Einführung, Jahreszeiten und Festtage in altem Brauch und alter Sage

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Hans Silberborth

Die Natursagen

Einführung, Jahreszeiten und Festtage in altem Brauch und alter Sage

Schon vor 50 Jahren bedauerte der Eisleber Heimatforscher Größler die Verständnislosigkeit weiter Volkskreise gegenüber altem deutschem Kulturgute und klagte über die Schwierigkeiten, die ihm bei der Sammlung von Volkssagen des Eisleber Landes entgegengetreten seien. Immer weniger würden die Sagen weitererzählt, immer mehr gerieten sie bei dem jungen Volk in Vergessenheit und Mißachtung. Und die Behörden, die doch alles tun sollten, altes Kulturgut zu hüten und zu wahren, schienen ihm dieser Pietätlosigkeit noch Vorschub zu leisten. Vor allem die böse Separation habe ganz unheilvolle Wirkungen gehabt, unheilvoll deshalb, weil die Volkssagen dadurch in Vergessenheit geraten seien.

Dergleichen Klagen erscheinen dem modernen Menschen höchst eigenartig und unangebracht. Denn bei allem Verständnis für die Guter der Vergangenheit, bei ehrlichster Begeisterung für das wahre Wesen unseres Volkes, das besonders klar hervorleuchtet aus alter Sitte, altem Brauch und altem Glauben, können wir doch nicht wünschen, daß unser Deutschland nicht mitgeht mit der Welt, sondern erstarrt in verstaubter Tradition. Bei der nun einmal notwendigen Entwicklung muß allerdings vieles Alte und wohl auch vieles Schöne über Bord gehen. Das können wir nicht ändern. Wir haben dabei nur die Verpflichtung, darauf zu achten, daß an die Stelle des verloren gegangenen Guten Besseres tritt und daß, trotz Abstoßens wirklich Veralteten, doch wahrhaft Edles und wegen seines Hervorquellens aus tiefster Volksseele noch heute wahrhaft Lebenspendendes in irgendeiner Form erhalten bleibt.

Doch daß das Alte erst abbröckelt und dann stürzt, stürzen muß, das darf man nicht beklagen, sondern muß man begreifen. In einer Zeit, wo längst aus dem alten Agrarstaat ein neuer Industriestaat geworden ist, wo wir längst von der Handarbeit zur Maschinenarbeit übergcgangen sind, wo die Wissenschaft die Natur entgöttert und sie uns doch erst in ihrer ganzen Erhabenheit und Harmonie und unendlichen Schönheit kennen gelehrt hat, wo durch die Fortschritte der Technik in das einsamste Heidehaus und die ablegenste Alpenhütte das elektrische Licht und der Radioapparat getragen sind, da müssen nicht bloß die alten Gewohnheiten und Ueberlieferungen schwinden, sondern selbst die Erinnerungen daran. Weil das unabänderlich ist, ist es auch vernünftig und gut.

Damit ist noch lange keinem wurzellosen Hinvegetieren von Augenblick zu Augenblick das Wort gesprochen. Es ist bei einem Volke wie bei dem einzelnen Menschen. Auch der kann sich seinen Kinderglauben und seine Jugendsreische nicht für das reife Mannesalter oder gar für das Greisentum erhalten; bewundernswert aber ist es, wenn er sich die besten Eigenschaften des Jünglings bis ins graue Alter bewahrt. So geht es auch einem ganzen Volke. Auch das muß im Laufe der Jahrhunderte sich wandeln, alte Bräuche abstreifen und immer neue Lebensformen annehmen. Allerdings: Alle seine Fähigkeiten entwickeln und für die Dauer bestehen kann es nur, wenn es sich den innersten Kern seines Wesens auch bei veränderter äußerer Lebensgewohnheit erhält und wenn es wenigstens von Zeit zu Zeit immer wieder neue Kräfte schöpft aus der Erinnerung an seine ursprüngliche Wesensart.

So mag der großen Masse des Volkes das meiste von altem Glauben und alter Sage, von Geschichte und Brauch aus der Helle des Bewußtseins verschwinden, wenn nur das beste davon unbewußt weiterlebt und, wenn es nötig wird, wieder erneuert werden kann. Dann bleiben wir alle trotz äußerlicher Wandlungen im tiefsten Wesen doch dieselben, und dann werden wir auch immer wieder das Bedürfnis haben, besinnlich auf unsere Vergangenheit zurückzuschauen. Denn wir wissen dann, daß uns die überlieferten Kulturgüter Gedanken und Gefühle und alle Kräfte unserer Vorfahren offenbaren, daß wir Leib und Geist von ihnen sind und daß wir es auch, soweit wie möglich, bleiben müssen. Dann werden uns auch die Möglichkeiten und Grenzen unserer Fähigkeiten klar bewußt; dadurch wieder können wir desto rüstiger und erfolgreicher für die Gegenwart arbeiten und damit auch für unsere Zukunft sorgen. Unendlich aufschlußreich aber für die Frage, woher ein Volk kommt, sind nicht nur Nachrichten von bestimmten Ereignissen und Anschauungen, die von Gelehrten säuberlich zusammengetragen und überliefert worden sind, sondern auch die, von denen das Volk „sagt" oder „gesagt hat", die Sagen des Volkes. Das Volk mag viel sprechen und tun, wovon der einzelne nichts weiß und nichts zu wissen braucht. Was aber innerhalb des Volkes so recht aus seiner Seele herausgcsagt worden ist, und was das Volk so recht aus seiner Eigenart herausgetan hat, davon hat es immer wieder erzählt, weil es ja nicht anders hat denken und fühlen und handeln können. Deshalb ist alte Sage und alter Brauch so aufschlußreich für das Wesen unserer Vorfahren und damit für unser eigenes Wesen, und deshalb scheint mir auch die Kenntnis davon und die Beschäftigung damit etwas mehr Bedeutung zu haben, als daß sie ein Paar sonderbaren Käuzen, die nichts Besseres zu tun wissen, die unnützen Stunden ausfüllt. —

Ueber das Wesen der Volkssage sei aber, nur in Anbetracht des außerordentlichen Abstandes zwischen der Gedanken- und Gefühlswelt des einfach und natürlich empfindenden Menschen und uns, soviel gesagt, daß allein der das Wesen der Sage, ihren ganzen Empfindungsgehalt und das Dichten und Trachten der mit und in dieser Sage lebenden Menschen begreift, der sich noch klarzumachen versteht, daß die Geschehnisse und handelnden Personen der Sage für die Menschen einst ebenso Wirklichkeit gewesen sind wie viele Produkte der Phantasie unserer Kinder für diese. Alle die wilden Jäger und weißen Frauen, die Riesen und Zwerge, die Elfen und Wassermänner, die gekrönten Schlangen und redenden Fische hat es für unsere Vorfahren tatsächlich gegeben.

Die Natursage nun, um die es sich zunächst handelt, läßt erkennen, wie sich unsere Vorfahren mit der sie umgebenden Natur und ihren seltsamen Erscheinungen auseinandergesetzt haben. Für sie ist in der Natur überall unbegreifliches Leben, das man doch gern begreifen möchte und dem man nur einigen Sinn geben kann, wenn man es sich ähnlich vorstellt wie das menschliche Leben und wenn man die Gestalten der Sage bildet nach dem eigenen Bildnis. Ueber allen diesen Natursagen liegt deshalb das wunderbar erhabene, göttliche Bewußtsein der Einheit, Verwandtschaft und Verbundenheit aller Natur, der belebten und unbelebten. An irgendeinem Punkte und irgendwie ist alles Erschaffene einander urverwandt, soviel Unterschiede sonst verhanden sein mögen. Dies Anderssein des Lebens außerhalb des Menschen, diese Vielheit in der Einheit drückt die Sage dann dadurch aus, daß ihre Gestalten wohl menschenähnliche Züge tragen, körperlich und seelisch, und doch wieder anders sind, sei es, daß sie viel mächtiger oder viel dürftiger, viel grausamer oder viel edler sind.

Wir heute können uns diese Gestalten und Gewalten der Sage bis zu einem gewissen Grade als Naturbeseelung oder als Symbole für bestimmte Naturkräfte erklären, dürfen uns deshalb aber nicht einbilden, dadurch tiefer in das Wesen der Sage eingedrungen zu sein. Im Gegenteil: Durch diese rationelle Erklärung entfernen wir uns nur von dem Erlebnis unserer Vorfahren, deren Vorstellungs- und Gefühlswelt ja gerade zur Sagenbildung gegriffen hat, um Unerklärliches zu deuten. Deshalb haftet auch an jeder Sage ein für uns unerklärbarer Rest. Dieser aber bedingt gerade ihren Zauber, weil er das tiefste Phantasie- und Gemütseben unseres Volkes erhellt.

Alle Volkssagen, sowohl die Natursagen wie die historischen Sagen, zeigen innerhalb eines und desselben Volkes in Gehalt und Gestalt geringe Unterschiede, dagegen werden Inhalt wie Form anders, wenn wir uns jenseits der Völkergrenze umschauen. Auch daraus geht die innige Verbundenheit zwischen Volkscharakter und Sage hervor.

Ganz besonders stark ist die Ähnlichkeit bei den Sagen, die sich mit dem Klima, der Bodenbeschaffenheit, mit Pflanzen und Tieren befassen, also bei den Natursagen. So ist es ganz auffallend, wieviele verwandtschaftliche Züge doch zu finden sind bei einem Vergleich des Natursagenschatzes der Nord- und Ostsee mit dem von Mitteldeutschland, ja sogar dem Alpengebiet, trotz der starken Wesensverschiedenheit von Oberdeutschen und Niederdeutschen, von Brandenburgern und Rheinländern. Dennoch hat natürlich jede Landschaft auch ihre Eigenart und dementsprechend ihre eigentümlichen Sagen. Allerdings selten besitzt ein Gebiet derart stark eigenes Gepräge, daß wir bestimmte Sagen ganz allein in Ihr vorfinden; meistens können wir nur beobachten, daß eine bestimmte, überall in Deutschland unzutreffende Sagenkategorie in einer Gegend besonders bevorzugt wird und eine besondere Ausgestaltung erfahren hat, wie z. B. in unserer Heimat die Erdfallsagen, von denen ein Teil ja sogar in Verbindung mit unserer großen Geschichte als Kyffhäusersagen in ganz Deutschland bekannt geworden sind. Diese Sondernote in der Sagenwelt einer Landschaft ist natürlich des Betrachtens besonders wert.

Unsere Heimat, die Landschaft zwischen Harz und Hainleite, hat durch ihren Formenreichtum zur Bildung der verschiedensten Sagen gereizt, wobei wir das selbständige kleine Gebirge des Kyffhäusers gar nicht in unsere Betrachtungen einbeziehen wollen. Schon der Wechsel zwischen unwirtlichen und fruchtbaren Gebieten hat der Natursage Anregung genug geboten. Da haben wir im Süden den rauhen Rand der Hainleite, im Westen die eigenartig geformten Muschelkalkberge Bleicherodes, im Norden den wuchtig aufsteigenden Harz und zwischen all diesem Formenreichtum die lockenden Fluren der Aue. Die Buntheit des Bodenausbaus, die Unbeständigkeit der Witterung und, von beiden abhängig, die Tätigkeit der Bewohner haben unsere heimatlichen Sagen, obwohl wir auch bei ihnen viel gemeindeutsches Sagen- gut wiederfinden, doch der charakteristischen Züge genug gegeben. —

Am wenigsten Eigengepräge haben bei uns die Sagen der einzelnen Jahreszeiten und einzelner in ihnen hervorstechender Tage. Das liegt in erster Linie daran, daß sich der Jahreszeiten und ihres immer wiederkehrenden Wechsels besonders stark die Religion bemächtigt hat, sowohl schon die heidnische unserer Urväter als auch die spätere christliche; und diese haben ja im ganzen deutschen Vaterlande ziemlich gleichartige Sitten und Glaubensformen hervorgebracht. Weil man überall auf im wesentlichen gleichlautende Jahreszeiten« und Tagessagen trifft, deshalb seien diese hier nur obenhin gestreift. So weiß man auch in unserer Gegend von der Walpurgisnacht und ihrem Unwesen zu erzählen. Offenbar sind die Sagen von dem Heer, das in dieser Nacht durch die Lüfte reitet, uralt. Nur muß man vorsichtig sein, in den Sagen ältestes mythologisches Gut, etwa die Erinnerung an die Vermählung Wotans mit Freya, finden zu wollen. Jedenfalls hat das Christentum mit seiner Erzählung von dem nächtlichen Ritt der Hexen durch die Lüfte auf Böcken, Kälbern, Schweinen oder Stecken zum Brocken die Sagen der Vorzeit derart verdunkelt, daß Sicheres nicht mehr auszumachen ist. Doch der Glaube an das wilde, Haus und Hof und Flur Schaden bringende Hexenheer war noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts im Hohensteinschen verbreitet. Heute, wo man aufgeklärter geworden ist, scherzt man über den Hexenritt, macht auch wohl noch im Uebermut mit Kreide oder Kohle Kreuze an die Türen, damit die Hexenjagd keinen Einlaß findet, stellt unbeliebten Mädchen statt der Maien einen Stock oder Dornenzweig vor die Tür, wie es in Urbach und Woffleben noch vor kurzem geübt wurde, und hänselt sie damit, sie seien auf den Brocken gefahren und hätten bei der Rückkehr den Stecken vor der Tür stehen lassen.

Anfang Mai saust und braust es noch einmal verderbenbringend durch die Lüfte; doch dann, nach den Eisheiligen, kommt wirklich die wonnevolle Zeit, die mit der Sommersonnenwende ihren Höhepunkt findet. Das ist wieder so ein Tag, der in ganz Deutschland von Sagen umwoben ist. Geheimnisvolle fegen- und verderbenbringende Mächte sind am Johannistage und vor allem in der Johannisnacht am Werke. Wie in ganz Deutschland so auch in unserer Heimat ist der Glaube lebendig, daß neidische Wassergottheiten an diesem Tage zum Bade locken und den ihnen ohne Arg Folgenden hinabziehen in ihr kühles Reich. Deshalb muß man am Johannistage besonders die Wipper meiden. Weiße Frauen führen den Wanderer in der Johannisnacht in die Irre, andere wiederum zeigen ihm Pflanzen, die zauberkräftig vor Not und Krankheit schützen. Das Johanniskraut ist natürlich besonders wirksam, aber auch die Kamille und der Beifuß sind als heilbringend begehrt. Von Wünschel- und Zauberruten, die man in der Johannisnacht schneidet, erzählen Dutzende von Sagen unserer Heimat. Daß aber die Johannisträume in Erfüllung gehen, zeichnet diese Nacht nicht allein aus, sondern andere um die Wintersonnenwende scheinen noch viel bedeutsamer zu sein.

Und nun reift das Korn heran. Wenn der Wind darüber streicht, wogt die erst grüne, dann goldene Saat und atmet einen wundersamen Duft aus. Dann weben die Wölfe oder Säue mit ihrem weitgewölbten Rücken durchs Korn und lassen es auf unab wogen. Und wenn dann die Mittagshitze über den Feldern liegt und die Wölfe und Säue schlafen gegangen sind, beherrscht der Erntedämon die Felder. Diesen stellt man sich bei uns wie viele andere Naturgeister als weißgekleidete Frau vor, welche verlangt, man solle zur Mittagszeit rasten und nicht arbeiten. Zwei Mädchen, die einst in der Wiestadt, einem Teil der Haferun- ger Feldflur, den Mittag über arbeiteten, haben diesen Erntedämon, die Roggenmuhme, genau gesehen als eine Frau in lichtem, altmodischem Gewände und mit einem Schlüsselbunde im Gürtel. Sie winkte den Mädchen, doch diese liefen eilends davon.

Auch die Erziehung und das ethische Moment spielt, wie in vie.eu Sagen, so auch iu den Johannis- und Erntesagen eine Rolle. Um den Johannistag herum dürfen die Kinder nicht zu weit ins Korn gehen und es zertreten, um Kornblumen, Klatschmohn oder Rittersporn zu pflücken, sonst kommt der Johannisschnitter, und wer den sieht, muß sterben.

Besonders hat die Gegend der westlichen Hainleite die Sagen von der Roggenmuhme ausgebildet, wenn sie erzählt:

Im Helbetale war es früher fruchtbar, und goldene Saaten gediehen allenthalben. Bei den Kindern aber hatte sich die Unsitte verbreitet, in das heranreifende Korn zu laufen und die Halme niederzutreten. Damit konnte ein besonders ungezogener und wilder Knabe sich gar nicht genugtun, der einst als Anführer einer ganzen Schar Kinder im Korn sich herumtrieb. Da erhob sich Plötzlich ein furchtbarer Sturmwind aus dunkeldrohender Wolke, und ein gewaltig großes, schrecklich anzusehendes Weib wuchs mitten aus dem Kornfeld empor. Entsetzt flohen die Kinder nach Hause; doch der wilde Knabe fehlte, als man daheim nach ihm fragte. Eltern und Nachbarn machten sich auf die Suche nach ihm und fanden ihn endlich erschöpft und blind mitten im Kornfeld am Boden liegen. Sie trugen ihn nach Hause und pflegten ihn. Erst nach Wochen aber kam er wieder zu Kräften und gewann sein Augenlicht wieder. Sein Frohsinn und seine Frische aber waren für immer dahin.

Und eine andere Sage will gar die heutige mangelhafte Fruchtbarkeit der Helbetal-Gegend auf die erzürnte Roggenmuhme zurückführen:

Einst sahen ein paar Knaben die Roggenmuhme am Rande des Kornfeldes aufsteigen. Sie war von ungeheurer Gestalt, hatte ein grünes Kleid an, verziert mit Kornblumen und Rittersporn. Doch Gestalt und Kleid waren nicht recht zu sehen, da ein weißlicher Schleier, von dem ein warmer Lufthauch ausging, sich vor die Gestalt senkte. Die Knaben aber erhoben ein großes Geschrei und warfen mit Steinen nach der Roggenmuhme. Da ward die Erscheinung blasser und blasser und verrann schließlich im Sonnenglast. Seitdem aber wurde das Tal unfruchtbar, und der Landmann mußte sich mehr als bisher quälen, dem geringen Boden die Frucht abzugewinnen.

Während sich Johannisschnitter und Roggenmuhme nur kurze Zeit bemerkbar machen, wandert ein anderer Erntegeist, ein Tierdämon, in der ganzen Zeit des heranreifenden Korns durch die Felder. In unserer Heimat ist es der Kornstuher, den man sich in Großwechsungen als riesigen Ziegenbock vorstellt. Je nachdem er gut oder schlecht gelaunt ist, bewirkt er Fülle des Getreides oder den Brand und die Taubheit der Aehren. Früher glaubte man auch, daß dieser Dämon sich zur Ernte im Felde aufhalte, beim Schnitte von Garbe zu Garbe fliehe und in der letzten gefangen werden könne.

Reich an Sagen ist dann wieder die Zeit, in der sich der Winter durchzusetzen beginnt. Schon um die Kirmeszeit und um Martini herum finden sich nicht nur der alten Bräuche noch viel, sondern setzen auch die Sagen wieder ein. Dann rüttelt und schüttelt die Windsbraut an Türen und vorgelegten Fensterläden, dann pfeift es und zieht es den Schornstein hinab und saust über die Dächer dahin. Besonders am 6. Dezember, am Nikolaustage, toben sich diese Poltergeister aus, klopften mit Stecken und Fäusten an Türen und Fenster und begehren Einlaß. Dann werden die folgsamen Kinder belohnt, die unfolgsamen gestraft.

Doch dieser Nikolaustag ist nur das Vorspiel für die heilige Zeit der Wintersonnenwende. Die 12 Nächte vom 2s. Dezember bis 6. Januar sind die ausgezeichnetste Zeit im Jahre. Bis auf die jüngste Vergangenheit haben sich wenigstens Anklänge an germanische Mythologie erhalten. Nicht das wilde Heer braust in diesen Tagen durch die Lüfte, sondern Wotan und die gute Frau Holle ziehen Segen und Frieden bringend durch die Lande.

Auf einem Schimmel oder einem Rappen reitet der gute Gott den himmlischen Heerscharen voran. Als Nachklang zu diesem Glauben führten die jungen Burschen in Pützlingen noch in der Mitte vorigen Jahrhunderts in den 12 Nächten einen Schimmel herum. In Kelbra kannte man dieselbe Sitte und nannte sie Heikuräppchen. Damit Zusammenhängen wird auch der am ganzen Südharzrande heimische Glaube, daß der Nikolaus auf einem Schimmel aus Moskau geritten komme.

In einer so heiligen Zeit, wo die Götter auf Erden wandeln, muß natürlich gefeiert und darf keinerlei schwere Arbeit getan werden. Vor allein sieht Frau Holle darauf, daß nicht gewaschen oder gesponnen wird; das würde für das kommende Jahr bitteres Unheil bringen. Auch Erbsen und Bohnen dürfen nicht gegessen werden, sonst gibt es Schwären am Körper. Dieser Brauch, sich an den 12 Tagen gewisser Speisen zu enthalten, wird in einigen Dörfern, z. B. Bösenrode, noch heute innegehalten. Schließlich scheint auch das zu Sylvester in vielen Ortschaften, z. B. in Uthleben und in Berga gebräuchliche Peitschenknallen mit altem Wotans- und Hollekult zusammenzuhängen. Wenn dieses Peitschenknallen der jungen Burschen heute auch an anderen Tagen des Jahres als fröhlicher Unfug geübt wird, so ist es wahrscheinlich auf diese von Sylvester her übertragen worden.

Die Träume, die man in den 12 Nächten hat, gehen in Erfüllung, und ihre heilige Wunderkraft beweisen die Nächte dadurch, daß in der Christnacht Blumen ihre Kelche öffnen, und in der ganzen Goldenen Aue war man früher fest überzeugt, daß die beiden Obstreiser, die Braut und Bräutigam am Martinsabend in ein mit Wasser gefülltes Gefäß gestellt hatten, zu Weihnachten Knospen treiben mußten, wenn die künftige Ehe glücklich werden sollte. Die Sage aber, daß sich in den 12 heiligen Nächten Wasser in Wein wandeln könne, wird wohl vom Osterfest herüber nach Weihnachten gewandert sein.

Allgemein üblich war nämlich bis vor einigen Jahrzehnten in der Grafschaft Hohenstein, z. B. in Clettenberg und Oberdorf, daß man am Ostermorgen vor Tagesanbruch mit dem Strom Wasser schöpfte, das sich dann in Wein verwandeln sollte. Allerhand Hantierung mit Wasser zu Ostern kennt man noch heute in vielen Orten, z. B. in Berga, wo die Sitte herrscht, an: Osterheiligabend die Leute tüchtig mit Wasser zu bespritzen, auch wohl Wasser in die Keller und Stuben zu tragen. Was heute meist nur als Scherz geübt wird, war einst ein würdiger, sinnvoller Brauch. Denn dem Wasser wohnt eine lebenspendende, fruchtverheißende Kraft inne. Deshalb wurde auch einst in vielen Dörfern unserer Heimat die Magd, die zum Melken in den Kuhstall ging, mit Wasser besprengt, und der Knecht, der im Frühjahr zum ersten Male mit dem Wagen vom Felde kam, empfing ebensolchen Wassersegen. Dann mußte die Frucht auf dem Felde gedeihen. In Stolberg wurden ehemals die Knechte, die nicht der ersten Holzfuhre aus dem Walde heimkehrten, besprengt.

Gerade zur Osterzeit sind auch heute noch manche schönen alten Bräuche in Uebung, von denen die meisten auf das Gedeihen und Fruchttragen in der kommenden Zeit Bezug haben, so z. B. wohl auch das Beschenken der Dorfjugend mit Bällen — die Knaben — und Tüchern oder Nadelkissen — die Mädchen — durch das jüngste Ehepaar im Dorfe. Dieser Brauch bietet noch heute in Immenrode und anderen Ortschaften Anlaß zu einem fröhlichen Feste der Dorfjugend.

Recht vorsichtig aber muß man damit sein, die Osterbräuche auf die Verehrung der Frühjahrsgöttin Ostara zurückzuführen. Eine Austro oder Ostra als Frühlingsgöttin hat es vielleicht gegeben, einwandfrei überliefert von ihr ist aber nicht das geringste.

Während alle diese Sitten und Sagen sich aus grauer Vergangenheit bis auf unsere Zeit herübergerettet haben, begleiten natürlich auch durch das Christentum veranlaßte Bräuche das ganze Jahr. Von der Fastnacht an durch die Jahreszeiten hin bis zum Neujahrssingen und zum Umtragen des Herodeskastens hat das tief im Herzen der Völker wurzelnde Christentum auf Gewohnheiten und Festlichkeiten unserer heimatlichen Bevölkerung eingewirkt. Auch einige der schönsten und zartesten Sagen verknüpfen gerade den christlichen Glauben mit der Jahreszeit und dem Wetter. Aus der sowohl Segen wie Verderben spendenden heidnischen Wettergottheit der Frau Holle ist durch das Christentum die allein Schaden stiftende Wetterhexe geworden, aus deren wildem Flockenwirbel nur der Glauben an die holdselige Jungfrau Maria retten kann. So wissen es die Sagen des einstigen Wallfahrtsortes Elende zu berichten.