Sander (Familie)
Die Familie Sander zählte über mehrere Generationen hinweg zu den einflussreichsten Patrizierfamilien der Freien Reichsstadt Nordhausen. Ihre Mitglieder bekleideten wichtige Ämter in der Stadtverwaltung, wirkten als Kleriker und Notare an der römischen Kurie und waren durch Heiraten mit anderen bedeutenden Familien der Stadt verbunden. Die Geschichte der Sander spiegelt exemplarisch den Aufstieg und die Blütezeit des Nordhäuser Bürgertums in der Epoche der Reformation wider.
Herkunft und Namensdeutung
Der Familienname Sander ist abgeleitet vom griechisch-lateinischen Namen Alexander, der "der Männerabwehrende" bedeutet. Er wurde im Mittelalter durch die Verehrung des heiligen Alexander, eines römischen Märtyrers des 2. Jahrhunderts, in Deutschland populär. In Nordhausen taucht der Name seit Mitte des 14. Jahrhunderts in den Quellen auf, u.a. mit einem Sander de Uteleybin und einem Sander de Asterode, die 1366/67 in der Stadt das Bürgerrecht erwarben. Die erste fassbare Stammlinie der hier behandelten Familie Sander beginnt mit einem um 1360 erwähnten Bürger namens Sander und dessen Sohn Wernher. Ob eine Verbindung zu dem ab 1348 genannten Probst Sander vom Frauenbergkloster bestand, ist nicht sicher zu belegen.
Wernher Sanders (um 1360-1429)
Wernher Sanders, der Sohn des obengenannten Sander, ist zwischen 1395 und 1429 vielfach urkundlich belegt. 1395 ehelichte er Katherine, die Witwe des Hermann Folkel, und einigte sich mit deren Kindern gütlich über das väterliche Erbe. Zu Wohlstand gelangt, versteuerte Wernher 1420 beachtliche 14 1/2 Morgen Ackerland und entrichtete 1423 eine hohe Hafersteuer. Er betätigte sich auch als Wohltäter und stiftete der "Ewigen Spende" ein Haus am Siechentor. 1413 wurde Wernher als Vertreter der Bäckergilde in den Rat der Stadt gewählt. Der Rat bestand damals aus drei Regimenten zu je 27 Mitgliedern, die im jährlichen Wechsel die Regierung führten. Wernher gehörte ihm bis zu seinem Tod 1429 an, wobei er entgegen der üblichen Ordnung erst 1423 wieder zum "sitzenden", d.h. regierenden Regiment zählte. Dies deutet auf die bewusste Steuerung der Amtsverteilung im Rat durch einflussreiche Familien hin.
Frühe Generationen im 15. Jahrhundert
Ob die im frühen 15. Jahrhundert erwähnten Familienmitglieder wie Matthias Sander, 1423 als Bewohner des Töpfertor-Viertels genannt, oder Peter Sander, der 1430-1441 als Stadtbote und Gefangenenwärter auftritt, in direkter Linie von Wernher Sanders abstammen, ist nicht zweifelsfrei zu belegen, aber aufgrund des seltenen Namens wahrscheinlich. Als angesehener Bürger tritt seit Mitte des 15. Jahrhunderts Kerstan (Christian) Sander hervor. Um 1476 wird er als Vorsteher einer der ratsfähigen Gilden erwähnt. Er besaß ein Haus auf dem Frauenberg, war bewaffnet mit einer Hakenbüchse und befehligte als Rottmeister die nach der Jungfrau Maria benannte, 40 Mann starke Bürgerwehr seines Viertels. Gelegentlich oblag ihm auch die Verteidigung des strategisch wichtigen Bielentors. Kerstan Sander, der um 1492 verstorben sein dürfte, hatte vermutlich drei Söhne, die im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts geboren wurden und die Familie zu ihrer größten Blüte führten:
Johannes, Albrecht und Hans Sander
Johannes Sander (1455-1544) - Kurialer Aufstieg in Rom
Der wohl 1455 geborene Johannes Sander schlug eine geistliche Laufbahn ein. Er studierte an der Universität Leipzig, wo er 1478 das juristische Bakkalaureat ablegte und später den Magistergrad erwarb. Als Kleriker in den Dienst der Diözese Mainz getreten, ging er nach Rom an die päpstliche Kurie. Dort erlangte er um 1495 das prestigeträchtige Amt eines Notars an der Sacra Romana Rota, dem höchsten päpstlichen Gerichtshof. Parallel dazu sicherte sich Johannes einträgliche Pfründen, vor allem Vikarien und Altarpfründen in seiner Heimatdiözese Mainz, u.a. in Nordhausen, Ellrich und Udersleben, die ihm 1506 stattliche Jahreseinkünfte von umgerechnet 170 Gulden (nach heutiger Kaufkraft ca. 7400 Euro) einbrachten. 1508 kam noch ein Kanonikat am Marienstift in Erfurt hinzu. Diese Pfründenhäufung entsprach der üblichen Praxis der Kurienbeamten, sich ein hohes Zusatzeinkommen zu verschaffen, und wurde erst durch die Reformation in Frage gestellt. In Rom engagierte sich Johannes über vier Jahrzehnte in der "Bruderschaft unserer Lieben Frau von der Seelen", kurz Animabruderschaft genannt. Diese Vereinigung betreute die deutschsprachigen Rompilger und unterhielt dafür ein Pilgerhospiz. 1508/09 entfaltete Johannes als Provisor (Verwalter) der Bruderschaft seine größte Aktivität. Er ließ aus eigenen Mitteln direkt neben der Animakirche das prächtige "Sanderhaus" errichten, das ob seiner künstlerischen Gestaltung heute unter Denkmalschutz steht.
Um dieselbe Zeit förderte Johannes tatkräftig den 1499 begonnenen Neubau der baufälligen Animakirche. Er selbst spendete erhebliche Summen und bemühte sich auch um Mittel aus Deutschland. So ging er 1513 juristisch gegen die päpstliche Kammer vor, die ein Legat von über 500 Gulden für den Kirchenbau eingezogen hatte. Nach Fertigstellung der Außenarbeiten konnte er am 16. Juni 1514 eigenhändig die Weihinschrift über dem Portal anbringen.
Von 1513-1514 und erneut 1525 bekleidete Johannes als "Provisor regens" das höchste Leitungsamt der Bruderschaft. Mit großem Geschick und Arbeitseifer widmete er sich der Verwaltung der umfangreichen Besitzungen und Finanzen. Die von ihm angelegten Geschäftsbücher und Inventarlisten sind ebenso minuziös wie kalligraphisch ausgeführt und verraten viel über seine Persönlichkeit. Besonders die Ausstattung des Sanderhauses mit antikisierenden Wandsprüchen, die stoische Lebensweisheit vermitteln, zeugt von der humanistischen Bildung und Weltläufigkeit des geistlichen Herrn.
Neben Johannes selbst traten weitere Familienmitglieder in die Dienste der Kurie und profitierten von seiner Protektion. Sein Neffe Nikolaus Ferer alias Sander wurde 1510 päpstlicher Sekretär und wohnte bis zu seinem frühen Tod 1514 bei Johannes. Dessen jüngere Brüder Johann und Joachim besuchten den Onkel in Rom, wurden von ihm testamentarisch als Erben eingesetzt und übernahmen nach seinem Tod das begehrte Wohnrecht im Sanderhaus.
Johannes Sander starb hochbetagt am 11. August 1544 im 89. Lebensjahr. Entsprechend seinem Rang wurde er in der Animakirche beigesetzt. Er hatte testamentarisch eine eigene Familienkapelle gestiftet und prachtvoll ausstatten lassen, die als seine Grablege diente. Als einer der letzten bedeutenden deutschen Kurialen, die sich um die Anima verdient gemacht hatten, markiert sein Tod eine Zeitenwende. Zugleich steht er für den Höhepunkt der Entfaltung der Familie Sander zwischen römischer Weltkirche und Nordhäuser Bürgertum.
Die Ratsherren Albrecht und Hans Sander
Während Johannes Sander in Rom Karriere machte, wirkten seine Brüder Albrecht und Hans in der Heimatstadt im Dienst der kommunalen Selbstverwaltung. Spätestens um 1500 zählten sie zur politischen Elite der Stadt.
Albrecht Sander ist 1493 als Rottmeister, 1494 als Vorsteher der Bäckergilde belegt. 1499 zog er für diese in den Rat ein, dem er sechs Jahre lang bis zu seinem Tod 1505 angehörte. In seine Amtszeit fällt eine Umstellung der komplizierten Ratsverfassung. Zuvor hatten drei 27-köpfige Ratsregimenter in festem Turnus regiert, wobei die Bürgermeister halbjährlich wechselten. Um mehr Kontinuität zu erreichen, bildeten die 12 Bürgermeister nun ein Gremium der "Ältesten" als eigentliche Stadtregierung. Obwohl die Handwerkergilden die Mehrzahl der Ratsherren stellten, dominierte das Patriziat der Kaufmannsgilde durch gezielte Ämterbesetzung faktisch die Stadtpolitik.
Albrechts mutmaßlicher Bruder Hans Sander wird direkt nach dessen Tod 1505/06 in den Rat gewählt, und zwar als Vertreter des Rautenviertels. Damit bestätigt sich das Prinzip, dass einflussreiche Familien durch häufige Ratspräsenz, ggf. auch in wechselnden Funktionen, eine kontinuierliche Machtstellung sicherten. Hans Sander gehörte dem Rat etwa 20 Jahre lang an. Zeitweise bekleidete er exponierte Ämter wie das des Schoßherrn (Steuereintreibers, 1510-12) oder des Pfeilherrn (Zeugwarts, 1512).
In Hans Sanders Amtszeit als Ratsherr fielen bedeutende Weichenstellungen für die Zukunft der Stadt. In erbitterter Dauerfehde lag der Rat mit dem vom sächsischen Herzog bestellten Reichsschultheißen Leonhard Busch, der von 1515-1518 die städtische Oberhoheit über das Schultheißenamt bestritt.
Vor allem aber hatte sich der Rat seit 1522 der Reformation geöffnet. Er berief evangelische Prediger wie Lorenz Süße an die Stadtkirchen und wies Agitatoren wie Thomas Müntzer aus. Dagegen suchte die altgläubige Stiftsgeistlichkeit beim Kaiser Rückhalt. Am 26. September 1524 führte der Rat die Reformation in aller Form ein. An diesem folgenreichen Beschluss war Hans Sander zumindest indirekt beteiligt. Dabei galt es, zwischen dem neuen Glauben und dem Gehorsam gegenüber Kaiser und Schutzfürsten zu balancieren. Mit Vorsicht und Geschick steuerte der fähige Stadtschreiber Michael Meyenburg den Rat durch die Untiefen der Umbruchszeit.
Hans Sander erlebte noch den Beginn der gesellschaftlichen Unruhen des Jahres 1525, in dem der Bauernkrieg und die Agitation Müntzers auch in Nordhausen die Gemüter erhitzten. Er muss aber im Lauf des Jahres verstorben sein, wahrscheinlich an der im Sommer grassierenden Pest.
Unruhestifter Hans Sander - Aufruhr und Strafgericht 1525
Im selben Jahr 1525 tritt ein anderer Hans Sander in Erscheinung, der nicht mit dem gleichnamigen Ratsherrn identisch ist, aber wahrscheinlich einer Seitenlinie der Familie angehörte. Seine Aktivitäten werfen ein Schlaglicht auf die sozialen Spannungen der Reformationszeit. Der Knochenhauer (Metzger) Hans Sander war kurz zuvor aus Mühlhausen nach Nordhausen gezogen. In der Nachbarstadt hatte der Agitator Müntzer schon 1523/24 Unruhen geschürt und das Stadtregiment gestürzt. Im März 1525 riss er offen die Macht an sich, christliche Ideale mit apokalyptischer Naherwartung verbindend. Sein Ruf mobilisierte die Bauern, die sich zu Tausenden erhoben. Anfang Mai eroberte Müntzer mehrere Städte und Burgen im Eichsfeld. In Nordhausen gab es eine kleine, aber entschlossene Gruppe von Anhängern Müntzers, darunter die aus Mühlhausen zugewanderten Hans Sander und dessen Stiefbruder Berlt Helmsdorf sowie die Bürger Hans Kehner und der Goldschmied Martin Rüdiger. Sie schürten die Stimmung gegen den Rat, den sie durch einen "Ewigen Rat" ersetzen wollten. Hans Sander hetzte: "Es werde zu Nordhausen nicht gut, man schlage denn den Regenten die Köpfe ab und setze andere an ihre Stelle".
Als Müntzers Haufen Ende April bei Ebeleben, nur 25 km südlich von Nordhausen, lagerte, ritten Sander und Helmsdorf dorthin, um ihn zum Eingreifen zu bewegen. Müntzers Hauptmann Klaus Pfannschmidt versprach, bald zu kommen und den Bürgermeister Lindemann zu köpfen. Ende April brachen im Altendorf-Viertel offene Unruhen aus. Ein Trupp Aufständischer plünderte das Nonnenkloster und zog dann aus der Stadt den Bauern entgegen.
Der Rat reagierte besonnen. Er ließ die Bürger der Stadtviertel zusammenrufen und befragen, ob sie Beschwerden gegen ihn hätten. Dabei zeigte sich die Mehrheit der Bürger loyal, wenngleich auch Reformforderungen laut wurden. Mit dem neu gewählten Reichsschultheißen Wilhelm Nunschild besaß der Rat nun einen verlässlichen Partner.
Gleichzeitig entsandte der Rat den Stadtschreiber Meyenburg zu Müntzers Haufen ins Eichsfeld, um die Lage zu erkunden. Meyenburg überzeugte sich von der geringen Stärke und Disziplin des Haufens, der zudem über kaum Geschütze verfügte. Der Rat konnte aufatmen, als Müntzer nicht vor Nordhausen erschien sondern ins Eichsfeld weiterzog. Anfang Mai kam es zwar noch zu Ausschreitungen und Klosterplünderungen in der Stadt, an denen sich auch einzelne Ratsherren beteiligten - ein Zeichen der weitverbreiteten antiklerikalen Stimmung. Doch die Ordnung wurde rasch wiederhergestellt.
Mit dem Sieg der Fürsten über Müntzers Truppen bei Frankenhausen am 15. Mai entspannte sich die Lage. Etwa 50 Bürger, die sich am Aufruhr beteiligt hatten, wurden verhaftet, darunter Sander und Kehner. Sander widerrief sein unter der Folter erpresstes Geständnis, als er schon auf dem Schafott stand, und entging so der Hinrichtung. Nach fast zweijähriger Haft wurde er im April 1527 gegen eine Geldstrafe aus der Stadt verbannt. Seinen Besitz verlor er durch Konfiskation. Er ging nach Ellrich, wo ihn der Graf von Hohnstein 1528 wieder als Metzger zuließ. Sein Mitverschwörer Kehner wurde im Juli 1526 hingerichtet, andere kamen mit Stadtverweis davon. Das maßvolle Strafgericht des Rates zeugt von seiner gefestigten Stellung. Geschickt hatte Meyenburg die Stadt durch die Krise gesteuert, ihre Unabhängigkeit bewahrt und die Reformation gesichert. 1538 erwarb der Rat sogar die verpfändete Reichsschultheißenwürde und beseitigte so den letzten Fremdkörper in der städtischen Autonomie - mit Ausnahme des katholischen, reichsunmittelbaren Kreuztifts, das noch lange eine Quelle von Konflikten blieb.
Die Enkelsgeneration - Klaus, Hans und Andreas Sander
Die nachfolgende Generation der Familie Sander war geprägt von den Gegensätzen der Reformationszeit. Drei Söhne des Ratsherrn Hans Sander sind näher fassbar: Klaus, Hans d. J. und Andreas. Ihre Lebensdaten lassen sich meist nur ungenau erschließen.
Klaus Sander, um 1490 geboren, studierte ab 1509 in Erfurt. In die Heimatstadt zurückgekehrt, wohnte er in der Rautengasse. In den Unruhen von 1525 leistete er zusammen mit seinem Ratskollegen Gerlach Pockeram Bürgschaft für einen aus dem Kloster ausgetretenen Mönch, der den Bürgereid schwören wollte. Klaus starb um 1530 und hinterließ eine Witwe, die ihn um Jahrzehnte überlebte, sowie einen gleichnamigen Sohn Hans Sander.
Hans Sander d. J. trat 1528 der angesehenen Tuchmachergilde bei. Er heiratete Ursula Bader aus einer alteingesessenen Patrizierfamilie. Mit seinem künftigen Schwiegervater geriet er 1531/32 in Erbstreitigkeiten. 1534 leistete er Urfehde (eidlichen Friedensschwur) für seinen Vetter Johann Ferer, einen Domherrn des Kreuzklosters, der wegen unsittlichen Lebenswandels zeitweise inhaftiert war. Die Verwandtschaft mütterlicher- wie väterlicherseits mit der Familie Bader zeigt, dass trotz Reformation die alten katholischen Netzwerke in der Stadt weiterbestanden.
Hans d. J. verfügte über ansehnlichen Grundbesitz in der Stadt. In den theologischen Streitigkeiten, die Nordhausen seit der Reformation heimsuchten, bezog er 1548 Stellung gegen den lutherischen Prediger Johann Theder. Durch Vermittlung des Rats konnte der Konflikt gütlich beigelegt werden. 1552 starb Hans, vermutlich an der Pest. Von seinen Söhnen Liborius und Heinrich setzte nur letzterer die Familie fort. Er zog 1561 in die Reichsstadt Göttingen. Der dritte Bruder, Andreas Sander, war nur lose mit der Stadt verbunden. Als Ehemann einer Wilhelm und Stiefbruder dreier Lutteroth war er mit weiteren Ratsfamilien verschwägert. 1527/28 vertrat er die Interessen seiner Schwiegereltern und der angeheirateten Rebbeis in einem Erbfall. Die Rebbeis waren wiederum mit dem Reformator Justus Jonas, einem Nordhäuser Bürgersohn, verwandt. Ob Andreas trotz dieser Verbindungen selbst Protestant war, bleibt offen. Erst 1552 wurde er noch in den Rat gewählt, starb aber wohl schon bald darauf.
Nachwirkung
Mit Hans Sander, dem gleichnamigen Sohn des Klaus Sander, fand die Nordhäuser Linie der Familie ihren letzten bedeutenden Vertreter. Hans, verheiratet mit Ursula Thomas, einer Tochter aus angesehenem, teils noch katholischem Ratsgeschlecht, galt als wohlhabendster Angehöriger seines Geschlechts. 1567 erbte er allein von der Mutter ein prächtiges Haus und umfangreiche Ländereien. Bei seinem Tod 1587 besaß er 55 Morgen Land, davon 46 Morgen Feld, 4 Morgen Wiesen und 5 Morgen Weinberge - ein in der dichtbesiedelten Stadtflur herausragender Besitz.
Als Testamentszeuge und Beistand bei Erbteilungen bezeugt Hans bis zuletzt seine Vernetzung mit der Führungsschicht der Stadt. Sein geschäftlicher Kontakt zu Celiax Ernst, dem Rentmeister der Grafen von Hohnstein und Neffen der mit dem Rotanotar Johannes Sander verbundenen Familie Ferer, zeigt die generationenübergreifende Kontinuität der familiären Beziehungen.
Hansens Söhne Perlinus und Liborius hatten keine Nachkommen. Als Liborius 1626 starb, erlosch die Nordhäuser Linie der Sander. Liborius war zuletzt 1612 als Unterhändler des Rats hervorgetreten, als er nach dem großen Stadtbrand um Hilfsgelder in Thüringen warb.
Nach über 200 Jahren hinterließ die Familie Sander eine bemerkenswerte Spur in der Nordhäuser Stadtgeschichte. An ihrem Beispiel lässt sich der Aufstieg und die Blüte des Nordhäuser Patriziats in vorreformatorischer Zeit ebenso ablesen wie die zunehmende Verquickung mit der römischen Kurie, die ihren Höhepunkt in Gestalt des Rotanotars Johannes Sander fand. Die aufsehenerregendste Gestalt war sicher der in Rom zu Reichtum und Ehren gelangte Kuriale, dessen prachtvolles Werk in Gestalt des Sanderhauses noch heute sichtbar ist. Kaum weniger beeindruckend erscheint aber auch der Beitrag der Familie zum Gemeinwohl in Nordhausen selbst. Als Ratsherren und Gildemeister trugen die Sander über mehrere Generationen zur weitgehend geordneten Einführung der Reformation und zur Bewahrung städtischer Freiheiten bei, die sie gegen Übergriffe von Kaiser und Fürsten verteidigten.
Zugleich spiegeln sich in der Familiengeschichte die vielschichtigen sozialen und religiösen Spannungen der Reformationsepoche. Die Figur des aufrührerischen Metzgers Hans Sander zeigt dabei eine weniger respektable Facette der Verwandtschaft. Charakteristisch für die Haltung der führenden Schichten in der Stadt erscheint dagegen die noch lange bewahrte konfessionelle Toleranz, die sowohl katholische wie lutherische Familienangehörige einschloss.
Im städtischen Gedächtnis blieb der Name Sander auch nach dem Aussterben des Mannesstamms lebendig. Bereits die Zeitgenossen erkannten den Rang der Familie. So widmete der Rektor Basilius Faber 1614 seine Nordhäuser Stadtchronik u.a. dem "Erbaren und Wohlweisen" Liborius Sander, "der uralten hochberühmten Sanderischen Familie allhier jetziger Zeit einigen Erben und Possessoren". In den Göttinger Zweig der Familie, den Henrich Sander 1561 begründete, ging der Name weiter. Bis ins 18. Jahrhundert führten die Göttinger Sander den Zusatz "von Northusen" und betonten so den Stolz auf ihre Herkunft aus der alten Reichsstadt. Ihre Geschichte wird an anderer Stelle ausführlicher gewürdigt.
In Nordhausen selbst erinnern bis heute das Sanderhaus in Rom und vereinzelte Archivalien und Inschriften an eine Familie, die auf dem Höhepunkt städtischer Autonomie eine führende Rolle gespielt hatte. Die Sander verkörperten geradezu idealtypisch jenes selbstbewusste und weltoffene Bürgertum, das im Spätmittelalter den Aufstieg der Stadt zur Blüte trug. Ihr Niedergang im Zeitalter der Konfessionalisierung steht auch für die nachlassende Bedeutung der Kommune im Schatten der erstarkenden Territorialfürsten. So bietet die Geschichte der Sander im Kleinen ein Spiegelbild der Nordhäuser Stadtentwicklung an der Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit.
Literatur
- Hermann Sander: Die Sander in Nordhausen und Rom im 15. und 16. Jahrhundert. Göttingen: Ernst Große, 1939.
- Karl Meyer: Der Kurialist Johannes Sander aus Nordhausen (1455–1544). In: Thüringisch-sächsische Zeitschrift für Geschichte und Kunst, I. Band. 1911.