Goethe auf dem Kyffhäuser

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Textdaten
Autor: Fritz Brather ; Karl Lütge
Titel: Goethe auf dem Kyffhäuser
Untertitel:
aus: Nordhäuser Nachrichten; 3. Vierteljahr 1976 ; Nummer 83
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1976
Verlag:
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Erscheinungsort:
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung: entnommen aus: Harz und Kyffhäuser von Fritz Brather und Karl Lütge, Friedrich-Brandstetter-Verlag Leipzig 1926
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
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Goethe auf dem Kyffhäuser


Am Abend des 30. Mai des Jahres 1776, so gegen halb acht Uhr, kam die Hauptstraße des am Fuße des Kyffhäusers gelegenen Dorfes Tilleda eine Reiterschar her auf getrabt. Vorneweg vier Herren in Farren zu zweien, dahinter sechs Diener. Ein herrschaftlicher Diener' lief neb endrein. Dias Gefolge des Reitertrupps bildete eine Schar neugieriger Dorfkinder, die auf blanken Sohlen leichtlich den Trab mithielten.

Herr Johann Adam Lutzie, Gastwirt in Tilleda, zugleich Pächter der von Wintzigerödischen und von Przauschen Rittergüter, trat eifrig knicksend unter die Tür seiner Herberge, wies zwei tölpische Knechte an, die Pferde der Herren in Empfang zu nehmen, und versicherte, daß alles, so gut es eben möglich, für die hohen Gäste vorbereitet sei. Die fremden Herren schenkten den Worten des dienernden Wirtes nur kurze Beachtung. Unter munterem Plaudern stiegen sie die Treppe zur oberen Stube empor, machten es sich dort bequem und taten sich gütlich an dem Wein und den leckeren Speisevorräten, die ein Eilbote schon am Nachmittag in einem Korb überbracht hatte. Drunten in der Küche prasselten auf dem Rost Bratwürste für die Dienerschaft. Der Wirt pirschte sich alsbald an das Gefolge heran und versuchte, es über Namen und Rang der Herrschaft auszuhorchen. Die Diener aber schmausten drauflos, als ob sie ganz und gar ausgehungert wären, und kamen so garnicht dazu, Rede und Antwort zu stehen. Der schlaue Lutzie zwinkerte mit den Augen und schwieg. Was bedurfte es auch langen Fragens? Seine Erinnerung mußte ihn schon sehr täuschen, wenn es nicht stimmen sollte, daß er den jüngsten der Herren als den Weimarer Herzog hatte ins Allstedter Schloß einreiten sehen.

Schon zeitig begaben sich die Herren zur Ruhe. Die riesigen Betten, die Frau Lutzie in der Staatsstube aufgetürmt hatte, verschmähten sie. In der anstoßenden Kammer ließen sie sich Streu aufschütten und warfen sich gestiefelt und gespornt, wie sie waren, darauf nieder. Um drei Uhr morgens schon wollten sie aufbrechen. Ein Führer aus dem Dorfe sollte zu dieser Zeit an Ort und Stelle sein. Um zwei Uhr morgens steht der Koch schon am Küchenherd und bereitet Schokolade. Beizeiten findet sich der Arbeiter Johann Gottfried Feuchte ein, die Führung zu übernehmen. Im Obergeschoß vernimmt man Sporengeklirr, und die Herren setzen sich an den einfach zugerichteten Frühstückstisch. Eine halbe Stunde später reiten die Fremden in gemächlichem Schritt zum Dorfe hinaus. Die rasch entweichende Dämmerung gibt den Blick auf die Bergkuppe frei, die die spärlichen Resteder einst so stolzen, trutzigen Kyffhäuserburg trägt. Die Ruine des Bergfrieds kündet den Anreitenden von einstiger Macht und Größe.

Am Fuße des Berges schickt einer der Herren die Diener – bis auf zwei – mit den Pferden des Tilledaer Gasthauses zurück. Unter der Führung des Dorfarbeiters ersteigt man den Berg. Der biedere Feuchte geleitet die Herrschaften durch die ausgedehnten Ruinen der Ober- und Unterburg und erklärt, so gut er es eben vermag. Ein Schelm gibt mehr als er hat! Während man zur Kapelle hinabschreitet, äußert Herzog Karl August – er ist es in der Tat – seine bewundernde Freude an der Bauart der starken Mauern. „Schade, daß man dies alles so hat verfallen lassen!“ Der Herzog und sein Begleiter, der sich stets an seiner Seite hält – Goethe ist es –, setzen sich an der zerbröckelten Kirchhofsmauer nieder. Goethe zieht sein Skizzenbuch hervor und hält einige der schönsten Blicke mit raschen Strichen fest. Karl August, den der frühe Aufbruch doch etwas alteriert hat, wirft sich der Länge nach auf den Boden, um einen Teil des versäumten Nachtschlummers nachzuholen. Er hat es nicht acht, daß dae rote Erde seine ledernen Beinkleider schmutzt-so daß er an einen „Kuxgänger“ erinnert. Bald meldet jedoch der ebenfalls alterierte Magen seine Forderungen an. Man lagert im Kreise und verschmaust die mitgebrachten Vorräte. Der Wein, die Pracht des Frühlingsmorgens und die Freude an solch köstlicher Ungebundenheit schaffen eine ausgelassene Stimmung. Übermütige Scherze springen auf, lustige Lieder klingen durch die Morgenstille. –

Welch ungewohnter Lärm in der sonst so hehren Bergeseinsamkeit! In unwilliger Verwunderung hebt der Jägerbursche, der zum Kyfl’häuserwald emporsteigt, den Kopf. Es ist der älteste Sohn des Tilledaer Försters Schilling, auf dem Weg zur Arbeitsstätte der Holzfäller. Lauschend bleibt er stehen. „Doch sicher," meint er, „welche von dem verdammten Taternpack, oder's ist unnützes Studentenvolk, das mit seinem blöden Singsang einem nur das Wild aufscheucht. Euch soll doch …!“ Da streicht auch schon ein Hund umher und stellt sich dem Ankömmling bissig knurrend in den Weg. Ein paar Schritte um die nächste Biegung zeigen dem Jägerburschen die lustig zechende Runde. Einer der Fremden – sind‘s Studenten? sind‘s Kaufleute? – streckt dem Entrüsteten einen Weinbecher entgegen und grüßt ihn mit keckem Willkommenstrunk. Da ruft der junge Schilling den Lagernden erbost zu: „Wie kommen denn die Herren hierher? Wissen Sie nicht, daß es strenge verboten ist, den Forst ohne Erlaubnis zu betreten, und obendrein in Begleitung von Hunden?“ – „Ohne Erlaubnis? Was soll die Erlaubnis?“ schallt es ihm übermütig entgegen. „Lagern wir denn im Wald? Es wird doch noch, vergönnt sein, auf einer-kahlen Bergkuppe der Ruhe zu pflegen!“

Beinahe hätte sich der junge Mann zufrieden gegeben, da gewahrt er des Herzogs lehmbeschmutzte Bein kleider. „Aha!“ fährt es ihm erleuchtend durch den Sinn, „ sie sind doch nicht so harmlos wie sie tun; gewinngierige Abenteurer sind es, die auf den Kux gehen.“ Und mit düsterdrohender Amtsmiene schleudert er den Fremdlingen entgegen: „Dies ist ein Berg, WO' Erze stehen; und strenge Order des Herrn Jägermeisters von Lengefeld verbietet nachdrcklischt das Besteigen des Berges.“ Lustiges Gelächter antwortet der strafenden Vermahnung, und Spottrede auf Spottrede springt gegen den jungen Jägersmann an. Da dämmert es ihm doch auf, daß die Gesellschaft in aller Ausgelassenheit gerade dem vermeintlichen Kuxgänger mit ehrfürchtigem Respekt begegnet, ja daß einige ihm sogar mit tiefster Devotion nahen. So besinnt er sich nicht lange, wie jener ihm einen Becher Wein reichen läßt, und trinkt dem Herrn mit wohlgesetzter, höflicher Rede dankend zu.

„Nun, meine Herren, schickt euch zum Abstieg an!“ ruft der geheimnisvolle Fremde seinen Gefährten zu. „Und Ihr, junger Ferund, wollt es dem Weimarer Herzog nicht für ungut halten, wenn er es ohne Eure Genehmigunggewagt, die schöne Kyffhäuserkuppe zu ersteigen! Eurem Oberforstmeister, dem Herrn von Beulwitz, vermeldet meinen Gruß! Im Gasthof zu Tilleda mag er uns noch treffen.“ Einer der Herren schreibt rasch ein paar Worte, die dier Jäger seinem hohen Vorgesetzten übermitteln soll. Die beiden Diener verweilen noch, um das Trinkgerät, das die Herren achtlos ins Gras geworfen, zusammenzulesen und zu verpacken. Ihre spöttischen Blicke weiden sich an der Jammergestalt des wie vom Blitze gerührten Jägers. –

Etwas verdrossen trifft die Gesellschaft gegen acht Uhr morgens im Tilledaer Gasthof wieder ein. Die frühe Motion ist den Herren nicht gut bekommen. Ein halbs Stündchen Ruhe und ein schlichter Imbiß bessern aber die Stimmung wieder auf. Man besteigt die Pferde. Dei- Herbergvater gibt bis zum nächsten Dorfe führend das Geleit. Noch dankt seine tiefe Verbeugung für die vier Taler, die er für die gebotene Bewirtung einsä ekelt, als schon eine dichte Staubwolke die nunmehr scharf Trabenden einhüllt. –

Goethes Skizzen von den Kyffhäuserruinen sind verloren gegangen; auch seine Tagebücher bergen keine Notiz über diese Begebenheit. Und verloren wäre auch die Erinnerung an diesen Besuch des Kyffhäusers, hätte nicht devoter Bürokratismus den armen Jägerburschen Schilling zur Rechenschaft gezogen. Wie konnte dieser Tölpel sich anmaßen, dem Herzog Unannehmlichkeiten zu bereiten! Außer dem schlimmen Übeltäter wurden auch noch der Tilledaer Wirt, und der Arbeiter Feuchte, der den allerhöchsten Herrschaften als Führer gedient, hochnotpeinlich vernommen. Das Protokoll dieses Verhörs, das im Landesarchiv zu Rudolstadt liegt, ist das einzige Zeugnis von Goethes Besuch auf dem Kyffhäuser. (Aus: Thüringer Heimat 1925. Greifenverlag, Rudolstadt).

entnommen aus: Harz und Kyffhäuser von Fritz Brather und Karl Lütge, Friedrich-Brandstetter-Verlag Leipzig 1926