Die Finkenburg – Ein Nordhäuser Dichtermärchen

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So traurig war das Dichterlein, daß seine sonst so strahlenden Augen von Tränen trüb verhangen schienen, wie ein blaublauer Sommersonnenhimmel, wenn Regenwolken drüber hinhuschen … armes Dichterlein … seine braunen Locken, die sonst so munter um sein lachendes Gesicht gestanden, hingen müde, sein Gang war matt, und er ging doch sonst mit federnden Schritten im Takte eines ewig jauchzenden Liedes, das Frohsinn in seinem Herzen sang. Tag um Tag hatte er den Liedern gelauscht, sie in Worte und Töne gesetzt und lachend seiner Liebsten mit übervollen, verschwendenden Händen geschenkt … Sie hatte sie alle gesammelt und einem andern gegeben, sein Lachen, seine Lieder, seinen Frohsinn genommen und war mit dem andern in die Weite gezogen.

Nun war die Welt so trübe, sein Herz so tränenschwer … verraten seine Liebe, die Hände, ach, so leer …

Wollte er singen, sein Mund blieb stumm,- lauschte er dem Liede tief innen … da war alles tot,- und wollte er schenken … seine Hände blieben leer.

Jetzt schlich er mit müden Schritten traurig durch die Stadt … Weiter und weiter wandelte er auf Wegen, die tief hinein in die Einsamkeit führen. Da gingen nur Sonnenstrahlen spazieren, hatten sich munter ungefaßt und tippelten wie ein paar tänzelnde, leichte Mädelchen vor ihm her, die goldenen Löckchen flogen im Winde, die goldenen Röckchen standen solch Kinde rund wie ein Kreisel um die zarten Beinchen … sie sah'n gar putzig aus die Sonnenscheinchen … fast hätte er ein wenig gelächelt. Lustig marschierten ein paar Käferlein mit Wanderranzen auf dem Rücken, und lustig tanzten im Sonnenschein die winzig, feinen Mücken.

Dichterlein war müde, gar so müde vom Denken und Weinen und Wandern, suchte sich ein Lager auf schwellendem, grasgrünem Moos und wollte schlafen, träumen, vergessen. Aber ehe er sich hinlegte, griff er behutsam hierhin und dorthin, keinem Käferchen, keiner Fliege mochte er wehe tun. Er legte sie sacht auf einen anderen Platz … er griff nach einem winzigen Etwas und hielt ein totes Vöglein in der Hand — armes, armes Tierchen …

Ganz behutsam nahm er's in seine schlanken, schneeweißen Hände und strich ihm die zerzausten Federn glatt und küßte es ganz leis auf das spitze, stumme Schnäbelchen, da hörte er das kleine Herz ganz, ganz sachte schlagen, ein paar Tröpfchen Wasser träufte er in's Schnäbelchen, noch einmal … und wieder und wieder, plötzlich schlug es die kugelrunden, schwarzen Beerenaugen auf und sah ihn lange, lange an … „Schilp, schilp" machte es ganz, ganz leise.

„Versteh dich nicht, kleiner Finkenhahn", sagte er traurig.

Pickte der Fink mit spitzem Schnabel dreimal an das Ohr des Dichters und strich ihm mit dem linken Flügel dreimal über die strahlenden Augen und flog davon.

Er seufzte tief und legte sich müde zurück und träumte … schlief … oder träumte er nicht …

Was war das für ein süßes seliges Singen und Klingen! Ein überaus zartes, feines Lied zog träumend durch die Welt. Als er suchend aufsah, saß auf dem Baume über ihm der kleine Fink,- aber nein, das war ja ein Wundermärchenvogel mit einem goldenen Krönlein, einem purpurroten Federmantel und einem Scepter im linken Flügel.

„Menschlein, Menschlein", klang es leise, „Menschlein, mach dich auf die Reise … Märchenwunder sollst du schauen … das Märchenwunder, die Schönste der Frauen,- Menschlein, Menschlein rüste dich fein. Und er sang. So selige Lieder hörte ich nie, dachte sehnend der suchende Träumer. Die Lieder fielen Ton um Ton wie diamantene Tropfen aus dem spitzen Schnabel des Finkenkönigs … er wollte sie sammeln, griff und griff, aber seine Hände blieben leer. Er lauschte sehnsuchtsvoll, aber sein Herz blieb ach, so tränenschwer.

„Komm mit, komm mit!" rief der Königsvogel und flog zum nächsten Baum und dann wieder zum nächsten weiter und weiter. Er folgte ihm wie im Traum. Es war inzwischen Nacht geworden. Der Mondschein legte silberne Bänder auf die Wege, die Sterne warfen hunderttausend sprühende Feuerfunken hernieder, und wieder und wieder sang der Vogel die seltsamen Lieder. Es war ein wundersames Wandern. Sie schritten durch die schlafende Stadt, um die ein Schweigen heut seinen samtnen Mantel geschlungen hatte und kamen an ein uraltes Haus, über dem der Dom seine Turmfinger drohend gen Himmel streckte. Zwölf schlug die Glocke, da tat sich die Tür des stillen Hauses von selber auf. Der Finkenkönig flog die Stufen hinauf. Bis auf den Boden mußten sie steigen. Vor einer Tür in der weißen Wand mußte er sich dreimal verneigen … aber sie öffnete sich nicht.