Silhouetten zur Geschichte des Handwerks in Nordhausen: Unterschied zwischen den Versionen

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==== Verschwundene und vergessene Handwerke ====
==== Verschwundene und vergessene Handwerke ====
Zu den ältesten Handwerken in Nordhausen gehören die picariatores. Sie
machten hölzerne Gefäße für Flüssigkeiten, besonders Trinkgefäße für Bier.
Diese Gefäße waren ausgepicht, wie noch jetzt in Jena und Umgegend die
Holzkännchen, aus denen das Lichtenhainer Bier getrunken wird, daher der
Name, vom lateinischen Worte Pix = Pech.
Ein Gesetz von 1324 bestimmt, daß die Becherer liefern sollen um einen
Pfennig entweder zwei Pfennigbecher das heißt so groß, daß für einen
Pfennig Bier hineingeht — oder drei Scherfbecher (1 Scherf = ⅔ Pfennig). Wer es anders hält oder nicht so tut, der verliert einen Schilling an die Stadt.
Im fünfzehnten Jahrhundert ist die Innung der Becherer verschwunden.

Version vom 9. November 2022, 19:44 Uhr

Textdaten
Autor: Hermann Heineck
Titel: Silhouetten zur Geschichte des Handwerks in Nordhausen
Untertitel: Nach geschichtlichen Vorlagen geschnitten vom Stadtarchivar
aus: Pflüger : Monatsschrift für die Heimat (3. Jg., Heft 9)
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1926
Verlag:
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Erscheinungsort: Mühlhausen
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
Digitalisat: thulb.uni-jena.de
Eintrag in der GND: [1]
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Silhouetten zur Geschichte des Handwerks in Nordhausen


Nach geschichtlichen Vorlagen geschnitten vom Stadtarchivar
H. Heineck


In der ältesten geschichtlichen Zeit der Germanen ist nur eine Klasse von Menschen ehrlos und damit rechtlos, obschon das, was sie bringt und leistet, gar nicht ungern gesehen wird, der römische Gaukler und Possenreißer. Von seinen eigenen Volksgenossen verachtet, als Landstreicher, Betrüger und Dieb verschrien, der persönlichen Würde ganz und gar entbehrend, kann er auch im fremden Lande seine Person nicht gellend machen; ihn schützt nichts und niemand, wenn er hier seinen diebischen Neigungen nach- hängt oder sich sonst vergeht; er ist vogelfrei.

In den Zeilen der Völkerwanderung wächst der Zuzug dieser Leute im germanischen Lande; an den Höfen der germanischen und romanischen Fürsten finden wir diese Künstler und Lustigmacher, aber sie bleiben auch als Possenreißer des Hofes die gleichen verachteten Gesellen wie die, welche vor den Bauern und Hörigen ihre Künste treiben.

Den landfremden Romanen aber erwachsen bald in germanischen Landes- lindern gelehrige Schüler. Sie besinnen sich nicht, des Gewinnes wegen in den Stand der Rechtlosigkeit des vagabondierenden Fremdlings einzutreten, sie gesellen sich ihm zu, und so bildet sich der Spielmann der Karolingerzeit, bald Romane, bald Germane, in beiden Ländern schweifend, beider Sprachen mächtig, Sang, Saitenspiel und Leibeskünste pflegend.

Er vernichtet allmählich die uralte heimische Sangeskunst und bürgert eine fremde, romanische dafür ein. Schon zur Zeit Karls des Großen sind die ernsten germanischen Heldenlieder altvaterisch geworden, und es ist be zeichnend, daß der Kaiser sie sammeln läßt, um sie vor dem Untergang zu bewahren, während er persönlich bei Tische sich lieber aus der römischen Geschichte oder aus dem heiligen Augustin (de civitate) vorlesen läßt. Sonst hatte er in seiner nächsten Umgebung ganz nach romanischer Art seinen Possenreißer (scurra), der sich sogar erlauben darf, selbst gegen den Kaiser naseweis zu sein.

* * *

Mit der wachsenden künstlerischen Bedeutung des Spielmanns hebt sich nach und nach der Stand, rechtlich aber nicht! Der Spielmann, der Gaukler, der Fechter bleibt aus der Rechtsgemeinschaft ausgeschlossen, und der Sachsen spiegel legt dieses Verhältnis 1,38, § 1 folgendermaßen fest:

Kemphen und ire kindere und alle, die uneliche geborn sin und spillüte ... die sint alle rechtelos

Fast denselben Gedanken sprechen die jura eivitstis Xortduseusis (abgefaßt um 1250, erhalten in Niederschrift von 1308) aus, wenn sie in § 28 besagen:

Wenn jemand nicht aus einer gesetzmäßigen Ehe entstammt oder wenn er der Sohn eines Kämpfers oder Herumtreibers ist, wenn er rechtlos ist wie ein Dieb, Räuber oder Falschmünzer, oder wenn ihm öffentlich vor dem Richter sein Recht aberkannt ist — wenn eine solche Person klagbar wird gegen irgend jemand wegen Friedensbruchs, der wird kein Recht erlangen.

m Sachsenspiegel heißt es: „Man gibt ihm zur Buße den Schatten eines Mannes oder den Blick von einem Kampfschilde gegen die Sonne", das heißt, man gibt ihm den Schatten seines im Sonnenschein gegen die Wand gestellten Beleidigers preis und fügt zum Unrecht noch Hohn und Spott dem Ehrlosen hinzu.

Von unehrlichem Handwerk

In späteren Zeiten ändern sich die Wirkungen der Unehrlichkeit und Rechtlosigkeit. Mit dem Aufhören des Wergeldes, welches früher der Beleidigte zu fordern hatte, und dem Aufhören der Zweikämpfe machen sich die Nachteile für die Rechtlosen in anderer Art geltend: sie werden von der Aufnahme in den geistlichen Stand ausgeschlossen, sie können in kein öffentliches Amt ein treten, und besonders sind es die erstarkten Zünfte, welche nunmehr die Zahl der als unehrlich anzusehenden Personen und Gewerbe immer mehr vergrößern.

Während die alten Nechtsbücher nur von Spielleuten, Kämpfern, unehe lichen Kindern und Verbrechern reden, gelten im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert als unehrlich die Leineweber, Barbiere, Schäfer, Müller, Zöllner, Pfeifer, Bader, Bettelvögte, Nachtwächter, Totengräber, Gassenkehrer, Abdecker, Hacker und noch andere.

Was Rechtens für die Zünfte in Nordhausen war, darüber schreiben bei spielsweise die Wollweber um 1450 vor:

„Nichein unser Gewerken sal nich eynes Pfaffen kint eder kebis kint neme zuo lerne. Wer daz breche, der verlöre one cynen phennig vunf schillinge.

Und an anderer Stelle wird wegen der Lehrlinge ausdrücklich eingeschärst (um 1500):

„Nach unsers Handwerkes Gewohnheit soll ein jeglicher, der unsre Gilde besitzen will, zwei gut beleumundete, fromme Männer bringen, welche schwören zu Gott und den Heiligen mit auf das Heiligtum gelegten Fingern, es sei eine Frau oder ein Mann, daß jene Person Wohl geboren sei von Vater und Mutter her, ehelich, echt und recht, aus einem ehelichen Ehebette. Auch müssen sich dieselben Eltern ehrlich und fromm gehalten haben nach ihrem guten Leumund.

Auch dürfen sie nicht sein von Art eines Schäfers, Pfeifers, Bartscherers, Trompeters, auch nicht von der Leute Art, denen man die Aufnahme in die Gilde verweigert. Ferner müssen sie selbst sich fromm und Wohl bewahret haben in ihren Ehren und gutem Leumunde." (Aehnlich die Gildengesetze der Krämer usw.)

Dieser Ausdehnung der Unehrlichkeit in bezug auf die Innungen trat schon 1548 die Reichspolizeiordnung entgegen; aber noch zweihundert Jahre später muß der Reichsschluß von 1731 einschärsen, daß „keine Profession unehrlich" sei, und daß von den Handwerkern nur die Schinder von den Zünften ausgeschlossen werden dürfen. Der Reichsschluß von 1772 ging theo retisch noch einen Schritt weiter und sprach den menschenfreundlichen Satz aus:

„Nur die Betreibung der Arbeit selbst macht unehrlich, die Kinder und Abkömmlinge als solche sind an sich nicht unehrlich."

Nachwort

Zum Kapitel „Unehrliche Handwerke" teile ich noch folgendes, ausgesprochen Nordhäusisches, mit. Im Jahre 1618 wurde der Ratsherr Jakob Miltisch, Vertreter der Schneidergilde, aus seinem Ehrenamte entfernt, weil festgestellt war, daß er die Tochter eines wohlhabenden Bauern in Herreden geheiratet hatte, welcher vor seiner Verehelichung als Schäferknecht gedient hatte. Dieser Miltisch hat sich zwar viel bemüht, sein Ehrenamt wieder zu erlangen. Kurfürst Johann Georg von Sachsen, oberster Schirmherr der Stadt Nordhausen, hat als Reichsvikar durch kaiserliches Mandat am 21. Juni 1619 den Rat angewiesen, den Miltisch in sein Amt wieder einzuweisen. Es half aber auch eine zweite Anweisung vom 14. Dezember 1620 nichts. Die Verwendung dreier dem Miltisch befreundeter Pastoren nützte ihm ebensowenig. Der Rat hat alle Gilden einberufen und durch sie entscheiden lassen; aber keine Gilde hat eingewilligt, die Frau als ehrlich anzuerkennen. Mit Entrüstung haben sich die Hutmacher auf ihre Gildebücher berufen, welche 350 Jahre alt wären — daß ein Schäfer für ehrlich gehalten sei, fände sich in diesen Büchern nirgendwo!

Verschwundene und vergessene Handwerke

Zu den ältesten Handwerken in Nordhausen gehören die picariatores. Sie machten hölzerne Gefäße für Flüssigkeiten, besonders Trinkgefäße für Bier. Diese Gefäße waren ausgepicht, wie noch jetzt in Jena und Umgegend die Holzkännchen, aus denen das Lichtenhainer Bier getrunken wird, daher der Name, vom lateinischen Worte Pix = Pech.

Ein Gesetz von 1324 bestimmt, daß die Becherer liefern sollen um einen Pfennig entweder zwei Pfennigbecher das heißt so groß, daß für einen Pfennig Bier hineingeht — oder drei Scherfbecher (1 Scherf = ⅔ Pfennig). Wer es anders hält oder nicht so tut, der verliert einen Schilling an die Stadt. Im fünfzehnten Jahrhundert ist die Innung der Becherer verschwunden.