Siechenhof: Unterschied zwischen den Versionen

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Während der Pogromnacht im November 1938 wurden durch SA- und SS-Männer 150 jüdische Einwohner in den Siechenhof verbracht, wo sie unter Bewachung von Polizei und Gestapo festgehalten wurden. Am Morgen des 10. November 1938 wurden 82 jüdische Männer in Busse verladen und in das KZ Buchenwald verschleppt, wo sie bis kurz vor Weihnachten inhaftiert waren. Im Siechenhof mussten die für die Einlieferung in das KZ Buchenwald ausgewählten Männer zuvor durch ein Spalier von SA-Männern laufen und wurden unter Schlägen und Verhöhnungen in die Busse getrieben.  Mindestens sieben Männer wurden während der KZ-Haft in Buchenwald ermordet oder suchten den Freitod. Sechs jüdische Männer denen es gelungen war sich in der Pogromnacht zu verstecken, wurden nach dem 10. November verhaftet und für vier Wochen im Siechenhof inhaftiert.
Während der Pogromnacht im November 1938 wurden durch SA- und SS-Männer 150 jüdische Einwohner in den Siechenhof verbracht, wo sie unter Bewachung von Polizei und Gestapo festgehalten wurden. Am Morgen des 10. November 1938 wurden 82 jüdische Männer in Busse verladen und in das KZ Buchenwald verschleppt, wo sie bis kurz vor Weihnachten inhaftiert waren. Im Siechenhof mussten die für die Einlieferung in das KZ Buchenwald ausgewählten Männer zuvor durch ein Spalier von SA-Männern laufen und wurden unter Schlägen und Verhöhnungen in die Busse getrieben.  Mindestens sieben Männer wurden während der KZ-Haft in Buchenwald ermordet oder suchten den Freitod. Sechs jüdische Männer denen es gelungen war sich in der Pogromnacht zu verstecken, wurden nach dem 10. November verhaftet und für vier Wochen im Siechenhof inhaftiert.


In den Jahren 1942 und 1943 war der Siechenhof Sammelstelle für den Abtransport von 79 noch in Nordhausen verbliebenen Juden in die Vernichtungslager, wo die meisten von ihnen ermordet wurden  
In den Jahren 1942 und 1943 war der Siechenhof Sammelstelle für den Abtransport von 79 noch in Nordhausen verbliebenen Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager, wo die meisten von ihnen ermordet wurden. Der erste Transport erfolgte am 14. April 1942 und am 2. März 1943 dann der letzte.


Nach 1941 diente der Siechenhof der Nordhäuser Gestapo als Gefängnis für ausländische zivile Zwangsarbeiter, die wegen Verstößen gegen repressiven Aufenthalts-und Arbeitsbestimmungen dort inhaftiert wurden.
Nach 1941 diente der Siechenhof der Nordhäuser Gestapo als Gefängnis für ausländische zivile Zwangsarbeiter, die wegen Verstößen gegen repressiven Aufenthalts-und Arbeitsbestimmungen dort inhaftiert wurden.

Version vom 26. Oktober 2021, 07:11 Uhr

Siechenhof (2017)
Cyriaci-Kapelle von der Freiherr-vom-Stein-Straße gesehen

Der Siechenhof (auch Siechhof) wurde um 1284 als Unterkunft für verarmte und kranke Menschen errichtet und zusammen mit der Cyriaci-Kapelle fertiggestellt. 1788 wurde das Hospital um ein Altenheim erweitert und während der Freiheitskriege 1806 bis 1815 als Lazarett und Verbandsplatz genutzt. Später diente es auch als Polizeigefängnis für Kurzstrafen. Der Siechenhof besteht heute aus einem fast quadratischen Hof, den langgestreckte niedere Fachwerkgebäude umgeben. In ihren Grundzügen hat die ganze Anlage von altersher die heutige Gestalt behalten.

Geschichte

Bleistiftzeichnung vom Siechenhof (1693)

Der Siechenhof wurde Anfang der 1280er Jahre von einem Herrn von Werther gestiftet.

Einst wurden am Siechenhof jährlich drei Predigten im Freien, sogenannte Flurpredigten gehalten, den 3. Ostertag, den 3. Pfingsttag und nach der Ernte, die überaus beliebt und zahlreich besucht gewesen sein sollen.

1823 brach man die Kapelle wegen Baufälligkeit ab und errichtete 1845 und 1846 einen verputzten zweigeschossigen neugotischen Saalbau. An der niedergerissenen Kapelle waren sieben große Kreuze, aus Sandsein gehauen, eingemauert, vor deren einem ein Priester kniete mit dem Kelch in der Hand. Die Sage erzählt, dass einst ein Wolkenbruch gefallen sei, dessen Fluten die Kirche umgestürzt und den Priester, nebst sieben Personen, mit fortgeschwemmt habe. Zum Andenken an diese Begebenheit waren die Kreuze gesetzt worden.

Im Siechenhof befand sich eine Arbeitsanstalt und war jahrhundertelang Obdach für alte oder heimlose Bürger. Daneben wurden Kranke aufgenommen, versorgt und gepflegt. Die heutigen Gebäude wurden 1825 fertiggestellt und beherbergten:[1]

Jahr Personen
1888 75
1914 85
1919 69
1926 78

Ein bekannter Bewohner des Hauses war das Nordhäuser Original Ferdinand Zwanziger, der hier von 1907 bis zu seinem Tod 1919 lebte.

Nach mehrmonatigen Erweiterungsmaßnahmen wurde am 24. Februar 1941 die Desinfektions- und Entlausungsanstalt im Siechhof wieder in Betrieb genommen.[2]

Im Jahr 1882 wurde im Siechhof ein Polizeigefängnis eingericht, in dem sich zuletzt fünf Zellen befanden.

Nationalsozialismus

Nach der Errichtung der NS-Diktatur im Jahr 1933 wurde der Siechenhof zu einem Zentrum des nationalsozialistischen Verfolgung in Nordhausen. Unmittelbar nach Reichstagsbrand setzte auch in Nordhausen eine Verhaftungswelle gegen Kommunisten,Sozialdemokraten und Gewerkschaftler ein. Da die Zellen in der Nordhäuser Polizeiwache im Stadthaus nicht mehr ausreichten, um die vielen politischen Häftlinge aufzunehmen, richtete man im Siechenhof ein provisorisches „Schutzhaftlager“ ein. Zu den Gefangenen gehörten die SPD-Stadtverordneten Otto Reckstat, Otto Flagmeyer und Gustav Temme, sowie die Kommunisten Werner, Ludwig und Otto Einicke, Otto Strauß, Paul Walter, Franz Brückner und Otto Ludwig. Im Sommer 1933 waren rund 50 Prozent der Inhaftierten politische Gegner der Nazis. Mehrere Gefangene wurden vom Siechenhof in das KZ Esterwegen überstellt und erst im Dezember 1933 entlassen.

Während der Pogromnacht im November 1938 wurden durch SA- und SS-Männer 150 jüdische Einwohner in den Siechenhof verbracht, wo sie unter Bewachung von Polizei und Gestapo festgehalten wurden. Am Morgen des 10. November 1938 wurden 82 jüdische Männer in Busse verladen und in das KZ Buchenwald verschleppt, wo sie bis kurz vor Weihnachten inhaftiert waren. Im Siechenhof mussten die für die Einlieferung in das KZ Buchenwald ausgewählten Männer zuvor durch ein Spalier von SA-Männern laufen und wurden unter Schlägen und Verhöhnungen in die Busse getrieben. Mindestens sieben Männer wurden während der KZ-Haft in Buchenwald ermordet oder suchten den Freitod. Sechs jüdische Männer denen es gelungen war sich in der Pogromnacht zu verstecken, wurden nach dem 10. November verhaftet und für vier Wochen im Siechenhof inhaftiert.

In den Jahren 1942 und 1943 war der Siechenhof Sammelstelle für den Abtransport von 79 noch in Nordhausen verbliebenen Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager, wo die meisten von ihnen ermordet wurden. Der erste Transport erfolgte am 14. April 1942 und am 2. März 1943 dann der letzte.

Nach 1941 diente der Siechenhof der Nordhäuser Gestapo als Gefängnis für ausländische zivile Zwangsarbeiter, die wegen Verstößen gegen repressiven Aufenthalts-und Arbeitsbestimmungen dort inhaftiert wurden.

Nachkriegszeit

Kurz nach der Besetzung von Nordhausen internierte die amerikanische Militärverwaltung im Siechenhof für einige Zeit belastete Nationalsozialisten. Zu den Inhaftierten gehörten Schulrat Dr. Paul Koch, Major a. D. Stadtrat Friedrich Quelle und Schuhmacherobermeisetr Otto Holzapfel. Nach seiner Rückkehr nach Nordhausen wurde im Mai 1945 auch Heinz Sting, von 1933-1935 NSDAP-Obebürgermeister, dort inhaftiert. Die Gefangenen wurden täglich durch die zerstörte Stadt geführt und bei verschiedenen Arbeiten eingesetzt. Arbeitsorte waren z. B. auf dem Neuen Friedhof, am Müllabladeplatz auf dem Schinderrasen und in der Lehmgrube der Ziegelei Rudolf Schulze.

Im Westflügel des Siechenhofes befand sich noch bis zum Jahr 1952 ein Untersuchungsgefängnis. Im Rahmen des im August 1947 erlassenen SMAD-Befehls Nr. 201 zur Entnazifizierung in der SBZ waren auch NS-Belastete hier inhaftiert. Andere Gefangene waren Grenzgänger, Urkundenfälscher, Sabotage-Verdächige und Bauern mit Ablieferungsschwierigkeiten. Die Insassen waren beiderlei Geschlechts und von unterschiedlichen Alter. Wie auch in anderen Polizeigefängnissen in der SBZ waren die Verhältnisse katastrophal. Das Gefängnis war völlig verwanzt. Zwei Gefangene mussten sich oft ein Bett teilen. Der Präsident des Oberlandesgerichtes Barth wies das Thüringer Justizministerium 1948 wiederholt darauf hin, dass die Zustände im Siechenhof nicht länger geduldet werden dürfen. „Einen Beamten der Nazizeit, der politische Häftlinge oder auch kriminelle Verbrecher so eingesperrt hätte, würden wir heute wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit einsperren."

Altenheim und Musikschule

1983 bis 1986 wurde die Cyriaci-Kapelle nach Entwürfen des Innenarchitekten Jürgen Gerbot in ein Musikunterrichtskabinett umgebaut. Zu DDR-Zeiten befand sich daneben ein Feierabendheim.

Bis 1991 war das Gebäude Altenheim und beherbergt heute nach der Sanierung die Musikschule des Landkreises Nordhausen.

1997 wurde die Cyriaci-Kapelle als Konzertsaal grundhaft saniert und am 5. September 1997 eröffnet. Wegen ihrer guten Akustik finden zahlreiche Konzerte – vorwiegend Kammermusik und Jazz – im Kapellenraum statt.[3]

Siehe auch

Literatur

  • Günther, Ellen und Wagner, Jens-Christian: Landkreis Nordhausen, in: Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 – 1945 – Thüringen; Stuttgart 2003, S. 192 - 193.
  • Hellber, Rainer: Straßen in Nordhausen im Wandel der Zeit; Band 1; Band 1; Nordhausen 2009; S. 83.
  • Heubaum, Regine: Nordhausen im Nationalsozialismus. Ein historischer Wegweiser; Nordhausen/Weimar 2010. (Online)
  • Kuhlbrodt, Peter: Chronik der Stadt Nordhausen 1802 bis 1989; Horb am Neckar 2003, S. 132, S. 340 - 344, S. 368 u. S. 391
  • Kuhlbrodt, Peter: Nordhausen unter dem Sternenbanner; Nordhausen 1995, S. 24 – 25
  • Schmalz, Fritz: Erinnerungen und Gedanken zum Siechenhof; in: Nordhäuser Nachrichten 4/2001, S. 14
  • Schröter, Manfred: Die Verfolgung der Nordhäuser Juden 1933 bis 1945; Bad Lauterberg 1992, S. 68 – 69, S. 73 u. S. 123 – 127
  • Sting, Heinz: Das 1000jährige Nordhausen und der schöne Südharz; Hannover 1965; S. 259
  • Weber, Petra: Justiz und Diktatur : Justizverwaltung und politische Strafjustiz in Thüringen 1945 1961; München 2000, S. 109

Einzelnachweise

  1. Hermann Heineck: Geschichte der Stadt Nordhausen 1802-1914 (= Das tausendjährige Nordhausen, Bd. 2), S. 206.
  2. Stadtarchiv Nordhausen (Hrsg.): Chronik der Stadt Nordhausen : 1802 bis 1989. Horb am Neckar: Geiger, 2003.
  3. Die Cyriaci-Kapelle auf der Webpräsenz der Stadt Nordhausen Abgerufen am 1. April 2014