Die Schellenwerther

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Der Schellen-Werther, Städtewahrzeichen Nordhausen, in Leipziger Illustrirte Zeitung (1858)

In der Goldenen Aue über Nordhausen bis nach Ilfeld hinauf hört man in lauer Mondnacht, aber auch an Wintertagen bei dichtem Schneeflockentreiben ein leises, fast unheimliches Schellengeläute. Alte, wissende Leute raunen sich dann verständnissinnig zu: „Hört mal, da sind sie wieder, die Schellenwerther.“

In Nordhausen lebte nämlich dereinst eine reiche Familie namens Werther. Sie liebten es über alles, sich modisch, geckenhaft und auffallend zu kleiden. Nicht nur, daß sie ihre feinen Kleider aus Samt und Seide, als auch stets nach dem neuesten Schnitt trugen, nein, dazu ließen sie überall, wo es irgend anging, sich Bänder mit silbernen Glöckchen daran nähen. Selbst die Schnabelschuhe hingen voller solcher Schellen. So klingelten sie dann wie Schlittenpferde auf Schritt und Tritt daher und ihr Kommen war immer schon von weitem vernehmbar zu erkennen. Darum nannte man den Alten den Schellenkönig, seine Familie aber die Schellen-Werther. Sie hatten einmal wieder eine ganze Nacht hindurch gezecht, getanzt und geklingelt, da fuhr im Morgengrauen mit silberhellem Klingklang ein honoriger, reichverzierter Schellenschlitten vor, ein großer hagerer Mann in kostbarem Pelzwerk schwang knallend die Peitsche, so daß ringsum an den Fenstern aufgeschreckte neugierige Gesichter erschienen, und schrie: „Wer will ewig klingeln, der steige ein!“ - Eilends, mit einem frohgemuten Lächeln, bestiegen alle Schellenwerther den fremden Schlitten und fuhren in ihm von dannen. Seitdem klingeln sie, wie berichtet wird, wie zu ihrer Zeit zuweilen immer noch durch ihre Heimat.