Nordhausen und Umgegend im Jahre 1848

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Vorwort

Nach einem von mir über die deutsche Bewegung von 1848/49 gehaltenen Vortrage wurde ich aufgefordert, die Ereignisse des unruhigen Jahres in Nordhausen selbst zusammenzustellen. Die Ausführung dieses Wunsches war nicht leicht, da die amtlichen Quellen spärlich fließen, die Zeitungen sehr wenig bringen, eine Einzelschrift nicht vorhanden, bzw. vergriffen ist und von Zeitgenossen nur eine kleine Zahl noch am Leben ist. Trotzdem machte ich mich ans Werk. Die Herstellung von Bildern von der damaligen Stadt war zeitraubend. Doch „Es wächst der Mensch mit seinen größeren Zwecken“. Als ich die Geschichte der Stadt Nordhausen behandelt hatte, wollte ich die Begebenheiten in der Umgegend im Jahre 1848 kennen lernen und nahm sie dazu. So verzögerte sich die Herausgabe des Werkchens. Nunmehr liegt es fertig vor.

Zwar sind die Namen der Männer, die 1848 ein einiges Deutschland auf friedlichem Wege herzustellen versuchten, verblaßt durch die glorreicheren derer, welche das Ziel 1866-1871 nach großen Kriegen erreicht haben; um so mehr lohnt es sich, uns die leitenden Männer jener Zeit aus unserer Stadt vorzuführen, denen die von 70 kaum an die Seite zu stellen sind. Denn Nordhausen weist 1848 eine ganze Reihe hervorragender Männer aus, und mancher der jetzt Lebenden wird mit den an den damaligen Ereignissen Beteiligten Beziehungen finden, in manchem wird bei den Ansichten von Alt-Nordhausen eine liebe Erinnerung aufsteigen.

Glaube ich daher, für den Gegenstand meiner Geschichte eine günstige Aufnahme zu finden, so bitte ich für die Art der Darstellung um gütige Nachsicht. Jedenfalls tröste ich mich mit dem Gedanken: Ich selbst habe an dem Schaffen meiner Schrift die größte Freude gehabt.

In diesem Gefühl sage ich noch denen, die mich durch Rat und Tat unterstützt haben, meinen verbindlichsten Dank.

Der Verfasser.

Umfang und Größe der Stadt Nordhausen im Jahre 1848

Der Umfang von Nordhausen im Jahre 1848, also vor 60 Jahren, war durch die alten Stadtmauern, die wir zum großen Teil noch heute sehen, bestimmt. Durch diese Mauern führten damals folgende Tore:

  1. Das Hagentor, ein Durchgang, 1876 abgerissen.
  2. Das Töpfertor, der Zwinger 1837 abgerissen, der Rest 1872.
  3. Das Bielentor, 1852 abgebrochen.
  4. Das Sundhäusertor, 1851 abgebrochen.
  5. Das Grimmeltor, 1892 abgebrochen.
  6. Das Siechentor, 1858 beseitigt.
  7. Das ansehnlichste, das Barfüßertor, 1873 abgerissen.
  8. Das Altentor, als Hinterfront des Hauses Salzaer-Straße (noch heute zu sehen, abgebrochen 1858. (6 Bilder der Tore).

Das Altendorf, vor 1230 gegründet und ehemals durch Pfahlwerk, nicht durch Mauern geschützt, lag außerhalb der Stadtmauer wie auch sein Tor (Gesamt-Ansicht). Außerdem lagen außerhalb der Stadtmauer 1848 folgende Häuser:

  1. Vor dem Hagentor: Spangenbergs Brauerei und Hagens Bierstube, „der Sarg“ genannt. „Die Hoffnung", damals Lux (siehe Bild). Trusts Berggarten.
  2. Vor dem Töpfertor: Mehrere kleinere Häuser. Das Schencksche Haus (Bild), von Danowskys Haus, jetzt „Hotel Gründler". Das Botenschildchen, schon damals Haus mit Wohnungen für kleinere Leute. Die Gärtnerei von Döring.
  3. Vor dem Bielentor: Das Schützenhaus. Weinberg (Schankwirtschaft, später Dr. Seiffart). Das Militärlazarett.
  4. Vor dem Sundhäuser Tor: Engelhardt, jetzt „Dresdener Hof" (alte Post). Förstemanns Grundstück.
  5. Vor dem Grimmeltor: 3 Linden. Mehrere kleinere Häuser.
  6. Vor dem Siechentor: Der Siechhof mit der Kirche St. Tyriaci. Die Landwehrschenke.
  7. Vor dem Barfüßertor: Das Altendorf.
  8. Vor dem Altentor: Der Lorbeerbaum (Bohnhardt) (Bild). Kahlenbergs Ziegelei, damals Diedelt. Die Rotleimmühle, uralt. Kaisers Kuchengarten (später Schmidt, dann Neuer Garten). Das Thausseehaus. Reichenbachs Gartenhaus, später Wilhelmshöhe. Riekehrs Gartenhaus.

Ferner lagen außerhalb der Stadtmauer: in der Gumpe die Abdeckerei, auf dem Gehegeplatz die Gehegebuden, auf der Stolberger Straße die schöne Aussicht, früher Ansageposten für Steuerbares, die Zichorienmühle, früher eine Windmühle. Wiederholds Holzhof. Auf der Leipziger (jetzt Halleschen) Chaussee der Hammer, damals eine Broihanbrauerei von Kindervater. Beltz Ölmühle und einige kleine Häuser, Bösels Gärtnerei.

An der Salza lagen 1848 schon: Hüpedens Garten, verderbt genannt Hüpchens Garten, die Furthmühle, die Gehöfte von Krause und Herbst, die Kuttelmühle, Häuser von Schreiber & Sohn, die Wertherbrückenmühle und einige kleine Häuser (s. Gesamtbild).

Das Territorium der Stadt Nordhausen wurde und wird noch heute bezeichnet durch 4 Grenzsteine, 1. am Kuhberg, 2. am Zorgesteg, 3. bei Leimbach, 4 auf der Höhe vor Petersdorf. Im ganzen sind noch 12 solcher Grenzsteine vorhanden, einige sind umgestürzt, einer dient als Bachübergang. Wer, wie es der Verfasser getan, das Landgebiet umgehen will, wird 4½ Stunde brauchen, es beträgt 41 Hektar.

Die Stadt zählte 1848 etwas über 13 000 Einwohner, heute hat sie über 31 000.

Folgende Straßenviertel fehlten also 1848: Sedanstraße bis Ammerberg und Neumarktviertel. Spiegelviertel. Viertel zwischen Stolberger Straße und Geiersberg. Häuser vor dem Altentor. Grimmelallee und Siechentorviertel. Bahnhofsviertel. Stadtteil jenseits der Sundhäuser Brücke. Quartier vor der Halleschen Straße.

Nordhausens Lage

Die Lage Nordhausens, im Kreuzungspunkte mehrerer Landstraßen und Eisenbahnen, am Eingangstor zur „goldenen Aue", ist nicht nur günstig, sondern auch schön und gewährt, besonders wenn man sich der Stadt von Südwesten, vom Schern herab, nähert, einen herrlichen Anblick. Im weiten Umkreise, doch mit dem bloßen Auge genau zu erkennen, umgeben die Stadt bewaldete Gebirge, deren Kuppen mit Denkmälern, Schlössern und Türmen gekrönt sind. Flüßchen, die Mühlen treiben, durchziehen wie Silberfäden die dazwischen liegenden lachenden Fluren. Die alte Stadt selbst hat stolz Besitz genommen von einem die Ebene beherrschenden Höhenrücken, an dem die jüngern Stadtteile vertrauensvoll sich anlehnen. Die mittelalterliche Stadtmauer, dem Auge noch deutlich sichtbar, ruft mit ihren starken Türmen und festen Bastionen die geschichtliche Vergangenheit der Stadt in uns zurück, erinnert an ihre Selbständigkeit, die Kriege und Belagerungen lange nicht gebrochen haben. Die zahlreichen alten Kirchtürme rufen uns ihr geistiges Leben im Mittelalter ins Gedächtnis, zugleich zeigen sie die historische Entwickelung der Stadt. Kein Geringerer als Goethe hat auf der „Harzreise im Winter" seiner Bewunderung über die hoch und auf dem Berge liegende Stadt Ausdruck gegeben. „Ihn interessierten die wunderlichen Türme und Mauerbefestigungen, bei hereinbrechender Abenddämmerung gesehen". „Ihn erfreute auch die schöne Aussicht aus die goldene Aue". Er ist am 30. November 1777 auf der Reise zum Brocken an Nordhausen vorübergeritten „bey Nordhausen weg", und hat in Ilfeld in Hebestreits Gasthof übernachtet. Zum Andenken daran ist s. Zt. vom Nordhäuser Geschichtsverein eine Tafel angebracht worden. Als Wahrzeichen Nordhausens tritt der etwas nach Westen sich neigende behelmte Petrikirchturm hervor, mit 60 Metern der höchste Turm der Stadt. Er ladet uns gleichsam zum Näherkommen ein.

Das innere der Stadt 1848

Indem wir uns der Stadt zuwenden, verlassen wir die Anhöhe im Süd-Westen, auf der eine Windmühle ihre Flügel dreht, und kommen an einigen Wassermühlen an der Salza vorüber, deren Räder wir klappern hören. Sie bestehen wohl schon seit der Gründung der Stadt und obwohl die Gebäude manchmal von grimmer Feindeshand zerstört sind, haben sie doch im Laufe der Jahrhunderte Pfaffen und Laien, Rittern und Knechten, Bürgern und Bauern, Männlein und Weiblein die Frucht des Halmes zum alle ernährenden Brote gemahlen. Wir lassen den Siechenhof St. Cyriaci, der einst durch Nordhäuser Bürger zur Unterbringung Kranker (Aussätziger) gegründet worden ist, links liegen und überschreiten auf der steinernen Siechhofsbrücke die Zorge. Die Mauertürme der Stadt treten jetzt deutlich hervor, sie sind teils viereckig, teils rund gebaut, teils mit Schiefer, teils mit Ziegeln gedeckt, je nach dem Alter teils aus Fachwerk, teils massiv hergestellt, einige sind noch bewohnt. Über dem Toreingang ist die Wohnung des Pförtners, der uns ohne Leibesuntersuchung durchläßt. Das Tor selbst ist eng und niedrig, noch vor kurzem lag zu seiner Befestigung ein Bollwerk davor. Die Straßen der Stadt sind schmal, winklig, krumm, alle schon gepflastert, wenn auch meist mit ungleich großen Bachsteinen (Flußkieseln), einige haben erhöhte, schmale Bürgersteige, bei einigen ist ein Steinfliesen weg in der Mitte („Der breite Stein" im Studentenliede), wie wir ihn in der Altendorfer Kirchgasse noch heute sehen. Die Gosse befindet sich meist in der Mitte der Straße. Wer am Morgen die Stadt betritt, begegnet zuerst zahlreichen Schweinen, dem Stadtvieh, denn die Brennereibesitzer hatten viele Schweine, deren Fütterung ihnen durch die Schlempe erleichtert wurde. Vor den Brennereigebäuden lag deshalb, was für das Nordhausen der damaligen Zeit charakteristisch war, hoch und reich Schweinemist, der weder zur Reinlichkeit noch zur Schönheit der Straßen beitrug.

Die Häuser sind z. T. mit dem Giebel nach der Straße gebaut, mit gotischem, hohem Dach, meist in Fachwerk, mit einem oder doppeltem Oberstock, Gadem oder Gaden genannt, eins über das andere hinwegragend, wie sie in der Blasiistraße (Bild), am Markt und in einigen anderen Straßen noch zu sehen sind. In die Häuser führen häufig Halbtüren, wie jetzt nur noch in Pferdeställe. Eine solche Tür ist noch Lohmarkt 21 zu sehen. Sonst sind die Haustüren auch senkrecht in 2 Flügel geteilt, häufig ist vor ihr eine Nische, zu der einige Stufen hinaufführen. Viele Häuser haben breite Tore zur Durchfahrt für Pferde und Wagen, vor allen die Brennereien und Ökonomiehöfe. Die Türen sind häufig mit Messingschlössern und mit Klopfern oder Klöpfeln geziert.[1] Auch Zwergstockwerke sehen wir hier und da, so in der Jüdenstraße, Sand- und Bäckerstraße. Dem Fremden fallen in Nordhausen die vielen Fenster in den Häusern auf, oft ist eins neben dein andern, den „Lichtfreunden" ein Bedürfnis, im Winter aber m. E. unbehaglich. Die Hauskeller haben ihren Eingang meist von der Straße aus, die Kellerhälse, von denen einige in der Krämerstraße und anderswo noch heute vorhanden sind, ragen daher in die Straße hinein. Die oberen verkragten Stockwerke werden zuweilen durch Pfeiler gestützt, wodurch gedeckte Gänge entstehen, wie in der Johannisstraße und in der Krämerstraße.

Solche Löbe oder Laube zeigt auch das Nordhäuser Rathaus in dem Bilde von 1848, als Zeichen des freien Gerichts steht davor der Roland. (Bild.)

Wir betreten nunmehr den größten Platz der Stadt, den Kornmarkt (Bild). Ein Fleischer hat die Doppelläden seines Schaufensters soeben geöffnet, appetitliche Fleischwaren, auf niedrigen Auslagebrettchen liegend, reizen die Eßlust. Der bekannte Briefträger John, — einer genügte damals, — schreitet über den Platz und hält einen vielleicht lange ersehnten Brief in der Hand. Ein Ausrufer schellt mit der Glocke und macht bekannt, daß im Gehege Konzert sein wird. Der Brunnen neben dem prächtigen, klassischen Neptun, der seinen Stand seitdem gewechselt hat, liefert einen klaren Trunk Wasser, aber der freundliche Wirt des nahen „Erbprinzen" ladet zu einer Flasche Broihan, dem damals so beliebten Bier, ein. Vom Kornmarkt begeben wir uns auf den Pferdemarkt. Eine besonders schöne Wasserkunst, deren Geplätscher die Stille der Kleinstadt angenehm unterbricht, fesselt unsere Aufmerksamkeit. (Bild). Zur Seite der Straße stehen die Wasserfässer auf Holzkufen, die an die Feuersbrünste erinnern, von denen die Stadt so manchmal furchtbar heimgesucht worden ist.[2] An der Blasiikirche ist der eine, nördliche Turm 1634 durch den Blitz zerstört und nicht wieder in der alten Höhe erneuert worden. In dem Innern der dreischiffigen, geräumigen Hallenkirche ist die große Sehenswürdigkeit das Gemälde von Lukas Kranach dem Jüngeren, die Auferweckung des Lazarus mit der Gruppe der Reformatoren und mit Michael Meyenburg, Nordhausens bekanntem Syndikus zur Reformationszeit und Bürgermeister von 1545-1555, und seiner Familie. In der Sakristei ist die Bibliothek des Klosters Himmelsgarten seit dem Bauernkriege aufbewahrt. Vorüber am ehrwürdigen Ilfelder Klosterhof führt der Weg durch das niedrige Hagentor auf die „Hoffnung", damals Lux, zu, (Bild) in der soeben eine stürmische Volksversammlung gehalten wird. Um Nordhausens Naturschönheit, das schöne Gehege, zu genießen, wandern wir zum Gehegeplatz hinaus und lauschen auf dem einzig schönen Platze den Klängen der städtischen Kapelle (Bild), die von einem Turm herabbläst, kehren endlich in einer der ältesten, seit 1829 bestehenden Wirtschaften, bei Muhme Lange, die noch heute als Frau Tretbar ihres Geschäfts waltet, ein. Die alte Berglocke kündigt den Abend an. Wir kehren darum zur Stadt zurück. Die Straßen werden schon erleuchtet. Freilich ist die Beleuchtung sehr einfach. Eine Öllampe, an einer Kette in der Mitte der Straße hängend, erhellt spärlich den Weg, und meistens sind in einer Straße nur zwei Lampen vorhanden, an jedem Ende eine.

In den Häusern werden inzwischen die Lampen angezündet.

„Um des Lichts gesell'ge Flamme
Sammeln sich die Hausbewohner."

In dem alten Gasthof zum „Römischen Kaiser" am Kornmarkte kehren wir ein, erfüllen als Fremde die weise Forderung der hochlöblichen Polizei und tragen unsere Namen in das Fremdenbuch ein, lassen uns als einfache Abendmahlzeit das hier so beliebte Hackefleisch bereiten und genehmigen dazu einen kleinen Nordhäuser. Danach wird bei Broihanbier mit dem gebildeten Wirt noch das Thüringer Lieblingsspiel, der Skat, gedroschen, bevor wir uns zur Ruhe begeben. Derweile wacht „das Auge des Gesetzes".

Das geistige Leben in Nordhausen vor 60 Jahren

Der nächste Tag gibt uns Gelegenheit, mit dem geistigen Leben in der Stadt uns vertraut zu machen, wobei als das bedeutendste Ereignis die Bildung der freireligiösen Gemeinde im Vordergrunde steht, deren Gründung 1847 erfolgt, deren Ursachen aber weiter zurückliegen.

Die pietistische Orthodoxie, die in Preußen seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. herrschte, rief eine Reaktion hervor, deren erstes Stadium das Auftreten der Lichtfreunde oder protestantischen Freunde bezeichnet. Den Anstoß gab die Maßregelung eines freien Predigers in Magdeburg. Ein Verein für vernunftgemäßes, praktisches Christentum entstand, veranstaltete Volksversammlungen, die vom Prediger Uhlich geleitet wurden. Ein anderer Anhänger der neuen Richtung, Prediger Wislicenus, wurde seines Amtes entsetzt, eine Eingabe an den König forderte Freiheit der Forschung auf religiösem Gebiete. Als der König abweisend antwortete, wuchs die Bewegung und griff auch nach Nordhausen über.

Hier starb im Jahre 1845 Superintendent Förstemann, und die Nicolaigemeinde daselbst wählte den 31 Jahre alten freidenkenden Diakonus Eduard Baltzer aus Delitzsch, nachdem er eine beifällig aufgenommene Gast-Predigt gehalten hatte, zu ihrem Seelsorger. „Sie freute sich, einen Prediger gefunden zu haben, welcher das sittliche Element über das dogmatische stellte." Die Vokation des Magistrats folgte sehr bald, aber die Bestätigung des Konsistoriums blieb aus. Als der Kirchenvorstand St. Nicolai, die Herren Schencke, Schlichteweg, Rosenthal, in Übereinstimmung mit Magistrat und Kirchengemeinde, beim Minister kein Gehör fanden und sich auch vergeblich an Se. Majestät wandten, legte das Kirchenkollegium protestierend sein Amt nieder und rief die gleichgesinnten Bürger zur Gründung einer freien protestantischen Gemeinde auf. Um Baltzer, der freiwillig sein Amt in Delitzsch niederlegte, scharten sich, nachdem er in den Abendstunden des 5. Januar 1847 im Wirtshause von Kolditz, später „Deutscher Kaiser" genannt, in der Barfüßerstraße, eine Ansprache gehalten hatte, mehr denn 100 Männer und erklärten, von dem jungen Prediger, den die Behörde nicht bestätigen wollte, nicht lassen zu wollen. Nachdem ihnen dieser die Grundzüge der neuen Gemeindeordnung und den Inhalt ihres Glaubens formuliert hatte, ertönte auf die Frage, ob sie bereit seien, eine freie protestantische Gemeinde zu bilden, ein solch brausendes, aus tiefer Männerbrust hervordringendes Ja, daß es Baltzer selbst durch Mark und Bein ging." Das bezügliche Protokoll Unterzeichneten 101 Männer, an der Spitze Herr Spangenberg sen. (angeblich ein Nachkomme des Pfarrers Joh. Spangenberg, der als Gründer des Nordhäuser Gymnasiums von 1525 bekannt ist). Dem Magistrat wurde alsbald von der Tatsache Mitteilung gemacht. Am folgenden Tage wurde im „Riesenhause" eine größere öffentliche Versammlung gehalten von Männern und Frauen, denen der neue Prediger einen Vortrag hielt. Nach weiteren Beitrittserklärungen wurde der Gemeindevorstand gewählt. Am 3(. Januar fand in der „Hoffnung" die erste religiöse Erbauung statt. Trauungen und Taufen von Kindern, mit denen einige Eltern gewartet hatten, nahm B. im Ornat in der Wohnung der Betreffenden vor.

Am 10. April 1847 erschien das Toleranzedikt König Friedrich Wilhelms IV., wodurch die Gründung freier Religionsgemeinden einen gesetzlichen Boden erhielt. Der Austritt aus der Landeskirche wurde damit zwar gestattet, aber noch erschwert.

1848 wurde Ed. Baltzer zum Abgeordneten für die preußische National-Versammlung in Berlin von: Wahlkreis Nordhausen gewählt, Dr. Hoffbauer, ein Nordhäuser, für die National-Versammlung in Frankfurt a. M. Baltzer gehörte zu den Steuerverweigerern der preußischen Kammer. Dr. Hoffbauer, welcher noch dem Rumpfparlament in Stuttgart angehörte, wurde später des Hochverrats angeklagt, aber freigesprochen. Es bedurfte längerer Zeit, um die Erinnerung daran in dem Herzen des Königs auszulöschen. Denn in der Antwort auf die Adresse, die 1852 Magistrat und Gemeinderat von Nordhausen bei der Feier der 50jährigen Vereinigung der Stadt Nordhausen mit dem Königreich Preußen an den König gerichtet hatten, betonte der König „Die Verirrungen, von denen die Stadt in einer nicht genug zu beklagenden Zeit heimgesucht gewesen sei".

Das sonstige geistige Leben in Nordhausen im Jahre 1848

Nordhausen war um die Mitte des vorigen Jahrhunderts reich an hervorragenden Geistern. Es lebte 1848 in der Stadt eine ganze Reihe gelehrter, schriftstellerisch tätiger Männer, von denen die meisten ein stilles Gelehrtenleben führten. Baltzer stand freilich voran im Kampfe oder mitten in der Bewegung. Seine Schriften aus dieser Zeit sind religiös-politischen Inhalts. Außerdem gab er die Freie-Gemeinde-Zeitung heraus. Sein Kollege, Abgeordneter für Frankfurt, Dr. Hoffbauer gab die medizinische Zentralzeitung heraus. Karl Duval, der Geschichtsschreiber und Dichter der Heimat, hatte soeben sein „Eichsfeld" verfaßt. Wallroth, Hofrat und Kreisphysikus, schrieb medizinische und botanische Merke. Am Gymnasium (Bild) glänzten in dieser Zeit als Lehrer und Schriftsteller der Direktor Dr. Schirlitz, Professor E. G. Förstemann, Herausgeber der Chronik von Nordhausen, der gerade 1848 das Verzeichnis der Nordhäuser Bürgermeister vollendet hatte, Oberlehrer Dr. Kramer, der Erfinder des elektrischen Telegraphen, Oberlehrer Dr. Haacke, ausgezeichnet durch seine Sprachstudien. An der Realschule wirkten der Direktor Dr. Fischer, physikalischer Schriftsteller, vor allen der berühmte Professor Kützing, der bedeutendste Algenforscher der Melt, "ad algas profectus est, laurum deportavit", endlich Oberlehrer John, in englischer Literatur tätig. Auch der pastor primarius, Superintendent Schmidt, war bedeutend. Musikdirektor und Organist Sörgel war eine musikalische Autorität. Wegen seiner persönlichen Eigenschaften genoß großes Ansehen in der Bürgerschaft Rektor Meyer, der die höhere Töchterschule, damals in der Rathswaage am Pferdemarkt, leitete. Durch die Reaktion, die in Deutschland nach den Freiheitskriegen einsetzte, wurde bekanntlich die freie Bewegung der Geister lange gehemmt, der Drang nach einem einigen starken deutschen Vaterland und nach Freiheit im Innern gewaltsam zurückgedrängt.

Von dem Mettersturm, der 1848 von Westen her Deutschland durchtobte, wurde auch Nordhausen erfaßt. Wie die religiöse Bewegung in der Bildung der freien Gemeinde zum Ausbruch kam, in Wort und Schrift, sogar in tätlichen Angriffen, zum Ausdruck kam, so setzte auch der demokratische Verein in Nordhausen in vielbesuchten Volksversammlungen im „Schauspielhause", in der „Hoffnung" und im „Schützenhause" mit seinen Bestrebungen ein. Die Freunde des Volks sowohl wie die Freunde der Regierung suchten ihre Ansichten zur Geltung zu bringen durch Vorträge und Reden, voran die Abgeordneten des Wahlkreises, Dr. Hoffbauer und Prediger Baltzer, durch belehrende Aufsätze, polemische Artikel, Witzbilder, offene Briefe, Anfragen und Antworten u. a. Zeugnisse dafür liefern die in Nordhausen 1848 erscheinenden Zeitungen.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen der damaligen Tagespresse und der von heute lag darin, daß man den Abschnitt Lokalnachrichten nicht kannte, aus den ja heute der Blick unserer meisten Zeitungsleser nach den Familiennachrichten zuerst fällt. Dagegen benutzte man die Presse, was in dieser Weise, Gott sei Dank, heute nicht mehr geschieht, zum Austrag aller möglichen Händel. Öffentliche Angriffe wechseln mit öffentlicher Abwehr, Familienangelegenheiten werden breit getreten. „Ist es recht", fragen mehrere Fruchthändler, „daß die Frau eines Fruchtmaklers vor das Siechentor geht, sich um das Geschäft ihres Mannes bekümmert und zu Hause alles versauen und verdrecken läßt?"

„Was habe ich denn dem Drechslermeister X. getan", fragt ein anderer. „Ich warne ihn, meine Wohnung wieder zu betreten, weil er 'rausgeworfen wird!" „Hat der Polizeidiener St." wünschen mehrere Bürger zu wissen, „das Recht, mit Arrestanten, wenn er sie vom Rathause nach dem Gefängnis bringt, unterwegs in Bierhäusern einzukehren und mit ihnen zu trinken?" Schlimmer waren die Auseinandersetzungen, die in das politische Gebiet hinüberreichten, z. B. als man einen Stadtrat fälschlicherweise bezichtigt hatte, die Arbeiterschaft zu Katzenmusiken, zum Pflasteraufreißen, Plünderung der Häuser der besitzenden Massen und dergleichen ausgereizt zu haben.

Harmloser waren die Meinungsverschiedenheiten über die Bewaffnung, Kleidung, das Äußere der Bürgerwehr, z. B. über das Tragen von Schnurrbärten.

Geselliges Leben

Bei dem geringen Landbesitze waren Handel und Gewerbe die Hauptbeschäftigung der Einwohner. Mit praktischem Sinn trieben sie besonders das einträgliche Geschäft des Branntweinbrennens und dessen Nebenerwerb, Viehmast und Schweineschlächterei. Von diesen rührt Nordhausens Wohlstand her. Tabak- und Tapetenfabrikation entwickelten sich erst später. Mit dem nüchternen und verständigen Sinn der Bürger war eine einfache und regelmäßige Lebensweise verbunden. Die Broihanstuben wurden erst 8 Uhr abends besucht, nach dein Läuten der Petersberger Kirchturmglocke, die deshalb „die Bierglocke" genannt wurde. Man ging wohl auch mal in den Rats-Weinkeller, dem Rathause gegenüber. Sonnabends aß man ein Anläufchen, ein Würstchen, frisch vom Bratofen gereicht, eine Nordhäuser Spezialität. Als Volksfest wurde das Schützenfest gefeiert, ebenso der Jahrmarkt. Volkstümlicher ist das Martinsfest am Geburtstage Luthers, der der Sage nach an diesem Tage hier gewesen sein soll. Es wurde und wird durch öffentlichen Umzug, Läuten mit allen Glocken, Absingen des Lutherliedes, daheim durch Genuß von Gänsebraten, Karpfen und Wein gefeiert. Zur Freude der Kinder brennen bei Tische bunte Martinslichte. Viele Fremde, zumeist Runden und Geschäftsfreunde der Bewohner, oder Verwandte finden sich zur Teilnahme an der Feier ein, bei der sie reichlich bewirtet werden.

Die gern besuchten Konzerte im Gehege, Aufführungen der Sing-Akademie, geleitet von Musikdirektor Sörgel, die Leistungen verschiedener Gesangvereine, voran die der Liedertafel, boten musikalische Genüsse. Theatervorstellungen fanden im „Berliner Hof", (Bild) Rautenstraße, in der Regel in den Monaten April und Mai, September und Oktober unter Hoftheaterdirektor Martini statt. An geselligen Vereinen gab es damals schon die „Loge", die „Harmonie", gegründet 1791, im „Riesenhause", die „Ressource".

Zeitungen im Jahre 1848

Zu dem schon seit Ende des 18. Jahrhunderts erscheinenden Nordhäusischen wöchentlichen Nachrichtsblatt, gedruckt mit obrigkeitlicher Bewilligung, Herausgeber Kreissekretär R. Kosack (Leutnant a. D.), trat 1848 die Nordhäuser politische Zeitung des privatgelehrten Dr. Burckhardt, die ein Jahr bestand. Mit dem 1. April 1848 erschien sodann wöchentlich 3 Mal das „Nordhäuser Intelligenzblatt", Herausgeber Gottfried Müller, seit 1839 genannt „Nordhäuser Zeitung", Expeditionsbureau Königshof 540 b. Als Beiblatt erschien das politische Unterhaltungsblatt. Es enthält ausführliche Berichte über die politischen Vorgänge im In- und Auslande, dagegen fast nichts über Nordhausen und Umgegend. Das Kreis- und Nachrichtenblatt, später „Courier" genannt, erschien erst 1854. Zu diesen kamen noch 3 Zeitschriften, der „Nordhäuser Neuigkeitsbote" des Antiquar Fischer, „Die Marte", eine Monatsschrift, und die Blätter des demokratischen Vereins. Freilich standen diese Zeitungen unter dem Druck der Zensur, so daß in ihnen z. B. kein Bericht über den Krawall in der Hagenstraße enthalten ist. Von literarischen Instituten gab es damals in der Stadt den historischen Leseverein, gegründet 1830, noch heute bestehend, das Lesekabinett im Gasthause „Zum Erbprinzen", den Leseverein der freien Gemeinde.

Welch schnurrigen Begriff Ungebildete von der Preßfreiheit hatten, zeigt folgendes Geschichtchen: Ein Bäuerlein, das ein Inserat in die „Nordhäuser Zeitung" gesetzt hatte, wollte nicht bezahlen und begründete seine Weigerung mit folgenden Worten: „Us die Zieten sin mer rus, 's äs jo Preßfröiheit!"

Eine in Versammlungen und Zeitungen viel behandelte Frage war die über die Schlacht- und Mahlsteuer, deren Abschaffung die Königliche Regierung auch bewilligte, worauf dann die Tore der Stadt offen blieben. Dafür wurde eine direkte Steuer, die Einkommensteuer, eingeführt. Nordhausen hat also als praktische Errungenschaft des Jahres 1848 die sehr zeitige Befreiung von der lästigen Mahl- und Schlachtsteuer zu verzeichnen.

Die Bürgerwehr

In die rechte Mitte der Zeitbewegung führt uns die Geschichte der Bürgerwehr in Nordhausen in den Jahren 1848 und 1849.

Der ursprüngliche Zweck der Gründung der Bürgerwehr war wie überall im Reiche 1. Der Schutz des bürgerlichen Eigentums, 2. Die Verteidigung der Errungenschaften des Volkes, 3. Die Verteidigung des Vaterlandes gegen Aufstände; erst später wurde sie zu politischen Zwecken verwendet. Bei ihrer Gründung am 17. Wärz 1848 ging der Wunsch der Bürger durchaus nicht auf militärische Organisation, sondern erst später, als alle Bürger bewaffnet waren und regelmäßig die Woche zwei Mal exerzierten, stellte sich mehr und mehr das Bedürfnis nach soldatischer Zucht ein. So wurde z. B. das Tabakrauchen, welches anfangs beim Exerzieren noch unentbehrlich schien, von den Wehrmännern allmählich unterlassen, und gegen einzelne, die durch Unaufmerksamkeit und Unregelmäßigkeit oder Unpünktlichkeit den Dienst verdarben oder störten, wurde eingeschritten. Zum Major en chef wurde der Bürgermeister von Nordhausen, Eckardt, zu Hauptleuten wurden Dr. med. Hoffbauer, Gerichtsrat Willig, Ökonom Edm. Bötticher, Brennereibesitzer Frisier gewählt. Außerdem bestanden noch als selbständige bewaffnete Korps die Schützenkompagnie (gegründet als Pfeilgesellschaft 1420), der Rettungsverein (gegründet 1832) und die Handwerkskompagnie, Maurer und Zimmerleute, mit den Hauptleuten Destillateur Ed. Spangenberg, Kaufmann Wünter und Makler Bendeler und Beatus. Im Mai des konstitutionellen Jahres 1849 wurde die Bürgerwehr gemäß dem Gesetz vom 17. Oktober v. J., das noch von der National-Versammlung erlassen war, organisiert. Die Offizierwahlen wurden vorgenommen. Die wehrfähigen Bürger der Häuser Nr. 1-354 wählten zu ihrem Hauptmann (1. Kompagnie) den Kaufmann Östereich, zum Premierleutnant den Gastwirt Schreiber, Kaufmann Hanewacker zum 1. Sekondeleutnant. 2. Kompagnie, Häuser 355—692, Kaufmann Thiele, Fleischermeister Gothe, Kaufmann Schlichteweg. 3. Kompagnie, Häuser 693-1008, Feldmesser Seiffert, Brennereibesitzer Rühlemann, Färber A. Kropff. 4. Kompagnie Häuser 1O09-1377, Destillateur Spangenberg, Brennereibesitzer Schüler, Brennereibesitzer Degen.

Nachdem so die Wahl der drei ersten Offiziere jeder Kompagnie beendet war, wurde am 29. Mai zur Wahl des Bataillonskommandeurs geschritten. Die Stimmen wurden kompagnieweise abgegeben, und aus der Wahl ging Kaufmann Herm. Schencke als Major mit großer Stimmenmehrheit hervor. Da die Zahl der Offiziere noch nicht vollständig war, wurden noch zu Sekondeleutnants gewählt der Predigtamtskandidat Virage, der Hutmacher Ebeling, der Bäckermeister E. August Miecker, der Schuhmacher Pressel, Ölfabrikant Beltz, Getreidemakler Menckel. Beltz wurde zum Adjutanten des Majors erwählt. Nach der Beendigung dieser Mahlen marschierten die Kompagnien von dein Mahlorte nach dem Exerzierplätze, dem Schinderrasen — der Schießstand war im Borntale, Hauptwache das Schützenhaus (Bild) — wo das Bataillon im Karree aufgestellt wurde. In der Mitte hielt der Major und machte jeden Offizier und Bürgerwehrmann auf seine Pflichten aufmerksam. Am 4. Juli wurden die Musketen, die von Erfurt für die Bürgerwehr angelangt und im Waisenhause (Bild) aufbewahrt waren, ausgeteilt. Einige Tage darauf wurde die neubewaffnete Bürgerwehr zum 1. Male auf dein Exerzierplätze aufgestellt und einexerziert.

Da die vom Staate geliehenen Gewehre nicht ausreichten, trug man auch eigene, so daß ein buntes Mischmasch in Massen herrschte. Als Seitengewehre führte man meist Hirschfänger. Über die Bekleidung der Mehrmänner wurde erst lange in den Versammlungen verhandelt und in den Blättern geschrieben. Endlich wurde als Kopfbedeckung die schwarze Tuchmütze in militärischer Form mit dem Stadtwappen und der deutschen Kokarde, dazu ein dunkler Rock, gleichviel ob schwarz, grün oder braun, gewählt, Beinkleider von beliebiger Farbe. Als Gruß galt bloße Handbewegung, das Schnurrbarttragen wurde in der Presse vorgeschlagen. Die Musik stellte das Stadtmusikchor; große Entrüstung wurde in den Zeitungen laut, als dies für einmaliges Musikmachen 3 Taler verlangte. Darauf ließen die Musici von ihrem Preise etwas ab. Die Übungen dehnten sich auch auf Manöver aus; so fand ein Scheingefecht zwischen der Sondershäuser und der Nordhäuser Bürgerwehr am Haidehause statt. Nach einem Exerzitium von 3 stunden wird von mehreren Wehrmännern eine halbe Stunde Pause in der Zeitung verlangt. Der Verein der alten Krieger von 1813 empfand es als Zurücksetzung, bei der großen Parade am l. Juni nicht zugezogen zu sein.

Der Reichskriegsminister von Peucker hatte den Reichsbefehl erlassen, daß am 6. August alle deutschen Truppen zur Huldigung vor dem Reichsverweser Erzherzog Johann Parade abhalten sollten. Auch in Nordhausen fand diese Huldigung aus dem Schinderrasen statt, doch hielten sich die Königlichen Jäger infolge höheren Befehls fern.

Schon am 19. März hatten Nordhäuser Frauen beschlossen, der Bürgerwehr eine Fahne zu stiften. Diese wurde von der geschicktesten Stickerin in der Stadt, Frl. Karoline Fromm, gestickt, in den schwarz-rot-goldenen Farben angefertigt, mit der Inschrift „Freiheit und Ordnung. 19. März 1848. Bürgerwehr zu Nordhausen". Die Fahne ist bekanntlich noch heute Fahne des hiesigen Rettungsvereins und im städtischen Museum zu sehen. Das Banner kam auf den hohen Preis von 145 Taler zu stehen. Die Weihe fand Sonntag, den 18. Juni, aus dem Schinderrasen, nunmehr Paradeplatz genannt, statt. Am eine Tribüne hatten Bürgerwehr, Schützenkompagnie, Rettungsverein und Handwerkerkompagnien ein Viereck gebildet. Die von der Frauen-Deputation zur Sprecherin gewählte Frau Gerichtsdirektor Bergmann übergab das Feldzeichen mit einer Ansprache dem Bürgermeister Eckardt. Dieser nahm es in Empfang, erwiderte und schloß mit einein Hoch aus die Frauen. Superintendent Schmidt hielt sodann die Festrede, u. a. die Farben schwarz-rot-gold erklärend. Dann präsentieren des Gewehres, Parademarsch, Heimkehr, Heimbringen der Fahne.

Bereits am Feste der Fahnenweihe wurde stark genörgelt, der Eifer an der Sache ließ nach. Schon im November mußte der Kommandeur öffentlich lässige Bürgerwehrmänner zu gewissenhafterer Teilnahme an den Übungen auffordern. Noch einmal schien das Feuer aufflackern zu wollen, als die Stadtverordnetenversammlung auf Stadtkosten den Bürgermeister mit einer Adresse, in der gegen die „Gewaltinaßregeln des Ministeriums Brandenburg" gegenüber der Nationalversammlung Verwahrung eingelegt wurde, zur allgemeinen Bürgerwehrversammlung nach Berlin sandte. Schon am 11. Dezember lehnten aber die Stadtverordneten den Antrag der Bürgerwehr, die Aosten der Entsendung einer Deputation zum Bürgerwehrkongreß in Breslau auf die Stadtkasse zu übernehmen, ab. Das Interesse verringerte sich zusehends, die Teilnahme an den Übungen nahm stetig ab. Nach Erlaß des Gesetzes vom 24. Oktober 1849, das die Zurückgabe der vom Staate der Bürgerwehr nur leihweise gelieferten Waffen anordnete, fand die Bürgerwehr auch in Nordhausen ihr Ende und zwar durch Auslösung seitens des Magistrats am 1. Dezember 1849. In Berlin wurde die Bürgerwehr durch Königliche Verordnung bereits am 11. November 1848 ausgelöst.

Im Krönungsfestzuge, 18. Oktober 1861, erschien die Fahne als Fahne des Rettungsvereins zum ersten Male wieder.

So entstand, blühte und verschwand die Nordhäuser Bürgerwehr; sie hat ihre Hauptaufgabe, die Ordnung in der Stadt gegen Ruhestörer aufrecht zu erhalten, erfüllt.

Ein Vorfall, der sich 1848 bei dem Schützenfest hier ereignete, verdient an dieser Stelle angeführt zu werden. Es ist Sitte, daß, bevor die Schützenkompagnie das Schießen auf die Scheibe beginnt, die ersten 4 Schüsse auf und für den regierenden König abgeschossen werden. Infolge Verabredung weigerten sich die Offiziere dies Mal, für Friedrich Wilhelm IV. zu schießen, und wollten ohne den Königs-Schuß beginnen. Da sprang der Hauptmann, Kaufmann Eduard Spangenberg, vor, verbot dies energisch und gab den ersten Schuß im Namen des Aönigs ab. Tatsächlich war und blieb dieser Schuß der beste, der Königsschuß, der preußische König war Schützenkönig von Nordhausen. Zur Belohnung ist von Sr. Majestät eine goldene Medaille, die der jedesmalige Hauptmann noch heute trägt, mit einem gnädigen Handschreiben, das im Museum ausliegt, eingetroffen.

Erwähnenswert bleibt noch ein Tumult der Bürgerwehr am 19. Juli 1848. Die Königliche 4. Jägerabteilung war im Juli ausgerückt, um Unruhen aus dem Eichsfelde und in andern Gegenden zu schlichten. Deshalb war die Stadt Nordhausen mehrere Wochen ohne Militär, und die Bürgerwehr hatte die Hauptwache auf dem Hagen inne. Nun hatte damals das Kommando der Major Hartz, welcher nebenbei gewählt war, um die Leute einzuexerzieren. Hartz, in Berlin gebürtig, ursprünglich Glaser, war 1813 als Freiwilliger eingetreten, hatte viele Schlachten der Freiheitskriege mitgemacht, war Offizier geworden und war nach dem Frieden Militär geblieben und hatte es bis zum Major gebracht. Zuletzt war er bei der 4. Zägerabteilung in Nordhausen. Nach seiner Verabschiedung übernahm er das Kommando der Bürgerwehr, bekam aber von seiner Vorgesetzten Behörde den Wink, es niederzulegen, was er auch bald tat. Als Major Hartz eines Tages das über dem Eingange der Hauptwache angebrachte Nordhäuser Wappen und die darüber wehende Fahne hatte herunternehmen lassen, angeblich, um beides der Wehr zu erhalten, weil am nächsten Tage die Jäger wieder einrücken und die Wache wieder beziehen würden, fand diese Begründung und die Ausführung keinen Gefallen, wurde vielmehr von den nach einem Picknick wie so manchmal auf dem Schinderrasen Versammelten, deren Gemüter infolge des Trinkens erhitzt waren, als ein Schritt der sich breit machenden Reaktion gedeutet. Es entstand deshalb in der Nähe des Wachtlokals unter den sich immer mehr ansammelnden Gruppen der Bürgerwehr ein Tumult, bis der ängstlich gewordene Major die Leute beruhigte mit der Versicherung, daß noch selbigen Tages Wappen und Fahne ihre Stelle wieder einnehmen sollten. Das wurde gegen 1O Uhr bei ziemlicher Dunkelheit auch ausgeführt.

Daneben kamen noch andere Unruhen in der Stadt vor. Als der Generalsuperintendent Dr. Möller aus Magdeburg während des Konfliktes der St. Nicolaigemeinde in Nordhausen mit dem Königl. Konsistorium in Magdeburg wegen der Bestätigung des Predigers Baltzer in der Nicolaikirche diejenigen Einwohner, die nicht zur freien Gemeinde übergetreten, sondern ihrer Kirche treu geblieben waren, ermahnte, auch ferner an ihr festzuhalten, erbitterten diese Worte die Gegenpartei so sehr, daß ani Abend desselben Tages kurz vor Mitternacht der im Gast Hof „Zum römischen Kaiser" wohnende Generalsuperintendent eine wohlgelungene Katzenmusik erhielt. Eine solche erhielt auch der mißliebige Stadtrat Dr. med. Schlitte.

Diese Katzenmusikaufführungen waren damals in den großen Städten etwas ganz Gebräuchliches, man brachte sie in Berlin sowohl einein in Ungnade gefallenen Minister, als einem Kaufmann, der seinen Laden nicht zu der Zeit schloß, als seine Ladendiener es wünschten. Am reichlichsten mit dieser zweifelhaften Ehrung bedacht war der Polizeipräsident von Minutoli in Berlin. Dieser faßte den komischen Eharakter von richtiger Seite auf, indem er eines Abends bei einein Ständchen sich bei den Herren bedankte. Sie sind nie wieder gekommen.

Der Krawall auf dem Hagen

Am 1. August wurden 3 der damals gefürchteten Sackträger, Gebr. Baumbach und Stange, wegen Eigenmächtigkeiten, die sie sich erlaubt hatten, von mehreren Bürgerwehrmännern verhaftet und aufs Polizeiamt geführt. Weil aber der Polizeichef, Stadtrat Förstemann, ihre Bestrafung ablehnte, da im Gesetz keine Strafe für solche Vergehen zu finden sei, und nur Stange einstweilen in Haft gehalten wurde, ja, die Inhaftierten sogar mit Wurst und Gurkensalat von Förstemann traktiert wurden, erregte dieses Verhalten des Stadtrats in Verbindung mit früheren Fällen — er wollte dem Gerüchte nach das Korn nicht zu billigen Preisen verkaufen — großes Aufsehen und den Unwillen der Bürgerschaft derartig, daß auch er am Abend dieses Tages eine Katzenmusik erhielt. Solche waren damals nichts Seltenes, sie kamen auch an andern Orten vor. Während es aber um 10 Uhr noch mit einer bloßen „Musik" sein Bewenden hatte, fing der Pöbel um 11 Uhr damit an, mit Steinen das Haus (Bild) des Stadtrats zu bewerfen, zertrümmerte die Fensterläden, die Fensterrahmen und traf in den Zimmern Möbel und andere Gegenstände. Die Polizei und die Bürgerwehr zerstreute die Menge.

Am Abend des 2. August, um 9 Uhr, versammelte sich abermals eine Menschenmenge vor dem Hause in der Hagenstraße, ursprünglich mehr aus Neugier, um sich die zertrümmerten Fenster anzusehen. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung waren einige Mann vom Rettungsverein aufgeboten, welche in Rotten auf- und abpatrouillierten, von der Menge aber wenig beachtet wurden. Da fingen einige junge Leute von neuem an, mit Steinen zu werfen, es gesellte sich der Pöbel dazu, und das Werfen mit Pflastersteinen wurde immer schlimmer, die Fenster des 2. Stockes, die abends vorher noch verschont geblieben waren, und die schon geflickten Fensterläden des untern wurden zertrümmert. Da hielt es die städtische Behörde für notwendig, gegen den Pöbel einzuschreiten. Da der Aufforderung, auseinanderzugehen, nicht Folge geleistet und mit Steinwürfen geantwortet wurde, wurde Generalmarsch geschlagen und geblasen, die Bürgerwehr und die Königlichen Jäger traten unter die Waffen, die Straßen nach dem Hagen wurden besetzt, und die Menschenmassen auf dem Hagen zerstreut. Dabei wurden einige durch Steinwürfe verletzt, blinde Schüsse der Jäger fielen, die als Schreckschüsse dienen sollten. Einige Bürgerwehrmänner sollen sich auch, weil sie im Waffendienst ungeübt waren, selbst durch Bajonettstiche verletzt haben.

Am 3. August erfolgte eine Bekanntmachung des Magistrats, durch die der kleine Belagerungszustand über die Stadt verhängt wurde. Gegen 8 Uhr abends wurden sämtliche Bürgerwehrkompagnien und die 4. Jägerabteilung aufgestellt, und um 9 Uhr begann das patrouillieren in den verschiedenen Stadtteilen. So wurde die Ruhe an diesem und an den folgenden Abenden aufrecht erhalten. Schon am 8. August wurden durch Bekanntmachung des Magistrats die am 3. d. Mts. getroffenen außerordentlichen Maßregeln als entbehrlich wieder aufgehoben. Der Stadtrat Förstemann nahm Urlaub und verließ die Stadt. Mehrere Exzedenten waren erkannt. Bei der auf höheren Befehl angeordneten Untersuchung wurden mehrere überführt und bestraft. Von einem alten 48er habe ich folgendes drollige Verhör erzählt bekommen: Ein Holzhacker, der vor dem Förstemannschen Hause gestanden hat, soll einen nennen, den er ganz genau erkannt hat. Er antwortet: „Wen ich ganz genau gesehen habe, das ist der Herr Landrat gewesen; ob er aber auch mit Steinen geworfen hat, das kann ich nicht beschwören".

Die Jugend im Jahre 1848

Daß auch die Jugend in Nordausen an den Vorgängen nicht unbeteiligt blieb, lehrt die Tatsache, daß die älteren und größeren Schüler des Gymnasiums und der Realschule in die Bürgerwehr eintraten und den militärischen Exerzitien beiwohnten. Eingeübt wurden sie von Herrn Otto Alberti, Mechanikus und Optikus, dem Vater des jetzt noch lebenden Optikus Herrn Alberti (dem ich manche Mitteilungen verdanke). Einigen Schülern wurde auch gestattet, sich dem kaufmännischen Turnverein anzuschließen. Infolgedessen sagten die lehrplanmäßigen Turnstunden den erwachsenen Schülern wenig zu; größeres Interesse brachten die Gymnasiasten den mit militärischen Exerzitien verbundenen Übungen entgegen, die Oberlehrer Dr. Rothmaler leitete. Den 10. November fand die übliche Feier des Geburtstages Luthers statt, bei der im Gymnasium vor Absingung des Lutherliedes der Direktor Dr. Schirlitz in einer kurzen Ansprache an die Schüler zeigte, was die Kämpfer für die Freiheit, sowohl die politische wie die religiöse, von Luther lernen könnten.

Bedeutsamer, ausführlicher und dazu öffentlich war die Rede, die schon vorher am 26. März 1848 der Direktor der Realschule, Dr. Fischer, gehalten hatte. An diesem Tage wurde nach dem Vormittagsgottesdienst auf dem Realschulgebäude vor dem Töpfertor (Bild) eine schwarz-rot-goldene Fahne aufgesteckt. Die Schüler hatten nämlich den Wunsch ausgesprochen, eine der Größe des Schulgebäudes angemessene Fahne zu besitzen. Der Direktor kam diesem Wunsche gern entgegen und ordnete das Nötige an. So zogen denn 7 Primaner, mit breiten schwarz- rot-goldenen Bändern geschmückt, unter dem Geläute der Glocken von der Promenade her auf den mit Zuschauern bedeckten Friedrich-Wilhelmsplatz vor der Realschule mit ihrer Fahne auf, die übrigen Schüler, geleitet von ihren Lehrern, schlossen sich an und hielten unter Gesang des Liedes „Brause, du Freiheitsgesang" einen Umzug über den Platz. Am Eingang der Realschule stellten die 7 Primaner sich auf der obersten Stufe mit der Fahne auf, und Direktor Fischer hielt von derselben Stelle aus an die ganze Versammlung eine Anrede, die uns die ideale Auffassung der Zeit lehrt:

„Ohne irgend eine Aufforderung von uns habt Ihr, geliebte Schüler, den Wunsch ausgesprochen, Euer Schulgebäude mit der deutschen Fahne schmücken zu dürfen. Gern bin ich Eurem Wunsche entgegengekommen. Habe ich doch vor 25 Jahren, als ich ein Jüngling war wie Ihr und jugendlich fühlte wie Ihr, das schwarz-rot-goldene Band getragen als ein Zeichen des Wunsches der deutschen Einheit. Damals mußte dieses Band wieder abgelegt werden, weil es noch nicht an der Zeit war. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo die deutsche Einheit wirklich werden soll.

Wie sollte ich Eure jugendliche Begeisterung für die Einheit des gemeinsamen Vaterlandes nicht ehren! Die Fahne, welche Ihr auspflanzen wollt, ist die Fahne der deutschen Freiheit und Einigkeit, aber nicht die Fahne der Zügellosigkeit und Ungebundenheit. Die Freiheit ist ein hohes edles Gut, aber man kann sie keinem schenken, man kann sie nicht auf dem Markte kaufen. Die Freiheit will errungen und erobert sein, aber nicht mit rohen Fäusten, sondern durch Veredelung des Herzens, durch Erleuchtung des Geistes. Nur wenn der Mensch sich selbst die Schranken setzen und das Maß vorschreiben kann, ohne welches weder das Rechte, noch das Gute, noch das Schöne zur Erscheinung gelangt, ist er der Freiheit wert, sind die Schranken von außen, die das Böse verhindern, überflüssig. Sorgt also dafür, daß Ihr, das Heranwachsende Geschlecht, frei werdet durch den schweren, geistig sittlichen Kampf, für welchen auch die Schule ein Ringplatz ist. Dann wird auch die deutsche Einheit möglich werden und die deutscheKAraft, welche weder von Westen noch von Osten die Feinde zu fürchten braucht, dann werdet auch Ihr Helden für das Vaterland werden. Wird aber nicht auf diesem Wege die Freiheit errungen, sondern nur in der Vernichtung äußerer Schranken gesucht, so wird Zügellosigkeit und Unsitte entstehen, die höchste Unfreiheit und Uneinigkeit folgen, Ohnmacht gegen äußere Feinde uns verraten. Schwarzrotgold sind die deutschen Farben, mit welchen Ihr die Pffanzstätte Eurer Jugendbildung schmücken wollt. Wie aber alles Äußere nur ein Zeichen ist, welches allein durch den Sinn, den wir ihm geben, Bedeutung gewinnt, so lasset uns auch an diese Farben einen höheren, bedeutungsvollen Zinn knüpfen. Schwarz ist die unendliche Tiefe des Alls, die uns blau nur durch den Tchleier der irdischen Atmosphäre erscheint. Das erinnere Tuch, deutsche Jünglinge, an die unergründliche Tiefe des deutschen Gemütes und Geistes, das warne Tuch, wenn Leichtsinn und Oberflächlichkeit sich Euer bemächtigen wollen. Rot, der Purpur, mit dem die aufgehende Tonne den jungen Tag verkündet und die untergehende, auf den kommenden Morgen deutend, ihren Abschiedsgruß sendet, ist die Farbe der idealen Befriedigung, nach welcher bewußt oder unbewußt, sich jedes Menschenherz sehnt. Diese ideale Befriedigung wird nur durch jene Freiheit gewonnen, die in der Tiefe des Gemüts ihre Wurzeln birgt. Gold ist die Farbe des edelsten Metalls, das in der Natur zwar selten, aber gediegen vorkommt. Das erinnere Tuch an die Reinheit der Gesinnung, nach der Ihr streben müßt, das mahne Tuch an den edelsten Mut, der sich gediegen wie Gold, in Türen Herzen ansetzen soll. So stecket Eure Fahne auf, und so Ihr künftig auf dem Wege zur Schule sie erblickt, vergesset nicht die Bedeutung der 3 Farben." Es folgte ein Hoch an das deutsche Volk und die Fürsten, in das die Versammelten begeistert einstimmten. Wenige Morte des Gebets schlossen die Ansprache, bei welcher die feierlichste Tülle geherrscht hatte.

Das Turnen in Nordhausen im Jahre 1848

Wie das Turnen 1848 in unserer Stadt gepflegt worden ist, zeigt die Gründung des Turnvereins „Vater Jahn". Schon 1817 wurde in Nordhausen in der Nähe des Gehegeplatzes ein Turnplatz hergerichtet, auf dem unter Salomo, einem Schüler und Kampfgenossen Jahns, eifrig geturnt wurde. Aber bereits 1820 wurde infolge der Demagogenfurcht jener Jahre (Jahn verhaftet) alles Turnen durch Allerhöchsten Befehl untersagt. Erst mit dem Tode Friedrich Wilhelms III. wurde der Bann von den Turnanstalten genommen, und es begann in den Jahren sich von neuem darin zu regen. Der Hammerrasen jenseits der Zorge wurde als Turnplatz zur Verfügung gestellt. Waren es nun bis dahin hauptsächlich Schüler, die das Turnen übten, so entstand im Mai 1848 in Nordhausen der erste Turnverein junger Leute, Lehrer, Beamte, Kaufleute, der sich 1860 zum Unterschiede von einem andern „Vater Jahn" genannt hat. Es kam damit des Turnvater Jahns Absicht, „Zönglinge zu wackeren Kämpfern und Verteidigern des Vaterlandes heranzuziehen", nach und trat der im Freiheitsjahr 1848 gegründeten Bürgerwehr würdig zur Seite.

Der Verein zählte bald 60 Mitglieder. Versammlungsort war bei schlechtem Wetter Stanges Lokal an der Kutteltreppe, später das Schützenhaus. Die Mitglieder erschienen in Turnkleidung, die jeder nach Belieben wählen konnte; die meisten trugen eine Bluse. Auch waren sie vorschriftsmäßig bewaffnet. Die Übungen fanden 2 Mal wöchentlich statt; auch Turnfahrten wurden veranstaltet. Turnwart war Lehrer Karg, Vorsitzender Gallus; als Mitglieder werden 18488 genannt: Julius Schwabe, Gerichtsbeamter, der Gründer des Vereins, Th. Artiger, M. Stegemann, Bierwirth, Nebelung, Wenzel I, Arnold, Müller, Freudenberg, Falkenstein.

Die folgenden Jahre der Reaktion waren auch der Turnerei schädlich, man machte ihr amtlich Schwierigkeiten. Infolgedessen nahm die Zahl der Turner ab. Doch wurde beim Schützenhauswirt Törpe still weitergeturnt, bis 1859 mit der neuen Ära, durch das Wohlwollen des Prinzregenten neues Leben erwuchs. Auch in Nordhausen wurde zu aller Freude 1860 ein neuer, der Männerturn-Verein, gegründet, und heute gibt es 5, darunter 2 Arbeiterturnvereine, von denen „Vater Jahn" 120 Mitglieder zählt, die Jugend, Zöglinge genannt, eingeschlossen.

Auch in den

Städten Thüringens und des Südharzes

gährte es 1848, und in einzelnen Kain es zu Unruhen. Im Jahre 1847 war bekanntlich eine Mißernte, infolge deren entstand Hungersnot, so auch in

Sondershausen

Viele Felddiebstähle kamen in der Erntezeit des Hungerjahres vor, weshalb hier eine Feldwache von 12 Ackerbürgern eingesetzt wurde. Schon vor dem 18. März fanden Versammlungen statt, wurden Reden gehalten und Brandbriefe versandt. Ulan haßte besonders drei Männer: den Bürgermeister, den Stadtkämmerer, den Königlichen Rendanten. Nach den Berliner Märztagen wuchs die Aufregung, die Bierhäuser füllten sich, Zusammenrottungen fanden statt. Die Garnison war zu schwach. Schon am 21. März wurden Nationalkokarden verkauft, am 23. wurde von angesehenen Bürgern eine Versammlung berufen, in der Klagen gegen die Stadtbehörde erhoben wurden. Mit wildem Geschrei besetzte man die Wohnungen der 3 Beamten, während der Bürgermeister nach Nordhausen floh. Den Stadtverordneten wurden unter den Augen der Polizei die Fenster eingeworfen. Man revidierte dann die Rassen und erzählte von Betrügereien. Der Kammergerichtsreferendar Kaupisch, später Präsident in Arnsberg, besorgte die Geschäfte des Bürgermeisters, es wurden neue Stadtverordnete gewählt, und der Bürgermeister kehrte zurück. Ein Regierungskommissar untersuchte und fand die meisten Beschwerden für unbegründet. Schon am 15. April hatte man eine Bürgerwehr errichtet, die mit alten Schießgewehren und Spießen ausgerüstet wurde, wodurch sich die Schützenkompagnie zuerst verletzt fühlte. Frauen stifteten auch hier eine Fahne, bei deren Einweihung auf 6 Plätzen getanzt wurde. Das schlimme Ende kam hinterher!

Am 1. Dezember 1848 wurden zwei Haupträdelsführer verhaftet, später ein dritter, zwei erhielten mehrere Jahre Zuchthaus, der schlimmste war flüchtig.

Im Spätherbst 1849 versuchte man vergeblich, die Landwehrkammer zu plündern, einige Tage darauf wurde die Bürgerwehr aufgelöst und die Landwehr einberufen.

Das sonstige geistige Leben in Nordhausen im Jahre 1848

  1. Ich habe solche noch heute an 12 Haustüren gefunden; schön ist Tür und Klopfer in der Barfüßerstraße 3, Nenstadtstraße 27, leider festgelötet, und am Altendorfer Pfarrhaus. Am Waisenhause ist ein Hundekopf, Medaillonbilder von Menschenköpfen sind Bäckerstraße 20.
  2. Große Feuersbrünste in Nordhausen waren: 1180, 1234, 1540, 1546, 1610, 1612, 1686, 1710, 1712 (281 Bürgerhäuser abgebrannt).