Die Besetzung der Stadt Nordhausen und die Uebernahme ihrer Reichsämter durch Preußen

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Textdaten
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Autor: Hans Silberborth
Titel: Die Besetzung der Stadt Nordhausen und die Uebernahme ihrer Reichsämter durch Preußen
Untertitel:
aus: Preußen und Hannover im Kampfe um die Freie Reichsstadt Nordhausen
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1936
Verlag: Verlag Theodor Müller
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Erscheinungsort: Nordhausen am Harz
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II.
Die Besetzung der Stadt Nordhausen
und die Uebernahme ihrer Reichsämter durch Preußen


Die Überrumpelung Nordhausens durch preußische Truppen in der ersten Frühe des 7. Februar 1703, die Besetzung der Stadt und die ersten Unbequemlichkeiten, die der Einwohnerschaft daraus erwuchsen, sind oft genug geschildert worden, so daß sie Übergängen werden können.[1] Dagegen interessieren noch nicht benutzte gleichzeitige Berichte und unter diesen besonders wieder kursächsische, welche die Beweggründe für das Vorgehen Preußens und ihre Beurteilung in jener Zeit recht deutlich werden lassen.

Der sächsische Legationsrat Wolter berichtete seiner Regierung, der preußische König habe sich selbst nach Magdeburg be-geben, das von Nordhausen und Hildesheim etwa gleich weit entfernt ist. Von Magdeburg aus wurden zwei Bataillone gegen Hildesheim angesetzt, und zugleich wurde die Nachricht ausgesprengt, man wolle in Hildesheimisches Land einfallen und solange darin verweilen, bis die Celleschen Truppen Hildesheim geräumt hätten. Unterwegs — also offenbar in der Nähe Halberstadts — änderten diese Truppen aber die Marschrichtung, gelangten über den Harz und besetzten überraschend Nordhausen. Ferner wurde von den Preußen noch ein Herr von Marschall nach Gotha entsandt, um den Herzog zu vermögen, im Notfalle, d. h. gegen Hannover, den Preußen noch 2000 Mann zur Verfügung zu stellen. Außerdem wurden zwei Regimenter Pommersche Dragoner gegen Halberstadt in Marsch gesetzt.

Tatsächlich datiert der erste Marschbefehl des Königs an den Obersten von Tettau aus Magdeburg vom 3. Februar; Tettaus Instruktion ist vom 4. Februar datiert.

Allgemein nahm man zunächst in Sachsen, das die Schutzhoheit über Mühlhausen hatte, an, Preußen werde auch diese Reichsstadt besetzen. Doch wußte Geheimrat von Flemming, sächsischer Gesandter in Berlin, schon am 24. Februar zu melden, Mühlhausen sei nicht bedroht; Nordhausens Einnahme sei nur als Gegenmaßnahme zur Besetzung Hildesheims zu bewerten. Es heiße auch, Preußen verlasse die Stadt wieder, wenn Celle Hildesheim freigebe. Doch diesem Versprechen sei wenig zu trauen.

Eindringlicher noch enthüllen die Berichte des sächsischen Residenten beim Reichstage in Regensburg, des Grafen von Werthern, und des Generalmajors von Wackerbarth aus Wien die Beweggründe für das hannöversche und preußische Vorgehen.

Hannover-Celle suchte zunächst der Stadt Hildesheim nur seine Macht zu Gemüte zu führen und es wegen der dauernden städtischen Unruhen zu verwarnen; an eine Einverleibung der Stadt in welfisches Territorium war wohl nicht gedacht. Ebenso lag Hannover nichts am Besitze Nordhausens, wohl aber daran, daß Preußen nicht die Schuhhoheit über die Stadt erlange und daß die Aemter in der Hand Sachsens blieben. Wenn Preußen den Fuß nach Nordhausen setzte, fühlte sich Hannover nicht nur wirtschaftlich am Südharze beeinträchtigt, sondern auch militärischpolitisch bedroht, da der Besitz Nordhausens ein weiterer Schritt zur „Communication“ der verstreuten preußischen Gebietsteile war.

Preußen, das in den vorhergehenden Jahrzehnten schon so oft geprellt, wollte seine mit Opfern errungene Beute nicht wieder fahren lassen und Nordhausen ganz in Besitz nehmen, wenn Hannover in Hildesheim blieb, zumal dadurch sein Verkehr mit den westfälischen Besitzungen auf der Linie nördlich des Harzes noch mehr als bisher erschwert wurde. Es drohte beim Reiche, es werde alle seine Truppen aus dem Spanischen Erbfolgekriege zurückziehen, wenn ihm nicht „Satisfaction“ gegeben werde.

Der Kaiserliche Hof, an den Nordhausen am 19. Februar eine entrüstete Darstellung über die Besetzung sandte, war bei diesen Auseinandersetzung wie immer geneigt, für Hannover Partei zu ergreifen, wagte es aber nicht wegen seines Hauptkriegsschauplatzes und wurde vor allem von England und Holland besorgt angegangen, ja zu vermitteln, damit die gemeinsame Sache nicht leide. Auch der hohen Geistlichkeit wollte der Kaiser nicht zunahe treten. Die großen Bistümer Münster und Würzburg unterstützten Preußen gegen den hannoverschen Frevel am Bistum Hildesheim, so daß der kluge preußische Gesandte von Bartholdi am 24. Februar aus Wien melden konnte, daß „dem Hause Hannover das Konzept verrückt worden, dem die Katholischen wegen der Besetzung der Stadt Hildesheim nicht viel Gutes gönnten“. Schweden wiederum interpellierte beim Kaiser gegen Preußen, weil es Bremen gefährdet glaubte, und schließlich der König von Dänemark als Herzog von Holstein nahm wieder Partei für Preußen, weil er mit der Lelleschen Verwaltung des Niedersächsischen Kreises unzufrieden war. Bei diesem Durcheinander, das die Besetzung zweier kleinerer deutscher Städte verursachte, konnte der Kaiser nicht anders, als beiden Friedensbrechern, Preußen und Hannover, anzuraten, die Besatzungen aus den Städten wieder zu-rückzuziehen und im übrigen den Spruch seines Reichshofrates über die Gerechtsame in Nordhausen abzuwarten.[2]

Da konnten sie freilich lange warten, und deshalb sah es gegen Ende Februar 1703 fast so aus, als ob es doch zu blutigen Händeln zwischen den beiden norddeutschen Staaten kommen werde. Dabei hätte sich Hannover ganz auf den Niedersächfischen Kreis verlassen können. Von dort aus wurde zunächst Mühl-hausen gewarnt sich vorzusehen. Dann aber, als es hieß, Schweden „werde Völker hergeben, die Stadt Nordhausen zu befreien“, kamen gar Nachrichten, der ganze Niedersächsische Kreis mache mobil, um „Gewalt mit Gewalt zu vertreiben“. Dadurch war gerechtfertigt, daß die preußischen Truppen in Nordhausen äußerst wachsam waren, Schultheiß Röpenack mit Hilfe der preußischen Regierung in Ellrich einen regen Späherdienst bis auf die Eichs-felder Berge organisierte und Tettau am 9. Februar in Magdeburg um eine Kompagnie Dragoner für die Aufklärung ansuchte. Doch wußte der tüchtige Forstmeister von Mitzschefal zu Maude-rode und Liebenrode bald zu berichten, daß sich bis zur Linie Osterode—Heiligenstadt keine Truppenbewegung feststellen lasse. Tatsächlich dachte Hannover auch nicht daran, um Nordhausens willen einen Waffengang mit Preußen zu wagen, sondern bediente sich anderer Mittel, um seinem Gegner das Leben schwer zu machen.

Was hatte sich nun im Laufe des Februar in Nordhausen selbst abgespielt? Den an anderen Stellen mehrfach wiedergegebenen dramatischen Nordhäuser Berichten gegenüber sticht der des Obersten von Tettau, den er durch den Kammerjunker von Wilck-nitz dem Könige überbringen ließ, durch seine schlichte Sachlichkeit ab: „Ew. Kgl. Majestät allergnädigstem Befehl gemäß bin ich heute morgen umb 3 Uhr mit den mir anvertrauten Truppen in diese Stadt gekommen, nachdem ich mich eine Stunde zuvor zweier Pforten mit wenig Leuten sonder Verlust noch Beschädigung eines Menschen bemächtigt. Ich habe die … Instruktion im allgemeinen befolgt, so daß nicht die geringste Konfusion bei dieser kleinen entreprise vorgefallen. Dem Syndikus und Bürgermeistern habe ich die Ursache, so Ew. Kgl. Majestät bewogen, sich dieses Ortes zu versichern, gesagt. Ich ersuche demnächst Ew. Kgl. Majestät, mir allergnädigst zu befehlen, wie ich mich weiterhin mit den Leuten zu verhalten habe.“[3]

Derartige Berichte Tettaus folgten nun zunächst Tag für Tag. Zwei Bataillone in Stärke von 1100 Mann mit mehreren Geschützen und einem Zuge Kavallerie waren in Nordhausen eingerückt. Davon wurden am 24. Februar 6 Kompagnien gegen andere Truppen ausgewechselt, so daß die Truppenzahl etwa dieselbe blieb. Doch nach den Verhandlungen, in denen Nordhausen die Schutzhoheit Preußens annahm, rückten am 8. März 5 Kompagnien und 2 Geschütze nach Magdeburg hin ab; die Garnison wurde also stark vermindert.

Gleich am 7. Februar ließ Tettau den Nordhäusern ihr schweres Geschütz, einen Mortier (12-Pfünder Mörser) und acht „schöne metallene Stücke“ wegnehmen. Auch das Arsenal von Flinten und Büchsen wurde beschlagnahmt. Sämtliche Tore wurden von preußischen Truppen beseht, die Wachen, besonders die Hauptwache auf dem Markt, von ihnen bezogen. Die Schlüssel der Stadt mußten zum Entsetzen des Rates, der darin eine besondere Antastung reichsstädtischer Freiheit erblickte, dem Obersten ausgehändigt werden. Die Soldaten bezogen Bürgerquartiere und gingen zunächst nicht immer ganz säuberlich mit ihren Wirten um. Den Bürgermeister Weber rührte der Schlag, so daß er wochenlang hilflos war.

Befehlsgemäß verbot aber Tettau alsbald jeden Übergriff; die Offiziere mußten ihren Mannschaften mit gutem Beispiel vorangehen, und mancher ließ sich von seinem Quartiergeber seine gute Aufführung bescheinigen. An Verpflegung für die Truppen wurde von der Bevölkerung nur verlangt 2 Pfund Brot und 1 Maß Bier für den Mann täglich.

Ein Cellescher Hauptmann, der sich in der Stadt befand und angab, Werbeoffizier zu sein, wurde alsbald abgeschoben, ebenso ein Cellescher Sergeant und 3 Soldaten.

Mit dem preußischen Schultheißen Röpenack zusammen mußte sich dann Tettau mit der Stimmung und Haltung der Bürgerschaft auseinandersetzen. Sehr zustatten kam ihm dabei die Hilfe des preußenfreundlichen Bürgermeisters Eckhardt, der die beiden, den Offizier und den Beamten, über jedes Geschehen auf dem Laufenden hielt. Damit niemand gegen Eilhardt Verdacht schöpfte, ließ Tettau sein Haus am Pferdemarkt doppelt mit Soldaten belegen. Bürgermeister Weber und einige Ratsmitglieder protestierten öffentlich gegen ihre Einquartierung. Ein besonderer Fall war der alte Dr. med. Bürgermeister Fromann, ein schlauer Fuchs, der es nicht mit den Preußen verderben wollte, hinter ihrem Rücken aber Intriguen spann. Das Bild, das Tettau in einem Briefe vom 15. Februar von ihm entwarf, wird nicht ganz unrichtig sein.

Im übrigen zeigte sich die Stimmung der Bürgerschaft recht uneinheitlich. Fast alle Einwohner, die bei den bisherigen korrupten Verhältnissen auf ihre Kosten gekommen waren, hielten zu Hannover und erklärten sich gegen Preußen. Es waren die alteingesessenen Brauerfamilien, die ratsfähigen Handwerker und diejenigen von den Akademikern, welche sich mit ihnen verschwägert hatten. Viele kleine Leute, die durch das bisherige Regiment gedrückt waren und da sie keine Braugerechtsame erwerben durften, nie zu Wohlstand kommen konnten, erwarteten von Preußen ein gerechtes Regiment. Mit ihnen zusammen ging mancher home literatus d. h. studierter Mann, der um geringen Lohn arbeiten mußte und nur zu Ansehen kam, wenn er in eine Brauherrnfamilie einheiratete. Die Pastoren, die durch die fast täglichen Andachten und Predigten starken Einfluß auf das Volk besaßen, waren meistens Gegner der reichsstädtischen Verhältnisse und bekämpften den Aemterschacher, die Ausbeutung der Gemeindemittel durch die Regierenden und die parteiische Rechtsprechung aus sittlichen Gründen; oft genug geißelten sie von der Kanzel herab die Mißstände.

Röpenack, der die Stimmung in Nordhausen ausgezeichnet kannte, beriet den Obersten von Tettau in der Behandlung der Einwohner. Wie allenthalben in einem absolutistischen Zeitalter, so glaubte man auch in Preußen, daß ein mit Gold beladener Esel die Tore der Städte und die Türen zu den Herzen erschließen könne. Der Oberkämmerer des Königs, Kolbe von Wartenberg, sandte sogleich 2000 Taler an Tettau ab, die als Bestechungsgel-der dienen sollten. Bei einigen mag dieses Geld verfangen haben; die einflußreichsten Familien aber waren so hartgesotten, daß sie zwar das Geld nahmen, deshalb aber ihre Gesinnung gegen Preußen nicht änderten. Besonders mit Geldspenden wurden die Geistlichen bedacht, damit sie von den Kanzeln herab gegen die bisherigen Zustände wetterten. Nicht unbillig war es jedenfalls auch, daß neben den Männern wenigstens auch eine Frau 20 Goldstücke erhielt, die Frau des wortführenden Bürgermeisters, weil sie das Wort führte, — qui a beaucoup à dire! Im ersten Augenblicke wirkte jedenfalls der goldene Segen, so daß Röpenack am 15. Februar hoffnungsvoll an den König berichten konnte. Die Prediger seien recht freundlich gesinnt, so daß sie „nach geendigter Amtspredigt durch kurze Stoßgebete und Seuszer Gott angerufen, daß er Gnade zu einem gedeihlichen Schluß und Einigkeit… verleihen möge“.

Alle diese Schläge, die Besetzung der Stadt, die militärischen Maßnahmen, die jeden Widerstand brachen, die Stimmung der Bewohner hatten in den ersten Tagen nach der Einnahme auch den hartnäckigen Rat mürbe gemacht. Gleich am Tage der Besitz-ergreisung hatte der Rat ein Schreiben an Friedrich I. gesandt, das keinen scharfen Protest enthielt, sondern nur eine Rechtfertigung seines Schutzgesuches an Hannover und die Bitte, die Truppen wieder abrücken zu lassen. Als Tettau am 9. Februar abends den Rat versammelt hatte, sand er ihn willig, einen Eilboten nach Hannover zu senden, der den Sekretär Titius zurückholen und dem Kurfürsten von Hannover vorstellen sollte, daß Nordhausen auf den Schutz Hannovers verzichten und die Schutzhoheit Preußens annehmen müßte. Um diesen Beschluß zu erzielen, hatte Eilhardt zunächst als Kompromiß vorgeschlagen, man könne vielleicht Hannover neben Preußen mit dem Schutze der Stadt betrauen.

Ermutigte schon diese Haltung Nordhausens Preußen, so noch mehr die Ratlosigkeit des Kaisers, der im Augenblicke nicht gegen seinen Bundesgenossen im Spanischen Erbfolgekriege auftreten wollte. Friedrich I. hatte sich am 11. Februar beim Kaiser zu rechtfertigen gesucht: Er habe 1697 die Aemter für die hohe Summe von 350 000 Talern erblich erlangt; beim Kaiser habe er sofort um die Investitur gebeten. Seine Gerechtsame seien vor versammeltem Rate von Sachsen an Brandenburg übergeben worden, ohne daß der Rat Einwendungen gemacht habe. Jetzt aber wolle die Stadt die Befugnisse der Aemter „dergestalt limitieren und einschränken, daß selbige in Effectu gar vernichtet werden würden.“ Dennoch habe Preußen versucht, mit der Stadt in Güte auszu-kommen. Statt dessen habe diese Hannover die Schutzhoheit angeboten. Einen solchen Schritt dürfe die Stadt ohne die Einwilligung Preußens, das ja die Vogtei besitze, gar nicht tun. Deshalb habe er, der König, seinen Truppen besohlen zu marschieren; er werde Nordhausen schützen können; dazu bedürse es nicht Hannovers. Im übrigen werde er die Reichsfreiheit Nordhausens nicht antasten, sondern nur seine eigenen Rechte wahren.[4]

Während sich der Kaiser diesen Darlegungen gegenüber zunächst ruhig verhielt, versuchte Hannover doch wenigstens einiges zur Hilfe der Stadt. Die direkte Verbindung zwischen beiden war zwar völlig unterbrochen, doch vermittelte der in Neustadt weilende Hauptmann Offney den Verkehr. Durch ihn erfuhren die Nordhäuser, Hannover wünsche, sie sollten sich mit Preußen in keine Verhandlungen einlassen. Der Kurfürst habe den Niedersächsischen Kreis angerufen, und der hannoversche Gesandte in Regensburg sei beauftragt worden, „den Notstand der Stadt Nordhausen den dortigen Deputationen vorzustellen, damit das Reichsstädtische Kollegium zu Regensburg sich der Stadt annehme.“[5] Auch legten Schweden und Hannover gemeinsam am 6. März 1703 bei Preußen Protest gegen die Besetzung ein.[6]

Mehr als freundschaftliche Gesten waren das freilich nicht, denn der Niedersächsische Kreis konnte gar nicht oder nur sehr langsam arbeiten unter der Bedingung, daß Schweden Truppen marschieren laße, und von Regensburg waren nichts als papierne Proteste zu erwarten. So sah sich die überfallene Stadt tatsächlich auf sich allein gestellt und Preußen ausgeliefert. Die Bürgerschaft mußte wohl oder übel auf den Vorschlag des Königs eingehen, sich mit ihm wegen der Aemter zu vergleichen und seine Schuhhoheit anzunehmen.[7]

Ein erster Schritt zur Kapitulation Nordhausens schien schon in dem Briefe vom 19. Februar an den König vorzuliegen, in welchem sich Nordhausen auf folgender Grundlage mit Preußen zu einigen bereit war: 1. Preußen solle über Nordhausen den Wahlschutz erhalten, keinen Erbschutz. 2. Preußen solle die Schuhgerechtigkeit so ausüben, wie sie Sachsen ausgeübt hat. 3. Vogtei und Schultheißenamt solle Nordhausen unter denselben Bedingungen von Preußen überlassen werden wie einst von Sachsen. 4. Preußen solle die Truppen herausziehen. 5. Wenn einige wenige Truppen in der Stadt blieben, solle Preußen die Verpflegung übernehmen, Nordhausen nur Obdach geben. 6. Wirkliche Garnison solle nur bei Gefahr nach Nordhausen gelegt werden. 7. Der Magistrat behalte stets die Oberaufsicht in der Stadt, auch die Torschlüssel. 8. In Notzeiten müsse der preußische Kommandant sowohl dem Rate wie dem Könige von Preußen gehorchen. 9. Der Kaiser müsse zu allen Abmachungen seine Zustimmung geben. 10. Ueber Vogtei und Schulzenamt solle in Güte verhandelt werden.[8]

Diese Bedingungen konnte Preußen nicht sämtlich eingehen; doch Preußen, dem allmählich aufging, welche Schwierigkeiten ihm doch aus seinem Nordhäuser Handel erwachsen mochten, konnte sie wenigstens als Grundlage für weitere Verhandlungen benutzen. Auf Tettaus und Röpenacks Geschick kam es an, daß der Staat möglichst vorteilhaft abschnitt. Jedenfalls hoffte Preußen ehrlich, durch diese Verhandlungen weiterzukommen.

Etwas hinterhältiger handelte Nordhausen. In denselben Tagen, wo es sich nach außen hinstellte, als ob es geneigt sei, sich den Verhältnissen zu fügen und mit Preußen abzuschließen, schickten Bürgermeister und Rat einen Bericht über die Besetzung der Stadt an den Kaiser ab, dessen ganze Abfassung so gehalten war, daß daraus der Wunsch der Stadt nach einem energischen Eingreifen des Kaisers deutlich hervorging. Zugleich intriguierten dieselben Bürger, die im Begriffe standen, in der Stadt sich mit den preußischen Unterhändlern an einen Tisch zu setzen, draußen vor der Stadt in Petersdors mit dem hannoverschen Hauptmann Offney gegen Preußen und dachten selbst daran, mit hannover-scher Hüse einen Putsch gegen das „schlechte preußische Regiment“, das in der Stadt lag, zu wagen.

Allerdings hatten die Nordhäuser alle Ursache, bei den Verhandlungen auf der Hut zu sein. Es war ein Glück für Preußen, daß der recht gewandte Schultheiß Röpenack, unterstützt von Hofrat Schreiber, das Heft in der Hand behielt und nicht Scharfmacher durchdrungen. Schon der Oberst von Tettau hatte durch allzu große Schneidigkeit, die man nun einmal in dem gemütlichen Nordhausen nicht gewohnt war, mancherlei verschüttet. Er war zwar in den ersten Tagen der Besetzung befehlsgemäß vorsichtig verfahren. Dann aber, als es seit dem 23. Februar an das Verhandeln über den preußischen Schutz ging, machte er, um zum Abschluß zu kommen, Einschüchterungsversuche. Während den ersten Unbilden der Besetzung mehr die große Menge der Bevölkerung ausgeseht war, galten diese Drangsalierungen vor allem den einflußreichen Männern, die über den Abschluß des Schutzvertrags zu bestimmen hatten. Den Bürgermeister Eilhardt drohte er, wenn der Rat sich nicht bald gefügig zeige, würden noch zwei weitere Kompagnien aus dem Hohnsteinschen und ein Halber-städtisches Regiment in die Stadt gelegt. Als darauf der Rat am 26. Februar eine Gegenerklärung abgab, drohte er, den gesamten Rat gefangenzusetzen. Und um die Unterschrift des Rates endlich zu erlangen, tobte er am 1. März, er werde Nordhausen in einen Steinhaufen verwandeln, sie und ihre Nachkommen sollten ihr Geschick beweinen, er habe es mit Canaillen zu tun.

Während es die Nordhäuser bei diesen Aeußerungen nur mit den ihnen allerdings nicht gewohnten Grobheiten eines Militärs zu tun hatten, waren die Reformvorschläge, die der Landeshauptmann der Regierung in Ellrich von Ramee ins Unreine machte, um sich bei den Berliner Ministern zu empfehlen, gefährlicher sowohl in ihren Auswirkungen auf die Stimmung der Bevölkerung als auch für die abgewogenen Verhandlungen kluger, fähiger Männer wie Hofrat Schreiber und Schultheiß Röpenack. Schon am 12. Februar schlug Ramee dem Könige vor, den Streit mit Nordhausen dazu zu benutzen, um sämtliche Stiftsgüter des katholischen Doms in der Grafschaft zu sequestrieren. Es war das in diesem Augenblick der törichtste Vorschlag, den man überhaupt machen konnte. Das Domstift war nämlich in sich zerfallen: Der Dekan Iubet wünschte keinerlei Hoheit über das Nordhäuser Reichsstift anzuerkennen; ein gewisser Nikolaus Günther dagegen und Konrad Fältzer, Senior des Domstiftes, wollten das Stift und seine Liegenschaften unter preußischen Schutz geben, um vor Nachstellungen sicher zu sein. Günther war umdeswillen sogar in Wien, ließ seine Angelegenheiten von dem preußischen Residenten von Bartholdi fördern und suchte die Kaiserin als Patronin des Stifts zu gewinnen. Die Katholiken Nordhausens kamen also Preußen entgegen, verbesserten sogar in Wien die Stimmung des Kaisers gegen Preußen. Diese Hilfe mußte in dem Augenblicke dahin sein, wo Preußen die stiftischen Güter, die es schützen sollte, sich selbst aneignete. Mit Recht schrieb deshalb ein Berliner Minister an den Rand des Rameeschen Berichtes: „Dieses halte ich in jetziger Zeit gar nicht dienlich, auch nicht nötig; denn wenn man der Stadt versichert ist, wird es sich mit dem Stift schon machen.“

Noch tollere Vorschläge machte Ramee am 18. Februar. Dem preußisch gesinnten Nordhäuser Bürgermeister Eilhardt sollte der Titel eines Kgl. Hofrats verliehen werden. Dafür sollte dieser als Bürgermeister die Zölle, die dem preußischen Schulzenamte zu-flossen, erhöhen. Eilhardt könnte 400 Taler Besoldung erhalten; sein Schwager, ein gewesener Amtmann namens Niebecker, könne das Schultheißenamt mit 200 Talern Gehalt bekommen und den bisherigen Schulzen Röpenack sollte man nach Halle hin „avancieren“ lasten, „wiewohl sich mit diesem Manne weder ich noch hier jemand sonst gern meliert“. Am schlimmsten aber war es, daß Ramse zu einigen Ratsmitgliedern schon geäußert hatte, das ganze Altendors, Grimmel, der Siechhos und alles, was jenseits des Wassers (der Zorge) liege, gehöre laut alten Lehnbriesen nicht zu Nordhausen, sondern zu Preußen.[9] Daß in dem Augenblicke, wo man zu einer vorläufigen Einigung mit der Stadt kommen wollte, Vorschläge, die aus Erhöhung der Zölle und Abtretung eines Drittels der ganzen Nordhäuser Stadtslur hinzielten, höchst unklug waren, ist klar. Nur mit Mühe konnte Röpenack die Bürger davon überzeugen, daß es sich augenblicklich nur um die Schutzhoheit Preußens handele und Preußen sonst nichts verlange. Und am 22. Februar mußte Röpenack sogar den Hosrat Schreiber um Hilse ersuchen, weil der allzu tüchtige Landeshauptmann von Ramee den preußischen Salzfaktor von Ellrich nach Nordhausen geschickt hatte, um mit dem Magistrat über das Salzmonopol zu verhandeln. Den Mann ließ Schreiber einfach aufhalten, damit er keinen Schaden stiftete. Denn von heute auf morgen ließ sich in jenen Zeiten eine Reichsstadt freilich nicht in das preußische autokratische System einspannen.[10]

Nach Behebung mancher Hindernisse waren der Oberst von Tettau, der Hofrat Schreiber und der Schultheiß Röpenack am 23. Februar endlich so weit, daß der Magistrat wenigstens die Bedingungen, die er als Grundlage der Verhandlungen über den Schutz ansehen wollte, bekanntgab. Es waren im wesentlichen dieselben, die am 19. Februar von Nordhausen an den König gegangen waren. Die wichtigsten Punkte waren die Punkte 7 und 9. In Punkt 7 wünschte der Rat mit Preußen einen Schutz auf 12 Jahre abzuschließen, der als Privat- oder Wahlschuh anzusehen war, nicht als Erbschutz. In Punkt 10 machte der Rat über Vogtei und Schulzenamt Vorschläge.

Ueber die Nordhäuser Vorschläge glaubte die preußische Kommission nicht selbständig weiter verhandeln zu können; sie berichtete nach Berlin. Der König antwortete am 25. Februar, Tettau solle weiter mit Geldspenden die einflußreichen Bürger gefügig machen. Kein Wahlschutz, sondern der Erbschutz müsse durchgesetzt werden. Nur wenn daran die Verhandlungen überhaupt scheitern sollten, müßte man notgedrungen nachgeben und den Schutz abschließen auf die Lebenszeit des jetzt regierenden Herrschers. Die Sache müsse unbedingt zu Ende gebracht werden.

Unterdessen hatte auch Nordhausen am 26. Februar nochmals etwas abgeänderte, noch weniger entgegenkommende Bedingungen durch den Syndikus Harprecht aussetzen lassen. Der Einfluß Hannovers und des für Hannover arbeitenden Hauptmanns Offney wird darin bemerkbar. Der Widerstand Nordhausens versteifte sich schon jetzt. Dagegen versuchten sich Tettau mit Grobheit-, Schreiber und Röpenack mit Hinterhältigkeit durchzusetzen, um dem Befehle, unbedingt abzuschließen, Genüge zu tun. In einem Schreiben vom 26. Februar an den König legten die Unterhändler dar, daß sie den Erbschutz für Preußen nicht herausschlagen könnten, „da die meisten inainbra ssna-tus im Herzen der Sache feind sind und heimlich alle Intriguen nach äußerstem Vermögen gebrauchen“. Was die Ratsmitglieder mit der einen Hand bereits gegeben hätten, wollten sie mit der anderen wieder nehmen. Die Kommission suche so schnell wie möglich fertig zu werden, denn Hannover arbeite gegen Preußen, Nordhausen gebe womöglich den ganzen Fall in Druck und übergebe ihn dem Reichstage. Man vertraue in Nordhausen darauf, daß neben Hannover auch der König von Schweden als Angehöriger des Niedersächsischen Kreises eingreife.

Eile war also geboten, und so verhandelte man von beiden Seiten unter dem Druck der Verhältnisse, bis man sich am 1. März endgültig einigte: Preußen erhielt die Schutzhoheit über Nordhausen auf 10 Jahre, Nordhausen bezahlte 300 Gulden Schutzgeld jährlich. Preußen zog seine Truppen bis auf 2 Kompagnien zurück, wenn die kaiserliche Konfirmation des Vertrages erfolgt war. Die Stadtschlüssel sollten in der Hand des regierenden Bürgermeisters liegen; wenn aber Truppen in der Stadt waren, sollten sie an den Kommandeur gegeben werden, der aber dem Bürgermeister durch Handschlag versprechen mußte, daß er nichts gegen die Stadt unternehme. Die Differenzen wegen der Aemter sollte eine Kommission beseitigen. Zu diesem Punkte wurde der Wiederverkaufsvertrag um ein Jahr verlängert; bis Ostern 1704 genoß Nordhausen noch die Jura. Würde die Stadt wider Verhoffen von benachbarten Potentaten angegriffen, dann sollte Preußen sie schützen.[11]

Am 3. März ratificierte der König in Cöln den Vertrag, am 6. März bekannte sich die Stadt nochmals zu ihm, und am 13. März wurde er in Nordhausen von beiden Parteien unterschrieben. Schon am 10. März hatte Preußen den Vergleich nach Wien, dem Haag, nach Regensburg und nach Warschau mitgeteilt.

Doch weder Preußen noch Nordhausen gedachten ernstlich, diesen Vertrag zu halten. Preußen wollte die Schuhhoheit ausbauen zu einem Besitz der Stadt; Nordhausen strebte die gänzliche Befreiung von Preußen an und betonte, der Vertrag sei erzwungen. Der eigentliche Ansatzpunkt für beide Parteien waren die „Jura“, die Vogtei und das Schulzenamt, deren Befugnisse eine Kommission klären sollte und nie so klären konnte, wie es jeder der beiden Parteien recht war. Denn die Stadt wollte es so darstellen, als ob mit diesen Aemtern gar keine Machtbesugnisse verbunden seien, und Preußen wollte seine Gerechtsame so ausdehnen, daß die Freie Reichsstadt zu einer preußischen Landstadt würde. Ostern 1704, wenn Preußen die beiden Aemter von Nordhausen auslöste und an sich zog, mußte es zu neuem Streite kommen. Das erscheint auch daraus, daß der Magistrat schon am 8. März vor dem Notar Ioh. Hermann Eilhardt, dem Bruder des Bürgermeisters, gegen die gesamte Besetzung der Stadt und den erzwungenen Vertrag protestierte. Alles sei gegen das Kaiserliche Privilegium vom 5. Mai 1695 geschehen und deshalb hinfällig.[12]

Bei allen Haupt- und Staatsaktionen ist es aber so, daß man, je mehr man innerlich bereit ist, den soeben erst vollzogenen und in feierlichster Form beschworenen Vertrag zu brechen, desto mehr das Bestreben hat, nach außen hin das herzlichste Einvernehmen zu heucheln. Es ist uns ein Druck vom 11. März 1703 erhalten, der folgende Ileberschrift hat: Demütigster Dankaltar, welchen dem dreieinigen Gotte zu Ehren, als Ihre Kgl. Majestät in Preußen, unser allergnädigster Schuhherr, die Kaiser!. Freie Reichsstadt in dero Schutz aufnahm, auf Befehl eines E. Rats von treuem Herzensgrund am Sonntage oeuli bei ordentlicher Kirchenandacht mit Gebet, Wunsch und Seufzen aufrichtete der Chorus Musicus in Nordhausen. — Im Jahre Christi den 11. März 1703. — Nordhausen, gedruckt bei Augustin Martin Hynitzsch.

In diesem Denkaltar steht folgender Vers:

Gott segne den mächtigen König in Preußen,
Es treffe sein Herz Kein schädlich Schmerz,
Aus daß es sich möge gnädig erweisen.

Bei dieser offiziellen Stellungnahme des Magistrats ist es kein Wunder, daß einige besonders Beflissene, wie es ja zu allen Zeiten geschieht, noch ein Weiteres taten. „Einige getreu Schutzverwandte führten demütigst ein Schutzopfer auf, in welchem König Friedrich „Friedrich der Große“ genannt wurde und es weiter heißt:

„Gesegnet Friedrichs Hof, gesegnet das Berlin!
Gott lasse früh und spät das Glück allda einziehn.“

Natürlich mußten unter denen, die sofort vor dem neuen Herrn Kotau machten, auch ein Schulmeister und ein Pastor sein: Joh. Christoph Sieckel, Collaborator am Gymnasium, der eine lateinische „Acclamatio votiva“ verfaßte, und Albert Ephraim Hempel, Pfarrer zu St. Jakobi, der einen „priesterlichen Glück-und Segenswunsch“ drucken ließ. Sein Machwerk ist 22 Druckseiten lang und schließt mit den Worten: „Sie leben, wachsen, sie grünen und blühen unter dem himmlischen Gnadentau, dem ganzen Lande zum Wachstum und uns zum Aufnehmen, mir und den meinigen zum vergnügten Trost und ersprießlichen Wohltat. Vivat Friedericus I. Rex Borussiae, Elector Brandenburgicus.[13]

Am 14. März gab Tettau seinen Offizieren und dem Magistrat ein solennes Mahl.

Als dann gar am 20. März Bürgermeister und Rat bescheinigten, Tettau habe vom 7. Februar bis zum 20. März seine ganze Verpflegung bezahlt, auch habe er scharfe und gute Zucht gehalten, so daß sich die Bürger über nichts beschweren könnten, schien vor der Hand alles in Ordnung zu sein. Gegenüber Schweden und Hannover rechtfertigte sich Preußen, es habe Truppen in die Stadt gelegt, um seine Rechte zu wahren. Wie mit dem sächsischen Regimente, so könne der Niedersächsische Kreis auch mit dem preußischen zufrieden sein. Die letzten Truppen würden aus Nordhausen verschwinden, wenn Celte das Stift Hildesheim freigebe.[14]

Trotz dieser Beteuerungen gingen die Verdächtigungen gegen Preußen weiter. In den Dörfern um Nordhausen herum, in Petersdorf, in Niedersachswerfen, in Neustadt saßen die hanno-verschen Agenten und schärten den Haß. Und diese Glut unter dünner Decke mußte weiter schwelen, weil der Kaiser nicht bereit war, das Feuer auszutreten. Er hätte Kurhannover gern mit dem Erbschutz belehnt. Als aber der preußische Resident von Bartholdi dagegen Einspruch erhob, unterließ er es mit Rücksicht auf die große Politik. Andererseits dachte er aber gar nicht daran, den preußischen Schuh über die Reichsstadt zu sanktionieren, ein Verhalten, das Nordhausen darin bestärkte, sich an keine Abmachung und an keinen Vertrag zu halten; denn die Stadt hatte bei Abschluß des Schutzvertrages ausdrücklich auf die kaiserliche Bestätigung bestanden, und Friedrich I. hatte diese Forderung anerkannt.[15]

Wir hatten gesehen, daß nicht alle Teile der Bevölkerung ablehnend gegenüber Preußen waren. Die Klagen über die Ausnutzung der Bewohnerschaft durch die brauberechtigten Bürger wollten nicht verstummen, und nicht verstummen wollten die Klagen über parteiische Justiz, wessentwegen auch der wiedergenesene Bürgermeister Weber angefeindet wurde. Der Syndikus Harprecht aber hatte sich ganz auf die Seite Preußens geschlagen und gab ihm bereitwillig Auskunft über die Handhabung der Nordhäuser Gerichtsbarkeit. Um gegen den Rat eine Waffe in die Hand zu bekommen, wurde Harprecht, der einmal wieder in dem jetzt preußischen Quedlinburg weilte, sogar am 19. Mai 1703 von dem preußischen Vicekanzler Meyer und Hofrat Pott über die Mißstände im Rechtswesen vernommen.

Es ist unbestreitbar, daß es Preußen gelang, diese Wunde offen zu halten und durch sein Versprechen, den kranken Körper gesund zu machen, viele Nordhäuser beeindruckte. Doch für den Augenblick ist immer die wirtschaftliche Lage für die Stimmung der großen Masse ausschlaggebend. Und in dieser Beziehung, so mußte jeder einsehen, tat die preußische Besetzung der Stadt großen Schaden. Freilich blieben nach dem Vergleich über den Schuh nur noch wenig mehr als zwei Kompagnien in der Stadt; aber schon die Quartierlast und die unausbleiblichen Reibereien zwischen Bürgern und Soldaten wirkten hemmend. Immerwährende Aufregung ward verursacht durch das Abrücken bisheriger Besahungstruppen und durch das Einrücken neuer. Auch mehrfacher Kommandantenwechsel sorgte nicht gerade für eine einheitliche Behandlung aller städtischen Fragen, vor allem der kommerziellen. Am 21. März war von Tettau abberufen worden; an seine Stelle trat Oberstleutnant von Sydo bis zum 30. Oktober, wo er nach Berlin berufen wurde. Dort weilte er bis zum 28. August 1704; dann kehrte er nach Nordhausen zurück. Zwischendurch führten der Oberstleutnant von Benckendorf und — seit April 1704 — Major von Stockheim die Besahungstruppen. Abgesehen von diesen Truppen in Nordhausen standen noch drei preußische Kompagnien in Ellrich und Benneckenstein.

Nordhausen hatte alsbald nach Abschluß des Schuhvertrages gehofft, wenn nicht alle, so doch den größten Teil der Soldaten loszuwerden. Davon war keine Rede. Während des ganzen Mai wurde Preußen noch von hannöverschen und dänischen Truppenzügen, die über das Eichsfeld gingen, beunruhigt. Besonders daß Truppen in Bernterode an der preußischen Grenze lagen, schien verdächtig. Der König fragte aus Oranienburg an; Sydo ließ Dragoner die Gegend abstreifen, bis die Nachricht kam, es handele sich um dänische, d. h. natürlich holsteinsche Truppen, die den Heeren des Kaisers zuzogen.

Geschah vom Eichsfelde her immer nur blinder Alarm, so war wirklich gefährlich die Tätigkeit des Hauptmanns Offney in Neustadt, der dauernd mit Nordhäuser Bürgern in Verbindung blieb. Und wenn er diesen den Mut zu stärken suchte durch den Hinweis, daß schon kaiserliche Truppen für den Entsatz Nordhausens in Erfurt ständen, so war das gerade nicht das richtige Mittel, die Preußen zum Abzüge zu bewegen.

Aber der Truppen wurden nicht nur nicht weniger, sondern sie waren in der Stadt auch überall im Wege. Natürlich besaß der Kommandant noch immer die Stadtschlüssel, und vor allem blieben zwei wichtige Pforten geschlossen und wurden zunächst trotz mehrfacher Petitionen nicht geöffnet: Die Kuttelpforte und die Wasserpforte. Die wertvollsten Fluren der Nordhäuser lagen im Westen und im Südwesten der Stadt, der Fußgängerverkehr in dieser Richtung bewegte sich beinahe ausschließlich durch die Kuttelpforte, denn das ganze Gelände der Unterstadt bis zum heutigen Bahnhof, durch das heute der Hauptverkehr geht, war ja beinahe ausschließlich Oed- und Sumpfland. Gerade diese Pforte war geschlossen; aller Verkehr mußte durch das scharf bewachte Neuewegstor. Erst nach langen Verhandlungen und mehrfachen Eingaben an den König wurden am 7. Juli beide Pforten geöffnet.

Wenn im Juli 1703 auch der regelmäßige Verkehr wieder-hergestellt schien, so hinderte die Besetzung der Stadt doch den Handel. Ganz besonders bemerkbar machte sich das, als es auf den Sommer zuging. Die Ueberwachung der Tore, die Belegung von Wachtstuben und Plätzen mit Soldaten, die Abneigung des friedlichen Bauern und Handelsmanns, auf den Straßen und in den Gaststätten überall mit Militär in Berührung zu kommen, alles das ließ die Umwohner die Stadt, welche der natürliche Mittelpunkt der Landschaft war, meiden. Wieder und wieder klagte der Rat, der Handel gehe zurück, besonders der „Fruchthandel“, d. h. der Getreidehandel, liege darnieder und ziehe sich nach den Nachbarorten, wenn die Soldaten die Stadt nicht verließen. Anderer Ansicht war von Sydo, der nach Berlin berichtete, von einer Beeinträchtigung des Handels könne keine Rede sein. Am 4. August lehnte der König in Liebenwalde das Gesuch der Nordhäuser um gänzliche Zurückziehung der Truppen ab.

Dringlich wurde Nordhausen, als am 9. August die letzten Celleschen Truppen die Stadt Hildesheim verlassen hatten.[16] Preußen hatte mehrfach betont, es werde seine Truppen aus Nordhausen zurückziehen, wenn Celle Hildesheim freigebe. Am 31. August bat Nordhausen nochmals um die Befreiung von der Last der Einquartierung. Preußen kam dem Verlangen nicht nach. Es hatte seine guten Gründe dafür. Zwar hatte der König am 14. August in Wien und im Haag wissen lassen, er zöge auch die noch in Nordhausen vorhandenen zwei Kompagnien heraus und belasse nur 25 Mann in der Stadt, wenn Hannover versichere, daß es nie in die Stadt einrücke. Aber Hannover gab diese Erklärung nicht ab; und die Preußen blieben in Nordhausen.

Diese Fortdauer der Besetzung brächte auch die bisher wohlgesinnten Kreise der Bewohner gegen Preußen auf. Viele wünschten eine Abstellung der alten Lotterwirtschaft, aber keiner wünschte den Anblick einer preußischen Uniform. Preußen war an der guten Meinung der Bevölkerung viel gelegen; aber seine Truppen mußte es in Nordhausen lassen. Denn so willfährig die Stadt Mitte März schien, so hartnäckig war sie schon im Juli.

Von auswärts drohte Preußen freilich keine Gefahr. Der Kaiser wagte keinen Einspruch. Die Nachricht, daß Schweden an der Seite Hannovers mobil mache, war erfunden. Preußens Gesandter Grüner in Stockholm wußte schon Anfang Mai zu berichten, Schweden verhalte sich bei der Besetzung Hildesheims und Nordhausens völlig neutral. Die Nachricht von einer Stellungnahme habe ihren Ursprung mehr in dem Wunsche Hannovers als in der tatsächlichen Haltung Schwedens. Vielleicht habe sich die schwedische Regentschaft in Bremen den Hannoveranern willfährig zeigen wollen; im Sinne des schwedischen Königs liege das nicht.

Etwas mehr Schwierigkeiten machte schon Sachsen; doch war dessen Unwille mit dem preußischen Einrücken in Nordhausen nur spürbar in Anfragen bei Nordhausen und in einer Beschwerde beim Kaiser. Sachsen war ja in einer eigenartigen Lage hinsichtlich des Schutzes. Es hatte zwar seine Aemter an Preußen verkauft, nicht aber seine Schuhhoheit. Als deshalb im April 1698 Nordhausen bat, den Schutz um 20 Jahre zu den alten Bedingungen zu verlängern, sah der Resident in Dresden von Fürstenberg keinen Anlaß, das Gesuch abzuschlagen. Sachsen nahm also Nordhausen in Schutz, aber rein theoretisch. Der Schutzbrief wurde nie ausgehändigt, obwohl Nordhausen mehrfach daran erinnerte. Natürlich waren von Nordhausen auch keine Schutzgelder bezahlt worden. Trotz dieser offensichtlich mangelhaften sächsischen Verwaltung war die Angelegenheit nicht gänzlich in Vergessenheit geraten; man erinnerte sich ihrer jedenfalls wieder, als Nordhausen gezwungen war, Preußens Schutzhoheit anzuerkennen. Fürstenberg fragte am 28. März 1703 bei seinem Könige an, wie man sich nun verhalten solle. Der Stadt machte Sachsen sogar Vorhaltungen, doch war diese im Recht, als sie am 24. April 1703 schrieb, an ihr habe es ja nicht gelegen, daß der Schutzbrief im Jahre 1698 nicht ausgestellt sei.[17] Und als Sachsen auch in Wien protestierte und den Kaiser bat, den preußischen Schutz nicht zu genehmigen, wurden der armen Stadt selbst von Wien Vorwürfe gemacht, daß sie sich Preußen unterworfen habe. Mit gutem Rechte konnte Nordhausen Anfang Juni aber nochmals behaupten, daß es nicht an ihm gelegen habe, wenn nunmehr Sachsen Übergängen sei. Sie hätten Preußen gegenüber nichts Schriftliches aufzuweisen gehabt und hätten deshalb Preußens Schutz annehmen müssen.

Der gefährlichste Gegner Preußens blieb weiterhin Hannover. Der Hauptmann Offney organisierte mit Eifer draußen vor der Stadt den Widerstand, steifte den Bürgern den Nacken, sprengte Gerüchte wider Preußen aus. Alles das geschah, wenn nicht auf Veranlassung, so doch mit Wissen der Zentralstelle. Als Anfang Oktober der Landdrost von Busch in Herrenhausen bei Georg Ludwig weilte, äußerte dieser zwar zu ihm, er wolle alles aus dem Wege räumen, was Preußen „anstößig sein könne und die fructus perpetui foederis hindere“. Aber dann folgten die Beschwerden gegen Preußen: Preußen habe in Wien, im Haag und in Regensburg erklärt, es werde Nordhausen räumen, wenn Hildesheim geräumt sei. Das sei nicht geschehen. Ferner müsse die Stadt bei ihrer Reichsunmittelbarkeit gelassen werden, und wenn Preußen die Jura darin ausübe, so solle es das nur tun, „soweit sie hergebracht“. Der Kurfürst regte deshalb eine Konferenz an. An einem solchen Verhandeln aber konnte Preußen nichts gelegen sein. Es bemerkte trotz des versöhnlichen Tones, daß Hannover sein Gegner bleiben mußte, und aus den nicht unberechtigten Einwürfen Hannovers erkannte es auch die Schwächen seiner Position. Es war recht unangenehm, daß ihm der Kaiser das, was es endlich durchgesetzt hatte, die Schutzhoheit, nicht bestätigte.

Noch unsicherer aber stand es um die Vogtei und das Schultheißenamt. Da konnte ihm erstens überhaupt der rechtmäßige Besitz bestritten werden: Bei den späteren Erörterungen tauchte immer wieder die Frage auf, ob der Inhaber eines Reichslehn — in diesem Falle Sachsen — ohne Vorwissen des Oberlehnsherrn, des Kaisers, dieses ohne weiteres einem anderen — in diesem Falle Preußen — übertragen könne. Ferner machte es aber auch größte Schwierigkeiten, eine derartige Ausübung der Aemter durchzu-sehen, wie sie Preußen allein Vorteil brächte. So mußte Preußen, obwohl eine direkte Gefahr nirgends drohte, doch auf der Hut sein. Es begann seine ganze Lage von neuem juristisch überprüfen zu lassen.

Schon die Haltung Nordhausens im Laufe des Jahres 1703 bewies Preußen, daß der Stadt von irgendwoher zum Ausharren und zum Widerstand Mut gemacht sein mußte. Daß man in Wien und in Regensburg der Stadt wohlwollte, war allgemein bekannt, daß sie bei Hannover mit noch mehr als bloßem Wohlwollen rechnen konnte, wußte die Stadt; doch die Niedergeschlagenheit nach Abschluß des Schutzvertrages war groß, weil kein starker Wille vorhanden war, der zum Ausharren ermutigte und der zur Organisation der Abwehr befähigt war. Der Bürgermeister Frommann war ein alter verbrauchter Mann, der Syndikus Harprecht stand dort, wo für seine Selbstsucht am meisten heraussprang, Kegel, Titius und Bohne waren tüchtige Männer, aber ohne jede Leidenschaft, die nun einmal vorhanden sein muß, wenn Außergewöhnliches gelingen soll. Weiter aber schien das Städtchen keine Köpfe von Bedeutung zu herbergen. Da erwuchs ihm einer in dem Notar und Ratsherrn Johann Günther Hoffmann, einem Mann, der gewiß kaum überdurchschnittlich begabt war, dem aber verbissene Zähigkeit und unermüdliche Tatkraft eigen waren. Dieser Mann an der Spitze aller bisher bevorrechteten Bürger flößte den Nordhäusern von neuem Mut ein, wies sie auf ihre zahlreichen Bundesgenossen hin, mahnte wieder und wieder zum Durchhalten.

Im April und Mai 1703 fand sich Nordhausen noch vollkommen mit seiner Unterwerfung ab. Preußen erhielt die hinterhältige Erklärung des Rates, er habe durchaus freiwillig die Schutzhoheit Preußens angenommen; der Agent Koch wurde angewiesen, beim Kaiser die Konfirmation des Schutzes nachzu-suchen. Daß diese Bestätigung nicht erfolgte, lag nicht am bösen Willen Nordhausens, sondern an der kaiserlichen Politik, die, wie Koch schrieb, die Regelung hinausschieben wollte bis nach Beendigung des Spanischen Erbfolgekrieges. Zugleich machte der Agent der Stadt Hoffnung, daß diese spätere Regelung niemals im Sinne Preußen ausfallen werde. Man wußte also in Nordhausen, daß der Kaiser die Stadt nicht ohne weiteres Preußen überlassen werde. Dann hörte man von dem sächsischen Einspruch in Wien, man hörte Offneys Versprechungen. Da setzte der Ratsherr Ioh. Günther Hoffmann durch, daß der Rat ihn, zur Informierung über den Stand der Dinge draußen, nach Hannover sandte. Und hier in Hannover wurde dem Abgesandten Mut gemacht. Hannover werde sich Nordhausens nicht schlechter annehmen als der eigenen Länder, hieß es, und Hannovers Resident Erasmus von Huldeberg in Wien wurde angewiesen, am Kaiserlichen Hofe für die Stadt zu werben. Zugleich gab man Nordhausen den Rat, einen Mann nach Wien zu schicken, der dem hannöverschen Residenten als Sachberater zur Seite stehen könne. Dann werde Nordhausens Sache daselbst mit Eifer betrieben.

Diese gute Botschaft, die Hoffmann heimbrachte, zusammen mit der Arbeit Offneys in der Nähe Nordhausens, bewirkten den Umschwung in der Stimmung der Bevölkerung. Der Schultheiß Röpenack vermerkte ihn natürlich bald, war aber auch durch den Syndikus Harprecht — dieser Vertrauensmann der Stadt war der Vertrauensmann Preußens — auf dem Laufenden über die Gründe des Umschwungs. Schon am 20. Juli 1703 mußte er nach Berlin berichten, die Stimmung des Rates sei so sieghaft, daß „die Wohlgesinnten fast zaghaft würden“; der Rat habe sich vernehmen lassen, „diejenigen, so gut brandenburgisch wären, würde man schon finden“. Allenthalben werde gesprochen: Nimmermehr sollte Kgl. Majestät den Schutz behalten. Was geschehen sei, sei durch Gewalt erzwungen, man wolle es nur lassen Frieden werden. Wer zum Obersten von Sydo oder zu Röpenack halte, werde öffentlich verfolgt. Harprecht müsse nachts heimlich zu ihm kommen.[18]

Gewissermaßen in Siegesstimmung bat die Stadt Nordhausen am Ende dieses ersten Jahres, wo sie von preußischen Truppen besetzt war, nochmals den Kaiser um ein „Mandat, daß Preußen alles im alten Zustande wiederherstelle und die Stadt nicht weiter belästige“.[19]

Preußen konnte dabei eigentlich nichts weiter tun, als warten, bis es im Jahre 1704 die Vogtei und das Schultheißenamt tatsächlich übernehmen konnte. Diese zögernde Haltung konnte es sich schließlich auch leisten, da es die Stadt durch seine Truppen sicher in der Hand hatte und damit vor jeder anderen Macht einen Vorsprung besaß. Dennoch ging es an den Versuch, seine Stellung auch rechtlich zu festigen. Es wollte innerhalb des Reichsverbandes nicht als Störenfried gelten, sondern als loyaler Reichsstand, der nichts weiter genommen hatte und nun verteidigte, als was er mit schweren Opfern rechtmäßig erworben hatte.

Schon der Große Kurfürst hatte ja bei seinem Bestreben, Nordhausen in seine Hand zu bekommen, eine Rechtsgrundlage zu finden gesucht. Am 14. Mai 1688, also kurz nach dem Tode des Großen Kurfürsten, hatte sich die in jener Zeit hochberühmte Iuristenfakultät Frankfurt a. O. mit dem Nordhäuser Fall beschäftigt und hatte sich dahin geäußert, daß die Vogtei über Nordhausen Brandenburg zustehe als Rechtsnachfolger des Halberstädter Stifts.[20] Damals war die Angelegenheit liegen geblieben. Jetzt im Jahre 1703 holte man ein neues Gutachten ein, das ähnlich wie das alte lautete, nur den neuen, erweiterten Rechten Preußens Rechnung trug. Doch um die eigentlichen Schwierigkeiten hatten sich die Frankfurter Juristen gedrückt. Sie meinten nämlich, wenn auch die Jura sicher Preußen Zuständen, so stehe doch dahin, wie weit diese iura imperii Geltung hätten, d. h. wie die Machtbefugnisse in der Ausübung der Aemter zwischen Preußen und Nordhausen abgegrenzt seien. Hierauf aber kam es beiden Parteien wesentlich an.

Damals war es nun, wo Preußen begann, den berühmtesten Juristen der Zeit die Verteidigung seiner Rechte in Nordhausen anzuvertrauen, dem Hallenser Juristen Christian Polykarp Tho-masius. Der Schultheiß Röpenack hatte am 25. Februar 1703 zum ersten Male an ihn geschrieben und ihn um Rechtsauskunft gebeten. Thomasius beklagte sich in seiner Antwort vom 7. März, daß die Unterlagen, die ihm für die Behandlung des Falles Nordhausen gegeben seien, noch zu mangelhaft seien, um Endgültiges zu sagen, doch meinte er hinsichtlich des Schutzes: „Ex natura Advocatiae“ ist zu deducieren, daß auch eine Stadt in Erwäh-lung eines Schutzherrn ihren Advocatum, da er ein Reichsfürst ist, nicht praeterieren, viel weniger sich eines anderen Schutzes wider ihren Reichsvogt unterwerfen könne.“ Aus dem Besitze der Vogtei über Nordhausen folgerte also Thomasius das preußische Schutzrecht.

In demselben Gutachten hatte es Thomasius im Gegensatz zur Frankfurter Iuristenfakultät, die diese schwierige Sache gar nicht anfaßt, auch zum ersten Male unternommen, die Gerechtsame von Vogtei und Schultheißenamt abzugrenzen: „Die peinlichen Klagen gehören vor die Reichsvogtei, die bürgerlichen aber vor den Schultheißen und bleiben für die Räte in den Städten nichts als cognitiones causarum, die ad ordinem publicum quotidianum gehören, dahin auch die zu rechnen sind, die celerrimae expeditionis sind und durch Besichitigungen entschieden werden als causae servitutum etc.“ Mit diesem Gutachten sprach Thomasius also die gesamte Kriminal- und Civilgerichtsbarkeit dem im Besitz der beiden Aemter befindlichen Preußen zu. Nur Polizei- und reine Verwaltungsfragen, die, wie wir heute sagen, durch Ortsstatut festgelegt werden können, sollten zu den Befugnissen des Rates gehören.[21]

Dieses erste Thomasiussche Gutachten machte in Berlin solchen Eindruck, daß der König beschloß, sich in der Durchfechtung seiner Rechte fortan des Thomasius zu bedienen. Am 24. August schrieb er aus Schönhausen an den Juristen, sein kurzer Bericht habe recht gefallen, er solle nunmehr eine grundsätzliche Ausarbeitung über die Schutzhoheit einrichten und ferner darstellen, wie „die Sache mit dem Magistrate am besten anzugreifen“.

Thomasius war dieser Auftrag durchaus nicht willkommen. Er entfaltete ja gerade in jenen Jahren, wo der große Rechtsgelehrte Stryck, der Dekan der Hallischen Iuristenfakultät, älter und schwächer wurde, eine ganz außerordentliche Lehrtätigkeit und war außerdem im Begriffe, zwei seiner bedeutenden Werke zum Abschluß zu bringen. Dennoch entzog er sich dem Wunsche des Königs nicht und bat nur für den ersten Auftrag, sich über die Schutzhoheit zu äußern, um weitere Unterlagen. Das andere Begehren des Königs allerdings, praktische Vorschläge wegen der Behandlung der Nordhäuser Angelegenheit zu machen, suchte er sich vom Halse zu schaffen, indem er meinte, es komme bei diesen Fragen nicht nur auf punctum iuris an, sondern auf „viele politische Etatsabsichten“, wofür die „Prudenz eines tüchtigen Hofmannes geeigneter sei als die Wissenschaft eines Professors Juris“. Doch auch da ließ ihn der König nicht aus, und er mußte sich nicht bloß zu Ratschlägen bequemen, sondern er sollte in Nordhausen handelnd eingreifen.

Im September 1703 weilte Röpenack in Halle, gab Thomasius die Unterlagen und besprach den gesamten Fragenkomplex mit ihm. Darauf erfolgte dann im Oktober ein längeres Gutachten des Thomasius und darauf am 17. November ein sehr gnädiges Schreiben des Königs an ihn, er solle zusammen mit dem Wirklichen Geheimen Rate Freiherrn von Danckelmann einer Kommission angehören, die um die Weihnachtszeit in Nordhausen ihres Amtes zu walten hätte. Diese Kommission sollte nicht nur die Schutzhoheit sestlegen und die Kompetenzen der Aemter prüfen, sondern auch, eine dritte und sehr schwierige Aufgabe, die Grenze zwischen der Grafschaft Hohnstein und der Stadt Nordhausen soweit sie strittig war, nach den alten Hohnsteinschen Lehnsbriefen bestimmen und für Preußen als Inhaber der Grafschaft in Anspruch nehmen, was ihm zukäme. Dieser Anspruch Preußens auf die sogenannte Helmeflur wird uns unten noch ausgiebig zu beschäftigen haben.[22]

Während sich Preußen Ende des Jahres 1703 auf diese Weise rüstete, juristisch seine Handlungsweise zu rechtfertigen, versteifte sich der Widerstand der Stadt immer mehr. Allerdings mußte sie dabei erfahren, daß der Kaiser und der Reichshosrat in Wien nach wie vor recht lässig in der Unterstützung blieben. Nachdem das Schreiben vom 23. Dezember 1703 nach Wien abgegangen war, bat der Agent Koch zweimal, am 23. Januar und am 11. Februar 1704 um ein Mandat, das den früheren Zustand in Nordhausen wiederherzustellen befahl, und als darauf nichts erfolgte, stellte er am 22. Februar den Antrag, den Herzog von Celle als Kreisobersten zu beauftragen, sich Nordhausens anzunehmen. Aber auch nach dieser Richtung rührte sich der Kaiser zunächst nicht; ja, am 16. Februar wußte der preußische Resident von Bartholdi sogar zu berichten, daß die Sache Preußens vor dem Reichshofrate gutstehe und der Referent von Kirchner in der Sache Nordhausen contra Preußen letzterem wohlgesinnt sei.

Um so nachdrücklicher setzten sich Hannover und Celle für die Reichsstadt ein. Sie hatten dafür verschiedene Gründe, gerade augenblicklich um so schärfer gegen Preußen aufzutreten, je vorsichtiger der Kaiser mit Rücksicht auf den Kriegsschauplatz den preußischen Bundesgenossen behandelte. Celle und Hannover hatten nämlich im August 1703, nachdem sie in Hildesheim für einige Zeit Ordnung geschaffen, loyal ihre Truppen wieder aus der Stadt gezogen. Preußen hatte immer verlauten lassen, es werde in Nordhausen ebenso vorgehen, wie Hannover in Hildesheim; doch war von preußischer Seite nicht das geringste erfolgt. Das hatte bei den Welfen argen Unwillen erregt und den Willen, die Reichsstadt zu befreien, gefestigt. Dazu kam, daß Preußen als Inhaber des Herzogtums Magdeburg dahin strebte, wenn nicht überhaupt die Stelle des Kreisdirektors im Niedersächsischen Kreise zu besetzen, so doch mindestens einen Sitz im Kreisdirektorium zu beanspruchen. Die Heftigkeit, mit der Preußen in dieser Beziehung aus sein Recht pochte, ließ in den welfischen Landen den Argwohn auskommen, Preußen wolle nur deshalb verstärkten Einfluß im Kreise gewinnen, um sich nicht nur Nordhausens, sondern auch der anderen beiden Reichsstädte, Goslars und Mühl-hausens, zu bemächtigen. So zauderte Hannover nicht, wo es konnte, Preußen Abbruch zu tun, und diese Haltung wiederum belebte die Hoffnungen Nordhausens. Dazu kam, daß zeitweilig sogar Kursachsen eifersüchtig gegen Preußen auftrat, immer noch schwankte, ob es nicht das 1698 zu Nordhausen auf 20 Jahre eingegangene Schutzverhältnis aufrecht erhalten sollte und jedenfalls schadenfroh zusah, wenn Preußen in der Stadt, in der es selbst jahrhundertelang maßgebende Rechte besessen hatte, in Schwierigkeiten kam.

Bei dieser allgemeinen politischen Lage glaubte Nordhausen sich auch ohne den Rückhalt an dem zaudernden Kaiser energischer zur Wehr setzen zu können. Schon Ende Januar berichtete Röpe-nack nach Berlin, die Stadt unterhandele dauernd mit Hannover und Dresden, der Rat scheue sich nicht, preußensreundliche Bürger zu bedrücken, die einquartierten Soldaten würden schlecht behandelt, Hauptmann Offney treibe draußen mehr denn je seine Propaganda.[23] Als dann gar am 20. Februar der Rat nochmals vom Könige energisch die Zurückziehung des gesamten Militärs verlangte und am 6. März Röpenack melden mußte, Nordhausen wolle die Reichsiura dem Hause Hannover anbieten, da war das Maß voll und die Langmut Preußens erschöpft.

Der König hatte zunächst an der Kommission festgehalten, die um Weihnachten 1703 mit der Stadt in Güte verhandeln und und einen Ausweg suchen sollte. Noch am 12. Januar 1704 ließ er Röpenack in dieser Richtung instruieren; auch an den schon früher genannten Unterhändlern war festgehalten worden. Nach wie vor sollten Kanzler von Danckelmann, Professor Thomasius und Schultheiß Röpenack die Verhandlungen aufnehmen. Doch die Tätigkeit der Kommission in Nordhausen verzögerte sich. Vor allem wollte Thomasius nichts übereilen und die Ansprüche Preußens in jeder Beziehung fest untermauern. Am 26. Januar schrieb er aus Halle an den König, er könne jetzt genau nachweisen, daß Nordhausen ohne Erlaubnis des Reichsvogts, d. h. also Preußens, keinen Schutzherrn wählen dürfe. Zu diesem Nachweis sei aber nötig, daß er das ganze Werk de advocatia armata des bisher auf diesem Gebiete maßgebenden Martin Schönberg „umstoße“. Dazu brauche er aber Zeit. Deshalb schlage er nach Rücksprache mit Danckelmann vor, man solle der Stadt Nordhausen, von der Preußen die Aemter Ostern 1704 übernehmen wollte, dieselben noch ein Jahr psandweise lassen. Darüber könne Röpenack mit der Stadt verhandeln.

Selbst mit diesem Vorschläge war der König einverstanden, und Röpenack sollte dementsprechend Befehl erhalten.[24] erstanden, und Röpenack sollte dementsprechend Befehl erhalten?) Aus dieser Einstellung des Königs und seiner Ratgeber ersieht man nicht nur die Langmut Preußens, sondern auch die völlig falsche Vorstellung von der Haltung Nordhausens. Die Stadt, je länger, je mehr zum Widerstände geneigt, mußte in dem Jahre, in welchem ihr noch weiterhin die Aemter überlassen blieben, neue Waffen in die Hand bekommen. Innerhalb der Stadt mußte der Einfluß des preußischen Schultheißen sinken, der nichts zu tun hatte, als sich durch die Erhebung der Zölle unbeliebt zu machen, die preußenfreundlichen Bürger mußten durch Preußens unsichere, schwankende Politik irre werden an seinem festen Willen, in der Stadt tatsächlich Fuß zu fassen. Außerhalb der Stadt aber hatte Hannover Zeit, nach neuen Gegenmaßnahmen Ausschau zu halten. Dieser in Verken-nung der ganzen Lage gemachte Vorschlag des Thomasius war ganz aus dem Geiste des Gelehrten heraus geschehen, der Freude an der wissenschaftlichen Beweisführung hatte und Abscheu vor wirklichem Handeln. Daß zugleich auch der Verwaltungsbeamte Danckelmann ungern den Vorsitz in der Kommission, von der er sich wenig Erfolg versprach, angenommen hatte, ist schon oben erwähnt; so war er aus persönlichen Gründen mit Thomasius' Vorschlag einverstanden.[25]

Da wurde nun der König durch Röpenacks Berichte über den wahren Stand der Dinge in Nordhausen aufgeklärt. Röpenack schrieb ganz offen, die Stimmung in Nordhausen sei so, daß man sich auf Kommisfionsverhandlungen überhaupt nicht mehr einlassen werde. Gesahr war im Verzüge. Deshalb sah man in Berlin zunächst von allen weiteren juristischen Gutachten ab und beschloß zu handeln. Am 12. Februar wurde Röpenack unterrichtet, Preußen sei gewillt, Ostern 1704 Vogtei und Schultheißenamt endgültig in eigene Verwaltung zu nehmen und den Pfandschilling der Stadt dafür auszuzahlen. Röpenack solle sich nach der genauen Höhe der Pfandsumme erkundigen und Vorschläge machen, wo das Geld ausgezahlt werden könne.

Mit diesen Anweisungen versehen, machte sich Röpenack sogleich an die Arbeit. Er war natürlich froh über diesen Entschluß des Königs, der ihn aus einer unmöglichen Stellung befreite und ihm Befugnisse geben mußte, die ihn zum Herrscher über Nordhausen machten. Mit Schrecken wurden die Nordhäuser gewahr, daß Preußen Ernst machte. Röpenack hatte dem Rate den Willen Preußens mitgeteilt und war darangegangen, die Zuständigkeit der Aemter festzustellen, natürlich auf Grund der ältesten Zeugnisse darüber, und diese schoben Bürgermeister und Rat so gut wie ganz beiseite. Auch ein Reglement für die Ausübung der Aemter und die Verhandlungen vor ihm als Richter stellte er auf. Betrübt klagte der Rat am 11. März dem Könige, sie sollten ihrer Reichsimmedietät beraubt werden. Er möchte doch wenigstens solange keine Veränderungen mit den Aemtern vornehmen, bis Wien gesprochen habe. Der Kaiser habe doch schon am 28. Februar 1701 dahin erkannt, es solle alles in den früheren Zustand gesetzt werden.[26] Jetzt hänge alles vom Spruch des Reichshofrates ab. In lite pendente möchte und dürfe der König in Preußen nicht handeln.[27]

Voll Sorgen wandle sich Nordhausen auch nach Hannover und an den Kreis, die am 29. März schrieben, Nordhausen solle festbleiben und sich auf nichts einlassen.

Von Preußen aber waren schon die Befehle zur weiteren Durchführung gegeben: Das preußische Schulzengericht wurde konstituiert: Röpenack war sein Vorsitzender; Johann Günther Rie-mann und Christoph Wachsmut wurden zu Schöppen ernannt. Röpenack sollte vorläufig zugleich die Reichsvogtei mitverwalten. Der preußische Hofrat Schreiber in Halberstadt und Röpenack sollten das Geld für die Auszahlung der Pfandsumme aus Magdeburg abholen und nach Nordhausen bringen. Röpenack hatte wegen der damit verbundenen Verhandlungen in Berlin geweilt und war am 23. März, dem Ostersonntag, in Magdeburg. Am 24. März erhielt er dort 8000 Gulden in zwei Fässern. Damit ging er am 25. März nach Halberstadt, wo Hofrat Schreiber mit 3000 Talern in sechs versiegelten Beuteln zu ihm stieß.[28] Von dort ging es auf grundlosen Wegen durch den Harz, und schon am 27. März konnten Schreiber und Röpenack den regierenden Bürgermeistern Frommann und Paulandt aus dem Walkenrieder Hofe anzeigen, sie möchten sich bereithalten, das Geld in Empfang zu nehmen. Frommann jedoch ließ sich wegen Altersschwachheit entschuldigen, Paulandt war nirgends zu finden. Schließlich mußte sich Nordhausen ja aber doch zu irgendeiner Stellungnahme bequemen. Die Stadt sandte ihren Sekretär Heidenreich und den Senator Riedel und ließ durch beide die Ablehnung des Geldes aussprechen. Darauf verlangten Schreiber und Röpenack Verhandlungen auf dem Rathause; doch kam man bis zum 29. März noch nicht weiter. Ja, der Bürgermeister Paulandt erklärte an diesem Tage, er wüßte ja gar nicht, daß der Hofrat Schreiber in Nordhausen weile, seine Ankunft sei ihm nicht angezeigt, er könne deshalb auch nicht mit ihm verhandeln.

So stellten sich denn dem Auszahlen des Geldes Schwierigkeiten in den Weg. Deshalb ließen die Unterhändler einstweilen neben den 8000 Gulden in zwei Fässern die 6 Beutel mit den 3000 Talern in einem weiteren Faß unterbringen, und alle drei Fässer gelangten im Quartier des Oberstleutnants von Benckendorsf in Verwahrung. Röpenack und Thomasius wurden im April nach Berlin berufen zur Beratung des Falles mit den zuständigen Ministern. Die Stadt Nordhausen wandle sich am 31. März abermals an den Kaiser mit der Bitte „pro clementissima manutenenia“.

Die Ablehnung der Gelder schuf eine ganz neue Lage. Beiden Teilen, Preußen wie Nordhausen, war es nunmehr endgültig klar, daß ein gütliches Auskommen undenkbar war. Preußen hatte die Aemter von Sachsen erworben; ob dieser Handel ohne Zustimmung des Kaisers geschehen konnte, war rechtlich zweifelhaft; der Kaiser als Lehnsherr hatte bisher gegen den Verkauf noch keinen Einspruch erhoben. Preußen hatte der Stadt die Aemter noch 6 Jahre gelassen. Die Stadt hatte selbst am 26. Juli 1698 gebeten, ihr die Aemter zunächst noch zu lassen, bei der Uebernahme in eigene Verwaltung ihr aber die Pfandsumme auszuzahlen. Dabei hatte sie ganz offenbar gedacht, daß ihr der Besitz der Aemter von Zeit zu Zeit für eine beträchtliche Geldsumme bestätigt würde, daß jedenfalls Preußen nie im Sinne haben werde, das Geld zurück-zuzahlen, noch dazu da bei dem Uebergange der Gerechtsame von Sachsen an Preußen Sachsen nicht im geringsten Anstalt gemacht hatte, seinerseits an Preußen die erhaltene Pfandsumme auszuzah-len. Nordhausen war so sicher, daß es nie die Gelder von Preußen erhalten und deshalb immer im Besitz der Aemter bleiben werde, daß es am 18. Januar 1700 von Geheimrat Unversärth sogar die Gelder gefordert hatte. Jetzt war das Unwahrscheinliche eingetreten: Um die Hand auf Nordhausen zu legen, hatte Preußen, abgesehen von der großen Kaussumme an Sachsen, auch noch die Ablösungssumme bezahlt. Preußen war also ganz legal, ja, nach den Wünschen Nordhausens verfahren. Doch wehrte sich Nordhausen gegen diese Tatsache, indem es behauptete, es stehe im Streite mit Preußen vor dem Reichshofrate, und vor dem Schiedssprüche dürfe es sich in nichts einlassen. Das war offenbar ein unhaltbarer Standpunkt. Ein Streit konnte eigentlich erst aus-brechen, wenn Preußen nach Uebernahme der Aemter deren Rechte weiterzog als bisher üblich, und alle Maßnahmen Preußens deuteten freilich darauf hin. Eine offenbare Vergewaltigung der Stadt war das Einrücken preußischer Truppen gewesen, vor allem aber das Erzwingen der Schutzhoheit. Diese hat Nordhausen deshalb auch von vornherein nicht anerkannt.[29]

Die Lage war also für beide streitenden Parteien kompliziert genug, und im April und Mai des Jahres 1704 wurden deshalb weitschichtige Verhandlungen in Berlin gepflogen. Der König übergab den Streit um Nordhausen seinen berühmtesten Ratgebern zur Entscheidung: dem Geheimrat von Fuchs, dem Generalkommissar von Danckelmann und dem Herrn von Chwalkowsky. Röpenack und Thomasius, beide in Berlin anwesend, sollten ihren fachmännischen Rat geben. Beide Übergaben den Geheimen Räten am 26. April ihre Vorschläge für die Behandlung Nordhausens, und im allgemeinen ist Preußen in den folgenden Jahren diesen Richtlinien gefolgt.

Röpenack erörterte zunächst in 18 Punkten allgemein, wie Preußen sich verhalten solle, wenn die Gelder doch noch von Nordhausen angenommen würden, oder wie es vorgehen solle, wenn die Stadt auf ihrem Standpunkte verharre. Er warf ferner die Frage nach einer stärkeren Belegung der Stadt mit Truppen auf, erörterte die Besetzung des Rathauses und die Abänderung des kirchlichen Gebetes, in dem nur noch für den König von Preußen als den Schutzherrn der Stadt gebetet werden solle. In weiteren 24 Punkten beschäftigte er sich mit der Vogtei. Dabei ließ er den Wunsch durchblicken, es möchten Vogtei und Schultheißenamt in eine Verwaltung genommen werden; er legte sich auch die Frage vor, ob die peinlichen Sachen auf dem Rathause wie bisher oder im Walkenrieder Hofe verhandelt werden sollten und unter welchen Formen das Hochgericht gehegt werden sollte. Dann handelte er in 33 Punkten vom Schultheißenamte. Der Schultheiß müsse auch die Aufsicht über die Zünfte und Apotheken haben, da ja der König das Ius Patronatus darüber besitze. Vielleicht müßten auch die milden Stiftungen und Armenhäuser vom Schultheißen kontrolliert werden, da es dabei in Nordhausen „nicht wohl zu-gehet“. Er erörterte ferner, ob die Prediger und der Rektor scholae vom Schulzen zumindest miternannt werden müßten, da der Schulze der Präsident des Konsistoriums sei. Dann besprach er die Polizeiaufsicht, das Verhängen von Arreststrafen und die Aufsicht über die Juden. Schließlich, meinte er, müsse der Schultheiß auch eine neue Gerichtsordnung anfertigen. Was Zoll, Geleit und Scheffelpfennig betrifft, so müsse wohl eine neue Zollrolle aufgesetzt werden; Heringe, Eisen, Tabak, die bisher unverzollt waren, müßten verzollt werden. Neue Zollstöcke müßten vor die Tore gesetzt werden. Vor allem sei nötig, Waagemeister und Torwächter viel schärfer in Pflicht zu nehmen.

Alle diese Punkte wurden gestreift, indem zunächst nur Fragen aufgeworfen wurden. Aber die Fragen zeigten schon, wie weit Röpenack die Rechte Preußens spannen wollte. Von einer Im-medietät der Reichsstadt konnte, wenn die Fragen bejahend beantwortet wurden, keine Rede mehr sein, wenn auch Friedrich I. bei seinem königlichen Worte wieder und wieder beteuert hatte, er wolle diese Immedietät niemals antasten. Selbst wenn man die Rechte, die aus der Schuhhoheit, der Vogtei und dem Schulzenamte Preußen zuwuchsen, noch so weit zog, konnte doch in einer Reichsstadt nie und nimmer allein für einen Landesfürsten gebetet werden. Die Kriminalgerichtsbarkeit hatte tatsächlich seit unvordenklichen Zeiten in den Händen des Rates gelegen, und der Vogt hatte nur das Stäbchen gebrochen. Alle kulturellen Angelegenheiten waren von jeher Sache der Stadt gewesen; im Konsistorium führte gewöhnlich der Syndikus der Stadt den Vorsitz, niemals der Schultheiß. Ein Aufsichtsrecht des Schulzen über die Armenhäuser und Spitäler, d. h. über die Zinsen ihrer Liegenschaften, daraus abzuleiten, daß diese Gelder mehr in die Tasche der Ratsherrn flössen, als daß sie den Armen und Kranken zutamen, ist eigentlich der sonstigen Urteilskraft des Juristen Röpenack nicht würdig. Die Aufsicht über die Juden, die Erhebung des Scheffelpfennigs, das Geleitrecht waren uralte kaiserliche Privilegien der Stadt.

Man mag also über die Methoden der Stadt Nordhausen in ihrem Kampfe gegen Preußen denken, wie man will, — tatsächlich war es nicht unberechtigt, das Schlimmste zu fürchten und sich mit allen Mitteln zur Wehr zu setzen, obwohl Preußen ordnungsgemäß in den Besitz der Aemter gekommen war. Preußens Unrecht bestand darin, daß es tatsächlich aus einer Reichsstadt eine preußische Landstadt machen wollte, Nordhausens Unrecht bestand darin, daß es nicht nur die Art bekämpfte, wie Preußen seine Gerechtsame ausnuhen wollte, sondern daß es die preußischen Rechtstitel überhaupt bekämpfte.

Von viel höherer Warte aus, aber im Grunde mit demselben Endziel behandelte Thomasius die Stellung Preußens zu Nordhausen. Er machte zunächst Vorschläge, wie sich Preußen zu den einzelnen auswärtigen Mächten verhalten sollte. Der preußische Resident beim Kaiser sollte angewiesen werden, darauf hinzuwirken, daß kein kaiserliches Mandat erfolgte, ohne daß Preußen gehört wäre. Sachfen stehe Preußen zwar nicht freundlich gegenüber, weil Preußen die Schutzhoheit über Nordhausen erzwungen habe, obgleich eigentlich Sachsen bis 1718 den Schutz übernommen hätte. Aber Sachsen gegenüber sei zu betonen, daß der Schutz ein Annex der von Sachsen erkauften Vogtei sei. Ferner könne man hofsen, daß Kursachsen daraus Weiterungen entstünden, daß nicht sämtliche Wettinschen Häuser, die ja den Nordhäuser Schutz insgesamt verbürgt hätten, den Vertrag Sachsens mit Preußen genehmigt hätten. Schweden als Mitdirektor im Niedersächsischen Kreise sei mit Vorsicht zu behandeln. England und Holland als kriegführende Mächte im Spanischen Erbfolgekriege seien an Preußen interessiert. Allein gefährlich sei Hannover.

Bei der Behandlung Nordhausens selbst solle Preußen so vorgehen, daß man jetzt nicht mehr allein auf den Rat, sondern die gesamte Bürgerschaft einzuwirken bestrebt sein solle. Der gesamten Bürgerschaft solle man noch einmal die Gelder, die der Rat abgelehnt habe, anbieten und ihr erklären, Preußen verlange nichts, als was ihm rechtmäßig gehöre. Den Rat solle man zu spalten und die zu gewinnen suchen, die bisher von Frommann und Weber gedrückt worden seien. Sollte die Annahme der Gelder abermals abgelehnt werden, so sollten die preußischen Kommissare alle Gerechtsame in Besitz nehmen, und zwar die kirchliche und weltliche Gerichtsbarkeit, alle Prozeß- und alle Polizeisachen. Diese Besitzergreifung solle Michaelis geschehen, da bis dahin alles bis ins einzelne überlegt und vorbereitet sein könnte.

Die Vorschläge beider Referenten wurden gutgeheißen; Preußen war sich nunmehr über sein Vorgehen im klaren. Daran konnte auch nichts mehr ändern, daß Bartholdi aus Wien berichtete, der Bearbeiter der Nordhausen-Preußischen Angelegenheit im Hofrate von Kirchner stehe auf dem Standpunkte, man könne die alten Rechte der Vogtei und des Schulzenamtes nicht mehr feststellen, Preußen müsse sie so ausüben, wie es durch Sachsen geschehen sei.[30]

Im übrigen informierte sich Preußen genau über die Haltung der auswärtigen Mächte, die Thomasius als wichtig bezeichnet hatte. Bartholdi mußte in Wien mit dem schwedischen Gesandten verhandeln und konnte berichten, daß sich Schweden neutral verhalte und wahrscheinlich auch nichts einzuwenden habe, wenn Preußen für Magdeburg in das Direktorium des Niedersächsischen Kreises eintrete.[31] Sehr interessant ist ferner der Bericht des Freiherrn von Spanheim, des preußischen Gesandten in London, der mitteilte, daß England an Preußens Bundesgenossenschaft im Spanischen Erbfolgekriege sehr viel liege: „Ihre Majestät von Britannien halte Preußen für Ihren besten Bundesgenossen“, daß also England die Nordhäuser Sache gleichgültig sei, daß dagegen das Haus Hannover Stellung gegen Preußen nehme, weil es seine Truppen nicht aus der Reichsstadt herausgenvmmen habe, nachdem Celle Hildesheim verlassen habe. Aehnlich wie Spanheim über England berichtete von Schmettau aus dem Haag über Holland. Schwierigkeiten bereiteten diese Mächte umso weniger, als soeben am 2. Juli 1704 die Verbündeten mit Hilse Preußens den ersten großen Sieg „an der Donau“ über die Franzosen erfochten hätten.[32]

Bei diesen im allgemeinen recht günstigen Nachrichten brauchte sich Preußen nicht davon beunruhigen zu lassen, daß Hannover in Wien weiter gegen den Rivalen arbeitete und auch nach Preußen hin wissen ließ, es werde nicht nur selbst Widerstand leisten, sondern auch den Niedersächsischen Kreis mobil machen, da neben Nordhausen auch Mühlhausen und Goslar von Preußen bedroht seien.[33]

Unterdessen hatte Nordhausen Ende Juni einen hohen preußischen Beamten, den Geheimrat von Chwalkowsky, brüskiert. Chwalkowsky, der eine Kur in Karlsbad gebraucht hatte, war über Nordhausen zurückgereist, um noch einmal auf Wunsch des Königs eine gütliche Verhandlung zu versuchen. Doch der Rat ließ sich mit ihm auf nichts ein, sandte ihm nach langem Hin und Her nur den Sekretär Heidenreich und den Senator Riede! und ließ erklären, der Magistrat habe vom Kaiser die schriftliche Versicherung, daß, wenn Kursachsen die Aemter nicht länger behalten wolle, die Stadt beide selbst übernehmen dürfe. Zu dieser allerdings völlig aus der Luft gegriffenen Behauptung tat die Stadt dem preußischen Unterhändler noch die Schmach an, ihm als Ehrengeschenk 4 Flaschen Wein überreichen zu lassen. Chwalkowsky konnte nach seiner Rückkehr nach Berlin dem Könige nur empfehlen, Ernst zu machen.

Natürlich stand Nordhausen auch weiter in Verbindung mit dem hannöverschen Agenten, dem Hauptmann Offney, und dessen Gerede ist es z. T. zuzuschreiben, daß Preußen noch vor Uebernahme der Aemter seine Truppenmacht in Nordhausen wieder verstärkte. Offney hatte mehrfach, um den Mut der Bevölkerung zu heben, ausgesprengt, hannöversche Truppen seien im Anmarsch. Das hatte neben dem Wunsche Preußens, in den entscheidenden Michaelistagen ein stärkeres Aufgebot in der Stadt zu besitzen, zur Folge, daß am 5. und am 8. August 350 Mann neu einrückten. An Stelle des Majors von Stockheim, der dem Oberstleutnant von Benckendorf gefolgt war, übernahm wieder Oberst von Sydo das Kommando.

Zugleich ergingen jetzt aus Berlin die Befehle zur Uebernahme der Aemter. Zur Kommission berufen wurden Geheimrat Stiftshauptmann von Lüdecke aus Quedlinburg und Hofrat Schreiber aus Halberstadt. Ihnen zur Seite standen Hofrat Röpenack aus Nordhausen als Sachverständiger, und als Ratgeber in juristischen und verwaltungstechnischen Fragen Professor Thomasius. Sydo sollte als Militär gehört werden.[34]

Als Instruktion für sein Verhalten bekam Röpenack folgende Anweisung: Er habe beide Aemter zu übernehmen und auszuüben; auch die geistliche Gerichtsbarkeit liege in seinen Händen. Er könne Ratsherrn und Bürger ohne Unterschied vor die Gerichte ziehen. Die Exekution in Kriminalsachen habe er vor dem Rathause vor- zunehmen. Wenn er Widerstand finde, solle er das Militär in Anspruch nehmen. Alle Ausschreibungen geschähen sortan im Namen Gottes des Allmächtigen, von wegen des Heiligen Römischen Reiches und von wegen Ihrer Kgl. Majestät in Preußen. Er habe ferner das Patronat über die Zünfte zu übernehmen und Erkundigungen einzuziehen, ob nicht auch das Patronat über die Geistlichkeit, die Schule und die Spitäler möglich sei. Das gesamte Zollwesen und den Scheffelpfennig solle er übernehmen, Eingriffe des Rates nicht dulden, sondern jeden Widerstand mit Arrest bestrafen.

Die Kommission verhandelte vom 2.—9. September in Nordhausen, übernahm am 5. September die Kriminal- und Civilgerichtsbarkeit, am 6. September Zoll und Geleit. Nordhausen unter Anführung von Bürgermeister Paulandt weigerte sich standhaft, das angebotene Geld von 13 215 Talern 12 Groschen an- zunehmen; das Geld mußte in ein Eichenfaß getan werden, das von den Kommissaren versiegelt wurde. Röpenack erhielt seinen Sohn Johann Walter Röpenack als Sekretär für das Civilgericht und hielt am 8. September im Walkenrieder Hof seinen ersten Gerichtstag. Schöppen neben Röpenack waren die beiden preußischen Juristen Ioh. Günther Riemann und Franz Heinrich Wachsmuth. Zum Zeichen der Strafgerichtsbarkeit wurden am Walkenrieder Hofe auch zwei Halseisen angebracht, eins nach der Ritterstraße, eins nach dem Neuen Wege hin. Sie wurden von Röpenack selbst in die Mauer gesteckt. Doch Nordhäuser Maurer gaben sich nicht dazu her, die Halseisen einzulassen; ein preußischer Soldat, der Maurergeselle war, mußte das Werk vollbringen. Die Nordhäuser Torwirte weigerten sich, dem Schultheißen über die eingenommenen Zölle Auskunft zu geben, sie wurden abgesetzt und durch Soldaten ersetzt, die nunmehr am Altendorfe, am Siechen-, Sundhäuser-, Töpfer-, Vielen- und Grimmeltore Zolleinnehmer spielten. So wurde Nordhausen mit Gewalt in preußische Verwaltung und Gerichtspflege genommen.[35]

Röpenack scheute sich nicht, jetzt alle seine Machtbefugnisse zu gebrauchen. Widerstrebenden erging es recht übel. Preußische Soldaten standen bereit, sie vor die Gerichte zu schleppen; in Kellern und Gefängnissen, „darinnen sie fast krepieren müssen“, wurden sie solange gehalten, bis sie das preußische Gericht anerkannten, hohe Geldstrafen wurden verhängt. Die Zollerhöhungen traten in Kraft, und zu den alten zollpflichtigen Waren traten neue hinzu.

Während Hannover besonders politisch stark an Nordhausen interessiert war, wurde das der Reichsstadt benachbarte Sachsen durch die Zölle vor allem wirtschaftlich in Mitleidenschaft gezogen. Dauernd liefen in Dresden Beschwerden der sächsischen Untertanen ein, daß die Nordhäuser Zölle geändert seien „zum Verderb des hiesigen Commercii“. Auch bei Sachsen erregte deshalb das preußische Vorgehen Anstoß.

Um die Bürgerschaft zu beruhigen und sich den neuen Zustand der Dinge einspielen zu lassen, nahm Preußen im Laufe des September und Oktober alle neu eingerückten Soldaten aus der Stadt wieder heraus; Herr von Sydo ging im Dezember auf sein Gut zur Erholung. Doch diese Maßnahmen hatten, im Verein mit der feindseligen Haltung Hannovers und Sachsens gegen Preußen, bei der Stadt gerade den entgegengesetzten Erfolg. Nordhausen blieb zu äußerstem Widerstände entschlossen. Die Stadt selbst und ebenso Kurhannover wandten sich alsbald nach der Uebernahme der Aemter an den Kaiser. Kein anderer als der Bürgermeister Frommann gab den Preußen darüber Auskunft. Der Charakter dieses alten, nunmehr bald neunzigjährigen Mannes, der sicher seine Verdienste um die Vaterstadt hatte, erscheint bei allen seinen Handlungen und Aeußerungen in merkwürdig gebrochenem Lichte. Daß er sein Amt als Bürgermeister zu seinem Vorteil ausgenuht hatte wie die meisten anderen auch, unterliegt keinem Zweifel, daß er seine überragende Stellung benutzt hatte, um seinen Günstlingen Aemter und Einnahmen zu verschaffen und feine Widersacher niederzuhalten, ist bekannt. Jetzt, bei der preu- sischen Invasion war er derjenige, der dauernd hin und her wechselte. An den Kommissionsverhandlungen hatte er, angeblich wegen seines Alters, nicht teilgenommen, hatte aber den Rat gegeben, bis zum äußersten zu widerstehen. Bald danach verriet er dem Obersten von Sydo bei einem Besuche, den dieser ihm ab- stattete, daß der Rat an den Kaiser geschrieben habe. Dann bat er den Obersten, er möchte in Berlin auf einen Vergleich hinwirken. Das könne vielleicht fo geschehen, daß der preußische Resident in Wien den Kaiser zu diesem Vorschläge veranlasse.[36]

Ganz anders war die Haltung des Nordhäuser Rates, offenbar jetzt unter dem Einflüsse des Rechtsanwaltes und Ratsherrn Ioh. Günther Hoffmann, der immer mehr in den Vordergrund trat. Nordhausen dachte gar nicht daran nachzugeben oder an faule Kompromisse, sondern beschwerte sich schon am 15. August beim Kaiser über die neue Einquartierung, und richtete am 2. Oktober eine in energischen Worten gehaltene Bittschrift an den Kaiser, in der die Stadt über die neuen „Attentate“ berichtete und darum bat, der Kaiser möchte, solange sich der Hofrat noch nicht über das Verhältnis Nordhausens zu Preußen geäußert habe, Preußen jede Tätlichkeit verbieten. Als dann die Gerichtssitzungen des Schultheißen Röpenack in Gang kamen, führte die Stadt am 1. November nochmals heftigste Klage über die fortgesetzten Beeinträchtigungen ihrer Gerechtsame, vor allem über die Ausübung der Gerichtsbarkeit in der von Preußen beliebten Form.

Diesen Bitten sekundierte Kurfürst Georg Ludwig von Hannover, der am 19. September in den Kaiser drang, gegen Preußen endlich einzuschreiten, und seinen Residenten Erasmus in Wien anwies, „keine Zeit noch Gelegenheit zu versäumen, aller dien- samer Orten aufs nachdrücklichste und beweglichste“ die Not Nordhausens vorzustellen.[37] Und wie Nordhausen notariell sämtliche Eingriffe des Schultheißen in feine Rechte festlegen ließ, so unterstützte Hannover die Stadt in der Wahrung ihrer Rechte, indem der Kurfürst alle seine Untertanen am 30. Dezember anwies, bei Streitigkeiten mit Nordhäuser Bürgern nur vor dem Rate in Nordhausen, nicht vor dem preußischen Schultheißen zu klagen.[38]

Schließlich, da sich in Wien noch immer nichts für die bedrängte Reichsstadt regte, entschloß sich die Stadt, auch auf Anraten Hannovers, selbst einen Abgesandten nach der Reichshauptstadt zu schicken. Dazu war Ioh. Günther Hoffmann ausersehen, der am 21. November eine lehrreiche Instruktion mit auf den Weg bekam. Er sollte beim Reichshofrate vorstellen, daß die preußische Schuhhoheit erzwungen sei, daß jetzt Tag für Tag Gewalttaten geschähen und die vor den Schultheißen Zitierten durch Soldaten vorgeführt würden. Er sollte einen kaiserlichen Befehl gegen Preußen erwirken, daß erstens alles in den vorigen Stand gesetzt würde, daß ferner der Schultheiß sich solange, wie der Streit beim Reiche anhängig sei, jeder Tätigkeit enthalte, und daß drittens sämtliche Truppen die Stadt verließen. Da Nordhausen Preußen die Aemter überhaupt streitig machen wollte, der Hofrat — z. B. von Kirchner — aber den Verkauf Sachsens an Preußen anerkannt hatte, mußte Hoffmann bei heiklen Punkten sehr vorsichtig verfahren. So erhielt Hoffmann die weitere Anweisung: Wenn er gefragt werde, wie es um die Annahme des Wiederkaufsgeldes stehe, so solle er antworten, Wien habe allein die Entscheidung, weil der Prozeß ja noch schwebe und sie als Partei keine Entschließungen fassen dürsten. Aus die Frage, welche Bewandtnis es mit den Juribus aus sich habe, solle er antworten: Nordhausen habe die völlige Immedietät, das jus territoriale nebst dem mero et mixto imperio, in geistlichen und weltlichen Dingen Jurisdiktion, tam civilis quam criminalis, ius collectandi den Scheffelpfennig, freie Verwaltung von Schulen, Kirchen, Klöstern, Hospitälern. Die Stadt lasse ihr Votum in Regensburg führen, gehöre als selbständiges Kreismitglied dem Niedersächsischen Kreise an. — Der Scheffelpfennig sei ein Wegegeld (pedagium) zur Erhaltung von Brücken, Wegen und Stegen, habe nie zum Schulzenamt gehört. Ferner habe Preußen schon 1700 die Zölle erhöht. Das dürfe gemäß der Kapitulation Kaiser Leopolds, Art. 21, nicht geschehen ohne die Einwilligung des Kaisers und des gesamten Kollegiums Electoralis. Schließlich: Wegen des Schutzes solle der Abgesandte betonen, daß sich Nordhausen seit alters seinen Schutzherrn wählen könnte.[39]

In Wien selbst übergab Hoffmann, abgesehen davon, daß er ganz allgemein für seine Heimatstadt eintrat, noch eine besondere Schrift über die wirtschaftlichen Belange Nordhausens, die durch die preußischen Maßnahmen in Mitleidenschaft gezogen waren. In dieser Schrift war besonders dargelegt, daß der Scheffelpfennig nie zum Schulzenamte gehört habe, sondern ein Wegegeld sei, daß er deshalb auch von der Stadt und nicht von Preußen vereinnahmt werden dürfe; ferner wurde gegen die Zollerhöhungen protestiert.

Doch Nordhausen begnügte sich nicht allein mit Protesten aller Art und mit Gesandtschaften an den Kaiser, sondern organisierte innerhalb der Stadt selbst den Widerstand. Der Rat gab dem Schultheißen keinerlei Akten heraus, so daß die Prozesse verzögert wurden. Kein Bürger durfte vor dem Schulzen klagen; wer es tat, wurde diffamiert, kein Bürger durfte den preußischen Beamten irgendeine Hilfe leisten oder gar Geld für Dienste annehmen, den preußischen Soldaten wurde kein Quartier gewährt oder, wenn es gewährt werden mußte, ließen die Bürger ihre Abneigung offen fühlen. Wenn Handel und Wandel unter dem passiven Widerstände litten — umso bester, man hatte dann eine Beschwerde mehr gegen das preußische Regiment. Ferner wurde ausgesprengt, das Rathaus werde besetzt, die Bürgermeister würden gefangen nach Spandau abgeführt werden. Dann wieder ließ der Rat verbreiten, das preußische Gericht habe keinen Bestand, da der Reichshofrat einschreite. Alle Gewerbetreibenden brächte man auf durch das Gerücht, die preußische Akzise werde eingeführt und der Einfluß der Zünfte beseitigt.[40]

Den paar preußischen Beamten in Nordhausen und an ihrer Spitze dem Schultheißen Röpenack wurde wahrhaftig das Leben sauer gemacht.

Der preußische König und seine Ratgeber aber ließen sich jetzt nicht mehr von dem einmal beschrittenen Wege abbringen. Im Gegenteil: Geheimrat von Lüdecke erhielt am 27. September zwar des Königs Dank für seine Tätigkeit in Nordhausen, doch hieß der König es nicht recht, daß er aus Entgegenkommen auf das ius ecclesiasticum verzichtet habe. Ferner erging unter dem 12. Dezember eine energische Mahnung des Königs an den Rat, dem Schultheißen alle Prozeßakten auszuliesern und zu triuni ressiiin, dem 6. Januar, wo die Bürgerschaft dem Rate den Treueid leistete, nicht daraus zu bestehen, daß die Bürger nach alter Weise schwören müßten, daß sie vor niemandem als dem Rate Recht suchten. Wenn der Rat diese Eidesformel nicht ab- ändere, „so haben wir bereits solche Vorsehung getan, daß Euch der Gebühr nach begegnet werden soll“. Dagegen wandten sich wiederum am 18. Dezember die Nordhäuser: Ihre „in Münchschrift vorhandenen . . . Statuten bewiesen ihre Rechte; im übrigen wollten sie alles dem Kaiser anheimstellen.“[41]

Darüber daß mit der Uebergabe der Aemter an Röpenack der Widerstand der Stadt noch nicht gebrochen sei, war sich Preußen selbst im klaren. Es war deshalb zunächst darauf bedacht, die Organisation seines Gerichtswesens in Nordhausen auszu- bauen. Dazu wurde wiederum Thomasius berufen, und dieser bat, den Obersten von Sydo, der ein „Mann von klugem Nachsinnen“ sei, zugleich mit ihm nach Berlin zu berufen. Beide weilten im Oktober in Berlin, wo Thomasius seine Gerichtsverfassung und Prozeßordnung für Nordhausen ausarbeitete. Mancherlei Anfragen bei Röpenack in Nordhausen und Lüdecke in Quedlinburg waren dazu nötig.

Thomasius schlug nun für Nordhausen ein reichsvogteiliches Obergericht oder Appellationsgericht vor, das mit einem Direktor und vier Assessoren besetzt werden sollte. Der König sollte den Direktor und einen Assessor berufen, die Wahl der drei anderen Assessoren sollte dem Rate zustehen. Dieses Obergericht sollte als Berusungsinstanz für die niederen Gerichte im Jahre zweimal 8 Tage tagen. Von dem Gerichte sollte noch an den Kaiser appelliert werden dürfen, aber nur nach Hinterlegung einer Summe von 5—100 Talern, die verfallen wären, wenn keine sententia reformatoria zu erhalten gewesen sei.

Unter dem Obergericht sollte das Schulzengericht stehen, dessen Vorsitzenden der König in Preußen ernenne, zu dessen beiden Beisitzern aber der Rat dem Könige 4 tüchtige Ratspersonen präsentieren sollte, von denen dann zwei in Berlin ausgewählt werden sollten. Die Kommission habe im September 1704 die Beisitzer nur ernannt, weil der Rat bisher jede Mitarbeit verweigert habe.

Thomasius schlug also für die kleine Reichsstadt eine recht umständliche und kostspielige Organisation vor. Lüdecke stimmte zu, Röpenack dagegen erhob Bedenken. Vielleicht tat er das nur, weil er von einem Appellationsgericht in Nordhausen, dessen Direktor nicht er selbst wurde, eine persönliche Beeinträchtigung befürchtete. Doch war sein Einspruch auch sachlich berechtigt: Die Thomasiussche Rechtsverfassung war zu kompliziert, und Preußen konnte es sich nicht leisten, eine derartig großzügige Organisation aufzubauen, solange seine Ansprüche auf die Stadt noch nicht völlig gesichert waren. Mit Recht betonte Röpenack, Thomasius habe sein Gericht ex iure et observantia Germaniae deduciert, wogegen der Rat sogleich protestieren werde, da für ihn das Reichsgericht die einzige Appellationsinstanz sei. Röpenack forderte deshalb Aufschub für die Ausführung des Planes. Tatsächlich ist dann auch aus dem Vorschläge des Hallischen Rechtsgelehrten nichts geworden.[42]

Dennoch ist deutlich sichtbar, wie Preußen seine Stellung in der Stadt zu festigen bestrebt ist. Die Haltung beider Parteien aber, Preußens wie Nordhausens, läßt erkennen, daß höchste Spannungen in der Weihnachtszeit des Jahres 1704 vorhanden waren. Rein äußerlich mußte der Zusammenprall dadurch gegeben sein, daß einerseits Preußen endlich die Annahme der Gelder erzwingen und am 6. Januar 1705 auf keinen Fall den Bürgereid in der alten Form zulassen wollte, daß andererseits der Kaiser und der Reichshofrat durch den Nordhäuser Abgesandten Hoffmann zu energischem Eingreifen gedrängt wurden.

Wegen der Gelder, die noch immer in einem großen eichenen Fasse verpackt und von einem Posten bewacht dalagen, hatte Röpenack schon am 29. November angesragt und am 11. Dezember den seltsamen Bescheid bekommen, er und der Oberst von Sydo sollten Militär bereithalten, das zuspringen sollte, wenn die Ratsherrn aus das Rathaus gingen und die Rathauspsorte gerade ossenstände. Die Soldaten sollten dann die Tür mit Gewalt offenhalten, bis das Geld in das Rathaus geschasst sei. Dieser Beseht wurde aber nicht sogleich ausgesührt, weil Sydo in Urlaub weilte, und am 29. Dezember kam die Anweisung, mit der Ausführung bis nach dem 7. Januar 1705, d. h. bis nach dem kritischen Tage der Ratswahl zu warten.

Wegen der Auslassung der Worte im Bürgereide „an keinem anderen Orte als vor Uns, dem Rate, zu klagen und Justiz zu suchen“ hatte der König mehrfach an Nordhausen geschrieben, der Rat hatte sich aber am 18. Dezember geweigert, die seit alters gebräuchliche Eidesformel abzuändern. Im Gegenteil, die Stadt sah die beanstandeten Worte in dem Eide als einen Beweis dafür an, daß der Rat die Jurisdiktion von jeher gehabt habe. Am 25. Dezember sandte dann Röpenack nochmals einen Notar an Bürgermeister Paulandt mit der Nachfrage, was die Nordhäuser am 6. Januar zu tun gedächten und ob sie nun gewillt seien, dem Könige von Preußen das Homagium zu leisten. Paulandt erteilte die Antwort, sie hätten vom Kaiser keine Anweisung erhalten.

Bei dieser Haltung der Stadt hielten es die maßgebenden Kreise in Berlin für angebracht, in einem Königlichen Edikt an Nordhausen nochmals die Rechte Preußens und die Beweggründe für sein Handeln der Nordhäuser Bürgerschaft darzulegen. Die Vorarbeit für dieses Edikt hatte die gewandte Feder des Christian Thomasius geleistet, der schon Anfang November den Auftrag dafür erhalten und am 18. November sein Konzept an den Grasen von Wartenberg eingereicht hatte. Das dann unter Cölln, den 23. Dezember herausgegangene Edikt, gez. Friedrich — Graf von Wartenberg, stimmt in großen Teilen mit dem Vorschläge des Thomasius überein. Es wurde gedruckt und ist noch heute in vielen Exemplaren vorhanden. In dem Erlasse wird zunächst scharf Stellung gegen den Rat genommen, der des Königs Geduld mißbrauche. Bürger, die ihr Recht vor dem preußischen Schultheißen suchten, würden eingeschüchtert und mit Strafen bedroht. Der Rat selbst komme bei Röpenack mit nichtigen Protesten ein. Fortan werde gegen dergleichen „Turbatores“ mit gehöriger Ahndung verfahren. Dann folgt eine von Thomasius übernommene sehr eindrucksvolle Stelle: „Wir wollen hierdurch alle und jede, denen es wegen ihrer Reichs Freiheit ein Ernst ist, erinnert haben, wohl zu beherzigen und zu erwägen, daß dieselbe fürnehmlich darinnen bestehe, wann ein jedweder, auch der ärmste und geringste Bürger sich getrosten kann, daß ihm ohne Ansehen der Person sowohl wider Vornehme oder Niedere bei täglich vorkommenden Fällen unparteiische Justiz werde administriert werden, und daß hingegen … bekannt, wie zum öfteren Mächtigere in einer Stadt mit dem Namen der Freiheit spielen und für sich selbst zwar eine unbeschränkte Freiheit gebrauchen, ihre Mitbürger unter dem Schein der Gerechtigkeit oder auch wohl ohne Scheu durch offenbare Gewalt unterdrücken…“ Danach geht das Edikt darauf ein, wie Preußen die Gerichtshöfe zu besetzen gedenke und daß bei der Wahl der Beisitzer Nordhausen nicht ausgeschaltet sein solle. Beschwerden dürften ruhig vorgebracht werden; die Reichsfreiheit werde nicht gekränkt, sondern beschützt. Dann sollten aber auch sie, die Nordhäuser, allen „widrigen Machinationen“ entgegentreten. Dem Magistrate hätte wohl obgelegen, „dasjenige, was zwischen Uns und der Stadt bisher traktiert worden, mit Euch, der ganzen Bürgerschaft, zu überlegen und euer Gutachten darüber einzuholen, dieses aber gleichwohl nicht geschehen…, sondern von etlichen wenigen Personen, welche einige seither das Regiment allein an sich gezogen und auf allerhand Weise eure als freien Reichsbürgern zustehende Freiheit zu schwächen getrachtet, alles geschlossen und traktieret worden.“ Der König überlasse es dem Nachsinnen der Bürger, ob es jetzt nicht Zeit sei, diesen bisher allein herrschenden Leuten das Handwerk zu legen und dahin zu arbeiten, „daß die bisher gekränkte Regimentsform… wiederum auf den alten Fuß gesetzt werden möge.“

Am 29. Dezember erging eine neue Botschaft an die Bürger, sie sollten sich nicht zu dem Eide am Ratswahltage, dem 6. Januar, drängen lassen. Werde dieser Eid geschworen, so seien sie schon jetzt davon entbunden.[43]

Ein gewisser Langmut und ein öfteres Einlenken und Entgegenkommen ist Preußen nicht abzusprechen, wenn auch unbestreitbar ist, daß es seine Rechte über Nordhausen viel zu weit zog und von der viel berufenen Immedietät nichts übrig geblieben wäre, wenn sich Preußen durchgesetzt hätte. Die Gegenwirkungen kamen diesmal vor allem aus Wien, wo Hoffmann für Nordhausen ein ganz anderer Sachwalter war als der Agent Koch, der denjenigen am besten vertrat, von dem er die meisten Gelder bezog. Auf Hoffmanns Vorstellungen ist es zurückzuführen, daß unter dem 20. Dezember 1704 ein Schreiben des Kaisers mit beigefügtem Mandatum Caesarei an die Stadt und eine „gemessene Abmahnung“ an Preußen ging. Der Kaiser zeigt sich mit dem Verhalten Nordhausens völlig einverstanden und befiehlt dem Rate, „daß Ihr in Eurem bisherigen rühmlichen Eifer und guten Vorhaben zu des allgemeinen von Uns Euch anvertrauten Stadtwesens Besten und Conservation derselben notorischen Immedietät continuieret und zu Praejudiz ein oder anderen desselben ohne unser Vorwissen und gnädigste Bewilligung Euch in keine Traktaten einlasset.“ Das „nebengehende Patent“ sollen sie sofort „gehörigen Ortes publicieren und zu männiglicher Wissenschaft in der Stadt bringen.“

In dem Schreiben an König Friedrich in Preußen wurde vom Kaiser der mit Kursachsen geschlossene Kontrakt für mangelhaft, die erhandelten Jura für illiquid erklärt. Die Räumung der Stadt wurde befohlen.

Das kaiserliche Patent wurde vom Rate veröffentlicht und am 4. Januar 1705 auf Ratsbefehl von allen Kanzeln verlesen. Es enthielt den Befehl an Rat und Bürgerschaft, nichts zu tun, wodurch die Reichsimmedietät und die damit verbundenen Vorrechte geschmälert werden könnten, vielmehr sei der Rat allein die in der Stadt verordnete Obrigkeit, der keine Rechte, vor allem nicht das der Jurisdiktion entzogen werden dürfte. Bei neuer Ratswahl müsse die alte Form der Regierung gewahrt bleiben.[44]

Mit diesem kaiserlichen Mandat hatte der Abgesandte der Stadt und damit die Ratspartei einen großen Erfolg davongetragen. Man war nunmehr vonseiten der in der Stadt bevorrechteten Geschlechter entschlossen, gegen Preußen durchzuhalten. Preußen konnte sich am 16. Januar nur deshalb beschwerdeführend nach Wien wenden, weil es nicht vor dem Schritte für Nordhausen vom Kaiser gehört worden war. In der jetzt nach der kaiserlichen Botschaft ganz aufsässigen Stadt konnte es sich nur mit größerer Strenge, noch stärkerer Betonung seines Standpunktes und straffster Handhabung der Gerichte halten; es war gezwungen Maßnahmen durchzuführen, die es bisher um der Befriedung der Bevölkerung willen sorgsam vermieden hatte und von denen noch nicht abzusehen war, ob sie den Widerstand brechen oder ihn noch verstärken würden.

Zu diesem neuen Kurse Preußens nahm Hannover schon am 20. Januar 1705 Stellung. Der Kaiser hatte um der großen Politik willen den Kurfürsten gebeten, alles zu vermeiden, was zu einem offenen Konflikte zwischen Hannover und Preußen führen könne. Jetzt erging von Hannover ein Schreiben nach Wien, daß Hannover an eine ernsthafte militärische Auseinandersetzung mit Preußen nicht denke, es müsse aber, da Preußen den Befehlen des Kaisers in Nordhausen nicht die geringste Folge leiste, nun auf ein energisches Einschreiten des Kaisers dringen, wenn dessen Ansehen nicht völlig schwinden solle.[45]

Von tatkräftigem Handeln war freilich nicht die Rede; Preußen versuchte, sich in der Stadt völlig durchzusetzen, und Nordhausen leistete ohne nennenswerte Hilfe von außen schlecht und recht dagegen Widerstand.

Daß der Nordhäuser Rat es gewagt hatte, das kaiserliche, Preußen alle Rechte an Nordhausen absprechende Patent am 4. Januar 1705 von den Kanzeln verlesen zu lassen, mußte Preußen als gröbste Herausforderung empfinden. Diese Aufsässigkeit, ja öffentliche höhnische Mißachtung aller preußischer Hoheitsrechte mußte sich noch verstärken, wenn der Rat am 6. Januar die Ratswahl mit der von Preußen seit Monaten beanstandeten Eidesformel der Bürgerschaft ungehindert durchführte. Um diesen neuen das preußische Ansehen gefährdenden Schlag zu verhüten, griffen nun der Oberst von Sydo und der Schulze Röpenack durch. Sie ließen am 5. Januar wegen der Veröffentlichung des kaiserlichen Patents die 4 Bürgermeister von je einem Unteroffizier und 6 Mann verhaften und für einige Tage in Gewahrsam setzen. Dadurch zeigten sie der Bürgerschaft, wer der Herr der Stadt sei, und verhinderten zugleich die ordnungsmäßige Durchführung der Ratswahl. Die Bürgerschaft konnte auf den Markte nicht zusammentreten und dem neuen Rate die Huldigung leisten. Der Eid unterblieb damit. Ueber die Ratswahl konnte man sich nur in Privatbesprechungen verständigen und dann die Proklamation des neuen Rats in der Nikolaikirche vornehmen. Seit Hunderten von Jahren war es das erste Mal, daß zu trium regum nicht die gesamte Bürgerschaft zusammengetreten war und daß sie nicht dem neuen Rate den Treueid leistete.

Preußen hatte zunächst gesiegt. Natürlich war die Unruhe in der Stadt groß. Man erwog deshalb die Besatzung zu verstärken. Doch nahm man davon Abstand; nur ein Austausch von Truppenteilen fand statt. Ende April und Anfang Mai rückte die bisherige Garnison nach dem Kriegsschauplatze in den Niederlanden ab, und neue Truppen aus Magdeburg, Halberstadt und Quedlinburg trafen ein. Um jedoch den widerspenstigen Magistrat und an seiner Spitze den besonders aufsässigen Bürgermeister Andreas Weber weiter zu demütigen, verhängten Sydo und Röpenack vom 22. Januar an über jeden Bürgermeister drei Wochen lang Hausarrest: Vor jedem Bürgermeisterhause standen 6 Soldaten Wache.

Völlig gebrochen wurde der Widerstand auch damit nicht. Standhaft weigerte sich der Rat wie bisher, die Wiederkaufssumme anzunehmen und die Gerichtsakten auszuliefern. Eine ganze Reihe wichtiger Stadtakten ließ Nordhausen aus der Stadt bringen und übergab sie der befreundeten Reichsstadt Goslar zu treuen Händen, um sie bei einem offenbar in Aussicht stehenden Gewaltakt sicherzustellen. Man vertraute die Akten Goslar an, das in der Nähe Braunschweigischen Landes lag, und nicht der Schwesterstadt Mühlhausen, weil diese einem Zugriffe durch Preußen ähnlich ausgesetzt schien wie Nordhausen.

Am 6. Februar 1705 erfolgte dann der schon lange gefürchtete Gewaltstreich. Wie es schon im November 1704 von Berlin empfohlen war, ließ Sydo das Rathaus durch Militär gewaltsam öffnen, die Zugänge mit Doppelposten besetzen, im Innern Türen und Kisten aufbrechen und alle Akten, die Röpenack als für sich von Wert bezeichnete, herausholen. Ganze Wagenladungen von Aktenbündeln wurden nach dem Walkenrieder Hofe abgefahren. Damit hatte Röpenack die Unterlagen für die Fortsetzung der Prozesse in der Hand. Doch merkte er bald, daß noch immer einiges fehlte. Er vermutete die fehlenden Aktenstücke, da der Syndikus Harprecht nicht mehr amtierte, im Hause des Sekretärs Heidenreich, der sich deshalb zwei Haussuchungen gefallen lassen mußte.

Die 13 000 Taler Wiederkaufsgelder aber, die seit den Septemberverhandlungen des Vorjahres, von einem preußischen Posten bewacht, dagelegen hatten, wurden dem Magistrat nunmehr nochmals angeboten. Sydo schickte zwei Fähnriche zu dem worthalten- den Bürgermeister Weber und verlangte von diesem die Annahme. Dieser verweigerte sie und betonte, der Kaiser habe seiner Reichsstadt geboten, sich auf nichts einzulassen, auch kein Geld anzunehmen, auch auf dem Walkenrieder Hofe vor dem preußischen Schultheißen nicht zu klagen. Nordhausen sei eine kaiserliche Stadt. Darauf ließ sich einer der Fähnriche vernehmen: Es werde nun nicht mehr „kaiserlich“ heißen.[46] Sydo aber blieb nach dieser Weigerung Webers nichts anderes übrig, als die guten blanken Taler, die keiner haben wollte, in ihrem Eichenfaß verpackt in das Rathaus rollen und in den Kämmereikasten stecken zu lassen. Hier blieb das Geld unangetastet bis zum Jahre 1715.

Fast war es nun so, als ob das Wort des naseweisen Fähnrichs wahr werden sollte. In den nächsten acht Jahren ruhte Preußens schwere Hand auf Nordhausen, und die Stadt war nur noch dem Namen nach Freie Reichsstadt. Die Gerichtsbarkeit war völlig an Preußen ausgeliefert, die Polizeigewalt war abhängig vom Schultheißen und vom Stadtkommandanten, Eingriffe in die kirchliche Verwaltung und in die der Hospitäler waren an der Tagesordnung, wichtige Einnahmen, wie vor allem die willkürlich erhöhten Zölle, flossen in die preußischen Kasten. Dazu kam in den Folgejahren der Anspruch Preußens auf einen großen Teil der reichsstädtischen Feldflur.

Statt vieler anderer Beschwerden mag nur eine, die der Agent Koch in Wien dem Reichshofrate überreichte, den Zustand beleuchten, in welchem die Stadt damals verharrte: Ueber die Stadt seien nie erhörte Drangsale hereingebrochen. Ratsgefangene habe man aus dem städtischen Gefängnis, das man erbrochen habe, abgeführt und vor den preußischen Schultheißen zur Aburteilung gebracht; aus dem Ratsmarstall sei ein arretiertes Pferd durch 20 Musketiere fortgenommen worden und dadurch „des Rats Jurisdiktion violieret“. Klagende Bürger seien durch militärische Gewalt oder durch hohe Geldstrafen dahingebracht, daß sie vor dem Schulzengerichte klagten statt, wie es sich gebührte, vor dem Rate. Des Rates ohnehin geringes Einkommen sei geschmälert, neue Zölle seien eingesührt, an den Stadttoren hielten preußische Soldaten als Zollwächter, die Ratswaage sei mit Beschlag belegt, der Waagemeister, der die einkommenden Gelder für den Rat sicherstellen wollte, sei bedroht worden. Bürger, die keine Brau- gerechtsame hätten, schenkten mit Preußens Genehmigung Bier aus und schädigten die Einnahmen der Brauer. Trotzdem erkläre Preußen, es taste die Immedietät der Reichsstadt in keiner Weise an.[47]

Daß Preußen selbst rein äußerlich daranging, aus der Reichsstadt eine preußische Landstadt zu machen, ersieht man daraus, daß der König nach dem Tode seiner Gemahlin Sophie Charlotte von der Stadt Trauergeläut verlangte.[48] Nordhausen lehnte es ab.

Die Mächte aber, denen die Selbständigkeit der Stadt am Herzen lag, ließen es weiter bei Worten bewenden und scheuten sich vor der Tat. Der in Wien weilende Nordhäusische Abgeordnete Hoffann sah bald ein, daß vom Kaiser wenig Unterstützung zu erwarten sei und schrieb deshalb an seine Heimatstadt, sie solle sich weiter an Hannover um Hilfe wenden. Doch Hannover fand auch nur Worte und wies nur seinen Wiener Residenten von Huldeberg an, Hoffmann bei den Bittgängen zu unterstützen. Huldeberg, der Agent Koch und Hoffmann antichambrierten dann bei den maßgebenden Reichshofratsmitgliedern und erreichten schließlich am 12. März 1705 auch ein Reichshofratkonklusum, auf Grund dessen der Kaiser sich am 6. April einigermaßen energisch gegen Preußen vernehmen ließ: Preußen habe sich über den Hofrat beschwert, der in der Nordhäuser Angelegenheit Beschlüsse gefaßt habe, ohne daß Preußen als andere Partei vorher zu Worte gekommen sei. Preußen habe auch reichlich scharf betont, es werde seinen Weg weiterschreiten, da es die Jura rechtmäßig erworben habe. Der Kaiser lasse augenblicklich dahingestellt, ob der Vertrag Brandenburg-Sachsen überhaupt ohne Genehmigung des Kaisers abgeschlossen werden durfte. Jedenfalls stünden einige unstatthafte Maßnahmen Preußens fest: Es habe eine unstreitig reichsunmit- telbare Stadt mit Truppen belegt, habe dem Magistrat die Stadtschlüssel abgenommen, die Bürgerschaft entwaffnet, Edikte angeheftet, Ratspersonen „mit Einlegen vieler Söldner“ belästigt. Die Jura würden so ausgelegt, daß von Reichsfreiheit keine Rede mehr sein könne. Bei diesen Verhältnissen könne der Kaiser ohne Hintansetzung des kaiserlichen Amtes und der beschworenen Wahlkapitulation nicht anders, als Preußen befehlen, die Miliz sofort herauszuziehen und den gesamten früheren Stand der Stadt wie- derherzustellen. Hildesheim sei längst „evacuiert“, und Hannover habe unter dem 20. Januar 1705 eine Erklärung in Wien abgegeben, daß es selbst nicht daran denke, Nordhausen zu besetzen.[49]

Demgegenüber verlangte der preußische Resident von Bartholdi wieder und wieder, der Hofrat solle keinen Beschluß fassen, ohne Preußen vorher gehört zu haben. Er erreichte damit nichts, weil man in Wien ganz offensichtlich Preußen von vornherein die Absicht unterstellte, Nordhausen zu annektieren. Ja, der Gegensatz zwischen Wien und Berlin nahm noch an Schärfe zu, als der alte Kaiser Leopold am 5. Mai 1705 gestorben war und sein Sohn Joseph die Herrschaft antrat. Der junge Herrscher stand ganz unter dem Einfluß seines Erziehers, des Fürsten Salm; er war ehrgeizig, tatkräftig und von dem jugendlichen Glauben beseelt, dem morschen Reiche neue Kraft verleihen zu können durch selbstbewußte Betonung des kaiserlichen Ansehens. Einem solchen Kaiser mußten solche Eigenmächtigkeiten, wie sie jetzt mit des Kaisers Stadt Nordhausen geschahen, im höchsten Maße zuwider sein. Das benutzten auch Nordhausen und Hannover. Der Bitte Nordhausens vom 30. Mai 1705 um Unterstützung kam Georg Ludwig am 16. Juni nach, indem er sich an Wien wandle und, ganz richtig die Einstellung des jungen Kaisers beurteilend, den Herrscher auf die Gefährlichkeit des Beispieles, das Preußen mit der Vergewaltigung Nordhausens gab, für das gesamte Reich aufmerksam machte. Mit Hannover vereinte der Agent Koch den ganzen Sommer hindurch seine Bitten um Hilfeleistung.

Joseph hätte nichts lieber getan, als Preußen gegenüber energisch durchgegriffen, nicht bloß um seiner Reichsstadt zu helfen, sondern um die Zentralgewalt des Kaisers zu stärken und das in Norddeutschland schon gefährlich sich reckende Preußen zu demütigen. Doch die allgemeine politische Lage legte ihm dieselben Fesseln an wie schon seinem Vorgänger. Preußens Truppen kämpften für den Kaiser und das Reich am Rhein und in Italien, sie bildeten anerkanntermaßen das trefflichste Kontingent der verbündeten Heere. Man bedauerte, daß man Preußen hatte so stark werden lassen, und man war zugleich froh, daß man ein so starkes Preußen zu seiner Verfügung hatte.

Doch nicht die preußische Hilfe im Spanischen Erbfolgekriege allein verwirrte dem Kaiser seine Maßnahmen; jetzt, seit dem Jahre 1705 näherte sich auch der Nordische Krieg immer mehr den deutschen Grenzen, und es stand zu erwarten, daß der starke Karl XII. August den Starken, den geliebten Bundesgenossen des Kaisers, auf die Knie zu zwingen beabsichtigte. Welche Stellung würde im Falle eines Einrückens der Schweden in Sachsen das verärgerte Preußen einnehmen? — Man mußte Preußen vorsichtig behandeln; man mußte ihm Hindernisse bereiten, wo es möglich war; man durfte aber nichts auf die Spitze treiben. So begannen denn die kleinen Nadelstiche: Preußen hatte 30 000 Mann für den Kaiser unter den Waffen, es fehlten aber seine Matrikularbeiträge für die Reichsarmee. Man versäumte nicht, diese Macht, die mehr, als es im eigenen Interesse war, für das Reich eintrat, wieder und wieder wegen Nichterfüllung der Reichspflichten zu tadeln. Preußen seinerseits ließ es an unfreundlichen Gegenäußerungen nicht fehlen und stimmte im Kurfürsten-Kollegium gegen jeden Antrag des Kaisers.

Gern hätte sich der Kaiser auch des Niedersächsischen Kreises zur Demütigung Preußens bedient. Doch auch hier reichte es nicht zu größeren Aktionen. Schon an und für sich war ja die Kreismaschinerie nur schwer in Bewegung zu setzen. Im Niedersächsischen Kreise aber kam hinzu, daß der Kreisdirektor Georg Wilhelm von Celle, der Oheim Georg Ludwigs, im Jahre 1705 gestorben war, und Georg Ludwig sein Land mit Hannover vereinigt hatte, ohne aber Kreisdirektor zu werden. An seine Stelle im Kreise trat als Mitdirektor neben Schweden Anton Ulrich von Braunschweig- Wolfenbüttel aus der älteren welfischen Linie, eben der, der 1702 von den Vettern der jüngeren Linie wegen seiner Neigungen zu Frankreich aus dem Lande vertrieben worden war. Anton Ulrich als Kreisdirektor war, schon weil Hannover Nordhausen unterstützte, weniger bereit als der frühere Kreisdirektor, der Reichsstadt gegen Preußen zu helfen. So waren die Verhältniße im Kreise auch nicht dazu angetan, um Nordhausen von großem Nutzen zu sein. Den Kreis konnte der Kaiser gegen Preußen eigentlich nur gebrauchen, indem er ihn zum Widerstände ermunterte gegen die preußischen Ansprüche, einen Mitdirektorposten im Kreise für das Herzogtum Magdeburg zu erhalten. Immer wieder verlangte Preußen seit dem Jahre 1705 einen Kreistag, aus dem es in die Direktion des Kreises kommen wollte, und immer wieder wirkte Hannover auf Anton Ulrich ein, den Kreistag hinaus zu schieben mit der Begründung, Preußen müsse erst Nordhausen freigeben und dadurch beweisen, daß es die Reichsveordnung aufrecht erhalten wolle, ehe man ihm Einfluß auf den Kreis geben könne.[50] So konnte der Kreis Preußen wohl kleine Unbequemlichkeiten verursachen, war aber nicht imstande zu wirklicher Hilfe für Nordhausen.

Das einzige direkte Eingreifen des Kaisers für Nordhausen bestand darin, daß er am 22. Dezember 1705 die für den 6. Januar 1706 bevorstehende Ratswahl aufhob und das Weiteramtieren des bisherigen Ratsregimentes gebot. Dadurch erreichte er, daß sich Preußen nicht wieder wie 1705 in die Wahl mischen oder gar einen neuen Bürgereid verlangen konnte. Den Mitgliedern des folgenden Regimentes, die schon darauf gewartet hatten, in die fetten Pfründen einzutreten, war natürlich dieser kaiserliche Machtspruch gar nicht nach dem Sinne. Sie traten am 8. Januar 1706 aus dem Weinkeller zusammen, protestierten gegen ihren Ausschluß und verlangten von Wien die Aufhebung des kaiserlichen Mandates. Wien lehnte das am 1. Februar 1706 ab.[51]

Im ganzen blieb aber doch das Eintreten des Kaisers, Hannovers, des Kreises für die Reichsstadt höchst mangelhaft. Preußen konnte in ihr schalten, wie es wollte. Deshalb schickte die Stadt im Frühjahr 1706 ihren Vertrauensmann Joh. Günther Hoffann abermals nach Wien, um die Dinge im Sinne Nordhausens vorwärtszutreiben. Hoffmann trat mehrfach mit Bitten und Beschwerdeschriften an den Hofrat heran, z. B. am 16. März und 7. Mai, erreichte aber diesmal, ganz offenbar wegen der schwierigen internationalen Lage, keinen Beschluß des Reichshofrates und kein kaiserliches Mandat gegen Preußen. Man wußte in Wien nicht, wohin eine weitere Verschärfung der Lage führen werde. Hatte man doch im Dezember 1705 schon Marlborough nach Berlin entsenden müssen, um Preußen gegen Frankreich im Felde zu halten und um es von einem Zusammengehen mit Schweden abzuhalten. Marlborough hatte einiges erreicht, das Verhältnis zwischen Preußen und dem Reiche blieb aber so gespannt, daß sich am 27. März 1706 Bartholdi vernehmen lassen konnte, daß Preußen bald besser mit dem Kaiser stehen oder sich nach anderen Freunden umsehen müsse.[52]

Wiederum war bei dem ganzen Konflikte aber auch Preußen nicht wohl in seiner Haut. Es besaß keinen einzigen wahren Freund und wollte durch einen Bruch mit dem Kaiser nicht alles aufs Spiel setzen. So war es, obwohl es augenblicklich in Nordhausen in stärkster Stellung war, wohl bereit, selbst hier einzulenken, aber ohne daß es Verluste erlitt. Schon am 25. März 1706 ließ es erklären, es werde die Truppen aus der Stadt ziehen, wenn Hannover versicherte, daß es keine Besatzung hineinlege und die Stadt nicht unterstützte, wenn sie sich gegen die rechtmäßig erworbene Ausübung der Aemter wandle. Die Stadt sollte die Ausübung zulassen, bis der Kaiser gesprochen habe. Das war ein weites Entgegenkommen von Preußen. Doch Hannover, das wußte, daß mit der Beherrschung der Aemter auch die Herrschaft über die Stadt in Preußens Händen war, verlangte noch mehr: Preußen sollte der Stadt auch die Aemter überlassen in der Weise, wie sie sie von Sachsen besessen hatte Damit wäre Preußen nicht nur um alle seine politischen Hoffnungen, sondern auch um die aufgewendeten Mühen und Mittel betrogen worden. Darauf konnte es sich nicht einlassen.[53]

Man war also auch in der ersten Hälfte des Jahres 1706 keinen Schritt weitergekommen. Im Gegenteil: Die Lage hatte sich für Nordhausen verschlechtert, weil jetzt Anton Ulrich von Braunschweig Kreisdirektor war, der nicht so wie der frühere Direktor unter Hannovers Einfluß stand. Die ganze Situation beleuchtet am besten ein Brief, den Hannover am 20. Juli 1706 an Braunschweig richtete, den der Kurfürst Georg Ludwig wegen seiner Wichtigkeit selbst unterschrieb und den der Minister Hattorf, der wichtigste Berater Nordhausens in allen seinen Nöten, gegenzeichnete. In diesem Schriftstück bedauerte der Kurfürst zunächst, daß Anton Ulrich als neuer Kreisdirektor der Stadt Nordhausen habe den Rat geben können, sich mit Preußen zu vertragen.[54] Ueberrascht sei er auch, daß Braunschweig dem Verlangen Preußens nach einem Kreistage nicht mehr Widerstand entgegensetze. Die gesamtwelfischen Lande hätten allen Grund, die Kreistagung so lange wie möglich hinauszuschieben. Denn daß Preußen auf Einberufung dieses Kreistages dringe, habe nur darin seinen Grund, daß es Einfluß auf den Kreis und damit auf die Stadt Nordhausen gewinnen wolle. Wenn Preußen erst auf den Kreistag Einfluß hätte, würde es seine Truppen nie aus Nordhausen zurückziehen. Das könne weder in welfischem Interesse noch im Interesse des Kreises sein. Nordhausen müßte dann verzweifeln, würde sich Preußen auf Gnade und Ungnade ergeben und würde „zu des ganzen Kreises Schaden und Unserer Häuser absonderlicher, unerträglicher Beschwerde in königlich preußischen Händen aus ewig bleiben“. Allen welfischen Landen müsse daran liegen, daß die Stadt „nicht nur dem Namen, sondern auch der Tat nach eine Kaiserliche und Freie Reichsstadt bleibe“. Der Kaiser habe Nordhausen verboten, mit Preußen zu verhandeln. Um Preußen den Vorwand zu nehmen, es müsse Hannovers wegen Truppen in der Stadt halten, habe Hannover versichert, daß es selbst keine in die Stadt legen wolle. Preußen habe ferner verschiedene Gegenvorschläge gemacht, aber keine annehmharen. Als jüngst der König auf seiner Reise nach Eleve auch Hannover mit seinem Besuche beehrt habe, hätten sich die beiderseitigen Minister besprochen. Man sei nicht weitergekommen, und die Hannoveraner hätten den Preußen zu verstehen geben müssen, daß es nicht eher zu einem Kreistage komme, ehe die preußischen Truppen nicht aus Nordhausen abgezogen seien. Hannovers Vorschlag sei gewesen, Preußen solle sein Militär herausziehen und die Aemter durch die Stadt verwalten lassen unter denselben Bedingungen, wie es Sachsen getan habe, damit der Kaiser inzwischen Zeit gewinne, zu einem Entschlüsse zu kommen. Preußen aber wolle die Aemter nicht abgeben.[55]

Daß Hannover, obwohl ihm durch die Verhältnisse im Reiche und im Kreise die Hände gebunden waren, sich Nordhausens an- nahm, ermunterte die Stadt zu weiterem Ausharren und Widerstände. Der Bürgermeister Weber nannte die, welche vor dem preußischen Schultheißen und nicht vor dem Rate Recht suchten, Schelme und suchte sie einzuschüchtern. Insgeheim tagten die Schöffen des Rates selbst und sprachen Strafen aus oder verhängten über solche, die vom Königlichen Gerichte schon abgestraft worden waren, neue und andere Strafen. Später drohte der aus Wien zurückgekehrte Bürgermeister Hoffmann den Ratsherrn mit Absetzung, die sich an den Schultheißen wandten. Er ermähnte auch die Prediger, bei der Seelsorge und von der Kanzel herab für die Stadt einzutreten und den Widerstand zu stärken.[56]

Preußen, dessen Besprechungen mit Hannover gescheitert waren, das sich in seinen Hoffnungen im Kreise getäuscht sah, das den erneuten Widerstand der Stadt bemerkte, zog die Zügel noch schärfer an. Nachdem Röpenack von der Widersetzlichkeit und den Uebergriffen einzelner Ratsglieder am 23. August 1706 berichtet hatte, erhielt er unter dem 30. September den Befehl, jeden Uebergriff aufs härteste zu ahnden. „Nun wird es sich zeigen, wieweit dieselben (die Ratsmitglieder) unsere Langmut mißbrauchen werden“, hieß es drohend in dem Schreiben.

Ein derartig barsches Auftreten konnte sich Preußen gegen Ende des Jahres 1706 leisten, weil mehrere für den Staat recht günstige Ereignisse eingetreten waren: Georg Ludwigs Aufmerksamkeit war an einen größeren Schauplatz gefesselt, seitdem er nach dem Tode des Reichsfeldherrn Ludwig von Baden auf Wunsch der Engländer im September der Anführer der Reichsarmee in Süddeutschland gegen Villars geworden war. In demselben Monat, am 7. September, hatte Prinz Eugen von Savoyen den großen Sieg von Turin davongetragen, an dem die preußischen Hilfsvölker einen Hauptanteil hatten; man mußte diesem wertvollen Bundesgenossen gegenüber einen Pflock zurückstecken. Ferner hatte Preußen schon seit dem Dezember 1706 freundschaftliche Besprechungen mit Karl XII. gepflogen, die im August 1707 zu einem verbindlichen Abkommen führten: Preußen anerkannte Stanislaus Lescinsky gegen den Kurfürsten von Sachsen August II., Karl XII. versprach dafür den Preußen die Stadt Elbing. Dieses Einvernehmen mit den Schweden spricht auch aus einer Mitteilung des Königs aus Cölln vom 9. Februar 1707, in welcher er Röpenack nach Nordhausen anzeigt, daß zwar schwedische Truppen in der Nähe der Reichsstadt stünden, ihre Aktion aber gegen Sachsen und nicht etwa gegen Preußen gerichtet sei, er also für Nordhausen nichts zu fürchten habe. Für das Reich und Oesterreich hochgefährliche Alliancen schienen sich da anzubahnen, ein Grund mehr, Preußen zu bemißtrauen, aber augenblicklich auch ein Grund, es vorsichtig zu behandeln. Und schließlich hatte der ehrgeizige, seit Jahrzehnten erfolglose Staat im Jahre 1707 insofern eine kleine Genugtuung, als er aus dem oranischen Erbe wenigstens das Schweizer NeufchLtel an sich bringen konnte. Preußen stand also jetzt, obgleich fast völlig zerfallen mit dem Kaiser, doch verhältnismäßig selbstsicher seinen Aufgaben gegenüber.

Unter diesen Umständen konnte es seinen Standpunkt auch in der Nordhäuser Angelegenheit schärfer als bisher in Wien zur Geltung bringen. Am 29. März 1707 legte es, zwar ehrerbietig, aber doch entschieden dem Kaiser seine Auffassung dar: Die nachgesuchte Belohnung mit den Reichsämtern in Nordhausen sei noch nicht erfolgt. Man bäte nochmals darum. Nach der Goldbulle vom Jahre 1356 dürften Kurfürsten auch Reichsämter erwerben; dennoch habe man den Kauf von Sachsen sogleich dem Kaiser mitgeteilt. Preußen mäße sich in Nordhausen nicht mehr an, als ihm zustehe. Trotzdem hätten Beschwerden beim Kaiser ein williges Ohr gefunden. Es seien nur solche Bürger, die aus Eigennutz querulierten. Ferner müsse sich Preußen über den Reichshofrat beschweren, der Entscheidungen des preußischen Schultheißen für null und nichtig erklärt habe, die einwandfrei seien. Preußen habe dauernd versucht, mit dem Magistrate gütlich zu verhandeln; der Rat habe das jedesmal abgelehnt. Bürgermeisterlicher Eigennutz herrsche in Nordhausen und widerstrebe allein einer vernünftigen Regelung. Preußen wolle unparteiische Justiz annehmen. Es müsse darauf bestehen, daß der Reichshofrat, ehe er urteile, auch Preußen höre.[57]

Im Bewußtsein seiner Stärke ging damals Preußen auch daran, die Zugehörigkeit eines großen Teiles der Nordhäuser Feldflur zum Stadtterritorium anzuzweifeln und diese Ländereien für sich als den Besitzer der Grafschaft Hohnstein in Anspruch zu nehmen. Davon soll unten ausführlich die Rede sein.

Diesem verschärften Vorgehen Preußens gegenüber führte Nordhausen, unterstützt von Hannover, in Wien weiter seine Klagen, erreichte am 8. April 1707 einen Hofratsbeschluß in seinem Sinne, dem am 28. Juni ein kaiserliches Schreiben an Preußen folgte: Der Kurfürst von Hannover habe verbindlich erklärt, er werde Nordhausen nicht besetzen. Deshalb solle Preußen endlich seine Truppen aus der Stadt nehmen. Den Standpunkt Preußens, daß der jeweilige Inhaber von Reichsämtern diese nach Gutdünken verschachern könne und daß dem der Kaiser als oberster Lehnsherr unbedingt zustimmen müsse, könne der Kaiser nicht teilen, am wenigsten, wenn ein Reichsstand sich mit Waffengewalt solche Lehen aneigne. Außerdem: In allen Städten, wo noch solche Rechte wie Vogtei und Schultheißenamt in Uebung seien, könne ein schon jahrhundertelanger Zustand nicht ohne weiteres aufgehoben werden; noch weniger dürften die strittigen Jura ohne weiteres mit den unbestreitbaren zugleich beansprucht werden. Wenn alles, was Preußen verlange, an diesen Staat übergehe, würde von der Reichsfreiheit Nordhausens nichts mehr übrig bleiben. Der Kaiser könne deshalb den preußischen Besitz der Aemter nicht anerkennen. Preußen solle also die Truppen zurückziehen, die vom Kaiser als berechtigt angesehenen Beschwerden der Stadt abtun, die Aemter noch einige Jahre der Stadt lasten, und dann, wenn Preußen sie durchaus übernehmen wolle, werde der Kaiser untersuchen lassen, worin eigentlich ihre Rechte bestünden.[58]

Mochte aber auch die Haltung des Kaisers bedrohlich erscheinen, — Preußen hatte sie nicht zu fürchten. Es fuhr fort, seine Ansprüche auf die Nordhäuser Feldflur zu erheben, die Ratswahl fiel auch im Jahre 1708 aus, weil Preußen den alten Gehorsamseid der Bürger für den Rat nicht zuließ, und als Nordhausen wieder Hannover um Hilfe anging, erhielt es zum ersten Male keine beruhigende Nachricht, sondern die Mitteilung, die Kriegskonjunktur sei augenblicklich schlecht, Hilfe könne man nicht versprechen, sondern nur den Rat geben durchzuhalten und bessere Zeiten abzuwarten.[59]

Tatsächlich beherrschte Preußen die Reichsstadt im Jahre 1708 mehr denn je. Daß die Besetzung, die nun schon ins sechste Jahr ging, für die Dauer gedacht war, sieht man auch an dem Reglement, das im Juli 1708 für die Mannschaften in Nordhausen herauskam. Es enthielt Bestimmungen über das Verhalten der Soldaten untereinander, regelte den Zapfenstreich, gab Anordnungen für das Verhältnis zur Bürgerschaft und für das Verhalten der Schildwachen am Schlagbaum: Alle einpassierenden Leute mußten „examiniert“ werden, aber mit „Bescheidenheit“. Ferner wurden Patrouillen für die Zollzettelausgabe und für die beiden großen Nordhäuser Jahrmärkte vorgesehen und Bestimmungen über das „Rühren des Spiels“ erlassen.[60]

Der Schultheiß Röpenack setzte sich allmählich durch trotz dauernden Einspruches des Rates und seiner Drohungen gegen Bürger, die vor das preußische Gericht gingen. Neben der Bearbeitung aller Kriminalsachen und der Ausübung der gesamten Civilgerichtsbarkeit griff der Schultheiß auch willkürlich in Polizeiangelegenheiten ein. Selbst die kirchliche Gerichtsbarkeit, die immer vom Konsistorium ausgeübt worden war, beanspruchte der Schultheiß, übte die Aufsicht bei Eheschließungen aus und ließ sogar die „sacerdotum copulationem“ Auswärtiger von nicht nordhäusischen Geistlichen in seinem Amtshaus, im Walkenrieder Hofe, vornehmen, als die Nordhäuser Geistlichen sich weigerten, seinem Geheiße zu folgen. Auch die Einsicht in die Verwaltung der milden Stiftungen ließ er sich nicht nehmen.[61]

Das wirtschaftliche Leben wurde durch die willkürlich erhöhten Zölle beeinflußt und beaufsichtigt. Um die einflußreichsten und wohlhabendsten Bürger, um die Brauerschaft klein zu kriegen, gestattete der Schultheiß wider alles Herkommen den Ausschank fremder Biere. Bei Truppenverschiebungen mußten Vorspanndienste geleistet werden. Der gesamte Zu- und Abstrom der Bevölkerung unterlag durch die Ueberwachung der Tore einer strengen Aufsicht.[62]

Gegen alle diese Maßnahmen wußte Nordhausen keinen Rat mehr, als die Hilfe Hannovers ausfiel. Auch der Niedersächsische Kreis blieb lau. Die schwedische Regierung in Stade, die gemeinsam mit Anton Ulrich von Braunschweig das Kreisdirektorium innehatte, sah klar, wie unbeholfen das gesamte Kreisinstrumentar war und wünschte keinen Beschluß einer Kreisexekution gegen Preußen, deren Scheitern vorauszusehen war. Anton Ulrich hielt seine Pflicht als Kreisdirektor für getan, wenn er Preußen und Nordhausen zur Mäßigung ermähnte.

Bei diesen Verhältnissen kam Nordhausen auch einmal wieder auf Sachsen zurück. Sachsen war ja von Schweden schwer bedrängt worden, und Preußen hatte gegen den sächsischen Kurfürsten den Polen Lescinsky auf Wunsch Schwedens als König von Polen anerkannt. Es waren also Spannungen zwischen Sachsen und Preußen vorhanden. Das suchte sich Nordhausen zunutze zu machen und bat Sachsen um Vermittlung. Sachsen kam dem Wunsche im Februar 1709 auch nach und zwar vor allem deshalb, weil seine Untertanen selbst durch die Maßnahmen Preußens litten. Sächsisches Hoheitsgebiet grenzte mit dem Kreise Sangerhausen ja unmittelbar an Nordhausens Stadtgebiet; die wirtschaftlichen Beziehungen waren rege, besonders die Brauer bezogen aus sächsischen Landen Weizen und Gerste. Deshalb machte Sachsen auch in erster Linie auf die wirtschaftliche Schädigung aufmerksam, die durch die Drosselung des Brauwesens und durch die Beanspruchung eines Teiles der Stadtslur durch Preußen eingetreten seien. Ferner ward es dahingehend vorstellig, daß Preußen nicht mehr Gerechtsame in Nordhausen verlangen könne, als Sachsen, von dem es diese erhandelt, innegehabt habe.

Von dieser sächsischen Hilfestellung versprach sich Nordhausen damals soviel, daß es seinen Bürgermeister Hoffmann, der im Frühjahr 1709 aus seine dritte Reise nach Wien ging, den Weg über Dresden nehmen ließ. Hier in Dresden lag Hossmann wochenlang krank, konnte dann aber doch seine Beschwerden gegen Preußen vorbringen; er bat auch um Sachsens Verwendung, damit die preußischen Truppen Nordhausen verließen. Doch Sachsen hatte mit seinem Briefe vom Februar 1709 nur eine falsche Hoffnung erweckt. Es geschah von diesem Staate, der unter dem völlig haltlosen August dem Starken eine völlig haltlose Politik trieb, nichts weiter in der Nordhäusischen Angelegenheit.[63]

Seit Ende des Jahres 1708 regte sich endlich Hannover wieder stärker im Sinne Nordhausens. Es mußte für Nordhausen vor allem eintreten, weil Preußen je länger, je mehr Nordhausens Stadtgebiet antastete.

Beilage V zu Seite 89. Die ersten Gutachten Christian Thomasius' über die Nordhäusischen Aemter und die Schutzhoheit

Das erste große Gutachten Thomasius' ist unter dem Datum Halle, 9. Oktober 1703 abgegeben. Thomasius will darin drei Fragen behandeln: 1) Ob das regale plenae iurisdicionis imperii dem Könige zukommen. 2) Wie die Sache mit Nordhausen praktisch anzugreifen ist. 3) Ob die zu Nordhausen secundum leges imperii einen anderen Schutzherrn als Preußen erwählen können.

In seinem Gutachten vom 9. Oktober beschäftigt sich Thomasius nur mit der ersten Frage. Dabei ist bezeichnend für ihn, daß er sich erstens ganz freimacht von vorangegangenen Werken über denselben Gegenstand und zweitens den Fall Nordhausen nicht speciell behandeln, sondern die Rechte von Vogtei und Schultheißenamt ganz allgemein untersuchen will „secundum mores Germanorum“.

Alle alten Autores, so schreibt er, „die ich von Mynsingeri und Gailii Zeiten an aufgeschlagen“, sind „meinem Intent mehr zuwider gewesen, als daß ich daraus was Nützliches hätte excerpieren können“. Am liebsten hätte er deshalb, als er das ihm von Hofrat Röpenack zugesandte Frankfurter Gutachten erhalten habe, das Werk gar nicht angefangen.

Hinsichtlich der Aemter meint er, „daß die Reichsvogteien und Reichsschultheißenämter zusammen regulärster alle actus iurisdictionis tam criminalis quam civilis, das Reichsvogteiamt auch das regale potestatis iudicaris selbst ehedem beständig exerciert, wobei denn zugleich origo et progreß gezeigt worden, warum man diese gegründete Meinung bishero entweder unterdrückt hat oder doch dieselbe unbekannt geblieben ist.“ — Darauf folgen: Theses Inaugurales de iurisdictionis et Magustratuum differentia secundum mires Germanorum. In 107 Abschnitten setzt Thomasius das Recht der Aemter auseinander und kommt dabei zu dem Ergebnis, wie es oben im Texte angedeutet ist.

Damit schließt das Gutachten vom 9. Oktober 1703. Darauf schrieb der König am 16. Oktober nach Halle: Die Theses Inaugurales sollten gedruckt werden: „Es könnte auch nicht schaden, wenn Ihr noch mit anbringen könntet, ob auch eine Reichsstadt, in welcher ein anderer Reichsstand die potestatem judiciariam hat, einen anderen als diesen Reichsstand zu seinem Schutzherrn annehmen könnte.

Darauf erfolgte von Thomasius am 27. Oktober ein zweites Gutachten, in welchem er sich mit dem Punkte 2 auseinandersetzt, den er im ersten Gutachten aufgestellt hat. Zu Punkt 3, d. h. zum Schutzrecht, möchte er sich nicht äußern, weil die Sache zunächst noch zu schwierig ist. Er hatte ja über das Schutzrecht zunächst (s. o. im Text) gemeint, es sei einfach an dieAdvokatur gebunden, und dem Könige als Inhaber der Vogtei stehe das Recht zu. Jetzt wird er aber doch bedenklich und schreibt darüber: Ueber Schutzrecht habe grundlegend geschrieben Schönberg, de Advocatia armata. Schönberg habe aber — charakteristisch für Thomasius! — „zur Verfertigung dieses Werkes keine sana principia Juris prudentiae unversalis et prudentiae civilis mitgebracht, sondern pro more illorum temporum das ganze große Werk mit wenigem iudieio aus sehr vielen autorLbus zusammengeschrieben.“ Dieses Werk aber sei von allen Juristen angenommen, „als werden Ew. Königliche Majestät selbst aller- gnädigst ermessen, daß es eine gute Zeit erfordere, dasselbe über den Haufen zu werfen“. Er hoffe wenigstens einen Generalentwurf in einigen Wochen einsenden zu können, wie er dafür halte, daß die „Doctrin de protectione armata intuitu Imperii Romano-Germanici in eine richtige Ordnung gebracht und von der bisherigen Konfusion liberiert würde“.

Den Punkt 2 dagegen nimmt er nun in seinem Gutachten vom 27. Oktober in Angriff. Er nennt es: Unvorgreifliches Bedenken, wie die Sache mit dem Magistrat zu Nordhausen am besten anzugreifen, damit S. Königliche Majestät in Preußen zum völligen Genuß der von S. Ehurf. Durchlaucht zu Sachsen erhandelten iui-Lurri der Reichsvogtei und des Reichsschultheißenamtes daselbst gelangen möge.

In dieser Schrift setzt er sich zunächst mit dem Vorschläge auseinander, ob Preußen nicht Nordhausen die Aemter ähnlich wie früher Sachsen überlassen und die Pfandsumme einstreichen solle. Die das empfohlen haben, meinen, damit seien alle Schwierigkeiten aus dem Wege geräumt. Nordhausen würde z. B. wegen der Schuhhoheit Preußen nicht mehr solche Schwierigkeiten machen. Man habe auch wohl gemeint, die Jura brächten nicht soviel ein, wie der Zins von dem Wiedereinlösungskapital ausmache; dahin laute z. B. das Gutachten von Geheimrat Unverfärth vom 2. Februar 1700. Nun könne man freilich die Einkünfte des Schulzenamtes erhöhen, z. B. den Scheffelpfennig und die Zölle. Doch der Scheffelpfennig gehöre tatsächlich nicht zum Amte, und die Erhöhung der Zölle mache wieder die benachbarten Fürsten rebellisch. Man verstoße damit auch gegen ein Privilegium Friedrichs III. vom Jahre 1456, in dem bestimmt wird, daß zwar die Fürsten Zölle in einer unbegrenzten Höhe ansetzen könnten, aber nur in ihren eigenen Landen. Nordhausen sei aber Reichsstadt und gehöre nicht zu Preußen. Wenn man nun von einer Erhöhung absehe und die Einnahmen nur von dem, was tatsächlich zu den Aemtern gehört, nehme, komme gerade die Beamtenbesoldung heraus. Ferner: Daß die Einnahmen nicht beträchtlich seien, gehe daraus hervor, daß Preußen schon am 7. Juli 1699 Nordhausen vorgeschlagen habe, gegen 2000 Taler jährlich die Aemter zu verpachten. Nordhausen habe das abgelehnt, weil die Summe viel zu hoch sei. Schließlich: Um Auszahlung der Pfand- summe komme Preußen nicht herum, da es dieselbe zweimal, Schönhausen, 15. Juni 1701 und Cölln, 7. November 1702 versprochen habe. So sei es das beste, den alten Zustand der Verpachtung beizubehalten.

Demgegenüber meint Thomasius, Preußen müsse mehr auf seine Regalien als aus seine Einnahmen sehen. Zum Schulzenamte gehöre Zoll, Geleit und Münze. Das werde vom Rate nicht be- stritten. Der Scheffelpfennig gehöre nicht dazu. Vor allem wichtig sei aber das Gerichtsregal, besonders wenn es mit der Schutzhoheit verknüpft sei. Reichsvogtei und Reichsschulzenamt umfaßten die gesamte Gerichtsbarkeit. Die Vogtei bestehe nicht nur in mera solemni executione sententiae criminalis, sondern sei ein hohes Regal. Der Rat berufe sich auf ein Privilegium Carls IV. vom Jahre 1349, sie könnten Uebeltäter sahen und aufheben, und wenn Zweifel betreffs Gericht oder Zoll wären, könnte der Rat Recht sprechen. Dieses Privilegium werde falsch ausgelegt, es beweise auch nichts. Es handele sich nämlich um ius bsllieuiri in Zeiten, wo noch kein rechter Landfriede bestand. Und die letzten Worte sollten nur heißen, daß die Urteile von Vogt und Schultheiß mit der Landessitte übereinstimmen müßten, und damit das der Fall sei, werde der Rat herangezogen. Der Rat habe also nur: Potestas ius controversum explicandi vel accuratius de consuetudine dubia effecaciter testandi.

Ferner beziehe sich der Rat auf Maximilians Privilegium austregarum vom Jahre 1498.

„Wiewohl die Stadt Nordhausen ohne Mittel unter uns u. das Heilige Reich gehören u. deshalben mit ordentlich Gerichten u. anderen Freyheiten, Privilegien u. altem Herkommen begnadiget u. versehen sind,... Wer zu gemeiner Stadt zu klagen oder Zuspruch hätte... soll das Recht gegen sie suchen u. nehmen u. sich das begnügen lassen vor Unsern u. des Heiligen Reichs Gerichte daselbst oder vor Bürgermeister u. Rath Unser u. des Heiligen Reichs Städte Mühlhausen oder Goslar... Wer aber zu einem Bürger oder Einwohner der Stadt Nordhausen ... zu klagen hätte, umb welcherley Sache das wäre, daß dieselbe das Recht darum gegen ihnen vor dem gemeldin Unsern und des Reiches Stadtgerichten daselbst zu Nordh. suchen u. nehmen u. sonst nirgend anderswo...“ — Vergl. Nordh. Urkundenbuch S. 36, Nr. 70. Nordhausen, 1936. Zu diesem Privilegium sagt Thomasius, hierin seien eben die Zuständigkeiten des Schulzengerichts gemeint.

Zu diesem Privilegium sagt Thomasius, hierin seien eben die Zuständigkeiten des Schulzengerichts gemeint.

Ferner: Der Verpfändungsvergleich zwischen Hohnstein und Nordhausen vom Jahr 1546, in welchem erklärt werde, daß zur Vogtei nur meva exeeutio gehöre, sei nichtig, denn 1. sei das Original nicht vorhanden, 2. sei der Graf von Hohnstein nicht fähig, ohne Einwilligung des Oberlehnsherrn das Reichslehen zu vergeben, 3. die Confirmatio Imperatoris könne nicht aufgebracht werden, 4. und wenn schon, so habe schon 1688 die Frankfurter Iuristenfakultät dargetan, daß auch die Einwilligung des Bischofs von Halberstadt nötig gewesen wäre. 5. Da in einem anderen Vergleich vom Jahre 1543 steht, sie gingen bei Moritz von Sachsen zu Lehen, wäre auch Sachsens Consens nötig gewesen. — Nach dem Absterben der Hohnsteiner sei Sachsen belehnt worden, und Sachsen habe die Verpfändung der Vogtei an Nordhausen gut geheißen; der Rat habe aber die Klausel, die Vogtei bestehe nur in mera executione, dem Kurfürsten von Sachsen verschwiegen.

„Wie nun aus diesen bisher erzählten Umständen genügsam abzunehmen, daß S. Königl. Majestät in Preußen hohe Ursache haben, diesen Leuten nicht ein Wort zu trauen, sondern die gerühmten Documenta, darauf sie sich beziehen, und aus welchen sie ihr Kapital und Wiederkaufssumme fordern, zuförderst in original! produeieren und wohl durchsehen zu lassen, ob sich kein Falsum und andere Mängel dabei ereigne, also ist nun auch zu untersuchen, wie hoch sich dann die Summe belaufe, die der Rat . . . praetendiere.“ Das geschieht nun.

Schließlich, nachdem Thomasius ausführlich auseinandergesetzt, warum Preußen auf seine Jura unbedingt bestehen müsse, kommt er auf sein eigentliches Thema, wie Preußen in den Genuß seiner Jura kommen könne. Preußen könne viam juris und viam facti wählen. Die reine via iuris sei aber ungangbar: „Der Prozeß in den höchsten Judiciis des Reiches ist offenbarlich verderbt und der Staat und das ganze Reich irregulär ... wo aber die Sache also bewandt ist, da ist auch nach natürlichem und gemeinem Völkerrecht einem jeden erlaubt, sein Recht selbst zu suchen, so gut er kann.“ Doch, so meint Thomasius, könnte Nordhausen beim Kaiser immerhin Schwierigkeiten machen, deshalb schlage er „die viam ainieain vor, die aus der via iuris et via facti zusammengesetzt ist oder doch von beiden participiert.“ Deshalb solle man 1. an eine Kommission denken, die mit Nordhausen einen Vergleich schließt. 2. Diese Sache möge laufen, wie sie wolle, man solle die Bestätigung des Kaisers zu bekommen suchen für die Abtretung der Aemter von Sachsen an Preußen. Auch die Einwilligung aller beteiligten sächsischen Fürsten sei ganz gut. — Wenn der Rat gar keine Vernunft annehme, solle Preußen die via iaeti beschreiten, d. h. also Gewalt anwenden. Das sei in diesem Falle dann zu entschuldigen. — Manuskript in den Akten des Pr. St.... a. a. o.

Beilage VI zu Seite 99. Die Vorgänge in den ersten Tagen des September 1704 in Nordhausen.

Die Ereignisse sind niedergelegt in Handschrift und Druck in Pr. St. unter dem Titel: Offenes Instrument über dasjenige, so zwischen der Kgl. Preußischen Kommission und dem Magistrat der Kais. Fr. Reichsstadt Nordhausen wegen Reluition der Reichsvogtei und Reichsschulzenamts daselbst vom 2. bis 9. September dieses 1704. Jahres in gedachter Stadt vorgegangen. — Druck Ulrich Liebpert, Eölln a. d. Spree.

Kommissare sind Lüdecke und Schreiber. Beratend zur Seite stehen Röpenack und Thomasius.

Gleich die ersten Verhandlungen am 2. und 3. Sept. waren schwierig. Sie wurden geführt in der Eckstube des ersten Stockwerkes des Walkenrieder Hofes, die teils nach der Ritterstraße hin, teils nach dem Neuen Wege geht. Für die Stadt verhandelten hier Syndikus Harprecht, Sekretär Heidenreich und Senator Joh. Günther Hossmann, der fortan immer stärker hervortritt.

Nordhausen weigerte sich, sowohl im Walkenrieder Hofe wie auf dem Rathause zu verhandeln; es bot die Ratsstube des Weinkellers, die nach „dem Rathause oder dem Fleischmarkte“ hinaus- geht, an. Lüdecke weigerte sich zunächst, im „Wirtshause“ zu verhandeln, ging dann aber doch aus den Vorschlag ein, warnte jedoch die Nordhäuser, ihre „bishero gefühlte conduite zu ändern“, sonst habe er Instruktion, „wie sie sich gubernieren sollten“. Die Nordhäuser setzten der Drohung die Halsstarrigkeit entgegen: Der Kaiser habe ihnen Manutenenz gegeben, und Georg Wilhelm von Eelle als Kreisdirektor habe ihnen erst am 29. März 1704 geraten, sich „wohl vorzusehen und des Ausschlags des Rechtens und der kaiserlichen Decision zu erwarten.“

Am 4. September gelang es dann wenigstens 9 Ratsmitglieder unter Bürgermeister Paulandts Führung auf dem Ratskeller vor die Kommission zu bekommen. Lüdecke legte dar, daß Preußen die Aemter übernehme, die Gelder dafür auszahle. Einige Truppen blieben in der Stadt als Zeichen der Schutzhoheit; deshalb müsse auch der Kommandierende die Torschlüssel haben. Ihr Gewerbe und Nahrung werde nicht gehindert. — Darauf antwortete Harprecht für die Stadt, sie dürften sich auf Befehl des Kaisers in kein Unterhandeln einlassen. Nordhausen hoffe, Preußen werde nach S. Kgl. Maj. in Preußen Symbolo „Suum cuique“ handeln und nicht mehr begehren, als Sachsen gehabt habe. — Darauf Lüdecke: Preußen begehre nicht mehr, als was nach deutschem Rechte zu Vogtei und Schulzenamte gehöre. — Darauf geriet man in einen Wortstreit über die Kompetenzen der Aemter, den Lüdecke damit beschloß, daß Preußen sich nicht aushalten lassen könne, und Nordhausen damit, daß die Stadt nicht den Zorn des Kaisers und des Niedersächsischen Kreises aus sich ziehen dürfe.

Dann gab die Kommission dem kommandierenden Offizier von Stockheim den Befehl, die Gelder heranzuschaffen. Es waren 10 215 Taler 12 Groschen, nämlich

8750 Taler = 10 000 Gulden für das Schulzenamt,
965 Taler 12 Gr. = 1100 Gulden für die Vogtei,
500 Taler = 400 Goldgulden für die Vogtei.

Dazu 3000 weitere Taler dafür, daß Preußen den zum Schulzenamt gehörigen Zoll sechs Jahre genossen hatte, den der Magistrat früher für 500 Taler jährlich verpachtet hatte.

Der Magistrat verweigerte die Annahme, woraus die Kommissare aufstanden und sich anschickten wegzugehen mit den Worten, die Nordhäuser seien jetzt für das Geld verantwortlich. Doch der Rat entfernte sich darauf und ließ das Geld offen stehen. So blieb den Kommissaren nichts weiter übrig, als das Geld bewachen zu lasten.

Am 5. Sept. ließ Paulandt die Kommissare wissen, Nordhausen verhandele nicht mehr mit ihnen. Darauf ließ die Kommission ein Patent anheften, die öffentlichen preußischen Gerichte fänden fortan allein im Kollekturhofe statt. Der Gerichtsdiener Conrad Friedrich Beatus mußte das Patent an 19 Stellen anheften, an der Petrikirche zweimal, weil es dort herabgerissen wurde.

Am 6. und 7. Sept. geschah nichts. Am 8. Sept. hielt Röpenack den ersten Gerichtstag; auch wurden die Halseisen am Walkenrieder Hofe angebracht.

Am 9. Sept. wurde das Geld in ein neues Eichenfaß getan und versiegelt. Es sollte bis 1715 in Nordhausen ungenützt liegen bleiben. Die Nordhäuser Torwirte wurden abgesetzt, preußische Soldaten eingesetzt. Zolltafeln und Zollstöcke mit der Ausschrift: „Kgl. Pr. Reichs-Zoll und Geleit in der Kais. Fr. Reichsstadt Nordhausen“ wurden angefertigt.

Die Kommissare Lüdecke und Schreiber berichteten am 4. und am 9. Sept. über die Vorgänge nach Berlin: Um den Anschein zu vermeiden, als ob Preußen die Stadt völlig unterwerfen wolle, hätten sie auf mehrere Punkte ihrer Instruktion verzichtet. So hätten sie „punktum homagii“ ausgegeben. Es wäre ihnen auch trotz des Militärs in Nordhausen gar nicht möglich gewesen, von der Bürgerschaft oder auch nur vom Rate den Treueid aus den König in Preußen zu bekommen. Ebenso hätten sie nach Anhören des Thomasius auf die iura ecclesiastica verzichtet. Ferner hätten sie sich gescheut, das Rathaus durch Militär öffnen zu lassen. — Am 9. Sept. stellte die Kommission vor allem vor: Einige Rechtsuchende seien schon vor dem preußischen Gericht erschienen. Doch müßten alle Nordhäuser Bürger zu trium regum (6. Januar) jedes Jahres dem Rate schwören, ihre Klagesachen nirgends anders als vor dem Rate der Stadt Nordhausen zu suchen. Deshalb müsse dieser Eid geändert werden. — Da die bisherigen Torwirte nicht mehr ihre Schuldigkeit täten, seien Soldaten eingestellt, die für ihre Tätigkeit täglich 2 Groschen von den Zolleinnahmen erhielten. Schließlich machten die Kommissare noch den Vorschlag, einen Appellationsgerichtshof einzusetzen. Thomasius werde deshalb Vorschläge unterbreiten. Nach Wien hin müsse der König seinen Residenten von Bartholdi anweisen, damit Nordhausen nicht etwa ohne Wissen Preußens ein Kaiserliches Dekret erhalte, das alle Maßnahmen zunichte mache.

Lüdecke und Schreiber reisten am 10. Sept. ab, Thomasius am 11. Sept., weil er noch über Nordhäuser Grenzsachen verhandeln mußte. Vergl. Nordh. Archiv unter Sa 5 und Dresden, Hauptstaatsarchiv, 10 161.

Beilage VH zu Seite 118

Reglement wie zum Interesse S. Kgl. Maj. in Preußen die Herren Ober-, Unter-Offiziere, Gefreite und Gemeine in der Stadt Nordhausen auf Ihren Posten und auch sonsten in allem sich zu verhalten haben.

Auf Befehl von Exz. General-Feldmarschall von Wartensleben ist dies Reglement vorgelesen Nordhausen, 24. Juli 1708.

Zollzettel werden am Königshofe ausgegeben. Da dort an Markttagen großes Gedränge herrscht, muß eine Schildwache aufziehen. An den zwei Jahrmärkten werden Patrouillen ausgeschickt, die Diebereien verhindern sollen. Exerciert wird in der Stadt, nicht draußen.

An den Schlagbäumen stehen Schildwachen; die Bäume sind stets herabgelassen, damit an Markttagen niemand durchschlichst. Alle einpassierenden Leute müssen examiniert werden, aber mit Bescheidenheit. Kein Soldat soll sich unterstehen, etwa fischen zu gehen oder in die Gärten der Bürger. Damit gute Wacht gehalten werde, soll kein Unteroffizier bei Strafe des Pfahls von 6 Stunden, kein Gefreiter oder Soldat bei Strafe des Spießrutenlaufens auf der Wachtparade „besoffen“ sein. Auch auf ihren Posten dürfen sie sich nicht „vollsaufen, noch viel weniger von ihrem Posten weggehen und in den nächsten Bierhäusern sich finden lassen“. Bei Strafe des Pfahls (Unteroffiziere), der Spießruten (Gefr. und Gemeine) sollen sie sich nicht mit den Stadtsoldaten einlassen. „Alles Saufen, Spielen, Schlagen, Mausen“ ist zu unterlassen, auch mit ihren Wirten, Kindern, Gesinde keinen Streit noch Schlägerei anfangen. (Strafe der Spießruten.) Ohne Paß darf kein sächsischer Soldat in die Stadt gelassen werden. Wachen dürfen von niemandem Trinkgeld fordern.

Zapfenstreich ist im Sommer um 9 Uhr, im Winter um ½8. Danach gehen Patrouillen durch die Stadt, damit sich kein Soldat außerhalb seines Quartiers befindet. Der Stadtlieutenant soll sich nicht unterstehen, ohne Vorwissen des kommandierenden Offiziers das „Spiel schlagen zu lassen“, wie es bei der Wahl eines Bürgermeisters, bei der Flurpredigt, zu Neujahr, beim Maiensetzen schon geschehen ist. Auch Trommelschlagen beim Setzen des Bierschanks ist verboten.

Die Tore sind im Sommer nachts von 10–3 Uhr, im Winter von 7–7 Uhr zuzuhalten. Sonn- und Festtags während der Predigt sind die Tore geschlossen zu halten. Jeder, der während der Predigt im Wirtshaus sitzt, wird in Arrest gesteckt, auch Handwerksburschen und Knechte. —

Unter dem 3. Sept. 1708 schreibt König Friedrich aus Charlottenburg an Major Bahrt (Barth): Wenn zwischen Bevölkerung und Militär etwas vorfalle, solle er mit dem Schultheißen Röpenack gemeinsam verfahren. Jedesmal der Beleidigte solle Satisfaktion bekommen. — Nordh. Archiv. Sa 5. 130

  1. Gleichzeitiger Bericht: Bohne, Diarium oder Tagebüchlein wegen des Kgl. Pr. Einfalls in Nordhausen … ed. Heineck, Ebert, Nordh., 1901. — Heineck, a. a. O., 31 ff. — Silberborth, a. a. O., 445 ff.
  2. Die Stellungnahme der Mächte zu dem preußischen Schritte klären vortrefflich die Dresdener Akten. Dresden, 2968.
  3. Pr. St. R. 33 u. 147.2
  4. Brief abgedruckt bei Heineck, a. a. O. 42 ff.
  5. Nordh. Archiv Sa. 5.
  6. Pr. St. a. a. O.
  7. Brief Friedrichs I., Potsdam, 18. II. 03. Der König wirft Nordhausen vor, es hätte sich über die Aemter nicht mit ihm vergleichen wollen, hätte mit Hannover verhandelt, hätte gar hannoversche Truppen aufnehmen wollen. Deshalb sei die Stadt besetzt. Bei seinem Kgl. Worte versichere er, daß Nord-hausen die Freiheit behalten solle. Ueber die Differenzen wolle er verhandeln; Tettau und Röpenack seien autorisiert. Sie sollten Preußens Schuh annehmen; nach Abschluß der Verhandlungen würden die Truppen abziehen. — Nordh. Archiv SA. 5. — N. F. 1176. — Pr. St. a. a. O
  8. Nordh. Archiv Sa. 5.
  9. Der Streit um die sogenannte Helmeflur wird uns unten noch beschäftigen.
  10. Pr. St. a. a. O.
  11. Pr. St. a. a. O. — Nordh. Archiv Sa 5. — Heineck, 51 ff.
  12. Original im Nordh. Archiv. Vergl. auch N. F. 1154.
  13. Nordh. Archiv Sa 5. — Dresdener Hauptstaatsarchiv, 2982.
  14. Brief vom 27. März 1703.
  15. Die Nordhäuser Aktenstücke betonen immer wieder, der Vertrag gelte nur bei Kaiserlicher Konfirmation. Tatsächlich suchte auch Nordhausen durch den Agenten Koch beim Kaiser den Schutz nach, und Bartholdi unterstützte ihn dabei. Der Kaiser bestätigte den Schutz nicht, weil der Reichshofrat schon „vor Jahr und Tag“ den Schutz Hannover zugesprochen habe. Brief Kochs an Nordhausen 14. IV. 03.
  16. Gebauer, die Hildesheimer Unruhen vom Winter 1702/03. Zeitschr. des Harzvereins f. Gesch. u. A. 50. Iahrg., 65 ff.
  17. Nordh. Archiv, 1516.
  18. Pr. St. a. a. O.
  19. Bitte an den Kaiser vom 3. Dez. 1703.
  20. Die Hohnsteiner waren Vasallen Halberstadts. Diese hatten ihre Vogteigerechtsame an Nordhausen veräußert ohne Einwilligung des vomini oonee-Eine solche Veräußerung ist null und nichtig, da beide Lehnsherren, der Bischof von Halberstadt und der Kaiser als oberster Lehnsherr für ein Reichslehn ihre Zustimmung geben mußten.
  21. Thomasius hat mit seinen Ausführungen durchaus recht; doch waren die Befugnisse nie vollkommen abgegrenzt, weil die Stadt allein alle Organe für die Rechtsprechung zur Verfügung stellen konnte. Dadurch kam es zu einem unentwirrbaren Durcheinander von richterlicher und executiver Gewalt. Bei den mit der Zeit immer komplizierter werdenden Verhältnissen und bei den offensichtlichen Schäden, die durch die Vermischung der Gewalten in jenen Zeiten eintraten, drängte sich die reinliche Trennung der Gewalten geradezu auf. Vollzogen wurde sie bekanntlich in den absolut regierten Staaten des 18. Jahrhunderts noch nicht. Die Ideen Montesguieus setzten sich erst später durch. — Das Gutachten des Thomasius in Pr. St. a. a. O.
  22. Beilage V. hinter Kapitel II. Gutachten des Thomasius.
  23. Briefe vom 31. Januar und 21. Februar 1704.
  24. Brief vom 2. Februar an Thomasius.
  25. Am Schluß seiner Deduktion: Kurze, jedoch gründliche Deduction, daß die Stadt Nordhausen nicht befugt sei, einen anderen Schutzherrn anzunehmen als S. Kgl. Majestät in Preußen, in dem Artikel 27 „Anhang eines ferneren Gutachtens, wie die Nordhausische Affäre anzugreifen“, schlägt Thomasius vor: Ostern 1704 läuft der Termin ab; die Wiedereinlösung der Aemter soll geschehen. Die Kommissionsarbeit hat sich aber verzögert, so daß bis Ostern wenig Fruchtbares herausspringt. Deshalb soll der Termin um ein Jahr verlängert werden. Bei Anwesenheit des Königs von Polen in den preußischen Kurlanden soll mit ihm wegen Satisfaktion betreffs verschwiegener Reluitionsgelder und Cedierung der Aemter verhandelt werden. Pr. St. a. a. O.
  26. Vergl. oben S. 38.
  27. Nordh. Archiv. N. F. 1764.
  28. Man hatte in Berlin die Pfandsumme mit preußischer Gründlichkeit errechnet und aufgestellt: Für das Schulzenamt . . 8750 Taler — 10 000 Gulden Für die Vogtei .... 962 „ 12 gr. 1000 „ „ „ .... 500 „ 100 Goldgulden 10212 „ 12 gr. Dazu für 6 Jahre Geleit 3 060 „ 13 272 „ 12 gr. Wenn der Goldgulden zu 1 Taler 12 groschen gerechnet wird, erhöht sich das Kapital um 100 Taler, die Zinsen steigen um 30 Taler; dann macht also die Summe 13 402 Taler 12 groschen. — Die 10 000 Gulden war die Summe, die Nordhausen an Sachsen für das Schulzenamt bezahlt hatte; die 1000 Rheinische Gulden und 400 Goldgulden für die Vogtei hatte 1546 Graf Ernst V. von Honstein erhalten. Jetzt zahlte der neue Besitzer, Preußen, beide Summen zurück.
  29. Stellung Preußens und Nordhausens zueinander ist vor allem einem Schreiben des Königs zu entnehmen. Nordh. Archiv N. F. 1764. — Pr. St. a. a. O.
  30. Brief vorn 21. Juni 1704. — Wichtig ist der Standpunkt von Kirchners insofern, als er nicht mehr den Erwerb der Aemter ohne kaiserliche Konfirmation überhaupt in Frage stellt.
  31. Brief vom 9. Juli 1704.
  32. Gemeint ist die Schlacht bei Höchstädt.
  33. Hannover schrieb am 9. August an den Kaiser: Die zögernde Haltung Wiens habe Preußen übermütig gemacht. Es heiße, daß es zu 3 Kompagnien noch 3 weitere und 100 Dragoner in Nordhausen einrücken laßen wolle, um den Magistrat zu ängstigen. Preußen gebrauche als Vorwand für die Verstärkung daß Hannover Truppen marschieren laste. Daran habe Hannover nie gedacht, es habe alle seine Truppen für Kaiser und Reich fortgeschickt. Der Kaiser solle nun endlich eingreifen. Nordh. Archiv, N. F. 757.
  34. Thomasius weilte vom 31. August bis 10. September 1704 in Nordhausen, Lüdecke und Schreibe^ vom 1.—10. September.
  35. Beilage VI zu Kapitel II. Die Vorgänge in den ersten Tagen des Septembers 1704 in Nordhausen. — Nordh. Archiv N. F. 1764. — Pr. St. a. a. O. — Dresden 2968.
  36. Die Aeußerung Frommanns wurde von Berlin auch an Bartholdi in Wien weitergegeben und täuschte dort den preußischen Gesandten, der dem Reichshofrat von Kirchner vorstellte, er habe Nachricht, daß Nordhausen selbst einen Vergleich wünsche, wenn Wien dazu rate. Bartholdi mu6te aber von Kirchner erfahren, daß Nordhausen beim Hofrate neuerlich eine weitläufige Schrift gegen Preußen eingereicht habe. — Bericht Bartholdis vom 4. Oktober.
  37. Nordh. Archiv, N. F. 2830.
  38. Nordh. Archiv, N. F. 1764.
  39. Nordh. Arch. N. F. 17. — Ein kaiserliches Edikt vom 4. März 1666 verbot, neue Zölle zu erheben oder alte zu erhöhen, wenn nicht sämtliche Kurfürsten ihre Einwilligung gegeben hätten. Hierauf berief sich Nordhausen.
  40. Aus einem Gutachten Thomasius' zu entnehmen.
  41. Pr. St. a. a. O. . . .
  42. Pr. St. a. a. O. Neben der Gerichtsordnung des Thomasius finden sich von ihm eine Unmenge Betrachtungen Nordhäuser Verhältnisse und praktische Ratschläge. So heißt es über Harprecht, er sei Nordhausens geschicktester Mann, mäste aber verschwinden, weil er dem Rate und der Bürgerschaft verhaßt sei. Man solle ihn in Preußen unterbringen; damit werde die Stadt ihrer besten Stütze beraubt. — Der beste Prediger sei Titius, der für Preuüen schon halb gewonnen sei; man müsse diesen Mann im Auge behalten. Titius war der Sohn des bedeutenden Syndikus Ivh. Titius, also der Bruder des Sekretärs Titius und des damals hochberühmten Rechtsgelehrten Gottlieb Gerhard Titius, eines Schülers und Freundes des Thomasius. Der Pastor Titius ging 1706 an die Ulrichskirche nach Magdeburg. — Thomasius äußert sich weiter: Pastor prirnurius Ioh. Nik. Rohrmann habe einer Weibsperson im Beichtstuhl Unzucht zugemutet. Weil er aber mit einem Bürgermeister nahe verwandt sei, sei die Frau „festgesetzt und spargiert worden, als ob sie nicht recht bei Sinnen.“ Dieser Rohrmann müsse deshalb für den Rat gegen Preußen eintreten. Gegen ihn könne nun aber das Obergericht vorgehen.
  43. Nordh. Archiv Sa. 5.
  44. Wien, 20. Dezember 1704. Leopolt—Maximilian Adam von Wollenstein.
  45. Nordh. Archiv, N. F. 757.
  46. Nordh. Archiv, N.F. 597.
  47. Pr. St. a. a. O.
  48. Gestorben am 1. Februar 1705.
  49. Preußen hatte sich am 20. Januar 1705 in Wien beschwert, daß es nicht gehört worden sei. — Nordh. Archiv, N. F. 17. N. F. 757. Dresden, Hauptstaatsarchiv 2908.
  50. Brief Georg Ludwigs an Anton Ulrich vom 2. Juli 1706.
  51. Ueber die Ratswahlen zu Nordhausen vergl. Silberborth, a. a. O., 151 ff
  52. Dropsen, g. a. O. IV. 1. 299 ff.
  53. Nordh. Archiv, N. F. 17.
  54. Die Stadt hatte sich an den neuen Kreisdirektor sogleich um Hilfe gewandt; am 29. V. 1706 war aber nach Rückfrage bei Preußen der Rat erfolgt, sich mit PreulZen zu vertragen.
  55. Brief vom 20. Juli 1706. Landeshauptarchiv Woflenbüttel, Nordh. Commissionsakten 1706—1710.
  56. Pr. St. a. a. O.
  57. Schreiben vom 29. März 1707. Unterzeichnet Friedrich, gegengezeichnet von Wartenberg.
  58. Pr. St. a. a. O.
  59. Nordh. Archiv, N. F. 284.
  60. S. Beilage VII zu Kapitel II.
  61. Die Konsistorialakten wurden Röpenack nicht ausgehändigt. Wahrscheinlich suchte er sie auf alle mögliche Weise zu erhalten. Damit hängt vielleicht Harprechts Verhalten zusammen. Der Syndikus Harprecht, der schon lange nicht mehr amtierte, weil er nichts mehr zu tun hatte und der Bürgerschaft nicht genehm war, wurde im Februar 1708 entlasten. Dennoch behielt er wichtige Ratsakten, die er auch trotz Ratsbefehls vom 14. April 1708 nicht herausgab. Am 27. April wurden abermals die Kurrentakten von ihm verlangt. Auch um das Aktenstück handelte es sich, das Akten über die Hochzeit des Bürgermeisters Kromann mit der Tochter des Konrektors Weber, die vor der Hochzeit geschwängert war, enthielt. — Nordh. Archiv, N. F. 17. Vergl. Silberborth, a. a. O. 497. — In den Zeilen, wo die regierenden Männer in schamlosester Weise die Mittel der Stadt ausnutzten, kam es öfter vor, daß sie sich städtische Akten und Titel aneigneten, die sie selbst nach ihrem Ausscheiden oder nach ihrem Tode ihre Erben nicht Herausgaben. So hatte die Stadt größte Schwierigkeit, wichtige Akten von den Frommanschen Erben herauszuerhalten. Sogar Hannover wurde deshalb bemüht. Frommann gest. 6. IV. 1706.
  62. Landeshauptarchiv. Wolfenbüttel. — Nordh. Archiv N. F. 284
  63. Wie unordentlich und gewissenlos Teile der sächsischen Verwaltung damals arbeiteten, erweist auch der Briefwechsel Preußens mit Sachsen wegen der Aushändigung der Akten über die Aemter in Nordhausen. Preußen, das wieder und wieder gedrängt und am II. April 1708 zum letzten Male in dieser Angelegenheit geschrieben hatte, erhielt am 25. April die Antwort, der Kaiser habe dem Kurhaus Sachsen wegen der alten gräflich-hohensteinschen Lehen nie einen Lehnbrief ausgestellt. Deshalb könne auch in Wien keiner Nachricht davon geben. In Wittenberg könnten wohl Akten liegen; gegen deren Herausgabe würden aber die fürstlichen Häuser Weimar und Altenburg sein, da sie „gegen sotane Alienation“ verschiedentlich gesprochen hätten. Sie hätten an diesen Reichsiuribus die Mitlehnschaft. „Wir bekennen freimütig, daß wir von der Beschaffenheit der Dinge die erforderliche Wissenschaft damals (bei Abschluß mit Preußen) nicht erhalten haben.“ — Dresd. Hauptstaatsarchiv, 10 1