Bearbeiten von „Carl Christian Friedrich Fischer. Ein Lebensbild

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Der Vater, selbst unter den barbarischen Erziehungsmethoden eines kleineren Bürgerhauses in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufgewachsen, war ein strenger, starrköpfiger Mann, dazu enttäuscht und mürrisch, seit 1808 Rentmeister in dem schullosen Griefstedt. So mußte der kleine sechsjährige Karl auf die Volksschule nach Erfurt, und da diese garnichts leistete, mußte er nach 1½ Jahren zurück unter die Hand seines Vaters, der nunmehr die Belehrung des Knaben selbst übernahm.
Der Vater, selbst unter den barbarischen Erziehungsmethoden eines kleineren Bürgerhauses in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufgewachsen, war ein strenger, starrköpfiger Mann, dazu enttäuscht und mürrisch, seit 1808 Rentmeister in dem schullosen Griefstedt. So mußte der kleine sechsjährige Karl auf die Volksschule nach Erfurt, und da diese garnichts leistete, mußte er nach 1½ Jahren zurück unter die Hand seines Vaters, der nunmehr die Belehrung des Knaben selbst übernahm.


Selten ist ein Vater ein guter Lehrer seiner eigenen Kinder. Woran es liegt? Vielleicht daran, daß zu viele Ablenkungen vorhanden sind, eine bestimmte Zeit zur Belehrung an einem geeigneten Orte nicht innegehalten wird; mehr als bei anderen Verrichtungen müssen ja beim Unterricht die Persönlichkeiten aufeinander eingestellt und diese wieder beeinflußt sein von der ganzen über der Umgebung liegenden, der Aufgeschlossenheit von Lehrer und Schüler entgegenkommenden Stimmung. Vielleicht liegt es aber auch daran, daß die Eigenliebe des Vaters zu viel von der Befähigung des Sohnes erwartet und zu schnell gekränkt ist, wenn zunächst nichts weiter sichtbar wird, als daß dem eigenen Sohne wie anderen Kindern auch keine Siebenmeilenstiefel passen, sondern Knabenschuhe, mit denen er seine braven Knabenschritte oder aber auch seine weniger braven Knabensprünge macht. Jedenfalls: Selten ist ein Vater ein guter Lehrer seiner eigenen Kinder. Vater Fischer war der denkbar schlechteste. Bald kam es zu den fürchterlichsten Auftritten; bald gelang auch dem gesunden Verstände und der zärtlichen Aufopferung der Mutter die Vermittlung und Glättung nicht mehr. Der Sohn selbst hat uns eine Anmerkung darüber hinterlassen, wie der Vater dem Achtjährigen die lateinische Sprache beizubringen suchte: „Er fing die Sache von hinten an, nämlich mit dem Uebersetzen.“ Diese Methode nennt der große Pädagoge und spätere Direktor der Realschule zu Nordhausen „lächerlich“. Heute möchten es wohl weite Kreise von Sprachlehrern mit dem alten Fischer halten und die Ansicht des Direktors Fischer als höchst rückständig bezeichnen, der hübsch säuberlich erst die Formen-, dann die Satzlehre vermittelt und einübt, und es erst danach sehr vorsichtig mit dem Uebersetzen versucht. So wechseln die Anschauungen über Didaktik und streiten noch heut' miteinander. Wahrscheinlich werden tote Sprachen eine andere Lehrweise erfordern als lebende, und ein Knäblein, dem der Formenschatz und der Satzbau der Muttersprache kaum geläufig, verlangt eine andere Behandlung als der Jüngling, dem bei größerer Keberschau Eingliederung und Verbindung gar leicht gelingt. Kurzum: Noch der reife Mann kopfschüttelte über die Erziehungskünste seines Vaters und erinnerte sich wehmütig des Austrittes, da sein Vater ihn voll Bitterkeit für einen ausgemachten Dummkopf erklärte und die Mutter darauf bestand, daß dieser häusliche Unterricht nicht mehr fortgesetzt werde.<ref>Vergl. zur Geschichte der Methodik des Lateinunterrichts in Nordhausen: Silberborth, Geschichte des Nordhäuser Gymnasiums, 1923, 25 f. Walther, Der lat. Unterricht bis zur Mitte des 18. Jahrh. am Gymnasium zu Nordhausen in: Festschrift zur Vierhundertjahrfeier des Gymnasiums zu Nordhausen, 1924, 12 ff.</ref>
Selten ist ein Vater ein guter Lehrer seiner eigenen Kinder. Woran es liegt? Vielleicht daran, daß zu viele Ablenkungen vorhanden sind, eine bestimmte Zeit zur Belehrung an einem geeigneten Orte nicht innegehalten wird; mehr als bei anderen Verrichtungen müssen ja beim Unterricht die Persönlichkeiten aufeinander eingestellt und diese wieder beeinflußt sein von der ganzen über der Umgebung liegenden, der Aufgeschlossenheit von Lehrer und Schüler entgegenkommenden Stimmung. Vielleicht liegt es aber auch daran, daß die Eigenliebe des Vaters zu viel von der Befähigung des Sohnes erwartet und zu schnell gekränkt ist, wenn zunächst nichts weiter sichtbar wird, als daß dem eigenen Sohne wie anderen Kindern auch keine Siebenmeilenstiefel passen, sondern Knabenschuhe, mit denen er seine braven Knabenschritte oder aber auch seine weniger braven Knabensprünge macht. Jedensalls: Selten ist ein Vater ein guter Lehrer seiner eigenen Kinder. Vater Fischer war der denkbar schlechteste. Bald kam es zu den fürchterlichsten Auftritten; bald gelang auch dem gesunden Verstände und der zärtlichen Ausopserung der Mutter die Vermittlung und Glät- tung nicht mehr. Der Sohn selbst hat uns eine Anmerkung darüber hinterlassen, wie der Vater dem Achtjährigen die lateinische Sprache beizubringen suchte: „Er fing die Sache von hinten an, nämlich mit dem Uebersetzen.“ Diese Methode nennt der große Pädagoge und spätere Direktor der Realschule zu Nordhausen „lächerlich“. Heute möchten es wohl weite Kreise von Sprachlehrern mit dem alten Fischer halten und die Ansicht des Direktors Fischer als höchst rückständig bezeichnen, der hübsch säuberlich erst die Formen-, dann die Satzlehre vermittelt und einübt, und es erst danach sehr vorsichtig mit dem Uebersetzen versucht. So wechseln die Anschauungen über Didaktik und streiten noch heut' miteinander. Wahrscheinlich werden tote Sprachen eine andere Lehrweise erfordern als lebende, und ein Knäblein, dem der Formenschatz und der Satzbau der Muttersprache kaum geläufig, verlangt eine andere Behandlung als der Jüngling, dem bei größerer Keberschau Eingliederung und Verbindung gar leicht gelingt. Kurzum: Noch der reife Mann kopfschüttelte über die Erziehungskünste seines Vaters und erinnerte sich wehmütig des Austrittes, da sein Vater ihn voll Bitterkeit für einen ausgemachten Dummkopf erklärte und die Mutter darauf bestand, daß dieser häusliche Unterricht nicht mehr fortgesetzt werde.<ref>Vergl. zur Geschichte der Methodik des Lateinunterrichts in Nordhausen: Silberborth, Geschichte des Nordhäuser Gymnasiums, 1923, 25 f. Walther, Der lat. Unterricht bis zur Mitte des 18. Jahrh, am Gymnasium zu Nordhausen in: Festschrift zur Vierhundertjahrfeier des Gymnasiums zu Nordhausen, 1924, 12 ff.</ref>


Die brave Mutter war es auch, die den verfahrenen Wagen wieder auf das rechte Gleis zu bringen verstand. Ihr wohnte im nahen Weißensee ein Verwandter, der Hofrat Kirsten, dem ein Leben zu führen beschieden war, so wünschbar wie nur möglich in jener weltbürgerlichen, bildungseifrigen Zeit. Kirsten war Erzieher der Söhne eines Herrn von Arnim gewesen, und, seltsam für unsere Zeit, selbstverständlich für jene: den tüchtigen, teilnahmvollen Erzieher begleitete der Dank der Zöglinge und ihres Vaters über die Zeit seiner Wirksamkeit hinaus bis an das Lebensende, und zwar nicht bloß in aufmerksamen Worten, sondern in höchst greifbaren Werken. Arnim hatte Kirsten eine lebenslängliche Rente von 400 Talern ausgesetzt, eine Summe, die damals fast dem Gehalt eines höheren Beamten gleichkam.<ref>In Nordhausen wohnte in jenen Tagen der Privatgelehrte Friedr. Wilh. Ehrhardt, der ein ähnlich beschauliches Dasein wie Kirsten führte und von einer Lebensrente zehrte, die ihm die Familie von Bethmann in Frankfurt, in der er Hauslehrer gewesen war, ausgeworfen hatte. — Der Fabrikant und spätere Rentner Herm. Arnold in Nordhausen ließ seinem Lehrer, dem Prof. Kützing, ein Denkmal setzen. — Dieses uns so ferne 19. Jahrhundert war doch eine merkwürdige Zeit mit einem uns nicht mehr verständlichen Gefühlsleben!</ref> So konnte sich Kirsten in Weißensee beschaulich und sorglos unter seinen Büchern einrichten und zu seiner Erbauung unentgeltlich die Söhne befreundeter Eltern unterrichten. Diesen wohlgeprüften und erfahrenen Erzieher bat Mutter Fischer um sein Urteil über den offenbar mißratenen Sohn Carl, und damit dieses Urteil alle erdenkliche Sicherheit gewähre, sollte sich der damals neunjährige Knabe auf vier Wochen „zur Probe“ nach Weißensee begeben. Das Debüt war glänzend. Der gute Großvater Kirsten, wie ihn der Knabe bald nannte, erklärte ihn nicht nur für ein feines, kluges Köpfchen, sondern gewann ihn durch sein bald knabenhaft keckes, bald gefühlvoll unsicheres, immer aber aufgeschlossenes Verhalten so lieb, daß er ihn völlig bei sich aufnahm und ihn, als er seinen erwachsenen Sohn und gleich darauf seine Gemahlin verlor, wie sein eigenes Kind hielt und erzog.
Die brave Mutter war es auch, die den verfahrenen Wagen wieder auf das rechte Gleis zu bringen verstand. Ihr wohnte im nahen Weißensee ein Verwandter, der Hofrat Kirsten, dem ein Leben zu führen beschieden war, so wünschbar wie nur möglich in jener weltbürgerlichen, bildungseifrigen Zeit. Kirsten war Erzieher der Söhne eines Herrn von Arnim gewesen, und, seltsam für unsere Zeit, selbstverständlich für jene: den tüchtigen, teilnahmvollen Erzieher begleitete der Dank der Zöglinge und ihres Vaters über die Zeit seiner Wirksamkeit hinaus bis an das Lebensende, und zwar nicht bloß in aufmerksamen Worten, sondern in höchst greifbaren Werken. Arnim hatte Kirsten eine lebenslängliche Rente von 400 Talern ausgesetzt, eine Summe, die damals fast dem Gehalt eines höheren Beamten gleichkam.<ref>In Nordhausen wohnte in jenen Tagen der Privatgelehrte Friedr. Wilh. Ehrhardt, der ein ähnlich beschauliches Dasein wie Kirsten führte und von einer Lebensrente zehrte, die ihm die Familie von Bethmann in Frankfurt, in der er Hauslehrer gewesen war, ausgeworfen hatte. — Der Fabrikant und spätere Rentner Herm. Arnold in Nordhausen ließ seinem Lehrer, dem Prof. Kützing, ein Denkmal setzen. — Dieses uns so ferne 19. Jahrhundert war doch eine merkwürdige Zeit mit einem uns nicht mehr verständlichen Gefühlsleben!</ref> So konnte sich Kirsten in Weißensee beschaulich und sorglos unter seinen Büchern einrichten und zu seiner Erbauung unentgeltlich die Söhne befreundeter Eltern unterrichten. Diesen wohlgeprüften und erfahrenen Erzieher bat Mutter Fischer um sein Urteil über den offenbar mißratenen Sohn Carl, und damit dieses Urteil alle erdenkliche Sicherheit gewähre, sollte sich der damals neunjährige Knabe auf vier Wochen „zur Probe“ nach Weißensee begeben. Das Debüt war glänzend. Der gute Großvater Kirsten, wie ihn der Knabe bald nannte, erklärte ihn nicht nur für ein feines, kluges Köpfchen, sondern gewann ihn durch sein bald knabenhaft keckes, bald gefühlvoll unsicheres, immer aber aufgeschlossenes Verhalten so lieb, daß er ihn völlig bei sich aufnahm und ihn, als er seinen erwachsenen Sohn und gleich darauf seine Gemahlin verlor, wie sein eigenes Kind hielt und erzog.
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