Bearbeiten von „Idioticon der nord-thüringischen Mundart“
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==Vorwort == | ==Vorwort == | ||
Zu den | Zu den lieblingsbestrebungen des allzufrüh verblichenen meisters deutscher wissenschaft, A. Schleicher, | ||
gehörte die aufstellung einer vergleichenden grammatik | |||
aller lebenden deutschen | aller lebenden deutschen dialecte, sowie die Sammlung des | ||
unter die einzelnen stamme vertheilten deutschen sprachgutes. Als nothwendige vorarbeiten für ein solches unternehmen bezeichnete er die grammatische behandlung der | |||
verschiedenen mundarten durch angehörige der betreftenden | |||
landschaften. Nun existieren auch bereits idiotica und | |||
lexica mehrerer ober- und niederdeutscher dialecte, es | |||
unendlich viel um eine | fehlt jedoch noch unendlich viel, um eine übersieht über | ||
literarisch gebraucht und wissenschaftlich behandelt sind die | das gesammt-gebiet zu ermöglichen. Am wenigsten | ||
Mitteldeutschlands, wahrscheinlich weil sie bei den „gebildeten“ jener | literarisch gebraucht und wissenschaftlich behandelt sind | ||
die mundarten Mitteldeutschlands, wahrscheinlich weil sie | |||
und der | bei den „gebildeten“ jener gegenden einer grösseren Verachtung begegnen, als dies bei den bewohnern Süddeutschlands einerseits und der norddeutschen tiefebene andererseits der fall ist. Das vorliegende büchlein soll der ausfüllung dieser lücke, wenn auch nur in sehr beschränktem | ||
der | kreise, dienen helfen.“ | ||
Der nord-thüringische dialect unterscheidet sich von | |||
am nächsten verwandt ist, | allen anderen rein oberdeutschen mundarten, denen er im übrigen ganz entschieden angehört, lautlich besonders durch | ||
duldet, die dort | die eigentlich niederdeutsche erweichung des s vor vocaleu. | ||
allgemeinen spricht „sein“ und | Speciell vom siidthüringischen und meissnisch-obersächsischen | ||
dialecte, dem er sonst am nächsten verwandt ist, unter- | |||
( | scheidet er sich dadurch, dass er die media vor vocalen | ||
duldet, die dort regelmässig in die „trockene“ tenuis übergeht. Der Oberdeutsche im allgemeinen spricht „sein“ | |||
Hohenstein | und „wessen", der Süd-Thüringer im besonderen „kinter“ | ||
und „wieter", während der Nord-Thüringer, wie der Nieder- | |||
deutsche, „sein“ und „wesen“ (niederl. zijn, wezen), sowie „kinder“ und „wieder“ sagt. Der dialect hat seinen | |||
und des | hauptsitz am südrande des Unterharzes, besonders in der | ||
obersächsischen gehörige mansfeldische, im Süden an das eigentlich (süd-) thüringische | ehemaligen grafschaft Hohenstein, Den mittelpunkt des | ||
und im Südwesten | bezirks, in dem er gesprochen wird, bildet die Stadt Nord- | ||
zum fränkischen. Nach | hausen. Rings um dieselbe hört man ihn in grösserer oder | ||
geringerer eigenthümlichkeit in den kleineren Städten, flecken | |||
die niederdeutsche (niedersächsische) | und dörfern des kreises Nordhausen und des amts Hohenstein (Ilfeld). Sein gebiet grenzt im osten an das zum | ||
meissnisch-obersächsischen gehörige mansfeldische, im | |||
Süden an das eigentlich (süd-)thüringische und im Südwesten | |||
au das eichsfeldische gebiet, welches letztere den Übergang | |||
bildet zum fränkischen. Nach norden und nordwesten bezeichnet es, abgesehen von den fränkischen bergstädten | |||
des Oberharzes, die äusserste grenze der oberdeutschen | |||
gegen die niederdeutsche (niedersächsische) spräche. | |||
Während man in EUrich noch den liohensteinischcn dialect | |||
hört, reden die Bcnneckensteiner bereits eine rein nieder-deutsche mundart. | |||
In früheren Zeiten war dieser dialect in Nordhausen | |||
die allgemeine Umgangssprache, und zwar derart, dass er | |||
In früheren Zeiten war dieser | nicht nur im gewöhnlichen verkehr von vornehmen und | ||
und zwar derart, dass er nicht nur im gewöhnlichen | geringen geredet wurde, sondern dass selbst bis in dies | ||
geringen geredet wurde, sondern dass selbst bis in | Jahrhundert hinein die lehrer der unteren classen am | ||
der unteren | gymnasium sich oft desselben bedienten. Nur auf der | ||
der | kanzel, in der gerichtsstube und in den höheren gymnasial- | ||
Schriftsprache. Gegenwärtig kommt er immer mehr in | classen gebrauchte man die Schriftsprache. Gegenwärtig | ||
hat, dass in den höheren | kommt er immer mehr in verfall, was seineu grund darin | ||
Man hört ihn jetzt, | hat, dass in den höheren ständen fremde demente zu über- | ||
wiegen anfangen. Man hört ihn jetzt, ausser gelegentlich | |||
ihre poetischen (?) | im schoosse weniger alter familien, nur noch in den niederen | ||
Volksschichten, Zum schriftlichen verkehr ist er wohl nie | |||
benutzt worden, nur ihre poetischen (?) ergüsse haben bis- | |||
weilen uordhäuser bürger in dieser mundart zu papier | |||
gebracht. | |||
Bei der vielfachen | Bei der vielfachen berührung, in welche die Nordhäuser, besonders nach der incorporation der stadt in | ||
Preussen (1803 und zum zweiten male 1814), mit den | |||
eingewanderten | eingewanderten „fremden“ kamen, fiengeu sie an, sich ihrer | ||
sich jenen, die alle mehr oder weniger richtig „hochdeutsch“<ref>Unter | spräche zu schämen und sich jenen, die alle mehr oder | ||
verstanden, unter | weniger richtig „hochdeutsch“<ref>Unter hochdeutsch (hd.) wird hier überall die jetzt gebräuchliche Schriftsprache verstanden, unter alt- und mittelhochdeutsch (ahd. und luhd.) die von der Wissenschaft so benannten älteren dialecte.</ref> sprachen, zu accommodieren. | ||
so benannten älteren | Statt nun aber den volksdialect ganz zu beseitigen, und | ||
accommodieren. Statt nun aber den | 80 zu sprechen, wie man schrieb, begnügte man sich, denselben durch aufnähme hochdeutscher laute und formen zu | ||
wie man schrieb, begnügte man sich, denselben durch | verbessern. Man beeilte sich, das ae heller (mehr wie ä) auszusprechen und ii (i^) und uu (ü^) in die diphthonge | ||
und | ei und au zu verwandeln, sträubte sich jedoch entschieden z. b. gegen die aufnahme hochdeutscher dativformen mir, dir, ihm. | ||
und ii ( | |||
entschieden z. | |||
So ist es gekommen, dass man jetzt in Nordhausen | |||
drei mundarten kennt, die reine hochdeutsche, die von | |||
fremden und von solchen eingeborenen gesprochen wird, | |||
die durch langen Umgang mit fremden den Widerwillen | |||
gegen dieselbe überwunden haben; ferner die reine nordhiisische (sonst auch wohl geradezu diitsch genannt), die von | |||
bauern, arbeitern und in wenigen alten familien geredet | |||
wird; endlich das moderne namenlose gemisch mit dem | |||
hochdeutschen anstrich, das man von vielen leuten des | |||
mittelstandes und von den meisten dienstboten hören kann. | |||
Es ist dies eine erscheinung, die den benachbarten niederdeutschen gegenden, wo man nur platt und hochdeutsch | |||
kennt, ganz fremd ist. | |||
:Cüstrin , im | Was die hier angewandte Orthographie betrifft, so | ||
:Der Verfasser. | soll sie hauptsächlich die richtige ausspräche angeben, | ||
ohne jedoch die etymologie zu verdunkeln. Es sind daher | |||
die nüancen der vocale sorgfältig unterschieden, auch ist | |||
ihre Quantität bezeichnet, dagegen habe ich mich hin- | |||
sichtlich der consouanten der hochd. srhroibweise möglichst | |||
angeschlossen, ihre ausspräche aber in den verschiedenen | |||
fällen durch regeln bestimmt. Nur statt des hochd. v ist | |||
stets f geschrieben, weil ö als vocal dienen musste. Da | |||
die länge der vocale durch Verdoppelung oder Verbindung | |||
derselben ausgedrückt wird, so ist das dehnende h über- | |||
flüssig geworden, und zwar sogar da, wo es wurzelhaft | |||
ist (zaen für zehn, zie für ziehen); nur wo zwei sylben | |||
bildende vocale zusammentreffen, ist es, um undeutlichkeit | |||
zu vermeiden, stehen geblieben (ruohig), obwohl es auch da nicht gesprochen wird. Für das in jeder oberdeutschen | |||
mundart unberechtigte th ist einfaches t geschrieben. Auch | |||
die Verdoppelung der consonanten ist eigentlich überflüssig, | |||
da nach jedem betonten kurzen vocal der consonant geschärft lautet. Der deutlichkeit wegen ist sie jedoch, | |||
wenigstens im inlaute, in den meisten fällen beibehalten. | |||
Da an sprichwörtlichen redensarten nur verhältnissmäßig wenig in diesem dialect existiert, und dies wenige, | |||
mit ausnahme obscöner phrasen des gemeinen lebens, fast | |||
ganz der Schriftsprache entnommen ist, so würde eine | |||
Aufzählung derselben nicht viel interessantes bieten. Auch | |||
von kinderliedern und sprechspielen hört man gegenwärtig | |||
nur hochdeutsche, die allerdings oft komisch genug verstümmelt sind. Um nun nicht schon gedrucktes noch einmal zu producieren, sah ich mich genöthigt, als sprachprobe einen eigenen kleinen versuch zu geben, an dessen literarischen werth ich einen nicht zu hohen masstab zu | |||
legen bitte. Die wähl der Nibelungenstrophe bedarf wohl | |||
nicht der entschuldigung bei einem dialecte, der dem | |||
mittelhochdeutschen so viel näher steht als die Schriftsprache. | |||
: Cüstrin, im October 1873. | |||
: Der Verfasser. | |||
== Einzelnachweise == | == Einzelnachweise == | ||
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