Die Reformation in Nordhausen, 1522 - 1525: Unterschied zwischen den Versionen

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So trägt man kein Bedenken, neue Familien in die Stadt aufzunehmen, nur müssen Mann und Frau sich erst als gute Arbeiter bewähren: sie müssen zunächst allein ihren Unterhalt gewinnen, ohne Knappen zu halten, dabei muß er sich gefallen lassen, dass seine Arbeit von den Handwerksmeistern besichtigt werde. - Während zu Mühlhausen einzelne Familien großen Reichthum besaßen und demzufolge auch überwiegend Einfluß auf städtische Angelegenheiten übten, wacht man in Nordhausen sorgfältig darüber, dass nicht zu viel Besitzthum in einer Hand sich sammle. Kein Bürger soll zwei Häuser haben, und keinem soll ein Haus zu kaufen verstattet werden, er wolle es denn selbst bewohnen. Einem Bürger, der zwei Häuser hat, von denen eins wüst steht, wird geboten, das erstere einem Verwalter zu übergeben (es zu vermiethen) und das letztere selbst zu beziehen. Vor allem trägt man Sorge, dass nicht zu viel Besitzthum in die todte Hand komme. Als Abt Bernhard von Ilfeld eins von seinen Häusern hinter St. Blasii zugeschlossen hatte stehen lassen, wird ihm geboten, solches mit eidhaften Bürgern zu besetzen, oder der Rath wolle solches thun. Noch 1501 beschließen die Aeltesten, dass der Rath hinfüro der Priesterschaft kein Haus mehr zuschreiben, sondern den Innungen zuweisen soll. So wurde dem trägen Besitz gesteuert; der fleißige Bürger aber gefördert.
So trägt man kein Bedenken, neue Familien in die Stadt aufzunehmen, nur müssen Mann und Frau sich erst als gute Arbeiter bewähren: sie müssen zunächst allein ihren Unterhalt gewinnen, ohne Knappen zu halten, dabei muß er sich gefallen lassen, dass seine Arbeit von den Handwerksmeistern besichtigt werde. - Während zu Mühlhausen einzelne Familien großen Reichthum besaßen und demzufolge auch überwiegend Einfluß auf städtische Angelegenheiten übten, wacht man in Nordhausen sorgfältig darüber, dass nicht zu viel Besitzthum in einer Hand sich sammle. Kein Bürger soll zwei Häuser haben, und keinem soll ein Haus zu kaufen verstattet werden, er wolle es denn selbst bewohnen. Einem Bürger, der zwei Häuser hat, von denen eins wüst steht, wird geboten, das erstere einem Verwalter zu übergeben (es zu vermiethen) und das letztere selbst zu beziehen. Vor allem trägt man Sorge, dass nicht zu viel Besitzthum in die todte Hand komme. Als Abt Bernhard von Ilfeld eins von seinen Häusern hinter St. Blasii zugeschlossen hatte stehen lassen, wird ihm geboten, solches mit eidhaften Bürgern zu besetzen, oder der Rath wolle solches thun. Noch 1501 beschließen die Aeltesten, dass der Rath hinfüro der Priesterschaft kein Haus mehr zuschreiben, sondern den Innungen zuweisen soll. So wurde dem trägen Besitz gesteuert; der fleißige Bürger aber gefördert.


Eben so streng wurde die Marktpolizei gehandhabt. Wo über die Leistungen und die Preise einzelner Gewerke Klage entstand, wurde sofort für auswärtige Bewerber ein Markt eröffnet, bis die einheimischen den Anforderungen gerecht geworden waren. Solch einfaches, nüchternes Regiment war vor allem geeignet, einen behäbigen Mittelstand zu erziehen, und dieser tritt uns auch charakteristisch in Nordhausen entgegen mit seinem gleichmäßigen, nüchternen Fleiße und seinem behaglichen Genügen. Der größere Theil der Bürger gewann noch immer seinen Hauptunterhalt auf dem eignen, altererbten Acker; die Bessergestellten besaßen daneben Hopfengärten zur Ausübung ihrer Braugerechtigkeit; selbst Weinberge befinden sich an den südlich gelegenen Geländen bei Hohenrode und vor dem Bielenthore, und der richtige Betrieb des Hopfen- und Weinbaus ist durch strenge Gesetze geregelt. Daneben treten auch schon die ersten Anfänge eines erweiterten Verkehrs hervor. Nordhausen war bereits damals der Mittelpunkt für den Getreidehandel der Umgegend; die Klöster Walkenried und Ilfeld hatten sich schon seit längerer Zeit Höfe in der Stadt erworben, in welchen sie ihr Zinsgetreide zum Verkaufe ausschütten ließen. - Bei der zunehmenden Sicherheit der Straßen fingen die Gewerke an, auch nach Außen Handel zu treiben; Nordhäuser Schuhwerk gewann bald einen guten Ruf und wurde auf Messen und Märkten gern gekauft. Handel und Gewerbfleiß wurden immer reger und suchten sich neue Bahnen. Die Branntweinbrennerei, die später der Stadt eine so große merkantile Bedeutung gab, war freilich damals erst in ihren Anfängen. Noch 1528 verbot der Magistrat, ohne sein Wissen und eine gewisse (übrigens mäßige) Umlage Branntwein zu brennen; auf dem Rathskeller durfte anfangs gar kein Branntwein „gesellt“ d.h. verkauft werden.
Eben so streng wurde die Marktpolizei gehandhabt. Wo über die Leistungen und die Preise einzelner Gewerke Klage entstand, wurde sofort für auswärtige Bewerber ein Markt eröffnet, bis die einheimischen den Anforderungen gerecht geworden waren. Solch einfaches, nüchternes Regiment war vor allem geeignet, einen behäbigen Mittelstand zu erziehen, und dieser tritt uns auch charakteristisch in Nordhausen entgegen mit seinem gleichmäßigen, nüchternen Fleiße und seinem behaglichen Genügen. Der größere Theil der Bürger gewann noch immer seinen Hauptunterhalt auf dem eignen, altererbten Acker; die Bessergestellten besaßen daneben Hopfengärten zur Ausübung ihrer Braugerechtigkeit; selbst Weinberge befinden sich an den südlich gelegenen Geländen bei Hohenrode und vor dem Bielenthore, und der richtige Betrieb des Hopfen- und Weinbaus ist durch strenge Gesetze geregelt. Daneben treten auch schon die ersten Anfänge eines erweiterten Verkehrs hervor. Nordhausen war bereits damals der Mittelpunkt für den Getreidehandel der Umgegend; die Klöster Walkenried und Ilfeld hatten sich schon seit längerer Zeit Höfe in der Stadt erworben, in welchen sie ihr Zinsgetreide zum Verkaufe ausschütten ließen. - Bei der zunehmenden Sicherheit der Straßen fingen die Gewerke an, auch nach Außen Handel zu treiben; Nordhäuser Schuhwerk gewann bald einen guten Ruf und wurde auf Messen und Märkten gern gekauft. Handel und Gewerbfleiß wurden immer reger und suchten sich neue Bahnen. Die Branntweinbrennerei, die später der Stadt eine so große merkantile Bedeutung gab, war freilich damals erst in ihren Anfängen. Noch 1528 verbot der Magistrat, ohne sein Wissen und eine gewisse (übrigens mäßige) Umlage Branntwein zu brennen; auf dem Rathskeller durfte anfangs gar kein Branntwein „gesellt“ d. h. verkauft werden.


Es scheint, dass dies Verbot mehr zur Beschränkung des Branntweinhandels, als wegen der daraus gezogenen Steuer gegeben war, denn noch bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts blieb das Branntweinbrennen nur einer beschränkten Zahl von Bürgern gestattet, und wenn Missernte eintrat, wurde es ganz verboten. Dagegen ist es bezeichnend, dass man gerade damals anfing, die Schätze der Erde auszubeuten. Auf dem Geiersberge und in der Gumpe wurden Alaun- und Vitriolhütten angelegt, und besonders gelang die Herstellung der rauchenden Schwefelsäure, die noch jetzt den Namen Nordhäuser Säure führt.
Es scheint, dass dies Verbot mehr zur Beschränkung des Branntweinhandels, als wegen der daraus gezogenen Steuer gegeben war, denn noch bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts blieb das Branntweinbrennen nur einer beschränkten Zahl von Bürgern gestattet, und wenn Missernte eintrat, wurde es ganz verboten. Dagegen ist es bezeichnend, dass man gerade damals anfing, die Schätze der Erde auszubeuten. Auf dem Geiersberge und in der Gumpe wurden Alaun- und Vitriolhütten angelegt, und besonders gelang die Herstellung der rauchenden Schwefelsäure, die noch jetzt den Namen Nordhäuser Säure führt.

Aktuelle Version vom 4. März 2021, 21:28 Uhr

Textdaten
Autor: Theodor Perschmann
Titel: Die Reformation in Nordhausen
Untertitel: 1522 – 1525
aus: Historische Commission der Provinz Sachsen: Neujahrsblätter
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1881
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Pfeffer in Comm.
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Erscheinungsort: Halle
Quelle: Hauptbibliothek Altstadt / Tiefmagazin 1
Kurzbeschreibung:
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Die
Reformation in Nordhausen.
1522 – 1525.
von
Theodor Perschmann.
__________
Halle,
in Commission bei C. E. M. Pfeffer.
1881.



Vor tausend Jahren lagen auf der Stelle, wo jetzt Nordhausen steht, nur zerstreute Hütten, zwischen denen sich einige burgartige Gehöfte erhoben. Eins von diesen erlangte dann eine hervorragende Bedeutung, als sein Besitzer 919 zum Könige von Deutschland erwählt wurde: es war die Burg Heinrichs, des Herzogs der Sachsen. Auch als König verweilte Heinrich gern auf dieser Burg, ihm verdankt Nordhausen jedenfalls seine älteste Befestigung und die erste Heranbildung zur Stadt. Vor allem aber hatte die Gemahlin Heinrichs, die fromme Königin Mathilde, den „Königshof von Nordhausen“ lieg gewonnen und ihn wiederholt zum Aufenthalt gewählt, während ihr Gemahl in fernen Kämpfen sich bewegte; hier gebar sie ihren Lieblingssohn Heinrich, den späteren Herzog von Baiern, und ihre Tochter Gerberge. So entsprach es denn wohl ihrem besonderen Wunsche, dass unter den Gütern, die ihr nach dem Tode ihres Gemahls als Witthum zufielen, auch dessen Erbgüter zu Nordhausen waren.

Die verwitwete Königin wendete sich in ihren späteren Jahren immer mehr der Ausübung frommer Werke zu und so gründete sie auch 962 auf ihrem Hofe zu Nordhausen ein Nonnenstift, dem sie ihre Nordhäuser Besitzungen unterstellte und zugleich Münz- Markt- und Zollgerechtigkeit in der allmählich sich bildenden Stadt verschaffte. Durch Schenkungen der nachfolgenden Kaiser, besonders der des Sächsischen Hauses, wuchs das Besitzthum des Stifts mehr und mehr, bis ihm endlich durch Kaiser Friedrich I. sogar die kaiserliche Burg mit der Gerichtsbarkeit übergeben wurde. Dieser Erhebung folgte ein heftiger Rückschlag: Heinrich der Löwe griff wenige Jahrzehnte darauf 1180 in seinen Kämpfen mit Barbarossa die königstreue Stadt an und zerstörte sie samt dem Nonnenstift.

Während die Stadt sich bald von der Niederlage erholte, konnte das Stift erst 1220 wieder hergestellt werden, jedoch statt der Nonnen wurden jetzt Mönche in dasselbe eingesetzt, und ihnen die weltlichen Rechte über die Stadt entzogen: diese selbst trat unter die unmittelbare Oberhoheit des Kaisers. Hiermit war der Grund zur städtischen Freiheit gelegt. Unter den Kaisern und Königen des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts erweiterte sich die Unabhängigkeit immer mehr, und Nordhausen trat endlich in die Zahl der freien Reichsstädte ein. Aber seine Lage war keine besonders glückliche. Sein Gebiet war außerordentlich klein, nur eine mäßige Ackerflur, sonst keine Dörfer noch andere Liegenschaften; der Acker selbst erst bei fleißiger Bearbeitung einträglich. Dabei wurden Handel und Verkehr gehemmt von unruhigen, beutelustigen Nachbarn.

Unwillkürlich ist man versucht, hier eine Parallele zwischen Nordhausen und der Nachbarstadt Mühlhausen zu ziehen. Beide haben ziemlich gleichzeitig mit einander die verschiedenen Stufen der städtischen Entwicklung durchgemacht, aber wie verschieden ist dabei der Verlauf derselben, wie verschieden der Charakter beider Städte! Das reichere Mühlhausen hat durchweg einen aristokratischen Zug, während Nordhausen, wo das Gemeindewohl nur auf dem Fleiße seiner Bürger beruhte, mehr einen demokratischen Charakter zeigte. Der patricische Rath von Mühlhausen verwendete gleich von vornherein seine reichen Einkünfte zur ausgedehntesten Erweiterung der städtischen Rechte: besonders unter den geldbedürftigen Kaisern Ludwig dem Baier und Karl IV. verschaffte er sich nicht nur die Reichsvogtei, sondern allmählich auch alle die anderen nutzbaren Rechte, die Kaiser und Reich an der Stadt besaßen. Mit kühner und geschickter Politik erwarb die Stadt sich dann einen beträchtlichen Kämmereischatz: durch Käufe und Verträge mit den umwohnenden Edelleuten, zum Theil auch durch Gewalt brachte sie die gutsherrlichen Rechte in den umliegenden Ortschaften an sich und gewann so ein Gebiet, welches allein neunzehn Dörfer, dabei Hofgüter, Mühlen, große Waldungen und vor allem auch gute Steinbrüche umschloß.

Anders Nordhausen. Zwar war auch hier zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts der größte Theil der Rathstellen von den vornehmen Patriciern besetzt; aber unter diesen herrschte verderblicher Zwiespalt. Dieser führte im Verlaufe des Jahrhunderts mehrfach zu offnen Kämpfen, welche eben so sehr den Stadtsäckel erschöpften, wie sie Reichthum und Macht der Geschlechter untergruben. Unter diesen Streitigkeiten ging die günstige Gelegenheit zur Erwerbung der bedeutsamsten öffentlichen Rechte, vor allen der Reichsvogtei, ungenutzt vorüber, und schwer hat dies später die Stadt durch Verpfändungen und andere Vergewaltigungen der geldarmen Kaiser büßen müssen. Eben so wenig war es möglich, das städtische Gebiet zu erweitern, selbst wenn der Stadt die entsprechenden Mittel zu Gebote gestanden hätten. Die wenigen Versuche, welche gemacht wurden, Länder zu erwerben, scheiterten entweder von vorn herein an den Forderungen der hochfahrenden Nachbarn, oder sie hatten, wie der Ankauf der Schnabelsburg 1363, langwierige Fehden zur Folge, welche die Erwerbung zu einer sehr kostspieligen machten.

Fast alle deutschen Städte waren im Verlauf des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts die Schauplätze heftiger Kämpfe zwischen den Patriciern und den Gewerken, in denen die letzteren durchweg einen größeren oder geringeren Antheil an der Verwaltung sich errangen. Auch in Nordhausen hatte sich hinreichender Stoff zu solchem Kampfe gesammelt. Die fortwährenden Fehden, der Steuerdruck, der durch dieselben herbei geführt wurde, der Trotz einzelner Patricier gegen die Gewerke, die sich dem geschwächten Patriciat gegenüber mehr und mehr zu fühlen begannen, alles dies rief endlich am 14. Februar 1375 einen Aufruhr hervor, der mit der Verjagung der stolzesten Patricier und einen Umgestaltung der Verfassung endete. Der Charakter der neuen Verfassung war ein durchaus demokratischer. Das Hauptcontingent zur Rathsversammlung, zwei Drittel, stellten die neuen rathsfähigen Gewerke; nur in den übrigen Stellen, welche die Viertel besetzten , hatten die Patricier noch allenfalls Aussicht in den Rath zu gelangen. Die ganze Fassung der Statuten läuft darauf hinaus, den Gewerken möglichst viel Rechte zu sichern, dem Rathe aber mögliche Unabhängigkeit. So waren die Gewerke die Leiter der Stadt, und eifersüchtig wahrten sie ihre Macht. Vor allem wachten sie darüber, dass kein Cliquenwesen sich bildete, kein “gefreundeter“ Rath entstand. Der Bestätigung neu erwählter Rathspersonen ging die sorgfältigste Prüfung voraus. Selbst bei der Wiederwahl von Männern, die Jahrzehnte lang schon im Stadtregimente gesessen hatten, wurde sie immer wieder aufs Neue vorgenommen, damit nicht etwa zwei Verwandte zugleich in den Rath kämen.

Dem Streben des früheren, patricischen Rathes, der Stadt eine höhere politische Entwickelung und größere Bedeutsamkeit zu geben, war mit jener Revolution ein Ziel gesetzt; man bewegte sich von da ab in kleineren, eng spießbürgerlichen Verhältnissen, fast nur auf sich selbst beschränkt. In einer Beschwerde über die Höhe der Reichsanlage vom Jahre 1566 wird uns eine, wenn auch etwas dunkel gefärbte, doch im Grunde zutreffende Schilderung dieser Verhältnisse gegeben. „Nordhausen“, heißt es da, „hat außer der Stadt selbst keine Zugehörungen, davon sie auch nur einen Gulden jährlichen Einkommens hat, keine Dörfer, Bauern, Vorwerke, Meiler, Landwehren. Auch keine Wälder, Gehölze, Wasser, Landstraßen, Zoll, Münze oder sonst den allergeringsten Zugang; nur was die arme Bürgerschaft von einer geringen Flur erntet, die allenthalben mit einem Büchsenschuß zu überlangen ist. Und nachdem wir mit drei Grafschaften, Stoberg, Schwarzburg und Honstein benachbart, haben dieselben ihre Grenzen fast an unsere Stadtthore erweitert, dass also alle die Dörfer, Gehölzer und anderen Güter, um und vor der Stadt gelegen, ihnen zuständig. In der Stadt ist keine großer Handel oder Händler, nur arme gemeine Handwerker und Bierbrauer, da die Stadt an einem ungelegenen Orte vor dem Harze gelegen, darauf keine Hantierung, gewerbende Landstraße nicht ist. Dero wegen sie vor Alters Orthausen genannt worden, auch Ursachen, dass sie an einem abgelegenen Ort erbaut, da auf der einen Seite den Angrenzenden der Unterhalt durch derselben Herrschaft eigene Unterthanen geschafft wird, und auf der anderen Seite das Harz, ein arm, hungrig, fräßig Volk, so nichts denn Köhler und Holzhauer sind, so auf den wilden Ecken des Harzes, Beneckenstein, und des Eisfeldes wohnen. - Die Hauptnahrung der Stadt ist das Bierbrauen, aber auch das ist sehr verkürzt, da es notori und wißlich, dass die benachbarten Grafen ihren Unterthanen auferlegt, keine ander Bier, denn so in ihren Herrschaften gebraut, nicht zu schenken oder einzulegen. Ueberdies halten gleichergestalt die nächstgesessenen Junker ihre sonderbaren Brauhäuser, halten auch und zwingen ihre Unterthanen, keinen anderen Trunk, denn so unter ihnen gebraut, abzuführen und haben damit die Hauptnahrung der Stadt verdorben.“ -War also die Stadt nothwendig auf sich selbst angewiesen und nicht im Stande, nach Außen hin eine bedeutende Rolle zu spielen, so waren die Verhältnisse im Innern um so sorgfältiger geordnet. Es war ein einfach bürgerlicher, patriarchalischer Geist, der in der Gemeindeverwaltung lebte. Die im Verlaufe der Zeit immer trefflicher ausgebildeten Ordnungen der Gilden zeigen uns, dass Leben und Strebsamkeit in den Gewerken herrschte; die verhältnismäßig nicht zu häufigen Straffälle und die Executionen, die Genauigkeit in der bürgerlichen und städtischen Verwaltung, das Streben für Förderung des Gemeinwohls treten uns charakteristisch in der Entwicklungsgeschichte der Stadt entgegen.

So trägt man kein Bedenken, neue Familien in die Stadt aufzunehmen, nur müssen Mann und Frau sich erst als gute Arbeiter bewähren: sie müssen zunächst allein ihren Unterhalt gewinnen, ohne Knappen zu halten, dabei muß er sich gefallen lassen, dass seine Arbeit von den Handwerksmeistern besichtigt werde. - Während zu Mühlhausen einzelne Familien großen Reichthum besaßen und demzufolge auch überwiegend Einfluß auf städtische Angelegenheiten übten, wacht man in Nordhausen sorgfältig darüber, dass nicht zu viel Besitzthum in einer Hand sich sammle. Kein Bürger soll zwei Häuser haben, und keinem soll ein Haus zu kaufen verstattet werden, er wolle es denn selbst bewohnen. Einem Bürger, der zwei Häuser hat, von denen eins wüst steht, wird geboten, das erstere einem Verwalter zu übergeben (es zu vermiethen) und das letztere selbst zu beziehen. Vor allem trägt man Sorge, dass nicht zu viel Besitzthum in die todte Hand komme. Als Abt Bernhard von Ilfeld eins von seinen Häusern hinter St. Blasii zugeschlossen hatte stehen lassen, wird ihm geboten, solches mit eidhaften Bürgern zu besetzen, oder der Rath wolle solches thun. Noch 1501 beschließen die Aeltesten, dass der Rath hinfüro der Priesterschaft kein Haus mehr zuschreiben, sondern den Innungen zuweisen soll. So wurde dem trägen Besitz gesteuert; der fleißige Bürger aber gefördert.

Eben so streng wurde die Marktpolizei gehandhabt. Wo über die Leistungen und die Preise einzelner Gewerke Klage entstand, wurde sofort für auswärtige Bewerber ein Markt eröffnet, bis die einheimischen den Anforderungen gerecht geworden waren. Solch einfaches, nüchternes Regiment war vor allem geeignet, einen behäbigen Mittelstand zu erziehen, und dieser tritt uns auch charakteristisch in Nordhausen entgegen mit seinem gleichmäßigen, nüchternen Fleiße und seinem behaglichen Genügen. Der größere Theil der Bürger gewann noch immer seinen Hauptunterhalt auf dem eignen, altererbten Acker; die Bessergestellten besaßen daneben Hopfengärten zur Ausübung ihrer Braugerechtigkeit; selbst Weinberge befinden sich an den südlich gelegenen Geländen bei Hohenrode und vor dem Bielenthore, und der richtige Betrieb des Hopfen- und Weinbaus ist durch strenge Gesetze geregelt. Daneben treten auch schon die ersten Anfänge eines erweiterten Verkehrs hervor. Nordhausen war bereits damals der Mittelpunkt für den Getreidehandel der Umgegend; die Klöster Walkenried und Ilfeld hatten sich schon seit längerer Zeit Höfe in der Stadt erworben, in welchen sie ihr Zinsgetreide zum Verkaufe ausschütten ließen. - Bei der zunehmenden Sicherheit der Straßen fingen die Gewerke an, auch nach Außen Handel zu treiben; Nordhäuser Schuhwerk gewann bald einen guten Ruf und wurde auf Messen und Märkten gern gekauft. Handel und Gewerbfleiß wurden immer reger und suchten sich neue Bahnen. Die Branntweinbrennerei, die später der Stadt eine so große merkantile Bedeutung gab, war freilich damals erst in ihren Anfängen. Noch 1528 verbot der Magistrat, ohne sein Wissen und eine gewisse (übrigens mäßige) Umlage Branntwein zu brennen; auf dem Rathskeller durfte anfangs gar kein Branntwein „gesellt“ d. h. verkauft werden.

Es scheint, dass dies Verbot mehr zur Beschränkung des Branntweinhandels, als wegen der daraus gezogenen Steuer gegeben war, denn noch bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts blieb das Branntweinbrennen nur einer beschränkten Zahl von Bürgern gestattet, und wenn Missernte eintrat, wurde es ganz verboten. Dagegen ist es bezeichnend, dass man gerade damals anfing, die Schätze der Erde auszubeuten. Auf dem Geiersberge und in der Gumpe wurden Alaun- und Vitriolhütten angelegt, und besonders gelang die Herstellung der rauchenden Schwefelsäure, die noch jetzt den Namen Nordhäuser Säure führt.

Die Pflege des geistigen Lebens wurde auch in Nordhausen nicht vernachlässigt. Schon die Aussicht, die jedem offen stand, bei einiger Bildung einmal eine ehrenvolle Stelle im Rathe zu erhalten, spornte jeden strebenden Bürgerssohn an, sich die nöthigen Kenntnisse zu verschaffen. Die Gelegenheit dazu wurde ihm in der Stadt hinreichend geboten. Außer den Parochialschulen hatte dieselbe zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts zwei gelehrte Schulen, die eine im Dome, die andere zu St. Jacobi, von deren anregender Wirksamkeit uns die nicht unbeudende Zahl der damals zu Erfurt und Wittenberg studierenden Nordhäuser Zeugnis giebt. Unter den Kirchen nahm das Stift St. Crucis, die Gründung der Königin Mathilde, eine hervorragende Stelle ein. Ihm waren die vier anderen Kirchen der Stadt, St. Nicolai, St. Blasii, St. Petri, St. Jacobi einverleibt. Hatte es die politische Macht über die Stadt verloren, so übte es dafür die geistliche, die es noch besaß, mit eifersüchtiger Strenge, nicht ohne öfter die Bürger zum Widerstande zu reizen. Außerdem hatte die Stadt noch drei Mönchsklöster, ein Dominikaner-, ein Franziskaner- und ein Augustinerkloster, sowie zwei Nonnenklöster, das Frauenberger und das Altendörfer Kloster. Reiche Geschenke an Kirchen und Klöster und die frommen Stiftungen, das Martins- und das Elisabethhospital, so wie der Siechenhof St. Chriaci bezeugen, dass der sinn der Nordhäuser nicht der Frömmigkeit entbehrte.

Fassen wir nun das Gegebene zusammen, so bietet uns Nordhausen zur Zeit der Reformation das bild einer kleinen, rührigen Landstadt von beschränktem Gebiet und beschränktem Vermögen. Unter den Bürgern aber erblickten wir allenthalben Wohlstand, keine hervorragend reichen Familien, aber auch keine verarmten; überall Fleiß und Thätigkeit, daneben ein bewusster Stolz über das Selbsterrungene; strenge Ordnung und Gesetzlichkeit in der städtischen Verwaltung, jedoch ein gutes Vernehmen zwischen dem Rathe und den Bürgern; im geistigen Leben zwar ein bürgerlich beschränkter Gesichtskreis, dagegen ein gesunder Sinn und ein richtiges Verständnis für das, was innerhalb dieses Kreises liegt. Eine solche Gemeinde musste auch vor allem geeignet sein zur Aufnahme der Reformation.

Wenn nun Luther selbst von Nordhausen gerühmt hat, dass er keine Stadt am Harze und sonst dergleichen wisse, welche sich dem Evangelio so bald unterworfen, so liegen die Gründe für diese Thatsache in den besonderen Umständen, welche den Samen des Evangeliums so schnell dem geeigneten Boden zuführten.

Als Mansfelder stand Luther den Nordhäusern schon landschaftlich nahe. Zwischen Nordhausen, Eisleben und Mansfeld war von je ein lebhafter Verkehr gewesen, viele der angesehenen Familien dieser Städte waren durch Wechselheiraten in einander verwachsen, und durch ihre Vermittelung wurde auch zwischen den Städten das Band noch enger geknüpft. Noch 1519, als ein starkes Sterben in Mansfeld war, flüchteten viele Familien von dort nach Nordhausen. So herrschte hier von vorn herein eine Art landsmannschaftliches Interesse für Luther und sein Werk. -Dazu kam, dass eine große Reihe von Nordhäusern, die theils in Erfurt theils in Wittenberg studierten, mit Luther selbst in persönliche Verbindung getreten waren. Gleich an ihrer Spitze steht einer der zuverlässigsten Freunde und Gehilfen Luthers, Justus Jonas, 1493 zu Nordhausen geboren, wo sein Vater die Stelle eines Rathsmeisters bekleidete. Er studierte anfangs zu Erfurt und ging dann 1511 nach Wittenberg. Hier wurde er befreundet mit Luther, dem er in dem bald darauf beginnenden Ablassstreite als treuer Freund und Genosse beistand. Vor allem durch seine außerordentliche Redegabe, in der ihn, nach Melanchthons Zeugnis, nur Luther selbst übertraf, förderte er die Reformation auf der Kanzel wie in Disputationen und Verhandlungen. Die engste Freundschaft hat ihn sein ganzes Leben hindurch mit Luther verknüpft. Und wie er 1521 dessen Begleiter auf dem schweren Gange nach Worms gewesen war, so begleitet er ihn auch auf seiner letzten Reise 1546 nach Eisleben: er war es, dem der Sterbende jenes denkwürdige Bekenntnis seines festen Glaubens ablegte.

Neben Luther und Melanchthon wurde Jonas stets als der dritte der großen Reformatoren bezeichnet, und mit gerechtem Stolze konnte seine Vaterstadt auf ihn blicken. An dieser hing er mit treuer Liebe, er verweilte wiederholt auch längere Zeit in derselben und förderte durch seine Predigten die Sache des Evangeliums. Durch seine Vermittelung knüpfte sich ein gastfreundliches Band zwischen den Wittenberger Reformatoren und einer Reihe von Nordhäuser Familien. Luther und Melanchthon verweilten in Folge dessen öfter bei ihren Gastfreunden in Nordhausen, und die Erinnerung an diese persönliche Verbindung lebt noch heute im Gedächtnis der Stadt und spricht sich besonders in der hervorragenden Feier von Luthers Geburtstage aus, die sich auf eine der schönsten protestantischen Legenden stützt. Luther, so erzählt man, sei einst zur Feier seines Geburtstages nach Nordhausen gekommen. Nahe der Stadt habe er mit seinem Gefährt einen Nordhäuser Schuhmacher eingeholt und sich mit diesem in ein Gespräch eingelassen. Da habe er mit Freude bemerkt, wie klar und schlicht der Mann sich über religiöse Fragen ausgesprochen und wie warm er dem Evangelio zugethan sei. Noch mehr aber habe der Schuhmacher gestaunt übe die Worte des Mannes im Wagen, die ihm wie himmlische Offenbarung geklungen hätten. Als sie nun an die Stadt herangekommen, habe der Schuhmacher Luther gefragt, ob er schon Herberge zur Nacht habe. Noch nicht, sei die Antwort gewesen. Ob er denn wohl bei ihm vorlieb nehmen wolle; er habe Gänsebraten, Kohl und Fische zur Feier des Martinsabends. Luther habe zugesagt, und so seien sie im Hause des Schuhmachers abgestiegen. Als nun diese in der Stube mit Luther weiter geredet, habe ihn immer größeres Staunen erfasst, und so sei er zur Küche gegangen und habe der Frau gesagt: Wir haben einen so hochgelahrten Gast, dem müssen wir Wein vorsetzen. Ja, habe die Frau gesagt, ich getraue mich nicht zur Apotheke (wo man damals den Wein verkaufte), dort sitzen die Herren vom Rathe, und wenn ich komme, und will Wein haben, so sagen sie: Was will die Schusterfrau mit dem Wein? Wüßte ich nur wie unser Gast heißt, dann könnte ich sagen, es sei für ihn. Da sei Luther herzugetreten, der ihr Gespräch überhört, und habe gesagt: Nun, liebe Frau, ich will ihr sagen, wie ich heiße, ich bin der Doktor Martin Luther. Da habe die Frau einen Freudenschrei ausgestoßen und sei hinüber gelaufen zur Apotheke und habe gerufen: Gebt mir Wein, der Doktor Luther ist bei uns! Die Rathsherren aber hätten gesagt: Was schwatzt dies Weib, wie käme Doktor Luther zu dem Schuster! Als die Frau aber fest darauf bestanden, seien sie mit hinüber gegangen, und an der Thür sei ihnen Luther entgegen getreten und habe sie freundliche begrüßt. Da sei große Freude gewesen in der ganzen Stadt, und alles sei herbei gelaufen, sie hätten mit allen Glocken geläutet und das Lied gesungen: Eine feste Burg ist unser Gott:

Noch heute aber ziehen alljährlich zu Nordhausen an Luthers Geburtstage die Sängervereine auf den Marktplatz und singen das Lutherlied; dann wird mit allen Glocken geläutet. In den Häusern aber ist hoher Festtag, und wer es irgend möglich machen kann, bringt zu Abend das Festgericht: Karpfen, Gänsebraten und Kohl und dazu Wein. -

Aber früher noch, als mit Jonas, hatte Luther Freundschaft geschlossen mit einer der wichtigsten Persönlichkeiten für die Reformation zu Nordhausen, mit dem ersten evangelischen Prediger daselbst, Lorenz Süße. Geboren in Pirna 1469, hatte Süße in Erfurt studiert und war dann in das Augustinerkloster getreten. Dort machte er bereits die Bekanntschaft Luthers. Als er 1515 nach Wittenberg ging, erwuchs aus dieser der engste Verkehr: er soll Luthers Tischgenoß gewesen sein. An dem Kampfe gegen den Ablaß nahm er den lebhaftesten Antheil. Frömmigkeit, Gehorsam und Verträglichkeit hatten ihn bei seinen Oberen, besonders beim Generalvicar seines Ordens Dr. Johann Staupitz, so beliebt gemacht, dass dieser ihn 1519 nach dem Tode Johann Ritters als Prior in das Augustinerkloster zu Nordhausen berief. Aus der geistig angeregten Atmosphäre Wittenbergs, aus dem lebendigen Verkehr mit Luther, erfüllt von dessen Gedanken und Bestrebungen, trat Süße in sein neues Amt ein. Schnell musste er erkennen, wie geeignet der Boden für die neue Lehre war. War doch selbst in seinem Kloster der Name Luthers bereits hoch geachtet. Als 1516 Johann Staupitz von dem Kurfürsten Friedrich nach den Niederlanden geschickt war, um Heiligthümer für die Schlosskirche von Wittenberg zu sammeln, hatte Luther als sein Stellvertreter dies Kloster visitiert, und der tiefe Eindruck, den seine Persönlichkeit und sein religiöser Ernst gemacht hatten, war noch frisch geblieben in der Erinnerung der Mönche.

Süße soll gleich nach seinem Eintritt in dies Kloster Predigten im Geiste Luthers gehalten und viele Zuhörer herbei gezogen haben. Er fand hier um so lebhaftere Theilnahme und einen um so verständnisvolleren Kreis von Zuhörern, da Luthers Schriften bereits wohl bekannt waren. Blasius Michel der Rathsapotheker, später Bürgermeister, hatte durch seine Geschäftsverbindungen sich regelmäßig die neuesten reformatorischen Schriften aus Wittenberg und Leipzig verschafft. In der Hinterstube seiner Officin versammelten sich dann die Mitglieder des Raths und die Vornehmen der Stadt, um gemeinsam diese Schriften zu lesen und zu besprechen. So war schon längst die religiöse Bewegung nach Nordhausen übertragen, und es hatte sich bereits ein Kreis evangelisch Gesinnter zusammen gefunden, als Süße kam und aus dem persönlichen Verkehr mit Luther über dessen Bestrebungen berichten konnte. Es war ein glückliches Zusammentreffen, dass gerade dieser Mann der Nordhäuser Gemeinde zugeführt wurde. Süße war durchaus kein stürmender Reformator: sein ganzes Wesen erscheint ruhig, mild, versöhnend, aber fest und sicher in dem, was er ergriffen hat, und so gerade war er geeignet, in Nordhausen der Reformation ihre erste sichere Grundlage zu verschaffen. Aus eigenem Antriebe hätte er schwerlich eine neue Gemeinde begründet, aber er fand hier bereits alles so weit vorgebildet, dass es eben nur einer leitenden Hand bedurfte. So vollzog sich denn in Nordhausen der erste Akt der Reformation so geräuschlos und unbemerkt, dass erst die allmählich daraus ersteigenden Folgen auf die Bedeutsamkeit des Schrittes aufmerksam machten. Zu Anfang des Jahres 1522 wurde Süße von den beiden Kirchen Vorstehern zu St. Petri, den Bürgermeistern Johann Branderodt und Thomas Sack, im Beisein der ganzen Gemeinde und mit Vorwissen des Raths zum Prediger von St. Petri erwählt. Seine Antrittspredigt am Sonntage Sexagesimä, dem 16. Februar, über das Evangelium von den Arbeitern im Weinberge (Matth. 20) war die erste evangelische Predigt, die in der Stadt gehalten wurde, und daher wird schon in älteren Aufzeichnungen der 16. Februar 1522 als der Geburtstag der Reformation Nordhausen bezeichnet.

Auffallend ist aber immerhin, dass das Stift St. Crucis, dem doch die Bestätigung des Pfarrers zustand, keine Einwendungen gemacht hat, im Gegentheil wird demselben dreiundzwanzig Jahre später in einer Replik vom Rathe entgegnet, es habe damals die Pfarre St. Petri mit dem jetzigen Pfarrer besetzt und denselben auch von zwei Mitgliedern des Capitels einführen lassen. Da Luther damals verschollen auf der Wartburg lebte, und das Wormser Edikt allen reformatorischen Bewegungen ein Ziel gesetzt hatte, so schien es vielleicht dem Stiftscapitel nicht bedenklich, eine Persönlichkeit von dem ruhigen Charakter Süßes, der überdies bereits in dem reiferen Mannesalter stand, zum Predigeramte zu befördern und damit dem Wunsche so vieler angesehener Bürger nachzukommen.

Die ruhige, maßvolle Persönlichkeit Süßes sicherte der evangelischen Lehre zu Nordhausen einen gleichmäßigen Fortgang zu einer Zeit, wo dieser anderwärts durch maßlose Überstürzung die größte Gefahr drohte. Gerade damals stürmte Carlstadt in Wittenberg die Kirchen und lenkte in so excentrische Bahnen ein, dass Luther sich bewogen fühlte, sein Patmos, die Wartburg, zu verlassen, um seine Lehre zu schützen. Mit der Kraft seines Wortes setzte er dem Unfug ein Ziel und begann das Werk der Reformation auf festem Grunde aufzubauen. Jetzt, wo Carlstadt und die Schwarmgeister beseitigt waren, und Luthers Name wieder an der Spitze der reformatorischen Bewegung stand, wurde auch das Capitel zu Nordhausen besorgt wegen des Zugeständnisses, das es gemacht hatte, und begann den Kampf gegen die Reformation der eigenen Stadt. Darauf deutet zuerst eine Beschwerde hin, die es noch im Jahre 1522 bei Rathe einreichte, „dass wider Kaiserliches Edikt und Päpstlichen Bann der Rath die Martinsbuben, verlaufene Mönche, auftreten ließe zu predigen. Hätten einen verlaufenen Mönch verordnet in die Kapelle St. Görgen, welcher gewöhnlich im Predigen zu Abbruch ihres Pfarrherrn, darin solch Kapelle gelegen, schmähete.“ Die Georgenkapelle lag neben dem Georgenspital am Kornmarkte gegenüber dem alten Rathhause, in dem Sprengel der Nicolaikirche. - Daß in der Beschwerde nicht auch Süßes gedacht wird, kann als ein neuer Beweis gelten, dass dieser mit Bewilligung des Capitels eingesetzt wurde.

Bald traten die Folgen der Reformation noch in viel empfindlicherer Weise hervor. Schon im folgenden Jahre 1523 klagt das Capitel, „dass in kurz vergangen Tagen ihnen und ihrer Kirche mancherhand Beschwerung, Steuerung, Eingriffe, thätliche Angriffe der Personen und ihrer Wohnungen, Verlegung gegen Recht und ihre Freiheit allwegen vorgenommen und geschehen, so dass es ihnen kaum möglich sei, sich länger dagegen zu halten. Haben sich deshalb eidlich unter einander verpflichtet, gemeinsam für einander einzustehen, denen, die sich ihrer Geschäfte halber von Nordhausen entfernen müssen, ihre Einkünfte zu bewahren und in nichts zu weichen.“

So hatte denn das Capitel eine entschieden feindliche Haltung gegenüber der reformatorischen Bewegung eingenommen; der Rath aber trat nicht minder entschieden für dieselbe ein. Als man erfuhr, dass in verschiedenen Kirchen die Kleinodien bei Seite geschafft und verbracht wurden, und einzelne Familien, von deren Vorfahren solche Kleinodien gestiftet waren, sich darüber beschwerten, drang der Rath auf eine Inventarisierung, und wir haben in Folge dessen eine Reihe solcher Inventare, die uns zugleich den Beweis liefern, wie reich die einzelnen Kirchen und Klöster ausgestattet waren. Eben so erfahren wir, dass in der Kirche der Cisterzienserinnen im Altendorfe von 1524 ab der Gotteskasten im Beisein von Deputirten des Raths geöffnet und Rechnung gemacht wurde. Es sind dies offenbare Versuche des Raths, sich ein Aufsichtsrecht über die Verwaltung der Kirche zu verschaffen.

Zu einer offenen Erklärung kam es dann im Jahre 1524. Das Domkapitel hatte die Pfarrstelle zu St. Blasii einem jungen streitbaren Geistlichen, Georg Neckerkolb, übergeben, der durch seine heftigen Predigten gegen die Reformation offenen Anstoß erregte. So ging ihm denn am vierten April ein Befehl des Rathes zu, „dass er hinfüro nichts denn das lauter und rein Evangelium und die Schrift der heiligen Apostel, wie sie von der christlichen Kirche angenommen, predigen, lehren und handeln solle. Wo er dagegen befunden würde, solle ihm sein Schutz und Geleit von F. Ehrbaren Rath aufgekündigt sein, und ob ihm darüber etwas Thätliches begegne, könnten oder wollten sie dazu nicht zu antworten schuldig sein.“

Neckerkolb verzichtet lieber auf die Pfarrstelle, als dass er sicht fügte; er zog sich in das Stift zurück, wo wir ihn noch 1533 und 1542 als Canonikus erwähnt finden. An seine Stelle zu St. Blasii wurde aber sofort der Archidiakonus von Stolberg Johannes Spangenberg berufen, einer der wärmsten Anhänger der evangelischen Lehre, der eigentliche Reformator Nordhausens.

Geboren 1484 zu Hardegsen im Göttingschen, hatte er die Schulen zu Göttigen und Einbeck besucht und sich durch selbständige Studien eine gründliche wissenschaftliche Bildung erworben. Da seine Armuth ihm den Besuch einer Universität nicht gestattete, so trat er zunächst bei der Stiftsschule zu Gandersheim ein, und hier war es, wo sich sein außerordentliches Talent zum Schulmann in der Praxis entfaltete. Endlich 1510 ward es ihm möglich, die Universität Erfurt zu beziehen. Er wurde hier bald Magister und erwarb sich durch Vorlesungen die Mittel zum weiteren Aufenthalt an der Hochschule. Einige Jahre später lernte ihn Graf Botho von Stolberg kennen, auf dessen Aufforderung übernahm er das Rektorat der Stolberger Schule. Aber so erfolgreich er auch bei seinen bedeutenden pädagogischen Anlagen als Lehrer wirkte, immer hatte es ihn nach dem höheren Wirkungskreise, der Kanzel, hingezogen. Das Auftreten Luthers gab diesem Wunsche erneute Anregung. In Stolberg hatte sich zu dieser Zeit ein Kreis von tüchtigen Männern gebildet, welche die Entwickelung und Ausbildung der Reformation mit warmer Theilnahme verfolgten. An ihrer Spitze stand Graf Botho selbst, dann sein Caplan, der geistvolle Tilemann Platner, der Reformator der Grafschaft Stolberg, und eine Reihe gräflicher Beamten. Durch gemeinsame Lektüre und Besprechungen erwärmten sie sich immer mehr für die neue Lehre, und vor allen fühlte Spangenberg sich lebhaft gedrungen, jetzt die Kanzel zu besteigen. Er vertrat öfter die anderen Prediger und erntete dabei so viel Beifall, dass Graf Botho ihm 1521 das Archidiakonat von Stolberg übertrug. Hier breitete er die neue Lehre in seine Predigten aus: mit welchem Eifer er dies gethan hat, bezeugt die Nachricht, dass er in den nächstfolgenden drei Jahren jeden Tag wenigstens eine Predigt gehalten hat. So vorbereitet kam er nach Nordhausen als Nachfolger Neckerkolbs, und mit ihm kommt Leben und Energie in die reformatorische Bewegung der Stadt.

Wenn Süße wohl in fester Ueberzeugung für seinen Glauben wirkte, so fehlte ihm doch jener rastlose Drang, auch Andere für diese Überzeugung zu gewinnen. Auf Anregung Anderer war er hervorgetreten, im Kreise von Freunden hatte er belebend gewirkt, wo er herausgefordert wurde, trat er auch muthvoll auf; aber er war zu wenig geschickt, im äußeren Leben energisch durchzugreifen, es hing ihm immer noch zu viel vom klösterlichen Geiste an, und so war er wohl befähigt zum Prediger einer kleinen Gemeinde, nicht aber zum Vorkämpfer einer religiösen Richtung. Spangenberg dagen hatte sich durch eine harte Schule des Lebens hindurch gearbeitet, er hatte sich in den verschiedensten Verhältnissen bewegt, und sein praktisches Geschick befähigte ihn eben so sehr wie sein lebendiger, apostolischer Eifer zum Reformator einer Stadt. Der feste, bestimmte Charakter, den die Reformation in Nordhausen seit Spangenbergs Eintritt annimmt, ist unleugbar sein Werk. Schon am 18. Juni 1524 läßt der Rath das Gebot ergehen: „Die Pfarrer und Seelenväter aus allen Pfarrkirchen sollen nach Beschl8ß der Ehrbaren und Freien Reichsstadt auf dem Städtetage zu Speier das göttliche Wort einträchtig nach Vermögen des heiligen Evangelii und der biblisch apostolischen Schriften hinfüro predigen, wer auch dagegen und des Widerspiels befunden, dem solle seine Predigt verboten sein:“

So hatte denn der Rath bestimmt eingelenkt in die Bahn der Reformation, er hatte einen geistigen Führer gewonnen, von dessen Energie und Tüchtigkeit er eine sichere Durchführung erwarten konnte: da erschütterte plötzlich ein wilder Sturm alle die Hoffnungen und schien das eben Errungene wieder weithin verwehen zu wollen: der Bauernaufruhr unter Thomas Münzer.

Auch in Mühlhausen war zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts der Kampf zwischen den Patriciern und den Geweken zum Ausbruch gekommen und hatte den letzteren auch den Zutritt zum Rathe geöffnet; aber immerhin blieb hier der Einfluß der Patriciert bei weitem überwiegende. Eigenthümlich tritt dies heraus in der ungleichen Aufnahme, welche die Reformation in beiden Städten fand. Während in Nordhausen Rath und Bürgerschaft der neuen Lehre gleich willig entgegen kamen, fürchtete der Rath zu Mühlhausen nur schädliche Neuerungen von derselben und suchte sie auf alle Weise die sich allmälich zur trotzigen Opposition steigerte; so ist es erklärlich, dass die Stadt sich zuletzt einem Heinrich Pfeifer und Thomas Münzer in die Arme warf, deren kurzes Regiment sie dann schwer zu büßen hatte.

Nach mehreren vergeblichen Versuchen war es Münzer im Jahre 1524 gelungen, in Mühlhausen festen Fuß zu fassen. Am 16. März 1525 setzte er den alten Rath ab und führte am folgenden Tage den neuen „ewigen“ (nicht in abwechselnd regiernde Collegien getheilten) Rath ein, der meist aus seinen Anhängern bestand. Mit einem Schritte war hier geschehen, was in Nordhausen das langsame Werk von Jahren war, die katholische Kirche war gestürzt; aber es war eben nicht Reformation, sondern Revolution.

Einen Monat später führte Pfeifer seine berüchtigten Raubzüge aus, auf denen er mit einer Rotte zusammen gelaufenen Gesindels die Klöster und Edelsitze des Eichsfeldes plünderte und Wagen voll von Beute hinweg schleppte; das niedere Volk erhob sich, theils empört durch den Druck der Adligen, vor allem aber der Geistlichkeit, theils auch aus bloßer Raublust. Auch zu Nordhausen*) verfolgte man diese Vorgänge mit lebhafter Spannung. Viele von Münzers Anhängern in Mühlhausen hatten nahe Verwandte in Nordhausen und reizten diese zum Anschluß; einzelne Nordhäuser hatten sich (zufällig, wie sie später behaupteten) an dem Plünderungszuge Pfeifers betheiligt und durch ihre Erzählungen andere verlockt. Ja Münzer selbst scheint Apostel seiner Lehre ausgesendet zu haben. Wenigstens wird uns ein „Schreiben der Aufrührerischen Rotte an den Rath zu Nordhausen“ mitgetheilt, worin diese bittet, einen Mann, der wegen Zertrümmerung eines hölzernen Heiligenbildes in Gefängnis geworfen war, wieder frei zu lassen. Das Schreiben hat ganz den mystisch gespreizten Ton Münzers, und ein gehässiger Seitenblick auf den „Lehrer der Nordhäuser“ (Lorenz Süße, dem Münzer persönlich gram war) macht es wahrscheinlich, dass Münzer selbst der Verfasser desselben ist. Die Lage des Rathes war eine sehr ernste. Zwar war der größere Theil der Bürgerschaft gutgesinnt und jedem Umstürze abhold, aber natürlich gab es auch bedenkliche Elemente, denen man Grund und Gelegenheit zur Zusammenrottung auf das Vorsichtigste entziehen musste. Ein schroffes Auftreten wäre hier eben so verderblich gewesen wie eine verdächtige Nachgiebigkeit, und so sehen wir denn den Rath eine ruhig abwartende Stellung einnehmen: nachgiebig, wo es geschehen kann, hemmend wo es sein muß, vor allem aber darauf bedacht, jede Veranlassung zum Aufruhr rechtzeitig zu beseitigen.

Hatte nun auch der Rath für sich selbst nichts zu fürchten, da er im Ganzen beliebt war, so gab um so bedenklicheren Anstoß die Geistlichkeit, vor allem die Klöster und das Stift St. Crucis. Ihr Widerstreben gegen die Reformation, das schon vorher mehrfach Reibungen hervorgerufen hatte, konnte jetzt leicht zum Angriffe reizen, dabei mochte auch ihr reiches Besitzthum manchen, der von Pfeifers Zügen gehört hatte, zu Plünderungsgedanken verlocken. Um zunächst die letztere Gefahr zu beseitigen, übernahm der Rath die Oberaufsicht über die Kirchengüter. Die schon oben erwähnten Inventarien wurden durchgesehen, die Kleinode der Kirchen aber, die am meisten gefährdet schienen, in eiserne Kasten verschlossen und aufs Rathhaus gebracht. Die meisten Kirchen ließen sich dies ohne Widerstand gefallen; nur das Domkapitel und die Nonnen auf dem Frauenberge weigerten sich und erklärten, sie hätten schon selbst Sorge für die Sicherung ihrer Schätze getragen. Unterdeß hatte der durch Münzer erregte Aufstand von Tag zu Tag zugenommen. Durch die goldene Aue hin bis nach Erfurt und Eisenach und über den Harz bis Drübeck, Michelstein, Hunsburg und Aschersleben wurden die Klöster geplündert und verbrannt. Münzer selbst aber brach am zweiten Mai zu dem großen Zuge auf, durch den alle die Ungläubigen unterworfen und das neue Weltreich errichtet werden sollte. Wohin sich der Zug wenden würde, war noch nicht abzusehen; jedenfalls wurde die Gefahr für die Stadt immer dringender.

Der Rath traf zunächst Sicherheitsmaßregelen zum Schutze nach Außen: er verstärkte die Besatzung der Stadt, indem er vierhundert Fußknechte aus der Stadt und „umliegend redlichen Leuten“ war, die von der Stadt besoldet wurden und diese allenthalben besetzten. Dann aber wendete er sein Auge der inneren Sicherung zu, und wie er vorher die Schätzte der Kirchen in Gewahrsam gebracht hatte, so versicherte er sich jetzt der Geistlichen selbst. Am dritten Mai verordnete er, dass alle geistlichen Personen, es seien Priester, Domherren, Vicare oder Möche, so zu Nordhausen sich aufhielten, sich mit Eiden und Pflichten wie Bürger, auch mit Schößen und Wachen und gemeiner Stadtfeuer gleichförmig machen sollen. In Folge dessen wurden sechs Domherren, fünfzehn Vicare, drei Priester, sechs Barfüßer, vier Augustiner, zwei Pröpste zu Bürgern aufgenommen. Ein Theil von ihnen erheiratete gleich das Bürgerrecht, die anderen erkauften es um den üblichen Preis von einer Mark. Es war dies ein für beide Theile gleich wohlthätiger Schritt, und mit Unrecht beklagte sich später das Stift St. Crucis darüber. Uebrigens war der Rath klug genug, sobald die Gefahr vorüber war, die Geistlichen ihres Eides wieder zu entbinden. Dies geschah schon am 21. August desselben Jahres.

Münzer war unterdes mit dem hellen Haufen von Mühlhausen gegen Ebeleben gezogen. Dorthin brachen auch mehrere Nordhäuser auf, von denen uns Hans Sander, sein Stiefbruder Berthold Helmsdorf (ein geborener Mühlhäuser) und Hans Kehner genannt werden. Zwischen Ebeleben und Billeben stießen sie auf eine Haufen der Münzerschen. Sie stellten sich hier als Abgesandte der Nordhäuser vor und baten sie, in ihre Stadt zu kommen und daselbst eine christliche Ordnung zu machen. - Darauf entgegnete der Anführer des Haufens, Pfannenschmidt, sie würden kommen, sobald es sich schickte und wollten die Briefe und die (zwölf)

Artikel mitbringen, und wer sich nicht wohl verantworten könne, den wollten sie absetzen und einen ewigen Rath machen. Sander dankte und bat sie dringend, ja zu kommen, sie sollten auch Kehner zum Bürgermeister machen. Alles das sagte Pfannenschmidt zu und versprach auch ihren Feind, den Rathsherren Lindemann, köpfen zu lassen.

Aus dem späteren Verhör ergab sich übrigens, dass jene Bürger sich fälschlich Gesandte genannt hatten, denn niemand hatte sie gesandt, und dass es nur kleinliche Rachsucht gegen einzelne Rathsherren war, die sie zu dem Schritte bewogen hatte.

Bald erfuhr man in Nordhausen, es seien Abgeschickte der Stadt bei Münzer gewesen; Helmsdorf, Sanders Stiefbruder, hätte zu Kehner gesagt, er solle Bürgermeister zu Nordhausen werden, dazu wollten sie die Heiligen aus der Kirche thun, deutsche Messe und Vesper singen. Im Handwerke der Knochenhauer hatte Sander geredet, es werde zu Nordhausen nicht gut, man schneide denn den Regenten die Köpfe ab und setze andere an die Stelle. - Dumpfe Gerüchte ängstigten die Stadt: man wolle, wenn die Herren Aeltesten beisammen wären, das Rathhaus stürmen und die Herren vom Rathhause werfen, es solle künftig ein Erbrath sein, man wolle den Weinkeller preis machen, wenn die Bauern kämen u. a. Man fand auch an den Häusern, besonders in der Neustadt, Zeichen, die man darauf deutete, dass die Bauern, wenn sie kämen, diese Häuser entweder verschonen oder zerstören würden. Dazu lauteten die Nachrichten von Außen immer bedenklicher, immer näher schlugen an Nordhausen die Flammen des Aufruhrs heran. Die Bauern von Scharzfeld, Clettenberg, dem Harze und der goldenen Aue „waren auf; von den umliegenden Klöstern Walkenried, Ilfeld, Himmelgarten kamen die Aebte mit den Schätzen ihrer Klöster nach Nordhausen geflüchtet. Abt Piletarius von himmelgarten führte die kostbare Bibliothek seines Klosters mit sich herein, die noch jetzt einen werthvollen Schatz der Blasiikirche zu Nordhausen bildet. Wenige Tage und man erhielt Kunde von der barbarischen Verwüstung dieser Klöster.

In dem ungewissen Gefühle eines nahenden Sturmes wollte der Rath vor allem seiner Bürger gewiß sein und so griff er zu dem einfachen Mittel einer offenen Verständigung. Er befragte zunächst die Vierherren, ob sie zu ihm stehen wollten, und wessen er sich von der Bürgerschaft versehen könne. Im Einverständnis mit diesen wurden dann die einzelnen Viertel zu einer Berathung berufen - „ so sie gravamina hätten, sollten sie diese in artikel bringen.“ - Nur von zweien dieser Versammlung haben wir Berichte, und auch diese sind unvollständig. Es war natürlich, dass bei der allgemeinen Aufgeregtheit diese Versammlungen sehr lärmend waren, dass viel Unüberlegtes gesprochen wurde. Auf dem Petrikirchhofe, wo das Rautenviertel versammelt war, wurden folgende Forderungen geltend gemacht: es solle künftig genug sein, wenn einer den Braueid einaml leistete; es solle Niemand dem Anderen in sein Handwerk greifen; man solle keinen Bürger gefänglich einnehmen, er habe denn den Hals verwirkt, auch dass die Herren (der Rath) Rechnung thun sollten. Als der Tumult wuchs, ließ der Schulze Leonhardt Busch dem Rathe sagen, es wäre doch gut, wenn die Herren die Bürger gütlich hörten, und ließ zugleich den Bürgermeister fragen, ob er selbst dorthin gehen solle. Man antwortete ihm: ja, er habe so viel zu verlieren als ein anderer. „Nun,“ entgegnete er „ich will weder weniger noch mehr sein, ich will bei meinen Herren, dem Rathe, lassen Leib und Leben.“ - In der Versammlung muß es sich bereits darum gehandelt haben, ernste Rechenschaft vom Rathe zu fordern, denn nur so lässt sich der Antrag des Schultheißen verstehen, dass die Aeltesten (das Collegium Senatorum, die zwölf Bürgermeister) nicht mehr sitzen sollten, denn es sei ein gefreundeter Rath, und man käme zu keinem Rechte; aber vor dem sitzenden Rathe sei es gut, denn es werde da nichts verzogen und eine Sache komme in vier Wochen zu Ende. Jedenfalls wollte der dem Rathe wohlgesinnte Schultheiß durch diesen Vorschlag anderen gegen den Rath sich richtenden Anträgen die Spitze abbrechen.

- Entweder beschwichtigte die ruhige Rede des besonnenen Mannes den Haufen, oder der ganze Sturm brach sich an der Macht der nachfolgenden Thatsachen, der Niederlage Münzers: von allen den obengenannten Vorschlägen wurde nur einer, dass der Braueid nur einmal zu leisten sei, und auch dieser nur probeweise auf ein Jahr, angenommen.

Gefährlicher war die Richtung, welche die andere Versammlung auf dem Blasiikirchhofe einschlug. Schon in der Versammlung des Rautenviertels hatten einige von Erwählung eines neuen Predigers und Sturm gegen das Stift gesprochen. Auf dem Blasiikirchhofe waren sie bewaffnet erschienen und hatten über die Verjagung der Pfaffen verhandelt. Wohl eine Folge dieser Verhandlungen war nun der Klostersturm, der in diese Tage fällt. Der Rath hatte schon vorher möglichst Vorkehrungen zum Schutze der Klöster getroffen, er hatte die Kleinodien derer, die gefährdet schienen, in seine Verwahrung genommen. Am achten Mai waren Abgeordnete des Rathes im Predigerkloster erschienen und hatten verlangt, dass dasselbe ihnen einen Tag oder drei eingeräumt werde. Schwerlich sollte diese Besetzung nur zum Schutze der Mönche, sondern viel eher zur Sicherung der Stadt dienen, denn das Kloster lag an einem wichtigen Punkte, hart an der Mauer zwischen der Kuttelpforte und dem Marterthurme. Die Mönche willigten in alls ein. Aber in Nacht, berichtet der Prior Ludolf, wurden drei Furchen böser Buben zu uns geschickt, einen Lärm anzuhaben. Wir stillten dieselben mit guten Worten, mit Essen und Trinken, bis wir solches dem Rathe anzeigen konnten. Der Rath sendet auch einige aus seiner Mitte, welche die Ruhestörer verwiesen; aber das Kloster war schon verwüstet. Wie sich später aus den Verhören ergab, waren die Plünderer meist armes Volk aus der Nachbarschaft; einen großen Theil der Schuld trugen aber die Mönche selbst. Sie hatten gleich bei Beginn des Sturmes ihre Sachen zerschlagen und zerrissen, dann Betten und andere Gegenstände über die Mauer geworfen und sich selbst über dieselbe geflüchtet. Damit stimmt überein, dass sie zwar später beim Rathe auf Entschädigung klagten, aber keiner von ihnen in das Kloster zurück wollte. Ein ähnliches Schicksal hatten auch die übrigen Klöster der Stadt. Beim Barfüßerkloster waren es vor allem Bewohner des Altendorfs, welche die Plünderung verübten; aber auch hier hatte der Rath vorher die Urkunden, Siegel und Kleinodien abgeholt und in seine Verwahrung genommen. Das Augustinerkloster wurde vollständig ausgeplündert.

So konnte der Rath trotz aller Bemühungen die Klöster nicht schützen; jedoch scheint sich der ganze Unfug auf die erwähnten Plünderungen beschränkt zu haben, und das niedere Volk, von dem er ausging, bald wieder zur Ruhe gebracht zu sein. Dagegen sollte noch einmal ein heftiger Sturm ausbrechen, als sich ein Haufen der Münzerschen der Stadt selber näherte.

Schon seit Mitte April hatten sich die Bauern des Amtes Scharzfeld und der Grafschaft Honstein in Walkenried versammelt, wo sei im Kloster ein Standlager errichteten, um ihre Haufen kriegerisch auszubilden. Als sie Nachricht von Münzers großem Zuge erhielten, verwüsteten sie das Kloster und brachen am 14. Mai auf, um zu jenem zu stoßen. Ihr Weg führte sie unweit Nordhausen vorbei, und die Nachricht von ihrer Annäherung brachte die unruhigen Köpfe in den Vorstädten zu neuer Bewegung. Es erhoben sich die Hintersättler und die geringeren Leute, hautpsächlich im Altendorfe, gegen den Rath. Zwei von ihnen, Jacob Wallroth und Walther auf den Stelzen beriefen das Volk zu einer Berathung an den Brunnen im Altendorfe. Sie forderten sie zunächst auf, zu Haufe zu treten und ließen sie insgesamt einen Eid schwören, Leib und Gut beieinander zu lassen, und was den Einen betreffe, solle den Anderen auch anlangen. Um dem Haufen Muth zu machen, richtete Wallroth zwei Hakenbüchsen und zwei Gewehre, die sein Genosse Beyer dem Thore und der Feste entnommen hatte, gegen die Stadt und drohte, so der Rath aus der Stadt ihre Diener oder sonst andere Gewalt gegen sie schicken würde, wollten sie sich wehren und Leib und Gut bei einander lassen. Sie erwählten nun vier Sprech- oder Viertelsmeister, und mit diesen zog zunächst ein Theil unter Anführung Walters auf den Stelzen vor das Nonnenkloster im Altendorfe, um dieses zu erstürmen. Die Nonnen gaben ihre Vorrathskammern preis, verschlossen aber die übrigen Räume. Unter immer wachsendem Tumult begann die Plünderung. Man schleppte Speck und Butter heraus, und die Aufrührer theilten sich darin. Weiber kamen mit Säcken gelaufen, da sie gehört hatten, man vertheile das Getreide, sie drohten das Kloster zu erbrechen. Als der Tumult im besten Gange war, schickte Walter auf den Stelzen Botschaft nach der Neustadt und dem Sande und ließ die Bewohner auffordern, sich ihnen anzuschließen; aber diese sagten nichts zu. Gleichzeitig erschienen auch zwei der Anführer, Hans Beier und Fritz Heyse vor dem Rathe mit der Mahnung, zwei Abgesandte zu ihnen zu schicken, das Volk sei auf dem Altendorfe und wolle zum Thore hinaus. Es wurden zwei Rathsmänner geschickt, Eilhardt und Fritzsche Bohne. Als diese ins Altendorf kamen, fanden sie nur noch den Haufen der Plündernden im Kloster, die Uebrigen waren bereits zum Thore hinaus gezogen. Sie gingen ihnen nach und fanden sie an der Salza. Diese Richtung des Weges zeigt an, dass der Haufe sich mit den Scharzfelder Bauern vereinigen wollte, welche diese Weges her von Walkenried kamen. Die Rathsherren forderten die Aufrührer auf, zurückzukehren nach der Stadt; aber einer von ihnen, Paul Muth, entgegnete, es solle keine Noth haben, er wolle ihnen noch fünfhundert Mann schicken (wohl von dem Haufen der Scharzfelder Bauern).

Welches das Schicksal diese Aufrührer gewesen ist, ob sie sich wirklich mit dem großen Haufen der Bauern vereinigt haben, wird nicht berichtet. Als die letzteren anderen Tages nach Heringen kamen, erreichte sie die Nachricht von Münzers Niederlage bei Frankenhausen und sie stoben erschreckt auseinander.

Für Nordhausen war diese Nachricht das Signal der Rettung; allen Unruhen war sofort ein Ziel gesetzt, und der Rath konnte wieder mit Sicherheit durchgreifen. Strenge Maßregeln waren zunächst nöthig, um Ruhe und Ordnung in der Stadt herzustellen. Denn die Anhänger Münzers hatten sich nach dem schmählichen Fall des Propheten gerettet, wohin die Angst sie zunächst trieb, und auch Nordhausen war mit Flüchtlingen überfüllt. Um dieser bedenklichen Elemente Herr zu werden, verhängte der Rath eine Art Belagerungszustand. Am 21. Mai wurde bekannt gemacht, dass Niemand, der an dem Aufruhr Theil genommen haben, sicheres Geleit bekommen solle, Niemand solle ferner Büchsen, Messer und andres Mordgewehr tragen. Einige Wochen später wurden Bevollmächtigte ausgeschickt, welche etliche ihrer Bürger und Untersassen, die um ihre beschwerliche Misshandlung ausgetreten, aufsuchen sollten, damit sie vor Gericht gezogen werden könnten. Die Gefängnisse waren in Folge dessen überfüllt und blieben es bei dem langsamen Gange des Gerichtsverfahrens noch die nächsten zwei Jahre.

Zunächst trug der Rath für Zurückstellung der aus den Klöstern geraubten Gegenstände Sorge. Er forderte kurz nach der Schlacht die Bürger auf, wo sie etwas aus den Kirchen und Klöstern genommen hätten, dies binnen acht Tagen abzuliefern. Die Mönche hatten Verzeichnisse der geraubten Gegenstände eingericht, aus denen hervorgeht, wie gründlich die Plünderung gewesen war. Getreide, Hülsenfrüchte, Hanf, Lebensmittel, Betten, Möbel, Hausgeräth, selbst die Pfeifen aus der Orgel waren weggeschleppt. Ein Theil des Raubes wurde wirklich zurück erstattet; der größere war freilich schon verschleudert und verwüstet.

Durch die nächsten Jahre ziehen sich die Processe gegen die Gefangenen, die sich am Aufruhre betheiligt hatten. Am strengsten wurde gegen die Auswärtigen verfahren, meist Mühlhäuser, welche den Gerichten ihrer Stadt entflohen waren, um sich, auf Verwandte oder sonst Ansprüche gestützt, ein Asyl in Nordhausen zu sichern. Sie wurden als gefährliche Verführer entweder mit längerer Haft oder mit Verweisung bestraft. Die einheimischen Verbrecher wurden dagegen glimpflicher behandelt, als man erwartet hatte. Die am schwersten Beschuldigten traf Haft oder Ausweisung, die Uebrigen wurden mit geringer Buße entlassen. Auch die fünf Rädelsführer des Aufruhrs im Altendorfe, denen die Schöffen zu Leipzig die Strafe des Schwertes zuerkannt hatten, wurden nur mit Verweisung bestraft. Das Todesurtheil hatte der Schöffenhof gleichfalls über die beiden Hauptschuldigen aus der Oberstadt, Sander und Kehner, verhängt, aber nur an letzterem wurde dasselbe am 21. Juli vollzogen. Sander widerrief sein Geständnis, er wurde in Folge dessen in das Gefängnis zurückgeführt, und es gelang ihm später durch Verwendung von Gönnern gegen eine Geldsumme und Räumung des Gebietes loszukommen. Kehner wurde dagegen hingerichtet: ihm mochte der Rath heftiger zürnen, da er bereits zum künftigen Bürgermeister bestimmt war. Es wurde ihm zuerst die Hand, dann der Kopf abgehauen, und zum Gedächtnis an diese Strafe eines meineidigen Bürgers eine Hand mit ausgestrecktem Schwurfinger und ein Kopf, in Stein gemeißelt, an der Außenseite des Rautenthores eingemauert. - Hartnäckig aber blieb der Rath denen gegenüber, die sich ihrer Strafe durch die Flucht entzogen hatten und nun um die Erlaubnis zur Rückkehr in die Stadt baten - sie blieben verbannt.

Schnell und ohne weitere strenge Maßregeln wurde so die Ruhe wieder hergestellt. Man konnte schon Milde übern, denn der Schrecken der Hinrichtungen besonders in Mühlhausen und im Stolberg’schen hatte die unruhigen Köpfe hinreichend eingeschüchtert. Rath und Bürgerschaft durften freudig aufathmen, sie fühlten sich nicht nur erlöst von schwerer Besorgnis, sondern die Zukunft bot ihnen noch reichen Ersatz für das Erlittene. Während in Mühlhausen eine Reaktion begann, die alle Religionsfreiheit unterdrückte und selbst die politische Freiheit der Stadt zu vernichten drohte, kam Nordhausen ohne besondere Kränkung seiner Rechte und seines Vermögens davon, ja es zog sogar eine stattliche Erbschaft. Fünf Klöster standen verlassen, zum Theil wüst: es bedurfte nur einer festen und geschickten Hand, um sich ihres reichen Besitzthums zu bemächtigen. Unverkennbar hatte sich der Rath schon auf diesen Fall vorbereitet. Die Inventarisation, die theilweise Beschlagnahme der Klosterschätze, das Eindrängen in die Verwaltung der Klostergüter waren Schritte, die nicht bloß durch die augenblickliche Noth hervorgerufen waren, sondern auch Pläne für die Zukunft, einschlossen.

Der größte Theil der Klöster wurde ziemlich leicht erworben ihre Insassen hatten sich zerstreut und zeigten keine Lust zurückzukehren. Von den Dominikanern war ein Theil bereits als Landpfarrer angestellt, einige hatten sogar schon geheiratet. Sie forderten wie auch die Barfüßer und Augustiner nur entsprechende Abstandssummen für die Aussteuer, die sie einst dem Kloster zugebracht hatten. Ein einziger alter Mönch blieb noch im Augustinerkloster bis zu seinem Tode 1537 zurück. - Das Nonnenkloster im Altendorfe war verlassen und scheint ohne Widerspruch der Stadt zugefallen zu sein; in das Frauenberger Kloster dagegen kehrten nach zwei Jahren die Nonnen zurück und hielten sich bis 1557, wo das Kloster mit Zustimmung der letzten vier Nonnen in eine Mädchenschule verwandelt wurde.

Fest und unerschütterlich blieb allein das Stift St. Crucis. Wie es in den unruhigen Zeiten standhaft alle Gewalthätigkeiten ausgehalten hatte, war es auch unzugänglich gegen alle freundliche Näherung. Gestützt auf den besonderen Schutz, den ihm Kaiser Karl V. 1530 zugesagt, und mit dem dieser den Herzog Georg von Sachsen betraut hatte, wies es jeden Versuch einer Einigung zurück und so stand es schließlich in ganz eingenthümlicher Lage, völlig vereinzelt, inmitten einer druchaus protestantischen Stadt da, oft von dem gereizten Rathe in seinen Rechten angegriffen, oft auch selbst zum Angriffe übergehend. So hat es bis zu seiner Säkularisation, im Anfänge dieses Jahrhunderts, die mittelalterliche Rolle eines Staates im Staate durchgeführt.

Dem Rathe war durch die Besitznahme der Klostergüter der Weg, welchen er künftig einzuschlagen hatte, bestimmt vorgezeichnet. Wollte er dies Besitzthum dauernd, wahren, so musste er festhalten an der Reformation. Und so sehen wir denn von jetzt ab Nordhausen fest auf der Seite der Evangelischen. Bei Reichs- und Städtetagen, in theologischen und politischen Kämpfen, überall vertritt es die ansichten und theilt es die Schicksale seiner Partei.

Auch im Inneren wurde die Reformation planmäßig durchgeführt. Da das Stift St. Crucis in entschiedenem Gegensätze zur Stadt stand, so wurde das Verhältnis desselben zu den Kirchen der Stadt gelöst, und der Rath übernahm das Patronat derselben. Die Gehaltszahlungen an die Pfarrer wurden normiert, und dazu die Einkünfte aus den eingezogenen Klostergütern verwendet. Zum Entwürfe aber und zur Ausführung der kirchlichen Ordnung stand dem Rathe der Mann zur Seite, der bereits in hervorragender Weise seine Befähigung zu diesem Weke bewiesen hatte, Johannes Spangenberg.

Luther und Melanchthon waren die Vorbilder, an welche sich Spangenberg bei seinen Reformen anschloß. Wie verständnisvoll er Luthers Geist erfasst hatte, bezeugt dieser selbst, in dem er Spangenberg unter den Dreien nennt, die er als seine ächten Schüler bezeichnete. So energisch und bestimmt er bei seinen Einrichtungen verfahren, so nachsichtig war er wiederum, wo es galt unschädliche, von Alters her lieb gewordene Gewohnheiten zu beseitigen. So sind gerade in seiner Kirche St. Blasii, eine Reihe ursprünglich katholischer Gebräuche zum Theil bis zu Anfang dieses Jahrhunderts geblieben, weil ehemals Spangenberg sie beibehalten hatte.

Aber daneben auch Melanchthons Spuren folgend, hat sich Spangenberg ein unsterbliches Verdienst erworben durch die Begründung des Nordhäuser Gymnasiums. Während der Stürme des Jahres 1525 hatten sich die beiden lateinischen Schulen der Stadt, die Stiftschule und die Schule zu St. Jacobi, aufgelöst. Die Lehrer der Jacobischule waren geflohen; das Stift aber lebte mit der Stadt in Unfrieden, seine Schule wurde nicht besucht und sank zur Trivialschule. So nahm denn Spangenberg diesen Theil der Jugenderziehung in seine hand. Er sammelte in seinem Hause eine Reihe der bemittelteren Schüler und unterrichtete sie mit Hilfe eines Hauslehrers. Bald reichte diese Räumlichkeit für die wachsende Zahl der Schüler nicht mehr aus, und so bewog Spangenberg den Rath, ihm die öden Räume des Dominikanerklosters für sein Schule zu überlassen. Auch der Provinzial des Dominikanerordens in Sachsen, Hermann Rab, gab 1531 seine Zustimmung, und so wurde denn die Schule als Städtisches Gymnasium in den Räumen eröffnet, die sie zum Theil jetzt noch inne hat. Unter der Leitung Spangenbergs und der Wirksamkeit tüchtiger Lehrer, die er mit sicherem Blicke zu wählen verstand, blühte die Schule bald zu einer bedeutsamen Pflegestätte evangelischen Geistes heran. Noch ein weiteres Verdienst erwarb sich Spangenberg als Schriftsteller. Er schrieb eine stattliche Reihe von Büchern, Erbauungsbücher, Schulbücher und hymnologische Schriften, von denen einige so beliebt waren, dass sie noch bis in das vorige Jahrhundert hinein neue Auflagen erlebten.

Alle Berufungen nach auswärts hatte Spangenberg aus Liebe zu seinem Nordhäuser Wirkungskreise ausgeschlagen, da rief ihn seines großen Freundes Luthers Wort nach Eisleben. Böse Händel und Irrungen waren dort zwischen den Grafen von Mansfeld, ihren Unterthanen und der Geistlichkeit ausgebrochen. Luther selbst war trotz seiner Körperschwäche nach Eisleben gereist, um Versöhnung zu stiften, aber der Tod erreichte ihn, ehe das Werk vollendet war. Zur Durchführung desselben wurde auf des Sterbenden Wunsch Johannes Spangenberg als Oberprediger zu Eisleben und Generalsuperintendent in Mansfeld berufen. Der Wunsch des Sterbenden war für Spangenberg ein heiliges Gebot. Er verließ 1546 Nordhausen und warf sich mit der größten Aufopferung in die neue, aufreibende Thätigkeit. Nach vier Jahren starb er in Folge von Überanstrengung.

Mit Recht verdient Spangenberg einen Platz neben den hervorragendsten Männern der Reformation. Wir finden in ihm den erhabenen Geist, der jene Zeit belebt, in seinen edelsten Zügen ausgeprägt. Jener kindlich fromme Sinn, der mit seinem ganzen Wesen in dem Worte des Herren wurzelt, verbunden mit dem Drange, auch andere zu gleicher Frömmigkeit zu wecken, jene Liebe und Aufopferungsfähigkeit, die sich allein der erkannten Wahrheit und deren Verbreitung opfert, dazu der klare und praktische Blick, das sichere Verständnis für die Erscheinungen des Lebens: alles dies waren Eigenschaften, die in seiner segensreichen Thätigkeit glänzend hervortraten. Mit Recht schrieb daher Melanchthon nach seinem Tode den Eislebern, sie sollten stets seinen Namen und die Zeit seiner Wirksamkeit in treuem Gedächtnis behalten, damit die Nachkommen wüssten, welchen Zeugen das wahre Wort an ihm gehabt hätte und auch sie seine Lehren bewahrten. Seinem glänzenden Organisationstalente verdankt Nordhausen die feste und sichere Einrichtung seiner Kirche, so wie die erste Begründung seiner Schule, welche beide ihre Festigkeit bald nach Spangenbergs Weggange in schweren Kämpfen zu bewähren hatten. Schwerlich wären aber Spangenbergs Organisationen so ungestört und sicher durchgeführt worden, wenn nicht damals innerhalb des Rathskollegiums ein Mann gestanden hätte, der eben so klug wie energisch die Sache der Reformation unterstützt hätte. Es war dies der damalige Syndikus, spätere Bürgermeister, Michael Meienburg. Sein Geburtsort ist unbekannt; er erscheint zuerst 1520, ungefähr dreißig Jahre, alt, als Stadtschreiber in Nordhausen. Bald darauf erhält er den einflussreichen Posten eines Syndikus, 1540 das Amt eines Bürgermeisters, das er bis zu seinem Tode 1555 bekleidet hat. Meienburg ist eine der glänzendsten Erscheinungen jener Zeit. Sein scharfer Verstand, seine politische Einsicht machten ihn vor allen geeignet zur Leitung der städtischen Verhältnisse. Wiederholt hat er die Stadt an Reichstagen, Städtetagen, Kreistagen vertreten, und hier glänzte er nicht blos durch die diplomatische Feinheit und Geschick in Verhandlungen, sondern auch durch seine vornehmen, weltmännischen Formen. Eben so war er in Nordhausen schon als Syndikus die hervorragendste Persönlichkeit und der eigentliche Leiter der Stadt, und wie er die Anderen geistig überflügelte, so wusste er sich auch durch sein vornehmes Auftreten äußerlich Ansehen zu verschaffen.

Schon 1523 erscheint er als Besitzer eines stattlichen Hauses auf dem Hagen, das für die damalige Zeit und besonders für Nordhäuser Verhältnisse glänzend eingerichtet war. Es war angefüllt mit Sehenswürdigkeiten, aller Art, vor allem wird die Gemäldesammlung gerühmt, in welcher sich die Bilder der bedeutendsten damaligen Gelehrten, zum großen Theil Meienburgs Freunde, befanden. Weit berühmt war dieses Haus wegen seiner Gastlichkeit. Meienburg hatte sich auf seinen vielen Reisen eine ausgebreitete Bekanntschaft in vornehmen und gelehrten Kreisen erworben, und wer irgend von Bedeutung durch Nordhausen kam, Standespersonen, Gelehrte, Künstler, verfehlte nicht bei ihm vorzusprechen. So haben auch die Reformatoren Luther, Melanchthon, Jonas oft als Gäste in diesem Hause verweilt, Melanchthon besonders war eng mit Meienburg befreundet und stand auch in lebhaftem Briefwechsel mit ihm. Ein Denkmal der Freundschaft Meienburgs mit Lukas Cranach aber, dem Maler der Reformation, sind zwei wertvolle Gemälde, das Epitaphium der ersten Gemahlin Meienburgs und das der Familie Meienburg, welche noch jetzt die Blasiikirche zu Nordhausen schmücken.

Meienburg war ein warmer Förderer der Reformation, ihm zumeist verdankt es die Stadt, dass sie bei der Durchführung derselben vor allen ernsten äußeren und inneren Kämpfen bewahrt blieb. Da er durch seinen Verkehr auf Reichs- und Städtetagen mit den allgemeinen Verhältnissen vertraut war, konnte er der Stadt in allen religiösen Streitigkeiten immer die richtige Stellung geben, vornehmlich dem misswollenden Kaiser gegenüber. In seiner städtischen Wirksamkeit war er besonders auf Herbeiziehung frommer und tüchtiger Prediger bedacht. Er habe, sagt er in einem späteren Schreiben, die Prediger des heiligen Evangelii auf das Trefflichste befördert, halte auch, dass alle, so allhier das Evangelium gepredigt, zuförderst durch Schickung des allmächtigen Gottes durch ihn (Meienburg) hierher gebracht seien. Zwischen den Predigern selbst suchte er Eintracht und Frieden zu erhalten; wo Streitigkeiten entstanden, trat er mit aller Macht seiner amtlichen und persönlichen Würde gegen die Ruhestörer auf.

Mit gleicher Energie aber führte er einen anhaltenden Kampf gegen das Stift St. Crucis; es schien ihm fast eine persönliche Aufgabe, diesen letzten Rest des Katholicismus aus der Stadt zu beseitigen. Wiederholte Klagen der Domherren bezeugen, wie unermüdlich er in seinen Angriffen war. Ja er soll es zur Pestzeit (1529 oder 1550?) schon dahin gebracht haben, dass in der Domkirche evangelisch gepredigt wurde. Von ihm sollen auch verschiedene Spottmünzen auf den Papst ausgegangen sein, welche damals in Nordhausen umliefen.

Es ist erklärlich, dass er sich dadurch manche Feindschaft zugezogen und manche Verunglimpfungen seines Charakters erfahren hat. Dem gegenüber können wir das Zeugnis des Kanzlers Schütz in Merseburg stellen, dass der alte Meienburg für einen aufrichtigen, redlichen und um die ganze Stadt Nordhausen wohlverdienten Mann gerühmt wird, und dass der Rath seine nutzbare, fleißige, langwierige und aufrichtige Dienstleistung genossen. Und wenn durch nichts anderes, schon durch die Förderung, die er der Reformation leistete, hat er dieses Lob verdient.

So ist Nordhausen evangelisch geworden. Selten wohl hat die Reformation so still und so siegreich ihren Einzug in eine Stadt gehalten. Es war alles vorbereitet, als sie kam; sie war festgewurzelt, ehe überhaupt ein Kampf gegen sie begann, und der Sturm von Außen, der sie zu brechen drohte, gereichte ihr nur zur Kräftigung. Ein gütiges Geschick aber sandte ihr einen Spangenberg, einen Meienburg, unter deren sorgsamer Pflege der junge Stamm zum kräftigen Baume empor wuchs.