Andries Hilbrant
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Andries Hilbrant (auch Hillebrandsz, Hillebrants, Hildebrand(t); geb. 1620–1625 in Nordhausen; gest. vor Januar 1680 in Amsterdam) war ein Holzblasinstrumentenbauer der niederländischen Barockzeit, der als einer der frühesten professionellen Flötenmacher (fluitemaker) in Amsterdam gilt.
Herkunft und Nordhausen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Andries Hilbrant stammte aus Nordhausen, was durch den Eintrag im Amsterdamer Bürgerbuch vom 22. August 1663 belegt wird, wo er als „Andries Hilbrant van [aus] Noorthuysen fluytemaker" registriert wurde.[1]
Der Name Hilbrant war möglicherweise eine niederländische Schreibweise des deutschen Namens Hildebrand(t), der vereinzelt in der Nordhäuser Geschichte auftaucht. So gab es beispielsweise 1468 einen Nordhäuser Bürgermeister namens Andreas Hildebrand.[2] In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts erscheint der Name Hans Hildebrandt mehrfach in den Nordhäuser Archiven. Im Grund- und Erbbuch der Reichsstadt Nordhausen wird ein Hans Hildebrandt erwähnt, der 1613 das Haus Nr. 551 besaß und 1620 verkaufte.[3]
In einer Übersicht der Einwohner Nordhausens von 1637 lebten insgesamt vier männliche Brotverdiener mit dem Nachnamen Hildebrandt in der Stadt: Hans (Adresse: Unter den Weiden), ein weiterer Hans (Am Frauenberg), Jacob (ebenfalls Am Frauenberg) und Moritz (Flickengasse).[4] In den Beerdigungsregistern der St. Jacobi-Gemeinde wurde ein Hans Hildebrandt am 30. Juni 1639 beigesetzt, dessen erste Frau ihm am 27. Juni 1630 vorausgegangen war.[5]
Die meisten Nordhäuser Kirchenbücher gingen durch die Luftangriffen am 3. und 4. April 1945 verloren.
Leben in Amsterdam
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ankunft und frühe Jahre
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Hilbrant muss spätestens um 1647 in Amsterdam angekommen sein, bereits verheiratet mit einer Frau namens Maria (oder Marie). Am 11. April 1647 ließ „Andries Hilbrants" eine Tochter namens Maria in der Lutherischen Kirche taufen.[6] Dies war das erste seiner vielen in Amsterdam geborenen Kinder. Die Tatsache, dass er 1647 eine Familie gründete, deutet darauf hin, dass er bereits die Ausbildungsphase durchlaufen hatte und ein vollausgebildeter Handwerker war. Sein Geburtsjahr kann damit auf etwa 1620 bis 1625 oder möglicherweise etwas früher geschätzt werden.
Berufliche Tätigkeit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die erste Erwähnung seines Berufs stammt vom 26. Juni 1657, als ein Notar die Mieter eines Hauses in der Voetboogstraat dokumentierte. Dort lebte „Andries Hillebrantsz fluijtemaker" in den oberen Stockwerken und im Dachgeschoss.[7] Das Haus, heute Nummer 14, besitzt eine der schönsten Fassaden der gesamten Straße und ist ein Beispiel niederländischen Klassizismus. Die Vorderseite zeigt das Jahr 1650.
Zuvor, im August 1655, wird er in einem Inventar als „de fluijtemaker inde Calver straet" (der Flötenmacher in der Kalverstraat) erwähnt, der noch eine unbezahlte Rechnung von 20 Gulden und 6 Stüber hatte.[8] 1664 residierte „mr. Andries fluitemaker" am nahegelegenen Singel.[9]
Ab dem 1. Februar 1661 mietete Hilbrant eine der „Kassen op de Beurs" (Verkaufsbuden auf der Börse) für 35 Gulden pro Jahr. Die Amsterdamer Börse war 1611 fertiggestellt worden und bildete das wirtschaftliche Herz der Stadt. Über den umlaufenden Arkaden befand sich ein regelrechtes Einkaufszentrum namens „'t Pant" (Die Galerie) mit 123 Verkaufsständen, die von der Stadt vermietet wurden. Hilbrant war Mieter der Bude Nummer 104.
Eine Bedingung für die Anmietung war das Amsterdamer Bürgerrecht. Als Hilbrant 1663 zweimal hintereinander die jährliche Miete nicht bezahlt hatte, wurde er im August 1663 zum Rathaus vorgeladen. Als er mit 70 Gulden für die vergangenen zwei Jahre erschien, wurde er nach seinem Bürgerzertifikat gefragt. Da er keines hatte, musste er zunächst den Eid ablegen, was ihn 50 Gulden kostete – mehr als ein durchschnittliches Monatseinkommen. Dies erklärt, warum es bis 1663 dauerte, bis Andries Hilbrant offiziell Bürger Amsterdams wurde, obwohl er seit mindestens 1647 in der Stadt lebte.
Hilbrant behielt seinen Verkaufsstand bis zum 1. Februar 1668 – insgesamt sieben Jahre –, leistete aber nie wieder Zahlungen. Dies hinterließ eine Schuld von 210 Gulden, die im Hauptbuch des Stadtschatzmeisters sorgfältig verzeichnet wurde.[10]
Familie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Andries und Maria hatten mehrere Kinder:
- Maria (getauft 11. April 1647), die älteste Tochter, die 1667 den venezianischen Seemann Steven Andriesse (Stefano Andrea Bonaldi) heiratete[11]
- Johannes (getauft 25. Februar 1649), möglicherweise nach dem väterlichen Großvater benannt[12]
- Barber (getauft 15. Oktober 1651)[13]
- Vier Söhne namens Andries (getauft 1653, 1654, 1655 und 1656), von denen mindestens drei im ersten Lebensjahr starben[14]
Bei den Taufen der vier Andries-Söhne trat stets dieselbe Person als einer der beiden Zeugen auf: Andries oder Andreas Steidtman (ca. 1615–1687), ein Zahnarzt („tandentrecker") aus Deutschland, der ebenfalls lutherisch war. Die Eltern legten offensichtlich großen Wert darauf, ihre Neugeborenen nach ihm (und ihrem eigenen Vater) zu benennen.[15]
Tod
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Hilbrant muss zwischen Mai 1668 und Januar 1680 gestorben sein. Die letzte Unterschrift unter seine Schuld leistete er im Mai 1668. Die Schuld von 210 Gulden wurde am 31. Januar 1680 vom Stadtschatzmeister als „quade schulden" (uneinbringliche Schulden) eingestuft.[16]
Seine Frau Maria Hillebrants war am 16. März 1680 Patin bei der Taufe ihrer Enkelin Maria, was beweist, dass das Ehepaar nicht aus Amsterdam weggezogen war.[17]
Wirken und Bedeutung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Pionier des Amsterdamer Instrumentenbaus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Andries Hilbrant war einer der frühesten bekannten professionellen Holzblasinstrumentenbauer in Amsterdam. Er war tätig zu einer Zeit, als die Blockflöte möglicherweise das beliebteste Musikinstrument in der niederländischen Republik des 17. Jahrhunderts war. Dies bezeugen die Veröffentlichung von Jacob van Eycks Der fluyten lust-hof in den 1640er und 1650er Jahren sowie die unzähligen Gemälde aus dem niederländischen Goldenen Zeitalter, die Blockflöten darstellen.
In Amsterdam war der Musikverleger und -drucker Paulus Matthijsz damit beschäftigt, van Eycks Blockflötenmusik zu veröffentlichen. Das erste Band erschien 1644 als Euterpe oft speel-goddinne I, das zweite Band zwei Jahre später als Der fluyten lust-hof II. Es war eine Zeit, in der Blockflöten noch vom „frühbarocken" Typ waren, in einem Stück gefertigt.
Mögliche Lehrlinge
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Obwohl keine Instrumente von Hilbrant erhalten blieben, gibt es Hinweise darauf, dass er möglicherweise bedeutende Lehrlinge hatte. Die beiden anderen frühen Amsterdamer Holzblasinstrumentenbauer, die eine Generation jünger waren als Hilbrant, könnten bei ihm gelernt haben:
- Richard Haka (ca. 1646–nach 1708) ist als der bekannteste Vertreter der frühen Amsterdamer Schule des Holzblasinstrumentenbaus anerkannt. Er wurde um 1646 in London geboren und kam als kleiner Junge mit seinen Eltern nach Amsterdam. Seine ersten Instrumente muss er irgendwann in den 1660er Jahren hergestellt haben. Als er 1676 heiratete, erklärte er, 30 Jahre alt zu sein.[18] Dies würde bedeuten, dass seine Ausbildung etwa 1661 begann. In einer Zeitungsanzeige von 1691 erklärte Haka, dass er das Handwerk seit etwa dreißig Jahren ausübte, was seine Lehrzeit einschloss.[19] Die Zeit von 1661 bis 1668 entspricht genau Hilbrants Mietperiode der Verkaufsbude.
- Jan Jurriaensz van Heerde (ca. 1638–1691) nannte sich bei seinem Aufgebot 1663 noch „wieldraijer" (Raddreher, ein ziemlich allgemeiner Begriff für Drechsler).[20] Bei seiner zweiten Heirat 1670 wurde er als „mr. fluijtemaker" bezeichnet. In den dazwischenliegenden Jahren scheint er sich spezialisiert zu haben. Van Heerde war auch Musiklehrer, der „die Kunst der Musik und das Spielen von Instrumenten" unterrichtete.[21]
Beide, Haka und Van Heerde, verwendeten ein charakteristisches fähnchen-förmiges Markenzeichen (Kartuschenform), das links oben und rechts unten verlief; eine Form, die möglicherweise auf eine gemeinsame Werkstatttradition hinweist.
Ein schlüssiger Beweis, dass Haka und Van Heerde das Handwerk bei Hilbrant lernten, kann nicht erbracht werden. Es gibt jedoch Indizien, die in diese Richtung weisen: Hilbrants Anmietung einer Verkaufsbude auf der Börse von 1661 bis 1668 hätte seine Sichtbarkeit in der Stadt stark erhöht. Er musste mit den aus Nürnberg importierten Instrumenten konkurrieren.
Die Frage ist, wie Hilbrant einen Laden mit seinem arbeitsintensiven Handwerk verbinden konnte. Das Einkaufszentrum war jeden Tag außer Sonntag geöffnet, und die Geschäftsinhaber mussten ihre Bude mindestens zwei Stunden vor Mittag und zwei Stunden danach öffnen. Nach Artikel 4 der Verordnung war es verboten, in der Galerie „jedes behindernde Handwerk auszuüben, sei es Hämmern, Gläserschleifen oder irgendeine andere klingende oder lärmende Handarbeit".[22]
Hilbrant muss seine Instrumente also zu Hause hergestellt haben. Er muss einen oder mehrere Verkäufer im Laden gehabt haben, die zumindest über etwas Fachkenntnis verfügten. Es ist anzunehmen, dass er seine Lehrlinge abwechselnd dafür einsetzte. Auf diese Weise lernten sie beiläufig die Werkzeuge und das Geschäft des Handels. Mit einem Lehrling im Laden konnte Hilbrant einem anderen Lehrling (oder mehreren) zu Hause intensivere Anleitung geben.
Als 1679 Coenraad Rijkel bei seinem Onkel Richard Haka in die Lehre ging, setzte Haka die Dauer der Ausbildung auf sieben Jahre fest.[23] Wenn Haka 1661 seine Lehre begann, wie vermutet, dann hätte diese bis 1668 gedauert. Dies entspricht genau Hilbrants Mietperiode.
Verbindung zur Nordhäuser Instrumentenbautradition
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Es wird in der Forschung diskutiert, ob Nordhausen eine Tradition des Holzblasinstrumentenbaus hatte. Dies ist untersuchungswürdig, insbesondere da in einer etwas späteren Periode ein Holzblasinstrumentenbauer namens Andreas Eichentopf (ca. 1670/71–1721) in Nordhausen lebte. 1696 erwarb er das Bürgerrecht der Stadt.[24] Von ihm hat sich nur ein Instrument erhalten, aber kein geringeres als ein etwa 2,70 Meter langes Kontrafagott, das sich heute im Gemeentemuseum Den Haag befindet (Inventarnummer Ea 48-x-1952).
Bemerkenswert ist, dass Eichentopf Signatur mit der von Hakas nicht zu unterscheiden ist.[25] Eine Möglichkeit ist, dass Eichentopf in den frühen 1690er Jahren bei Haka in Amsterdam in die Lehre ging und nach seiner Ausbildung nach Nordhausen zurückkehrte. Eine andere Möglichkeit ist, dass Eichentopf einfach ein Haka-Fagott als Modell hatte und es in einer eigenen Version nachbildete.
Die genaue Natur der Verbindung zwischen den Nordhäuser Instrumentenbauern bleibt Gegenstand weiterer Forschung. Sicher ist jedoch, dass Andries Hilbrant als aus Nordhausen stammender Handwerker eine wichtige Rolle in der Entwicklung des niederländischen Holzblasinstrumentenbaus spielte und möglicherweise eine Brücke zwischen deutschen und niederländischen Handwerkstraditionen bildete.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Thiemo Wind: Andries Hilbrant, an Amsterdam Woodwind Maker Prior to Richard Haka. In: Journal of the American Musical Instrument Society, Vol. LI, 2025, S. 5–28.
- Jan Bouterse: Dutch Woodwind Instruments and their Makers 1660–1760. KVNM, 2005.
- Friedrich Christian Lesser: Historische Nachrichten von der kaiserl. und des heil. röm. Reichs freien Stadt Nordhausen. Leipzig und Nordhausen: Johann Heinrich Groß, 1740.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Amsterdam, Stadsarchief, 5033 Poorterboeken, inv. no. 5, p. 15.
- ↑ Friedrich Christian Lesser, Historische Nachrichten von der kaiserl. und des heil. röm. Reichs freien Stadt Nordhausen (Leipzig und Nordhausen: Johann Heinrich Groß, 1740), 317.
- ↑ Stadtarchiv Nordhausen, inv. no. Best. 1.2./ II Wa 2 („Grund- und Erbbuch der Reichsstadt Nordhausen", erste Hälfte des 17. Jahrhunderts).
- ↑ „Übersicht der Einwohner Nordhausens im Jahre 1637", www.geschichtsportal-nordhausen.de/fileadmin/Geschichte/Dokumente/PDF/99-Nordhaeuser-Buergerliste-1637.pdf.
- ↑ Paul Hentze, Register der Geborenen/Getrauten/Verstorbenen, St. Jacobi, 1624–1779, in Kirchenkreisarchiv Südharz, Niedergebra.
- ↑ Amsterdam, Stadsarchief [im Folgenden: AsdSAA], DTB [Tauf-, Ehe- und Beerdigungsregister] 141, p. 420.
- ↑ AsdSAA, notary Jan de Vos, NA 1206, f. 75r–v.
- ↑ AsdSAA, notary Nicolas Kruijs, NA 1856, pp. 884–900 (Eintrag auf p. 896), 4., 6. und 10. August 1655.
- ↑ AsdSAA, DTB 1249, p. 116, 1. August 1664.
- ↑ AsdSAA, accession 5039 Thesaurieren Ordinaris, inv. no. 475 (früher 672), Groot Boek A.
- ↑ AsdSAA, DTB 490, p. 129, 2. April 1667 (Aufgebot).
- ↑ AsdSAA, DTB 142, p. 108.
- ↑ AsdSAA, DTB 142, p. 305.
- ↑ Alle Einträge in AsdSAA, DTB 143.
- ↑ Zu Steidtman: Notary Adriaen Lock, NA 2215A, p. 373, 16. August 1663.
- ↑ AsdSAA, 5039 Thesaurieren Ordinaris, inv. no. 475, fol. 664a.
- ↑ AsdSAA, DTB 304, p. 190, Mozes- en Aäronkerk, 16. März 1680.
- ↑ AsdSAA, DTB 502, p. 346, 24. Januar 1676.
- ↑ Amsterdamse Courant, 5. April 1691.
- ↑ Zu „wieldraijer": Willem Séwel, New Dictionary English and Dutch (Amsterdam: Steven Swart, 1691), p. 663.
- ↑ AsdSAA, notary David Stafmaker Varlet, NA 4744, f. 612r, 16. September 1684.
- ↑ Handvesten, privilegien, octroyen, costumen en willekeuren der stad Amstelredam (Amsterdam: Smient, 1662), 395–398.
- ↑ Jan Bouterse, Dutch Woodwind Instruments and their Makers 1660–1760 (KVNM, 2005), 86 (CD-ROM).
- ↑ Stadtarchiv Nordhausen, Bürgerrolle der Stadt Nordhausen 1685–1796.
- ↑ Reproduktion (Zeichnung) in Friedrich von Huene, „Makers' Marks from Renaissance and Baroque Woodwinds", The Galpin Society Journal 27 (1974), 31–47 (S. 40).