Die alte Jette

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Schloss Heringen

Auf dem Schlosse zu Heringen lebte vor Zeiten eine getreue Beschließerin, die hieß Jette. Sie war so fleißig und pflichtbewußt, daß sie sich Tag und Nacht keine Ruhe gönnte, um ihren Dienst zu versehen. Auch im Tode fand sie in ihrem Grab keine Ruhe, sondern erschien allnächtlich im Schloss, ging durch alle Räume und sah darauf, ob die Dienstbote ihre Arbeit redlich getan und der Herrschaft nichts entwendet hatten. Um Mitternacht hörte man das Rascheln ihre Kleides und das Klappern des umfänglichen Schlüsselbundes, zuweilen war auch das Bellen ihres Hündchens zu vernehmen, aber sehen konnte man sie nicht.

Alle Bediensteten fürchteten sich sehr, denn wer am Tag träge und unehrlich gewesen war, dem tat die alte Jette in der Nacht viel Ungemach. In späterer Zeit, als das Schloß schon lange nicht mehr bewohnt war, erschien sie oft in Feld und Wald, um die Menschen weiter an ihre Pflicht und Ordnung zu mahnen. Häufig sah man sie in einem stillen Tal, in dem sie zu Lebzeiten oft mit ihrer Herrin spazieren gegangen war, das seitdem Jettental heißt.

Einst fuhr ein Mann mit einem Karren an einem gesegneten Feiertagsmorgen in den Wald, um Holz zu sammeln. Da begegnete ihm die alte Jette in ihrem weißen Totenkleide. Ein Schlüsselbund hing ihr seitwärts am Gürtel und ein weißes Hündchen lief ihr einige Schritte voraus. Sie ging auf den Mann zu und als dieser vor ihrem Anblick nicht entfloh, warf sie schwere Steine nach ihm, daß er doch eiligst nach Hause rannte. Am anderen Tage fand er seinen Karren noch an der Stelle, aber kein Stückchen Holz, sodaß er sich erneut an die Arbeit machen mußte. Zuletzt ist die alte Jette von einem jungen Mann gesehenen worden, der mit dem Fahrrad durch den Wald fuhr. Sie stand so plötzlich vor ihm, daß er zutiefst erschrocken in das Dickicht am Wegrand fiel. Nachdem er sich benommen wieder aufgerappelt hatte, war die Erscheinung entschwunden.