Fragment einer Marienklage in Nordhausen

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Textdaten
Autor: R. Hennig
Titel: Die Nordhäuser Talsperre
Untertitel:
aus: Heimatbilder aus dem Kreise Sangerhausen und seinen Randgebieten
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1929
Verlag:
Drucker:
Erscheinungsort:
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung:
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
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Fragment einer Marienklage in Nordhausen
Von R. H. Walther Müller, Nordhausen


 Bei der Aufnahme gewisser älterer Bücherbestände der aufgelösten ehemaligen Gymnasialbibliothek in das Stadtarchiv Nordhausen fanden sich in einem Folianten unter dem Vorsatzpapier zwei Pergamentstreifen eingeleimt, auf denen schon bei flüchtiger Betrachtung einzelne Worte mittelniederdeutscher Sprache erkennbar waren. Der Band selbst enthielt C. Plinii Secundi Naturalis Historiae opus … und wurde gedruckt apud sanctam Ubiorum Coloniam Agrippinam, in aedibus Eucharii Cervicorni, anno a partu virginis matris M.D.XXIIII mense Augusto. Einer Notiz auf dem Titelblatt zufolge schenkte der Pastor Johann Gottfried Roeder aus Uthleben (einem Dorfe bei Nordhausen) diesen Plinius der Nordhäuser Gymnasialbibliothek am 21. Oktober 1747.

 Nach Herauslösung der Pergamentstreifen ergab sich, daß es sich um Fragmente einer vom Buchbinder zerschnittenen Handschrift handelte, die ursprünglich buchförmig geheftet war. Beide Streifen paßten aneinander, so daß auch die zerschnittenen Zeilen gelesen werden und im ganzen ein größerer Textzusammenhang gewonnen werden konnten. Die Streifen haben eine Länge von 31 und 31,5 cm und sind 42 bzw 45 mm breit. Durch die Falzung ergab sich mithin eine ursprüngliche Buchbreite von etwa 15 cm, das Originalformat dürfte also Großoktav gewesen sein. Die nun vorliegenden vier Seitenfragmente sind horizontal in 7-8 mm Zeilenabstand liniert. Vertikal ist jede Seite in zwei Kolumnen geteilt, von denen wiederum jede 5 mm für den Anfangsbuchstaben einer Zeile, 5,2—5,6 cm für den Text und 6 mm Leerspalte aufweist.

 Die Schrift ist eine derbe Minuskel des 14. Jahrhunderts, nicht besonders sorgfältig. Die Buchstaben stehen in ungleichmäßigem Abstand über der Grundlinie, mitunter ist die Leerspalte beschrieben, Über- und Unterschreibungen am Kolumnenende sind häufig. Die isoliert stehenden Anfangsbuchstaben der Zeilen sind (mit wenigen Ausnahmen) Majuskeln. Im Text kommt nur einmal eine Majuskel vor (v. 703 Kuniginne). Beachtenswert sind die gutausgeführten Initialen in blau mit roter und in rot mit grüner Verzierung. Die kräftig braune Tinte ist gut erhalten, lediglich die Einwirkung des Buchbinderleims, die Falz- und Heftspuren beeinträchtigen die Lesung an mehreren Stellen.

 Inhaltlich erwies sich unser Fragment eindeutig als Rest einer Marienklage. Da der im wesentlichen niederdeutsche Text deutlich hochdeutschen Spracheinfluß aufwies, der Ursprung der Handschrift bzw. ihres Schreibers also im Grenzbereich des Nieder- und Hochdeutschen zu vermuten war oder auf niederdeutsche Umsetzung einer hochdeutschen Vorlage schließen ließ, wurden die hierher gehörigen veröffentlichten Texte, soweit sie erreichbar waren, verglichen. Eine Beziehung zu den Ende des vorigen Jahrhunderts in Nordhausen aufgefundenen sogenannten Himmelgartener Bruchstücken[1] konnte nicht festgestellt werden, dagegen lenkte die von Müllenhoff edierte Bordesholmer Marienklage die Aufmerksamkeit nachdrücklich auf andere Fassungen niederdeutscher Provenienz. Schließlich zeitigte W. Lipphardts Hinweis[2] auf die Dissertation von Fritz Rohde „Ein mnd. gedieht über die kreuzigung, das begräbnis und die auferstehung Christi aus der Königsberger hs. nr. 905“ (1911) den Nachweis engster Verwandtschaft des Nordhäuser Fragments mit der genannten Königsberger Handschrift.

 Der Grad der Übereinstimmung ist aus der nachstehenden Gegenüberstellung beider Handschriften ersichtlich, die Rohdes Verszählung benutzt. Bezüglich der sprachlich-stilistischen Analyse darf auf Rohdes Dissertation verwiesen werden. Ob und inwieweit sich die Abhängigkeit der Königsberger und der Nordhäuser Fassung voneinander oder von einer gemeinsamen Vorlage ermitteln läßt, muß der philologischen Forschung überlassen bleiben. Beachtlich erscheint das feinere Gefühl für dichterischen Rhythmus bei dem Verfasser oder Abschreiber der Nordhäuser Marienklage.

  1. Veröffentlicht von Ed. Sievers in Zs. f. dt. Phil. XXI/4 (1888).
  2. Studien z. d. Marienklagen in: Beitr. z. Gesch. d. dt. Spr. u. Lit. 58 (1934), S. 440.