Zur Kenntnis natürlicher und künstlicher Harzprodukte: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 6. Februar 2022, 12:37 Uhr

Textdaten
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Autor: Johannes Scheiber
Titel: Zur Kenntnis natürlicher und künstlicher Harzprodukte
Untertitel:
aus: Festschrift zur Jahrhundertfeier des Staatl. Realgymnasiums zu Nordhausen
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1935
Verlag: Verlag Theodor Müller
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Erscheinungsort: Nordhausen
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Zur Kenntnis natürlicher und künstlicher
Harzprodukte
Von Prof. Dr. J. Scheiber, Leipzig.


„Harz" ist die ursprüngliche Bezeichnung einer Gruppe natürlicher Sekrete, als deren Produzenten teils weit verbreitete Pflanzengattungen (Koniferen), teils tropische und subtropische Gewächse galten. In manchen Fällen sind diese mit besonderen Harzgängen ausgestattet (primäres Harz), noch häufiger aber erfolgt eine Harzsekretion erst als Folge eines natürlichen oder künstlichen Wundreizes (sekundäres Harz), was man sür die Zwecke einer rationellen Harzgewinnung weitgehend ausnutzt. Natürlicher Zweck jeder Harzsekretion ist die Herbeiführung eines Wundverschlusses, der dadurch bewirkt wird, daß die zunächst dünnflüssigen Sekrete (Balsame, Terpentins) an der Lust schnell erhärten, wobei sich feste, wenn auch weiche Harze bilden. Produkte dieser Art werden als „rezent" angesprochen und zeichnen sich ganz allgemein durch Löslichkeit und Schmelzbarkeit (unter vorherigem Erweichen) aus.

Der Erhärtungsprozeß der einfachen Harzsekrete vollzieht sich teils infolge Verdunstung flüchtiger Beiprodukte (ätherischer Oele, Terpentinöl), teils infolge chemischer Umwandlungen, unter denen Autoxydationen voranstehen. Namentlich diese letzteren Prozesse können sich über lange Perioden hin fortsetzen und dauern vor allem auch dann an, wenn Harzsekrete in den Erdboden gelangen. Hierzu ist unter natürlichen Verhältnissen vielfach Gelegenheit gegeben, weshalb es nicht überraschen kann, daß sich stellenweise sogar erhebliche Ansammlungen älterer Harzprodukte vorfinden. Das Alter dieser Bodenharze muß teilweise recht beträchtlich sein, da man sie nicht nur teilweise in ziemlich tiefen Bodenlagen noch heute bestehender Harzwaldungen antrifft, sondern vielfach auch an Stellen, wo der ursprüngliche Baumbestand längst verschwunden ist (Neuseeland). In Westafrika findet man entsprechende Bodenharze sogar aus sekundärer Lagerstätte zusammengeschwemmt, ohne bis jetzt angeben zu können, wo sich die ursprünglichen Harzwälder befunden haben mögen.

Solche allgemein als „Kopale" angesprochenen Bodenharze zeigen deutliche Merkmale einer Alterung, die im Hinblick auf den in mehrfacher Hinsicht günstigen Effekt auch als „Reifung" bezeichnet ist. Wenn man im einzelnen auch über die stattgefundenen Veränderungen nur Vermutungen hegen kann, so geht man doch kaum fehl, wenn man Autoxydationen und als deren Folge Molekülvergrößerungen (infolge Polymerisationen oder auch Kondensationen) als die maßgeblichen Prozesse ansieht. Hinsichtlich der Eigenschaften der Produkte wirkt sich das allgemein so aus, daß die ursprüngliche Löslichkeit und Schmelzbarkeit der rezenten Produkte mehr oder weniger verloren gegangen sind. Dafür aber sind bemerkenswerte Verbesserungen der mechanischen Qualitäten, namentlich der Härte, Zähigkeit und Festigkeit erfolgt.

Die Kopale sind indes trotz ihres „rezent-fossilen" Charakters noch keineswegs die Endglieder der angedeuteten Entwicklungsreihe. Diese Stellung gebührt vielmehr dem Bernstein, einem regulär „fossilen" Harz, dessen Alter allerdings auch außergewöhnlich hoch ist und auf Jahrmillionen veranschlagt werden muß. An Härte, Festigkeit, Zähigkeit und Nerv ist Bernstein jedem natürlichen Harzprodukt, gleichviel welcher Herkunft, weit überlegen. Gleichzeitig sind Löslichkeit und Schmelzbarkeit auf ein besonders niedriges Maß herabgesetzt. Alle diese Eigenschaften machen es verständlich, daß die alte Wertschätzung dieses einzigartigen und vielseitig verarbeitungsfähigen (namentlich auch drechselbaren) Stoffes für edlen Schmuck u. dergl. sich bis heute erhalten konnte.

Man hat lange geglaubt, in den natürlichen Harzprodukten das Vorhandensein eines typischen und allen gemeinsamen, gewissermaßen „harzigen" Bestandteils annehmen zu müssen, welcher als Träger der charakterlichen Eigenschaften anzusehen sein möchte. Diese Ansicht mußte indes fallen gelassen werden, sobald man in der Lage war, wenigstens einigermaßen zuverlässige Einblicke in den stofflichen Aufbau der Produkte zu gewinnen. Dabei ergab sich sogar die höchst überraschende Tatsache, daß mindestens gruppenweise die einzelnen natürlichen Harze durchaus unterschiedliche Zusammensetzung aufwiesen und infolgedessen wirklich zuverlässige chemische Strukturmerkmale für Harze überhaupt garnicht existierten. Die Definition „Harz" beschränkte sich denn letzten Endes auch aus die Auszählung lediglich physikalischer Merkmale (Erweichen beim Erhitzen, klebrige Beschaffenheit der Schmelzen, glasartig-amorphes Aeußere, usw.), wobei man dann noch die pflanzliche Provenienz zu betonen pflegte. Aber auch dieser letzte Rest einer angeblich allen Produkten gemeinsamen Eigenart konnte nicht aus die Dauer als richtig gelten. Denn einmal ergab sich, daß der stets als vollwertiges Naturharz gewertete Schellack kein pflanzliches Sekret darstellt, sondern als Stoffwechselprodukt von gewissen Insekten (sogen. Lackschildläusen) anzusehen ist. Und weiterhin lernte man in schnell zunehmender Zahl künstliche Harze kennen, die trotz ihrer völlig andersartigen Entstehung und selbstredend auch durchaus abweichenden Zusammensetzung hinsichtlich ihrer allgemeinen Beschaffenheit gegenüber natürlichen Harzprodukten nicht die geringsten Unterschiede aufwiesen.

Auf diese Weise kam man schließlich zu der Erkenntnis, daß „Harz" einen besonderen Zustand bedeutet, den man am besten als den einer „festen Lösung" anspricht.

Tatsächlich bietet es nicht die geringsten Schwierigkeiten, mit Hilfe dieser Auffassung das Wesen der Harze durchaus befriedigend erklären zu können. So wird zunächst verständlich, warum alle Harze Stoffgemische darstellen, indem ja auch zur Bildung von Lösungen mindestens zwei Partner gegeben sein müssen. Es wird daher jetzt aber auch klar, daß die Versuche zu einer übermäßig weitgehenden „Reinigung" von Harzen sich gegebenenfalls direkt nachteilig auswirken müssen, wie z. B. das Verhalten gewisser Kolophoniumsorten beweist, die infolge einer kaum unterdrückbaren Kristallisationstendenz nur schwierig in der für Harze üblichen Weise verwendet werden können.

Weiterhin ist jetzt durchaus klar, daß die Natur irgend einer Stoffmischung als Harz in keiner Weise von einer bestimmten Herkunft abhängig sein kann. Ferner versteht man, warum hinsichtlich der beim Ausbau der Produkte beteiligten Partner weitgehende Freiheiten bestehen müssen. Denn ebenso wie man Lösungen der gewöhnlichen Art auf breitester Grundlage erzielen kann, sind ja auch „feste" Lösungen in beliebiger Anzahl ohne weiteres zu erwarten. Als einzigen Unterschied läßt der Ersatz der sonst üblichen flüssigen und flüchtigen Komponenten durch feste und nichtflüchtige Stoffe einen erheblichen Zähigkeitsanstieg der Systeme erwarten. Es ist durchaus verständlich, daß dieser gegebenenfalls so groß sein kann, um harte Produkte auftreten zu lassen.

Auch die Besonderheiten der Harze beim Schmelzen finden jetzt eine leichte Erklärung. Denn für eine „Lösung" ist ja direkt selbstverständlich, daß sie bei Wärmezufuhr einen kontinuierlichen Temperaturanstieg unter gleichzeitiger Erhöhung ihrer Fließfähigkeit aufweisen wird. Harze müßen also zuerst beim Erhitzen in immer weichere Massen übergehen, die schließlich auch fließen können, und zwar ohne daß der Temperaturanstieg zu irgend einem Zeitpunkt eine Hemmung erfährt, wie diese für die Schmelzperiode fester einheitlicher Stoffe charakteristisch ist.

Endlich müssen sich auch für Lösungen der Harze in flüchtigen Lösungsmitteln Besonderheiten ergeben, die man bei Lösungen einheitlicher fester Stoffe nicht antrifft. So ist zunächst klar, daß man zur Lösung eines Harzes keine bestimmten Mindestmengen flüchtiger Lösungsmittel benötigt, indem man in Wirklichkeit ja gar keine eigentliche „Lösung", sondern lediglich eine „Verdünnung" einer bereits vorliegenden Lösung vornimmt. Umgekehrt kann es bei der Wiederverflüchtigung des zugesetzten Lösungsmittels aber auch nicht wie bei sonstigen Lösungen zu Überschreitungen irgend eines Sättigungspunktes kommen. Der Verdunstungsproceß bewirkt also lediglich ein ständiges Anwachsen der Zähigkeit des Systems, bis schließlich das Ausgangsprodukt wieder vorliegt. Praktisch sind diese Vorgänge deshalb von größter Bedeutung, weil sie eine leichte Möglichkeit zur Erzeugung von dünnen zusammenhängenden Harzschichten (sogenannten „Filmen") auf beliebigen Unterlagen ergeben. Da solche Harzfilme (Polituren, Anstriche, usw.) nicht nur das Aussehen der mit ihnen überzogenen Gegenstände verbessern, sondern auch gegen die Angriffe der Luft bezw. andere Einflüsse Schutz gewähren, sind sie direkt unentbehrlich. Die Herstellung der für ihre Erzeugung geeigneten Harzlösungen („Lacke") ist deshalb ein äußerst wichtiger Industriezweig.

Mit der Aufklärung der wahren Natur der Harze sind indes noch andere Erkenntnisse verbunden. So kann vor allem der immer betonte besondere Qualitätswert der Naturharze als unzutreffend bezeichnet werden. Denn so weit es sich um das Vorliegen von Harz an sich handelt, entscheidet doch einzig und allein der Umstand, ob die in der vorliegenden Stoffmischung enthaltenen Komponenten gut oder schlecht aufeinander abgestimmt sind. Es ist aber von vornherein unwahrscheinlich, daß in dieser Hinsicht nur bei natürlichen Mischungen den Voraussetzungen entsprochen sein soll. Tatsächlich liegen denn die Verhältnisse in Wirklichkeit auch eher umgekehrt. Wenigstens haben röntgenographische Untersuchungen wohl bei Naturprodukten Anzeichen einer Kristallisation erkennen lasten, niemals aber bei Kunstharzen.

Aber auch hinsichtlich der rein stofflichen Eigenschaften sind die Naturharze keineswegs überlegen. Es ist richtig, daß es namentlich anfangs Schwierigkeiten gemacht hat, auch bei Kunstharzen die für praktische Anwendungen notwendigen Qualitäten zu entwickeln, doch ist es längst möglich gewesen, diese Aufgabe befriedigend zu lösen. Jedenfalls sind heute hinsichtlich Luft- und Lichtbeständigkeit, Helligkeit, Glanz, Geruchfreiheit, Lösevermögen, Verträglichkeit mit fetten Oelen usw., ferner Wasserfestigkeit, Widerstandsfähigkeit gegen chemische Agentien, Alkalien, Säuren usw. bezw. endlich auch des elektrischen Isolationsvermögens die Kunstharze den Naturprodukten völlig ebenbürtig. Wenn trotzdem ein restloser Ersatz der letzteren bisher nicht möglich gewesen ist, so liegt dies einfach darin begründet, daß die Naturharze teilweise sehr billig sind. Trotz noch so breiter Rohstoffbasis ist es auch in Zukunft ausgeschlossen, Kunstharze zu gleich niedrigen Preisen erzeugen zu können; die Anwendung dieser Produkte als Harz„ersatz" wird also unter normalen Verhältnissen immer eine beschränkte bleiben.

Als Ausgleich kommen nun aber Anwendungen in Betracht, die den Naturharzen praktisch verschlossen bleiben. Ermöglicht wird dies durch den Umstand, daß bei gewissen Kunstharztypen besondere Eigenschaften ausgeprägt sind, die im Effekt auf eine ähnliche Umwandlung herauskommen, wie man sie bei der Reifung natürlicher Harze beobachtet. Während indes diese Prozesse äußerst lange Zeiten benötigen, läßt sich die entsprechende Veränderung der betreffenden Kunstharze, die sogenannte „Härtung", gegebenenfalls schon innerhalb weniger Minuten einfach durch Temperaturerhöhung bewirken. Damit allein sind schon unendliche Möglichkeiten erschlossen, die noch dadurch eine erhebliche Erweiterung erfahren, daß man die eigentliche Verarbeitung der härtbaren Kunstharze unter Anwendung von deren ungehärteten und nach Art gewöhnlicher Harzprodukte löslichen und schmelzbaren Vorstufen vornimmt und die eigentliche Härtung erst am fertigen Objekt vollzieht.

Tatsächlich datiert der eigentliche Aufschwung der Kunstharzindustrie von dem Zeitpunkt an, wo es zum ersten Male gelang, derartige härtbare Harze auf rationelle Weise herzustellen. Es ist dies das große Verdienst von L. H. Baekeland, der entsprechende Produkte 1907 durch Kondensation von Phenolen und Formaldehyd in Gegenwart von Basen erzeugen lehrte und weiterhin zeigte, in welcher direkt beispiellosen Vielseitigkeit mit solchen Produkten, die heute allgemein als „Phenoplaste" bezeichnet werden, verfahren werden kann. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, daß die technische Entwicklung großer Industriezweige und namentlich der modernen Elektrotechnik ohne die härtbaren Kunstharze unmöglich gewesen wäre. Aber auch darüber hinaus finden entsprechende Produkte eine vielseitige Anwendung. Und man braucht ja nur das bekannteste Phenoplast, das „Bakelit", zu nennen, um auch dem Fernstehenden einen Begriff von der Leistungsfähigkeit dieser Wunderstoffe zu geben.

Die Kunstharze können also jedenfalls Anspruch darauf machen, als vollwertige Harz geweitet zu werden. So interessant vom wissenschaftlichen Standpunkt aus auch eine Synthese natürlicher Harzbestandteile fein würde, so wenig Veranlassung ist für die Technik gegeben, sich derartigen und zudem vorläufig recht problematischen Aufgaben zuzuwenden. Vielmehr kann das einzige Ziel einer Kunstharzindustrie nur das sein, die Eigenschaften künstlicher Stoffgemische weiter zu entwickeln, indem zweifellos nur bei solchen Höchstleistungen erwartet werden können.

Unbedingte Voraussetzung für praktische Brauchbarkeit künstlicher Harze ist neben entsprechenden Eigenschaften das Vorliegen einer ausreichend breiten Rohstoffbasis. In dieser Hinsicht liegen die Verhältnisse im allgemeinen ziemlich günstig, und zwar vor allem deshalb, weil gerade besonders vielseitig verwendbare Produkte aus allereinfachsten Ausgangsstoffen aufgebaut werden können, die zudem den Vorteil aufweisen, im Inland in ausreichender bezw. sogar unerschöpflicher Menge zur Verfügung zu stehen. Um einen Begriff zu geben, welche Materialien in Betracht kommen, sind in der folgenden Zusammenstellung die wichtigsten Kunstharze neben den dazu benötigten Ausgangsprodukten aufgeführt.

Kumaronharze: aus den in den höheren Benzolfraktionen in großen Mengen vorhandenen polymerisablen Produkten (Cumaron, Inden) erhältlich;
Acetaldehydharze: aus Acetaldehyd darstellbar, der seinerseits durch katalytische Wasseranlagerung an Acetylen gewonnen wird;
Vinylpolymerisate: aus Acetylen durch Anlagerung von Essigsäure erhältlich;
Glyptale: aus Phthalsäure (die durch Oxydation von Naphthalin mit Luft gewonnen wird) und Glycerin (aus Fetten oder durch Vergärung von Zucker erzielbar);
Phenoplaste: aus Phenolen (Stein- und Braunkohlenteerdestillaten) und Formaldehyd (aus Wassergas über Methylalkohol erhältlich);
Aminoplaste: aus Harnstoff (aus Kohlendioxyd und Ammoniak) und Formaldehyd;
usw. usw.

Man erkennt, daß tatsächlich die Rohstoffrage keine Schwierigkeiten bereitet, zumal wenn man bedenkt, daß sich Harze untereinander in ihren Anwendungen vielseitig vertreten können.

Das ist gegenüber der direkt katastrophalen Lage von 1914, wo sowohl Herstellung wie Anwendung der Kunstharze noch in den ersten Anfängen steckten, ein ganz enormer Fortschritt. Denn wenn, wie gesagt, auch unter normalen Verhältnissen eine Ausschaltung billiger Auslandsharze nicht möglich und vielleicht auch nicht zweckmäßig ist, so steht doch fest, daß die Kunstharzindustrie heute in Notzeiten genügend Möglichkeiten hätte, um nicht nur Harze, sondern vor allem auch gute Harze liefern zu können. Es handelt sich also um eine Industrie, deren Entwicklung und Gedeihen für Deutschland ganz besondere Bedeutung besitzt.

Alle Verfahren zur Herstellung von Kunstharz laufen darauf hinaus, Stoffgemische zu schaffen, deren einzelne Bestandteile zwar untereinander verschieden sind, gleichzeitig aber doch eine so weit gehende Artähnlichkeit aufweisen, daß gegenseitiges Löse- vermögen verbürgt ist. Die Wege, auf denen dieses Ziel erreicht werden kann, sind äußerst vielseitige. Dabei ist es grundsätzlich nebensächlich, ob die benutzten Reaktionen zur Klasse der Polymerisationsprozesse gehören oder aber Kondensationen darstellen.

Unterschiede hinsichtlich der Reaktionsart machen sich indes dann bemerkbar, wenn man nicht gewöhnliches Harz erzielen will, sondern Produkte mit härtbaren Eigenschaften. Die Voraussetzungen hierzu sind immer dann gegeben, wenn die zur Bildung der Stoffgemische führenden Prozesse so weit getrieben werden können, daß mindestens ein gewisser Teil der Reaktionsprodukte zur Erzeugung von Makromolekülen angeregt werden kann, die sich dann in der Stoffmischung kolloidal verteilt vorfinden. Voraussetzung der Härtung ist also m. a. W. die Umwandlung der gewöhnlichen festen Lösungen „Harz" in feste kolloidale Lösungen oder feste Gele.

Es ist bemerkenswert, daß auch die Reifung der Naturharze im Grunde genommen eine völlig gleichartige Veränderung der den rezenten Produkten zu Grunde liegenden Stoffgemische herbeiführt. Da die härtbaren Kunstharze hinsichtlich der neu erworbenen Eigenschaften völlige Analoga der Kopale und des Bernsteins sind, ergibt sich also die Regel, daß der Uebergang fester Lösungen in feste Gele ganz allgemein eine Verbesserung der mechanischen Eigenschaften bei gleichzeitiger Herabsetzung von Löslichkeit und Schmelzbarkeit zur Folge hat. Man kann also gewissermaßen künstlichen Bernstein usw. unabhängig von der stofflichen Zusammensetzung lediglich auf Grund der Schaffung eines art- gleichen Zustandes erzielen. Damit allein sind die Möglichkeiten aber nicht erschöpft, indem auf die angedeutete Weise nicht nur bernsteinartige Produkte erhalten werden können, sondern auch Stoffe vom Charakter des Schildpatts, Horns, Elfenbeins, Glas usw.

Alle diese künstlichen Produkte werden heute unter der Sammelbezeichnung „Kunststoffe" zusammengefaßt. Ihre enorme Bedeutung liegt nicht allein darin, daß sie sür die vorgenannten Naturprodukte usw. als sogar sehr vollkommener Ersatz dienen können, sondern gründet sich vor allem auf die überaus leichte und vielseitige Art der Verarbeitung. Vor allem spielen dabei rein mechanische Verformungsverfahren eine wichtige Rolle, welche aus das Vorliegen von entweder Schmelzbarkeit oder aber Thermoplastizität gegründet sind, wie Gießen, Prägen, Spritzen in der Wärme unter Druck, heiße Verpressung. Da hierbei der Größe und Kompliziertheit der Objekte unbeschadet sogar sehr weitgehender Formexaktheit keine besonderen Grenzen gezogen sind, eignen sich Kunststoffe mit besonderem Vorteil zur Herstellung von Massenartikeln der verschiedensten Art.

Die Voraussetzung für Bildung von Makromolekülen der hier in Betracht kommenden Art ist nur in wenigen Fällen gegeben. Der Molekülzusammenschluß kann dabei entweder durch sogenannte Polymerisation, d. h. einfache Molekülzusammenlagerung, bewirkt werden, läßt sich aber auch durch hinreichend fortgesetzte Kondensationsprozesse herbeiführen. Im Endeffekt bedingt das gewisse Unterschiede. Denn während bei Polymerisationen der Uebergang der festen Lösungen in die festen Gele verhältnismäßig langsam und vor allem ganz allmählich (also ohne deutlich unterscheidbare Zwischenstusen) statthat, vollzieht sich die entsprechende Umwandlung bei Kondensationsprozessen geeigneter Art direkt schlagartig und unter Durchlaufung eines charakteristischen Zwischenstadiums. Praktisch wirkt sich dies dahin aus, daß man Polymerisatkunststosse nur als solche, d. h. als von vornherein fertige Erzeugnisse verarbeiten kann. Bei Kondensationskunststossen besteht dagegen die Möglichkeit einer Verarbeitung der durch Löslichkeit und Schmelzbarkeit ausgezeichneten Vorstufen mit anschließender Erzeugung des eigentlichen Kunststoffs am fertigen Objekt, was eine besondere Mannigsaltigkeit der Methoden zuläßt. Da weiterhin Polymerisat- kunststoffe zwecks Erhaltung einer ausreichenden Plastizität nur in mittleren Polymerisationsstufen verwendet werden können, zeigen alle diese Produkte auch immer Löslichkeit oder Quellbarkeit in gewissen Lösungsmitteln bei Schmelzbarkeit oder wenigstens Thermoplastizität. Beides beeinträchtigt natürlich die Anwendbarkeit, weshalb es wichtig ist, daß bei Kondensationskunststoffen wegen der besonderen Verarbeitungsmöglichkeiten diese Beschränkungen entfallen. Diese Produkte können also in maximaler Härte, bei fast absoluter thermischer Festigkeit und absoluter Unlöslichkeit, zur Anwendung gelangen.

Um das Gesagte näher zu belegen, sei das Wesen der verschiedenen Kunststofftypen an entsprechenden charakteristischen Beispielen kurz erläutert.

Alle Polymerisatkunststoffe sind Polymerisate sogenannter Vinylverbindungen der allgemeinen Formel CH2 = CH X, wobei X irgend einen negativen Substituenten bedeutet. Der Molekülzusammenschluß führt allgemein zu Produkten — (CH2 - CH X) —, wobei die Werte von x (Polymerisationskoeffizient) die verschiedenste Größe (zwischen 2 und 500 bis etwa 1000) annehmen können. Die Polymerisation selbst kann durch Wärme, Licht, Peroxyde, Natrium, Katalysatoren wie Zinn—4—chlorid, usw. bewirkt werden und verläuft anfangs schnell, späterhin immer langsamer, wobei sich in jedem Fall Polymerisatgemische bilden, die als feste Lösungen (d. h. Harz) in Erscheinung treten. Wirksame Makromoleküle setzen Polymerisationsstufen der Größenordnung x = 30 bis 50 und darüber voraus, doch steht der Erreichung dieser Werte ein gewisser Widerstand entgegen, indem sich für jedes Polymerisationsmittel Gleichgewichte bestimmter Größenordnung ausbilden. Der langsame Ablauf der Polymerisation hängt indes nicht nur hiermit zusammen, sondern findet seine Ursache vor allem auch in zunehmenden Orientierungsschwierigkeiten. Denn alle Molekülvergrößerungen setzen ja voraus, daß die allein reaktionsfähigen Enden der zur Ausbildung gelangenden Faden- oder Kettenmoleküle in solche gegenseitige Annäherung gelangen, daß der Molekülzusammenschluß erfolgen kann. Dazu sind unabhängig von der Länge der Ketten im Hinblick auf das Vorhandensein von stets nur zwei reaktionsfähigen Stellen immer je drei Möglichkeiten der Orientierung gegeben, was also automatisch den Fortschritt der Reaktion bei Erreichung höherer Polymerisationsgrade hemmt und gleichzeitig auch erklärlich macht, daß irgend welche charakteristischen Zwischenstufen nicht erkennbar sind.

Diese Verhältnisse zwingen dazu, Polymerisatkunststoffe im gesonderten Verfahren, d. h. also mit von vornherein festliegenden Eigenschaften herzustellen und dabei auf Erzielung maximaler Effekte von vornherein zu verzichten.

Ganz anders ist dagegen das Bild bei Kondensationskunststoffen, wie man es auf Grund neuester Forschungen bei den Phenoplasten heute ziemlich sicher zeichnen kann. Die grundlegende Reaktion besteht in der Kondensation von Phenolen mit Formaldehyd, wobei Kettenmoleküle der folgenden Art entstehen:


Sind die Phenolreste so beschaffen, daß die in p-Stellung zur OH-Gruppe befindlichen K-Atome durch irgend welche Reste (Methyl) ersetzt sind, dann können die Ketten nur am ersten bezw. letzten Phenolkomplex weiterwachsen. Es liegen dann also ganz ähnliche Verhältnisse vor wie bei Polymerisatketten, d. h. es gibt unabhängig von der Kettenlänge wegen der nur zwei reaktionsfähigen Stellen lediglich drei Orientierungsmöglichkeiten, was automatisch zu einer ständigen Verlangsamung und schließlich zum praktischen Stillstand der Reaktion führen muß.

Ist hingegen, wie durch die Formel angedeutet, die p- Stellung zur OH-Gruppe unbesetzt, dann kann auch in diesen Positionen ein Kettenwachstum durch Ausbildung neuer Methylenbrücken stattfinden. Die Zahl der reaktionsfähigen Stellen vermehrt sich also um die Zahl der in einer Kette vorhandenen Kerne, würde in einer Fünferkette also 7 betragen. Für die Ausbildung einer Zehnerkette infolge Einbaues einer Methylengruppe würden jetzt also 28 Orientierungsmöglichkeiten gegeben sein. Für den weiteren Zusammenschluß von Zehnerketten zu Zwanzigerketten aber würden bereits 78 Orientierungsmöglichkeiten bestehen und für Entstehung von Vierzigerketten aus Zwanzigerketten sogar 253 günstige Lagerungen. Man sieht also, daß unter den gemachten Voraussetzungen jetzt sogar ein direkter Anreiz zu weiterem Molekülzusammenschluß gegeben ist, weshalb es nicht überrascht, daß die Ausbildung der Makromoleküle (und damit der festen Gele) direkt schlagartig einsetzt.

Selbstredend wird die Reaktion keineswegs auf Molekülzusammenschlüsse der angedeuteten Art beschränkt bleiben. Vielmehr ist sicher, daß sich zwischen den einzelnen Kettengliedern auch mehrere Methylenbrücken ausbilden werden bezw. daß auch kürzere Kettenglieder sich einfügen. Auf jeden Fall kommt es aber zu einer ständig zunehmenden Versestigung der anfänglichen Makrokomplexe, die, wenigstens theoretisch, ihr Ende erst dann findet, wenn die gesamte Harzmasse in den Zustand eines einzigen großen Moleküls zusammengetreten ist.

Aeußerlich wird sich diese Reaktionsfolge dadurch kenntlich machen müßen, daß erst eine feste Lösung Harz auftritt, bei welcher Löslichkeit und Schmelzbarkeit vorliegt. In diesem Zustand spricht man von „Anfangsparz oder „A"-Harz (bei Phenoplasten von „Resol"). Infolge der schnell einsetzenden weiteren und noch verhältnismäßig lockeren Verkettung wird dann, und zwar schlagartig, ein Stadium zu erwarten sein, wo zwar schon eine feste kolloidale Lösung vorliegt, aber noch ähnliche Gesamteigenschasten gegeben sind, wie bei Polymerisatharzen, d. h. Quellbarkeit und Thermoplastizität. Dieser Zustand ist der eines „Zwischenproduktes oder „B"-Harzes (bezw. bei Phenoplasten „Resitols"). Anschließend kommt es dann zur Bildung des eigentlichen „End"-produktes oder „C"-Harzes (bei Phenoplasten „Resits").

Es entspricht durchaus der hier entwickelten theoretischen Vorstellung, daß die Resitstufe, also das wirkliche Endprodukt, bei Phenoplasten nur dann erreicht wird, wenn man als Phenolkomponenten Phenol und m-Kresol bnutzt, d. h. solche Phenol- produkte, bei denen die ausreichende Zahl reaktionsfähiger Stellen gegeben ist. 0- und p-Kresol dagegen liefern, wieder in Uebereinstimmung mit der Theorie, lediglich resitolartige Produkte, aber keine Vollresite.

Verständlich ist jetzt auch, weshalb Resitprodukte neben fast absoluter thermischer Festigkeit eine vollkommene Unlöslichkeit aufweisen müssen. Tatsächlich ist ja für Anlagerung ausreichender Lösungsmittelmengen gar keine Möglichkeit gegeben, weil der vorliegende geschlossene Makrokomplex dem Eindringen der Lösungsmittelmoleküle einen unüberwindlichen Widerstand entgegen fetzen muß.

Das gleiche Aufbauprinzip, wie es bei Phenoplasten heute als sicher gelten kann, ist auch für Aminoplaste anzunehmen und gilt weiterhin auch für die Glyptalharze. Man kann aber auch noch andere Produkte erwarten, die in ähnlicher Weise gebildet werden, und darf voraussagen, daß sie infolge der besonderen Aufbauart die Eigenschaften härtbarer Harze besitzen werden.

Zusammenfassend ergibt sich also, daß ein Gebiet, auf welchem noch vor wenigen Jahren eine völlige Unklarheit herrschte, heute der Erkenntnis so weit erschlossen werden konnte, daß die für weitere Fortschritte unerläßliche klare Zielsetzung keinerlei Schwierigkeiten mehr bereiten kann.