Spiegel’sches Haus

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Spiegel’sche Haus (2023)

Das Spiegel’sche Haus (auch Spiegelsches Gutshaus, Herrenhaus Werna) ist das repräsentative Herrenhaus des ehemaligen Ritterguts in Werna. Der langgestreckte, zweigeschossige Fachwerkbau mit markantem, vierfach vorgekragtem Schweifgiebel entstand 1661/1662, wurde 1831/1832 konstruktiv umfassend restauriert und 1883 durch den hannoverschen Architekten Ferdinand Schorbach historisierend überformt. Das Gebäude gilt als bedeutendes Beispiel der Gutshausarchitektur des 17. Jahrhunderts in Nordthüringen und als qualitätvolle – wenn auch nur teilweise realisierte – Leistung der Hannoverschen Schule im späten 19. Jahrhundert.

Die Bezeichnung „Spiegel’sches Haus“ verweist auf die seit dem späten 16. Jahrhundert hier ansässige Familie Freiherren Spiegel von und zu Peckelsheim.

Lage und Ortsgeschichte

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Das Spiegel’sche Haus gehört zu einem ausgedehnten Gutshof am nordwestlichen Ortsrand, dessen Areal auf Ost- und Westseite von zwei Armen der Sülze – einem linken Nebenfluss der Zorge – begrenzt wird. Südwestlich, durch die Straße getrennt, erhebt sich die Dorfkirche. Der Hof war bis nach dem Zweiten Weltkrieg als nach Süden offener Dreiflügelkomplex ausgebildet (Ostflügel Herrenhaus). Die westlichen Wirtschaftsgebäude (Scheune, Stallungen) wurden um 1965 abgebrochen; erhalten blieben das nördlich gelegene, stark überformte Inspektorenhaus und ruinöse Speicherfragmente. Als Baumaterial dominiert der lokal anstehende rotviolette Rhyolith (Bruch- und Haustein in Gipsmörtel), ergänzt um roten Sandstein (wohl Walkenrieder Sandstein) für Werksteine; beim Umbau von 1883 kamen Muschelkalk und feinkörniger roter Buntsandstein hinzu.

Ein im Zehntverzeichnis des Klosters Fulda von 874 genannter Ort „Eierina“ wird mit Werna gleichgesetzt; der davor genannte Name „Alarichi“ entspricht dem benachbarten Ellrich. Im 12. Jahrhundert war Werna Teil der Grafschaft Hohnstein. Dienstmannen der Hohnsteiner Grafen nennen sich nach dem Ort; 1233 ist ein Dietrich von Wernha belegt. 1273 erscheint Heinrich von Werna als gräflicher Offizial auf dem Landding in Nordhausen, 1276 vermutlich derselbe als Vogt von Werna. Diese Herren saßen mit Sicherheit auf einem Hof an der Stelle des späteren Gutes mit dem Spiegel’schen Haus.

Besitz- und Nutzungsgeschichte des Gutes

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1402 gelangte Werna im Zuge der Heirat Heinrichs VII. Reuß zu Gera mit Gräfin Lutrade von Hohnstein in reußischen Besitz. Später kam das Gut als Lehen an die Herren von Wurmb und 1585 an die aus dem Westfälischen stammenden Herren von Spiegel zu Peckelsheim. Die Spiegel errichteten kurz nach der Übernahme ein Herrenhaus (belegt u. a. durch 1590 datierte, wiederverwendete Fenstergewände mit Familienwappen). Das Gebäude von 1590 wurde vermutlich im Dreißigjährigen Krieg zerstört.

Nach der Erbauung des heutigen Hauses (1661/1662) blieb das Gut im Besitz der Familie von Spiegel. Spätestens in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg war es verpachtet (Inventar 1940 nennt einen Pächter Dr. Helwes; Eigentümerin war Charlotte Freiin Spiegel von und zu Peckelsheim). Im Zuge der Bodenreform 1945/46 wurde die Familie enteignet; das Gut zerschlagen. Im Herrenhaus richtete man zunächst ein „Feierabendheim“, 1975 ein Pflegeheim für psychisch Kranke ein, das bis 1997 bestand. Danach steht das Gebäude leer; 1986 und 1992 erfolgten punktuelle Sicherungs- und Instandsetzungsmaßnahmen (u. a. Rückverankerung des Südgiebels, Teildachneueindeckung, Sicherung der Kellergewölbe).

Vorgängerbau (um 1590)

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An der Südgiebel-Erdgeschosszone befinden sich drei zweibahnige Rechteckfenster mit reich profilierten, gestäbten Gewänden aus Rotliegend-Sandstein. Am östlichen Gewände ist die Jahreszahl 1590 und das Spiegel-Wappen (drei rund dargestellte Spiegel) angebracht. Trotz sekundärer Einbaulage ist der Stein authentisch und dem 16. Jahrhundert zuzuordnen. Diese Bauteile wurden beim Neubau von 1661/1662 bewusst wiederverwendet.

Primärbau (1661/1662)

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Dendrochronologische Daten aus Dachwerk und Tragkonstruktion datieren den Neubau auf die Bausaison 1662: ein zweigeschossiger Fachwerkbau mit Satteldach und reich profiliertem, vierfach vorkragendem Schaugiebel nach Süden. Der rechteckige Bau (Südseite abgeschrägt) misst ca. 15,50 m × bis zu 55,60 m; die Bruttogrundfläche je Geschoss beläuft sich auf etwa 850 m². Fachwerk in Stockwerkbauweise mit mehrfacher Vorkragung, Oberstock als Ständerkonstruktion mit zweifacher Verriegelung; Zierformen: geschweifte und genaste Andreaskreuze sowie Rautenkreuze in der Brüstungszone, geschweifte/genaste Gegenstreben und Kopfwinkelhölzer; profilierte Balkenköpfe und Füllhölzer. Eckstiele im Südosten/Südwesten zeigen geschnitztes Laubwerk.

Die westliche Traufseite trug diese Schauformen in ganzer Länge (Zapfenloch-Befunde im Oberstockrähm); die östliche Traufe war im nördlichen Bereich schlichter konstruktiv gefasst. Das Kellergeschoss umfasste ursprünglich die südliche Hälfte mit drei großen, mehrjochigen Kreuzgratgewölben, verbunden durch Tonnenkeller. Eine Rundbogenpforte mit gefälztem Werksteingewände (Zweiteiligkeit des Bogens mit Scheitelstein; Schalbrettabdrücke im Mörtel) verweist auf eine Entstehung im 17. Jahrhundert.

Die Grundrissstruktur ist besonders am Südende ablesbar: drei Stuben im Erdgeschoss entlang des Südgiebels (entsprechende Disposition im Obergeschoss), eine steinerne Ostwand deutet auf eine dortige Küche; in einer Obergeschoss-Stube ist ein Eckkamin des 17. Jahrhunderts erhalten. Die Deckenbalken spannen Nord–Süd und liegen auf drei Längsunterzügen (in den Viertelspunkten), die über Stützen/Kopfbänder ausgesteift sind. Das Dachwerk ist ein zweifaches Kehlbalkendach mit liegendem Stuhl in unterem und oberem Dachgeschoss; zusätzlich ein stehender Stuhl auf der Mittelachse im unteren Dachgeschoss; Längsaussteifung über Windverbände. Die Abbundzeichen belegen ein Aufschlagen vom Südgiebel nach Norden. Zwischen den Giebeln liegen neun Vollgespärre, jeweils drei bzw. vier Leergespärre; in Gespärre 23 befindet sich ein Hängesprengewerk, Hinweis auf einen ehemals größeren Saal in Gebäudemitte.

Reparaturen und Umbauten (1831/1832)

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1831/1832 wurden die östliche und westliche Traufwand im mittleren und nördlichen Drittel in beiden Geschossen vollständig erneuert – vermutlich wegen statisch-konstruktiver Schäden, begünstigt durch die Nutzung als Speicher. Die neuen Fachwerkwände wurden innen vor die alten Außenwände gestellt; nach Abbruch der alten lagen die neuen Konstruktionen um eine Wanddicke nach innen versetzt (sichtbarer Versatz um eine Stieltiefe an der Westtraufe zwischen älterem Süd- und jüngerem Nordteil). Das Dachwerk blieb unangetastet; die Oberstockrähme wurden an Ort und Stelle belassen und an die neuen Wände angebunden. Die Erneuerungen zeigen schlichte Ständerkonstruktionen mit zweifacher Verriegelung; Ausfachung aus Zinseiwerk mit Lehmbewurf; neuer Bruchsteinsockel (Rhyolith) mit Backstein-Rollschicht.

Die Bauaufnahme von 1883 überliefert die Nutzung nach den Veränderungen: südliche Gebäudehälfte als Wohntrakt, nördliche als Wirtschaftsbereich (im Obergeschoss Fruchtboden mit regelmäßigen querrechteckigen Luftöffnungen; im Erdgeschoss u. a. Küche, Waschküche, Brauraum). Im Wohnteil datieren große Säle/Stuben (z. B. EG-West 0.17/0.18; OG 1.22/1.23/1.24) in diese Phase; sie besitzen Dielenböden mit aufwändigen Gehrungsfriesen und große Kreuzstockfenster. Nördlich wurde zwischen Erd- und Obergeschoss ein Zwischengeschoss eingezogen. Die Kelleranlage wurde um zwei seitliche Kellerräume mit backsteinernen Kappengewölben auf Gurtbögen erweitert.

Historisierender Umbau (1883) durch Ferdinand Schorbach

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1883 verfolgte Ferdinand Schorbach (1846–1912) – ein profilierter Vertreter der Hannoverschen Schule und früherer Teilhaber im Büro Edwin Oppler – das Ziel, dem schlichten Erscheinungsbild (außer dem Südteil) einen schlossartigen Charakter zu geben. Der malerisch-opulente Entwurf mit zahlreichen Erkern und übergiebelten Risaliten in Anlehnung an Renaissance-Fachwerk blieb jedoch nur teilweise umgesetzt. Vollständig ausgeführt wurde ein östlicher Risalit mit Laube und Schweifgiebel; auf der Westseite entstanden zwei Risalite (mittlerer mit Treppenhaus) nur eingeschossig bzw. bis Obergeschoss; ein geplanter kleiner West- und großer Südost-Erker unterblieben.

Am Außenbau ist 1883 die steinerne Erneuerung des Unterstockes der Traufseiten prägend: Backsteinmauerwerk mit vorgeblendeter, polygonal gefügter Muschelkalk-Schale; farblich abgesetzter Sockel aus rotem/rotviolettem Rhyolith; reich profilierte ein- und zweibahnige Fenstergewände aus rotem Buntsandstein (teilweise mit korbbogigen Blend-Entlastungsbögen in Anlehnung an die 16.-Jh.-Fenster des Südgiebels). Besonders aufwändig ist das rundbogige Hauptportal an der Westtraufe mit seitlichen Sitznischen und giebelartigem Abschluss auf Konsolen. Im Obergeschoss blieb das ältere Fachwerk im Wesentlichen erhalten.

Im Inneren orientierte man sich an der überlieferten Raumdisposition, erneuerte jedoch die gesamte Raumhülle als hochqualitative, variantenreiche Ausstattung: Rahmen-Füllungs­türen mit Bekleidungen, verschiedenartige Fenster (u. a. Bleiverglasung, innenliegende Faltläden, teils Schiebefenster mit integrierten Rollläden), Lambrien, Öfen und Kamine, Spiegelgewölbe, Stuckdecken, kassettierte Balkendecken, mit Stuckleisten gefasste Deckenbalken sowie Terrazzoböden. Herausragend sind der repräsentative Salon (EG R. 0.10), das „Wohnzimmer der Frau“ (EG R. 0.12) und die große Diele (EG R. 0.16); im Obergeschoss u. a. die Diele R. 1.21. Trotz der fragmentarischen Ausführung besitzt die Ausstattung den Charakter eines Gesamtkunstwerks.

Nutzung und Veränderungen ab dem 20. Jahrhundert

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Die Einrichtung eines Feierabendheims (ab 1945) bzw. eines Pflegeheims für psychisch Kranke (1975 bis 1997) führte nur zu geringfügigen Nutzungsanpassungen (u. a. im Küchen- und Sanitärbereich, wenige Zwischenwände, Umnutzung einzelner Türen zu Wandschränken). Große Teile der Ausstattung von 1883 blieben nahezu unversehrt. In den 1970er-Jahren wurden im nördlichen Obergeschoss zwei Räume ergänzt und Nachtspeicheröfen installiert; dazu wurden in Fußbodenhöhe kleine Öffnungen in den Fachwerkwänden angelegt.

1992 nahm man Sicherungen am Südgiebel (Abnahme der geschweiften Ortganghölzer und Einlagerung auf dem Dachboden), Teildach-Neudeckung über dem Südteil und Ergänzungen im Keller vor. Seit 1997 ist das Gebäude ungenutzt.

Das Spiegel’sche Haus ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert: zum einen als großmaßstäblicher, reich gestalteter Fachwerkbau des späten 17. Jahrhunderts mit kombinierter Wohn- und Wirtschafts­funktion unter einem Dach; zum anderen als Beispiel einer qualitätvollen historistischen Überformung durch Ferdinand Schorbach, deren innere Ausstattung den Anspruch eines Gesamtkunstwerks erreicht. Trotz unvollendeter Ausführung besitzt die 1883er-Phase hohen kunst- und architekturgeschichtlichen Wert; zugleich dokumentieren die 1831/32er-Reparaturen den praktischen Umgang mit statischen Problemen historischer Großbauten.

Die Phase von 1883 ist im Inneren außergewöhnlich gut überliefert (Türen, Fenster, Lambrien, Decken, Böden); spätere Heimeinbauten blieben geringfügig. Am Außenbau sind der historische Südgiebel (1661/62) und die 1883 steinern erneuerte Erdgeschosszone prägend. Einzelne Sicherungen (u. a. 1986, 1992) stabilisierten kritische Bereiche; nach 1997 führt der Leerstand jedoch zu fortlaufendem Erhaltungsbedarf.

Konstruktion und Materialien

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  • Mauerwerk/Fachwerk: Rhyolith-Bruchstein in Gipsmörtel (Erdgeschoss-Südwand, Teile der Ostwand), Fachwerk in Stockwerkbauweise mit mehrfacher Vorkragung; Oberstock als Ständerkonstruktion. 1883 steinerner Unterstock (Backstein mit Muschelkalk-Vorsatz).
  • Dekor/Profilierung: Gestäbte Fenstergewände des 16. Jh. im Südgiebel; 1883 reiche Sandsteingewände (Wesersandstein?) und Blendbögen; profilierte Füllhölzer, geschnitzte Eckstiele mit Laubwerk; Schweifgiebel nach Süden
  • Dachwerk: Zweifaches Kehlbalkendach; liegender Stuhl unten/oben, stehender Stuhl in der Mitte (unteres DG), Windverbände; neun Vollgespärre, Hängesprengewerk in Gespärre 23
  • Keller: Südliche Haushälfte mit großen Kreuzgratgewölben; verbindende Tonnenkeller; Rundbogenpforte mit gefälztem Gewände (17. Jh.); Erweiterungen um seitliche Kappengewölbe-Keller (frühes 19. Jh.)

Grundriss und Innenräume (Beispiele)

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  • Erdgeschoss (Südteil): Drei Stuben am Südgiebel (17. Jh. Disposition), große Diele, Küche im Osten. Repräsentationsräume der Ausstattung 1883: Salon (R. 0.10) mit weitgehend erhaltener wandfester Ausstattung (Lambrien, Türen/Türbekleidungen, Kassettendecke, Ofen), „Wohnzimmer der Frau“ (R. 0.12) mit Stuckdecke, Schiebefenstern und innenliegenden Faltläden; zentrale Diele (R. 0.16) mit Terrazzoboden, gefasster Balkendecke, Lambrien, Bleiverglasung, Treppe und Kamin.
  • Obergeschoss: Entsprechend gegliederte Südzone mit Stuben (u. a. R. 1.18 mit Eckkamin des 17. Jh.); nördlich Räume mit Kreuzstockfenstern und Dielenböden mit geometrischen Gehrungsfriesen (Umbau 1831/32); Diele R. 1.21 mit Ausstattung von 1883.

Datierung (Dendrochronologie)

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Holzfälljahre aus Dachwerk und Tragkonstruktion belegen den Primärbau 1661/1662. Für die 1883er-Maßnahmen wurden Fälldaten 1880/81 und 1882/83 ermittelt. Damit sind die wesentlichen Bauphasen naturwissenschaftlich abgesichert.

  • Annina Hilfenhaus, Benjamin Rudolph: Zur Baugeschichte des Spiegel’schen Hauses in Werna bei Nordhausen (Thüringen). In: Burgen und Schlösser, 2/2018, S. 109–119.