Bearbeiten von „Die Merwigslindensage in Nordhausen

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[[Datei:Gesamtansicht der Stadt Nordhausen aus dem 17. Jahrhundert.jpg|center|300px|thumb|Gesamtansicht der Stadt Nordhausen aus dem 17. Jahrhundert<br>(Original im Meyenburg-Museum Nordhausen)<br>links der noch unbewaldete Geiersberg mit der Merwigslinde]]
[[Datei:Gesamtansicht der Stadt Nordhausen aus dem 17. Jahrhundert.jpg|center|thumb|600px|Gesamtansicht der Stadt Nordhausen aus dem 17. Jahrhundert<br>(Original im Meyenburg-Museum Nordhausen)<br>links der noch unbewaldete Geiersberg mit der Merwigslinde]]




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Die Nordhäuser Sage erzählt: „Um die Mitte des 5. Jahrhunderts herrschte hier ein König Merwig. Er war eines Schuhmachers Sohn und se^st Schuhmacher, bis ihn seine Landsleute zum Könige wählten. Dieser Volkskönig zeigte auch nach seiner Erhebung eine wahrhaft demokratische Gesinnung, also daß er alljährlich mit seinen ehemaligen Zunftgenossen auf dem Geiersberge ein Maienfest feierte und bei solcher Gelegenheit auf der sonst kahlen Höhe eine schattenspendende Linde pflanzte.“
Die Nordhäuser Sage erzählt: „Um die Mitte des 5. Jahrhunderts herrschte hier ein König Merwig. Er war eines Schuhmachers Sohn und se^st Schuhmacher, bis ihn seine Landsleute zum Könige wählten. Dieser Volkskönig zeigte auch nach seiner Erhebung eine wahrhaft demokratische Gesinnung, also daß er alljährlich mit seinen ehemaligen Zunftgenossen auf dem Geiersberge ein Maienfest feierte und bei solcher Gelegenheit auf der sonst kahlen Höhe eine schattenspendende Linde pflanzte.“


Die älteste bekannte Fassung dieser Geschichte findet sich in der fragmentarischen „Nordhäuser Chronica“ von 1701 des Nordhäuser Quatuorvir Erich Christoph Bohne. Der Autor bemerkt dazu unter Hinweis auf frühere Versuche, den Namen der „Mirichens Lingen“ bzw. Merwigslinde zu erklären, u. a.: „doch halten Verständige dafür, diese Linde habe den Nahmen von dem König Meroveo, Meerwig, als dem wahrhaften Stifter dieser Stadt …“, und weiterhin: „Und sey selbige Meerwigs-Linden bey geschehenem Abgänge der Ersten nach und nach dem Stadt-Stiffter zu Ehren fortgepflantzet worden; inzwischen aber noch immer fort den ersten Nahmen behalten.“
Die älteste bekannte Fassung dieser Geschichte findet sich in der fragmentarischen „Nordhäuser Chronica“ von 1701 des Nordhäuser Quatuorvir Erich Christoph Bohne. Der Autor bemerkt dazu unter Hinweis auf frühere Versuche, den Namen der „Mirichens Lingen“ bzw. Merwigslinde zu erklären, u. a.: „doch halten Verständige dafür, diese Linde habe den Nahmen von dem König Meroveo, Meerwig, als dem wahrhaften Stifter dieser Stadt . . .“, und weiterhin: „Und sey selbige Meerwigs-Linden bey geschehenem Abgänge der Ersten nach und nach dem Stadt-Stiffter zu Ehren fortgepflantzet worden; inzwischen aber noch immer fort den ersten Nahmen behalten.“


Aus dem letzten Satze geht hervor, daß die Linde die zu Bohnes Lebzeiten gewiß schon ein ehrwürdiges Alter hatte, nach der herrschenden Meinung bereits Vorgängerinnen gehabt hat, daß mithin eine jahrhundertealte Überlieferung vorhanden gewesen sein muß.
Aus dem letzten Satze geht hervor, daß die Linde die zu Bohnes Lebzeiten gewiß schon ein ehrwürdiges Alter hatte, nach der herrschenden Meinung bereits Vorgängerinnen gehabt hat, daß mithin eine jahrhundertealte Überlieferung vorhanden gewesen sein muß.
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Waren so durch Karl Meyer die Anfänge des Ortes Nordhausen erstmalig bis in die Zeit Karls des Großen zurückverlegt worden, so blieb doch die Frage offen, ob nicht auch das fränkische Reichsdorf schon ältere Siedlungen hier vorfand. Diese Frage hat Meyer keineswegs übersehen, er hat sie aber energisch verneint. Nach allen seinen Darstellungen hat es den Anschein, als sei die Siedlung am Frauenberge die älteste auf Nordhäuser Boden, als sei vorher nichts gewesen.
Waren so durch Karl Meyer die Anfänge des Ortes Nordhausen erstmalig bis in die Zeit Karls des Großen zurückverlegt worden, so blieb doch die Frage offen, ob nicht auch das fränkische Reichsdorf schon ältere Siedlungen hier vorfand. Diese Frage hat Meyer keineswegs übersehen, er hat sie aber energisch verneint. Nach allen seinen Darstellungen hat es den Anschein, als sei die Siedlung am Frauenberge die älteste auf Nordhäuser Boden, als sei vorher nichts gewesen.


Diese Ansicht muß um so verwunderlicher erscheinen, als die älteren Ortshistoriker, Lesser und Förstemann, gerade dem Altendorf eine betonte Beachtung zuwenden, wenn sie sich auch selbst einer Prüfung der diesbezüglichen Überlieferungen nicht unterziehen. Lesser meldet, daß ein Magister Johann Christian Hagenauer, ehemaliger Prediger „in der Sachse“ (Sachsa), der Meinung gewesen sei, „daß die hiesige Vorstadt, das Altendorff genannt, vor Christi Geburt ein Dorff gewesen sei, an welches wegen besserer Bequemlichkeit des Orts die Stadt Nordhausen angebauet worden“ wäre26). Förstemann schreibt einmal21): „In der von der Mer-wigssage angedeuteten Zeit, im fünften oder schon am Ende des vierten Jahrhunderts, als das thüringische Reich noch bestand, mag eine Niederlassung, ja es mögen damals schon mehrere Niederlassungen hier entstanden sein, und der Name des Altendorfes scheint die Gegend zu bezeichnen, wo zuerst ein Gehöft den Grund zu einem Dorfe legte.“ Und an anderer Stelle28) heißt es: „Der Name Altnordhausen scheint der Niederlassung unter dem Frauenberge das höchste Altertum beizulegen; vielleicht ist aber das Altendorf nicht jünger.“
Diese Ansicht muß um so verwunderlicher erscheinen, als die älteren Ortshistoriker, Lesser und Förstemann, gerade dem Altendorf eine betonte Beachtung zuwenden, wenn sie sich auch selbst einer Prüfung der diesbezüglichen Überlieferungen nicht unterziehen. Lesser meldet, daß ein Magister Johann Christian Hagenauer, ehemaliger Prediger „in der Sachse“ (Sachsa), der Meinung gewesen sei, „daß die hiesige Vorstadt, das Altendorff genannt, vor Christi Geburt ein Dorff gewesen sei, an welches wegen besserer Bequemlichkeit des Orts die Stadt Nordhausen angebauet worden“ wäre26). Förstemann schreibt einmal21): „In der von der Mer-wigssage angedeuteten Zeit, im fünften oder schon am Ende des vierten Jahrhunderts, als das thüringische Reich noch bestand, mag eine Niederlassung, ja es mögen damals schon mehrere Niederlassungen hier entstanden sein, und der Name des Altendorfes scheint die Gegend zu bezeichnen, wo zuerst ein Gehöft den Grund zu einem Dorfe legte.“ Und an anderer Stelle28) heißt es: „Der Name Altnordhausen scheint der Niederlassung unter dem Frauenberge . . . das höchste Altertum beizulegen; vielleicht ist aber das Altendorf nicht jünger.“


Von diesen vagen oder vorsichtigen Äußerungen hebt sich freilich Karl Meyers Behauptung scharf ab. Er sagt: „Das Altendorf ist eine erst lange nach der Gründung der Stadt Nordhausen unter dem Schutze der Stadtmauer im Anfang des 13. Jahrhunderts entstandene dörfliche Ansiedlung, die den Namen „Altendorf“ (er erscheint urkundlich zuerst 1230 in Nr. 174 des Walkenrieder Urkundenbuches, wo als Zeuge Sybodo de an-tiqua villa genannt wird) erst empfing, als in jener Zeit, ebenfalls unter dem Schutze der Stadtmauer, „das Neuendorf“ (die heutige Neustadt) im Entstehen begriffen war (das Neuendorf wird urkundlich zuerst 1256 als „nova villa apud Northusen“ in Nr. 318 des Walkenrieder Urkundenbuches genannt). Das Altendorf kann als Anfang Nordhausens nicht in Betracht kommen, wohl aber „Altnordhausen“, dessen am Mühlgraben be-legene, dem Frauenbergskloster gehörige Mühle 1308 „molendinum ve-teris Northusen“ (in Nr. 33 der Frauenbergskloster-Urkunden) genannt wird.“ Und er fährt fort: „Seit Jahrzehnten habe ich in meinen Schriften und Aufsätzen zur Geschichte der Stadt Nordhausen die Ansicht vertreten, daß Altnordhausen, die jetzige Frauenbergsvorstadt, als die älteste Ansiedlung und als der Anfang der Stadt Nordhausen anzusehen ist.“
Von diesen vagen oder vorsichtigen Äußerungen hebt sich freilich Karl Meyers Behauptung scharf ab. Er sagt: „Das Altendorf ist eine erst lange nach der Gründung der Stadt Nordhausen unter dem Schutze der Stadtmauer im Anfang des 13. Jahrhunderts entstandene dörfliche Ansiedlung, die den Namen „Altendorf“ (er erscheint urkundlich zuerst 1230 in Nr. 174 des Walkenrieder Urkundenbuches, wo als Zeuge Sybodo de an-tiqua villa genannt wird) erst empfing, als in jener Zeit, ebenfalls unter dem Schutze der Stadtmauer, „das Neuendorf“ (die heutige Neustadt) im Entstehen begriffen war (das Neuendorf wird urkundlich zuerst 1256 als „nova villa apud Northusen“ in Nr. 318 des Walkenrieder Urkundenbuches genannt). Das Altendorf kann als Anfang Nordhausens nicht in Betracht kommen, wohl aber „Altnordhausen“, dessen am Mühlgraben be-legene, dem Frauenbergskloster gehörige Mühle 1308 „molendinum ve-teris Northusen“ (in Nr. 33 der Frauenbergskloster-Urkunden) genannt wird.“ Und er fährt fort: „Seit Jahrzehnten habe ich in meinen Schriften und Aufsätzen zur Geschichte der Stadt Nordhausen die Ansicht vertreten, daß Altnordhausen, die jetzige Frauenbergsvorstadt, als die älteste Ansiedlung und als der Anfang der Stadt Nordhausen anzusehen ist.“
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Der Ausdruck „villa“ bezeichnet von Anbeginn an eine Siedlung dörflichen Charakters, wenngleich er noch bis Mitte des 12 Jahrhunderts auch solchen Orten beigesetzt wird, die sich zu befestigten Städten entwickelt haben. Der Name „civitas“ hingegen kennzeichnet diejenige „villa“, der Markt- und Zoll-, gegebenenfalls auch das Münzrecht verliehen ist30), ganz gleich, ob der Platz noch feudales Lehn ist oder bereits städtische, bürgerliche Verfassung aufweist31).
Der Ausdruck „villa“ bezeichnet von Anbeginn an eine Siedlung dörflichen Charakters, wenngleich er noch bis Mitte des 12 Jahrhunderts auch solchen Orten beigesetzt wird, die sich zu befestigten Städten entwickelt haben. Der Name „civitas“ hingegen kennzeichnet diejenige „villa“, der Markt- und Zoll-, gegebenenfalls auch das Münzrecht verliehen ist30), ganz gleich, ob der Platz noch feudales Lehn ist oder bereits städtische, bürgerliche Verfassung aufweist31).


[[Datei:Merwigslindenfest der Schuhmacher Nordhausen.jpg|thumb|300px|center|Merwigslindeniest der Schuhmacher <small>nach einer farbigen Tuschzeichnung, Mitte des 18. Jahrhunderts, ehemals im Besitz des Meyenburg-Museums Nordhausen</small>]]
[[Datei:Merwigslindenfest der Schuhmacher Nordhausen.jpg|thumb|600px|center|Merwigslindeniest der Schuhmacher <small>nach einer farbigen Tuschzeichnung, Mitte des 18. Jahrhunderts, ehemals im Besitz des Meyenburg-Museums Nordhausen</small>]]


Beweist schon der Ausdruck von 1342 „civitas nove ville“, daß das Neue Dorf längst vor der de jure Eingemeindung in die Stadt Nordhausen de facto als ihrer städtischen Rechte teilhaftig angesehen wurde, so liefert der Vertrag über den Zusammenschluß des neuen Dorfes mit der Altstadt32) genügend Material, um den stadtähnlichen Charakter der „nova villa“ zu verdeutlichen. Es heißt da u. a. „daz nu nach numerme in der egenanten Nuwenstad vorcziten genant das nuwedorff nykein Rathus edir Retha sullin sin edir werden“ und daß künftig weder öffentliche Gebäude, wie Gefängnis, Waage, Kaufhaus, noch Märkte aller Art bestehen dürfen. Zumindest ein Teil dieser Einrichtungen hatte in dem Neuen Dorfe bestanden, nicht zuletzt befand sich daselbst neben der Kirche S. Jacobi die einzige bürgerliche Stadtschule, die der Rat der alten Stadt gegen die Monopolstellung der Domschule in heftigem Kulturkämpfe gegen den Mainzer Erzbischof durchgesetzt hatte32).
Beweist schon der Ausdruck von 1342 „civitas nove ville“, daß das Neue Dorf längst vor der de jure Eingemeindung in die Stadt Nordhausen de facto als ihrer städtischen Rechte teilhaftig angesehen wurde, so liefert der Vertrag über den Zusammenschluß des neuen Dorfes mit der Altstadt32) genügend Material, um den stadtähnlichen Charakter der „nova villa“ zu verdeutlichen. Es heißt da u. a. „daz nu nach numerme in der egenanten Nuwenstad vorcziten genant das nuwedorff nykein Rathus edir Retha sullin sin edir werden“ und daß künftig weder öffentliche Gebäude, wie Gefängnis, Waage, Kaufhaus, noch Märkte aller Art bestehen dürfen. Zumindest ein Teil dieser Einrichtungen hatte in dem Neuen Dorfe bestanden, nicht zuletzt befand sich daselbst neben der Kirche S. Jacobi die einzige bürgerliche Stadtschule, die der Rat der alten Stadt gegen die Monopolstellung der Domschule in heftigem Kulturkämpfe gegen den Mainzer Erzbischof durchgesetzt hatte32).
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Tatsächlich hat Förstemann schon 1827 den Spuren frühzeitlicher slawischer Bevölkerung im Umkreise der Stadt Nordhausen ein außergewöhnliches Interesse entgegengebracht46) und eine ganze Anzahl slawischer Ortschaften, teils auf Grund ihrer Namen, teils an Hand urkundlicher Hinweise in der Goldenen Aue festgestellt. Auch Karl Meyer und Silbferborth verschließen sich der historischen Tatsache einer Anwesenheit von Wenden im Helmegau keineswegs, doch hat nie jemand die Prüfung ihrer Spuren im Stadtgebiet selbst für wert erachtet, obschon es gerade Meyer war, der auf eine solche Spur traf.
Tatsächlich hat Förstemann schon 1827 den Spuren frühzeitlicher slawischer Bevölkerung im Umkreise der Stadt Nordhausen ein außergewöhnliches Interesse entgegengebracht46) und eine ganze Anzahl slawischer Ortschaften, teils auf Grund ihrer Namen, teils an Hand urkundlicher Hinweise in der Goldenen Aue festgestellt. Auch Karl Meyer und Silbferborth verschließen sich der historischen Tatsache einer Anwesenheit von Wenden im Helmegau keineswegs, doch hat nie jemand die Prüfung ihrer Spuren im Stadtgebiet selbst für wert erachtet, obschon es gerade Meyer war, der auf eine solche Spur traf.


Es handelt sich dabei um eine Straße, die den Namen „Grimmel“ führt und die in etwa 300 m Entfernung südlich der Wiedigsburg in annähernd westöstlicher Richtung verläuft. Sie hat in älterer Zeit, vermutlich als erhöhter Damm, das Schottergelähde und vermittels einiger Stege die Wasserrinnen der Zorge überquert und keine geringe Bedeutung gehabt. Nimmt sie doch ihren Ausgang von der Wassertreppe, die durch eine Pforte in der Stadtmauer direkt in die Burg und den Wirtschaftshof Heinrichs 1. mündete, und lag doch genau unterhalb der Burg an dem schon erwähnten Mühlgraben und knapp 50 m nördlich vom Grimmel die Kaisermühle, die das über den Grimmel herangefahrene Getreide für das castrum, die curtis regia und die Villa Northusen zu vermahlen hatte. Die ältesten Aufzeichnungen des Lehn- und Erbzinsbuches des Kreuzstifts zu Nordhausen aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts sprechen von Häusern „in deme Grimmule“ (andere Quellen schreiben „in me Grimyle“, „in me Grymil“, Grymol, Grymmel usw.), die Kaisermühle wird „molendinum retro curiam Cesaris“ oder „molendinum ante portam aquarum“ genannt, auf deutsch also die „Mühle hinter dem Kaiserhof“ oder „vor der Wasserpforte“.
Es handelt sich dabei um eine Straße, die den Namen „Grimmei“ führt und die in etwa 300 m Entfernung südlich der Wiedigsburg in annähernd westöstlicher Richtung verläuft. Sie hat in älterer Zeit, vermutlich als erhöhter Damm, das Schottergelähde und vermittels einiger Stege die Wasserrinnen der Zorge überquert und keine geringe Bedeutung gehabt. Nimmt sie doch ihren Ausgang von der Wassertreppe, die durch eine Pforte in der Stadtmauer direkt in die Burg und den Wirtschaftshof Heinrichs 1. mündete, und lag doch genau unterhalb der Burg an dem schon erwähnten Mühlgraben und knapp 50 m nördlich vom Grimmei die Kaisermühle, die das über den Grimmel herangefahrene Getreide für das castrum, die curtis regia und die Villa Northusen zu vermahlen hatte. Die ältesten Aufzeichnungen des Lehn- und Erbzinsbuches des Kreuzstifts zu Nordhausen aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts sprechen von Häusern „in deme Grimmule“ (andere Quellen schreiben „in me Grimyle“, „in me Grymil“, Grymol, Grymmel usw.), die Kaisermühle wird „molendinum retro curiam Cesaris“ oder „molendinum ante portam aquarum“ genannt, auf deutsch also die „Mühle hinter dem Kaiserhof“ oder „vor der Wasserpforte“.


In Kenntnis aller dieser Einzelheiten schreibt nun Karl Meyer 188 7 47): „Zu der Königsburg gehörte die unter ihr liegende „Kaisermühle“, welche früher den Namen „Grimmühle, Burgmühle“ trug und 1334 „molendina (sic) in Northusen situm retro curiam Caesaris“ genannt wird.“ 1903 sagt er ferner48): „Diese Ansiedlung (d. h. der Grimmel) ist nach der Grim-Mühle oder Kaisermühle genannt, welche früher vorhanden gewesen ist, als die neben ihr entstandene Vorstadt.“ Und weiter: „Der Name Grimmühle ist der ältere Name der Kaisermühle und wird „die auf dem Kiese liegende Mühle“ bezeichnen. Grim ist der wendische Name für Kies; Wenden waren von den sächsischen Kaisern im 10. Jahrhundert in mehreren Ortschaften der Nachbarschaft: Othstedt, Windehausen, Bielen, Libiz, Bechersdorf, Steinbrücken, Nenzelsrode und Ascherswenden — und möglicherweise auch vereinzelt in oder vor Nordhausen — angesiedelt worden.“
In Kenntnis aller dieser Einzelheiten schreibt nun Karl Meyer 188 7 47): „Zu der Königsburg gehörte die unter ihr liegende „Kaisermühle“, welche früher den Namen „Grimmühle, Burgmühle“ trug und 1334 „molendina (sic) in Northusen situm retro curiam Caesaris“ genannt wird.“ 1903 sagt er ferner48): „Diese Ansiedlung (d. h. der Grimmel) ist nach der Grim-Mühle oder Kaisermühle genannt, welche früher vorhanden gewesen ist, als die neben ihr entstandene Vorstadt.“ Und weiter: „Der Name Grimmühle ist der ältere Name der Kaisermühle und wird „die auf dem Kiese liegende Mühle“ bezeichnen. Grim ist der wendische Name für Kies; Wenden waren von den sächsischen Kaisern im 10. Jahrhundert in mehreren Ortschaften der Nachbarschaft: Othstedt, Windehausen, Bielen, Libiz, Bechersdorf, Steinbrücken, Nenzelsrode und Ascherswenden — und möglicherweise auch vereinzelt in oder vor Nordhausen — angesiedelt worden.“


Es geht natürlich nicht an, den an sich richtig als ortsfremd erkannten Namen „Grimmel“ im gleichen Atemzuge als altnordische Kenning für „Burg“ und als slawisches Wort für „Kies“ zu deuten. Meyer war aber so befangen von der Ansicht, daß in den alten Formen „Grimmule“, „Grim-myle“ und „Grimmol“ das Wort „Mühle“ enthalten sei, daß ihm die übrig-bleibende Silbe „Grim“ von untergeordneter Bedeutung gewesen sein muß. So kommt es, daß dann Otto Riemenschneider auf der Meyerschen Basis weiter fabuliert49): „Denn „Grim“ bedeutet Helm, in übertragenem Sinne „Burg“. Und der alte Name der heutigen Kaisermühle ist ja Grimm-Mühle, zu der der Grimmel führt. Über der Grimm-Mühle aber lag die „Grim“, d. h. die Burg …“
Es geht natürlich nicht an, den an sich richtig als ortsfremd erkannten Namen „Grimmel“ im gleichen Atemzuge als altnordische Kenning für „Burg“ und als slawisches Wort für „Kies“ zu deuten. Meyer war aber so befangen von der Ansicht, daß in den alten Formen „Grimmule“, „Grim-myle“ und „Grimmol“ das Wort „Mühle“ enthalten sei, daß ihm die übrig-bleibende Silbe „Grim“ von untergeordneter Bedeutung gewesen sein muß. So kommt es, daß dann Otto Riemenschneider auf der Meyerschen Basis weiter fabuliert49): „Denn „Grim“ bedeutet Helm, in übertragenem Sinne „Burg“. Und der alte Name der heutigen Kaisermühle ist ja Grimm-Mühle, zu der der Grimmel führt. Über der Grimm-Mühle aber lag die „Grim“, d. h. die Burg . . .“


Es bleibt unerfindlich, aus welchem dunklen Triebe heraus die Bewohner dieser Landschaft eine Burg mit einem allenfalls in der nordischen Skaldenpoesie vorkommenden Namen hätten bezeichnen sollen. Noch seltsamer ist es, daß nicht die Burg selbst in den Genuß des Namens gekommen sein soll, sondern nur die zu ihren Füßen liegende Mühle! — Mit seinem zweiten Erklärungsversuch, daß „Crim“ der wendische Name für Kies sei, ist Meyer erheblich glücklicher gewesen. In einer Reihe von slawischen Sprachen finden wir für Kies, Kiesel die Worte „kremenj“, „kremik“ oder „kremjel“, und das letztgenannte, noch heute im Obersorbischen gebräuchliche weist sogar die „el“-Endung auf, derentwegen unser Grimmel bislang nur halb erklärbar erschien. Samt und sonders tragen diese Wörter nur einen Hauptton auf der ersten Silbe, und so müssen wir uns auch die urkundlich geschriebenen Namen „Grimmuie“, „Grimyle“, „Grimmol“ usw. gesprochen denken. Die Endungs-„e“ bezeichnen Dative nach „in deme“ oder „in me“, bzw. slawische Lokative.
Es bleibt unerfindlich, aus welchem dunklen Triebe heraus die Bewohner dieser Landschaft eine Burg mit einem allenfalls in der nordischen Skaldenpoesie vorkommenden Namen hätten bezeichnen sollen. Noch seltsamer ist es, daß nicht die Burg selbst in den Genuß des Namens gekommen sein soll, sondern nur die zu ihren Füßen liegende Mühle! — Mit seinem zweiten Erklärungsversuch, daß „Crim“ der wendische Name für Kies sei, ist Meyer erheblich glücklicher gewesen. In einer Reihe von slawischen Sprachen finden wir für Kies, Kiesel die Worte „kremenj“, „kremik“ oder „kremjel“, und das letztgenannte, noch heute im Obersorbischen gebräuchliche weist sogar die „el“-Endung auf, derentwegen unser Grimmel bislang nur halb erklärbar erschien. Samt und sonders tragen diese Wörter nur einen Hauptton auf der ersten Silbe, und so müssen wir uns auch die urkundlich geschriebenen Namen „Grimmuie“, „Grimyle“, „Grimmol“ usw. gesprochen denken. Die Endungs-„e“ bezeichnen Dative nach „in deme“ oder „in me“, bzw. slawische Lokative.


Wir haben also in dem Namen „Grimmel“ (die Nordhäuser Mundart kennt kaum einen Unterschied zwischen anlautendem „g“ und „k“, deshalb wird der Ortsfremde anstatt „grimmel“ sicher „krimmel“ wie auch statt „Karl“ „Garrel“ hören) ein einheitliches Wortgebilde slawischen Ursprungs vor uns, das einen „auf dem Kiese“ liegenden Weg oder Wohnplatz bezeichnet. Auf keinen Fall steckt darin das deutsche Wort Mühle, wie Meyer annimmt, und seine darauf bezüglichen Schlußfolgerungen müssen abgelehnt werden.
Wir haben also in dem Namen „Grimmei“ (die Nordhäuser Mundart kennt kaum einen Unterschied zwischen anlautendem „g“ und „k“, deshalb wird der Ortsfremde anstatt „grimmel“ sicher „krimmel“ wie auch statt „Karl“ „Garrel“ hören) ein einheitliches Wortgebilde slawischen Ursprungs vor uns, das einen „auf dem Kiese“ liegenden Weg oder Wohnplatz bezeichnet. Auf keinen Fall steckt darin das deutsche Wort Mühle, wie Meyer annimmt, und seine darauf bezüglichen Schlußfolgerungen müssen abgelehnt werden.


Halten wir nun noch fest, daß eine etwa 450 m südöstlich parallel zum Grimmel liegende Straße seit alters die Bezeichnung „auf dem Sande“ trägt, so dürfte kein Zweifel mehr bestehen, daß slawisch sprechende Menschen die Namengeber des Grimmels waren und demzufolge hier ansässig gewesen sein müssen.
Halten wir nun noch fest, daß eine etwa 450 m südöstlich parallel zum Grimmel liegende Straße seit alters die Bezeichnung „auf dem Sande“ trägt, so dürfte kein Zweifel mehr bestehen, daß slawisch sprechende Menschen die Namengeber des Grimmeis waren und demzufolge hier ansässig gewesen sein müssen.


Karl Meyer hat diese Möglichkeit flüchtig erschaut und zum Ausdruck gebracht, über einen allgemeinen Hinweis auf die angeblich von sächsischen Kaisern während des 10. Jahrhunderts im Helmegau angesiedelten Wenden ist er aber nicht hinausgegangen. Er befand sich mit dieser Einstellung durchaus in Übereinstimmung mit der damaligen Hypothese von den Slawensiedlungen in Thüringen, wie sie in vielfältiger Ausgestaltung seit dem letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts von Größler, Stechele, Schottin, Schlüter, Waehler u. a. entwickelt worden war. Dieser Hypothese zufolge wurde die Existenz slawischer Siedlungen in Thüringen Zu einem geringen Teil auf „eroberndes Vordringen“ im 7. Jahrhundert, zu einem größeren Teil auf „friedliche, aber unfreiwillige Ansetzung“ im 10. Jahrhundert zurückgeführt. Da nun für eine kriegerische Offensive der Slawen, zumal bis nach Mittelthüringen hinein, keine Belege erbracht werden konnten, gewann die Anschauung von der gewaltsamen Ansiedlung wendischer oder sorbischer Kriegsgefangener als Arbeitssklaven deutscher Grundherren bequeme Anerkennung.
Karl Meyer hat diese Möglichkeit flüchtig erschaut und zum Ausdruck gebracht, über einen allgemeinen Hinweis auf die angeblich von sächsischen Kaisern während des 10. Jahrhunderts im Helmegau angesiedelten Wenden ist er aber nicht hinausgegangen. Er befand sich mit dieser Einstellung durchaus in Übereinstimmung mit der damaligen Hypothese von den Slawensiedlungen in Thüringen, wie sie in vielfältiger Ausgestaltung seit dem letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts von Größler, Stechele, Schottin, Schlüter, Waehler u. a. entwickelt worden war. Dieser Hypothese zufolge wurde die Existenz slawischer Siedlungen in Thüringen Zu einem geringen Teil auf „eroberndes Vordringen“ im 7. Jahrhundert, zu einem größeren Teil auf „friedliche, aber unfreiwillige Ansetzung“ im 10. Jahrhundert zurückgeführt. Da nun für eine kriegerische Offensive der Slawen, zumal bis nach Mittelthüringen hinein, keine Belege erbracht werden konnten, gewann die Anschauung von der gewaltsamen Ansiedlung wendischer oder sorbischer Kriegsgefangener als Arbeitssklaven deutscher Grundherren bequeme Anerkennung.
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Nach diesem Exkurs in die allgemeinen Vorgänge des 7. Jahrhunderts in Thüringen kehren wir in sein nördliches Randgebiet und die Heimat der Merwigslindensage zurück. Hat sich die Ansiedlung von Wenden in Thürringen unter den im vorigen Abschnitt geschilderten Umständen vollzogen, so ist auch das Flußgebiet der Helme mit seinem Hinterland von den Einwanderern nicht übersehen worden. Der Weg unstrutaufwärts führte bei Ritteburg verheißungsvoll in das riedreiche, Wenden und Sorben also höchst willkommene Gebiet zwischen Südharz einerseits und Kyffhäuser und Windleite andererseits. Auf die bereits von Förstemann, später von Meyer u. a. bis auf Albrecht und Grimm genannten, hier befindlichen Slawenplätze ist schon hingewiesen worden. Neben den vonAlbrecht kartographisch aufgenommenen Wüstungen (W) oder Dörfern: W Alt-Wenden, W Nausitz, Sittendorf, Rosperwenden, W Lindeschu, W Tütche-wenden, W Ascherwenden, Windehausen und Steinbrücken gibt es aber eine weitere Anzahl, deren einstiger Status als Slawensiedlung nicht bezweifelt werden kann. Da ist Nenzelsrode (1133 Nanzenrad)69), das als Slawenort dem Stift Jechaburg geschenkt wird, und Petersdorf (1128 Bethersdorph)70), das den Slawenzehnt entrichtet, da sind Berga, in dessen nächster Umgebung Virchow 1872 die ausgegrabenen Reste einer Fischersiedlung untersuchte, Bielen und Windisehen-Breitungen71), deren Namen eindeutig auf slawischen Ursprung hinweisen. Ethnographisch lassen Görsbach, Leimbach, Buchholz, Sülzhayn und Branderode wendischen Einschlag erkennen72); für letztgenannten Ort weist Waehler eine „win-dische Tür“ an der St. Annenkirche nach73). Wendische Kirchtüren sind in Kleinfurra und Trebra bekannt. Entgegen der Behauptung von Friedrich Schmidt74), daß im oberen Helmegau keine slawischen Ortsnamen auße. Groß- und Klein-Wenden und keinerlei Flur- und Bachnamen sla'wischen Ursprungs Vorkommen75), muß doch beispw. auf die „Windlücke“ zwischen Petersdorf und Steigerthal und die gleiche Flurbezeichnung bei Stempeda76), weiter auf die Orte Kraja, Thalwenden (1055 „in Dalewini-thun decem mansos schlavonicos dimidios)77), Worbis und „Wyndischen Luttera“ (1318)78) hingewiesen werden. Nach dem Zeugnis von Bohne und Lesser79) gab es bei dem Dorfe Krimderode einen Bach mit dem Namen „Grimme“. Er ist längst versiegt, es kann aber als gewiß angenommert werden, daß von ihm der Ortsname, mundartlich: Krimmederode, abgeleitet worden ist und nicht von dem mythischen Personennamen Kriem-hild, wie es -die heldenverehrenden Etymologen früherer Zeiten wollen.
Nach diesem Exkurs in die allgemeinen Vorgänge des 7. Jahrhunderts in Thüringen kehren wir in sein nördliches Randgebiet und die Heimat der Merwigslindensage zurück. Hat sich die Ansiedlung von Wenden in Thürringen unter den im vorigen Abschnitt geschilderten Umständen vollzogen, so ist auch das Flußgebiet der Helme mit seinem Hinterland von den Einwanderern nicht übersehen worden. Der Weg unstrutaufwärts führte bei Ritteburg verheißungsvoll in das riedreiche, Wenden und Sorben also höchst willkommene Gebiet zwischen Südharz einerseits und Kyffhäuser und Windleite andererseits. Auf die bereits von Förstemann, später von Meyer u. a. bis auf Albrecht und Grimm genannten, hier befindlichen Slawenplätze ist schon hingewiesen worden. Neben den vonAlbrecht kartographisch aufgenommenen Wüstungen (W) oder Dörfern: W Alt-Wenden, W Nausitz, Sittendorf, Rosperwenden, W Lindeschu, W Tütche-wenden, W Ascherwenden, Windehausen und Steinbrücken gibt es aber eine weitere Anzahl, deren einstiger Status als Slawensiedlung nicht bezweifelt werden kann. Da ist Nenzelsrode (1133 Nanzenrad)69), das als Slawenort dem Stift Jechaburg geschenkt wird, und Petersdorf (1128 Bethersdorph)70), das den Slawenzehnt entrichtet, da sind Berga, in dessen nächster Umgebung Virchow 1872 die ausgegrabenen Reste einer Fischersiedlung untersuchte, Bielen und Windisehen-Breitungen71), deren Namen eindeutig auf slawischen Ursprung hinweisen. Ethnographisch lassen Görsbach, Leimbach, Buchholz, Sülzhayn und Branderode wendischen Einschlag erkennen72); für letztgenannten Ort weist Waehler eine „win-dische Tür“ an der St. Annenkirche nach73). Wendische Kirchtüren sind in Kleinfurra und Trebra bekannt. Entgegen der Behauptung von Friedrich Schmidt74), daß im oberen Helmegau keine slawischen Ortsnamen auße. Groß- und Klein-Wenden und keinerlei Flur- und Bachnamen sla'wischen Ursprungs Vorkommen75), muß doch beispw. auf die „Windlücke“ zwischen Petersdorf und Steigerthal und die gleiche Flurbezeichnung bei Stempeda76), weiter auf die Orte Kraja, Thalwenden (1055 „in Dalewini-thun decem mansos schlavonicos dimidios)77), Worbis und „Wyndischen Luttera“ (1318)78) hingewiesen werden. Nach dem Zeugnis von Bohne und Lesser79) gab es bei dem Dorfe Krimderode einen Bach mit dem Namen „Grimme“. Er ist längst versiegt, es kann aber als gewiß angenommert werden, daß von ihm der Ortsname, mundartlich: Krimmederode, abgeleitet worden ist und nicht von dem mythischen Personennamen Kriem-hild, wie es -die heldenverehrenden Etymologen früherer Zeiten wollen.


Erhellt aus diesen Beispielen schon zur Genüge, daß die slawische Kolonisation sich in Nordthüringen keineswegs auf das Helmeried beschränkt hat, sondern weit über Nordhausen hinaus nach Westen gegangen ist, erscheint es weiterhin absurd anzunehmen, daß ausgerechnet der gegen Osten und Nordosten durch Höhen geschützte Platz an der Zorge zwischen Grimmel und Wiedigsburg von den Einwandernden übergangen worden wäre, so erweist sich der Flußname „Zorge“ selbst als unwidersprechlicher Beleg für die Anwesenheit von Wenden an dieser Stelle.
Erhellt aus diesen Beispielen schon zur Genüge, daß die slawische Kolonisation sich in Nordthüringen keineswegs auf das Helmeried beschränkt hat, sondern weit über Nordhausen hinaus nach Westen gegangen ist, erscheint es weiterhin absurd anzunehmen, daß ausgerechnet der gegen Osten und Nordosten durch Höhen geschützte Platz an der Zorge zwischen Grimmei und Wiedigsburg von den Einwandernden übergangen worden wäre, so erweist sich der Flußname „Zorge“ selbst als unwidersprechlicher Beleg für die Anwesenheit von Wenden an dieser Stelle.


Urkundlich erscheint der Name erstmalig im Jahre 927 in der Form „Zurrega“80). Die lokale Aussprache des Wortes lautet „zorje“, die Einwohner des an der Quelle des Baches liegenden Ortes Zorge sprechen den Namen wie „zerje“ aus81). Bereits 1888 hat der in Nordhausen gebürtige Dr. Martin Schultze, der ein vielseitiger Linguist und durch langjährige Tätigkeit im deutschen Osten und auf dem Balkan ein zuverlässiger Kenner slawischer Dialekte war, die Etymologie des Wortes „Zorge“ untersucht82). Er hat dabei den Namen auf altslawisches „zorja“ bzw. wendisches „zerja“ mit der Bedeutung „Glanz, Helligkeit, Schimmer“ zurückgeführt und dargetan, wie die Formen „zorje/zerje“ durch den alltäglichen Gebrauch in Verbindung mit Präpositionen (in, auf, an usw.) sich eingebürgert haben. Wir haben es also bei dem urkundlichen „Zurrega“ (phonetisch: zurreja) mit der Nominativform, bei dem heutigen Zorge (phonetisch: zorje/zerje) mit der Lokativform zu tun.
Urkundlich erscheint der Name erstmalig im Jahre 927 in der Form „Zurrega“80). Die lokale Aussprache des Wortes lautet „zorje“, die Einwohner des an der Quelle des Baches liegenden Ortes Zorge sprechen den Namen wie „zerje“ aus81). Bereits 1888 hat der in Nordhausen gebürtige Dr. Martin Schultze, der ein vielseitiger Linguist und durch langjährige Tätigkeit im deutschen Osten und auf dem Balkan ein zuverlässiger Kenner slawischer Dialekte war, die Etymologie des Wortes „Zorge“ untersucht82). Er hat dabei den Namen auf altslawisches „zorja“ bzw. wendisches „zerja“ mit der Bedeutung „Glanz, Helligkeit, Schimmer“ zurückgeführt und dargetan, wie die Formen „zorje/zerje“ durch den alltäglichen Gebrauch in Verbindung mit Präpositionen (in, auf, an usw.) sich eingebürgert haben. Wir haben es also bei dem urkundlichen „Zurrega“ (phonetisch: zurreja) mit der Nominativform, bei dem heutigen Zorge (phonetisch: zorje/zerje) mit der Lokativform zu tun.
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Ungeachtet dieser nicht aus Urkunden, sondern aus dem Leben gegriffenen Deutung ergibt sich aus der markanten Übereinstimmung der Wesenszüge des historischen Slawenkönigs Samo mit dem Könige der Nordhäuser Lindensage hinreichend deutlich der Ursprung der letzteren.
Ungeachtet dieser nicht aus Urkunden, sondern aus dem Leben gegriffenen Deutung ergibt sich aus der markanten Übereinstimmung der Wesenszüge des historischen Slawenkönigs Samo mit dem Könige der Nordhäuser Lindensage hinreichend deutlich der Ursprung der letzteren.


Fassen wir die Resultate der vorliegenden Arbeit zusammen, so zeigt sich, daß die Nordhäuser Lindensage dem 7. Jahrhundert entstammt. Ihre historische Grundlage bildet die friedliche Begegnung und das Zusammenleben von Thüringern, die vermutlich schon seit dem Bestehen des Thüringer Königsreiches im Aitendorf wohnten, mit wendischen Kolonisten, die sich längs der Zorge zwischen Wiedigsburg und Grimmel ansiedelten. Die Idealgestalt des gerechten und volksnahen Königs der Sage hat ihr Urbild in dem Slawenherrscher Samo, die Adoption des Namens Merwig um 1700 beruht auf dem Irrtum eines Pseudo-Gelehrten jener Zeit. Aus der Analyse unserer Lindensage ergaben sich weiterhin einmal verschiedene Berichtigungen von Anschauungen früherer Orts-historiker, zum andern aber ein grundsätzlich neuer Standpunkt gegenüber den Ursachen, der Art und Ausdehnung der Slawensiedlungen in Thüringen. Die Theorie von der Begründung slawischer Wohnplätze in Thüringen durchHörige,Kriegsgefangene oder Sklaven, die in der einschlägigen Literatur immer wieder kritiklos nachgeschrieben wird, kann und muß, wenn man den Tatsachen nicht Gewalt antun wül, überwunden werden. Eine solche Revision wird viel Neuarbeit erfordern, aber auch eine Fülle neuer Erkenntnisse zeitigen.
Fassen wir die Resultate der vorliegenden Arbeit zusammen, so zeigt sich, daß die Nordhäuser Lindensage dem 7. Jahrhundert entstammt. Ihre historische Grundlage bildet die friedliche Begegnung und das Zusammenleben von Thüringern, die vermutlich schon seit dem Bestehen des Thüringer Königsreiches im Aitendorf wohnten, mit wendischen Kolonisten, die sich längs der Zorge zwischen Wiedigsburg und Grimmei ansiedelten. Die Idealgestalt des gerechten und volksnahen Königs der Sage hat ihr Urbild in dem Slawenherrscher Samo, die Adoption des Namens Merwig um 1700 beruht auf dem Irrtum eines Pseudo-Gelehrten jener Zeit. Aus der Analyse unserer Lindensage ergaben sich weiterhin einmal verschiedene Berichtigungen von Anschauungen früherer Orts-historiker, zum andern aber ein grundsätzlich neuer Standpunkt gegenüber den Ursachen, der Art und Ausdehnung der Slawensiedlungen in Thüringen. Die Theorie von der Begründung slawischer Wohnplätze in Thüringen durchHörige,Kriegsgefangene oder Sklaven, die in der einschlägigen Literatur immer wieder kritiklos nachgeschrieben wird, kann und muß, wenn man den Tatsachen nicht Gewalt antun wül, überwunden werden. Eine solche Revision wird viel Neuarbeit erfordern, aber auch eine Fülle neuer Erkenntnisse zeitigen.


== Quellen und Erläuterungen ==
== Quellen und Erläuterungen ==
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5) Casp. Sagittarius, Ant. Ducatus Thuringici, 1688
5) Casp. Sagittarius, Ant. Ducatus Thuringici, 1688


6) F. C. Lesser. Historische Nachrichten , 1740, S. 9
6) F. C. Lesser. Historische Nachrichten . . ., 1740, S. 9


7) Heinrich Pröhle, Gebräuche aus den Harzgegenden, Zs. f. deutsche Mythologie u.
7) Heinrich Pröhle, Gebräuche aus den Harzgegenden, Zs. f. deutsche Mythologie u.
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17) E. G. Förstemann, Kleine Schriften z. Gesch. d. Stadt Nordhausen, 1855, S. 143 — Dieser Stein befindet sich noch heute eingemauert in der Ostwand des Rathauses über dem neuen Haupteingang
17) E. G. Förstemann, Kleine Schriften z. Gesch. d. Stadt Nordhausen, 1855, S. 143 — Dieser Stein befindet sich noch heute eingemauert in der Ostwand des Rathauses über dem neuen Haupteingang


18) F. C. Lesser, Hist. Nachrichten , 1740, S. 11
18) F. C. Lesser, Hist. Nachrichten . . ., 1740, S. 11


19) R. Jordan, Chronik d. Stadt Mühlhausen i. Th., 1900, S. IV u. 7
19) R. Jordan, Chronik d. Stadt Mühlhausen i. Th., 1900, S. IV u. 7
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65) wie 59) S. 12
65) wie 59) S. 12


66) vgl. Friedrich Lütge, Agrarverfassung des früh. Mittelalters 1937, S. 219, der nachweist, „daß die Unfreiheit, sowohl was deutsche, wie was slawische Unfreie betrifft, in unserm Gebiet mit dem 12./13. Jahrh. völlig geschwunden ist und daß hier auch keine Umbildung zu Leibeigenschaftsverhältnissen stattgefunden hat, wie im Westen, Südwesten und Norden (Schleswig-Holstein) und ebenso keine Umbildung zu gutsherrlichen Formen, wie sie im preußischen Osten, Böhmen-Mähren usw. zu verzeichnen sind“.
66) vgl. Friedrich Lütge, Agrarverfassung des früh. Mittelalters . . . 1937, S. 219, der nachweist, „daß die Unfreiheit, sowohl was deutsche, wie was slawische Unfreie betrifft, in unserm Gebiet mit dem 12./13. Jahrh. völlig geschwunden ist und daß hier auch keine Umbildung zu Leibeigenschaftsverhältnissen stattgefunden hat, wie im Westen, Südwesten und Norden (Schleswig-Holstein) und ebenso keine Umbildung zu gutsherrlichen Formen, wie sie im preußischen Osten, Böhmen-Mähren usw. zu verzeichnen sind“.


67) Christoph Albrecht, Die Slawen in Thüringen, in: Jahresschrift f. d. Vorgesch. d. sächs. thür. Länder, 1925
67) Christoph Albrecht, Die Slawen in Thüringen, in: Jahresschrift f. d. Vorgesch. d. sächs. thür. Länder, 1925
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