Rede des Bürgermeisters Flagmeyer anläßlich einer Ehrung der Opfer der Konzentrationslager am 13. Mai 1945 auf dem Ehrenfriedhof: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 19. September 2020, 10:28 Uhr

Textdaten
Autor: Otto Flagmeyer
Titel: Rede des Bürgermeisters Flagmeyer anläßlich einer Ehrung der Opfer der Konzentrationslager am 13. Mai 1945 auf dem Ehrenfriedhof
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Erscheinungsdatum: 1945
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Erscheinungsort: Nordhausen
Quelle: Peter Kuhlbrodt: Inferno Nordhausen. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 65-67
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Nordhäuser Mitbürger!

Nachdem ich mit Genehmigung des Militärgouverneurs zum Bürgermeister der Stadt Nordhausen ernannt bin, habe ich es für meine erste und wichtigste Pflicht gehalten, Euch zusammenzurufen, um ein heiliges Gelübde der Treue abzulegen, das wir Antifaschisten der Öffentlichkeit schuldig sind. Dieses Gelübde kann nicht laut genug verkündet werden. Nach ehernem Gesetz müssen wir alle einmal sterben.

So steht es in allen deutschen Heimruhestätten, in jedem Krematorium! Diese Worte sollen den Angehörigen eines Verblichenen Trost in der Scheidestunde von einem Lieben sein!

Und wir alle haben uns heute hier versammelt, oder werden nach hier kommen, um uns in dieser Stunde zu fragen: Mußten diese Opfer gebracht werden, war von diesen Opfern die Lebensuhr abgelaufen? Starben sie nach ehernen Gesetzen? Nein, und abermals nein! Diese Opfer bilden den Abschluß eines Regimes, welches die ganze Welt sich untertänig machen wollte und dabei seinen wohlverdienten Untergang fand, nachdem es Millionen von Menschen, die besten aller Nationen, als Tribut gefordert hat.

Über Deutschland läuten die Friedensglocken: ein schwerer Alpdruck ist von uns genommen, wir leben auf, und wir bedauern es wohl alle, daß es uns nicht vergönnt war, diese Friedensglocken einige Tage früher zu hören - dann wäre uns unsere schöne tausendjährige Vaterstadt erhalten geblieben.

Und so ist es uns nun eine Ehrenpflicht geworden, Euch Opfer dieses so verruchten Systems, mit diesen Opfern gemeinsam, einen letzten Gruß noch zuzurufen.

Und wir Antifaschisten müssen uns eins fühlen mit einem der größten Dichter deutscher Herkunft, mit dem Nobel-Preisträger Thomas Mann, der uns aus der Ferne, aus Amerika, oft den Trost spendete, uns aufrichtete, uns bat, nicht zu verzagen, sondern immer und immer wieder aufforderte, gegen dieses System anzukämpfen und der für uns deutsche Antifaschisten das nötige Verständnis aufbrachte und uns mit Recht die letzten Worte durch den Äther sandte: „Ihr konntet Euch aus eigener Kraft nicht befreien, das war wohl nicht möglich. Die Befreier mußten von außen kommen.“

Und sie sind gekommen, sie haben den Faschismus, Nazismus zu Boden geschlagen! Aber damit zugleich auch entlarvt, mit welchen Mitteln und Methoden, mit welchen Grausamkeiten und mittelalterlichen Folterqualen, mit welchen Bestialitäten diese unmenschliche Untenveit, die den Namen Sozialist mißbrauchte, sich frech Nationalsozialisten nannte, ihre Macht behauptet haben. Es gibt nichts an Teufelei, was diese Unmenschen nicht anwandten, um ein 70-Millionen- Volk zu unterdrücken und zu allem zu mißbrauchen, so daß sich heute die ganze Welt mit Schaudern von uns abwendet - von uns, die wir glaubten, das höchste Kulturvolk der Welt zu sein!

Und wenn ich heute hier stehe und zu Ihnen spreche, dann spricht auch ein Stück Anschauungsunterricht mit: Ich habe in Buchenwald die Schlote des Krematoriums rauchen sehen, ich habe des Nachts nicht schlafen können vor Gestank, und habe nach frischer Luft gesucht, weil wir vor Qualm und Rauch keine Luft mehr bekamen - auch eine verruchte Methode, um Antifaschisten vom Leben zum Tode zu befördern auf die schnellste Art, um den eigenen Leichnam dann folgen zu lassen.

So ist von mir nur eines der verwerflichen Mittel hier charakterisiert, und unter welchen Mitteln und Methoden mögen diese armen Opfer gelitten haben, die schließlich jahrelang unter den Nazifoltern standgehalten haben, die den Tag der Befreiung aus dieser Knechtschaft vor sich sahen, und die man noch zuletzt dem Hungertode preisgab, um sie gewaltsam aus der Welt zu bringen, damit ihre Zunge stumm und schweigsam wurde, damit sie nichts erzählen konnten von den Finessen ihrer Folterknechte, die dem dummen deutschen Volk noch immer wieder klar zu machen suchten, daß es ja immer noch siegen würde, - trotzdem unsere Befreier aus Knechtschaft und Tyrannei vor den Toren Nordhausens standen!

Und diese Brunnenvergifter aller deutschen Kultur haben bei der Jugend, auch bei den Frauen, den größten Anklang gefunden! Und deshalb richte ich auch im Angesicht dieser Toten an Euch die ernste Mahnung: Nehmt Anschauungsunterricht von dieser Stätte des Todes mit nach Hause, daß die Euch gewährte Lehre in der Schule, in Euren Organisationen, das Gegenteil von Wahrheit und Ehre, und das in den deutschen Schulen wieder wahr werden muß, was in unserer Jugend in der Schule gelehrt wurde:

Vor allem eins, mein Kind, sei treu und wahr, laß nie die Lüge Deinen Mund entweihn! Sei treu und wahr!

Wir Antifaschisten werden bemüht sein, mit den Befreiern von dieser Nazischmach einen neuen Unterricht in allen deutschen Schulen einzuführen, der unsere Jugend in neue Bahnen lenkt, um sie reif zu machen für die Ideale der Befreiung aus Knechtschaft und Barbarei, reif für den Gedanken, für den ich, für den viele der Versammelten, aber auch viele der Toten gekämpft und gelitten haben bis an ihr Lebensende! Nie wieder Krieg! Nie wieder Mord und Elend in die Welt tragen - das sei ein Erziehungswerk für die deutsche Jugend in ihren Schulen! Das wollen wir Euch Toten geloben!

Und so wollen wir von Euch Abschied nehmen! Ihr liegt friedlich beieinander gebettet, Ihr Opfer von Buchenwald II, Ihr seid noch in letzter Stunde den Schergen der Faschisten zum Opfer gefallen, kurz vor der Befreiung aus der Schande - wir Antifaschisten, ganz gleich ob wir Kommunisten, ob wir Sozialisten, ob wir Demokraten sind, wir können mit reinem Gewissen hier an Eurer letzten Ruhestätte stehen, wir haben mit Eurem fluchwürdigen Untergang nichts zu tun, und ich will zur Ehre meiner Vaterstadt Nordhausen sagen, daß noch ein großer Teil, wohl der allergrößte, mit dem an Euch begangenen Verbrechen nichts zu tun haben will, aber diese Pest Nationalsozialismus, die so viele gefordert hat, trägt die Verantwortung, und wir haben die heilige Pflicht, diese Giftpflanze mit Stumpf und Stiel auszurotten, das sei unser Schwur an Euren Gräbern.

Friedlich vereint liegen in diesen Reihengräbern die Opfer aller Nationen, ob Ihr deutsch, ob Ihr russisch, ob Ihr polnisch, ob Ihr französisch, holländisch, belgisch, nordisch, arisch oder nichtarisch gewesen seid, Ihr schlaft den Schlaf vereint als Brüder aus allen Ländern, doch mit dem einen Ziel: Gegen den Nazismus seid Ihr gestorben! Für Eure Freiheit!

Für uns als Überlebende gilt es über das Grab hinaus diesen Gedanken der Vereinigung der Menschen weiter fortzusetzen unter der Parole: Nie wieder Krieg! Es lebe Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Es lebe die Demokratie und der Sozialismsu!!

Dann sind die Opfer dieses Weltenringens in der Heimat und an den Fronten nicht umsonst gewesen! Und mit diesem Gelöbnis wollen wir der Öffentlichkeit unsere Verbundenheit mit den Toten zum Ausdruck bringen, indem wir an ihren Gräbern vorbeidefilieren und diese mit Blumen schmücken, daß die Scheidestunde in einem Blumenmeer erstickt und wir uns von Euch trennen mit dem Gelöbnis:

Euer Opfer war nicht umsonst! Wir haben doch gesiegt! Es lebe der Antifaschismus!