Meine früheste Erinnerung an Nordhausen

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Textdaten
Autor: Joseph Kaufmann
Titel: Meine früheste Erinnerung an Nordhausen
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aus: Nordhausen. Wie es unsere Dichter sahen...
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Erscheinungsdatum: 1927
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Meine früheste Erinnerung an Nordhausen
Von Joseph Kaufmann


Vier Jahre höchstens bin ich gewesen, als mir die Stadt Nordhausen vorgestellt wurde.

Aber nicht gleich denken, der alte Kantor von Kreuzeber hätte seinen Jüngsten bei der Hand genommen: „Komm, Junge, wir wollen uns die berühmte Stadt an der Zorge einmal angucken und versuchen, wie der Schnaps an der Quelle schmeckt!“ —

Nein, Nordhausen wurde mir vorgestellt in einem höchst eigentümlichen Märchen, das für zartfühlende Kinder durchaus nicht geeignet ist.

Der Teufel spielt nämlich die Hauptrolle darin, und vor dem und seinem heißen Backofen hatten wir doch als Kinder gewaltigen Respekt.

Die Dame, die mich mit Nordhausen bekannt machte, war ein liebes, altes Mütterchen. Wir nannten sie in unserer Familie nur „Waschen“. Sie war für mich die Märchengroßmutter. Meine wirkliche habe ich nicht gekannt.

Die Leute im Dorfe riefen sie mit einem derberen Namen. Von ihnen wurde Waschen „de Schulkatter“ geheißen.

Diese nicht fein klingende Bezeichnung war aber richtig: Erstens hieß Waschen Katharina, und zweitens war sie im Schulhause geboren, in demselben Schulhause wie ich, vierhunderachtunddreißig Meter über dem Wasserspiegel der Nordsee.

Wer's nicht glauben will, der wandere einmal den Angerberg hinauf, nach dem Dün hinüber. Dort am Hockelrain steht die trigonometrische Warte. Fünfhundertsiebzehn Meter, so ist in Stein gehauen zu lesen. Also amtlich beglaubigt! —

Aber ich will ja von meiner Bekanntschaft mit Nordhausen erzählen. — Onkel Klemens war eines Tages bei uns zu Besuch. Vater hatte mit ihm gevespert und einen „Kurzen" dazu getrunken. Dann waren die beiden Brüder auf den Hof hinaus gegangen.

Jetzt machte sich der kleine Knirps an das Kelchglas auf dem Tische, um den letzten Nest Branntwein daraus zu lutschen. O Schrecken, da tritt Waschen zur Stubentür hinein, nimmt mir das Kelchglas aus der Hand und spricht mit drohendem Finger:

„Junge, Junge! Geh mich nit an dan Branntewien, süst kimmste in de Hölle!“ —

Ich schaute Waschen groß an. Es schien mir nicht unmöglich, daß der Teufel mit dem Schnapse in Beziehung stände, das Zeug brannte mir noch fürchterlich im Halse. — Waschen nahm mich dann auf den Schoß und erzählte:

„Junge, nun Passe mol uf! — Dar Deubel hotte sich mol met sin Schwegermutter gezanket, do het öhn de ohle Haxe ins Botterfaß gestuckt un dan Deckel zugeschrobben. Acht Tage mutte dar orme Deubel zur Strafe im Botterfasse bliebe. Wie ha werr ruskohm, worrn am alle Seelen us dr Hölle rusgelaufen. Do es dar Düwl wie errsinnig uf dr Walt rüm gerannt. Abber as lus sich ken wedder infange. Bie dr „Schwarzen Hosen" het Stappchen uf em Nummersteine gesassen un sich gefraht, wie krieste dann mant werr Seelen in die Hölle? — Do kohm öhm uf emol en Gedanke. Ha ging noh Nordhusen un buwete enne Branntewienfabrik. Sint dar Ziet het der Deubel wedder genung Manns- un Wiebeslüdde in dr Hölle. Se Han sogar nach anbuwe müsse.“ — Junge, Junge! Trinke mich jo kenn Branntewien werr, süst küümste in de fürheiße Hölle!“ …

So bin ich mit Nordhausen bekannt geworden. In meiner lebhaften Phantasie hatte sich folgendes Schreckbild zusammengestellt: Teufel — Schnaps — Nordhausen — Hölle.

Nordhausen, ein Vorort der Hölle!? Nein, das ich zu schwarz gesehen. Alle Besucher der Jahrtausendfeier werden mir recht geben, besonders, wenn sie erst einmal vom „Zorgewasser" getrunken haben.

Ich bin auch wirklich nie wieder ans Schnapsglas gegangen.

Als ich später Nordhausen selbst betrat, diese schöne Stadt und ihr anmutiges Gehege mit eigenen Augen sah, konnte ich dem lieben Waschen doch nicht mehr recht geben.