Die Drostin von Haferungen
In der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts gab es in Haferungen eine Drostin. Sie muß eine seltsame herrschsüchtige Frau gewesen sein. Von Zeit zu Zeit wusch sie auf einem Rasenplatz im Sophiengarten auf einem Tuch ihr Erspartes, lauter blanke Taler. Ein vorübergehender Handwerksbursche, dem die vielen blinkenden Goldstücke in die Augen stachen, bat darum, sich eine Handvoll davon nehmen zu dürfen. Er durfte, doch als er später nach dem schönen Geld in seine Tasche griff, fand er nur trockenes Laub.
Einmal hatte die Drostin den Schlüssel zu ihrem Geldschrank verlegt. Der Schlossermeister Gorges aus Haferungen mußte ihn öffnen. Auch seine Augen waren vom Glanz der vielen Goldstücke wie geblendet. „Nimm dir, soviel du zu greifen vermagst,“ sagte die Drostin. Aber die Hände des Schlossers waren wie gelähmt; er konnte nicht zufassen und nicht eine einzige Münze erlangen.
In ihrer Schlafkammer hatte die Drostin ein Zauberbett stehen. Es war den Mägden streng verboten, es in irgendeiner Weise zu benutzen. Aber ein vorwitziges Mädchen legte sich doch einmal hinein. Da fing das Bett an zu rollen, fuhr die Treppe hinab, hinaus auf den Hof und ratterte wie ein Wagen herüber und hinüber. Das Mädchen kam beinahe um vor Schrecken und schrie laut um Hilfe. Gleich kam die Drostin herbei. Sie rief das rasende Bett an, das machte kehrt und polterte die Treppe wieder hinauf in die Kammer und stand an seinem Platz, als war nichts geschehen. Die junge Magd aber stieg heraus und stürzte tot zu Boden.
Wenn die Drostin nicht zu Hause war, gingen die Mägde an alle Vorräte, um zu naschen, heimlich zu backen und sich gütlich zu tun. Die Drostin bemerkte das zwar, doch es wollte ihr nie gelingen, die Dienstboten auf frischer Tat zu ertappen. Eines Tages tat sie, als ob sie verreiste, verwandelte sich aber in eine schwarze Katze und legte sich schnurrend auf die Ofenbank in der Gesindestube. Die Mägde waren geschwind dabei, sich Pfannkuchen zu backen. Als sie aßen, holte sich auch die Katze ein Stück von einem Teller. Die Drostin wollte prüfen, wieviel Fett wohl wieder aus der Vorratskammer genommen worden war. Dabei gab es nun lautes Hallo und Geschrei: „Pfui, du altes Biest! — Steckt das Vieh in den Ofen!“ — Am anderen Morgen lag die Drostin mit Brandwunden an Händen und Füßen schwer krank im Bett.
Die Drostin hatte einen Papagei. Der erzählte seiner Herrin alles, was während ihrer Abwesenheit im Haus vorging. Kein Wunder, daß die Mägde den Vogel haßten. Im Zorn drehte ihm ein junges Ding eines Tages den Hals um. Nicht lange darauf bekam es dafür eine verkümmerte Hand und behielt sie so zeitlebens.