Der Nordhäuser Roland (4/1955)

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Der Nordhäuser Roland (April 1955)
Reihe Der Nordhäuser Roland
Band-Nr. 4/1955
Autor Verschiedene
Herausgeber Kulturbund
Erscheinungsjahr 1955
Stand: 5. Januar 2016
Digitalisat: [# PDF (4 MB)]
Titel Autor
Ruinen Riemann
Der Stadtkern von Nordhausen R. H. Walther Müller
Du und die bildende Kunst Julia Große
Nordhausen, einst und jetzt Hans Kappler

Ruinen

Denkmalspflegerische Plauderei von Diplom-Ingenieur Riemann
„Leergebrannt ist die Stätte,
Wilder Stürme rauhes Bette,
In den öden Fensterhöhlen Wohnt das Grauen,
Und des Himmels Wolken schauen Hoch hinein.“ (Schiller)

Im anglo-amerikanischen Bombenhagel sank ein großer Teil der alten, tausendjährigen Stadt Nordhausen in Trümmer, mit den vernichteten Menschenleben auch das, was diese Menschen in langer Generationenreihe geschaffen: unwiederbringliche Kulturgüter. Neben kostbarem und gediegenem Hausrat, Bibliotheken und bescheidenen Sammlungen sind auch unsere Kunstdenkmäler stark in Mitleidenschaft gezogen oder vernichtet.

Das alte Rathaus, jener Zeuge bürgerlichen Reichtums und Macht der Renaissancezeit brannte völlig bis auf die Umfassungsmauern aus; das Dach des Doms flammte auf, die Glasmalereien, die von der Auffindung des heiligen Kreuzes, von dem Leben der heiligen Mathilde, von dem Apostel der Deutschen und anderen Legenden in einem großen Zyklus: Die Verehrung des heiligen Kreuzes im Laufe der Jahrhunderte, erzählten, zerbarsten, das Blei zerschmolz.

Zwei in der unmittelbarem Nähe einschlagende Bomben beschädigten die St.-Blasii-Kirche schwer; das Dach wurde abgedeckt, die Sparren angeschlagen, das Chorgewölbe drohte einzustürzen, Fundamente wurden abgedückt. Unersetzlich ist der Verlust von zwei Epitaphien von Cranach d. J. und d. Ä.

Der schmerzliche Verlust ist an der romanischen Basilika, der Frauenbergskirche zu1" verzeichnen, das Langschiff ist bis auf die Reste des Westgiebels total zerstört, der Chor stark angeschlagen. Vernichtet sind die Markt- und St.-Jakobi-Kirche, teilweise die Petrikirche. Vollständig ist die Liste der hervorragenden Baudenkmäler nicht, denn es fehlen die Bürgerhäuser, die aber gerade in ihrer Gesamtheit, ihrer Gruppierung um die massiver gebauten, größeren Gebäude den typischen Eindruck Nordhausens ausmachten. Das Bild rundeten die wohlerhaltenen Stadtmauerreste ab, die im norddeutschen Raum gar nicht so oft mehr anzutreffen sind. Ist Alt-Nordhausen auch dahin und nur noch durch wenige alte Fachwerkbauten zu ahnen, so ist doch der Mauerring nicht durch die Bomben zerstört. Und hier gilt es aufzupassen, daß nicht noch diese) Reste, die uns verblieben sind, durch Unvernunft oder Gleichgültigkeit zerstört, oder, was ebenso schlimm ist, durch Schuttauffüllung und sonstige Veränderung der Umgebung vernichtet werden. Ich höre die Stimmen: „Was wollen wir mit den alten Ruinen, wir haben neue übergenug, es ist viel wichtiger, gesunde Wohnungen zu bauen, als auch nur einen Pfennig für diesen Mottenkram auszugeben.“

Es wird dabei vergessen, daß es sich hier um die Erhaltung und Pflege deutschen Kulturerbes handelt. Wir wollen, daß unsere Kinder in dieses Gebiet ein-dringen, aus den Fehlern und Vorzügen lernen, und dazu ist das beste der Anschauungsunterricht. Die Steine reden: Sie erzählen von unseligem Bruderzwist. Stieg nicht Heinrich der Löwe mit seinen Gewappneten über die Stadtmauer und verbrannte die Stadt? Die Steine erzählen von Gewalttat, Unrecht und tapferer Gegenwehr gegen alle Versuche, eine gefestigte und durch Fleiß und Arbeit verbundene Gemeinschaft gewaltsam zu stören.

Es ist nicht so, daß eine umfassende Denkmalpflege im Widerspruch zu einer gesunden, modernen Baukultur steht. Es ist kein Wort darüber zu verlieren, wenn einer neuen Straße, wie der Rautenstraße, ein Stück Stadtmauer zum Opfer fällt, es ist nur zu beklagen, daß die einfach durchschnittene Stadtmauer nicht durch einen anschließenden Neubau, verbunden mit einer Treppenanlage — eine interessante architektonische Aufgabe — abgeschlossen und damit auch gleichzeitig erhalten wird.

Bauen wir getrost moderne Häuser, selbstverständlich ohne Stilnachahmung, im Stadtkern, wobei es eine schwierige, aber schöne Aufgabe ist, die Typenentwürte so zu gestalten, daß sie Rücksicht auf den Charakter der Stadt und die verbliebenen Altbauten nehmen. Vielleicht brauchen nicht alle gut gewölbten alten Keiler der Spitzhacke zum Opfer fallen, was viel Geld kostet, sich natürlich! mcm immer vermeiden/ läßt. Es muß alles versucht werden, durch vorheriges Abräumen Klarheit über die Verwendbarkeit der alten Kellergrundrisse zu schaffen. Das ist ein kleinerer Teil der Denkmalpflege. Ich glaube, daß es zu verantworten Ist, die guten, modernen Typen einmal, auch der Kostenersparnis wegen, zurückzustellen.

Und zur alten Stadtmauer: Diese wird erhalten, der sinnlos angehäufte Schutt zum Beispiel am Primariusgrabeix wird abgeräumt; ein Promenaaenweg, den wir in schöner Weise bereits einmal hatten, wird durch Anpflanzungen zur Fortsetzung des geplanten Grüngürtels bis ins Herz der Altstadt! Unser Stadtmauerring erhält wieder einen praktischen Zweck: Die städtebaulich notwendige Grünanlage ist Vorbedingung für gesundes Wohnen! Und die Mütter können ihre Kleinsten fern vom Staub und Lärm der Straße sonnen.

Wie ausgeführt, sollte es in jedem Falle das Ziel sein, ein Baudenkmal einem Zweck, am besten einen gemeinnützigen, zuzuführen. Dann würden jene Stimmen, von der praktischen Denkmalpflege überzeugt, schweigen, manche „Bilderstürme“ unterbleiben und ein neues Leben aus den Ruinen wachsen.

Der Stadtkern von Nordhausen

von Stadtarchivar R. H. Walther Müller

Auf dem Gelände zwischen Lutherplatz, Steinweg (Markt), Bäckerstraße und der Kalten Gasse, das schon vor einigen Jahren von den Trümmern von 1945 befreit worden war, rattern seit Wochen die Preßlufthämmer. Es begann am Lutherplatz zwischen den ehemaligen Grundstücken von Pabst und Metsch und; setzte sich nordwärts längs des Steinwegs und der Kalten Gasse fort. Murrten die eiligen Passanten auch, die sich gewöhnt hatten, auf provisorischem Pfade quer über die wüste Stätte vom Marktplatz zur Waisenstraße zu gelangen, daß sie nun wieder den Umweg durch die Bäckerstraße machen mußten, so nahmen sie slcn doch die Muße, der Arbeit in der Tiefe eine Weile zuzuschauen, die mächtigen Tonnengewölbe einstiger Keller zu betrachten und dem Abtransport der Steine und Erde über zahlreiche Transportbänder in die Lastkraftwagen nachzusinnen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann ist auch dieses Viertel wieder aufgebaut, und keine Spur wird mehr bleiben von dem, was war.

Grund genug, uns die Beschaffenheit des Ortes genauer anzusehen, denn wir stehen auf historischem Boden, und uns ist die Gelegenheit gegeben wie keiner früheren Generation, altüberlieferte Anschauungen von dem Werden unserer Stadt anhand der Bloßlegung ihres Untergrundes nachzuprüfen, zu bekräftigen oder zu korrigieren.. Derartige Betrachtungen haben überall da, wo umfangreiche Teile alter Städte durch den Bombenkrieg vernichtet worden sind, dazu geführt, Forschungen anzustellen mit dem Ziel, sowohl die städtebauliche Entwicklung durch das Mittelalter hindurch, als auch die allerfrühste Besiedlung des Platzes überhaupt zu erkennen. Diese sogenannte „Stadtkernforschung“ ist zu einer Wissenschaft nicht nur in Ost- und Westdeutschland, sondern auch im Auslande geworden. Sie wird zum Teil mit bedeutendem Kostenaufwand betrieben und meist von wissenschaftlichen Instituten geleitet, wie beispielsweise in Magdeburg von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin.

In Nordhausen kann von einer solchen Stadtkernforschung nicht gesprochen werden, obwohl vorübergehende Ansätze dazu im Sommer 1952 und im Jahre 1954 gemacht worden sind (letztere jedoch! abseits des eigentlichen Stadtkerns). So sind bedauerlicherweise die tiefgründigen Ausschachtungen zwischen Lutherplatz und Königshof von fachwissenschaftlicher Seite nicht beobachtet und bearbeitet worden, und nur reine Zufallsfunde, wie beispielsweise Brakteaten, lassen auf die Bedeutung des Versäumten schließen. Dank und Anerkennung gebührt dem Schachtmeister H a j a, der seit Aufnahme der Arbeiten in diesem Jahre dem Stadtarchiv laufend Fundmeldungen machte, und seinen Mitabeitern, die sich die Bergung der Funde angelegen sein ließen. Da die gefundenen Gegenstände sich als wertvoll für die historische Dokumentation erwiesen, entsandte das Museum für Ur- und Frühgeschichte Thüringens in Weimar einen Grabungsassistenten hierher, um eine möglichst ausgiebige Erfassung der Funde, sowie die Aufnahme und Vermessung der Fundstellen zu bewirken.

Selbstverständlich soll hier einem Bericht der Forschungsbeauftragten über das Ergebnis) ihrer Untersuchungen nicht vorgegriffen werden, wohl aber kann einiges über die Gesamtbedeutung des eingangs bezeichneten Forschungsgeländes gesagt werden, was zur schließlichen Urteilsbildung nicht unwesentlich sein dürfte.

Die bisherige Ortsgeschichte von Nordhausen mußte über den eigentlichen Voi-gang der Entstehung der Stadt zu Anfang des 10. Jahrhunderts mit einigen vagen Andeutungen hinweggehen, da urkundliche Quellen für diesen Vorgang fehlen. Die Vorstellung war etwa so, daß zu der angegebenen Zeit auf dem Areal zwi* sehen der Wassertreppe und der Barfüßerstraße eine Burg mit dem zugehörigen Wirtschaftshofe erbaut wurde, die beide Besitz des Königs und von seinen Dienstleuten besetzt waren. „Im Schutz der Burg“, so heißt es dann, „siedelteft sich allmählich Handwerker und Kaufleute an, und so entstand der Ort Nordhausen.’* Während in der ältesten Urkunde von 929, die den Ort (locus) Northusen erwähnt, nur die Burg (civitas) und „das Dazugehörige“, in der von 1158 die Burg (castrum) mit dem Wirtschaftshof (curtis dominicalis), sowie allgemein „Häuser und Grund-sücke“ (cum domibuset areis) usw genannt werden, zählt eine Urkunde von 1223 bereits die Kirchen St. Nicolai auf dem Markte (in foro), St. Fetri auf dem Berge (in4monte) und Beatae Virginis außerhalb der Mauern (extra muros) auf und nennt auch schon den „Wortzins“, die damals dem Stift zum heiligen Kreuz zufließende städtische Grundsteuer.

In den 300 Jahren zwischen 900 und 1200 hat sich mithin der Ort zu einen* reichr gegliederten Gemeinwesen entwickelt, ohne daß wir in der Lage wären, die einzelnen Etappen dieser Entwicklung zu belegen. Allein die Tatsache, daß Markt, Kaufhaus (= Rathaus) und Marktkirche als wirtschaftliches, verwaltungsmäßiges und geistiges Zentrum eines bürgerlichen Gemeinwesens anzusehen waren, zwingt zu der Folgerung, daß sich der Kern der bürgerlichen Siedlung in engster Verbindung zu den ihr dienenden öffentlichen Plätzen und Gebäuden befunden hat, mit anderen Worten, daß der Sadtkern von Nordhausen um Markt, Rathaus und Marktkirche herum zu suchen ist. (Dabei macht es wenig aus, daß das „alte Kaufhaus“ (antiquum mercatorium) nördlich von der Kirche stand, während” das spätere Rathaus südlich der Kirche errichtet worden ist).

Was sagt nun der Befund der am Steinweg und Lutherplatz aufgedeckten Fundamente, was sagen die in ihrem Bereich gefundenen Gegenstände aus? Welcher Zeit entstammen sie?

Die Antwort kann zunächst nur summarisch sein, denn Zeichnungen, die die Zusammengehörigkeit oder die Aufeinanderfolge der einzelnen Keilergewölbe erkennen lassen könnten, können bei der rasch fortschreitenden Bauarbeit nicht gefertigt werden. Immerhin läßt sich an der Verschachtelung und dem teilweisen Übereinander der Keller erkennen, daß sie nicht gleichzeitig entstanden sind. Wohl ist das verwendete Baumaterial einheitlich Dolomit, aber damit hat man hier jahrhundertelang über und unter Tage gebaut. Ich möchte als Entstehungszeit der Mehrzahl dieser Keller die Zeitspanne vom 13. bist 16. Jahrhundert annehmen. (Zwei davon gehörten zu dem Doppelhaus, das der Bürgermeister Michael Meyenburg 1549 am Steinwege kaufte und bis zu seinem Tode 1555 bewohnte).

Dennoch scheinen einige Bauteile Merkmale höheren Alters zu tragen, so beispielsweise im ehemaligen Pabstschen Hause ein relativ kleiner, kubischer Keller an der Lutherplatzfront mit über einen Meter dicken Mauern. Dieser Keller lag etwa zwei Meter tiefer, als das benachbarte Tonnengewölbe und wies eine aus rotem Sandstein bestehende, vierteilige, vom Steinmetzen behauene Türumrahmung mit schwachem gotischen Spitzbogen auf. Ohne hier nähere Erwägungen anzustellen, darf doch der Vermutung Ausdruck gegeben werden, daß diese mit handwerklicher Kunst gearbeitete Tür ursprünglich nicht im Keller gestanden hat, daß sie vielmehr vom Hofe des Hauses aus den Zugang zum Keller vermittelte. Demzufolge hat Hof, Haus und Straße einstmals wesentlich unter dem gegenwärtigen Straßenniveau gelegen. Der gleiche Vorgang, den wir nach der Zerstörung unserer Stadt 1945 beobachtet haben, daß nämlich Grundstücke und Straßen durch Brandschutt überdeckt wurden, hat sich im Mittelalter mehrfach abgespielt. Wenn aber damals bei Großbränden ganze Straßenzeilen von Fachwerkhäuser zusammenfielen, dann blieben wüste Stätten oft jahrelang liegen, bis auf der lehmigen Halde wieder ein Neubau errichtet wurde. Die festen, mit zähem Gipsmörtel gebundenen Kellermauern wurden von den Katastrophen kaum berührt, allenfalls mußten ihre Zugänge erhöht werden.

Von außerordentlicher Bedeutung war die Feststellung einer Doppelreihe von insgesamt sechs Abfallgruben (Kloaken) durch den Grabungsassistenten Kohlmann. Sie wurden, soweit es Zeit und Umstände erlaubten, unter anerkennenswerter Anteilnahme der Schachtarbeiter systematisch ausgehoben und erbrachten eine große Menge keramischer Haushaltware nebst einigem Glas u. a. -=h Die Beurteilung dieser Funde soll der Forschungsstelle Vorbehalten bleiben, hier ist nur soviel zu sagen, daß sich gerade anhand des Töpfergutes typische Formen des 14. bis 17. Jahrhunderts haben feststellen lassen. Die Fundstücke werden im Meyenburg -Museum aufbewahrt, eine Auswahl davon wird demnächst in der Ausstellung „Natur und Heimat“ des Kulturbundes in den Stadtsälen gezeigt werden. Da die Ausschachtungsarbeiten sich nur auf die an den Straßenfronten liegenden Keller und die dahinter befindlichen Höfe erstreckten, konnte die Hoffnung, aut Spuren ältester Bebauung zu stoßen, das heißt etwa Holzpfostenreste oder -ab-drücke zu entdecken, nicht in Erfüllung gehen. Derartige Funde wären natürlich auch nur an der Straße, mithin unter den Steinkellem zu vermuten. ¿Um so bemerkenswerter ist deshalb, daß der Kollege Kohlmann außerhalb der Kellermauern in ewa 5,50 Meter Tiefe unter Straßenniveau Scherben und Randstücke von sog. „Bombentöpfen“ bergen konnte, die aus rot-gelb und schwarz gebranntem Ton besehen und die durch andernorts zeitlich genau bestimmbare Umstände als Typen des 8. bis 12. Jahrhunderts anzusehen sind. Da die hier gefundenen Exemplare direkt über dem gewachsenen Boden in Lehm eingebettet lagen, kann mit Sicherheit angenommen werden, daß sie der Zeit der Entstehung der Stadt Nordhausen im 10 .Jahrhundert entstammen

Es besteht kein Zweifel, daß bei genügender Obacht auch die ferneren Ausschachtungen auf dem Gelände nördlich der Marktkirche, an der Krämerstraße (antiquum mercatorium!), Engelsburg und Bäckerstraße hinreichend Beweise dafür erbringen werden, daß eben hier zwischen dem einst sprudelnden Quellbrunnen am Kornmarkt und in der Bäckergasse, im Umkreise des „Alten Kaufhauses“ und der Nicolaikirche, die Kaufmanns und Marktsiedlung Nordhausen angelegt worden ist.

Du und die bildende Kunst

Hand aufs Herz, lieber Leser, wenn man Sie fragt, was Sie von der bildenden Kunst halten, so werden Sie, wenn Sie ehrlich sind, antworten, ich verstehe nichts davon, habe auch gar keine Zeit, mich mit dem Gekleckse von ein paar verrückten Malern abzugeben. Ja, wir haben jetzt im Betrieb in unserem Gemeinschaftsraum ein Wandgemälde bekommen, aber was das eigentlich soll, darum habe ich mich noch nicht gekümmert.

Sehen Sie, Sie sind wenigstens ehrlich und das ist schon ein guter Anfang, denn ich möchte Ihnen, ja Ihnen ganz speziell, etwas über bildende Kunst erzählen. Was ist bildende Kunst überhaupt? Etwas, was im luftleeren Raum schwebt, jenseits unseres Alltags, fern unserer Arbeit und auch unserer Mußestunden, oder gehört die bildende Kunst zu unserem Leben wie die anderen Kunstrichtungen, Musik etwa oder Literatur? Um Musik zu hören, brauchen Sie nur das Radio anzudrehen und die Literatur kommt mit jedem guten Buch in Ihre Wohnstube; abey Malerei, — nun, wir wollen untersuchen, inwieweit auch sie Ihre Umgebung beeinflußt.

Bitte, lieber Leser, legen Sie doch mal die Zeitung, die Sie gerade lesen, oder auch den „Nordhäuser Roland“ für zwei Minuten aus der Hand und sehen Sie sich bewußt in Ihrem Wohnzimmer um. Sie werden mir entgegnen, daß Sie Ihre Wohnung ganz genau kennen und dazu nicht extra von Ihrer Lektüre aufzublicken brauchen. Nun bitte, versuchen Sie es doch einmal, denn bewußt, das heißt wirklich mit Bewußtsein, sieht man gerade eine vertraute Umgebung sehr selten an. Was sehen Sie also: eine Keramikvase, in, der nie Blumen sind, einen Wandleuchter mit Kerze, der nie angezündet wird, eine Reproduktion vom Birkenweg, ein ausgesägter und bemalter Holzhund, der eigentlich als Schlüsselbrett gedacht ist, aber keine Schlüssel trägt, ein Kalender mit einer Papprückseite, die von einer Farbfotografie mit roter Rose geschmückt wird, und über dem Büfett, von Onkel Otto gemalt, die Kuckucksmühle. Das alles prangt auf einer großblumigen Tapete, die völlig unbegründet 80 cm unter der Decke endet und von einer Goldleiste abgeschlossen wird. Ja und bei ganz genauer Prüfung wenden sie feststellen ,daß die Decke Vom vielen Heizen angeräuchert ist und— wenn es jetzt Frühling wird — das Zimmer eigentlich vorgerichtet werden müßte.

Sehen Sie, jetzt kommt der große Moment, wo die bildende Kunst zu Ihnen direkt in Ihre Wohnstube kommt. Denn selbst auf die Gefahr hin, daß Ihr Maler Sie ungläubig betrachtet, ehe er Ihre Wünsche erfüllt, könnten Sie es sich nicht vorstellen, wenn Sie Ihr Zimmer einmal nicht tapezieren ließen, sondern nur in einer leuchtenden Farbe anstreichen, etwa in heilem Zitronengelb. Aber bitte, wenn Ihr Maler dann mit 10 Gummiwalzen kommt, um Ihnen ein „schönes Muster“ zu empfehlen, bleiben Sie hart, lassen Sie die Wand ganz gelb bis zur Decke hinauf. Und die Decke — nun —, welche Farbe haben gleich Ihre Couch und Ihre Sessel? Terrakottarot, na also, die Decke lassen Sie terrakottarot streichen. Sie werden verblüfft sein, wie persönlich und farbig Ihr Zimmer aus-sehen wird. Die Möbel kommen besser zur Geltung, die Gardinen wirken duftiger, nur einen Haken hat die Sache. Ihr Kalender, die Wandvase, der Holzhund und Onkel Ottos Prachtgemälde passen nicht mehr in Ihre Stube. Dafür beginnt jetzt für Sie und Ihre ganze Familie der beglückende Moment, wo Sie auf der Suche nach einem Bilde sind, denn Ihre Frau ist längst Feuer und Flamme und hat den alten Wandschmuck schon im unteren Komodenkasten verstaut. Mit einem Male ist die bildende Kunst nicht mehr etwas fremdes für Sie, was jenseits Ihres Lebensbereiches abspielt, sondern ist Gesprächsthema bei Tisch. In jedes Schaufenster einschlägiger Geschäfte schauen Sie; prüfen, begutachten, kritisieren, besuchen vielleicht auch einige Ausstellungen, und wenn Sie ganz eifrig und gründlich sind, studieren Sie Eücher über Malerei. Ein ungeahntes Reich vollkommener Kraft und Schönheit breitet,sich vor Ihnen aus, bereit, Sie immer aufs neue zu beglücken.

Sie entdecken die reinen, nie wieder erreichten Farben der alten Meister; die klare Linienführung in ihrer Symbolkraft wird Sie begeistern, Sie werden in romantischem Naturempfinden schwelgen, bis Sie sich von der Wahrheistreue und Kraft der großen Realisten gefangen nehmen lassen. Mit einmal werden Sie die zarten, halben Farbentöne, die mehr gemaltes Licht als Farbe sind, und die lebendigen, kaum faßbaren Konturen, die gemalte Atmosphäre der Impressionisten, entdecken. Ihr Auge wird sich schulen und Freudey empfinden an der vereinfachten Linienführung und zeitnahen Thematik der Modernen.

Beglückt von Ihren vielen neuen Entdeckungen sprechen Sie mit einem Male mit ihren Arbeitskameraden darüber qnd regen auch diese zum bewußten Sehen an. Auch das neue Wandbild im Betrieb wird mit anderen Augen betrachtet und gewinnt an Inhalt.

Alle guten Kräfte, die der Volkskunst innewohnen, nämlich den Raum, seine Gebrauchsgegenstände und den Schmuck harmonisch aufeinander abzustimmen, dieses Geschmacksempfinden, das bei den meisten Menschen in unserem technisierten Zeitaler mehr und mehr verdeckt wird, weil wir im Zeichen der Massenproduktion so wenig wirklich Harmonisches als Gebrauchsgut in die Hände bekommen, Ihr ganz persönlicher Geschmack wird frei. Beglückt haben Sie dami eines Tages ein leuchtend buntes Aquarell erstanden, in schmalem Silberrahmen, oder drei gleichgerahmte Radierungen von Nordhausen, die in ihrer schlichten Linienführung gerade den rechten Akzent zu Ihren Möbeln bilden.

Wenn mein kleiner Artikel Sie zu solchen, geradezu umstürzlerischen Taten in Ihrer Wohnung verleitet haben sollte, werden Sie selbst davon am meisten beglückt sein.

Daß man Bilder aber nicht nur danach beurteilen sollte, ob man sie selbst gern in seinen vier Wänden hängen hätte, darüber würde ich gern das nächste Mal mit Ihnen plaudern.

Julia Große

Nordhausen, einst und jetzt

„Möge nie der Tag erscheinen,
wo des rauhen Krieges Horden dieses stille Tal durchtoben,
wo der Himmel, den des Abends sanfte Röte lieblich malt,
von der Dörfer, von der Städte, wildem
Brande schrecklich, strahlt!“

In gläubiger Inbrunst deklamierten wir Älteren in unserer Jugend diese herrlichen Verse Schillers, ohne uns des tiefen Ernstes so recht bewußt zu sein. In langen, glücklichen Friedensjahren auf gewachsen, kannte diese Jugend den Krieg und seine Schrecken nicht, wurde er doch — in Anlehnung an einen falsch verstandenen klassischen Heroismus — aus eigensüchtigen, nationalistischen Interessen der damaligen Gesellschaft, glorifiziert und als Prüfstein höchster Mannes*-tugenden, als Vater aller Dinge, gepriesen. Weitblickende, die schon damals warnend den Finger erhoben, glaubte man als schlappe Kerle, als vaterlandslose Gesellen, diffamieren und der Lächerlichkeit preisgeben zu können. Daß überschüssige Jugendkraft sich nicht in völkermordenden, Menschenleben und -glück und unersetzliche Kulturwerte vernichtenden Kriegen abreagieren muß, sondern ein weites Betätigungsfeld auf kulturellem und zivilisatorischem Gdbiete findet, wo lebensgefährliche, wissenschaftliche Experimente, strapaziöse, gefährliche Expeditionen und der Sport einen ganzen Mann erfordern, all das ließ man nicht gelten.

Es bedurfte erst der furchtbaren Lehren zweier Weltkriege — insbesondere! des totalen letzten Krieges — um eine geistige Umstellung einzuleiten.

Die Bürger unserer altehrwürdigen Stadt Nordhausen haben, wie so viele Menschen in deutschen Landen, ein sehr, sehr teures Lehrgeld bezahlen müssen; hoffen wir, daß für unsere und die Zukunft kommender Generationen die folgerichtigen Lehren hieraus gezogen werden.

Die alte „Freie Reichsstadt Nordhausen“, mit ihren zahlreichen Baudenkmälern und mittelalterlichen Zeugen einer großen Vergangenheit, war als Brücke zwischen Harz und Kyffhäuser, das Ziel vieler Fremden. Die engen, winkligen Straßen, die vielen alten Fachwerkhäuser und die abseits • vom lauten Verkehrsleben liegenden verträumten Winkel, waren so recht geschaffen zu innerer Einkehr und geistiger Rückschau in längst verklungene Tage.

Die noch gut erhaltene Ringmauer mit ihren Wehrtürmen und Bastionen zeugte von der Kraft eines starken, stolzen Bürgertums, das in der langen, ruhmreichen Geschichte unserer Stadt, sich mehrfach gegen die Eroberungsgelüste der umliegenden Feudalherren, besonders der Hohnsteiner Grafen, verteidigen mußte.

Auch auf geistigem und kulturellem Gebiet nahm Nordhausen stets eine beachtliche Stellung ein, hielt doch am 10. April 1525 in der Blasii-Kirche der Pfarrer Spangenberg die erste reformatorische Predigt, mit unter der für das Wohl] der Stadt so förderlichen Regierung des verdienten, sehr fortschrittlich eingestellten Bürgermeisters Michael JVIeyenburg, ein neues Zeitalter für das religiöse und geistige Leben der Stadt anbrach. Auch Dr. Martin Luther und Philipp Melanchthon weilten häufig in unseren Mauern.

Der verbrecherische, militärisch völlig sinnlose anglo-amerikanische Bombenangriff am 3. und 4. April 1945 zerstörte wohl den größten Teil upserer alten Stadt, nicht aber den Lebenswillen seiner Bevölkerung. In gemeinsamer, freiwilliger Arbeit beseitigte man die Trümmer, unter größten wirtschaftlichen Schwierigkeiten begann dann der Wiederaufbau aus eigener Kraft; vieles wurde in den verflossenen zehn Jahren schon geschafft, viel mehr ist noch zu schaffen. Über die baulichen Dinge ist aus berufenerem Munde an anderer Stelle bereits geschrieben worden und wir wollen nur hoffen und wünschen, daß gemachte bauliche Fehler — insbesondere wo es sich um die vermeidbare Vernichtung von historisch wertvollen Baudenkmälern! handelt — künftig vermieden werden und durch ein »sinnvolles j-mri harmonisches Zusammenarbeiten aller verantwortlichen Stellen, unsere alte Stadt, in gebührender Berücksichtigung ihrer historischen Tradition, schöner als zuvor aus den Trümmern erstehen möge.

Wenn ich am 2. und 3. April in meinem Farblichtbilder-Vortrag „Nordhausen — einst und jetzt“, als alter Nordhäuser Bürger, meine Mitbürger — und deutschen Landsleute — in Lichtbild und Wort, durch Unsere alte Stadt führe, Fingerzeige und Anregungen gebe, hoffe ich von meinem Teil aus einen bescheidenen Anteil am Wiederaufbau unseres alten, lieben Nordhausens zu leisten.

Hans Kappler