Harzer Waldarbeiter kämpfen um ihr Recht
ie Holzfälleraxt geschultert, stapft Wilhelm Hahnemann durch den tiefen Schnee, den Lienberg hinab, seiner Hütte in Wiegersdorf zu. Der Wind zaust an seinen zerschlissenen Kleidern. Dichter Flockenwirbel nimmt ihm die Sicht. Doch er kennt hier selbst in stockfinsterer Nacht jeden Weg, jede Wurzel.
Das lustige Geklingel eines Pferdeschlittens schreckt den Holzarbeiter aus seinem Sinnen. Er lauscht. „Der dicke Jost aus Ilfeld, der Händler, dieser Halsabschneider.“ Unwillkürlich faßt er seine Axt fester. Vorgestern war seine Frau bei dem Händler gewesen. Den letzten Taler aus dem Sparstrumpf hatte sie für einen halben Scheffel Kartoffeln geben müssen.
Der Holzfäller stöhnt. Sorgen bedrücken ihn. Die Kartoffelkrankheit vernichtet seit Jahren die Kartoffelernte. Fünf hungrige Mäuler warten daheim. Und er verdient nur 75 Pfennig täglich für schwere, zwölfstündige Arbeit! Das paßt nicht zusammen.
Sein Blick bleibt an einer breitkronigen, knorrigen Eiche hängen. Für die Rinde zahlen die Nordhäuser Lohgerber harte Taler, denkt er. Holz braucht der Bäcker. Seine Kinder hungern.
Das Schneetreiben hat nachgelassen. Wilhelm Hahnemann hat die Straße erreicht. Aus dem Schornstein seiner Hütte sieht er dicken Rauch in den Himmel steigen. „Hilf dir selbst!“ fährt es ihm durch den Sinn. Fest schreitet er seinem Hause zu.
Dr. Blumenthal, der mit seiner prallen Instrumententasche aus einem der Häuser tritt, erschrickt, als er in das grimmige Gesicht des Waldarbeiters blickt. Eilig trippelt er nach Ilfeld.
Als Förster Wehrhahn einige Tage später am Lienberg den Spuren eines Rudels Rehe nachgeht, bleibt sein Blick plötzlich an einer bestimmten Stelle im Schnee haften. Doch es ist kein Reh, dem seine Aufmerksamkeit gilt. Der helle Stumpf einer Eiche und zerwühlter Schnee, Holzsplitter und die tiefe, talwärts führende Spur eines großen Schlittens treiben ihm die Röte ins Gesicht. „Holzfrevel, na warte!“ schreit er. Deshalb also steckten die Holzfäller heimlich die Köpfe zusammen, als er ihnen neulich die Lohnerhöhung glattweg abschlug.
So schnell es der tiefe Schnee zuläßt, marschiert der Förster in der Richtung weiter, aus der Axtschläge erschallen. „Denen werde ich’s zeigen! Wollen doch sehen, wer hier zu bestimmen hat, diese aufsässigen Kerle oder Förster Wehrhahn, ihre Obrigkeit!“
Als die Waldarbeiter den Förster kommen sehen, zögern sie hei ihrer Arbeit. Schweigend sehen sie einander in die Augen, nicken sich zu und greifen wieder zu ihrem Handwerkszeug.
Dann bricht das Gewitter los. Wehrhahn tobt und beschuldigt die Holzarbeiter. Worte fliegen hin und her. „Wenn wir unser Recht nicht bekommen, so nehmen wir’s uns.“
Als Wehrhahn zur Flinte greifen will, haben ihn schon zwei derbe Fäuste gepackt und zu Boden geftssen. Donnernd löst sich der Schuß und hallt von den Bergen wider. Dann schlagen die Arbeiter zu.
Zwei Stunden später ziehen die Waldarbeiter aus Ilfeld und Wiegersdorf geschlossen zum Hause des Ortsschulzen, Friedrich Breer. Ihm wollen sie ihre Forderung überbringen.
Doch die Kunde von der Auseinandersetzung am Lienberg ist schneller gewesen als sie. Friedrich Breer ist feige nach Osterode geflohen. Dr. Blumenthal hat die „Ilfelder Bürgerwehr“, deren Oberster er ist, alarmiert. Und der dicke Jost jagt einen Eilboten zu seinem Bruder, dem Hauptmann bei den Goslarer Jägern, er solle Soldaten schicken, um die „Revolution“ niederzuschlagen.
Als sich die empörten Arbeiter nach Ilfeld wenden, sperren bewaffnete Bürger die Straße. „Macht Platz! Wir wollen zum Amtmann! Kartoffeln und Brot für unsere Kinder! Mehr Lohn für die Schinderei im Wald!“
Doch Dr. Blumenthal gibt seinen Leuten einen Wink. „Das ist Aufruhr gegen die Obrigkeit! Faßt die Rädelsführer!“ Schnell sind die unbewaffneten Arbeiter überwältigt, einige werden abgeführt, die anderen gehen unverrichteterdinge nach Hause.
Der Frühling ist ins Land gezogen, die Märzsonne hat die Erde aufgetaut. Frau Hahnemann schaut die Straße nach Osterode hinauf. Wilhelm mußte doch bald kommen. Ungeduldig fragt sie die Nachbarin, ob deren Mann schon daheim sei. Hatte sie doch eine frohe Nachricht für ihren Wilhelm.
Sie malt sich sein überraschtes Gesicht aus, wenn er in die Stube tritt und sieht, daß er sich satt essen kann, richtig satt. Und sie brauchte nicht einen Pfennig zu zahlen für drei große Körbe, randvoll mit Kartoffeln. Der Gutsherr von Werna hatte geholfen.
Spät abends kommt Wilhelm müde nach Hause. Um die Rechte hat er einen schmutzigen Lumpen gewickelt. Schweigend, mit gesenktem Kopf, setzt er sich zu Tisch und greift mit der Linken in die Schüssel. „Wilhelm, so sag doch was! Sei nicht so undankbar! Geschenkt, sage ich dir, geschenkt!“
Doch der wickelt nur den Lumpen ab und zeigt die zerschundene Hand. „.Bezahlt, teuer genug bezahlt.“ Die Frau versteht nicht.
Wilhelm weist zum Fenster hinaus auf die Straße nach Osterode. „Die dürfen wir auch umsonst bauen: für den Gutsherrn von Werna, für den Dr. Blumenthal und die feinen Bürger von Ilfeld, für den Amtmann und den dicken Jost und für ihren Förster Wehrhahn. Der Teufel hole die Obrigkeit !“