Nordhausen. Die tausendjährige Stadt am Harz

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Nordhausen. Die tausendjährige Stadt am Harz
Nordhausen. Die tausendjährige Stadt am Harz (Cover)
Reihe Deutschlands Städtebau
Autor Verschiedene
Herausgeber Magistrat der Stadt Nordhausen
Verlag Berlin-Halensee: Dari Deutscher Architektur- u. Industrie-Verlag
Erscheinungsjahr 1926
Auflage 2. Auflage
Umfang 53 S.
Stand: 7. Januar 2016
Digitalisat: PDF (20 MB, 102 Seiten)
Editionsrichtlinien:
  • Es wurden nur wenige Illustrationen übernommen (oder durch alternative Fotos ersetzt). Das Digitalisat ist hingegen vollständig.
  • Sperrschrift wird nicht wiedergegeben.
  • Dieser Text wurde teilweise Korrektur gelesen und spiegelt somit keinen endgültigen Bearbeitungsstand wider.

Ein Gang durch die Geschichte der Stadt Nordhausen

vom Stadtarchivar Heineck

Nordhausen steht auf uraltem Kulturboden. Ausgrabungen in und bei der Stadt weisen auf bronzezeitliche Besiedelung hin.

Der Name Nordhausen ist fränkisch. Als Karl der Große eine Verschwörung der Thüringer Grafen unterdrückt hatte, schob er Militärstraßen in das Thüringer Land vor und schützte diese Straßen durch Heerlagerplätze. An der nördlich gelegenen Zorgestraße wurde das Kastell Nordhausen, an der südlichen Helmestraße Sundhausen, noch weiter südlich an der Wipperstraße Sundershausen angelegt.

2. Gemälde von Hans Looschen im Stadtverordneten-Sitzungssaal: Otto I. nimmt Abschied von seiner Mutter Mathilde

Zur Zeit der Hunneneinfälle in Deutschland bot das fränkische Kastell, fast in der Ebene gelegen, zu wenig Schutz, und so befestigte König Heinrich I. (Abb. 10, 26) sein auf dem Berge gelegenes Gut. Um diesen Königshof herum entstand die neue sächsische Ansiedelung. Auf sie ging der Name Nordhausen über; die Siedelung um das ehemalige Frankenlager wurde „Altnordhausen“ genannt.

Im Jahre 927 schenkte König Heinrich den Ort „Nordhuse“ seiner Gemahlin Mathilde Diese fromme Königin stiftete hier im Jahre 962 ein Nonnenkloster (Abb. 2). Ihr Enkel, Otto II., unterstellte den Ort Nordhausen dem Kloster; das Schicksal der Ansiedelung lag für 2 ½ Jahrhunderte in den Händen der Äbtissinnen.

Zeuge des kirchlichen Lebens ist die wohlerhaltene Krypta des Domes, die dem ersten Drittel des 12. Jahrhunderts angehört. Vom städtischen Leben erfahren wir wenig. Nur soviel ist sicher, daß der Ort von mancherlei Kaufleuten als Wohnstätte aufgesucht wurde und in demselben Grade an Ausdehnung gewann, als der mittelalterliche Handel nach dem Osten an Bedeutung zunahm. Von den Reichsbeamten, dem Vogt und dem Schultheißen, sind uns nur Namen überliefert. Auch von den Äbtissinnen bezeugen nur wenige Brakteaten, wie sie geheißen. Mancher Kaiser und König hat hier geweilt, gar mancher Reichs- und Hoftag ist hier abgehalten worden. Die Spuren davon sind versunken und vergessen ihr Andenken lebt nur noch in vergilbten Pergamenturkunden.

Der königliche Ort Nordhausen umfaßte um das Jahr 1200 bei weitem nicht das Gebiet, welches der jetzige Mauerring einschließt. Ein wahrnehmbares Anwachsen der Stadt erfolgte erst, als die Gemeinde zur Selbstverwaltung gelangt war. Das geschah im Jahre 1220.

Am 27. Juli dieses Jahres verwandelte, höchstwahrscheinlich auf Andringen des Propstes Dietrich von Honstein, Kaiser Friedrich 11. das Nonnenkloster zu Nordhausen in ein weltliches Domherrenstift und behielt die Stadt Nordhausen dem Reiche vor, machte sie also zu einer freien Reichsstadt.

Damit beginnt eine neue Periode in der Geschichte unserer Stadt; die Jahre 1220 1420 geben der Stadt die mittelalterliche Signatur, die sie noch jetzt auszeichnet.

Daß die Geistlichkeit die bisher ausgeübte Oberherrschaft von dem neuen bürgerlichen Rate sich nicht aus den Händen winden lassen will, ist begreiflich Streitigkeiten mit der Domgeistlichkeit charakterisieren das 13. und den Anfang des 14. Jahrhunderts. Schließlich siegt der Rat, der sich zuerst nur aus den patrizischen Geschlechtern ergänzt, über die Geistlichkeit. Dem patrizischen Rat und dem übermütig auf seine Macht pochenden Geschlechterregiment treten im Laufe des 14. Jahrhunderts die vereinigten Bürger und Handwerker entgegen. Durch die Februarrevolution von 1375 zwingen sie ihn zu demokratischen Reformen.

Trotz der inneren Kämpfe pulsiert ein kräftiges Leben in dieser Zeit. Die Stadt und die Stadtluft ziehen die Ansiedler aus der näheren Umgebung heran. Zu den alten Stadtbezirken von St. Nikolai (Abb. 4) und dem Frauenberg (Abb. 18 20) gesellt sich St. Petri (Abb. 3) und St. Blasii (Abb. 23). Aus verwüsteten Dörfern kommen Bauern und bauen sich Häuser (Rodegasse); unterhalb der alten Stadtmauer entsteht das „Neue Dorf“, seit 1365 der Oberstadt eingemeindet. In der aufblühenden Stadt errief ten fromme Mönche und Nonnen ihre Klöster. Das aufgehobene Nonnenstift der Königin Mathilde wird ersetzt durch das Zisterzienser-Nonnenkloster Neuwerk am Frauenberge, erst in den Stürmen der Reformationszeit wird es aufgelöst (Abb. 19 und 20). Ein zweites Nonnenkloster entsteht im Altendorfe. Augustinermönche siedeln sich in der Neustadt an, Franziskaner (Barfüßer-) und Dominikaner (Predigermönche) in der Altstadt. Hochragende Kirchen erbauen die wachsenden Gemeinden zuerst im St. Nikolai-, dann im Petri- und Blasii-Viertel. Der Dom reicht für die Besucher nicht mehr aus, er wird umgebaut und erweitert und erhält um 1400 sein prächtiges Chorgestühl (Abb. 6, 7, 8, 21). Ein neues Rathaus wird in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts geschaffen, das alte „Kaufhaus“ in den „Krämern“ genügt für die Bedürfnisse des sich ausdehnenden Rates schon längst nicht mehr (Abb. 12, 13). Der wahrscheinlich im beginnenden 15. Jahrhundert an das Rathaus gestellte Roland symbolisiert die Macht des regierenden Rates (Abb. 1).

Die Einverleibung der Neustadt in die Machtsphäre der oberstädtischen Stadtverwaltung bedingt auch die Einbeziehung in den Befestigungsring. Die gewaltigen Kosten eines solchen Baues bringen die Erbitterung, welche in Bürger-und Handwerkerkreisen gegen die ihren Pflichten sich entziehende Geschlechterherrschaft schon lange gärt, zu jähem Ausbruch. Am Valentinstage (14. Februar) des Jahres 1375 erfolgt der Sturm aufs Riesenhaus und die Einsetzung eines demokratischen Rates, der in dieser Gestalt mit geringen Modifikationen bis zum Jahre 1802 gewirkt hat. Die gewaltigen Mauerreste, welche noch jetzt die Stadt durch-und umziehen, geben Kunde von dieser Zeit kräftig emporblühenden mittelalterlichen Strebens. Die trotzigen Türme, welche noch zum Teil wohlerhalten sind der Judenturm am Rähmenplatz (Abb. 11), der Marterturm im Primariusgraben, der Kaiserturm am Neuen Weg (Abb. 22) sie stellen zugleich ein Stück Stadtgeschichle dar, an der nicht achtlos vorübergegangen werden darf. Sie sind aber auch Zeugen der Wohlhabenheit, die im Bürgertum vorhanden war und es gestattete, solche Bauten aufzuführen.

Der Judenturm ist genannt nach den jüdischen Grabsteinen, die in ihn vermauert sind. Diese Leichensteine lagen auf dem Friedhofe, der den Tuchmachern im 16. Jahrhundert überlassen wurde, um dort ihre Tuchrähmen aufzuspannen. Als im Jahre 1349 die berüchtigte Beulenpest ganz Europa heimsuchte, da verfolgte man auch in Nordhausen die Juden als Brunnenvergifter und „verderbete sie“. Der Marterturm aber gibt uns Kunde von Ketzerverfolgungen durch die Dominikanermönche, deren Klostergebiet sich bis an diesen Turm erstreckte. Als Ketzerrichter entfalteten sie auch am Südharz eine eifrige Tätigkeit. Ist doch Nordhausen überhaupt in religionsgeschichtlicher Hinsicht eine Stadt, welche hohes Interesse erweckt seit den Zeiten der Geißlerfahrten bis zu den kleinlichen Schikanen der Reaktionsperiode gegen die freien Gemeinden.

Die Stadt mit ihren festen Mauern erschien den auf dem flachen Lande angesiedelten Klöstern als ein willkommenes refugium für ihre Vorräte; und so sehen wir bald, wie die hochgetürmte, wohlverwahrte Stadt von den ehrwürdigen Klosteräbten angegangen wird. Walkenried und Ilfeld treten mit dem Nordhäuser Rate in Verhandlungen. Das Resultat ist, daß den Walkenrieder Mönchen gestattet wird, an der Ecke der Ritterstraße einen Grundbesitz zu erwerben und dort ihren Kornfrüchtevorrat einzulagern (1290). Um bequeme Anfahrt aus der Ebene zu haben, wird sicherlich auf Kosten Walkenrieds der N e u e W e g als Fahrstraße angelegt und ein befestigtes Tor das Neuewegstor erbaut.

Dem Kloster Ilfeld wird in ähnlicher Weise entgegengekommen der Ilfelder Hof auf dem Hagen ist des Zeuge , und es werden so die freundnachbarlichen Verhältnisse angeknüpft, die leider der Stadt nicht die Vorteile gebracht haben, die sie sich einstmals davon versprach. Der Walkenrieder Hof wurde im 17. Jahrhundert von Braunschweig okkupiert und ist später an Kurbrandenburg übergegangen, und der Ilfelder Hof blieb bis 1853 in hannoverschem Besitz.

Noch erheben sich die ungefügen Mauern des alten Walkenrieder Klosterhofes an der Ecke der Waisenstraße, und die gewaltigen Kellerräume sind stumme Zeugen vergangener Tage; noch ragen Gewölbe des Ilfelder Hofes am Hagenplatze empor sie erzählen von vergangener Klosterherrlichkeil, vom ewigen Wechsel der irdischen Dinge.

Das 15. Jahrhundert ist auch für Nordhausen ein ständiger Kampf mit den umwohnenden Grafen und Herren. Nur die starken Befestigungen gewähren dem Bürger ausreichenden Schutz, und so wird an diesen unablässig gearbeitet. Mit dem beginnenden 16. Jahrhundert ändert sich die Zeit, es bricht die überwiegende Herrschaft der Landesfürsten an. Nicht mehr fürchtet der behäbige Bürger die Reisigen der Stolberger und Honsteiner Grafen, die Herren und Ritter vom Eichsfelde; die Mauern werden nur noch instand gehalten gegen heranziehen Kriegeshorden, gegen herumsehweifende „garlende“ Landsknechte, gegen räuberisches Landstreichergesindel und fahrendes Volk1, einschließlich studierender Bacchanten.

Das 16. Jahrhundert bringt für Nordhausen als wichtigstes Ereignis die Reformation.

Die Pflege geistigen Lebens war in Nordhausen nie vernachlässigt worden; außer den gelehrten Schulen am Dome St. Crucis und zu St. Jacobi bestanden schon immer Parochial-schulen.

Der Boden war also geistig wohl vorbereitet, auf welchen der Same von Luthers Lehre fiel. Zudem war Luther verwandtschaftlich mit Nordhausen verknüpft, und eine Reihe von Nordhäusern war persönlich dem Reformator nahegetreten, Justus Jonas, Lorenz Süsse u. a. Politisch aber war Nordhausen eng mit Kursachsen verknüpft, die Herrscher von Sachsen waren die Schutzherren der kleinen Reichsstadt. Alles dies muß man in Betracht ziehen, um den schnellen Anschluß der Stadt an die Sache der Reformation recht zu würdigen.

Der Uebertrilt zur evangelischen Lehre bedeutete den Untergang der im Mittelalter so bedeutungsvollen Klöster. Aus dem Dominikanerkloster erwuchs die neue evangelische Gelehrtenschule, die „große Schule“, das jetzige Gymnasium (seit 1524), das Nonnenkloster am Frauenberge wurde zur Mägdleinschule. Das Augustinerkloster verrät seine ehemalige Lage nur noch durch den umfangreichen Hof und wenige Mauerresle, das Franziskanerkloster die sogenannte Spendekirche ist in Trümmern sichtbar, und vom Zisterzienserkloster im Altendorfe steht noch die Kirche. Die Klöster hatten ihren Kulturzweck erfüllt, die neuere Zeit fand keine Verwendung für ihre Insassen. Sie sind damals ausgewandert oder ausgestorben, sie bedeuteten nichts mehr für die Stadt. Nur einzelne Straßennamen — Barfüßerstraße, Hinter den Predigern — halten ihr Andenken fest.

Die katholische Kirche St. Crucis ist die einzige, welche ihren Kultus zu bewahren verstanden hat, nicht ihren Besitz, der einst so umfassend war. Als in den Zeiten der napoleoni-sehen Herrschaft die Stadt Nordhausen zum Königreich Westfalen kam, da wurde das Domstift (1810) aufgelöst, seine Mitglieder auf Ruhegehalt gesetzt und der Besitz veräußert. Und genau so wie in den Zeiten der Reformation der Klosterbesitz in alle möglichen Hände gelangte, so faßten auch 1810 Befugte und Unbefugte zu, und die stiftische Herrlichkeit brach vor den Stürmen der Zeit zusammen. Nur durch regierungsfreundliches Entgegenkommen wurde das Fortbestehen einer katholischen Pfarrei ermöglicht.

Die Sache der Reformation entfesselte die Geister, hob die Wissenschaften. Auch Nordhausen trug seinen Anteil bei, gab der Welt einen Justus Jonas, den treuen Mitarbeiter Luthers, einen Michael Neander als tüch- tigen Pädagogen, einen Johannes Thal als Zierde der botanischen Wissenschaft.

Das städtische Leben entwickelte sich unter dem Regiment eines Michael Meyenburg (Abb. 9) in selbiger Zeit zu hoher Blüte. Der Reichtum nimmt zu. Geldanleihen werden Erfurt und andern Städten gewährt, sogar König Heinrich IV. von Frankreich erhält ein größeres Darlehen von der Stadt. Aber schon zieht — durch unaufhörliche innere Streitigkeiten angekündigt am politischen Himmel das Unwetter herauf, das auch die fruchtbaren Gefilde der Nordhäuser Fluren auf viele Jahre hinaus vernichtet. Der schreckliche Dreißigjährige Krieg trifft Nordhausen hart, besonders seit dem Jahre 1626.

Was Nordhausen damals an Geld und Geldeswerl verloren hat, läßt sich nach gleichzeitigen Angaben einigermaßen schätzen. Den Jammer jedoch, welchen das entsetzliche Wüten über viele Familien gebracht hat, die Rohheit, welche die Verwilderung der Sitten in das Leben der Massen getragen hat, die kann man nur ahnen.

Der Rat und seine Politik geriet damals in die peinlichste Verlegenheit und in immer neue Nöte.

Die übergroße Mehrheit der Bürger war gut kaiserhh gesinn', a'ce.’ gerade der Kaiser bedrohte durch das Restitutionsedikt von 1629 und dessen versuchte Ausführung die evangelische Kirche, der Nordhausen mit zäher Liebe anhing, mit dem völligen Ruine!

Die Schweden, die 1631 als Retter des evangelischen Glaubens kamen, verteidigten zwar den Protestantismus, aber sie waren Fremdlinge; ihr Gebahren und die Härte ihrer Führer, auch die Unbändigkeit der später in Deutschland geworbenen Soldateska wandten die Sympathien des Volkes von ihnen ab.

Der Kurfürst von Sachsen war Schutzherr von Nordhausen, aber er gebärdete sich, als wäre er völliger Landesherr. Gegen diese Gefahr suchte man Schutz bei Braunschweig-Lüne-burg. So war die Politik des Rates in den Jahren seit 1560 ein beständiges Lavieren zwischen der Scylla der Machtlosigkeit und der Charybdis des Verlustes der Reichsfreiheit. Und diese Zustände wurden nicht glänzender, als am Ausgange des 17. Jahrhunderts ein neuer F’eind erstand, der die Stadtfreiheit bedrohte.

Im 13. Jahrhundert war Nordhausen reichsfrei geworden. Anhalt und die Landgrafen von Thüringen waren zuerst Schutzherren der Stadt gewesen, später wurden es die Herzoge von Sachsen. Im Jahre 1697 überließ Kurfürst Friedrich August von Sachsen gegen Zahlung einer Summe von 300000 Talern dem Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg das Schutzrecht über Nordhausen, die Reichsvogtei und das Reichsschultheißamt in der Stadt. Als der Rat sich weigerte, diesen rechtsgiltig geschlossenen Vertrag anzuerkennen und bei Hannover militärischen Schutz heischte, da überrumpelte am 7. Februar 1703 König Friedrich I. von Preußen die ahnungslose Stadt und ließ sie durch preußische Beamte in Zwangsverwaltung nehmen. Erst im September 1715 zogen die preußischen Soldaten wieder ab, und die geängstigte Stadt konnte wieder frei aufatmen.

Die preußische Regierung hatte ihren Wohnsitz im Walkenrieder Hofe genommen und dort an der Ecke der Ritter- und Waisenslraße einen Pranger errichtet, ein Zeichen der damaligen Justiz, ohne das man nicht auszukommen vermochte.

Waren 1715 die letzten preußischen Soldaten von Nordhausen fortgezogen, so kehrten sie 40 Jahre später wieder. Es ist die Zeit des Siebenjährigen Krieges, welche nunmehr auf Mitteldeutschland lastet. Die kleine Reichsstadt ist nicht in der Lage, sich selbst zu schützen.

1757 rücken die Franzosen unter Soubise ein, 1758 nehmen die Preußen das ganze Jahr hindurch in Nordhausen Quartier. Was an Geschützen ehrwürdigen Angedenkens im alten Arsenale an der Ecke der Töpferstraße sich vorfindet, das schleppt 1760 der räuberische Rittmeister von Kovacs weg, um es nach Magdeburg zum Einschmelzen zu liefern. Mehr als 400000 Taler baren Geldes hat die Stadt zahlen müssen, um der ewigen Brandschatzungen und der ständigen Einquartierungslasten nur einigermaßen ledig zu werden.

Die Mauern sind im Laufe der Zeit zerfallen und werden nicht mehr repariert; die Türme läßt man zusammenbrechen, die Stadt aber dehnt sich immer mehr über den Gürtel ihrer Befestigungen aus. In zahlreichen Berggärlen befindet sich der Bürger des Sonntags außerhalb der Stadt; das mittelalterliche Gewand wird mehr und mehr als lästig abgestreift.

Ganz fällt es erst, als im Gefolge der Napole-onischen Epoche die Innungsschranken gebrochen werden, und Nordhausen eine westfälische Stadt wird.

Den Reichskrieg von 1792 gegen das revolutionäre Frankreich beendet Preußen durch den Frieden von Basel (1795). Es wird im Rastatter Kongreß „um des lieben Friedens willen“ den Franzosen das linke Rheinufer zugestanden; als Entschädigung für das verlorene Gebiet erhält Preußen 1802 u. a. die Stadt Nordhausen und besetzt die Stadt am 2. August desselben Jahres. So wird Nordhausen zum zweiten Male preußisch. Wieder nur auf kurze Zeit.

In der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 wird Preußens Macht zertrümmert; am 10. November 1806 wird Nordhausen zum französischen Besitz erklärt und huldigt am 1. Januar 1808 dem neuen König von Napoleons Gnaden, Hieronymus von Westfalen, in Cassel.

Die neue Herrschaft bringt manches Gute. Sie räumt auf mit den alten, überlebten Privilegien, sie proklamiert die Gleichstellung aller Untertanen vor dem Gesetz. Der lästige Innungszwang wird aufgehoben, eine neue Gerichtsverfassung mit Geschworenengerichten eingeführt. Die Schulen werden reformiert, die Zollschranken weit hinausgeschoben. Auch auf kirchlichem Gebiete wird manche heilsame Neuerung geschaffen.

Aber die großen Schattenseiten der neuen Regierung darf man nicht übersehen wollen! Die massenhaften, rücksichtslosen Rekrutierungen zu den ausländischen Kriegen, die Kosten für die Erhaltung der französischen Besatzungstruppen, die Zwangsanleihen für die kostspielige westfälische Regierung, das Spionagesystem, die Zurückdrängung der Deutschen aus allen höheren Ämtern, alle diese Umstände werden mit den Jahren immer fühlbarer. Sie erbittern mit Recht das Herz aller wahren Patrioten, so daß der Sturm von 1813 als eine wirkliche Befreiung im ganzen ehemalig westfälischen Gebiet empfunden wird.

Im Jahre 1802 zählt Nordhausen 8000 Einwohner, es ist eine behäbige Landstadt, die Fruchthandel und Branntweinbrennerei betreibt. Das 19. Jahrhundert gestaltet das Leben der Einwohner allmählich um. Der Umstand, daß fünf Staatsstraßen Nordhausen seit 1820 durchschneiden, bewirkt, daß die Stadt immer mehr zum Handelszentrum des Südharzes wird. Aus 8000 Einwohnern sind 1850 schon 15 000 geworden. Neben die oben erwähnten landwirtschaftlichen Gewerbe treten Rüben- und Zichorienfabriken, die Tapetenfabrikation gewinnt an Bedeutung, die mechanische Weberei erobert sich ihren Platz, und die Tabakindustrie fängt an, sich zu beleben.

Die Stadt ist auf dem besten Wege, am Großhandel sich zu beteiligen; es fehlt ihr nur noch eins: der Anschluß an das Eisenbahnnetz.

Nach langen Verhandlungen und erst, nachdem Hessen-Nassau und Hannover dem preußischen Staate einverleibt sind, erfolgt dieser Anschluß. Die Bahn Halle-Cassel, welche über Nordhausen führt, verbindet Nordhausen seit 1866 mit dem Weltverkehr. An die Hauptader Halle-Cassel schließen sich bald Nebenlinien an, und so wird auch in bezug auf den Eisenbahnverkehr Nordhausen das Zentrum des Südharzes.

Im Jahre 1880 ergibt die Volkszählung für das Stadtgebiet Nordhausen eine Einwohnerzahl von 26198 Seelen. Auf Grund dieses Ergebnisses wird Nordhausen mit dem 1. April 1882 ein eigener Stadtkreis.

Seit dieser Zeit ist die Stadt in schnellem Aufstieg begriffen. Der Selbstverwaltung überlassen, hat sie gezeigt, daß sie imstande ist, die Aufgaben einer modernen, fortschreitenden Kommune zu erfüllen. Insonderheit das Jahrzehnt vor dem Weltkriege hat die Stadtverwaltung vor eine Anzahl wichtiger Aufgaben gestellt, deren Lösung heute als gelungen bezeichne! werden darf. Zeugnis davon legen vor allem die mannigfachen Bauten ab, auf welche an anderer Stelle dieses Werkes näher eingegangen ist. So wird auch der durch den Krieg veranlaßte wirtschaftliche Niedergang nur eine Unterbrechung, keinesfalls ein Ende in dem Aufstieg der Stadt zu bedeuten haben.

Die alten Bauten Nordhausens

von † Architekt Schlag, neu bearbeitet von Dr. August Stolberg, Direktor des Städtischen Museums

Mitten im Herzen Deutschlands, angrenzend an die goldene Aue, am Fuße der höchsten Erhebung Norddeutschlands, liegt die alte Reichsstadt Nordhausen. Wie aus der Geschichte der Stadt entnommen werden kann, haben im Mittelalter deutsche Kaiser hier oft und gern geweilt.

3. Petersberg mit Petrikirche

Uralter deutscher Kulturboden ist die Stelle, auf welcher sich die altersgrauen Mauern der ehemaligen Reichsstadt erheben. Mit den frühesten Anfängen der eigentlichen deutschen Geschichte ist der alte Königshof Nordhausen und die aus diesem entstehende Siedelung und spätere Stadt verknüpft. Ein ganzes .Jahrtausend ist seit jener Stadtgründung vorübergerauscht, Zeiten reichen kulturellen Werdens, politischen Aufstieges, Niederganges und Verfalles. Die auf uns überkommene Erscheinung der alten Stadt ist das Kleid ihrer Geschichte. Und wie die Geschichte eines einzelnen Gemeinwesens nur ein Teil derjenigen eines ganzen Volkes überhaupt ist, so bildet das Bild einer so alten Stadt wie der unseren ein Bild des Werdeganges deutscher Kultur in allen auf- und abwärtssteigenden Kurven ihrer Entwicklung.

Von dem alten Königshof und der diesen umgebenden älteren Stadtanlage, welche von Heinrich I. (Abb. 26) gegründet wurde, ist nichts auf unsere Zeit überkommen. Im Jahre 1180 wurde Nordhausen von dem der Reichsachl verfallenen Heinrich dem Löwen niedergebrannt und zerstört. Als einziges Baudenkmal aus der Zeil vor dieser Zerstörung ist die Krypta des Domes anzusehen. Die wiederaufgebaute Burg wurde dann endgültig im Jahre 1272 von den Nordhäuser Bürgern selbst dem Erdboden gleichgemacht. Sie hat ihre Lage vermutlich zwischen der heutigen Kutteltreppe und der Domstraße gehabt (Neuere Forschungen auch durch Pfarrer Otto Riemenschneider in Nordhausen).

Das von Mechthildis 962 der heiligen Jungfrau als Nonnenkloster gestiftete und einge-weihte Kloster (Abb. 2) wurde 1220 von Friedrich II. in ein weltliches Chorherrenslift umgewandelt. Auf dem Grundstücke der heutigen Loge befinden sich noch alte, in der Tonne gewölbte Keller. Auch der unter der „Finkenburg“ stammt wohl noch aus dieser Zeit (Abb. 10).

Die heute noch um den inneren Stadtkern herumführende Stadtmauer mit zahlreichen Mauertürmen (Abb. 11, 22, 47) legt Zeugnis ab von längst versunkenen schweren Zeiten, welche die kleine Reichsstadt inmitten ihrer fehde- und raublustigen Adligen und standesherrlichen Nachbarn durch Jahrhunderte hindurch zu bestehen hatte. Endlos ist die Geschichte der mittelalterlichen Fehden, zahllos Neuere Forschungen auch durch Pfarrer Otto Riemenschneiderin Nordhausen.

8. Kreuzgangreste des Nordhäuser Domes
9. Gemälde „Auferstehung des Lazarus“ von Lucas Cranach in der Blasiikirche. Im Vordergrunde die Familie des Bürgermeisters Michael Meyenburg

die Beraubungen und Bedrückungen aller Art, die der kleinen Stadt die Errichtung und Unterhaltung eines so kostspieligen Bauwerkes aus eigenen Kräften notwendig machten. Die Not der damaligen Zeit brachte es mit sich, daß sich frühzeitig in den vielerlei Kämpfen um die Rechte und die Selbständigkeit der Stadt ein mannhaftes Bürgertum heranbildete, dessen freiheitliche Sinnesart sich bis in unsere Tage herübergerettet hat. Die alten, mit wehrhaften Türmen geschützten Toranlagen sind im Laufe der Jahrhunderte, nachdem sichere Verhältnisse eingekehrt waren, verschwunden. Als letzter Zeuge wurde der Barfüßer Torturm im Jahre 1873 niedergelegt, von dem noch Spuren seines Standortes an der Mauer des Spendekirchhofes deutlich sichtbar sind. Die zahlreichen Tor- und Mauertürme müssen mit den Türmen der im Mittelalter vorhandenen acht Kirchen wirklich das imponierende Städtebild ergeben haben, welches uns der Meriansche Stich aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts zeigt.

Von den Bauten aus ältester Zeit verdient in erster Linie der Dom unsere Beachtung (Abb. 21). Er steht wohl an der Stelle des wie oben gesagt von der Königin Mechtthildis, der Mutter Ottos des Großen, im Jahre 962 gegründeten Nonnenklosters. Die ältesten Teile dieses altehrwürdigen Bauwerkes stammen noch aus jener Zeit, in welcher häufig die deutschen Kaiser in den Mauern Nordhausens residierten. Die Entwicklung der Baukunst durch viereinhalb Jahrhunderte ist in dem räumlich bedeutenden, in seinem Aeußern so ungemein malerischen Bauwerk verkörpert. Der Kreuzgang (Abb. 8) ist bis auf einen Flügel, der interessanterweise spätromanische und spätgotische Bauformen zeigt, leider verschwunden. Den weitaus ältesten Teil stellt die Krypta dar, die im Anfang des 12. Jahrhunderts errichtet ist. Von fast gleich hohem Alter zeugen die Chortürme mit den Apsiden, während der Chor dem sogen. Uebergangsstil angehört. Das Schiff ist spätgotisch und stellt eine Hallenkirche mit großartigen Raumverhältnissen und prächtigen Stern- und Netzgewölben dar. Eine ganz hervorragende Kostbarkeit enthält der Dom in dem reichgeschnitzten, gegen 14C0 entstandenen Chorgestühl, welches wohl die hervorragendste kunstgeschichtliche Sehenswürdigkeit der Stadt darstellt (Abb. 6 und 7). Zu erwähnen ist noch ein sehr gut erhaltenes frühmittelalterliches Madonnenbild brabantischer Schule. Die Kurien des im Jahre 1810 aufgehobenen Domherrnstiftes sind leider ebenfalls verschwunden. Desgleichen ist die in ihrem massiven Unterbau hochaltertümliche „Alte Probslei“ 1899 abgebrochen worden.

Dem romanischen Stil gehört ferner der Bau der Frauenbergskirche an (Abb. 18 und 19), die ehedem zu dem daselbst vorhandenen Nonnenkloster gehörte. Sie zeigt eine kreuzförmige, romanische Basilika, wohl noch aus dem 12. Jahrhundert, etwas später gewölbt; über der Vierung erhebt sich ein in bescheidenen Formen gehaltenes Türmchen. Ueber dem nördlichen Querschiffe und über dem Chore wurde vom Dr.-Ing. F. Stolberg in Karlsruhe eine besondere Seltenheit festgestellt, nämlich Zimmerwerk des frühen 13. Jahrhunderts. Bis zur Renovierung war dieses über dem südlichen Querschiffe ebenfalls vorhanden. Die Sparren sind an die Balkenköpfe angeblattet, so daß ein Aufschiebling nicht möglich ist. Sämtliche Gespärre sind gleich ausgebildet. Das Gebäude wurde vor einigen Jahren, seiner Bedeutung entsprechend, sehr geschickt renoviert, so daß der altersgraue, schlichte Bau mit seinem schönen, romanischen Portal und seiner mit der des Domes gleich alten Chorapsis innerhalb der malerischen Häusergruppen, besonders an der Martinstraße, eine städtebaulich ganz außerordentlich reizvolle Baugruppe darstellt.

Sehr sehenswert ist auch die Blasiikirche, deren wunderliche schiefe Türme, welche Eigenschaft auch andere Kirchenbauten Nordhausens zeigen, aus den umgebenden alten Straßen und Gassen stattlich hervorragen (Abb. 23). Das Gebäude stammt aus frühgotischer Zeit und ist in seinem Innern in jüngster Zeit ebenfalls erneuert, wobei leider die alten Kircheneinrichtungen Plätze erhalten haben, die nicht dem Innenraum angepaßt sind. Den hervorragendsten Schmuck stellt das Bild Lucas Cranachs d. J. „Die Auferstehung des Lazarus“ dar, welches dem Geschmack der Zeit entsprechend zur Verherrlichung der verstorbenen Gattin des um die Einführung der Reformation hochverdienten Bürgermeisters Meyenburg diente. Besonders schön ist die Gruppe der darauf dargestellten Reformatoren (Abb. 9). Das Altarbild ist ein „Ecce homo“ von Lucas Cranach d. Ae.

An kirchlichen Bauten ist noch zu erwähnen der schlichte und kunstgeschichtiich nicht in Frage kommende Bau der Petrikirche mit ihrem das ganze Stadtbi’d beherrschenden Turme (Abb. 3). Professor Ostendorf bringt in der Geschichte des Dachwerks“ (Leipzig-Berlin 1908), S. 215, eine Konstruktionszeichnung des Helmes der Petrikirche mit kurzer Beschreibung und bemerkt weiterhin: „während nun dieser Turmhelm durchaus gerade geblieben ist, hat der ähnliche der Jakobikirche (1310) in Nordhausen sich gedreht“. Die Helme von Petri- und Jakobikirche zeigen die im späteren Mittelalter häufige Konstruktion paarweise gegeneinander geneigter Gespärre mit in den Ebenen dieser Gespärre liegendem pyramidenförmigen Einbau. Der Einbau wirkt dabei als Hauptverslei-fung des ganzen Helmes. Auch der Helm von St. Blasii zeigt diese Konstruktion, hier allerdings durch den Haubenaufsatz barockisierte. Ferner die ebenfalls ganz ansprechende Jakobikirche und die Altendörfer Kirche, bei welch’ letzteren nur der malerisch von Efeu überwucherte Chor baugeschichtlich interessiert.

10. Finkenburg
11. Judenturm

Die Entstehung aller dieser kirchlichen Baulichkeiten fällt mit Ausnahme der Jakobikirche, deren ursprünglicher Bau jedoch auch sehr alt gewesen ist, in die Zeit vor der Reformation. Nachdem durch diese die weltliche Macht der Kirche gebrochen war, begnügte man sich, die überkommenen Gebäude ihrer Bestimmung zu erhalten.

Durch bedeutende Brände, die 1612, 1686, 1710 und 1712 in Nordhausen wüteten, wurde dem mittelalterlichen Stadtbild der alten Reichsstadt, die bei dem allgemeinen nationalen Wohlstand vor dem Dreißigjährigen Kriege sicher auch so manches dem Zeitgeist entsprechende, baukünstlerisch hervorragende Bürgerhaus aufgewiesen haben mag, unersetzlicher Schaden zugefügt.

12. Rathaus

Die im Harz heimische Bauweise ist der uraltdeutsche Fachwerksbau, wie ihn die meisten der übrigen alten Harzstädte in einzigartiger Schönheit zeigen. Nur wenige Beispiele dieser echt deutsch wirkenden Baukunst sind leider auf unsere Tage gekommen, so der alte Bau der Finkenburg, die noch aus den Tagen Heinrichs I. stammen soll (Abb. 10), und das malerische Fachwerkgebäude des Martiniklosters aus dem 15. Jahrhundert, das in seinem Innern wie Aeu-ßern so recht ein Beispiel bescheidener bürgerlicher Baubetätigung jener Tage bietet (Abb. 19, 20). Hierher gehören auch die Fachwerkhäuser in der Barfüßerstraße, die mit den im Hintergrund gen Himmel ragenden Türmen der Blasii-kirche ein Bild davon geben, wie malerisch sich das mittelalterliche Bild unserer Stadt dargestellt haben mag (Abb. 23).

Beim Fachwerkhause in der Altendorfer Kirch-gasse (Nr. 3) läßt sich noch der Einraum als Kern der Anlage nachweisen. Die Ständerreihe der Hoffront ist vorgotisch. Dasselbe gilt von dem Mittelbaue des Frauenberger Klosters;auch hier verrät sich noch die durch die ganze Länge des Gebäudes gehende Diele. Solche uralten Zeugen des Holzbaus hat selbst Hildesheim nicht aufzuweisen. (Vgl. die Rahlvessche Promotionsschrift Weimar 1915.)

Unter den Fachwerkbauten kommen weiter vor: gotische mit langen, die beiden unteren Geschosse durchlaufenden Pfosten und weiter Ausladung des zweiten Obergeschosses, wobei die Balkenköpfe durch Knaggen gestützt sind. So z. B. der Südflügel der nördlichen Hofseite des Frauenberger Klosters, Finkenburg und Haus Kurfürst (Abb. 19, 10, 23). Für Fachwerkbauten aus der Renaissancezeit gibt es zahlreiche Beispiele, überwiegend niedersächsischer Art. Reich geschnitzte Balkenköpfe, ausgekehlte Schwellen und Füllhölzer, über Fußbändern und Pfosten hinweg das Motiv der halben Sonne. Die Häuser aus der Rokokozeit fußen auf den Renaissanceelemenlen. Die Konstruktionshölzer weisen aber keine Formierung mehr auf, statt dessen reiche Fenster- und Türumfassungen aus geschnittenen Bohlen.

Um 1800 tritt die Verschieferung der Häuser ein. Da die Konstruktionshölzer nicht mehr sichtbar sind, so kommt jede künstlerische Ausbildung in Wegfall.

Unsere alten Fachwerkbauten stehen z. T. noch heute unscheinbar in grauem Oelfarbenanstrich und vom großen Publikum wenig beachtet in ebenso wenig beachteten engen Straßen, und doch steckt in ihnen eine menschliche und künstlerische Kultur, die sie hoch über die zweifelhaften Werke der Gründerzeit und der folgenden Jahrzehnte emporhebt. Verwittert, wie sie heute sind, entbehren sie auch vielfach des Kleides, das sie freudig aus der Straßenfluch! herausschauen und die Augen des Vorübergehenden fesselten, nämlich der Bemalung. Nordhausen beginnt jedoch, sich selbst wieder zu entdecken. Für die Wiederbelebung unseres Stadtbildes zeigt sich jetzt ein regeres Interesse. Der mehrfarbige Fachwerkanstrich setzt sich zum größten Vorteile mehr und mehr wieder durch.

23. Blick auf die Blasiikirche

Baugeschichllich ist unter den profanen Bauwerken Nordhausens das alte Rathaus mit einem Roland das bedeutendste Gebäude der Stadt. Als schlichter, einfach gegliederter Renaissancebau in edelsten Verhältnissen errichtet, wirkt es in der malerischen Gruppierung seiner Umgebung so selbstsicher und beherrschend, daß es ohne weiteres als Mittelpunkt der Stadt zur Geltung kommt. Leider sind die überbauten Lauben im Erdgeschoß, die den malerischen Reiz der ganzen Anlage um ein Bedeutendes erhöht haben müssen, in das Gebäude eingezogen. Das erste Stock enthält eine in den letzten Jahren wieder hergerichtete schöne Renaissancehalle aus der Zeit der Entstehung des Gebäudes (Abb. 13).

Mit der Aufzählung des Gesagten sind natürlich noch lange nicht die guten Beispiele der alten bürgerlichen Baukunst erschöpft. Besonders im 18. Jahrhundert hatte sich in unserer Stadt eine eigenartige Formensprache herausgebildet, die Kunde gibt von einer schönen, gesunden Handwerkskunst, die selbst- und formensicher ihre Wege ging und unerschöpflich viel Reizvolles geschaffen hat. In dem malerischen Straßengewirr der alten Stadt, ihren vielen alten Winkeln, Plätzen, Gäßchen, Durchblicken, ihren mancherlei recht beschwerlichen alten Treppenanlagen bieten sich dem Auge des Freundes deutscher Kulturarbeit eine unerschöpfliche Fülle schönen Kunstgewerbefleißes, Zeugen schönheitlicher Lebensgestaltung, eines daseinsfrohen, schlichten und biederen Menschenschlages.

Neben so mancherlei Neuem und Häßlichem fällt immer und immer wieder hier und dort ein gut erhaltenes Gebäude von oft bescheidensten Dimensionen mit einer reizvoll durchgebildeten Haustür, schön geschweiften Fensterumrahmungen und mancherlei anderem natürlichen Zierrat auf, der wie die zahlreichen sonstigen städtebaulichen Schönheiten, immer wieder das Auge entzückt. Der Blick vom Hagen nach dem Dom (Abb. 21) oder derjenige vom Königshof nach dem Rathause und andere geben uns Zeugnis davon, welche Kunst für uns eigentlich der mittelalterliche Städtebau bedeutet, was wir wieder lernen müssen, um bei unseren Neuschöpfungen einigermaßen mit dem Ererbten Schritt halten zu können. Wie uns das alles auch gleichzeitig eine Mahnung sein muß, daß der ererbte Besitz eines so alten Kulturbildes von uns nur in pietätvoller Weise verwaltet werden darf, da auch die nach uns Kommenden noch ein Anrecht auf das alle Erbe der Väter haben. Manches läßt sich in einem modernen Gemeinwesen freilich bei Neuschöpfungen nicht aufrecht erhalten, zum Beispiel der schöne Holzfachwerksbau, denn die Feuersicherheit verlangt gebieterisch Schutz für des Nächsten Wohl. Malerische Stadtbilder sollen aber nicht nur erhalten, sondern es sollen auch neue allerdings mit Vorsicht geschaffen werden, damit sich auch unsere Nachkommen erbauen am Schönheitssinn unserer Zeit.

Uralt wie die Geschichte unserer Stadt und verwachsen mit der älteren deutschen Geschichte ist auch die der näheren und weiteren Umgebung. Unterhalb der mächtigen KylT-häuserburg (Abb. 56 —58), deren Ruinen mit dem Denkmal Kaiser Wilhelms l. weit in die Lande hinausgrüßen, lag im frühen Mittelalter die sächsische Kaiserpfalz Tilleda, in welcher besonders häufig Friedrich Barbarossa residierte und woselbst sich manche staatswichtige Begebenheit der damaligen Zeit vollzog. Nur eine Wegstunde hiervon entfernt, ebenfalls in den rauschenden Wäldern des Kyffhäusers, vom benachbarten Nordhausen auch sichtbar, erheben sich die Türme der alten Stammsitze der Rothenburger Grafen. Aus den niedrigen Dächern des Städtchens Heringen ragt gleich einer Zwingburg das alte Heringer Schloß, das einst als ein Silz der Hohensteiner Grafen diente. In der Hainleite südlich der Stadt, in einem malerischen Waldtal versteckt, liegt das alte, wohlerhaltene Bergschloß Straußberg, etwas westlicher hiervon Amt Lohra, der uralte Sitz der Grafen von Lohra, mit einem sehr alten Bergfried und einer romanischen Doppelkapelle. Zu F'üßen der letzteren liegt das Dörfchen Münchenlohra mit seiner berühmten und im vorigen Jahrhundert wiederhergestellten Klosterbasilika. Wenige Stunden westlich von Nordhausen lag das einst so berühmte und reichste Kloster Norddeutschlands, Walkenried, von dessen ehemals so prächtigen, im Bauernkriege zerstörten Kirche nur noch einige wenige baufällige Trümmer reden. Berühmt ist der vollständig erhaltene, auf uns überkommene prachtvolle gotische Kreuzgang (Abb. 62). Knapp zwei Stunden nördlich der Stadt, in unmittelbarer Nahe des Städtchens Neustadel, ragen aus dem Grün jahrhundertealter Buchen und Eichen die Ruinen des Hohnsteins. Er war der Stammsitz des ausgestorbenen uralten Harzgrafengeschlechtes v. Hohnstein, der alten Widersacher der ehemaligen Reichsstadt Nordhausen, deren Name in dem Kreise Grafschaft Hohnstein weiterlebt. Wie oft mögen die alten Herrschaften durch das noch erhaltene Burgtor mit ihren Reisigen ausgezogen sein, um sich an dem verhaßten und vielumneideten Wohlstand der gewerbefleißigen Reichsstadt gütlich zu tun oder sie zu schädigen (Abb. 63).

Andere Zeiten sind über die landschaftlich so wunderbar schönen Gaue des Südharzes wie über unser ganzes deutsches Vaterland herangekommen. Ein neues Geschlecht rüstet sich zu neuem Leben, neuen Taten und zu neuer Kultur. Das ererbte Alte ist im Preise gesunken, mit Gewalt regen sich in dem Frühling der neuen Zeil Kräfte, die bisher niedergehalten, sich jetzt zur Blüte entwickeln wollen, um neue Früchte zu tragen. Die großen sittlichen und kulturellen Kräfte unseres Volkes werden auch in dieser neuen Zeit zu neuen Blüten treiben, die auch in neuen Bauaufgaben sich sinnfällig verewigen werden.

Die Neubauten der Stadt Nordhausen in den letzten zwanzig Jahren

von Stadtbaurat a. D. Geißler, neu bearbeitet und ergänzt durch Dr.-Ing. Friedrich Stolberg

Der allgemeine Niedergang der Baukunst in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts hat auch dem Stadtbild der ehemalig freien Reichsstadt Nordhausen schwere und kaum wieder auszugleichende Schädigungen zugefügt. Fehlen dem alten Nordhausen auch die reichen und monumentalen Prachtbauten anderer mittelalterlicher Stadtanlagen, so hat doch die tausendjährige Entwicklung ein in sich geschlossenes eigenartiges Gesamtbild geschaffen, das alle Schönheiten deutscher Kunst zeigt und das darum als ehrwürdiges Denkmal zu betrachten und zu bewahren ist.

24. Stadtbad mit Waschanstalt

Die geschichtliche und wirtschaftliche Entwicklung Nordhausens ist im Stadtbilde auf das sichtbarste verkörpert. Man kann dieses als eines rein bürgerlicher Prägung bezeichnen im Gegensatz zu dem anderer Städte, deren Gesamterscheinung durch Baudenkmale hierarchischer oder höfischer Bestimmung den Grundton erhält. Ein bürgerstolzer Geist hat seit Generationen dem Leben und somit auch der Baukunst Nordhausens seinen Stempel aufgedrückl. Nur so ist der kraftvoll schlichte Eindruck der mittelalterlichen Kirchenbauten zu erklären, nur so das Fehlen der Prunkbauten mächtiger Kaufherrn- und Adelsgeschlechter. Fürstliches Mäzenatentum hat der stets gewerbefleißigen Stadt gefehlt, gesunder Bürgersinn, bodenständiges Handwerk und bescheidene Lebensauffassung gaben der Stadt ihren ausgesprochenen Charakter.

Die Wirren und Kriegsnöte, die in den ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts auf Deutschland lasteten, verbunden mit allgemeiner Verarmung, schufen für die Baukunst auch unserer Stadt schwere Zeiten. Die Not erlaubte keinen Luxus, die Bauaufgaben waren kümmerliche. Die lebendige, folgerichtige Entwickelung der bis zum ausgehenden achtzehnten und beginnenden neunzehnten Jahrhundert lebendigen Geschmackskullur brach ab, an ihre Stelle trat ein Eklektizismus, der sich darin gefiel, in mehr oder minder glücklicher Form, meist aber in recht unglücklicher, die älteren Werke nachzuahmen, wobei ein rein modemäßiges Anwenden historischer Formen den klaren Sinn für eigentliches Ziel und eigentlichen Zweck wahrer Kunst absterben ließ. Der neu einsetzende gewaltige Aufschwung Deutschlands in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts traf daher auf eine Generation, die ungeübt in der Bewältigung der an sie herantretenden großen Bauaufgaben zunächst viel Unheil in dem kostbaren, überkommenen Stadtbilde anrichtele. Die Werke jener Zeit, die sich uns in den großen Stadt- und Staatsbauten, wie Hauptbahnhof, Hauptpost, Gericht, Schulen usw. darstellen, sind wenig erfreuliche Leistungen eines an Eklektizismus krankenden Abschnittes.

25. Stadthaus
26. Gemälde „Heinrich I.“, von Hans Looschen, im Stadtverordneten-Sitzungssaal

Mit der Jahrhundertwende sahen sich die städtischen Behörden vor die Notwendigkeit gestellt, eine ganze Reihe neuer Bauprogramme zu verwirklichen, die, dem Allgemeinwohl dienend, zugleich in künstlerischer Beziehung gesunde Bahnen einschlagen mußten. Die Bearbeitung dieser von der Stadt zur Ausführung gebrachten Pläne lag in den Händen des Bauamtes.

Der erste derselben ist der Neubau des Stadtbades, das im Jahre 1907 seiner dem Allgemeinwohl dienenden Bestimmung übergeben werden konnte (Abb. 24). Das Gebäude enthält eine große Schwimmhalle, Wannen-, Brause- und Sonnenbäder nebst einer Waschanstalt. Bewegen sich die Formen auch noch in den tastenden Bahnen des Jugendstiles, so ist dennoch eine kräftige Abkehr vom Eklektizismus und ein ehrliches Streben nach dem aus dem Sachgemäßen Entspringenden zu erkennen. Die technische Einrichtung steht auf voller Höhe neuzeitlicher Bedürfnisse.

Zu derselben Zeit wurde auch der Neubau des Stadthauses in Angriff genommen (Abb. 25 bis 27). Das Stadthaus steht in unmittelbarer Nachbarschaft des alten spätmittelalterlichen Rathauses am Kornmarkte. Es umschließt die Sparkasse, Verwaltungsräume und den von Professor Looschen wirkungsvoll ausgemalten Stadtverordnetensitzungssaal. Das Gebäude stellt den ersten, noch nicht völlig geglückten Versuch dar, die moderne Bauaufgabe einem älteren Stadtbilde einzupassen. Mit seinen Arkadenbögen beherrscht es den Kornmarkt in eindringlicher Weise.

27. Rathaus und Stadthaus

Von besonderem Reize war das Programm für das auf dem aussichtsreichen Ammerberge inmitten der östlichen Vorgärten der Stadt zu errichtende „Hermann-Arnoldheim“ (Abb. 28). Der aus den reichen Mitteln der gleichnamigen Stiftung erstellte Bau dient als Altersheim für insgesamt 50 Nordhäuser Bürger und Bürgerinnen. Mit seiner geschickten Gruppierung, guten Maßverhältnissen und einfachen Linien steht das Heim weithin sichtbar in der Landschaft. Ein lindenbepflanzler Brunnenhof ist der Anlage vorgelagert.

Eine weitere, sehr bemerkenswerte Lösung stellt der Bau des Vereinshauses dar (Abb. 29, 30). Hier handelte es sich darum, ein stattliches Bürgerhaus der Rokokozeit in den Neubau einzubeziehen, ohne die Wirkung des als Denkmal bedeutenden Werkes zu beeinträchtigen. Die Erweiterungsflügel wurden um einen reizvoll gestalteten Innenhof herum entwickelt, die alte Rokokofassade nach der Straßenseite zu unverändert belassen. Neues und Ursprüngliches stehen in gutem Zusammenklange nebeneinander. Das Gebäude enthält eine Reihe von Zimmern für Jugendvereine und evangelische Vereine, einen Saal, die evangelische Schwesternstation und anschließend auf dem Grundstück einen Spielgarten. Es wurde Herbst 1913 eingeweiht.

Sich der Eigenart Alt-Nordhausens gut anpassend erscheint auch das Eichamt (Abb. 31), das in Gemeinschaft mit der Grimmelbrücke 1912 1913 entstand, ebenso das Kinderheim (Abb. 32) gegenüber dem Dom. Eine im gleichen Sinne gute Lösung ergab ferner der Neubau der Turnhalle der Mädchen m ittelschule (Abb. 47). Ueber der alten Stadtmauer zwischen zwei Wehrtürmen aufragend, beherrscht der hohe Giebel einen der malerischsten Winkel, den Primariusgraben. Jede Altertümelei ist vermieden, mit einfachen selbstsicheren Mitteln ist ein Werk entstanden, das sich im neuen Gewände jahrhundertealter Umgebung einfügt.

28. Arnoldheim
29. Vereinshaus
34. Theater Nordhausen

Die baukünstlerisch hervorragendste Tat von gleicher kultureller wie architektonischer Bedeutung war aber unstreitig der Neubau des Stadttheaters (Abb. 34, 35). Trotz widrigster Verhältnisse, die Bauzeit fiel zwischen 1913 und 1917, konnte das Werk in einer zur Größe der Stadt geradezu mustergültiger Weise vollendet werden. Inmitten der herrlichen gärtnerischen Anlagen der Promenade stellt sich das in den einfachen Formen des guten Klassizismus errichtete Gebäude mit seiner ruhig vornehmen Linienführung in die erste Reihe der neuzeitlichen deutschen Theaterbauten. Die Ausstattung und die bühnentechnischen Einrichtungen entsprechen in jeder Hinsicht den modernen Forderungen. Die Verwirklichung des jahrzehntealten Wunsches nach einem der Stadt würdigen Theater hat das Kunstleben Nordhausens mit einem Schlage in ungeahnter Weise gehoben, so daß die ideale Mission dieses Neubaues vollauf erfüllt ist.

Im Anschluß an das Theater harrt noch eine weitere bedeutsame Bauaufgabe ihrer Erledigung: das Museum. Nach Vollendung dieses Werkes wird es möglich sein, die reichhaltigen städtischen Sammlungen (Abb. 5) in zweckdienlicher, würdiger Weise unterzubringen. Die hauptsächlichsten Vorbereitungsarbeiten zu diesem Programme sind bereits fertiggestellt und bedürfen nur noch des Ausführungsbeginnes.

Die nach Kriegsende einsetzende Wohnungsnot stellte die Stadt vor die Aufgabe, durch Siedelungsbauten dem dringenden Bedürfnis nach Ein- und Mehrfamilienhäusern Rechnung zu tragen. Insbesondere galt es auch infolge der veränderten Verhältnisse für den bürgerlichen Mittelstand neue Wohngelegenheiten zu schaffen. Auf diesem Gebiete ist es vor allem die am Ostausgang der Stadt zwischen der Leimbacher und Stolberger Landstraße gelegene Siedelung Sachsenhof ,die vollste Beachtung verdient (Abb. 36 39). Die Anlage wird gegen die Leimbacherstraße zunächst durch einen geschlossenen, dreigeschossigen Block abgeschlossen, dessen einfache ungegliederte Massen durch Lisenenstrei'en belebt sind. Hinter diesem Eingangsblock erstreckt sich die eigentliche Siedlung, bestehend aus eingeschossigen Doppel- und Reihenhäusern, die in Rechteckform einen Gartenhof umschließen. Die Doppelhäuser erhielten gekrümmte Bohlendächer, die sich mit dieser Form vortrefflich in das ländliche Umgebungsbild der Stadt einfügen. Die der Sach-senhofsiedelung benachbarten Straßen zeigen zweigeschossige freundliche Reihenhäuser, die mit Vortreppen, hell geputzten Flächen und klaren Fensteranordnungen einen wohnlich behaglichen Eindruck für den Beschauer hinterlassen.

42. Talsperre
43. Neues Reichsbankgebäude
46. Harzquerbahnhof

Zum Abschluß der Betrachtung der in engerem Sinne städtischen Bauten sei noch einiger Werke gedacht, die, obwohl nicht dem Auge der breiten Schar der Reisenden auffallend, dennoch ein beredtes Zeugnis vom Bauwillen und der wirtschaftlichen Kraft Neu-Nordhausens ablegen: Es sind dies der Erweiterungsbau des Krankenhauses und, ihm als Pflegestätte von Körper und Gesundheit verwandt, der südlich des Bahnhofes in der Helmeflur gelegene Sportplatz. Sein auf das alte Flugfeld verteiltes Areal beträgt 237 696 Quadratmeter. Den Glanzpunkt der Gesamtanlage bildet ein Stadion von 70 Meter Breite und 186 Meter Länge. Es bietet Raum lür große turnerische und sportliche Veranstaltungen, so beträgt die Länge der betonierten Rennbahn 454 Meter, die der Laufbahn 400 Meier. 2200 Sitzplätze und 2000 Stehplätze dienen zur Unterbringung der schaulustigen Menge. An Turn- und Sportvereinigungen vergebene Spielflächen nehmen den Rest des Sportplatzes ein (Abb. 33).

Als wichtiges Programm liegt dem städtischen Bauamt gegenwärtig noch die Vollendung des neuen umfangreichen Hauptfriedhofes vor. Eingangs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäude wurden bereits 1921 fertiggestellt und der Friedhof dem Verkehr übergeben (Abb. 40, 41). Die Ausführung des Hauptgebäudes mit Krematorium ist für die Folgezeit geplant.

Nicht mindere Beachtung verdienen die in das rein technische Gebiet einschlagenden Bauten, so die Erweiterung des Schlachlhofes, ferner die 1911 bis 191(1 angelegte Kanalisation mit Entwässerung nach dem Trennsystem und Reinigung der Abwässer in Kremerbrunnen mit daneben gelagerten selbständigen Sehlammfaulräumen. Unter den Ingenieurbauten Nordhausens durch Wucht und Größe weit über die Grenzen des Harzgebietes hinaus bekannt geworden ist die Talsperre im Tiefen Tale bei Neustadt unterm Hohnstein. Sie wurde 1904 05 mi: einem Kostenaufwande von 1 400000 Mark errichtet und dient der Trinkwasserversorgung der Stadt. Die 1924 auf 34 Meter erhöhte Sperrmauer (Abb. 42) staut 1 240 900 Kubikmeter Wasser, das durch eine über zehn Kilometer lange Rohrleitung der Stadt zugeführt wird.

An Bauten außerstädtischer Behörden bzw. Bauherren ragt besonders hervor das 1918 bis 1920 aufgeführte Gebäude der Reichsbank (Abb. 43). Ueber wuchtigem Quadersockel erhebt sich der schlichte, nur durch Fenster und Flächen gegliederte Baukörper, in seiner überzeugenden Klarheit und Ehrlichkeit wunderbar abstechend gegen die verlogenen Talmi-Architekturen überwundener Jahre. Weiteres Interesse unter den öffentlichen Bauten Nordhausens verdient auch das großzügig angelegte Landes-Erziehungsheim (Abb. 44, 45), das auf einem 32 Morgen großen von der Stadt zur Verfügung gestellten Gelände 1908 begonnen und 1910 der Benutzung übergeben wurde. Die Anstalt trägt im Gegensatz zu ähnlichen Bauten, die anderenorts kasernenmäßig errichtet sind, den Charakter ei. er Kolonie und umfaßl 15 Gebäude. Inmitten gepflegter gärtnerischer Anlagen machen die Anstaltshäuser einen anheimelnden wohnlichen Eindruck.

48. Wohnung Dr. Schultes

Zur Zahl der öffentlichen Bauwerke ist auch das 1912 entstandene Empfangsgebäude der Harzquer- und Brockenbahn hinzuzurechnen. Es beherrscht mit seiner hübschen klaren Baumasse das Bild des Bahnhofsplatzes und weist sich der Schar der ankommenden Harzreisenden als Schwelle und Auftakt zur Fahrt in die Berge (Abb. 46).

Neben dieser umfangreichen öffentlichen Bautätigkeit mußte in einer im Verhältnis zu ihrer Größe so äußerst betriebsamen Stadt auch die private Bautätigkeit zu besonderer Blüte gelangen. So entstand denn in der Vorkriegszeit ein ganzes Villenviertel nördlich vor dem alten Stadtbering auf dem dem Gehege benachbarten Geiersberge. Gutes und Schlechtes hat hier seinen Niederschlag gefunden, das Gute in erfreulichem Uebergewicht. In die erste Reihe der Bauten, die aus dem Durcheinander von Eklektizismus, Jugendstil und englischer Landhausromantik heraus das bewußte Streben nach logischer klarer Massen- und Formenbehandlung erkennen lassen, gehört das Wohnhaus Dr. Schultes, das 1911 an der städtischen Promenade durch Schultze - Naumburg errichtet wurde (Abb. 48). Der Bau wirkt ohne formalistisches Beiwerk, lediglich durch die anspruchslos überzeugende Einfachheit seiner Erscheinung. Diese mit zielbewußtem Schaffen auf alter gesunder Ueberlieferung aufbauende Architektur erscheint in besonderer Ausbildung in der 1912 entstandenen Privatklinik von Dr. Blass (t), einem Entwürfe von Prof. Dr. hc. Caesar (früher Charlottenburg, jetzt Karlsruhe). Der rechteckige Baukörper wird von vier symmetrischen Eckpavillons gefaßt und enthält Klinik nebst Privatwohnung in grundrißtechnisch vorbildlich gelöster Weise. Die Wirkung ist ohne Beiwerk nur durch folgerichtig entwickelte Massen erreicht (Abb. 49). Aus der großen Zahl der sonstigen neueren Wohnbauten sei noch herausgegriffen das Haus Middendorf (Abb. 50), das, 1913 ausgeführt, mit seinem formalen Gleichmaß eine gute Wirkung erzielt.

Eine Sonderstellung unter den neuzeitlichen Wohnhäusern Nordhausens nimmt das inmitten der Altstadt am Marktplatz 1908 errichtete Haus Rosenthal ein (Abb. 51). Auf besonderen Wunsch des Bauherrn wurde es als stattlicher Fachwerkbau niederdeutscher Art mit reich geschnitztem Holzwerk ausgeführt und ist mit seinem mächtigen, weithin sichtbaren Giebel zu einem der Wahrzeichen Nordhausens geworden. Schwellen und Rähme zeigen in ihrem Schnitzwerk den Familienstammbaum des alten Geschlechtes Rosenthal und bewahren somit ein Stück alter Nordhäuser Bürgerherrlichkeit.

Mit dem Neubau des Spar- und Bauvereines, den dieser in den Jahren 1913 1914 ausführen ließ, sei noch kurz die private Siedlungstätigkeit gestreift. Es wurde hier zum ersten Male der Versuch gemacht, das Gebiet des Klein-Wohnungsbaues, das bekanntermaßen bis dahin baukünstlerisch recht vernachlässigt war, mit Erfolg zu heben. Wie bei sämtlichen Werken der aufsteigenden neueren Architektur ist hier das Schwergewicht von der formaler. Spielerei weg auf gute Entwickelung und Verteilung der Massen verlegt (Abb. 52).

Konnte nach den wirtschaftlichen Krisen der vergangenen Jahre der private Luxusbau noch nicht wieder zu voller Entfaltung gelangen, so ist ein um so erfreulicheres Aufleben der Bautätigkeit von Handel und Industrie zu bemerken. So entstand im Zuge der Bahnhofstraße durch Umbau vorhandener älterer Gebäude das Geschäftshaus Saxonia der Firma Schwan & Schatz. Dasselbe enthält im Untergeschoß Ladenräume, in den oberen Geschossen Wohnungen. Die Fassadenbehandlung zeigt das Bestreben, lediglich durch gute Massen- und Flächenverteilung zu wirken. Der stattliche Treppengiebel verleiht dem Bau die geglückte Note eines neuzeitlichen Geschäftshauses, das sich unter Wahrung seines Zweckbildes dennoch harmonisch in den Rahmen alter Stadtbaukunst eingefügt (Abb. 55).

Als hervorragendstes Werk neuester Industrie-Architektur darf unbestritten der 1925 26 geschaffene Fabrikneubau der Firma Grimm & Triepel gelten (Abb. 53, 54). Mil fünf Geschossen und straffer, aus dem Eisenbeton folgerichtig entwickelter Gliederung zählt der Bau zu den besten seiner Art.

Wie aus dem Gesagten ersichtlich, haben auch die ungünstigsten Wirtschaftslagen nicht vermocht, der baulichen Entwickelung Nordhausens Abbruch zu tun. Es bedeuten im Gegenteil die vergangenen Jahre allen trüben Aussichten zum Trotz eine Zeit steten sichtbaren künstlerischen Aufstieges. Möge auch der wirtschaftliche Gang der Dinge bald wieder ein solcher sein, daß weiterhin der Boden bereitet ist, auf dem das bisher Erreichte zu Nutz und Frommen der Allgemeinheit zu höchster Vollendung weitergedeihen kann!

Die Umgebung Nordhausens

56. Kyffhäuser-Denkmal
Von Studienrat Dr. Silberborth - Nordhausen

Wenn man sich mit der Bahn von Westen her, von Cassel, oder von Osten her, von Halle, unserer Stadt Nordhausen nähert, so nimmt das Auge bei der Betrachtung des landschaftlichen Bildes zunächst keine besonderen Naturschönheiten wahr. Man scheint sich in einer Gegend zu befinden, wie man sie in Mitteldeutschland immer wieder antrifft. Und doch ist Nordhausen der Mittelpunkt für eine Umgebung, so vielgestalt an der Ausprägung der Formen, so ausgestattet mit Glanzstücken landschaftlicher Schönheit, so reich an hervorragenden Denkmälern einer bedeutenden Vergangenheit, wie man sie selten findet in unserem deutschen Vaterlande. Nordhausens Lage vor der Mitte des Südharzes, am Fuße der Goldenen Aue, unfern des Kyffhäusers im Osten und des Eichsfeldes im Westen, umzogen im Süden vom langen Zuge der Hainleite, gewährt diese Vorzüge. Nordhausen liegt einerseits mit seinen unteren Stadtteilen in der Talaue der Zorge, andererseits erstreckt es seine Oberstadt aber auch weit hinauf auf die erste Welle des Harzvorlandes, den sogenannten Geiersberg. Schon die Stadt selbst bietet manche schöne Anlage, die Unterstadt die schattige Grimmelallee, die Oberstadt die alten Befestigungswälle und Gräben, welche zu Promenaden umgestaltet worden sind. Die herrlichste Anlage zieht sich als „Promenade“ vom Friedrich-Wilhelms-Platz am Museum und am neuen Stadttheater (Abb.34) vorbei nach der Wallrothstraße mit dem Bismarckdenkmale empor. Im übrigen hat es sich die Stadt angelegen sein lassen, in ihrer nächsten Nähe schöne und ausgedehnte Erholungsstätten zu schaffen. Der Westabfall des Geiersberges nach der Zorge hin ist mit einem prächtigen Buchenwald bestanden, dem Gehege, das von vorzüglichen Promenadenwegen in allen Richtungen durchzogen wird und in dem mit Wohlbedacht angelegte Durchblicke schöne Fernsichten nach Westen hin darbieten. An der Südostecke des Geheges ist jetzt, den Toten des Weltkrieges zum Gedächtnis, ein wuchtiges Ehrenmal erstanden; am Nordende der Anlage aber befindet sich der Gehegeplatz, eine von einer ganzen Reihe von Gastwirtschaften umrahmte Vergnügungsstätte mit zwei Orchesterhallen. Ebenso wie der Geiersberg auf seinem Westabhange schöne, in Parks umgewandelte Waldungen trägt, so sind auch die weiter nordwärts gelegenen Höhenrücken, die sich nach der Zorge hinabziehen, mit Wald und Gehölz bestanden und von Promenadenwegen durchzogen, die deshalb besonders reizvoll sind, weil sie häufig prächtige Ausblicke in das Zorgetal hinein und auf den Harzrand im Norden gewähren. Das „Wilde Hölzchen“ und der Kuhberg bieten gerade dadurch mannigfache Reize. Im Zorgetale selbst, unterhalb des Geheges, befindet sich mit anmutigen Baumgruppen und schönen Teichen der wohlgepflegte Stadtpark, der im Ost von einer 1,5 km langen, mit hohen Kastanien bestandenen Allee begrenzt wird.

Nur 8 km nördlich von Nordhausen dehnt sich von West gegen Ost hin der Rand des Südharzes. Und alle Glanzpunkte dieses an Naturwundern so reichen Südharzes, Lauterberg, Sachsa, Walkenried, Ilfeld, Neustadt, Stolberg, sind durch eine kurze Bahnfahrt oder durch eine reizvolle, mühelose Wanderung von Nordhausen aus zu erreichen. Lauterberg und Sachsa genießen als Bäder Weltruf, in Walkenried fesselt die schöne, gotische Ruine des im Bauernkriege zerstörten Zisterzienserklosters. Besonders leicht zu erreichen ist das herrliche Behretal bei Ilfeld, die Ruine Hohnstein bei Neustadt und die Nordhäuser Talsperre etwas östlich dieser Ortschaft (Abb. 42, 61—64).

Die Berge des Harzrandes bestehen in der Nähe dieser angeführten Oertlichkeiten aus rotem Porphyrit. Nur mit großer Mühe gelang es den Flüssen und Bächen, besonders der Behre bei Ilfeld, sich durch dieses harte Gestein den Weg nach der Ebene zu bahnen; und so ist das Behretal wild und eng. Seltsame Felsformen, die der Abtragung durch den Fluß oder durch die Witterung wegen ihrer Härte nicht zum Opfer gefallen sind, lugen an den steilen Talhängen überall aus dem dichten Buchenwalde hervor. Unten braust die Behre über Felsblöcke hinweg, welche gewaltige Bergstürze dorthin geführt haben. Doch nicht nur wildromantische Teile weist das Tal auf, es bietet dem Wanderer eine Fülle der verschiedensten Eindrücke. Einige Kilometer vom Harzrande aufwärts gestattet bei dem Hotel „Netzkater“ eine Talweitung, daß sich von dem Talboden an den Talhängen der Berge saftige Wiesen hinaufziehen, und nur im Osten des Talkessels strebt drohend aufwärts eine steile Felswand aus Melaphyr, einem Gesteine, in dem einst vielfach Achate und andere Halbedelsteine gefunden worden sind. Steht man über diesem Steilhange, so bietet sich von dem „Dreitälerblick“ herab dem entzückten Auge ein Bild, wie es deren selbst der an Naturschönheiten so reiche Harz nur wenige aufzuweisen hat.

Oestlich Ilfeld erstreckt sich der lange Rücken des Poppenberges, den ein allenthalben auch in Nordhausen sichtbarer Aussichtsturm krönt, und am Südfuße dieses Poppenberges liegt der Flecken Neustadt mit der Ruine Hohnstein. Schon die anderthalbstündige Wanderung von Nordhausen über die Vorberge des Harzes nach diesem Orte ist äußerst lohnend, und erstaunt über die Lieblichkeit des Anblickes wird der Beschauer sein, wenn er von der letzten sanften Bodenwelle vor dem Harze hinab und Neustadt sich zu Füßen liegen sieht. Durch ein wunderhübsches altes Tor gelangt man in den Flecken, bemerkt vor dem Ratskeller ein altertümliches Rolandsstandbild und eilt dann der Ruine Hohnstein zu (Abb. 63). Von wo aus man auch diese stattliche Bergruine betrachten will, überall entdeckt das Auge neue Reize. Die Burg ist mit mehrfachen Befestigungen umgeben gewesen, und die eigentlichen Burggebäude mit dem Burgfried haben eine stattliche Ausdehnung. Einzigartig schön ist die Aussicht von der Ruine besonders nach Süden und Westen hin.

Eine halbstündige, bequeme Wanderung auf Promenadenpfaden führt den Wanderer von der Ruine Hohnstein durch prachtvollen Buchenwald nach der Nordhäuser Talsperre, die Nordhausen mit Wasser versieht (Abb. 42). Eine 34 m hohe Mauer staut das Wasser des kleinen Krebsbaches in einem 1400 m langen Becken auf. Zu beiden Seiten dieses Sees erheben sich schöne, sanfte Berge mit gemischtem Waldbe-stande und blicken schweigend in das stille Wasser hinab.

Etwas weiter im Osten öffnet sich das Tyratal, in welchem das anmutige Stolberg liegt, und in die Mitte der altertümlichen Häuser des Städtchens erstreckt sich der Burgberg hinein, eine alte Talterrasse, auf der heute das Schloß der Stolberger Grafen liegt. Im Osten von Stolberg aber ragt bis in die blauen Wolken hinauf das Kreuz auf der Josephshöhe (Abb. 61).

Doch nicht bloß der Harz selbst, sondern auch die Vorberge des Harzes haben gerade am Südrande des Gebirges unendlich viele Schönheiten aufzuweisen. Dem eigentlichen Harze ist nämlich in der Umgebung Nordhausens ein breites Band von Gipsen der Zechsteinformation vorgelagert, und diese schwefelsauren Kalke mit ihrem eigenartigen Verhalten zum atmosphärischen Wasser bedingen landschaftliche Oberflächengestaltungen und Vegetationsformen, die den Naturfreund immer wieder diese Gegenden aufsuchen lassen. Gleich nördlich von Nordhausen ragt, aus Dolomit und Gips bestehend, der Kohnstein auf, der meistens Buchenwald trägt, und eine gute Wegstunde östlich unserer Stadt erhebt sich der sogenannte Alte Stolberg, der zum größten Teile auch der Gipszone des Vorharzgebietes angehört. Auf der Oberfläche dieser Berge finden sich vielfach Einsturzbecken und Trichter, die darauf hinweisen, daß das in den Kalk schnell eingedrungene Wasser die oben lagernden Steine unterspült hat, so daß sie nachgestürzt sind. Naturgemäß finden sich in diesem Zechsteingürtel auch viele Höhlen und unterirdische Gänge. Die bekannteste und größte der Höhlen des Alten Stolbergs ist die Heimkehle bei Rottleberode, die gewaltige Säle, prachtvolle, unterirdische Seen und mächtige von der Decke herabgestürzte Gesteinstrümmermassen aufzuweisen hat. Wo sich aber nach Süden hin die Zechsteinformation unter die jüngeren Ablagerungen des Buntsandsteins und Muschelkalks verliert und durch diese Deckschichten vor Auslaugung geschützt ist, hat sie die für ganz Deutschland so wichtigen Kalisalze bewahrt. Schächte führen bei Bleicherode und Sollstedt, bei Furra und Hüpstedt in den Zechstein hinab und fördern das Kali zutage (Abb. 59 und 60).

Wieder ganz andere landschaftliche Reize bietet die nächste Umgebung Nordhausens mit ihren sanften, rötlichen Buntsandsteinrücken. Steht man auf einem solchen Rücken, etwa dem des „Harzrigi“, 3 km nördlich unserer Stadt, oder macht man auch nur einen kleinen Spaziergang vor den nördlichen Straßenzeilen, etwa den Präsidentenweg entlang, so ist dem Beschauer eine einzigartig schöne Aussicht gewährt. Im Norden wölbt sich der düstere, majestätische Rand des Harzes empor, im Westen erblickt man die seltsamen Formen der Muschelkalkberge des Eichsfeldes, im Süden zieht der lange Zug der Hainleite entlang, vor die sich im Osten der alte Kyffhäuser mit seinen Burgruinen und seinem herrlichen Denkmal legt, das deutlich sichtbar ist, und vor der Hainleite und dem Kyffhäuser, eigentlich den schönsten Anblick gewährend, breitet sich mit ihren blühenden Ortschaften, den fruchtbaren Gefilden, der sich dahinschlängelnden Zorge und Helme die Goldene Aue aus.

Wie die Umgebung Nordhausens nach Norden hin von unvergleichlichem Reize ist, so nicht minder nach Süden und Osten hin. Südlich Nordhausen, mit der Bahn Nordhausen—Erfurt in 30 Minuten zu erreichen, liegt in der Hainleite das Städtchen Sondershausen. Diese frühere Residenz der Fürsten von Schwarzburg-Sonders-hausen ist weit und breit berühmt als Musikstadt, und wenn der Besucher Gelegenheit hat, im Sommer Sonntags von Nordhausen herüberzufahren, wird er nicht versäumen, die Lohkonzerte in dem prachtvollen Sondershäuser Parke zu besuchen. Aber auch sonst lohnt das freundliche Städtchen mit seinen schmucken Straßen und Plätzen und dem auf einem Ausläufer des Franzberges gelegenen Schlosse einen Besuch. Der Naturfreund kommt weiterhin durch die wundervolle Lage Sondershausens inmitten des Gebirgszuges der Hainleite auf seine Kosten. Freilich steil sind die Flanken der harten Muschelkalkbänke, welche die Berge hier bilden; aber die kurze Mühe wird belohnt durch überraschende Fernsichten, die man vom Bismarckturme über Sondershausen, vom Possenturme, den ein Sondershäuser Fürst 1766 errichten ließ, oder vor allem vom unbewaldeten Frauenberge dicht westlich über Sondershausen dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal, das die deutschen Kriegervereine dem alten Kaiser gewidmet haben. Das Denkmal selbst ist ja so berühmt und so oft beschrieben worden, daß hier von einer Beschreibung abgesehen werden kann. Sein Anblick ist jedenfalls überwältigend, und überwältigend auch der Rundblick, den man vom Denkmal aus über die deutschen Lande genießt. Am Fuße des Denkmalberges in der Ebene liegt das Dorf Tilleda, eine alte Kaiserpfalz der Staufer (Abb. 56—58).

Das Kyffhäusergebirge besteht aus zwei ganz verschiedenen Gesteinsarten. Während nämlich den Nordrand und die Mitte alte Gesteine und Konglomerate des Rotliegenden aufbauen, legen sich im Süden an das Gebirge wieder die Gipse der Zechsteinformation an; und so treffen wir hier wieder genau dieselben Erscheinungen an, wie in dem Gipsbande, das dem Südrande des Harzes vorgelagert ist: eine wasserarme Oberfläche, eine eigenartige Steppenvegetation, eine seltsame Fauna der niederen Tierwelt, endlich Höhlen und Klüftungen im Gestein. Hier liegt am Südfuße des Kyffhäusers das Solbad Frankenhausen, wo aus der Kyffhäuser-Bruch-spalte Salzquellen dem salz- und kalireichen Zechstein entsprudeln, und hier liegt auch die vielbesuchte Barbarossahöhle, 45 Minuten nordwestlich Frankenhausen. Ein Besuch dieser bequem zugänglich gemachten, 1300 m langen Höhle mit ihren schönen Gängen, Hallen und Seen ist sehr empfehlenswert. —

Die Ausmaße dieses Werkes gestatten nur eine oberflächliche Orientierung über die Umgebung Nordhausens. Doch schon aus dieser kurzen Uebersicht wird man entnehmen können, wie lohnend und reizvoll für den Naturfreund und den Historiker, für den Erholungsbedürftigen und den Wanderlustigen der Besuch Nordhausens und der Landschaften um diese Stadt herum ist. Nicht unerwähnt aber soll schließlich noch bleiben, daß Nordhausen ganz außerordentlich günstige Bahnverbindungen besitzt. Es liegt an den großen Eisenbahnlinien Halle— Cassel und Berlin—Güsten—Cassel, von Nordhausen gehen ferner die Bahnen nach Erfurt, nach Northeim und nach Wernigerode aus, und alle diese Hauptstrecken bieten Sekundärbahnen Anschluß nach den landschaftlich hervorragendsten Teilen Mitteldeutschlands. An die Hallenser Bahn schließt sich bei Berga-Kelbra die Kyffhäuser Bahn an, von der Erfurter Strecke zweigt sich bei Sondershausen die nach Frankenhausen ab, und die Kleinbahnen, welche an die Northeimer Linie bei Ellrich, Walkenried und Scharzfeld Anschluß gewinnen, erschließen die herrlichsten Gegenden des Harzgebirges: die Kleinbahn von Ellrich führt nach Zorge, die von Walkenried nach Braunlage, die von Scharzfeld nach Andreasberg.

Nordhausens wirtschaftliche Bedeutung

Von Dr. W.Schmidt, Syndikus der Industrie- und Handelskammer zu Nordhausen

Nordhausen war von jeher ein gewerbefleißiger und betriebsamer Ort. Bereits im 10. Jahrhundert wurde ihm das Marktrecht verliehen, und alte Chroniken besagen, daß zu den Toren der Stadt schwerbeladene Frachtwagen hinausrollten und aus den vielen Dörfern der Umgegend die fruchtbeladenen Wagen hereinkamen. Es ist dies auf die günstige Lage der Stadt am Fuße des Harzes auf der einen, an der Grenze eines fruchtbaren Landstrichs (der „Goldenen Aue“) auf der anderen Seite zurückzuführen, die sie im Verein mit einem Knotenpunkt von Landstraßen zum natürlichen Vorort und Stapelplatz für die ärmeren Bezirke des Gebirges und des Eichsfeldes machte.

Einzelne Zunftgewerbe, wie die der Gerber, Schneider, Schuhmacher, Kürschner, Tuchmacher, Krämer und Gewandschnitter, waren früh in Blüte und erlangten solche Macht, daß die Gilden bei der städtischen Verwaltung den Vorrang hatten, besonders nachdem die Patrizier durch die Zünfte im Aufstande von 1375 niedergeworfen waren.

Zur freireichsstädtischen Zeit wurde in Nordhausen die Reichs-Handwerks-Ordnung, gegeben von Kaiser Karl VI. am 16. August 1731, durch öffentlichen Anschlag am 30. September 1732 eingeführt. Der Rat der Stadt erließ außerdem eine Reihe von wichtigen, Handel und Verkehr betreffenden Verordnungen, so u. a. eine Wechselordnung der Kaiserlichen freien Reichsstadt vom 22. Juni 1720, sowie „Reglements“, „Dekrete“, „Edikte“ und „Verordnungen“, die das Brennen und Brauen und den Handel mit Branntwein und Bier betrafen.

Schon früh war für Nordhausen und die umliegenden Gebiete der Getreidehandel von besonderer Wichtigkeit. Die natürliche Vorbedingung für seine Entwicklung bildete der fruchtbare Boden der nahen „Goldenen Aue“. Wie bedeutend zur Zeit der Besitzergreifung Nordhausens durch Preußen (1802) der Kornmarkt hier war, welch’ großer Vorteil dadurch für Preußen erwuchs, und wie sehr Kursachsen bedauerte, die Anrechte an diese Stadt verloren zu haben, geht aus dem Schreiben eines Kreisbeamten aus Tennstädt hervor, der darüber an seinen Herrn, den Kurfürsten von Sachsen, folgendermaßen berichtete:

„Die Königl. Preußischerseits erfolgte Besitznahme verschiedener Kur-Mainzischer Besitzungen und der Reichsstädte Nordhausen und Mühlhausen bietet den Kursächsischen Grenz- beamten in Thüringen so manchen Stoff zum Nachdenken dar und macht sie sowohl für die Gegenwart als Zukunft aufmerksam. Dies hat mich veranlaßt, meine Gedanken hierüber an hochgedachtes Collegium unterthänigst zu eröffnen.

Die Reichsstadt Nordhausen war bisher die interessanteste Marktstadt für Thüringen. Man konnte rechnen, daß jährlich 700000 Nordhäuser Scheffel Korn aus Thüringen dorthin verführt wurden, welche daselbst allemal sichern Abgang erwarten konnten, teils wegen der dortigen vielen und beträchtlichen Branntweinbrennereien, teils wegen des starken Getreidehandels, der durch Nordhausen zwischen Thüringen und dem Harz getrieben wurde. Bei großer Teuerung und bei eintretendem Mangel konnte zwar die Fruchtausfuhr nach Nordhausen dem Kursächsischen Thüringen nachteilig werden. Dieses war aber nur als Ausnahme zu betrachten, und der Regel nach war es Wohlthat für den größten Teil Thüringens, daß Nordhausen als Fruchtmarktplatz existierte. Nach meinem ohne vorgreiflichen Dafürhalten wird es das eigene Interesse der neuen Königl. preußischen Regierung daselbst erfordern, daß dieser Fruchtmarktplatz, wovon der Wohlstand der Stadt hauptsächlich abhängt, erhalten wird. Und ich vermute daher, daß auch in der Zukunft Thüringen ohnbeschränkte Freiheit erhalten wird, seine überflüssigen Früchte, besonders in Roggen, zum Zwischenhandel und Branntweinbrennen dahin zu verführen und daselbst zu debitiren. Wahrscheinlich wird man aber auch diesen Marktplatz dazu benutzen, um aus demselben die nahegelegenen preußischen Provinzen, die Grafschaft Hohnstein und das Fürstentum Halberstadt im Falle der Not zu versorgen. Daher eben in den Zeiten der Teuerung der Fruchthandel nach Nordhausen in ebengedachter Hinsicht diesseits besondere Aufmerksamkeit verdienen möchte. Sollte man aber den Zwischenhandel, der zwischen dem Harz und Thüringen bisher nur durch Nordhausen getrieben worden ist, Königl. preußischerseits künftig einschränken, so würde sich dann von selbst eine bequeme Gelegenheit darbieten, diesen Handel nach Sangerhausen und Stolberg zu ziehen, welches für Sachsen wie für diese beiden Städte ungemein vorteilhaft sein würde.“

In diesem Schreiben ist auf den engeren Zusammenhang zwischen dem Getreidehandel und der Branntweinbrennerei hingewiesen. Und so ist es auch. Die Branntweinbrennerei, der „Nordhäuser Korn“, der den Namen der Stadt überall bekanntgemacht hat, fand hier eine Heimstätte wegen der anliegenden reichen Kornkammer der Goldenen Aue und wegen des Holzreichtums des benachbarten Harzes. Vor mehr als 400 Jahren (die erste urkundliche Nachricht, daß in Nordhausen Branntwein gebrannt worden ist, stammt aus dem Jahre 1507, aus dem berichtet wird, daß der Rat der Reichsstadt Nordhausen den Branntweinbrennern einen Zins, den sogen. „Bornewyns-Zins“, auferlegt hat) hat das Gewerbe hier Eingang gefunden und die Schicksale der Stadt durch gute und schlechte Zeiten als treuer Begleiter geteilt, bis es sich zu einem glänzenden Industriezweige mit 70 Betrieben entwickelte. In den 70er und 80er Jahren des verflossenen Jahrhunderts erreichte die Branntweinbrennerei ihren Höhepunkt; ihre Produktion betrug 500000 Hektoliter. Durch die Branntweinbesteuerungen der Jahre 1887 und 1909 erlitt die Produktion einen wesentlichen Rückgang, hat aber vor dem Kriege immer noch 250000 bis 300000 Hektoliter betragen.

Von weittragender Bedeutung für die Nordhäuser Branntweinindustrie war auch die im Jahre 1899 gegründete „Zentrale für Spiri-tusverwertung“. An die Stelle des freien Verkehrs im Sprithandel, der sich bis dahin, je nach Ausfall der Ernte, durch Angebot und Nachfrage regelte, trat die fast konkurrenzlose Preisgestaltung der Zentrale. Die Abhängigkeit von dieser hat die Nordhäuser Branntweinbrennerei oft als sehr drückend und für ihre Fortentwicklung hemmend empfunden. Immerhin konnte sie mit den Geschäften zufrieden sein, ebenso wie der Staatssäckel; erreichte doch im letzten Jahre vor dem Kriege der Erlös aus der Branntweinbesteuerung in Nordhausen die respektable Höhe von über 8,5 Millionen Mark.

Durch Einführung des staatlichen Branntweinmonopols in den Jahren 1918 bis 1922, das die Herstellung und den Vertrieb von Trinkbranntwein (Monopolbranntwein) der Monopolverwaltung zuweist, wurde die private Branntweinindustrie zunächst fast stillgelegt. Der Umstand jedoch, daß die Reichsmonopolverwaltung sich später entschloß, an die noch bestehenden Trinkbranntweinbetriebe Feinsprit zur weiteren Verarbeitung abzulassen, hat in den letztvergangenen Jahren zur wesentlichen Hebung der Nordhäuser Branntweinindustrie wieder beigetragen. Auch der „Reine Nordhäuser Korn“ wird seit kurzem wieder hergestellt, nachdem das Abbrennen und Maischen von Getreide wieder gestattet ist. Neben der Branntweinherstellung haben verschiedene Firmen die Fabrikation feinerer Liköre aufgenommen und damit erfreulicherweise bald Eingang in die Abnehmerkreise gefunden. Die Zahl der augenblicklich vorhandenen Betriebe einschl. der Likörfabriken beträgt immer noch annähernd 60, und es dürfte mit einer Herstel- lungsmenge von gut 100000 Hektoliter Branntwein zu rechnen sein.

Zum „Nordhäuser Korn“ kommt als spezifisch Nordhäuser Erzeugnis der„N ordhäuser Kautabak“. Die Kautabakfabrikation ist seit etwas über 100 Jahren in Nordhausen heimisch und hat eine derartige Ausdehnung angenommen, daß reichlich die Hälfte (55 — 60 «/») der deutschen Produktion in Nordhausen hergestellt wird und der „Nordhäuser Priem“ oder „Nordhäuser Stift“ heute der gesuchteste seiner Art ist. Bis zur Mitte der 5Öer Jahre des 19. Jahrhunderts war die Fabrikation Handbetrieb. Seitdem wird sie mit Dampfkraft und maschinell betrieben und dadurch beträchtlich erhöht. Ohne auf die Einzelheiten der Fabrikalionsmethode selbst einzugehen — dazu ist hier nicht der Ort —- sei erwähnt, daß das Aroma des Kautabaks von der Behandlung mit einer Soße herrührt, die ihm den besonderen, jeder Fabrik eigentümlichen Geschmack verleiht. Die Zusammensetzung der Soße wird von der Fabrik als Geschäftsgeheimnis bewahrt. Die Zahl der Betriebe beträgt jetzt einige 20, nachdem in der Nachkriegszeit eine Zahl mittlerer und kleinerer Unternehmungen hinzugekommen ist. In einigen Fabriken werden auch Zigarren und Rauchtabake hergestellt. Ende des Jahres 1920 haben sich zehn Betriebe zwecks rationelleren Arbeitens zu einer Aktiengesellschaft unter der Firma „Nordhäuser Tabak-fabriken A.-G.“ zusammengeschlossen.

Diesen beiden alten Nordhäuser Industriezweigen haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte neue hinzugesellt, die in ihrer Bedeutung keineswegs etwa rein örtlichen Charakter besitzen, sondern weit darüber hinaus, zum Teil im Auslande, sich Absatz und Geltung verschafft haben. Es ist dies vor allem die Maschinenindustrie mit wichtigen Spezialerzeugnissen, wie Maschinen für Tapeten- und Papierfabrikation, Trockenmaschinen für Bleichereien, Färbereien, Druckereien und Appreturanstalten, Bergwerksmaschinen, elektrische Aufzüge, Motorlokomotiven, Kältemaschinen, Rohöllokomotiven, Tiefbrunnenpumpen usw. Für einige in dieses Gebiet fallende Betriebe, so die Tiefbau- und Kälteindustrie A.-G. vorm. Gebhardt & Koenig und die Deutsche Schachtbau A.-G., ist die erhebliche Ausdehnung des Kalibergbaues in der Umgebung von Nordhausen und auf dem Eichsfelde die seinerzeitige Veranlassung zu ihrer Entstehung oder Erweiterung gewesen. Nachdem die Bohrung auf Kali zum Stillstand gekommen ist, umfaßt ihre Tätigkeit hauptsächlich Bohrungen auf Kohle und Oel sowie Bau solcher Schächte. Ihre bisher daneben betriebenen Fabriken zur Herstellung in ihr Arbeitsgebiet fallender Maschinen, Geräte und Apparate haben sie jüngst zu einer Aktiengesellschaft unter der Firma „Mabag“, Maschinen- und Apparatebau-A.-G., vereinigt.

Die Textil-, die Seifen- und die Malzindustrie in Nordhausen verdienen ebenfalls eines besonderen Hinweises. Erstere befaßt sieh in mehreren mechanischen Webereien hauptsächlich mit der Anfertigung bunter baumwollener Sachen (Inletts und Bettzeug) und weißer Bettstoffe. Letztere beliefert nicht nur die z. T. nicht unbedeutenden Brauereien von Nordhausen und seiner engeren und weiteren Umgegend, sondern auch weitere Teile Deutschlands mit Malz. Durch die zwangsläufigen Verhältnisse in der Kriegs- und ersten Nachkriegszeit sowie darauf zurückzuführende Umstände ist sie jedoch leider in den letzten Jahren in ihrer selbständigen Entwicklung sehr hintangehalten worden. Dagegen hat die Seifenfabrikation (Kern-, Schmier- und Toiletten-Seife, Seifenpulver und Kristallsoda), die schon vor dem Kriege nicht unbedeutend war, einen weiteren erfreulichen Aufschwung zu verzeichnen. Ebenso hat sich — als Sonderzweig der Textilindustrie — in den Jahren nach dem Kriege in hervorragender Weise die Schürzen- und Wäschefabrikation entwickelt, die in mehreren Betrieben in Nordhausen mit Filialen an anderen Orten vor sich geht und auch als Heimarbeit erfolgt.

Unter den Bodenschätzen, die in der Nähe von Nordhausen anzutreffen sind, sind vor allem Kali und Gips zu nennen. Der erhebliche Kalibergbau des Südharzes ist leider infolge der Verhältnisse in der deutschen Kaliindustrie mit ihren Konzentrationsbestrebungen stark eingeschränkt, ja zum Teil stillgelegt worden. Das Gipsvorkommen erstreckt sich über die Linie Bad Sachsa-Walkenried-Ellric—Niedersachswerfen nach Nordhausen zu und ist zwischen Ellrich und Niedersachswerfen am stärksten vertreten. Es hat zur Entstehung einer ausgedehnten Industrie mit umfangreichem Auslandsabsatz geführt und hat auch die bekannte Badische Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen veranlaßt, in Niedersachswerfen einen größeren Komplex von Gipsbrüchen zu erwerben. Die von ihr daraus gewonnenen Gipssteine werden auf besonderen vierachsigen Spezialwagen von 371/8 Tonnen nach dem ihr gehörenden gleichfalls bekannten Leuna-Werk bei Merseburg zur Gewinnung von schwefelsaurem Ammoniak befördert.

Außer diesen vorstehend genannten Industriezweigen sind in Nordhausen noch vorhanden: mehrere z. T. recht bedeutende Druckereien, mehrere Metallwarenfabriken, mehrere Möbelfabriken, mehrere Sägewerke, mehrere Ziegeleibetriebe, mehrere Zuckerwarenfabriken, 2 Malz- und Kornkaffeefabriken, 1 Parkettfußbodenfabrik, 1 Schuhfabrik, 1 Kartonnagenfabrik, l Isoliermittelfabrik usw.

Die Industrie ist es also, der Nordhausen in der Hauptsache seine wirtschaftliche Bedeutung verdankt. Ihr zur Seite steht ein nicht unerheblicher Handel. Der, wie erwähnt, schon in den früheren Jahrhunderten bedeutende Getreidehandel ist auch jetzt noch in der Stadt stark vertreten, wenngleich die neuzeitliche Entwicklung des Eisenbahnverkehrs Nordhausen von seinem Platz als Hauptstapelort für alle Getreidegattungen der Goldenen Aue, des Harzes und des nördlichen Thüringens und als Normalmarktort etwas abgedrängt hat. Ferner ist in Nordhausen ein umfangreicher Handel mit Garnen, Leinen - und Baumwollwaren, ein ausgedehnter Holz- und Eisenhandel, ein weitverzweigter (Export-) Handel mit Zuckerrübensamen, ein nennenswerter Kohlen- und Weingroßhandel, ein beträchtlicher Handel mit Gips und Gipsfabrikaten und technischen Artikeln, sowie ein nicht nur die engere, sondern auch die weitere Umgebung von Nordhausen versorgender Kolonial- und Materialwaren-Großhandel zu finden.

Zu dem Großhandel tritt ein leistungsfähiger Einzelhandel, sowohl in Lebensmitteln und Textilien, wie in Eisenwaren-, Glas-, Porzellan- und sonstigen Haushaltungsgeräten, sowie ein solider Handwerkerstand mit einem rührigen Handwerkergeist, der bestrebt ist, sich die moderne Technik, soweit sie im Handwerk anwendbar ist, zunutze zu machen.

So bietet die Stadt Nordhausen ein Bild regen wirtschaftlichen Lebens, das auch äußerlich für einen wahrnehmbar ist, der offenen Auges durch die Geschäftsstraßen der Stadt schreitet. Ueberall emsiges Schaffen, überall eifrige geschäftliche Tätigkeit. Infolge seiner wirtschaftlichen Bedeutung ist Nordhausen Sitz einer Reichsbankstelle, eines Hauptzollamtes, eines staatlichen Bergreviers, eines staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes und einer Industrie- und Handelskammer. Seine günstige Verkehrslage an einem Knotenpunkt zahlreicher Eisenbahnlinien ist der Ausdehnung der Verkehrsund Wirtschaftsbeziehungen förderlich und macht es für die Ansiedlung neuer Industrien geeignet, zumal genügendes Industriegelände (mit der Möglichkeit von Gleisanschlüssen) zur Verfügung steht.

An dem neuen Stadthause von Nordhausen stehen die beherzigenswerten Worte: „Rast ich, so rost ich!“ Sie enthalten eine Warnung und Mahnung zugleich. Mögen sie der Nordhäuser Bürgerschaft, die sich stets durch Selbstbewußtsein, Tatkraft und Gewerbefleiß ausgezeichnet hat, gerade in der gegenwärtigen Zeit, wo alle Kräfte angespannt werden müssen, um Deutschland wieder hochzubringen, ein Ansporn sein zu weiterem Schaffen und Vorwärtsstreben nicht nur im Interesse des Einzelnen, sondern auch zu Nutz und Frommen der Allgemeinheit.