Geschichte des Nordhäuser Gymnasiums

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Vorwort

Zur Feier seines fünfzigjährigen Bestehens im Jahre 1920 veröffentlichte der Nordhäuser Geschichts- und Altertumsverein eine Festschrift, zu der ich auf Anregung seines ersten Vorsitzenden einen kleinen Beitrag lieferte: „Friedrich Karl Kraft als Direktor des Gymnasiums zu Nordhausen". Dieser Aufsatz und zugleich der Gedanke, daß im Jahre 1924 das Nordhäuser Gymnasium sein vierhundertjähriges Bestehen feiere, gaben die Anregung zu dem vorliegenden Werke. Es ist neben vielfältiger Berufsarbeit und anderer Betätigung geschaffen und entstanden in stillen Abendstunden der Jahre 1920 bis 1922.

Die Forschung und die Kleinarbeit an den vorhandenen Quellen hat das gesamte Material zu erfassen gestrebt. Bei nochmaliger Ueberprüfung der handschriftlichen Zeugnisse hat sich herausgestellt, daß zu Kapitel I (Reformationszeit) und zu Kapitel VII (letztes Jahrzehnt des 18. und erstes Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts) nicht alle Urkunden herangezogen sind. Es handelt sich aber nur um Kleinigkeiten, Wesentliches scheint nicht übersehen worden zu sein. Doch ist es meine Pflicht, in Dankbarkeit zu bekennen, daß es unmöglich gewesen wäre, den so gut wie völlig unbearbeiteten, oft nur in Handschriften überlieferten Stoff in der Kürze der Zeit zu sichten, zu werten, zu bewältigen, wenn nicht Herr Archivar Heineck mit seiner ausgezeichneten Kenntnis des vorhandenen Materials wichtige Hinweise und Fingerzeige gegeben hätte. Da aber der Versuch gelungen ist, die Geschicke eines kleinen Provinzgymnasiums mit der Geschichte seiner Heimatstadt zu verflechten, ob es fernerhin glücken konnte, die Entwicklung des Nordhäuser Gymnasiums eng mit der allgemeinen Kultur- und Erziehungsgeschichte des deutschen Volkes zu verknüpfen, ob es endlich sogar möglich gewesen ist, das Wachsen und Werden auf unbedeutendem Schauplatze hie und da in Verbindung zu setzen mit den Aktionen auf dem großen Welttheater, das kann der Schriftsteller selber nicht entscheiden, sondern muß es dem geneigten Leser zur Beurteilung überlassen.

Die Entwicklung des Gymnasiums ist bis zu dem Zeitpunkte des Uebergangs der Anstalt an den Staat aufgezeigt worden; nur selten und nur im Zusammenhangs mit früheren Ereignissen ist auf allerjüngste Geschehnisse Bezug genommen. Dem Verfasser lag nämlich allein daran, mit seiner Gymnasialgeschichte einen Beitrag zur allgemeinen Kulturgeschichte der Stadt Nordhausen zu liefern. Deshalb mußte er in dem Augenblicke abschließen, wo die Anstalt gänzlich der städtischen Verwaltung entzogen wurde. Von da ab muß die Geschichte des Gymnasiums eine reine Schulgeschichte werden, und diese wird besser von einem Mitgliede des Gymnasial-Lehrerkollegiums oder von einem früheren Schüler des Gymnasiums geschrieben als von einem Außenstehenden. Auch dürfte augenblicklich für die letzten beiden Jahrzehnte überhaupt keine wahrhafte Tharakteristik, sondern nur eine das Tatsächliche zusammenfassende Statistik aus dein Grunde möglich sein, weil wir für diesen Abschnitt Männern und Zeiten noch zu nahe stehen. Die ungemein wichtige, lehrreiche und erhebende Geschichte des Gymnasiums während der Kriegszeit 1914-1918 aber ist von einen: Herrn des Gymnasial-Lehrerkollegiums in Angriff genommen worden und wird hoffentlich zu seiner Zeit vor die Oeffentlichkeit treten.

Was die Form der Darstellung betrifft, so habe ich mir die Ansicht Schopenhauers und Karl Peters' zu eigen gemacht, „ein Buch, über dessen Sätze man nachgrübeln muß, um sie auch nur zu verstehen, sei überhaupt nicht wert, gelesen zu werden". Tatsächlich lassen sich auch fachwissenschaftliche Fragen in einer Weise darlegen, daß der interessierte Laie zum mindesten ihren äußeren Sinn erfassen kann, wenn ihm auch vielleicht die tiefsten Zusammenhänge verborgen bleiben. So wäre denn einer der Herzenswünsche des Verfassers erfüllt, wenn seine Formgebung die nicht geringe Spröde des Materials wenigstens soweit überwunden hätte, daß die Darstellung auch dem Nichtfachmanne einigermaßen genießbar erscheint.

Im Anhang ist die Arbeit mit einem ziemlich reichhaltigen wissenschaftlichen Apparat ausgestattet. Dieser war erstens nötig, um dem Fachmanne Rechenschaft über die geleistete Forschung abzulegen; dieser möchte zum anderen aber auch noch weiteren Kreisen Anregung geben, an der Lokalgeschichte mit zuarbeiten und zu ihrer Aufhellung beizutragen. Es bleibt noch manches zu tun. Die neue Zeit mit ihren unermeßlichen Umwälzungen scheint zwar ganz andere Arbeiten zu fordern, — gewißlich wahr bleibt es aber doch, daß der am besten einen Weg findet durch die Irrungen und Wirrungen der Gegenwart, der im Buche der Vergangenheit gelesen hat. Und da kann man selbst in dein kleinsten Taschenspiegel das ganze Bild des großen Weltgeschehens einfangen und erschauen, wenn man nur recht aufmerksam das Spiegelein befragt. Solange wir in der Geschichte der Menschheit zurückblicken können, scheint der Mensch seiner körperlichen und seelischen Grundanlage nach derselbe geblieben zu sein. Deshalb „leben auch heute noch alle Zeitalter", und deshalb, wenn der Mensch vom Menschen überhaupt etwas lernen kann, was noch gar nicht so feststeht, ist die Geschichte seine beste und wahrhafteste Lehrerin.

Nordhausen, im Oktober 1922.
Dr. Silberborth.