Die Finkenburg – Ein Nordhäuser Dichtermärchen

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Textdaten
Autor: Grete Steinecke
Titel: Die Finkenburg – Ein Nordhäuser Dichtermärchen
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aus: Nordhausen. Wie es unsere Dichter sahen…
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Erscheinungsdatum: 1927
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Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
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Die Finkenburg.
Ein Nordhäuser Dichtermärchen von Grete Steinecke.


So traurig war das Dichterlein, daß seine sonst so strahlenden Augen von Tränen trüb verhangen schienen, wie ein blaublauer Sommersonnenhimmel, wenn Regenwolken drüber hinhuschen … armes Dichterlein … seine braunen Locken, die sonst so munter um sein lachendes Gesicht gestanden, hingen müde, sein Gang war matt, und er ging doch sonst mit federnden Schritten im Takte eines ewig jauchzenden Liedes, das Frohsinn in seinem Herzen sang. Tag um Tag hatte er den Liedern gelauscht, sie in Worte und Töne gesetzt und lachend seiner Liebsten mit übervollen, verschwendenden Händen geschenkt … Sie hatte sie alle gesammelt und einem andern gegeben, sein Lachen, seine Lieder, seinen Frohsinn genommen und war mit dem andern in die Weite gezogen.

Nun war die Welt so trübe, sein Herz so tränenschwer … verraten seine Liebe, die Hände, ach, so leer …

Wollte er singen, sein Mund blieb stumm,- lauschte er dem Liede tief innen … da war alles tot,- und wollte er schenken … seine Hände blieben leer.

Jetzt schlich er mit müden Schritten traurig durch die Stadt … Weiter und weiter wandelte er auf Wegen, die tief hinein in die Einsamkeit führen. Da gingen nur Sonnenstrahlen spazieren, hatten sich munter ungefaßt und tippelten wie ein paar tänzelnde, leichte Mädelchen vor ihm her, die goldenen Löckchen flogen im Winde, die goldenen Röckchen standen solch Kinde rund wie ein Kreisel um die zarten Beinchen … sie sah'n gar putzig aus die Sonnenscheinchen … fast hätte er ein wenig gelächelt. Lustig marschierten ein paar Käferlein mit Wanderranzen auf dem Rücken, und lustig tanzten im Sonnenschein die winzig, feinen Mücken.

Dichterlein war müde, gar so müde vom Denken und Weinen und Wandern, suchte sich ein Lager auf schwellendem, grasgrünem Moos und wollte schlafen, träumen, vergessen. Aber ehe er sich hinlegte, griff er behutsam hierhin und dorthin, keinem Käferchen, keiner Fliege mochte er wehe tun. Er legte sie sacht auf einen anderen Platz … er griff nach einem winzigen Etwas und hielt ein totes Vöglein in der Hand — armes, armes Tierchen …

Ganz behutsam nahm er's in seine schlanken, schneeweißen Hände und strich ihm die zerzausten Federn glatt und küßte es ganz leis auf das spitze, stumme Schnäbelchen, da hörte er das kleine Herz ganz, ganz sachte schlagen, ein paar Tröpfchen Wasser träufte er in's Schnäbelchen, noch einmal … und wieder und wieder, plötzlich schlug es die kugelrunden, schwarzen Beerenaugen auf und sah ihn lange, lange an … „Schilp, schilp“ machte es ganz, ganz leise.

„Versteh dich nicht, kleiner Finkenhahn“, sagte er traurig.

Pickte der Fink mit spitzem Schnabel dreimal an das Ohr des Dichters und strich ihm mit dem linken Flügel dreimal über die strahlenden Augen und flog davon.

Er seufzte tief und legte sich müde zurück und träumte … schlief … oder träumte er nicht …

Was war das für ein süßes seliges Singen und Klingen! Ein überaus zartes, feines Lied zog träumend durch die Welt. Als er suchend aufsah, saß auf dem Baume über ihm der kleine Fink,- aber nein, das war ja ein Wundermärchenvogel mit einem goldenen Krönlein, einem purpurroten Federmantel und einem Scepter im linken Flügel.

„Menschlein, Menschlein“, klang es leise, „Menschlein, mach dich auf die Reise … Märchenwunder sollst du schauen … das Märchenwunder, die Schönste der Frauen,- Menschlein, Menschlein rüste dich fein. Und er sang. So selige Lieder hörte ich nie, dachte sehnend der suchende Träumer. Die Lieder fielen Ton um Ton wie diamantene Tropfen aus dem spitzen Schnabel des Finkenkönigs … er wollte sie sammeln, griff und griff, aber seine Hände blieben leer. Er lauschte sehnsuchtsvoll, aber sein Herz blieb ach, so tränenschwer.

„Komm mit, komm mit!“ rief der Königsvogel und flog zum nächsten Baum und dann wieder zum nächsten weiter und weiter. Er folgte ihm wie im Traum. Es war inzwischen Nacht geworden. Der Mondschein legte silberne Bänder auf die Wege, die Sterne warfen hunderttausend sprühende Feuerfunken hernieder, und wieder und wieder sang der Vogel die seltsamen Lieder. Es war ein wundersames Wandern. Sie schritten durch die schlafende Stadt, um die ein Schweigen heut seinen samtnen Mantel geschlungen hatte und kamen an ein uraltes Haus, über dem der Dom seine Turmfinger drohend gen Himmel streckte. Zwölf schlug die Glocke, da tat sich die Tür des stillen Hauses von selber auf. Der Finkenkönig flog die Stufen hinauf. Bis auf den Boden mußten sie steigen. Vor einer Tür in der weißen Wand mußte er sich dreimal verneigen … aber sie öffnete sich nicht.

Sinnend saß der Vogel. „So warte eine Weile, ich hole Hülfe — der Bann ist stark, aber wir sind stärker, denn du bist gut, und gut ist mehr denn böse.“

Der Dichter war allein, er öffnete ein Dachfenster und träumte dem Zauber der mondenhellen Maiennacht nach. Ein leises Hoffen war in seinem Herzen und ein Freuen, ein Warten auf etwas Wundersames, das seine Seele lösen mußte.

Da war ein Rauschen in der Luft und ein Brausen und tausend und abertausend Finken kamen geflogen — ein ganzes Heer hatte der König aufgeboten. Prächtig schimmerte und flimmerte seine goldene Krone, wie eine rosenrote Wolke flog sein Purpurmantel durch die Nacht. Es Hub ein emsiges picken an,- jedes Eckchen, jedes Fleckchen, auf jedem Stein, an jeder Holzfaser der verschlossenen Türe pickten und pickten und hackten und zwackten die Finken — und plötzlich sprang sie auf.

Geblendet vom Glanze eines strahlenden blauen Lichtes schloß der Träumer die Augen. Dann stand er in einem zauberhaft schönen Gemach. Mit purpurroter Seide waren die Wände behängen, ein goldener Schrein glitzte und blitzte im Schein einer blaublauen Blume, die zu Häupten eines wunderfeinen Mägdleins blühte und glühte. Unter einem Seidenbaldachin schlief das schönste Wesen, das je ein Menschenauge sah,- von goldenen Locken strahlend umrahmt ein unsäglich süßes, schneeweißes Gesichtlein, darin wie Purpur so rot die Lippen brannten. Der Träumer wagte nicht näher zu gehen. Da setzte sich der Finkenkönig auf ein Blütenblatt der leuchtend-blauen Blume und sang ein so seliges Liebeslied, daß ihm die Sinne in Minne vergingen. Er küßte scheu die blumenblattzarten Hände, die schlafenden Augen und zuletzt den roten, roten, glühenden Mund. Sie schlug die Augen auf, war lebend, wach … „Du, du, mein Retter“ — und sie küßte ihn wieder und wieder und sprach mit süßer Silberstimme von all dem Leid, das die Zauberin Zeit und Vergessenheit über sie gebracht, wie sie Jahr um Jahr festgebannt hatte schlafen müssen. „Sage nennen mich die Menschen seit vielen, vielen Jahren … Du bist gut und rein. Ein reiner Tor nur durfte mich küssen … erwecken … erlösen. Dieses Haus ist dein, und dein ist der Schrein.“ Sie gab ihm ein Schlüsselein zu dem leuchtenden Schrein. Er sprang auf. Darinnen lag ein zuckendes, schlagendes Herz. Tropfen um Tropfen fiel rot-rotes Blut bei jedem Schlag in eine goldene Schale. „So nimm sie doch“, sagte das Mägdlein leise,- und jeder Tropfen aus der goldenen Schale war eine Mär und jeder Ton des Vogels ein Lied. Gar nicht fassen konnte der Dichter all das Singen und Klingen. Allen Menschen schenkte er mit übervollen Händen. Er war der reichste, glücklichste, seligste Mann im ganzen Lande,- aber er barg seinen kostbaren Schatz vor den Blicken der Menschen … und sein Haus, das ihn barg, nannte er zum Gedenken an seine Helfer „Finkenburg.“