Eine Glockensage aus Obergebra

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Textdaten
Autor:
Titel: Eine Glockensage aus Obergebra
Untertitel:
aus: Heimatland. Illustrierte Blätter für die Heimatkunde des Kreises Grafschaft Hohenstein, des Eichsfeldes und der angrenzenden Gebiete
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1905 (Nr. 24)
Verlag:
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Erscheinungsort:
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung: Obergebra
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
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Eine Glockensage aus Obergebra. Die Gemeinde Obergebra besaß in früheren Zeiten eine sehr wertvolle silberne Schlagglocke, deren vollen Klänge in stiller Nachtzeit bis Pustleben hörbar waren. Nun geschah es, daß die große Glocke um gegossen werden sollte. Zu diesem Zwecke beschloß man, die silberne Glocke mit einzuschmelzen. Ein tüchtiger Glockengießer aus Erfurt erbot sich, den Umguß an Ort und Stelle auszuführen, und da man bald handelseinig wurde, so kam der Mann mit den erforderlichen Geräten ins Dorf. Unter der großen Linde auf dem Plane wurde die Grube ausgehoben, in der die Glocke hergestellt werden sollte. Schon nach einigen Wochen konnte man mit dem Gusse beginnen. Aber bei dem starken Andrange seitens der neugierigen Dorfbewohner hielt der Meister es für geraten, damit bis zum nächsten Morgen zu warten und nur die beiden Kirchenvorsteher, von denen der eine Weißenborn hieß, in seiner Nähe zu lassen. Diese beiden Männer sahen mit Vergnügen die Kupfer- und Zinnstücke in den Schmelzofen wandern, konnten sich aber nicht erklären, warum doch der Meister noch immer die silberne Glocke schone. Auf ihre Anfrage erfuhren sie denn, daß zu viel Silber verloren gehen würde, wenn man die Glocke zu frühzeitig einschmelze. Das war denn auch einleuchtend, und die neugierigen Frager beruhigten sich mit dieser Auskunft vollständig. Um die nächtliche Langeweile zu verscheuchen, hatte der fürsorgliche Glockengießer einen guten aus der Keimst. Labetrunk herbei geschafft, der den beiden Männern so außerordentlich mundete, daß sie manchen kräftigen Zug taten, während der Meister nebst seinen Gehülfen nur schüchtern daran nippten. Bald schliefen die Kirchenvorsteher ein und erwachten erst früh um 6 Uhr, als der Guß bereits beendet war. Die silberne Glocke, die bis zum Abend neben der Grube gelagert hatte, war verschwunden und nach der Aussage des Meisters mit eingeschmolzen worden. Die neue Glocke wurde alsdann im Turme aufgehängt, und als dieselbe nun zum ersteumale geläutet wurde, da freute sich wohl mancher über das gelungene Werk, aber gar viele schüttelten doch bedenklich den Kopf und meinten, daß man von dem eingeschmolzenen Silber wenig heraushören könne. Die Arbeit des Meisters aber war beendet und er fuhr in der Dämmerung des folgenden Tages wieder nach Erfurt. Nach mehreren Jahren erschien in der Gemeindeschenke zu Obergebra ein fremder Handwerksbursche, der sich als der frühere Gehülse des Glockengießers entpuppte. Er gestand den erstaunten Zuhörern offen, daß sein Meister das Dorf betrogen habe, denn dieser habe, nachdem er die beiden Kirchenvorsteher durch einen Schlaftrunk eingeschläfert und so für die Nacht unschädlich gemacht, die silberne Glocke in der Niedergebraischen Flur vergraben, sie bei seiner Abfahrt heimlich hervorgeholt und sie auf seinem Wagen wohlversteckt mit nach Erfurt genommen. Nun wußten die Leute wenigstens, wo ihre schöne Glocke geblieben war.