Die Alte Kanzlei in Bleicherode

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von Dirk Schmidt
Führungsinformation: Geschichte, Nutzung, Dokumentationen, Ausstellungen, Aktivitäten (Stand 06.9.2022).

Vorwort

In der Zeit nach der Wiedervereinigung gab es eine Kaffeerunde, an der auch das Ehepaar Dr. Sieghardt v. Köckritz teilnahm. Der Pensionär war Min.Dir. a.D.im BIM und Mitglied im Kuratorium der Deutschen Denkmalschutz-Stiftung. Im Gespräch über die Zustände in der ehemaligen DDR kamen wir auch auf das Thema Denkmalschutz und die Ruinen der Alten Kanzlei in Bleicherode. Meinen pessimistischen Schilderungen begegnete v. Köckritz mit dem Hinwies, die Stiftung fördere auch solche Objekte auf dem „flachen Land“. Versuch macht klug. So wandte ich mich an die Stiftung in Bonn. Man reagierte aufgeschlossen. Ich reichte ein Objektpapier ein. Die Stiftung stellte Geld für die ersten Sicherungsmaßnahmen zur Verfügung (Mauerwerk, Fensteröffnungen der Ruine, Erneuerung der Absperrung).

Allgemeine Informationen zur Alten Kanzlei

Die Alte Kanzlei, bestehend aus Haupthaus, Remise und Scheunenbau, ist neben dem Rathaus und der Marienkirche das bedeutendste Baudenkmal von Bleicherode. Sie wurde nach der Zerstörung der Stadt im 30jährigen Krieg 1663 errichtet, wahrscheinlich auf älteren Fundamenten. Das barocke und als Ackerbürgerhof errichtete Bauensemble war nach der Überlieferung in den ersten hundert Jahren auch Sitz des Stadtschultheißen sowie der Verwaltung der Grafschaft Hohenstein. Nach alten Urkunden wurden die Räume im Obergeschoß westlich vom Treppenhaus schon vor 1700 als Betraum/Synagoge der jüdischen Gemeinde genutzt, die nur von außen über eine Holztreppe und eine Tür in der Westwand zugänglich war (Urkunden im Kanzleiarchiv). Im 18.Jh. war Schultheiß Christian Stöckelmann Eigentümer. 1790 kaufte die Gräfin Hagen die Kanzlei von der Erbengemeinschaft Stöckelmann. 1791 stellte die Eigentümerin Gräfin Hagen in einem Vertrag die „bisher benutzten“ Räume der jüdischen Gemeinde von Bleicherode jedoch nun „zur immerwährenden Nutzung“ als Synagoge zur Verfügung. Vereinbart wurde, dass sie auch weiterhin nicht durch das Innere des privaten Wohnhauses aufgesucht werden durfte, vielmehr musste die vorhandene Holztreppe auf der westlichen Gartenseite benutzt werden, im Obergeschoss befindet sich eine heute noch sichtbare, zugemauerte Außentüröffnung, die 2006/07 bei der Restaurierung entdeckt wurde. Das Grundstück zwischen der Kanzlei und der ehemaligen Stadtmauer an der oberen Hagenstraße, heute das Nachbarhaus Nr. 132, war bis etwa 1885 unbebaut und gehörte als Garten zur Kanzlei. Die Synagogennutzung endete 1882 mit der Einweihung der großen Synagoge in der Obergebraer Straße (1938 in der Pogromnacht zerstört). Nach dem Tod der Gräfin Hagen kam die Kanzlei in andere Privathände. Sie wurde bis etwa 1980 als Wohnobjekt genutzt, in den letzten Jahrzehnten von weniger begüterten Familien. Verwalter war die Staatliche Wohnungsbauver- waltung, die die Gebäude verkommen ließ. Ab 1980 war die Kanzlei unbewohnt. Auf dem Hof standen zur Hagenseite hin Garagen. Bei der Wende 1989/90 waren alle Gebäude einsturzgefährdete Ruinen.

Abgesehen von einem von der Stadt finanzierten neuen Dach für das Hauptgebäude geschah dann bis 1996 nichts. Von da an bemühte sich Dr. Dirk Schmidt um die Rettung der Kanzlei. Gespräche mit der Stadt waren erfolglos, mit Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz konnten Sicherungsmaßnahmen finanziert werden, die einen weiteren Zerfall des Hauptgebäudes verhinderten. 2000 wurde der Förderverein Alte Kanzlei e.V. gegründet. Sein Ziel war die Restaurierung des Kanzleikomplexes. In seiner Satzung wurde als Vereinszweck neben der Restaurierung festgelegt, dass die Kanzlei ein kulturelles Zentrum in der Oberstadt werden sollte, in dem die Stadtbibliothek, die Kreismusikschule, eine Dokumentation der früheren jüdischen Gemeinde, eine Petermann-Dokumentation und ein Webereimuseum untergebracht werden sollten. Es ist ein kleines Wunder, dass diese Pläne realisiert werden konnten. Der für die Erlangung von Fördermitteln notwendige Eigentumserwerb wurde vor allem mit Hilfe einer großen Spende des Ehepaars Peter Albrecht in Bad Honnef möglich. Die Kontakte mit dem engagierten Landesdenkmalamt führten zur Bewilligung von Fördermitteln der Europäischen Union, des Landes und der Stadt. So gelang die Restaurierung des Hauptgebäudes mit der treuhänderischen Baubetreuung durch das städtische Bauamt und der ständigen Begleitung durch den Vereinsvorstand (Jochen Böhm und Dr. Franz Thost). 2007 wurde das Hauptgebäude in Anwesenheit des Ministerpräsidenten Althaus eingeweiht. Seitdem befinden sich die Stadtbibliothek, die Filiale der Kreismusikschule und die Dokumentation der Geschichte der jüdischen Gemeinde mit einer umfang-reichen Präsenzbibliothek zum Thema „Shoah“ im Hauptgebäude.

Landesdenkmalamt und Förderverein bemühten sich anschließend um die Restaurierung des weiteren Gebäudebestandes. Mit Hilfe erneuter Fördermittel gelang die Wiederherstellung des Scheunenbaus, der 2011 eingeweiht wurde. Hier wurden ein Petermann-Gedenkraum, eine Dokumentation der Kartografiegeschichte und eine Sammlung von Geräten der Handweberei sowie eine Dokumentation der früher in Bleicherode tätigen Leinenwebereien und Textilhändler untergebracht. Der Heuboden, dessen gewaltige Dachkonstruktion beeindruckend ist, wurde für Veranstaltungen hergerichtet (z.B. Kulturnacht der Kreissparkasse). Hier befindet sich auch die Fotodokumentation der bis 1960 inmitten der Stadt gelegenen ca. 30 Landwirtschaftbetriebe. Der total baufällige Stallbau musste abgerissen werden. Der ihm nachgebildete flache Remisenbau konnte 2013 eingeweiht werden. Mit seinen ca. 50 Sitzplätzen und einer Theke ist er für Konferenzen und Familienfeiern geeignet. Dort wurde auch die Fotodokumentation der Stadt um 1900 mit ca.450 Ansichten untergebracht.

Der 2014 gestaltete Gesellschaftsraum im Wohnteil des Scheunenbaus steht mit 30 Sitzplätzen und einer Thekenzeile für gesellschaftliche Ereignisse jeder Art zur Verfügung. Seine Wanddekoration wurde anfangs dem von den Nazis als „entartet“ geächteten Bildhauer Gerhard Marcks gewidmet, der 1938 die am Schillerplatz stehende Skulptur „Krieg und Frieden“ geschaffen hat. Im Depot des Fördervereins befindet sich die ca. 70 Bildplatten (70x100) um fassende Dokumentation „Die geheimen Stimmungsberichte des Bürgermeisters von Bleicherode 1933-45“, die zusammen mit umfangreichen Bildmaterial aus der damaligen Zeit einen umfassenden Überblick über die Entwicklung in Bleicherode während der Nazizeit bietet. Sie ist digitalisiert und kann jederzeit gezeigt werden. Die Exponate der Ausstellung „Deutsches Fachwerk“ werden ebenfalls im Depot verwahrt. Auf dem großen und gepflasterten Hofgelände der Kanzlei finden Feste und Märkte statt.

Die Alte Kanzlei wurde im Lauf der Zeit zu einem kulturellen und gesellschaftlichen Kommunikationsschwerpunkt , der für die Belebung der Oberstadt von großer Bedeutung ist. Seit 2007 konnten weit über 30 Tsd. Besucher der Ausstellungen und Festivitäten im Kanzleikomplex gezählt werden. Hierzu zählen Schulklassen und Schüler, denen die Dokumentationen und Ausstellungen interessantes Lehrmaterial bieten. Auch nehmen sie den in der Webereigerätesammlung angebotenen Werkunterricht in Anspruch. Das vielfältige kulturelle Angebot hat die Schulverwaltung veranlasst, die Kanzlei als außerschulischen Lernort anzuerkennen.

Die Dokumentation der jüdischen Gemeinde

Schon vor 1500 sind jüdische Einwohner in Bleicherode nachweisbar. Im 16. Jh. nahm ihre Zahl zu. Im 18.Jh. gab es annähernd 100 und auch mehr jüdische Einwohner. Ihre Bet-und Schulräumehaben haben sich nach alten Urkunden bereits vor ca. 1700 im westlichen Obergeschoss der Kanzlei befunden. Sie waren nur über eine Außentreppe zugänglich. In einem Nutzungsvertrag von 1791 gewährte dann die damalige Eigentümerin der Alten Kanzlei der durch ihren Vorbeter Simon Samuel Eichenberg vertretenen jüdischen Gemeinde die ewige und unentgeltliche Nutzung der Räume als Synagoge. Die Vertragsurkunde ist erhalten (Raum 1). Damals gab es 144 jüdische Einwohner. Festgelegt wurde, dass als Zugang die schon vorhandene und auf dem damals unbebauten Grundstück Nr. 132 stehende hölzerne Außentreppe zu benutzen war. Wohl weil der Weg durch das private Wohnhaus den Bewohnern nicht zugemutet werden konnte. Noch heute ist im Raum 2 die alte Türöffnung zu sehen. Diese Räume wurden bis 1882 benutzt, dann wurde die große Synagoge in der Obergebraer Straße eingeweiht. Das Nachbargrundstück wurde später bebaut.

Nach 1800 entwickelte sich infolge der Emanzipationsgesetzgebung die Teilnahme der jüdischen Bevölkerung am Wirtschaftsleben der Stadt zunehmend. Insbesondere auf dem Gebiet der Handweberei. Die vielen Handweber in der Stadt und auf den Dörfern bezogen Garne von jüdischen Händlern und verkauften an sie fertige Leinenwaren. Die ersten mechanischen Webereien wurden nach 1850 von jüdischen Unternehmern gegründet: Schönheims Wwe.(Kirch-/Lindenstraße), Schlesinger(Niedergebra). Helft (Nordhäuser Straße). Andere jüdische Familien betätigten sich im Textilhandel, auch entstand das Bankgeschäft Frühberg. Diese Unternehmerfamilien errichteten stattliche Bürgerhäuser : Z.B. Hauptstraße 66, 88, 95, 101, 104, 118, Obergebraer Straße 15, 74, Niedergebraer Straße 15, Nordhäuser Straße 39, Lindenstraße 13, Talstraße 13, Bahnhofstraße 78. Am gesellschaftlichen Leben und politischen Leben nahmen die jüdischen Bürger regen Anteil. Im Weltkrieg 1914-18 waren sie Frontsoldaten (Gefallene: Beyth, Rothenberg, Schönheim) oder Krankenschwestern.. Sie waren Vereinsvorsitzende (Beyth), Schützenkönige(Beyth, Rothenberg) und Mitglieder des Stadtparlaments (Helft, Rothenberg). Samuel Rothenberg war Vorsitzender des Stadtrates und Ehrenbürger.1933 wohnten ca. 130 jüdische Einwohner in der Stadt. Die antisemitische Politik der Nazis führte zu zahlreichen Auswanderungen, nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 wurden sie zum Verkauf ihrer Unternehmen und zur Emigration gezwungen. In dieser Nacht wurde die Synagoge von bis heute unbekannten SA- und SS-Leuten in Brand gesetzt und zerstört. 11 jüdische Bürger wurden inhaftiert und in das KZ Buchenwald verbracht.

1939 bei Kriegsbeginn waren nach den Geheimberichten des damaligen Bürgermeisters noch 30 jüdische Bürger in Bleicherode. Es gab nach dem Gedenkbuch des Bundesarchivs wahrscheinlich 20 direkt aus Bleicherode deportierte oder dort durch Freitod nach 1938 geendete Shoah-Opfer (32 mit den nach 1938 verzogenen Opfern (Opfertafel Raum 3). Einziger Überlebender war Dr. Hans Frühberg, der sich 1943 mit seiner Ehefrau Hedwig der Deportation entziehen konnte, untertauchte und 1944 von einer Bleicheröderin denunziert wurde. Er überlebte das KZ Auschwitz.

Dr. Dirk Schmidt erstellte in jahrelanger Arbeit die Dokumentation mit dem Ziel, insbesondere ein lebensnahes Bild vom Leben und Wirken der jüdischen Gemeinde und ihrer Familien in Bleicherode und ihrem Schicksal zu erhalten. Er suchte Staatsarchive in Deutschland , Israel und den USA auf und fand Kontakt zu fast allen international verstreuten Familien oder deren Nachkommen (Deutschland, Niederlande, Spanien, Israel, USA, Südamerika, Südafrika). Er erhielt genaue Informationen, Dokumente und Fotomaterial wurden ihm übergeben. So konnten die Geschichte der jüdischen Gemeinde und vor allem die tragischen Schicksale in der Verfolgung in eindrucksvoller Weise aufgezeichnet und dargestellt werden. Auf 50x100 cm großen Bildplatten wird die Geschichte der einzelnen Familien geschildert und geben Fotos einen Eindruck von ihrem Leben.

Bei den Nachforschungen ergab sich auch aus Archivunterlagen, dass die im 19. und frühen 20.Jh. in Berlin erfolgreiche Bankiersfamilie Bleichröder (Gerson Bleichröder war der Bismarck-Bankier) ihren Ursprung in Bleicherode hat. Der Urahn Gerson Bleichröder wurde in Bleicherode geboren und ging um 1740 als Jugendlicher nach Berlin (vgl. Bleichröder-Bildplatte, Raum 1).

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde von Bleicherode gehört auch der bis heute erhalten gebliebene und 1857 angelegte jüdische Friedhof am Hang des Vogelberges. Alle bis 1939 Verstorbenen fanden hier ihre letzte Ruhestätte. Die Grabstellen und die gesamte Anlage sind erhalten und sind ein eindrucksvolles Zeugnis der jüdischen Gemeindegeschichte.

Petermann und Kartografiegeschichte

Prof. Dr. August Petermann (1822-1878) gehörte zu den berühmtesten Kartografen des 19. Jh. Er wurde in Bleicherode geboren (Petermann-Haus Am Plan)und besuchte das Gymnasium in Nordhausen. Früh zeigte er seine Begabung in der Anfertigung von Landkarten. Mit 15 Jahren zeichnete er eine Harzkarte (Petermann-Raum). Nach seiner Ausbildung als Kartograf in Berlin war er in Edinburgh und in London tätig. Er wurde Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften und erhielt deren höchste Auszeichnung. 1854 folgte er einem Ruf des Verlags Justus Perthes in Gotha, in dem er die Leitung der kartografischen Abteilung übernahm. Schon 1855 gründete er die Fachzeitschrift „ Petermanns geografische Mitteilungen“ (PGM), die er zur führenden Publikation der geografischen Welt entwickelte. Sie wurde erst 2004 eingestellt. Über alle Entdeckungen und Expeditionen, über die Entwicklung der Karografie und Geografie wurde berichtet. Perthes war der führende Kartenverlag. Darüber hinaus war Petermann als Initiator, Planer, Organisator und Geldbeschaffer für Expeditionen in den Polargebieten und in Afrika tätig. Mehrere Regionen, Gebirge, Inseln und Mondkrater tragen seinen Namen.

Mit der Ausstellung historischer Landkarten im Scheunenbau soll das Werk Petermanns gewürdigt werden. Sie versucht, einen Überblick über die Entwicklung der europäischen Kartografie seit der Antike bis Petermann zu geben. Bereits vorher hat es in Mesopotamien, Babylonien, Ägypten oder China kartografische Darstellungen auf einfachen Unterlagen wie z.B.. Tonplatten oder Ziegel gegeben. Hiervon sind jedoch nur Fragmente erhalten. Die Ausstellung beginnt mit den in der Antike erstellten Karten des griechischen Naturwissenschaftlers Ptolemäus, der um 100 n.Chr. als Mathematiker, Astronom und Geograf in Alexandria lebte. Für ihn hatte die Erde bereits Kugelgestalt. Er teilte die Erdoberfläche in Längen- und Breitengrade ein. Der Mittelmeerraum und darüber hinaus weite Teile Europas, Asiens und Afrikas waren ihm von Seefahrern und Handelsreisenden allgemein bekannt.

Aus römischer Zeit sind Stadtkarten Straßenkarten überliefert.. Beginnend mit dem frühen Mittelalter im 8./9. Jh. und bis zum 15. Jh. wurden in den Klöstern von Mönchen sog. Mappae Mundi, also Karten der damals bekannten Welt, erstellt. Sie sind von der christlichen Weltsichtdieser Zeit bestimmt, bilderbuchartig gestaltet und gehen von der Scheibengestalt der Erde aus. Wegen ihrer runden Form und der Anordnung der Erdteile nennt man sie Rad- oder TO-Karten: Die runde Kartenfläche ist in der mittleren Horizontale geteilt, in der unteren Hälfte geviertelt. Die obere Hälfte zeigt den Osten mit Orient und Asien (die Karte ist „geostet“), die unteren Viertel zeigen links Europa und rechts Afrika. In der Mitte befindet sich Jerusalem. Die große Ebstorfer Weltkarte (1235, Kloster Ebstorf bei Lüneburg) hat einen Durchmesser von 3,5 m. Es handelt sich um phantasievolle, unrealistische Darstellungen mit recht willkürlicher Anordnung von Städten, Flüssen, Fauna und Flora, sie dienten nicht der konkreten Orientierung.

Im 13. Jh. kamen die Portolankarten aim Mittelmeerraum auf, die mit Hilfe von Kompassmessungen für die Seeschiffahrt die Küstengebiete mit ihren Häfen abbildeten (Porto=Hafen). In Europa wurde der trockene Nadelkompass im 13. Jh. erfunden. Portolankarten wurden vor allem in Genua, Venedig, Lissabon und Mallorca hergestellt. Im 14. Jh. gelangte ein Manuskript der Geografia, des geografischen Hauptwerkes von Ptololemäus, nach Europa. 1406 lag es in lateinischer Übersetzung vor. Die 1450 erfundene Druckkunst ermöglichte eine weite Verbreitung. Die astronomischen und mathematischen Berechnungen des Ptolemäus sowie die Erkenntnisse des Zeitalters der Entdeckungen (Land- und Seereisen) und neue Erfindungen (Fernrohr) ermöglichten eine realistische geografische Darstellung der Erdoberfläche auf Karten und auf einer Erdkugel. 1491 entstand die Weltkarte von Henricus Martellus (Hammer), Nürnberg, 1492 der erste Globus von Martin Beheim, Nürnberg. Weitere Karten der gesamten damals bekannten Erdoberfläche erschienen 1507 (Waldseemüller)und 1569 (Mercator). Das sich aus der Erdkrümmung bei der Gestaltung auf einer flachen Karte ergebende Problem der Projektion (Kugelfläche auf gezeichnete Ebene) wurde weitgehend gelöst, vor allem von Mercator. Projektion ist ein mathematischer Ausdruck, bei dem es um die Abbildung der gekrümmten, dreidimensionalen Erdoberfläche auf einer flachen zweidimensionalen Karte geht. Es gibt mehrere Projektionsformen, bis heute ist keine perfekt.

Die Produktion von Landkarten kam im 17. Jh. vor allem in den Niederlanden zu hoher Blüte. Es entstanden hier und allgemein auch Reise-, Straßen- und Stadtkarten. Im 18. Jh. entwickelte sich vor allem in Frankreich und in Deutschland eine moderne und nach topografischen Maßstäben genauere Kartentechnik. Dies wurde ermöglicht durch die in Frankreich aufkommende landesweite Landvermessung. 1750-93 wurde eine topografisch genaue Landvermessung durchgeführt (Triangulation). Triangulation ist eine mit Hilfe von Theodoliten durchgeführte geometrische Methode der optischen Abstandsmessung durch eine genaue Winkelmessung innerhalb von Dreiecken. Die Berechnung erfolgt mit trigonometrischen Funktionen. Sie diente auch militärischen Zwecken. Messtischkarten wurden entwickelt. Andere Länder folgten. Das 19. Jh. brachte die der Topografie entsprechende mehrfarbige Landkarte mit großer Genauigkeit. Insbesondere die Lithografie (Steindruck) ermöglichte diesen Fortschritt. Es entstanden kartografische Unternehmen in Gotha (Perthes), Weimar, und Leipzig. Die Diversifikation der Landkarten nahm entsprechend ihrem Zweck zu ( Strukturkarten für Wirtschaft, Handel, Gewerbe, Industrie, Demografie, Flora und Fauna, Gesundheit, Sozialwesen, Politik, internationale Beziehungen, Kontinentalforschung).

Alt-Bleicherode um 1900

Aus der Geschichte unserer Stadt wird im Heimatmuseum viel gezeigt. Dort befindet sich auch eine Sammlung von alten Fotos, auf denen Häuser, Straßen und Begebenheiten aus alter Zeit dargestellt sind. Zwangsläufig fehlen Fotos und Ansichtskarten, die sich im Privatbesitz befinden. Die Sammlung kann nicht allgemein und jederzeit zugänglich sein. Einen organisatorischen Zusammenhang, der einen Überblick über die Gesamtstadt ermöglicht, kann es nicht geben.

So entstand das Projekt, im Stallbau die Wände mit einer Sammlung von Großansichten der Stadt um 1900 zu dekorieren. Diese Zeit erschien besonders geeignet, weil in ihr heute noch vorhandene Fotos und Ansichtskarten entstanden sind und in ihr die gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Entwicklung der Stadt schon ein hohes Niveau erreicht hatte. Auch das Kaliwerk befand sich im erfolgreichen Aufbau. In dieser Zeit entstanden zahlreiche stattliche Bürgerhäuser, die noch heute das Stadtbild prägen. Als Kleinstadt mit gesunder Wirtschaftsstruktur, starkem Mittelstand, sehr aktivem Bürgertum, vielfältigen kulturellen Aktivitäten verfügte das wohlhabende Bleicherode über eine beachtliche Lebensqualität. Toleranz, Respekt, Behaglichkeit und bürgerliche Ordnung bestimmten das Leben in einer landschaftlich schönen Umgebung. Diese Stadt besteht nicht mehr. Wirtschaft und Bevölkerungsstruktur haben sich nach 1945 massiv verändert. Der Vergleich mit den heutigen Verhältnissen und die Ursachenklärung führen zu wertvollen lokalhistorischen und allgemeinen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Stadtentwicklung und der nationalen Geschichte.

Der 1. Weltkrieg 1914-18 mit seinem Zusammenbruch, die folgende Inflation, die Wirtschaftskrise 1929 leiteten das Ende dieser stabilen Verhältnisse ein. Die Nazizeit zeigte auch in Bleicherode das obrigkeitsstaatliche Gesicht der Diktatur. Der schon früher geplante Bau der Kirchstraße erfolgte gleich nach 1933. Der 2. Weltkrieg 1939-45 berührte die Stadt wenig. Nach dem Zusammenbruch 1945 veranlasste das sozialistische wirtschafts- und Gesellschaftssystem der DDR den Abriss der Untermühle und ihrer Randbebauung an der Löwentorstraße, ebenso den Bau der Naumannstraße mit dem Abriss der dort stehenden und den Kirchplatz eingrenzenden Häuser. Hinzu kam die Sozialisierung der in der Stadt liegenden ca. 30 Landwirtschaftsbetriebe, die letztlich zur Auslagerung der Landwirtschaft an den Stadtrand führte. Von Bedeutung ist für diese Zeit auch der starke Rückgang der Gastronomiebetriebe und Hotels. Die Bebauung mit Wohnblöcken zwischen Löwentorstraße und altem Bahnhof sowie zwischen Kirchplatz und Angerbergstraße berührte das alte Stadtbild weniger. Zahlreiche Bürger verließen wegen der politischen Verhältnisse die Stadt. Am Ende der DDR hatten Stadtbild, Struktur und Leben einen völlig anderen Charakter als um 1900. Das mit dem Zusammenbruch der DDR einhergehende Ende der Webereibetriebe und des Kaliwerks war ein Rückschlag für die Stadtentwicklung, der bis heute nicht aufgeholt werden konnte.

Die Bildsammlung ist so aufgebaut, dass sie einem Gang durch die Stadt von West nach Ost entlang der Haupt-und Bahnhofstraße ähnelt und dabei auch die südlichen und nördlichen Abzweigungen aufnimmt. Die Einbeziehung des Schicksals des Kriegerdenkmals von 1925 am Rathaus erklärt sich aus den ungewöhnlichen Umständen, die zur Entstehung und Vernichtung des Denkmals führten, und der Einmaligkeit der Fotos.

Die mehr als 450 Ansichten erhielt Dirk Schmidt von Kartensammlern, vom Heimatmuseum und aus Familienbesitz. Sie wurden auf DIN A 4 vergrößert.

Die Ackerbürgerhöfe in Bleicherode

Bleicherode entstand als ländliche Siedlung, die sich vom Bleichtal her am Bleichbach entlang nach Osten hin entwickelte. Die Hauptachse der Stadt bildet noch heute die am Feuerteich beginnende Hauptstraße, die sich über den Kittel in die Bahnhofstraße verlängert. Höfe, Handwerksplätze und Häuser wurden längs dieser Achse und des wasserspendenden Bleichbachs errichtet. Der Bleichbach verläuft noch heute neben oder unter der Hauptstraße.

Der Bach war für die Landwirtschaft von existenzieller Bedeutung, Vieh und Pflanzen brauchten Wasser. So haben sich die Bauernhöfe am Bach angesiedelt, natürlich in angemessener Entfernung zueinander. Es konnte nicht ausbleiben, dass die freien Flächen mit Handwerksstellen und Wohnhäusern besetzt wurden. Im Lauf der Jahrhunderte ergab sich eine Mischsiedlung, in der sich die Landwirtschaft erhielt und mit ihren Betrieben sowie Familien bis 1960 einen wichtigen Teil der städtischen Struktur darstellten. Ihre Inhaber nahmen als anerkannte Bürger voll am gesellschaftlichen Leben der Stadt teil. Sie betätigten sich in Vereinen und waren Stadtverordnete. Eine Besonderheit war sicher auch, dass die Wohnhäuser der Bauern direkt an der Hauptstraße lagen und sich in deren Bebauung ganz normal einreihten. Hinter den Wohnhäusern lbefanden sich die Höfe und Betriebsgebäude (Ställe, Scheunen). Große Toreinfahrten ermöglichten den Acker- und Erntewagen die Durchfahrt zum Hof. Das Leben inmitten der Stadt und die Teilnahme am städtischen Alltag machte die Bauern zu sogen. Ackerbürgern.

Beginnend am Feuerteich und bis zum Kittel lassen sich mindestens 15 Bauernhöfe feststellen, die sich mit ihren Wohnhäusern direkt an der Hauptstraße befanden. Die Bauern führten ihre Betriebe und die Bewirtschaftung der Ackerflächen außerhalb der Stadt von den in der Stadt gelegenen Höfen aus. Die Pferde- und Viehställe umsäumten den hinter dem Wohnhaus liegenden Hof, hier befanden sich auch größere Schafställe. Deshalb gehörten Pferdefuhrwerke, Acker- und Erntewagen ebenso zum täglichen Stadtbild wie Kuh- und Schafherden.

In späterer Zeit entstanden weitere Bauernhöfe, die mehr zum Stadtrand hin lagen: Löwentorstraße, Bahnhofstraße, Angerbergstraße. Um 1960 bestanden ca. 30 landwirtschaftliche Betriebe in der Stadt, von denen einige Kleinbetriebe im Nebenerwerb geführt wurden. Die Betriebsgrößen waren sehr unterschiedlich. Im Normalfall lag sie wahrscheinlich zwischen 50 und 100 Morgen.

Bis 1960 hatten die Bauern in der DDR die freie Verfügungsgewalt über ihre Betriebe. Dann wurde die Sozialisierung durchgeführt, bei der die Landwirte letztlich ihre freie landwirtschaftliche Existenz verloren. Sie und ihre Familien wurden Arbeitnehmer der LPG, deren Großbetriebe außerhalb der Städte und Dörfer errichtet wurden. Man kann sagen, dass die Aussiedlung der in Städten liegenden landwirtschaftlichen Betriebe irgendwann aus städtebaulichen und hygienischen Gründen unvermeidlich gewesen wäre. Auch ist die Frage, ob nicht viele Kleinbetriebe irgendwann hätten aufgeben oder sich größeren Kooperationsformen anschließen müssen. Nicht akzeptabel war die zwangsweise Sozialisierung der gesamten Landwirtschaft, die einen ganzen Berufsstand beseitigte. Dirk Schmidt (geb. 1930), der einige Bauernfamilien noch aus seiner Jugendzeit kannte, suchte Kontakt zu den Nachkommen der Bleicheröder Landwirte. So konnte er deren Geschichte darstellen und mit Hilfe der ihm überlassenen Fotos ihre Höfe und ihr tägliches Leben im Betrieb und auf dem Feld schildern.

Die Handwebereisammlung

Die Wirtschaftsstruktur Bleicherodes war vor 1939 stark von der privaten Leinenweberei und dem Textilhandel geprägt. Es gab ca. 10 Webereien, ca. 10 Nähereien und etliche Handelsfirmen. Zu den größten Betrieben zählten die Webereien Schönheims’s Wwe. (Lindenstraße), Philipp Schlesinger (Niedergebra), Karl Helft (Nordhäuser Straße), Michaelis (Stein-Straße). In der textilen Produktion und im Handel wurden ca. mehrere hundert Arbeitnehmer beschäftigt. Der Anteil jüdischer Unternehmer war sehr groß. Sie gründeten die ersten Webereien im 19. Jh.

Die Weberei vor der Industrialisierung und Mechanisierung war ein Handwerk, das von Privaten in der Stadt und in umliegenden Dörfern betrieben wurde. Haupt- oder nebenberuflich. Die Händler in der Stadt kauften bei den Handwebern die Fertigware auf. Die Produktion beschränkte sich auf Leinen. Die Leinenbahnen wurden zum Bleichen auf den Wiesen, vor allem am Ausgang des Bleichtals ausgelegt.

In der Webereiausstellung befindet sich ein Webstuhl aus dem 17. Jh. Ebenfalls ein Jaquardwebstuhl aus dem 19. Jh. Die Erfindung des Jaquardwebstuhls 1805 durch den Franzosen Jaquard ermöglichte mit Hilfe der erstmaligen Verwendung von Lochkarten die Herstellung großflächiger Muster. Eine solche Lochkartenmaschine ist ebenfalls in der Ausstellung zu sehen.

Zur Herstellung von Leinenbenötigt man Garn. Dieses wird mühsam aus Flachs gewonnen. Noch heute gibt es große Anbaugebiete für Flachs, z.B. in Belgien, Frankreich, den Niederlanden und in Osteuropa. Früher war der Flachsanbau für den Grundstoff der weit verbreiteten Handweberei weit verbreitet und eine gute Einnahmequelle für die Landwirtschaft. Deshalb zeigt die Ausstellung auch die Produktionsgeräte für die Gewinnung von Flachs und dessen Aufbereitung zum Garn.

Die Herstellung von Webgarn ist ein langwieriger Handarbeitsprozess: Nach der Aussaat im Mai wird der Rapshalm nach etwa 100 Tagen 120 cm hoch und dann geerntet. Er wird in Hocken aufgestellt und 14 Tage lang getrocknet. Die Samenkapseln werden vom Stengel gelöst indem die Stengelbüschel durch die 1 cm von einander abstehenden Zinken der Riffel gezogen werden. In der Rundung des Stengels liegt die verwertbare Bastfaser. Um sie von dem Stengelkern und der Rinde zu lösen, kommen die Flachsbüschel in die Rotte, in der sich durch Feuchtigkeit (z.B. Wasser) der Stengelleim auflöst und durch späteres Reiben die Holzteilchen der Stengel abspringen. Es folgen 3-4 Wochen Trocknung (Luft-oder Feuertrocknung). Der getrocknete Flachs wird auf der Breche gebrochen, wobei sich die Fasern von der Stengelmasse trennen. Die elastischen Fasern werden nicht beschädigt. Mit Hilfe der Schwinge werden die freigelegten Fasern von den Resten des Stengelholzes befreit, wobei die Flachsbündel durch den Ausschnitt des Schwingbocks geführt und der herunterhängende Teil mit dem Schwingbrett ausgeschlagen wird. Übrig bleibt der Schwingflachs. Dieser wird durch die Zinkenfelder der auf dem Hechelbock befestigten Hechel gezogen. Nach mehrfachem Durchziehen bleiben 70 % des Materials hängen oder fallen zu Boden. Die zurückbleibenden langen Fasern werden gebürstet und in Docken ( Zöpfe oder Knocke) gelegt. Sie können versponnen werden. Für die Verarbeitung auf dem Spinnrad werden sie auf einen Spinnrocken gewickelt, den man auf das Spinnrad setzt. Beim Spinnen werden die Fasern mit nassen Fingern zu einem feuchten Faden gedreht und auf die Spule geführt. Nach dem Spinnen wird das Garn auf dem Haspel zu gleichmäßigen Garnmengen aufgewickelt. Nach dem Abhaspeln wird das Garn mit heißem Wasser und mit Pottasche gewaschen. Das getrocknete Garn wird sodann auf die Garnwinde gelegt. Mit Hilfe des Spulrades werden schließlich die für das „Scheren“ benötigten Spulen für das Weberschiff gewickelt.

Die von Jürgen Holzapfel und Dirk Schmidt aufgebaute Geräteausstellung wird ergänzt durch Bild-und Textplatten, die von Jürgen Holzapfel als Dokumentation der vergangenen privaten Webereiunternehmen erarbeitet wurden. Die nach dem Krieg entstandenen staatlichen Unternehmen mussten nach der Wiedervereinigung 1990 schließen.

Depotbestände

Die Geheimberichte des Bürgermeisters 1933-45

Während der Nazizeit von 1933-45 bestand ein intensives Berichtswesen, das die Bürgermeister und Landräte verpflichtete, monatliche Geheimberichte über die Stimmung in ihren Kommunalbereichen zu erstatten. Diese Berichte gingen über die Regierungsbezirke an die Gestapo. Es musste nach genauer Anweisung über die Entwicklung und das Verhalten der ehemaligen demokratischen Parteien, der Kirchenmitglieder, der Juden und über die Situation in der Wirtschaft berichtet werden. Die Berichte sollten objektiv sein. Systemkritische oder feindliche Äußerungen oder Handlungen waren anzugeben.

Die Berichte sind jedenfalls in der für Bleicherode zuständigen Provinz Sachsen grundsätzlich vernichtet worden und nicht erhalten. Dirk Schmidt hat jedoch im Kreisarchiv Nordhausen eine Kopie der Geheimberichte des Bürgermeisters von Bleicherode gefunden. Sie sind nach Expertenauskunft ein einmaliges Zeugnis für die Geheimberichte im Nazisystem der Provinz Sachsen.

Dr. Schmidt hat die Berichte auf ca. 70 Platten (70x100) in Großkopie festgehalten und mit zeitgenössischen Großfotos ergänzt. Es ergibt sich so ein sehr informatives Bild über die Entwicklung während der Nazizeit in Bleicherode. Auch hier regierte der Obrigkeitsstaat oder die Diktatur. Die Nazipartei und ihre Repräsentanten hatten das Sagen. Die Bevölkerung wurde beobachtet und bespitzelt. Systemkritiker oder Feinde der Nazis wurden denunziert und verfolgt. Die Bleicheröder Nazis hatten keine Hemmungen, politische Gegner zu benachteiligen und dem Gestapo-Apparat auszuliefern. Die Berichte enthalten dafür Beispiele (z.B. Oktober-Dezember 1936). Bereits die Diktion der berichte lässt erkennen, dass die damals maßgebenden Repräsentanten des Regimes keinen Respekt vor der Würde ihrer Mitmenschen hatten.

In den Berichten wird auch deutlich, dass es den Nazis nicht gelungen ist, die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Gebrauchsgütern ausreichen sicherzustellen. Immer wieder gab es Engpässe, die zu Knappheit führten.

Die Berichte lassen erkennen, dass die Bevölkerung durch den Druck der Partei und durch allgemeine Propaganda ständig politisch beeinflusst wurde und zu politischer Aktivität der Nazis oder Anteilnahme daran gedrängt wurde. Selbst Regimmeanhänger lehnten die ständige parteipolitische Inanspruchnahme ab. Den Berichten kann auch entnommen werden, dass es von Anfang an starke Zurückhaltung gegenüber dem Regime gegeben hat. Gewalt und Zerstörung fanden Widerspruch, was der Bericht über die Pogromnacht 09./10.11.1938 und die Zerstörung der Synagoge zeigt.

Die Kombination der Berichte mit Fotos aus der nationalen Entwicklung ermöglicht es dem Betrachter, die Ereignisse und die Entwicklung in der Kleinstadt Bleicherode in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Was in Bleicherode geschah, war damals in ganz Deutschland verbreitet.

Skulpturen von Gerhard Marcks

Gerhard Marcks (1879-1992) ist einer der bedeutendsten deutschen Bildhauer des 20. Jh. Er steht ebenbürtig neben Barlach. Kollwitz, Kolbe, Lehmbruck. Er arbeitet an den Kunstakademien Bauhaus in Weimar und Giebichenstein bei Halle. Er wurde 1933von seinem Lehramt auf Betreiben der Nazis entfernt. Später zählte er zu den entarteten Künstlern, die 1937 auf der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ verächtlich gemacht wurden. Während der Nazizeit lebte er von privaten Aufträgen. Während des Krieges wurde sein Atelier in Berlin mit allen dort befindlichen Werken durch Fliegerbomben zerstört. Nach dem Krieg kam er in Westdeutschland zu hohen Ehren. Er war Mitglied des hoch angesehenen Ordens „ Pour le merite“. Er wirkte in Hamburg und Köln. In Bremen befindet sich das Gerhard Marcks-Haus, das den Nachlass des Künstlers und seine Werke betreut.

Zu den bedeutenden Skulpturen von Marcks gehört das 1939 in Bleicherode auf dem Schillerplatz aufgestellte Werk „Krieg und Frieden“. Es ist eine Ironie dieser Zeit, dass die Einweihung dieses Denkmals mit viel nazistischer Prachtentfaltung und Parteipolitik stattfand, obgleich das Regime Marcks doch vorher als entarteten Künstler geächtet hatte und seine Werke aus öffentlichen Ausstellungen entfernt worden waren. Die Entstehung und Aufstellung der Skulptur ist dem damaligen Bergwerksdirektor Kropp zu verdanken, der zum Bildhauer persönlichen Kontakt hatte und seine Kunst schätzte. Bei der damals einflussreichen Preußag AG, der das Kaliwerk Bleicherode gehörte, setzte der das Regime ablehnende Kropp den Auftrag für Marcks durch, ein Denkmal für die im Betrieb und im Krieg umgekommenen Bergleute zu schaffen. Auch konnte er die Schwierigkeiten meistern, die von Behörden noch kurz vor der Einweihung bereitet wurden. Die Skulptur ist keine Kriegsverherrlichung. Der nachdenkliche und ideal gestaltete Jüngling, der den Frieden darstellt, trägt den Lorbeerkranz als Zeichen des Siegers in der historischen und immer wieder aufbrechenden unseligen Konkurrenz mit dem brüderlichen Kraftmenschen. Marcks nannte die beiden Gestalten Krieg und Frieden die „Zwillinge.“ In der Nachkriegszeit wurde das Denkmal kaum beachtet, es entsprach nicht dem sozialistischen Realismus. Erst nach der Wende fand es wieder Aufmerksamkeit.

Der Förderverein Alte Kanzlei konnte in Würdigung des Denkmals „Krieg und Frieden“ Kontakt mit dem Gerhard Marcks-Haus in Bremen bekommen. Es gelang in Kooperation mit Bremen, eine Sammlung von 30 Großfotos von besonders eindrucksvollen Plastiken des Künstlers zu erstellen. Die Kreissparkasse spendete die Wechselrahmen. 2014 konnten die Bilder bei der Einweihung des neuen Gesellschaftsraumes im Scheunenbau in Anwesenheit des Leiters des Marcks-Hauses. Dr. Hartog, erstmalig gezeigt werden. Dazu gehört auch eine vom Marcks-Haus gestaltete Darstellung der Entstehungsgeschichte des Bleicheröder Denkmals.

Deutsches Fachwerk

2017 wurde in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte (die Stadt ist Mitglied) und Unterstützung der Kreissparkasse Nordhausen eine Ausstellung mit ca.70 Großfotografien (40x60) von schönen Fachwerkhäusern in Deutschland gezeigt.

Nordhausen vor der Zerstörung und heute

2018 fand eine Ausstellung mit ca. 65 Großfotografien (40x60) statt, die Aufnahmen von Häusern und Straßen der 1945 total zerstörten Kreisstadt Nordhausen zeigten. Die Bilder wurden ergänzt mit Fotos vom jeweiligen heutigen Standort, um dem Betrachter ein Urteil über den Wiederaufbau zu ermöglichen. Die Ausstellung war vorher im Nordhäuser Museum Flohburg zu sehen.

Skulpturen von Ernst Barlach

Am 25. Mai 2018 wird im Rahmen der Nordthüringer Kulturnacht, die in Bleicherode veranstaltet wird, die Ausstellung „Skulpturen des Bildhauers Ernst Barlach“ eröffnet, die in Kooperation mit dem Ernst Barlach-Haus Hamburg erarbeitet worden ist und mit 25 farbigen Großfotografien (40x60) einen Einblick in das Skulpturenwerk des Künstlers ermöglicht.

Gesellschaftlich Aktivitäten

Die Alte Kanzlei hat sich mehr und mehr zu einem Zentrum für gesellschaftliche Aktivitäten und bürgerfreundliche Veranstaltungen entwickelt. In den Gebäuden und auf dem großen Hofgelände finden Sommerfeste, Kanzleiadvente, Ausstellungen, kulturelle Veranstaltungen, Versammlungen, Betriebs-und Familienfeste statt. Das Stadtfest 2022 war mit den Aktivitäten in der Alten Kanzlei ein Höhepunkt. Dennoch: Die Kanzleigebäude werden den Ansprüchen dieser Entwicklung nicht immer gerecht. Bemerkenswert: Die Unterhaltung und Erhaltung der Alten Kanzlei sowie die Vorbereitung und Gestaltung der Aktivitäten erfolgt durch den ehrenamtlichen Einsatz von Mitgliedern des Fördervereins. Dies fordert vom Vorstand und den „Aktivisten“ Zeit und Arbeit, uneigennützige Einsatzbereitschaft für die Bürgerschaft der Stadt Bleicherode. Der Förderverein lebt von Beiträgen und Spenden.

Kanzleikarree

Seit 2016 (Vermerk Dirk Schmidt, 30.08.2017) besteht die Vorstellung, das Objekt Alte Kanzlei (Nr.131) um die Nachbargebäude Nrn. 130 und 132 zu erweitern, um so die drei Gebäude miteinander baulich so zu verbinden, dass ein Gesamtobjekt „Kanzleikarree“ entsteht, dessen Teile sich so ergänzen, dass ihre jetzt noch vorhandenen Mängel nicht mehr zur Geltung kommen. Der Förderverein hat im Lauf der Jahre nach langwierigen Verhandlungen die beiden Grundstücke zu sehr günstigen Bedingungen erwerben können (Sachspende, Geldzuwendungen, niedriger Kaufpreis).

Für ein Kanzleikarree könnten der große Saal des hinteren Gebäudes der Nr. 130 und die Gebäude der Nr. 132 von erheblicher Bedeutung werden. Größere Veranstaltungen würden möglich, das Heimatmuseum könnte in der Nr. 132 einen sehr gut geeigneten Platz finden. Es ergäben sich neue Nutzungsmöglichkeiten für die Alte Kanzlei als Kern dieses Ensembles (Märkte, Biergarten, Bürger- feste, Freilichttheater, Hofkonzerte). Das Kanzleikarree wäre ein Beispiel für städtebaulichen Denkmalschutz. Es entstünde ein kulturelles Zentrum der Stadt.

Sollte das Kanzleikarree nach der Konzeption des Vereins saniert und gestaltet werden, so wird es für die Stadt und ihre Dorfgemeinden eine Bedeutung erhalten, die den Förderverein verpflichtet, noch mehr als bisher die Stadteinwohner und die Bevölkerung der Ortschaften der Landgemeinde anzusprechen. Die kulturellen und kommunikativen Einrichtungen des Karrees müssen von der Bevölkerung Bleicherodes und der Landgemeinden genutzt werden. Das erfordert eine Verstärkung der Vereinskapazität personell wie sachlich. Die kann erreicht werden, weil die Reputation des Fördervereins durch die Realisierung des Kanzleikarrees erheblich verbessert wird.

Der Verein sollte über seine ohnehin starke Öffentlichkeitsarbeit den Einrichtungen und Vereinen der Landgemeinde ein Kooperationsangebot machen , das die Verbindung zwischen Stadt und Umlandgemeinden intensiviert, .B. durch die Zusammenarbeit mit dem Kulturhaus, mit den Ortsmuseen und Ortsarchiven. Es ist auch daran zu denken, die Räumlichkeiten und Einrichtungen des Karrees der Stadt, der Volkshochschule, den Kirchen, den Schulen, Altenheimen, Vereinen und kleineren Bürgergemeinschaften zur Verfügung zu stellen. Dabei darf den kleineren Gastronomiebetrieben keine Konkurrenz gemacht werde, Im Gegenteil: Es wäre auch möglich, solchen Betrieben in eigener Verantwortung die Nutzung des Karrees für Aktivitäten zu gestatten und sie somit zu unterstützen.

Der Abschluss eines Kooperationsvertrages mit dem Schillergymnasium war schon seit Jahren im Programm des Fördervereins, scheiterte aber an den vorhandenen baulichen Mängeln. Er würde den Schülern Gemeinschaftsverantwortung, Heimatgeschichte , Geselligkeit und die Gelegenheit vermitteln, akzeptable Räume für Interessengemeinschaften zu erhalten. Zu denken wäre auch in Kooperation mit der Arbeitsagentur an die Vorführung von Informationsfilmen im Rahmen der Berufsberatung für Jugendliche, wobei erfahrene Rentner wertvolle Unterstützung geben könnten.

Fördermittel

Es liegt eine positive Machbarkeitsstudie über das Projekt „Kanzleikarree“ vor. Die notwendigen Fördermittel wurden beantragt. Die staatlichen Stellen prüfen.

Aumühle, 06.09.2022
Dirk Schmidt
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