abgeschlagen. Ich rase zurück, wenigstens ein oder zwei Gruppen Deutsche zu holen, denn die Gruppe Lorenz hat nur noch 4 Gewehre und der österreichische Oberleutnant verweist auf seine Slowaken, die wieder stumpf in den Löchern liegen.


Gerade laufe ich wieder an ihnen vorbei, um dem Oberleutnant die erbetene Unterstützung anzukündigen, als sich die Bajonettspitzen in den russischen Gräben wieder verdichten und die Lammfellmützen wieder zusammenrücken. Unser M.G. hatte Ladehemmung, die Slowaken und Ruthenen zählten nicht mehr, sie rüsteten ihr Gepäck für den Marsch nach Sibirien. Ein Dutzend Gewehre waren es noch gerade an der Windmühle. Lorenz legte die wenigen Handgranaten bereit. Es waren Augenblicke höchster Nervenbeanspruchung. Jeder machte seine Abrechnung, so oder so. Dann brach die gelbe Walze erneut los. Einige Schrecksekunden, in denen keiner von uns schoß — dann kam das Wunder. Hunderte von Gewehren flogen zu Boden, Hunderte von Armen gingen in die Höhe. Ueberläufer statt Kämpfer, fast tat einem der schnelle Wandel leid. „Nicht schießen!, brüllten wir nach links und rechts, dann rauschte es über uns paar Deutsche und die Slowaken in den Löchern wie dunkle Wolkenschatten, wie Geister der weiten Waldsteppen hinweg, und hinter ihnen her flugs unsere Slowaken, sich ihnen als Geleitmannschaft nach dem Motto „Freiwillige vor“ anbietend. Damit die wilde Jagd voll werde, der Melder der „Vierten“ und ein österreichischer Feldwebel beiden auf den Fersen, um die hier unerwünscht Freiwilligen wieder in die Gräben zu jagen.
Gerade laufe ich wieder an ihnen vorbei, um dem Oberleutnant die erbetene Unterstützung anzukündigen, als sich die Bajonettspitzen in den russischen Gräben wieder verdichten und die Lammfellmützen wieder zusammenrücken. Unser M.G. hatte Ladehemmung, die Slowaken und Ruthenen zählten nicht mehr, sie rüsteten ihr Gepäck für den Marsch nach Sibirien. Ein Dutzend Gewehre waren es noch gerade an der Windmühle. Lorenz legte die wenigen Handgranaten bereit. Es waren Augenblicke höchster Nervenbeanspruchung. Jeder machte seine Abrechnung, so oder so. Dann brach die gelbe Walze erneut los. Einige Schrecksekunden, in denen keiner von uns schoß — dann kam das Wunder. Hunderte von Gewehren flogen zu Boden, Hunderte von Armen gingen in die Höhe. Ueberläufer statt Kämpfer, fast tat einem der schnelle Wandel leid. „Nicht schießen!", brüllten wir nach links und rechts, dann rauschte es über uns paar Deutsche und die Slowaken in den Löchern wie dunkle Wolkenschatten, wie Geister der weiten Waldsteppen hinweg, und hinter ihnen her flugs unsere Slowaken, sich ihnen als Geleitmannschaft nach dem Motto „Freiwillige vor" anbietend. Damit die wilde Jagd voll werde, der Melder der „Vierten" und ein österreichischer Feldwebel beiden auf den Fersen, um die hier unerwünscht Freiwilligen wieder in die Gräben zu jagen.


Wahrhaftig, tolle Tage! Noch vor 6 Monaten auf der Schulbank, und jetzt in diesem Wirbel! Zur Verfolgung bis an das nahe Styrufer treten frische Truppen an. Ein kleines Häuflein von noch nicht 40 verschmutzten, bärtigen und verlausten Soldaten rückte in Kolli Anfang November wieder ein. In einem ergreifenden Feldgottesdienst gedachten wir der gefallenen und vermißten Kameraden. Die Regimentsgeschichte, die ihre tagebuchartige Berichterstattung an wesentlichen Stellen zu einem besonderen Stimmungsbericht erweitert, beschließt die Schilderung der Kämpfe bei Kamarow mit folgenden Worten: „Ein wundervoller Geist herrschte in den Kompagnien, Heldentaten einzelner Leute und Unteroffiziere reihten sich in langer leuchtender Kette aneinander.
Wahrhaftig, tolle Tage! Noch vor 6 Monaten auf der Schulbank, und jetzt in diesem Wirbel! Zur Verfolgung bis an das nahe Styrufer treten frische Truppen an. Ein kleines Häuflein von noch nicht 40 verschmutzten, bärtigen und verlausten Soldaten rückte in Kolli Anfang November wieder ein. In einem ergreifenden Feldgottesdienst gedachten wir der gefallenen und vermißten Kameraden. Die Regimentsgeschichte, die ihre tagebuchartige Berichterstattung an wesentlichen Stellen zu einem besonderen Stimmungsbericht erweitert, beschließt die Schilderung der Kämpfe bei Kamarow mit folgenden Worten: „Ein wundervoller Geist herrschte in den Kompagnien, Heldentaten einzelner Leute und Unteroffiziere reihten sich in langer leuchtender Kette aneinander."


Noch schlugen wir uns — im Dezember 1915 am Styr herum, da beglückwünschte mich ein mir zugetaner Unteroffizier. Der Kompagnieführer habe vor seinem Fortgang infolge schwerer Erkrankung seinen Melder zum Eisernen Kreuz eingereicht, und sein Händedruck bedeutete: Nun bist Du schmächtiger junger Kriegsfreiwilliger unser richtiger Kamerad und „alter“ Mann in der Schicksalsgemeinschaft der Frontsoldaten.
Noch schlugen wir uns — im Dezember 1915 am Styr herum, da beglückwünschte mich ein mir zugetaner Unteroffizier. Der Kompagnieführer habe vor seinem Fortgang infolge schwerer Erkrankung seinen Melder zum Eisernen Kreuz eingereicht, und sein Händedruck bedeutete: Nun bist Du schmächtiger junger Kriegsfreiwilliger unser richtiger Kamerad und „alter" Mann in der Schicksalsgemeinschaft der Frontsoldaten.
::Dr. H. Neumeyer, Halle.
::Dr. H. Neumeyer, Halle.


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: '''Ehrenwache bei Hindenburg'''
: '''Ehrenwache bei Hindenburg'''


Nach dauerndem Stellungswechsel mit unseren schweren Festungsgeschützen im Morast Rußlands bei den Schlachten und Gefechten der 10. Armee wurde für uns im März 1916 eine Ruhepause in Kowno angesetzt. Wir bezogen eine russische Kaserne und ruhten von den Strapazen aus. Doch die „Ruhe“ hielt nicht lange an. Eines Tages kam Befehl: Die Fußartillerie stellt beim Oberkommando Ost die Wache zum '''50jährigen Militärjubiläum des Generalfeldmarschalls von Hindenburg'''. Das war eine große Ehre für uns, der wir unsere Ruhetage gern opferten. Jetzt ging es an einen für uns alte Feldsoldaten ganz ungewohnten Garnisondienst. Tag für Tag wurde „Wache aufziehen“ gebimst.
Nach dauerndem Stellungswechsel mit unseren schweren Festungsgeschützen im Morast Rußlands bei den Schlachten und Gefechten der 10. Armee wurde für uns im März 1916 eine Ruhepause in Kowno angesetzt. Wir bezogen eine russische Kaserne und ruhten von den Strapazen aus. Doch die „Ruhe" hielt nicht lange an. Eines Tages kam Befehl: Die Fußartillerie stellt beim Oberkommando Ost die Wache zum '''50jährigen Militärjubiläum des Generalfeldmarschalls von Hindenburg'''. Das war eine große Ehre für uns, der wir unsere Ruhetage gern opferten. Jetzt ging es an einen für uns alte Feldsoldaten ganz ungewohnten Garnisondienst. Tag für Tag wurde „Wache aufziehen" gebimst.


Am 6. April 1916 mittags 1 Uhr zogen wir beim Ober-Ost auf und lösten die Infanterie ab. Ich war mit einem Kameraden eingeteilt, tagsüber am Eingang der Villa, in der Hindenburg Quartier bezogen hatte, und nachts vor seinem Schlafgemach Posten zu stehen.
Am 6. April 1916 mittags 1 Uhr zogen wir beim Ober-Ost auf und lösten die Infanterie ab. Ich war mit einem Kameraden eingeteilt, tagsüber am Eingang der Villa, in der Hindenburg Quartier bezogen hatte, und nachts vor seinem Schlafgemach Posten zu stehen.
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Die folgende Schilderung des Lebens und Sterbens eines solchen blutjungen Helden im wilden Ringen des Weltkrieges soll auch seinen gefallenen Mitschülern ein ehrendes Denkmal setzen.
Die folgende Schilderung des Lebens und Sterbens eines solchen blutjungen Helden im wilden Ringen des Weltkrieges soll auch seinen gefallenen Mitschülern ein ehrendes Denkmal setzen.


Paul Förstemann, geb. am 11. 12. 1899 zu Nordhausen, verließ das Realgymnasium im Juni 1917 mit der Oberprimareife, als sein Jahrgang zu den Fahnen einberufen wurde. Ueberaus ernst und tief veranlagt, wußte er genau, welchen Gefahren für Leben und Gesundheit er entgegenging, umso mehr, als ja erst vor einem Jahr sein innig geliebter älterer Bruder mit 18Vz Jahren vor dem Feinde gefallen war. Schon in den ersten Kriegsjahren hatte er, wenn bei den häufigen Siegesnachrichten in der Heimat immer wieder unter lautem Jubel geflaggt wurde, seiner Mutter gesagt: „Laßt doch das, Ihr wißt ja gar nicht, wieviel Mütter heute wieder um den gefallenen Sohn weinen müßen.
Paul Förstemann, geb. am 11. 12. 1899 zu Nordhausen, verließ das Realgymnasium im Juni 1917 mit der Oberprimareife, als sein Jahrgang zu den Fahnen einberufen wurde. Ueberaus ernst und tief veranlagt, wußte er genau, welchen Gefahren für Leben und Gesundheit er entgegenging, umso mehr, als ja erst vor einem Jahr sein innig geliebter älterer Bruder mit 18Vz Jahren vor dem Feinde gefallen war. Schon in den ersten Kriegsjahren hatte er, wenn bei den häufigen Siegesnachrichten in der Heimat immer wieder unter lautem Jubel geflaggt wurde, seiner Mutter gesagt: „Laßt doch das, Ihr wißt ja gar nicht, wieviel Mütter heute wieder um den gefallenen Sohn weinen müßen."


Am 26. 7. 1917 wurde er zu der Ersatzabteilung des Feldartillerie-Regiments Nr. 11 in Kassel einberufen, demselben Truppenteil, bei welchem auch sein am 8. 3. 16 vor Verdun gefallener Bruder Hans seine Ausbildung als Kanonier erhalten hatte.
Am 26. 7. 1917 wurde er zu der Ersatzabteilung des Feldartillerie-Regiments Nr. 11 in Kassel einberufen, demselben Truppenteil, bei welchem auch sein am 8. 3. 16 vor Verdun gefallener Bruder Hans seine Ausbildung als Kanonier erhalten hatte.
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Am 9. Januar 18, dem Todestag seines 1871 bei der Erstürmung des Schlosses Villersexel als Premierleutnant und Kompagnieführer gefallenen Großvaters, des Kreisrichters Johannes Förstemann, konnte er an der Seite seines ebenfalls aus dem Felde beurlaubten Vaters, beide unter dem Stahlhelm, an der Beerdigung seines ihm im Heldentod vorausgegangenen und nach fast zweijähriger Grabesruhe in Feindesland nach der Heimat überführten Bruders Hans teilnehmen. Am selben Tage erhielt er seine Beförderung zum Fahnenjunker-Unteroffizier.
Am 9. Januar 18, dem Todestag seines 1871 bei der Erstürmung des Schlosses Villersexel als Premierleutnant und Kompagnieführer gefallenen Großvaters, des Kreisrichters Johannes Förstemann, konnte er an der Seite seines ebenfalls aus dem Felde beurlaubten Vaters, beide unter dem Stahlhelm, an der Beerdigung seines ihm im Heldentod vorausgegangenen und nach fast zweijähriger Grabesruhe in Feindesland nach der Heimat überführten Bruders Hans teilnehmen. Am selben Tage erhielt er seine Beförderung zum Fahnenjunker-Unteroffizier.


Als ihn nach der Beerdigung sein Vater fragte, ob er wohl jetzt gleich während seines kurzen Urlaubs die Kriegsreiseprüfung machen könne, antwortete er kurz entschlossen: „Ich bin bereit, denn an meinem Geschütz habe ich stets während der Feuerpausen in meinen Latein-, Geschichts- und Mathematikbüchern mich darauf vorbereitet.Nach telefonischer Anfrage und Genehmigung durch das Provinzialschulkollegium in Magdeburg bestand er am 25.1.18 die Kriegsreifeprüfung am Realgymnasium zu Nordhausen. Leicht wurde ihm diese nicht gemacht; als einziger Prüfling wurde er über 4 Stunden lang wie eine Zitrone nach seinem Wissen ausgepreßt, bis schließlich der prüfende Lateinlehrer, Herr Professor Olbricht, dem Vorsitzenden sagte: „Der Prüfling hat bisher keine Frage ausgelassen. Ich wäre froh, wenn meine Oberprimaner ein solches Wissen hätten, wie dieser junge Krieger, der aus dem Schützengraben kommt!
Als ihn nach der Beerdigung sein Vater fragte, ob er wohl jetzt gleich während seines kurzen Urlaubs die Kriegsreiseprüfung machen könne, antwortete er kurz entschlossen: „Ich bin bereit, denn an meinem Geschütz habe ich stets während der Feuerpausen in meinen Latein-, Geschichts- und Mathematikbüchern mich darauf vorbereitet." Nach telefonischer Anfrage und Genehmigung durch das Provinzialschulkollegium in Magdeburg bestand er am 25.1.18 die Kriegsreifeprüfung am Realgymnasium zu Nordhausen. Leicht wurde ihm diese nicht gemacht; als einziger Prüfling wurde er über 4 Stunden lang wie eine Zitrone nach seinem Wissen ausgepreßt, bis schließlich der prüfende Lateinlehrer, Herr Professor Olbricht, dem Vorsitzenden sagte: „Der Prüfling hat bisher keine Frage ausgelassen. Ich wäre froh, wenn meine Oberprimaner ein solches Wissen hätten, wie dieser junge Krieger, der aus dem Schützengraben kommt!"


Doch nun, wo er die Reifeprüfung gut bestanden, zog er doppelt wohlgemut wieder in's Feld, denn jetzt stand ihm ja die ganze Welt offen, wie er strahlend seinen Eltern erklärte. „Ich hoffe es bald zum Offizier zu bringen. Sollte ich aber zum Krüppel geschossen werden“, so tröstete er seine Mutter, „dann kann ich ja nun studieren.
Doch nun, wo er die Reifeprüfung gut bestanden, zog er doppelt wohlgemut wieder in's Feld, denn jetzt stand ihm ja die ganze Welt offen, wie er strahlend seinen Eltern erklärte. „Ich hoffe es bald zum Offizier zu bringen. Sollte ich aber zum Krüppel geschossen werden", so tröstete er seine Mutter, „dann kann ich ja nun studieren."


Sein durch eifrige sportliche Betätigung während der Schulzeit prachtvoll ausgebildeter, widerstandsfähiger Körper kam ihm bei Ertragung der außerordentlichen Strapazen während der Frühjahrsoffensive 1918 sehr zu statten, welche ihn in fast ununterbrochenen blutigen Kämpfen und Schlachten hinter dem besiegten Engländer her von St. Quentin bis 20 km östlich Amiens führte, so daß er über 4 Wochen lang nicht aus den Kleidern und Stiefeln kam. An seine Mutter schrieb er: „Ein Wetter haben wir jetzt gehabt, das war einfach grauenhaft. Jeden Tag Regen und dann immer unter Zelten auf feuchter Erde, doch meiner Natur kann das alles nichts schaden. Ich bin stark wie immer.
Sein durch eifrige sportliche Betätigung während der Schulzeit prachtvoll ausgebildeter, widerstandsfähiger Körper kam ihm bei Ertragung der außerordentlichen Strapazen während der Frühjahrsoffensive 1918 sehr zu statten, welche ihn in fast ununterbrochenen blutigen Kämpfen und Schlachten hinter dem besiegten Engländer her von St. Quentin bis 20 km östlich Amiens führte, so daß er über 4 Wochen lang nicht aus den Kleidern und Stiefeln kam. An seine Mutter schrieb er: „Ein Wetter haben wir jetzt gehabt, das war einfach grauenhaft. Jeden Tag Regen und dann immer unter Zelten auf feuchter Erde, doch meiner Natur kann das alles nichts schaden. Ich bin stark wie immer.
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Am 22. April 1918 hatte er die Freude des überraschenden Besuches seines Vaters am Geschütz des Sohnes in der Feuerstellung der Batterie 5 kni östlich von Lorbie an der Somme, wo tags- zuvor der berühmteste deutsche Kampfflieger, Rittmeister Manfred von Richthofen, nachdem er noch am 20. 4. das 79. und 80. feindliche Flugzeug im Luftkampf abgeschossen hatte, nur wenige kni vor der Batterie beim Dorf Vaux sur Somme von einem kanadischen Flieger abgeschossen worden war.
Am 22. April 1918 hatte er die Freude des überraschenden Besuches seines Vaters am Geschütz des Sohnes in der Feuerstellung der Batterie 5 kni östlich von Lorbie an der Somme, wo tags- zuvor der berühmteste deutsche Kampfflieger, Rittmeister Manfred von Richthofen, nachdem er noch am 20. 4. das 79. und 80. feindliche Flugzeug im Luftkampf abgeschossen hatte, nur wenige kni vor der Batterie beim Dorf Vaux sur Somme von einem kanadischen Flieger abgeschossen worden war.


Sein Vater, damals Oberstabsarzt und Kommandanturarzt von Lambrai, war von einem Generalstabsoffizier, welcher als solcher die Stellung des Regiments ausfindig gemacht hatte, im Auto an die Somme mitgenommen worden. Als nun der Vater die Höhe, wo die Batterie seines Sohnes in Feuerstellung stand, hinausgestiegen war, fragte er beim ersten Geschütz einen Kanonier: „Wo ist der Fahnenjunker-Unteroffizier Förstemann?„Der ist im Unterstand neben dem Geschütz und kocht das Mittagessen für seine Mannschaft“, antwortete dieser und hinunter: „Es ist Besuch da, Herr Unteroffizier!Als dann ein rußgeschwärztes Gesicht an der Oberfläche erschien und den Vater erkannte, rief er mit einem lauten Freudenschrei: „Vater, Du hier!und bald lagen sich beide in den Armen. Auf der Lafette der Feldkanone sitzend, den schützenden Stahlhelm auf dem Kopfe kümmerte es beide wenig, daß der Engländer dieses Wiedersehen abwechselnd durch Schrapnell- und Granatfeuer zu stören suchte. Glückstrahlend erzählt der Sohn seinem Vater all das Große und Schreckliche, was er in der vierwöchigen Frühjahrsoffensive im Siegeszug, hinter dem zurückgehenden Engländer immer in Fühlung bleibend, erlebt hatte. „Und wenn Pferde und Mannschaft mein Geschütz aus den tiefen, wassergefüllten Granattrichtern gar nicht mehr herauskriegten, dann habe ich das um die Radnabe gelegte Seil in die Hand genommen und mit meinen Kräften gezogen, bis das Geschütz heraus war.
Sein Vater, damals Oberstabsarzt und Kommandanturarzt von Lambrai, war von einem Generalstabsoffizier, welcher als solcher die Stellung des Regiments ausfindig gemacht hatte, im Auto an die Somme mitgenommen worden. Als nun der Vater die Höhe, wo die Batterie seines Sohnes in Feuerstellung stand, hinausgestiegen war, fragte er beim ersten Geschütz einen Kanonier: „Wo ist der Fahnenjunker-Unteroffizier Förstemann?" „Der ist im Unterstand neben dem Geschütz und kocht das Mittagessen für seine Mannschaft", antwortete dieser und hinunter: „Es ist Besuch da, Herr Unteroffizier!" Als dann ein rußgeschwärztes Gesicht an der Oberfläche erschien und den Vater erkannte, rief er mit einem lauten Freudenschrei: „Vater, Du hier!" und bald lagen sich beide in den Armen. Auf der Lafette der Feldkanone sitzend, den schützenden Stahlhelm auf dem Kopfe kümmerte es beide wenig, daß der Engländer dieses Wiedersehen abwechselnd durch Schrapnell- und Granatfeuer zu stören suchte. Glückstrahlend erzählt der Sohn seinem Vater all das Große und Schreckliche, was er in der vierwöchigen Frühjahrsoffensive im Siegeszug, hinter dem zurückgehenden Engländer immer in Fühlung bleibend, erlebt hatte. „Und wenn Pferde und Mannschaft mein Geschütz aus den tiefen, wassergefüllten Granattrichtern gar nicht mehr herauskriegten, dann habe ich das um die Radnabe gelegte Seil in die Hand genommen und mit meinen Kräften gezogen, bis das Geschütz heraus war."


Auf die Frage des Vaters, wie er als 18jähriger Unteroffizier mit seinen doch meist über 30 Jahre alten Untergebenen, Ersatz von der Hamburger Wasserkante, auskomme, antwortete er lachend: „Ausgezeichnet, da ich Deinen Rat, als ich ins Feld zog, befolgt habe: „Im Dienst nur Vorgesetzter, außer Dienst aber Kamerad.Auch in der Schlacht antwortet jeder Mann in Haltung: „Zu Befehl, Herr Unteroffizier.Aber wenn das Geschütz Feuerpause hat, kommen sie häufig mit der Bitte: „Herr Unteroffizier, jetzt könnten wir eigentlich einmal wieder Fußball spielen, Ringen, Speerwerfen oder sonstige Turnspiele machen, die Sie uns beigebracht haben. Nur Wettlaufen kann ich nicht mehr wegen der entsetzlichen Blasen unter den Füßen, denn wir sind vollständig verlaust, da wir seit 4 Wochen nicht aus den Sachen gekommen sind.Daß dies noch viel schlimmer war, sah der Vater mit Entsetzen, als er kurze Zeit darauf beim Durchmarsch des Regiments seinem Sohn in Lambrai nach einem reinigenden, warmen Vollbad die Blasen öffnen und verbinden konnte. Als der hierbei helfende Sanitätsunteroffizier erstaunt fragte, warum er sich bei einem solch schmerzhaften Leiden nicht krank gemeldet habe, antwortete er lachend: „Ich werde doch wegen einer solchen Kleinigkeit meine Leute nicht im Stich lassen.Wie neugeboren kam sich jetzt der junge Krieger vor, nachdem er in die neue Wäsche, neue Uniform, neue hohe Reiterstiefel eingekleidet war, welche der fürsorgliche Vater im Austausch für die verlausten und zerrissenen Sachen besorgt hatte. —  
Auf die Frage des Vaters, wie er als 18jähriger Unteroffizier mit seinen doch meist über 30 Jahre alten Untergebenen, Ersatz von der Hamburger Wasserkante, auskomme, antwortete er lachend: „Ausgezeichnet, da ich Deinen Rat, als ich ins Feld zog, befolgt habe: „Im Dienst nur Vorgesetzter, außer Dienst aber Kamerad." Auch in der Schlacht antwortet jeder Mann in Haltung: „Zu Befehl, Herr Unteroffizier." Aber wenn das Geschütz Feuerpause hat, kommen sie häufig mit der Bitte: „Herr Unteroffizier, jetzt könnten wir eigentlich einmal wieder Fußball spielen, Ringen, Speerwerfen oder sonstige Turnspiele machen, die Sie uns beigebracht haben. Nur Wettlaufen kann ich nicht mehr wegen der entsetzlichen Blasen unter den Füßen, denn wir sind vollständig verlaust, da wir seit 4 Wochen nicht aus den Sachen gekommen sind." Daß dies noch viel schlimmer war, sah der Vater mit Entsetzen, als er kurze Zeit darauf beim Durchmarsch des Regiments seinem Sohn in Lambrai nach einem reinigenden, warmen Vollbad die Blasen öffnen und verbinden konnte. Als der hierbei helfende Sanitätsunteroffizier erstaunt fragte, warum er sich bei einem solch schmerzhaften Leiden nicht krank gemeldet habe, antwortete er lachend: „Ich werde doch wegen einer solchen Kleinigkeit meine Leute nicht im Stich lassen." Wie neugeboren kam sich jetzt der junge Krieger vor, nachdem er in die neue Wäsche, neue Uniform, neue hohe Reiterstiefel eingekleidet war, welche der fürsorgliche Vater im Austausch für die verlausten und zerrissenen Sachen besorgt hatte. —  


Als ihm aber der Vater in der nur wenige Kilometer von Lambrai entfernten Ortschaft, in welcher das Regiment Marschquartier bezogen hatte, in der kühlen Nacht durch die Ortskommandantur in einem Bauernhaus Quartier beschaffen wollte, lehnte der Sohn dies energisch ab mit den Worten: „Ich habe seit 4 Wochen verlernt, in einem Bett zu schlafen; ich werde mich in eine Pferdedecke gehüllt mit meinen Mannschaften neben das Geschütz unter freiem Himmel legen, wie wir das gewohnt sind.
Als ihm aber der Vater in der nur wenige Kilometer von Lambrai entfernten Ortschaft, in welcher das Regiment Marschquartier bezogen hatte, in der kühlen Nacht durch die Ortskommandantur in einem Bauernhaus Quartier beschaffen wollte, lehnte der Sohn dies energisch ab mit den Worten: „Ich habe seit 4 Wochen verlernt, in einem Bett zu schlafen; ich werde mich in eine Pferdedecke gehüllt mit meinen Mannschaften neben das Geschütz unter freiem Himmel legen, wie wir das gewohnt sind."


Während der Ruhezeit des Regiments in der schönen belgischen Stadt Tournai verlebten Vater und Sohn noch herrliche Stunden als treue Kameraden. Als am 22. Juli 1918 das Regiment während eines erneuten Besuches des Vaters in Tournai dieses schöne Ruhequartier plötzlich verlassen mußte, um an der Front mit unbekanntem Ziele wieder eingesetzt zu werden, sahen sich Vater und Sohn zum letzten Male in die Augen und nahmen Abschied voneinander für Zeit und Ewigkeit. Der junge Krieger zog jedoch in strahlender Begeisterung und mutigem Stolz wieder hinaus zum blutigen Kampf, war er doch jetzt Geschützführer einer Infanteriebegleitbatterie geworden, deren Aufgabe es war, losgelöst vom Regiment, mit der Infanterie zum Sturme vorzugehen, auf offenem Felde aufzufahren und besonders die angreifenden Tanks durch direkten Schuß niederzukämpfen.
Während der Ruhezeit des Regiments in der schönen belgischen Stadt Tournai verlebten Vater und Sohn noch herrliche Stunden als treue Kameraden. Als am 22. Juli 1918 das Regiment während eines erneuten Besuches des Vaters in Tournai dieses schöne Ruhequartier plötzlich verlassen mußte, um an der Front mit unbekanntem Ziele wieder eingesetzt zu werden, sahen sich Vater und Sohn zum letzten Male in die Augen und nahmen Abschied voneinander für Zeit und Ewigkeit. Der junge Krieger zog jedoch in strahlender Begeisterung und mutigem Stolz wieder hinaus zum blutigen Kampf, war er doch jetzt Geschützführer einer Infanteriebegleitbatterie geworden, deren Aufgabe es war, losgelöst vom Regiment, mit der Infanterie zum Sturme vorzugehen, auf offenem Felde aufzufahren und besonders die angreifenden Tanks durch direkten Schuß niederzukämpfen.


Sein unbegrenztes Gottvertrauen ließ ihm das Gefühl der Sorge um Leben und Gesundheit gar nicht aufkommen. Noch im vorletzten Brief an seine Mutter schrieb er: „Gott wird mir auch weiter helfen. Ich weiß ja auch, daß die liebe Mutter täglich für mich betet, und wie sollte das Gebet meiner lieben Mutter nicht erhört werden?
Sein unbegrenztes Gottvertrauen ließ ihm das Gefühl der Sorge um Leben und Gesundheit gar nicht aufkommen. Noch im vorletzten Brief an seine Mutter schrieb er: „Gott wird mir auch weiter helfen. Ich weiß ja auch, daß die liebe Mutter täglich für mich betet, und wie sollte das Gebet meiner lieben Mutter nicht erhört werden?"


Doch Gott hatte es anders bestimmt. Am 10. August 1918 abends 9 Uhr 50 Minuten traf ihn dicht neben seinem Geschütz in der Feuerstellung auf den bewaldeten Höhen bei Brenelle, südlich der Aisne, östlich von Soissons, eine feindliche Giftgranate und zerschmetterte ihm den rechten Oberschenkelknochen, durchbohrte den linken Fuß und zerriß die Weichteile des rechten Unterschenkels. Ohne ein Wort der Schmerzäußerung sagte er zu dem mit den Mannschaften herbeieilenden Offizier der Batterie: „Ich bin wohl schwer verwundet und muß nun vielleicht den Beruf, den ich selbst erwählte, aufgeben. Benachrichtigt sofort meinen Vater, den Kommandanturarzt von Cambrai. Diese Beruhigung muß ich noch haben. Dann schafft mich fort!Notdürftig bei der Infanterie verbunden, wurde er mit ungeschientem Oberschenkelbruch auf ungefedertem Essentransportwagen nach dem 8 km zurückliegendem Hauptverbandsplatz bei Ostel geschafft, wo er geschient und neu verbunden wurde. Aetzstreifen im Gesicht und auf der Brust bewiesen, daß es sich um eine Giftgasgranate gehandelt hatte. Deshalb wohl konnte auch die ärztliche Kunst und Fürsorge während der Nacht das fliehende Leben nicht erhalten. Der telegraphisch benachrichtigte und mit Kraftwagen sofort herbeigeeilte Vater fand seinen innig geliebten, stattlichen Sohn als Leiche vor. Die letzten Worte des jungen Helden waren gewesen: „Ich will zu Vater und Mutter.Diesen letzten Wunsch konnte der schwer geprüfte Vater ihm erfüllen, indem er die Leiche auch dieses zweiten vor dem Feind gefallenen Sohnes in langer, befchwerlicher Autofahrt auf teilweise noch unter feindlichem Artilleriefeuer liegenden, granatzerwühlten Wegen bis zu einem größeren Etappenhauptwagen eines Urlauberzuges in die Heimat überführte. In seiner Vaterstadt Nordhausen fand der tote Held am 19. August neben seinem ihm stets im Leben wie nun auch im Heldentode vorbildlich gewesenen älteren Bruder Hans, ebenso wie dieser erst 18^ Jahre alt, die letzte Ruhe zu einer Zeit, wo noch die aus dem klassischen Altertum überlieferten Worte Geltung hatten: „Dulce et decorum est pro patria mori.“
Doch Gott hatte es anders bestimmt. Am 10. August 1918 abends 9 Uhr 50 Minuten traf ihn dicht neben seinem Geschütz in der Feuerstellung auf den bewaldeten Höhen bei Brenelle, südlich der Aisne, östlich von Soissons, eine feindliche Giftgranate und zerschmetterte ihm den rechten Oberschenkelknochen, durchbohrte den linken Fuß und zerriß die Weichteile des rechten Unterschenkels. Ohne ein Wort der Schmerzäußerung sagte er zu dem mit den Mannschaften herbeieilenden Offizier der Batterie: „Ich bin wohl schwer verwundet und muß nun vielleicht den Beruf, den ich selbst erwählte, aufgeben. Benachrichtigt sofort meinen Vater, den Kommandanturarzt von Cambrai. Diese Beruhigung muß ich noch haben. Dann schafft mich fort!" Notdürftig bei der Infanterie verbunden, wurde er mit ungeschientem Oberschenkelbruch auf ungefedertem Essentransportwagen nach dem 8 km zurückliegendem Hauptverbandsplatz bei Ostel geschafft, wo er geschient und neu verbunden wurde. Aetzstreifen im Gesicht und auf der Brust bewiesen, daß es sich um eine Giftgasgranate gehandelt hatte. Deshalb wohl konnte auch die ärztliche Kunst und Fürsorge während der Nacht das fliehende Leben nicht erhalten. Der telegraphisch benachrichtigte und mit Kraftwagen sofort herbeigeeilte Vater fand seinen innig geliebten, stattlichen Sohn als Leiche vor. Die letzten Worte des jungen Helden waren gewesen: „Ich will zu Vater und Mutter." Diesen letzten Wunsch konnte der schwer geprüfte Vater ihm erfüllen, indem er die Leiche auch dieses zweiten vor dem Feind gefallenen Sohnes in langer, befchwerlicher Autofahrt auf teilweise noch unter feindlichem Artilleriefeuer liegenden, granatzerwühlten Wegen bis zu einem größeren Etappenhauptwagen eines Urlauberzuges in die Heimat überführte. In seiner Vaterstadt Nordhausen fand der tote Held am 19. August neben seinem ihm stets im Leben wie nun auch im Heldentode vorbildlich gewesenen älteren Bruder Hans, ebenso wie dieser erst 18^ Jahre alt, die letzte Ruhe zu einer Zeit, wo noch die aus dem klassischen Altertum überlieferten Worte Geltung hatten: „Dulce et decorum est pro patria mori.“


::<small>Paul Förstemanns letzter Brief vom 10. VIII. 18, eine halbe<br>Stunde vor seinem Tode an seine Mutter geschrieben, von<br>seinem Vater noch in der Brieftasche des Gefallenen gefunden:</small>
::<small>Paul Förstemanns letzter Brief vom 10. VIII. 18, eine halbe<br>Stunde vor seinem Tode an seine Mutter geschrieben, von<br>seinem Vater noch in der Brieftasche des Gefallenen gefunden:</small>
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