Der Nordhäuser Laurin

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Textdaten
Autor: Wilhelm Poeck
Titel: Der Nordhäuser Laurin
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aus: Nordhausen. Wie es unsere Dichter sahen...
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Erscheinungsdatum: 1927
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Eintrag in der GND: [1]
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Der Nordhäuser Laurin.
Von Wilhelm Poeck.


Zur Erholung von Inflationsschrecken wollte ich wieder einmal meinen lieben Harz erstürmen. Diesmal vom Süden aus und im Winter.

Die lange Bahnfahrt hatte mich durch die grimme Kälte verdrießlich gemacht.

Aber auch rauflustig!

„Denn“, sagte ich mir, „durch Reibung wird Wärme erzeugt.“

„Also reib dich nur kräftig — da du einmal in Nordhausen bist — an einem dafür geeigneten Nordhäuser Vollbürger. Es muß aber ein Kerl sein wie du selbst — der nicht so leicht umfällt.“

Mit diesen Gedanken betrachtete ich mir zunächst in der Blasii- und ein paar anderen Straßen eine Anzahl der schönen alten spitzdächerigen Holzfachwerkhäuser.

Aus denen konnte man sich, in Verbindung mit den beiden Dom- und sonstigen Türmen und einem Stück alten Gemäuers, neben dem ich halt machte, in der Geschwindigkeit ganz gut ein schönes krummgassiges Winterbild der „ehemals freien Reichsstadt“ wieder aufbauen.

Falls nämlich die Phantasie nicht gelitten hatte.

Gottlob, meine noch nicht. Aber wenn nicht bald ein zum Anbinden mit dir und ihr geeigneter alter Stadtinsasse kommt, dachte ich, dann friert sie ein.

Ich setzte also eine dementsprechende Miene auf und spähte.

Da liefen vor Kälte heulende Schulkinder mit ihren Ränzeln an mir vorüber. Hübsche, junge Mädchen mit blaugefrorenen Backen. Aeltere Herren mit ebensolchen Nasen.

Summa summarum: Alle miteinander keine „Persönlichkeiten“, mit denen man (in feindlichem Sinne) anbändeln konnte.

Plötzlich durchzuckte mich die Absicht, diesen Feind, sobald gefunden und überwältigt, mir zum Freunde zu gewinnen. Ja, zum Harzgefährten.

Denn den Ilfelder, Benneckensteiner und noch unheimlicheren Harzschnee allein zu besiegen: das schien mir bei dieser Kälte immer gewagter.

Aber es kam immer noch keiner!

Die echten Nordhäuser Männer, kernfest und auf die Dauer wie der Winter selbst (wie sie in ihren alten Stadturkunden geschildert werden) waren entweder ausgestorben, oder sie hatten sich vor ihm hinter ihre Oefen, hinter ihren Stammtisch oder unter den prachtvollen Rolands-Riesenhut an ihrem Stadthause geflüchtet.

„Sind denn keine wahre ortsansässigen Helden mehr da?“ rief ich in die Stadt Nordhausen hinein. „Kein einziger wasche echter wirklicher Roland? Wie z. B. in Bremen?“

Da erklangs halb rauflustig, halb geisterhaft aus der Ferne zurück:

„Der Bremer Roland ist Dreck! Ich bin, wenn auch nur klein, der wahre Stadtriese. Mit mir mußt du kämpfen!“

Sofort beschloß ich den Prahlhans auf seinem Turnierplatz aufzusuchen.

Nach kurzer Zeit hatte ich ihn gefunden. Und mußte bei seinem ersten Anblick laut lachen.

Er war winzig wie der Zwerg Laurin, der aber durch seine Wunderkraft des Berners sämtliche Recken überwand, bis er von dem endlich bezwungen wurde.

„So“, sagte ich mir, „mußt du ihm auch beikommen.“ Natürlich steckte er in einem Harnisch as Glas; und noch dazu in einem anscheinend eigens für ihn erbauten Hause hinter einer gläsernen Schanze, merkwürdigerweise von der Form eines modernen Schaufensters, die von einem menschlichen Mitkämpen — anscheinend seinem Untervogt — verteidigt wurde.

Von da heraus funkelte er mich mit seinem einzigen gelblichen Auge heimtückisch an.

„Wer bist Du“" fragte ich halb kampfesmutig, halb entsetzt.

„Ich bin der Spiritus Nordhusiensis — der Geist Nordhausens!“

„Ein Spuk bist Du! Einer der mit hinterlistigen Waffen ficht.“

„Go tu du's auch!“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.

Aus meinem ungeheuren kulturgeschichtlichen Bildungsschatz wußte ich, daß man im dreißigjährigen Kriege „festgemachte“ Gegner mit silbernen Kugeln erlegte.

So mußt ichs auch machen.

Kurz entschlossen also stürzte ich mich hinter das Schanzwerk und schoß auf den Untervogt des glasumpanzerten kleinen Helden einen millionenschweren papiersilbernen Inflationspfeil ab.

Dadurch gewann ich über ihn die Herrschaft.

Er wurde nun mein Höriger, mußte mir ins Freie und von dort weiter folgen.

Wir sind dann auf unserer gemeinsamen eiskalten Harzwanderung aufs beste mit einander fertig geworden, uns „gegenseitig wärmend und zugleich bekämpfend bis er „alle" war: ich und der Echte alte Nordhäuser — der Laurin von Nordhausen.